Inhalt

VGH München, Urteil v. 06.08.2024 – 19 B 23.924
Titel:

Keine Bindung der Verwaltungsgerichte an die Ermittlungsergebnisse im Strafverfahren

Normenketten:
GG Art. 6
AufenthG § 27 Abs. 1, § 28 Abs. 1 S. 1, § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 53 Abs. 1, Abs. 2, § 54 Abs. 2 Nr. 8 lit. a, Abs. 2 Nr. 10, § 82 Abs. 1 S. 1, § 95 Abs. 2 Nr. 2
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1 Hs. 2, § 95 Abs. 2 Nr. 2, § 108 Abs. 1 S. 1
StPO § 153a Abs. 2
Leitsätze:
1. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Hs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Rechtsverstoß ist immer dann beachtlich iSv § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig, oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist. Auch ist eine vorsätzlich begangene Straftat grundsätzlich kein geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften, insbesondere dann nicht, wenn das Strafverfahren nicht wegen Geringfügigkeit eingestellt worden ist. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die numerisch aufgeführten schwerwiegenden Ausweisungsgründe des § 54 Abs. 2 AufenthG stehen in keinem Stufenverhältnis zueinander, sondern begründen bei Erfüllung der jeweiligen Voraussetzungen jeweils für sich genommen ein entsprechendes Ausweisungsinteresse. Gleiches gilt für die in § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG geregelten Alternativen inlandsbezogener Verstöße oder Handlungen im Ausland. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
4. Den Verwaltungsbehörden und den Gerichten ist es nicht verwehrt, die im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren und im strafgerichtlichen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel einer eigenständigen Überprüfung etwa im Hinblick darauf zu unterziehen, ob sich daraus hinreichende Schlussfolgerungen für das Vorliegen der Voraussetzungen der verwaltungsrechtlichen Eingriffsgrundlage (hier der §§ 53 ff. AufenthG) ergeben. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung, Erschleichen eines Aufenthaltstitels, Eheliche Lebensgemeinschaft, Überzeugungsgrundsatz, Beweislast, Mitwirkungspflicht, eheliche Lebensgemeinschaft, besonderes Ausweisungsinteresse, öffentliches Ausweisungsinteresse, unrichtige oder unvollständige Angabe, Ehegattennachzug, endgültige Trennung, Trennungszeitpunkt, geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften, Bindung der Verwaltungsgerichte an die Ermittlungsergebnisse, staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren, eigenständige Überprüfung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 04.04.2022 – AN 5 K 20.1596
Fundstelle:
BeckRS 2024, 22278

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Die Klägerin, irakische Staatsangehörige, wendet sich gegen ihre Ausweisung aus dem Bundesgebiet sowie gegen die damit verbundenen Entscheidungen (befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot, Ausreiseaufforderung mit Fristsetzung zur freiwilligen Ausreise und Abschiebungsandrohung in den Irak) der Beklagten.
2
Die am ... 1989 geborene Klägerin schloss am 22. Januar 2012 im Irak mit dem am 4. Juli 1990 geborenen deutschen Staatsangehörigen Z.D. die Ehe. Am 17. Dezember 2014 reiste sie mit einem Visum zum Ehegattennachzug in das Bundesgebiet ein. Am 16. März 2015 wurde der Klägerin auf entsprechenden Antrag vom 23. Dezember 2014 eine bis 15. März 2016 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erteilt, welche auf ihren Antrag am 16. März 2016 bis 15. März 2017 verlängert wurde. Am 16. März 2017 wurde die Aufenthaltserlaubnis erneut für ein Jahr (bis 15.3.2018) verlängert. Bei der Antragstellung am 16. Februar 2017 hatten die Klägerin und ihr Ehemann – wie bereits bei dem vorhergehenden Verlängerungsantrag – eine Erklärung unterschrieben, nach der sie in der S.-Straße 2 in N. in ehelicher Lebensgemeinschaft zusammenlebten. Am 16. März 2018 wurde die Aufenthaltserlaubnis erneut um ein Jahr (bis 15.3.2019) verlängert. Bei der Antragstellung am 6. Februar 2018 hatten die Klägerin und ihr Ehemann wiederum eine gleichlautende schriftliche Erklärung zur ehelichen Lebensgemeinschaft abgegeben. Den (formularmäßig vorbereiteten und jeweils von der Klägerin und ihrem Ehemann unterschriebenen) Erklärungen war jeweils ein Hinweis auf die Strafbarkeit falscher Angaben gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG sowie auf mögliche ausländerrechtliche Folgen (ausdrücklich genannt waren „Versagung, Widerruf bzw. Rücknahme des Aufenthaltstitels, Ausweisung gem. § 53 AufenthG“) beigefügt. Auf den erneuten Verlängerungsantrag vom 12. März 2019 erhielt die Klägerin eine Fiktionsbescheinigung.
3
Mit Endbeschluss des Amtsgerichts N. – Abteilung für Familiensachen – vom 22. Januar 2019 wurde die Ehe rechtskräftig geschieden. Der Ehemann hatte im Scheidungsantrag vom 25. Mai 2018 sowie in der mündlichen Anhörung vor dem Familiengericht vortragen lassen, sie hätten sich im Dezember 2016 getrennt, er sei zu diesem Zeitpunkt aus der gemeinsamen Ehewohnung ausgezogen und nach dem Auszug seiner Ehefrau im Mai 2017 dort wieder eingezogen. Die Klägerin hatte demgegenüber erklärt, die Angaben ihres Ehemannes seien nicht richtig, sie hätten sich im Mai 2017 getrennt. Im Jahr 2016 habe sie mit ihren Schwiegereltern zusammengewohnt.
4
Gegen die Strafbefehle vom 7. Juli 2019, durch die gegen die Klägerin und ihren Ex-Ehemann wegen Erschleichens eines Aufenthaltstitels durch sonstige falsche oder unrichtige Angaben (§ 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) jeweils eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen verhängt wurde, legten diese Einspruch ein. Das Strafverfahren wurde nach Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung vom 4. Oktober 2019 und Fortsetzungstermin am 17. Oktober 2019 mit Zustimmung der Angeklagten sowie nach Zahlung der Geldauflagen (900,00 Euro im Falle der Klägerin, 1.200 Euro im Falle des Ex-Ehemannes) mit Beschluss des Amtsgerichts vom 20. März 2020 gemäß § 153a StPO eingestellt.
5
Mit (fälschlicherweise auf den 28.8.2020 datiertem) Bescheid vom 28. Juli 2020 wies die Beklagte die Klägerin aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer I.), erließ gegen diese ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, das auf die Dauer von drei Jahren ab der Abschiebung bzw. Ausreise der Klägerin befristet wurde (Ziffer II.), lehnte die Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels ab (Ziffer III.), forderte die Klägerin auf, das Bundesgebiet bis spätestens 28. August 2020 zu verlassen (Ziffer IV.) und drohte der Klägerin für den Fall, dass diese ihrer vollziehbaren Ausreiseverpflichtung nicht innerhalb der vorstehend genannten Frist freiwillig nachkommt, die zwangsweise Abschiebung nach Irak bzw. in einen anderen Staat, in den sie einreisen darf bzw. der zu ihrer Übernahme verpflichtet ist, an (Ziffer V.). Unter der Ziffer V. wurde verfügt, dass für den Bescheid keine Gebühren erhoben werden.
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Hiergegen ließ die Klägerin am 17. August 2020 Klage erheben.
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Mit Urteil vom 4. April 2022 hob das Verwaltungsgericht den Bescheid der Beklagten mit Ausnahme der Ziffer III auf. Die Ausweisung sei rechtswidrig. Die Kammer sei nicht im Sinne des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin bei der Beklagten am 16. Februar 2017 oder 6. Februar 2018 durch die Abgabe der Erklärungen über das Führen einer ehelichen Lebensgemeinschaft mit ihrem früheren Ehemann wahrheitswidrige Angaben gemacht habe, was ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a) und Nr. 9 AufenthG hätte begründen können. Die materielle Beweislast trage insoweit die Beklagte, da diese sich darauf berufe, dass die Klägerin falsche Angaben gemacht habe, und daraus die entsprechenden Rechtsfolgen abzuleiten versuche. Die Kammer habe auf Grundlage des Gesamtergebnisses des Verfahrens nicht zu der Überzeugung gelangen können, dass die eheliche Lebensgemeinschaft der Klägerin mit ihrem früheren Ehemann am 6. Februar 2018 nicht mehr bestanden habe. Für die richterliche Überzeugung sei zwar keine unumstößliche Gewissheit zu verlangen; in tatsächlich zweifelhaften Fällen müssten Richter jedoch vom Vorliegen der entscheidungsrelevanten Tatsachen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit ausgehen, der den (nicht zwingend ausgeschlossenen) Zweifeln Einhalt gebiete. Die Kammer habe solche Zweifel an den von der Beklagten behaupteten Tatsachen über die immer bestehenden Restunsicherheiten hinaus. Dass eine Trennung – wie von der Beklagten geltend gemacht – spätestens im Mai 2017 erfolgt sei, ergebe sich nicht aus dem persönlichen Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung. Aufgrund des persönlichen Verhaltens der Klägerin, das – im Zusammenhang mit ihrer Aussage, dass sie sehr aufgeregt sei – eine erhebliche persönliche Verunsicherung habe erkennen lassen, und aufgrund des langen Zeitabstandes zu den berichteten Geschehnissen bestehe jedenfalls eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin mit ihrer Aussage in der mündlichen Verhandlung, die Trennung habe im Mai 2017 stattgefunden, nicht den tatsächlichen Trennungszeitpunkt benannt habe. Dies insbesondere, als sie zwischen den fraglichen Zeitpunkten Mai 2017 und Mai 2018 in ihrer Aussage hin und her gewechselt habe, ohne dass deutlich geworden wäre, aus welchen Gründen sie die unterschiedlichen Angaben gemacht habe. Es sei der Eindruck entstanden, als ob die Klägerin selbst nicht genau gewusst habe, welchen Zeitpunkt sie als den Trennungszeitpunkt angeben solle. Auch auf Nachfrage ihres Bevollmächtigten, der sie auch aufgefordert habe, die Wahrheit zu sagen, habe sich die Klägerin nicht eindeutig und überzeugend auf eines der beiden in Frage kommenden Jahre festlegen können. Auch aus der im Scheidungsverfahren protokollierten Angabe, die Trennung sei im Mai 2017 erfolgt, könne nach Auffassung der Kammer nicht mit hinreichender Sicherheit geschlossen werden, dass dieser Zeitpunkt auch tatsächlich derjenige sei, an dem die Trennung erfolgt sei. Es bestehe schon eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass die Angabe der Klägerin im Scheidungsverfahren, ebenso wie im vorliegenden Verfahren, in einer Situation der Unsicherheit gemacht worden sei und daher nicht den Tatsachen entsprochen habe. Ein konkreter äußerer Anlass für eine Trennung im Mai 2017 sei für die Kammer nicht – weder aus dem Protokoll des Scheidungstermins noch sonst – ersichtlich. Die Klägerin habe letztlich durchgehend vorgetragen, dass die Streitigkeiten, wegen derer sie auch mehrfach bei ihren Schwiegereltern übernachtet habe, vorübergehend gewesen seien und dass immer wieder eine Versöhnung stattgefunden habe. Dies sei auch von allen drei Zeugen – übereinstimmend – so ausgesagt worden. Die Aussagen hätten zwar einige Widersprüche enthalten, wie etwa zu der Frage, ob die Klägerin nach der Einreise sofort mit ihrem Mann in eine Wohnung gezogen sei oder zuerst bei ihren Schwiegereltern gelebt habe, ob der frühere Ehemann der Klägerin bei Streitigkeiten ebenfalls vorübergehend bei seinen Eltern übernachtet habe und ob er häufiger alleine ohne die Klägerin in den Urlaub gefahren sei. Jedoch sei den Aussagen der Zeugen durchgehend zu entnehmen, dass nach den Streitigkeiten immer wieder Versöhnungen stattgefunden hätten, bis der damalige Ehemann der Klägerin im Mai 2018 ohne sie in den Urlaub gefahren und unmittelbar danach zu seinen Eltern gezogen sei. Da der Umzug nach den Angaben der Zeugen im Juni 2018 geschehen sei, falle dies auch zeitlich mit der melderechtlichen Anmeldung bei seinen Eltern zum 1. Juni 2018 zusammen. Der Scheidungsantrag sei am 16. Juni 2018 zugestellt worden, also ebenfalls im zeitlichen Zusammenhang mit dem behaupteten Auszug aus der Ehewohnung. Die bestehenden Widersprüche zwischen und innerhalb der Zeugenaussagen könnten insbesondere auch mit dem großen zeitlichen Abstand zu den Geschehnissen zusammenhängen; sie führten nicht dazu, dass die Kammer zu der Überzeugung gelange, dass die übereinstimmenden Angaben aller Zeugen zum Trennungszeitpunkt Mai 2018 falsch seien respektive dass die Lebensgemeinschaft zur Zeit der Antragstellung am 6. Februar 2018 mit der notwendigen Gewissheit nicht mehr bestanden habe.
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Mit Beschluss vom 11. Mai 2023 hat der Senat die Berufung der Beklagten wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zugelassen.
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Die Beklagte beantragt,
10
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 4. April 2022 wird aufgehoben und die Klage wird abgewiesen.
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Die Klägerin und ihr früherer Ehemann hätten erstmals im verwaltungsgerichtlichen Verfahren behauptet, dass die Falschangaben im Scheidungsverfahren gemacht worden seien und dass dies prozesstaktischen Gründen gedient habe. Diese Angaben seien insbesondere im Hinblick auf das prozessuale Verhalten der Klägerin und ihres früheren Ehemanns während des Scheidungsverfahrens und während des Strafverfahrens nicht glaubhaft. Gegen das behauptete, gemeinschaftliche prozesstaktische Vorgehen im Scheidungsverfahren spreche, dass in der Sitzung des Amtsgerichts Nürnberg vom 22. Januar 2019 vom damaligen Ehemann der Klägerin Dezember 2016, von der Klägerin selbst hingegen Mai 2017 als Trennungszeitpunkt angegeben worden sei. Abgesehen davon, dass sich die Ehegatten im Fall eines taktischen Vorgehens wohl abgesprochen hätten, werfe die divergierende Angabe des Trennungszeitpunkts auch die Frage auf, weshalb die Klägerin der Angabe ihres früheren Ehemanns im Scheidungsverfahren widersprochen habe. Dass es sich bei beiden Angaben um Falschangaben gehandelt haben solle, scheine äußerst fernliegend; ein Grund, weshalb die Klägerin die Falschangabe ihres Ehegatten durch eine eigene Falschangabe ersetzt haben sollte, sei nicht erkennbar. Dies lasse nicht nur die Behauptung vor dem Verwaltungsgericht, im Scheidungsverfahren sei aus prozesstaktischen Gründen ein falscher Trennungszeitpunkt angegeben worden, unglaubhaft erscheinen, sondern deute darüber hinaus darauf hin, dass sich die Ehegatten über einen mehrmonatigen Zeitraum hinweg auseinandergelebt hätten und spätestens seit Mai 2017 getrennt gelebt hätten. Auch das Verhalten der früheren Ehegatten im Strafverfahren weise bei Wahrunterstellung des im verwaltungsgerichtlichen Verfahrens Behaupteten einige Unstimmigkeiten auf. Im Strafverfahren habe sich die Klägerin überhaupt nicht zur Sache geäußert. Demgegenüber habe der damalige Ehemann der Klägerin laut Protokoll über die öffentliche Sitzung des Amtsgerichts Nürnberg vom 4. Oktober 2019 (Hauptverhandlung im Strafverfahren) u.a. erklären lassen, er sei davon ausgegangen, dass die Ehe wieder zustande komme. Er habe nicht gewollt, dass sie (die Klägerin) den Titel verliere, obwohl sie dann vielleicht doch wieder zusammen seien. Abgesehen von der möglichen Auslegung dieser Aussage – insbesondere der Formulierung „[…], dass die Ehe wieder zustande komme“ – im Hinblick auf eine bewusste Falschaussage im ausländerrechtlichen Verfahren, ließen die im Strafverfahren erfolgte Aussageverweigerung der Klägerin als auch die Erklärung ihres früheren Ehemanns die Behauptung vor dem Verwaltungsgericht, aus prozesstaktischen Gründen sei im Scheidungsverfahren ein falscher Trennungszeitpunkt angegeben worden, in höchstem Maße unglaubhaft erscheinen. Ein Grund für die Aussageverweigerung der Klägerin sei nicht erkennbar und sei von ihr auch nicht angegeben worden. Die Angabe eines falschen Trennungszeitpunkts im Scheidungsverfahren sei nicht mit Strafe bedroht, so dass eine ähnliche Aussage der Klägerin wie vor dem Verwaltungsgericht den Strafvorwurf leicht hätte ausräumen können. Schließlich sei nicht annähernd nachvollziehbar, dass die Klägerin und ihr früherer Ehemann bereit gewesen wären, für ein nicht strafbares Verhalten (Falschaussage im Scheidungsverfahren über den Trennungszeitpunkt) eine Geldauflage von nicht unerheblicher Höhe zu entrichten. Auch das (prozessuale) Verhalten der Klägerin im Verwaltungsverfahren lasse einige Fragen aufkommen. Eine Äußerung der Klägerin selbst sei nicht erfolgt. Statt auf das laufende Strafverfahren zu verweisen, hätte der Klägervertreter – bei Wahrunterstellung des vor dem Verwaltungsgericht behaupteten Trennungszeitpunkts Mai 2018 – bereits damals ohne Weiteres klarstellen können, dass nicht die zuletzt abgegebene Eheerklärung unrichtig sei, sondern der im Scheidungsverfahren angegebene Trennungszeitpunkt. Trotz des im Anhörungsschreiben erfolgten Hinweises auf die ausländerrechtliche Mitwirkungspflicht des § 82 Abs. 1 AufenthG habe sich die Klägerin nicht zur Sache geäußert. Auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht seien – trotz mehrfacher gerichtlicher Aufforderung – keine substantiierten Angaben zur Trennung der Ehegatten gemacht worden. Die Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht seien nicht nur hinsichtlich des Trennungszeitpunkts, sondern auch hinsichtlich des Zeitpunkts und der Dauer der Aufenthalte bei ihrer Schwiegermutter widersprüchlich und in ihrer Gesamtheit unsubstantiiert. Dies habe das Verwaltungsgericht verkannt und der Aussage im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung erhebliches Gewicht zugunsten der Klägerin beigemessen. Allein auf Grund dieser Feststellungen hätte das Verwaltungsgericht der Aussage der Klägerin nicht das im Urteil zu Grunde gelegte Gewicht beimessen und die erkannten Widersprüche nicht unter Hinweis auf die Aufregung der Klägerin und den langen Zeitabstand zu den berichteten Geschehnissen außer Acht lassen dürfen. Hätte der damalige Ehemann der Klägerin erst vor einem Urlaubsantritt im Mai 2018 seine Trennungsabsicht geäußert, wäre anzunehmen, dass dies der Klägerin deutlich in Erinnerung geblieben wäre. Gleichwohl habe das Verwaltungsgericht die Aussage der Klägerin dahingehend bewertet, dass „jedenfalls eine erhebliche Wahrscheinlichkeit“ dafür bestehe, dass die Klägerin mit ihrer Aussage in der mündlichen Verhandlung, die Trennung habe im Mai 2017 stattgefunden, nicht den tatsächlichen Trennungszeitpunkt benannt habe. Sowohl die Angaben der früheren Ehegatten vor dem Scheidungsgericht als auch im Strafverfahren und das seitens der Klägerin erfolgte und zuvor geschilderte starke Hinauszögern jeglicher Erklärung sowie das Unterlassen konkreter Angaben zu dem vom Verwaltungsgericht angefragten Zeitraum (Juli 2016 bis Juni 2018) wirkten in sich wie auch aufeinander bezogen stimmig und plausibel. Erst mit dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren behaupteten Trennungszeitpunkt Mai 2018 und den in der mündlichen Verhandlung gemachten, etwas konkreteren Angaben habe sich die Klägerin ohne jegliche Begründung in Widerspruch hierzu gesetzt. Ihre Aussage vor dem Verwaltungsgericht sei vor diesem Hintergrund als verfahrensangepasst und damit unglaubhaft zu bewerten. Hinreichende, nachvollziehbare und schlüssige Anhaltspunkte für die Behauptungen der Klägerin, im Scheidungsverfahren sei aus taktischen Erwägungen Mai 2017 als Trennungszeitpunkt angegeben worden und die eheliche Lebensgemeinschaft mit ihrem geschiedenen Ehemann habe zum Zeitpunkt der Abgabe der letzten Eheerklärung am 6. Februar 2018 noch fortbestanden, seien letztlich bis dato weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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Wegen des vom Verwaltungsgericht insoweit fehlerhaft angewandten Maßstabs, insbesondere der Suche nach einem Trennungsanlass, übersehe dieses, dass es sich bei den von ihm für den Anlass der Trennung gehaltenen Geschehnissen im Mai 2018 ebenso um die Folgen und die äußerlich erkennbare Manifestation der Trennung handeln könne. Übereinstimmend und widerspruchsfrei von der Klägerin und den vom Verwaltungsgericht vernommenen Zeugen werde angegeben, dass der damalige Ehemann der Klägerin – wohl erstmals ohne die Klägerin – im Mai 2018 in den Urlaub gefahren und unmittelbar danach zu seinen Eltern gezogen sei. Der Scheidungsantrag datiere auf den 25. Mai 2018. Weil seit dem von der Klägerin im Scheidungsverfahren angegebenen Trennungstermin Mai 2017 bis zu jenen drei genannten Geschehnissen folglich genau ein (Trennungs-)Jahr verstrichen sei, bestehe sogar eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die soeben aufgezeigte Möglichkeit, dass diese drei Ereignisse die Folgen der Trennung bzw. den Beginn des eigentlichen Scheidungsverfahrens darstellten. Dass die Zeugen erst im Mai 2018 von der bevorstehenden Scheidung erfahren hätten, möge daran liegen, dass die Klägerin und ihr damaliger Ehemann diese Tatsache bis zur Erfüllung des Trennungsjahres für sich behalten hätten. Jedenfalls sprächen auch die unstreitigen Geschehnisse im Mai 2018 dafür, dass die früheren Ehegatten seit Mai 2017 getrennt gelebt hätten und im ausländerrechtlichen Verfahren wahrheitswidrig das Fortbestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft behauptet hätten.
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Das Verwaltungsgericht habe jegliche Würdigung des strafrechtlichen Vorgangs unterlassen; eine Begründung dafür sei dem Urteil nicht zu entnehmen. Bei Wahrunterstellung hätte wohl eine Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO erfolgen müssen, welche von der Beklagten auch nicht verwertet worden wäre. Die Norm des § 153a StPO setze einen hinreichenden Tatverdacht im Sinne der hohen Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung voraus (sog. Anklagereife). Einstellungen nach § 153a StPO bei zweifelhafter, schwieriger, komplexer oder unklarer Beweislage seien unzulässig. Wenn die grundsätzliche Frage der Strafbarkeit nicht geklärt sei, könne dem Beschuldigten nicht die Erfüllung einer Auflage zugemutet werden. Einem Einstellungsbeschluss nach § 153a StPO komme deshalb für die Frage, ob ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse (jedenfalls) i.S.v. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG bestehe, erhebliche indizielle Bedeutung zu. Schon wegen der Höhe der Geldauflage sei nicht von der Geringfügigkeit des Verstoßes gegen Rechtsvorschriften i.S.v. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG auszugehen. Vorsätzliche Straftaten stellten in der Regel keine geringfügigen Verstöße dar, wenn das Strafverfahren – wie hier – nicht wegen Geringfügigkeit eingestellt worden sei.
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Außerdem habe das Verwaltungsgericht nicht nur das Verhalten der Klägerin im Scheidungs-, Straf- und im Verwaltungsverfahren ausgeblendet und dadurch die Widersprüche gegenüber der Aussage in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht verkannt. Vielmehr habe es auch dem Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu Unrecht maßgebliches Gewicht beigemessen und festgestellt, dass eine Trennung spätestens im Mai 2017 erfolgt sei, ergebe sich nicht aus dem persönlichen Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, es bestehe jedenfalls eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin mit ihrer Aussage, die Trennung habe im Mai 2017 stattgefunden, nicht den tatsächlichen Trennungszeitpunkt benannt habe. Demgegenüber habe das Verwaltungsgericht die wenigen widerspruchsfreien Angaben der Klägerin und der Zeugen in der mündlichen Verhandlung, die durch tatsächliche Geschehnisse belegt seien, nicht als mögliche/wahrscheinliche Folge der Trennung, sondern als deren Anlass fehlinterpretiert.
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Das Verwaltungsgericht habe seiner Entscheidung außerdem erkennbar falsche rechtliche Annahmen zu Grunde gelegt. Zum einen sei maßgeblich für die Frage des Bestehens eines schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a) bzw. Nr. 9 AufenthG, ob bei der Abgabe der letzten Eheerklärung am 6. Februar 2018 die eheliche Lebensgemeinschaft noch bestanden habe. Hiervon gehe das Verwaltungsgericht mit der Begründung aus, ein konkreter äußerer Anlass für eine Trennung im Mai 2017 sei nicht ersichtlich. Es sei in mehrerlei Hinsicht rechtlich fehlerhaft, für die Beurteilung der Frage, ob die eheliche Lebensgemeinschaft noch bestehe, ausschließlich auf einen konkreten äußeren Anlass für eine Trennung abzustellen. Was Anlass für eine Trennung sein könne, hänge in höchstem Maße von den subjektiven Auffassungen eines oder beider Ehegatten ab und müsse zeitlich keineswegs mit der Trennung zusammenfallen, sondern gehe dieser meist voraus. Zum anderen komme es für die Frage nach dem Fortbestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft weder auf einen (einzelnen) Umstand an noch müsse dieser konkret oder für Dritte wahrnehmbar sein. Insbesondere sei es für die Aufhebung einer ehelichen Lebensgemeinschaft nicht notwendig, dass in der Lebensform eine äußerlich erkennbare Veränderung eintrete; möglicherweise ändere sich nicht die äußere Form des Lebens, sondern nur die innere Einstellung zueinander. Ob eine dauernde Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft vorliege, müsse für den Einzelfall nach „objektiven Kriterien und Indizien“ ermittelt werden.
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Zum anderen gehe das Verwaltungsgericht fehlerhaft davon aus, die der Klägerin vorgeworfene Tat besser aufklären zu können als das zuständige Strafgericht. Dieses habe die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung als hoch eingeschätzt. Eine Auseinandersetzung mit dem Einstellungsbeschluss erfolge nicht. Zwar seien nach ständiger Rechtsprechung die Ausländerbehörden und die Verwaltungsgerichte an strafrechtliche Urteile bzw. Einstellungsbeschlüsse nach § 153a StPO und die darin enthaltenen tatsächlichen Feststellungen rechtlich nicht gebunden. Sie könnten diese aber ihrer Entscheidung in der Regel zugrunde legen und brauchten daher nicht nachzuprüfen, ob der Betroffene tatsächlich eine Straftat begangen habe. Hinsichtlich der tatsächlichen Umstände der abgeurteilten Tat könne lediglich in Sonderfällen anderes gelten, wenn die Ausländerbehörde oder das Verwaltungsgericht ausnahmsweise in der Lage seien, den Vorfall besser als die Strafverfolgungsorgane aufzuklären. Vorliegend sei kein Grund erkennbar, den Einstellungsbeschluss des Amtsgerichts durch eine eigene Bewertung in Frage zu stellen; ein solcher ergebe sich auch nicht aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts. So sei zunächst zu sehen, dass das Verwaltungsgericht nach der materiellen Beweislast entschieden habe, wohingegen in strafgerichtlichen Verfahren der „in dubio pro reo“ – Rechtsgrundsatz gelte. Zwar habe das Verwaltungsgericht drei Zeugen vernommen (den Ex-Ehemann sowie die Schwiegereltern der Klägerin), das Strafgericht hingegen nur zwei Zeugen (die Sachbearbeiterin des Aufenthaltserlaubnisverfahrens und die Schwiegermutter der Klägerin). Die Lückenhaftigkeit und Widersprüchlichkeit der Aussagen der vom Verwaltungsgericht vernommenen (zwei zusätzlichen) Zeugen belegten jedoch, dass diese nichts Sachdienliches zur Beweisfrage hätten beitragen können. Ferner gäben weder der Einstellungsbeschluss oder das Protokoll ein Aufklärungsdefizit zu erkennen noch sei die Entscheidung des Strafgerichts offensichtlich unrichtig. Es sei nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichts, die strafgerichtliche Beweisaufnahme quasi nachzuvollziehen, um die Tragfähigkeit der Sachverhalts- und Beweiswürdigung zu überprüfen. Erst Recht nicht könne es den strafgerichtlichen Einstellungsbeschluss einer eigenen strafrechtlichen Überprüfung und Bewertung unterziehen. Die Klägerin habe sich im Verfahren vor dem Strafgericht nicht zur Sache geäußert und der Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 900 Euro zugestimmt. Damit habe sie sich die Möglichkeit genommen, sich weiter gegen den Tatvorwurf zur Wehr zu setzen. Sie habe deshalb den Einstellungsbeschluss gegen sich gelten zu lassen.
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Nach dem Überzeugungsgrundsatz sei ein Beweis erbracht, wenn er die volle Überzeugung des Richters von der Wahrheit einer Behauptung begründe und nicht lediglich von deren Wahrscheinlichkeit. Allerdings dürfe das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen, sondern es müsse sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Einhalt gebiete, ohne sie völlig auszuschließen. Das Verwaltungsgericht hätte bei Würdigung des Prozessstoffs einschließlich der vorstehend dargelegten und von ihm außer Acht gelassenen Tatsachen rechtsfehlerfrei die volle Überzeugung vom Bestehen eines schwerwiegenden Ausweisungsinteresses gewinnen können, zumindest aber einen „tatsächlich zweifelhaften Fall“ annehmen und sich deshalb „mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit“ begnügen müssen. Da das Verwaltungsgericht keine Überzeugungsgewissheit vom Bestehen eines schwerwiegenden Ausweisungsinteresses habe gewinnen können, habe es eine Beweislastentscheidung getroffen. Auf Fragen zur Beweislast komme es aber nicht an, solange die Klägerin ihre Mitwirkungspflicht nicht erfülle. Dass die Klägerin entweder im Scheidungsverfahren oder im ausländerrechtlichen Verfahren zur Verlängerung ihres Aufenthaltstitels falsche Angaben gemacht habe, sei wegen der angegebenen unterschiedlichen Trennungszeitpunkte offenkundig. Vor diesem Hintergrund könne es nicht der Beklagten zur Last fallen, dass nicht zweifelsfrei nachweisbar sei, in welchem der beiden Verfahren die Klägerin falsche Angaben gemacht habe. Hierbei handele es sich um Wissen, das ausschließlich die Klägerin und ihr früherer Ehemann besäßen. Deshalb könne weder die Beklagte erforderliche Beweismittel vorbringen noch sei das Gericht in der Lage, diese Beweismittel von sich aus heranzuziehen. In derartigen Fällen des – nicht durch die beweisbelastete Partei verschuldeten – Beweisnotstandes sei anerkannt, dass die Rechtsdurchsetzung nicht an unerfüllbaren Beweisanforderungen scheitern dürfe. Deshalb seien in solchen Fällen gewisse Beweiserleichterungen geboten. Erst Recht habe dies im Ausländerrecht zu gelten, weil Ausländer gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verpflichtet seien, ihre Belange und für sie günstige Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt seien, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen und die erforderlichen Nachweise über deren persönlichen Verhältnisse, sonstige erforderliche Bescheinigungen und Erlaubnisse sowie sonstige erforderliche Nachweise, die sie erbringen könnten, unverzüglich beizubringen. Bei dem nun von den Ehegatten – erstmals vor dem Verwaltungsgericht – behaupteten Trennungszeitpunkt Mai 2018 handele es sich um einen für die Klägerin günstigen Umstand. Dieser sei weder offenkundig noch der Beklagten anderweitig bekannt gewesen, weshalb die Klägerin zur Mitwirkung verpflichtet gewesen sei. Spätestens aufgrund des an sie gerichteten Anhörungsschreibens der Beklagten habe die Klägerin erkennen können und müssen, dass der Beklagten ihre divergierenden Angaben im Scheidungsverfahren und im ausländerrechtlichen Verfahren bekannt und für das weitere (Ausweisungs-)Verfahren von erheblicher Bedeutung seien. Gleichwohl habe sie sich bis dato nicht substantiiert zur Sache geäußert. Eine Ausnahme von der üblichen Verteilung der materiellen Beweislast gelte für Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich des Ausländers dann, wenn Tatsachen derart in der Sphäre eines Beteiligten lägen, dass ihre Erforschung zwingend dessen Mitwirkung erfordere. In Verbindung mit § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO sei die Klägerin – auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren – verpflichtet, die Umstände der angeblichen Trennung erst im Mai 2018 substantiiert darzulegen und eventuelle Beweismittel vorzulegen. Insofern stelle das Verwaltungsgericht grundsätzlich zutreffend fest, dass die Beklagte die materielle Beweislast für das Vorliegen der Ausweisungsvoraussetzungen trage. Dass vorliegend ausnahmsweise anderes zu gelten habe, habe das Erstgericht hingegen übersehen. Die feststehenden Umstände (v.a. Falschangabe im Scheidungs- oder ausländerrechtlichen Verfahren, divergierende Angaben der Ehegatten im Scheidungsverfahren, Scheidung der klägerischen Ehe am 22.1.2019, gegen Zahlung einer nicht unerheblichen Geldauflage nach § 153a StPO eingestelltes Strafverfahren, Schweigen der Klägerin im Straf- und im Anhörungsverfahren) rechtfertigten die Annahme, dass die Klägerin im Rahmen der Beantragung der Verlängerung ihres Aufenthaltstitels falsche Angaben hinsichtlich der Führung ihrer ehelichen Lebensgemeinschaft gemacht gehabt habe. Trotz des im Anhörungsverfahren erfolgten Hinweises auf die bestehende Mitwirkungspflicht habe sich die Klägerin nicht zur Sache geäußert, mithin allein in ihrer Kenntnis- und Verantwortungssphäre liegende Tatsachen nicht geltend gemacht. Auch in der mündlichen Verhandlung habe sie ihrer Mitwirkungspflicht nicht im erforderlichen Umfang genügt. Ihre Aussage weise zahlreiche inhaltliche Ungereimtheiten auf. Selbst wenn sich die Klägerin zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr mit Sicherheit an den wahren Trennungszeitpunkt erinnern könnte, dürfe dies letztlich nicht zu Lasten der Beklagten gehen. Ein Grund, weshalb sich die Klägerin in der Sitzung des Amtsgerichts Nürnberg vom 22. Januar 2019 (im Scheidungsverfahren) nicht mehr hätte erinnern können, ob die Trennung von ihrem Ehemann etwa acht Monate oder ein Jahr und acht Monate zuvor erfolgt sei, sei nicht erkennbar und auch nicht vorgetragen. Auch habe das Verwaltungsgericht gänzlich außer Acht gelassen, dass die bestehenden Unsicherheiten überhaupt nur deshalb entstanden seien, weil die Klägerin hinsichtlich des Trennungszeitpunkts jedenfalls in einem der beiden Verfahren nicht die Wahrheit angegeben habe.
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Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt.
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Der Vertreter des öffentlichen Interesses hat keinen Antrag gestellt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen. Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Die Akten des Strafverfahrens (StA Nürnberg, Az. 451 Js 56016/19) sowie des Scheidungsverfahrens (AG Nürnberg, Az. 114 F 1585/18) wurden beigezogen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten (mit Ausnahme der nicht angefochtenen Ziffer III.) im Ergebnis zu Recht aufgehoben. Denn die Ausweisung und die damit verbundenen Entscheidungen sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Die Ausweisung (Ziffer I. des streitgegenständlichen Bescheides) ist rechtswidrig.
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1.1 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 16.2.2022 – 1 C 6.21 – juris Rn. 21; U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 18; U.v. 30.7.2013 – 1 C 9.12 – juris Rn. 8 m.w.N.).
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1.2 Nach dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Die Tatbestandsmerkmale der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 23 m.V.a. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar (BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 23; U.v. 16.2.2022 – 1 C 6.21 – juris Rn. 26).
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Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54 und 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder „besonders schwerwiegend“ (Absatz 1) oder als „schwerwiegend“ (Absatz 2). Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen (BVerwG, U.v. 16.2.2022 – 1 C 6.21 – juris Rn. 26).
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Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht (BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 26).
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1.3 Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG wiegt gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a) AufenthG schwer, wenn der Ausländer oder die Ausländerin in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat. Nach § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse auch schwer, wenn der Ausländer oder die Ausländerin einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist. Ein Rechtsverstoß ist immer dann beachtlich im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig, oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist. Auch ist eine vorsätzlich begangene Straftat grundsätzlich kein geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften (vgl. zu § 46 Nr. 2 AuslG 1990: BVerwG, B.v. 18.11.2004 – 1 C 23.03 – juris Rn. 19 ff.; zu § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG a.F.: B.v. 27.4.2020 – 10 C 20.51 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 14.2.2019 – 10 ZB 18.1967 – juris; B.v. 19.9.2017 – 10 C 17.1434 – juris Rn. 6; B.v. 17.5.2017 – 19 CS 17.37 – juris Rn. 5; B.v. 20.10.2022 – 19 ZB 22.1211 – juris Rn. 12), insbesondere dann nicht, wenn das Strafverfahren nicht wegen Geringfügigkeit eingestellt worden ist (vgl. BayVGH, B.v. 28.5.2019 – 10 ZB 19.436 – juris Rn. 5; B.v. 20.10.2022 – 19 ZB 22.1211 – juris Rn. 17). Bei Straftaten, die nur durch einen Ausländer begangen werden können, gilt insoweit nichts Anderes (BayVGH, B.v. 20.10.2022 – 19 ZB 22.1211 – juris Rn. 12).
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Gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen oder das Erlöschen oder die nachträgliche Beschränkung des Aufenthaltstitels oder der Duldung abzuwenden oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht. Es reicht aus, wenn die Angaben für das Verfahren allgemein von Bedeutung sind und damit grundsätzlich zur Verschaffung eines unrechtmäßigen Aufenthaltstitels oder einer Duldung oder zu deren – unbeschränktem – Erhalt führen können, die richtige Anwendung des materiellen Aufenthaltsrechts wegen der Falschangaben mithin abstrakt gefährdet ist (vgl. Hohoff in BeckOK AuslR, Stand 1.7.2022, AufenthG § 95 Rn. 91 m.w.N. zur Rspr.). Die Abgabe einer inhaltlich unrichtigen Erklärung zur ehelichen Lebensgemeinschaft anlässlich eines Antrags auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug erfüllt deshalb den objektiven Tatbestand des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG. Das (Fort-)Bestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft ist eine für die Erteilung bzw. Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis erhebliche Tatsache, weil die Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gemäß § 27 Abs. 1 AufenthG dem Zweck der Herstellung oder Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit dem deutschen Familienangehörigen und damit durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG grundrechtlich geschützten Interessen dient (vgl. Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 28 Rn. 6; vgl. auch BVerwG, U.v. 11.10.2022 – 1 C 49.21 – juris Rn. 23 zu § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG). Umgekehrt entfällt der sich aus Art. 6 Abs. 1 GG ergebende aufenthaltsrechtliche Schutz grundsätzlich, wenn die Ehegatten nicht nur vorübergehend nicht in ehelicher Lebensgemeinschaft, sondern getrennt leben (vgl. BayVGH, U.v. 30.6.2021 – 19 B 20.2085 – juris Rn. 31 m.V.a. Hailbronner, AuslR, Stand: 3/2020, § 27 AufenthG Rn. 73). Aus der Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft ergibt sich regelmäßig die Trennung der Eheleute; ein Antrag auf Scheidung der Ehe ist hierfür nicht erforderlich (vgl. BayVGH a.a.O.; HessVGH, B.v. 24.1.2013 – 6 B 27/13 – juris Rn. 7).
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Mit der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ist das Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG erfüllt (vgl. BayVGH, B.v. 2.5.2022 – 10 CS 21.1706 – juris Rn. 9; Fleuß a.a.O, § 54 Rn. 320). Ein Verschulden ist nicht erforderlich, ebenso wenig bedarf es einer Ahndung des Verstoßes oder gar einer strafrechtlichen Verurteilung (vgl. Fleuß a.a.O. m.V.a. BVerwG, U.v. 5.5.1998 – 1 C 17.97 – juris; U.v. 17.6.1998 – 1 C 27.96 – juris; BayVGH, B.v. 24.6.2019 – 10 ZB 19.990 – juris Rn. 6; OVG MV, B.v. 29.8.2023 – 2 LZ 15/23 – juris Rn. 12; VG Stuttgart, B.v. 17.11.2021 – 4 K 4243/21 – juris Rn. 17). Die schwerwiegenden Ausweisungsinteressen gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a) und Nr. 10 (bzw. Nr. 9 a.F.) AufenthG i.V.m. § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG sind nebeneinander anwendbar. Die numerisch aufgeführten schwerwiegenden Ausweisungsgründe des § 54 Abs. 2 AufenthG stehen in keinem Stufenverhältnis zueinander, sondern begründen bei Erfüllung der jeweiligen Voraussetzungen jeweils für sich genommen ein entsprechendes Ausweisungsinteresse. Gleiches gilt für die in § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG geregelten Alternativen inlandsbezogener Verstöße oder Handlungen im Ausland. Nach den Gesetzesmaterialien kommt dem Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG a.F. <nach Änderung jetzt Nr. 10> ausdrücklich eine eigenständige Auffangfunktion zu (vgl. BayVGH, B.v. 20.10.2022 – 19 ZB 22.1211 – juris Rn. 13 m.V.a. BT-Drs. 18/4199, S. 6; BT-Drs. 18/4097, S. 52; SächsOVG, B.v. 17.2.2020 – 3 A 44/18 – juris Rn. 10; NdsOVG, U.v. 14.11.2018 – 13 LB 160/17 – juris Rn. 41; B.v. 20.6.2017 – 13 LA 134/17 – juris Rn. 11; OVG NW, B.v. 11.1.2019 – 18 A 4750/18 – juris Rn. 6 ff.; vgl. auch Fleuß in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand 1.4.2024, AufenthG § 54 Rn. 307, 310 m.w.N.).
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1.4 Aufgrund der Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin anlässlich der Antragstellung auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis am 6. Februar 2017 bzw. 16. Februar 2018 keine unrichtigen Angaben zum Bestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft mit ihrem damaligen Ehemann Z.D. gemacht hat, weil diese in den fraglichen Zeitpunkten noch bestand.
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1.4.1 Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Erforderlich ist mithin die volle Überzeugung vom Bestehen oder Nichtbestehen einer Tatsache. Volle Überzeugung in diesem Sinne meint einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der den Zweifeln Einhalt gebietet (Kraft in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 108 Rn. 16 m.w.N.). Dabei ist der Senat nicht an die strafrechtliche Würdigung eines Sachverhaltes durch die Strafgerichte gebunden. Zwar erfordert die Anwendung der auf eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung abstellenden Ausweisungstatbestände keine Prüfung, ob der Betroffene tatsächlich eine Straftat begangen hat. Soweit es bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung etwa auf die Umstände der Tatbegehung ankommt (z.B. im Rahmen der Feststellung einer Wiederholungsgefahr oder bei der Ermessensausübung) besteht zwar keine strikte Bindung an eine rechtskräftige Verurteilung. Es ist aber geklärt, dass die Ausländerbehörden – und demzufolge auch die zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung berufenen Gerichte – in dieser Beziehung ohne weiteres in aller Regel von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen können und die darin getroffenen Feststellungen ihrer Entscheidung zugrunde legen dürfen. Etwas Anderes gilt nur dann, wenn strafgerichtliche Feststellungen offensichtlich unrichtig sind oder die Ausländerbehörden oder Verwaltungsgerichte über bessere Erkenntnismöglichkeiten als die Strafgerichte verfügen (BVerwG, B.v. 24.2.1998 – 1 B 21.98 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 26.2.2024 – 10 ZB 23.2346 – juris Rn. 9; B.v. 2.5.2022 – 10 CS 21.1706 – juris Rn. 5; B.v. 10.6.2020 – 10 CS 20.840 – juris Rn. 6; B.v. 10.4.2019 – 19 ZB 17.1535 – juris Rn. 17). Daraus folgt aber nicht, dass den Verwaltungsgerichten in Fällen, in denen weder die strafgerichtlichen Feststellungen offensichtlich unrichtig sind noch die Verwaltungsgerichte über bessere Erkenntnismöglichkeiten verfügen, eine eigenständige Sachverhaltsaufklärung und gegebenenfalls Beweisaufnahme verwehrt wäre. Dies kann erst Recht nicht gelten, soweit Ausweisungstatbestände inmitten stehen, die – wie vorliegend § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a) und Nr. 10 AufenthG – gerade nicht an eine (rechtskräftige) strafrechtliche Verurteilung anknüpfen. Vielmehr folgt aus dem Grundsatz der freien Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, dass die Verwaltungsgerichte einen bereits durch die Strafjustiz gewürdigten Lebenssachverhalt eigenen Ermittlungen und erforderlichenfalls einer eigenen Beweisaufnahme unterziehen dürfen, wenn sie dies für ihre Überzeugungsbildung für erforderlich halten. Letzteres gilt auch im Falle einer – wie hier – Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a Abs. 2 StPO. Zwar steht der Umstand einer Einstellung des Strafverfahrens auf dieser Grundlage einer Verwertung der Ermittlungsergebnisse im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht entgegen, weil die Einstellung nach § 153a Abs. 2 StPO nicht aus Rechtsgründen oder wegen fehlenden hinreichenden Tatverdachts erfolgt (vgl. insoweit § 170 Abs. 2 StPO), sondern einen solchen gerade voraussetzt (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.2019 – 4 ZB 18.378 – juris Rn. 43; B.v. 28.5.2019 – 10 ZB 19.436 – juris Rn. 5; B.v. 2.7.2024 – 19 ZB 23.1364, n.v., Rn. 11). Die Verwaltungsgerichte sind lediglich gehindert, allein aufgrund der Zustimmung des Angeklagten zur Einstellung nach § 153a Abs. 2 StPO und der Einstellung selbst davon auszugehen, ihm sei nachgewiesen, dass er die ihm vorgeworfene Tat begangen habe. Anders als die Beklagte offenbar meint, ist es den Verwaltungsbehörden und den Gerichten aber nicht verwehrt, die im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren und im strafgerichtlichen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel einer eigenständigen Überprüfung etwa im Hinblick darauf zu unterziehen, ob sich daraus hinreichende Schlussfolgerungen für das Vorliegen der Voraussetzungen der verwaltungsrechtlichen Eingriffsgrundlage (hier der §§ 53 ff. AufenthG) ergeben (vgl. BVerfG, B.v. 16.1.1991 – 1 BvR 1326/90 – juris Rn. 21). Eine Bindung der Verwaltungsgerichte an die Ermittlungsergebnisse eines nach § 153a Abs. 2 StPO eingestellten Strafverfahrens besteht somit nicht.
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1.4.2 Im vorliegenden Fall steht nicht bereits aufgrund der Ergebnisse des (letztlich eingestellten) Strafverfahrens gegen die Klägerin und ihren Ex-Ehemann fest, dass diese bei der Antragstellung auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu einem für den vorliegenden Rechtsstreit relevanten Zeitpunkt wahrheitswidrig angegeben hätten, dass ihre eheliche Lebensgemeinschaft noch besteht. Nach den zur Anklage führenden Ermittlungsergebnissen der Kriminalpolizei haben die (ehemaligen) Ehegatten zwar im Scheidungsverfahren vor dem Amtsgericht N. vorgetragen (bzw. vortragen lassen), dass sie bereits seit Dezember 2016 (Angabe des dortigen Antragstellers) bzw. Mai 2017 (Angabe der dortigen Antragsgegnerin) getrennt lebten. Diese Angaben widersprechen (zumindest) der am 16. Februar 2018 gegenüber der Ausländerbehörde der Beklagten abgegebenen Erklärung zum Bestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft. Allerdings haben weder die Klägerin noch ihr Ex-Ehemann im Ermittlungsverfahren Angaben gemacht. In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht N. hat die Klägerin ebenfalls die Aussage verweigert. Zwar hat der Ex-Ehemann (vorgetragen durch dessen Verteidiger und bestätigt durch den Ex-Ehemann persönlich) in der Hauptverhandlung eingeräumt, die Erklärung bei der Ausländerbehörde unterschrieben zu haben, weil er nicht gewollt habe, dass die Klägerin ihren Aufenthaltstitel verliert. Er habe immer gehofft, dass sie wieder zueinander fänden. Die Zeugin P.D., die Schwiegermutter der Klägerin, hat dem gegenüber ausgesagt, ihr Sohn habe ihr gegenüber im Mai 2018 geäußert, sich endgültig trennen zu wollen, und sei nach seinem Urlaub zu ihr gezogen. Vor diesem Hintergrund konnten das Verwaltungsgericht und der Senat nicht von einem geklärten Sachverhalt ausgehen, weshalb im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eigene Ermittlungen im Wege der Beweisaufnahme veranlasst waren.
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1.4.3 Aufgrund der Beweisaufnahme kommt der Senat zu der Überzeugung, dass die Klägerin und ihr Ehemann nach einer durch viele Streitigkeiten mit vorübergehenden Trennungen und anschließenden Wiederversöhnungen geprägten Beziehung erst im Mai 2018 endgültig getrennt waren. Dieser Zeitpunkt wird von den Zeugen sowie der Klägerin übereinstimmend angegeben. Des Weiteren wird diese zeitliche Einordnung nach außen durch den Urlaub des Ehemannes in der Türkei ohne die Klägerin und den anschließenden Umzug zu seinen Eltern unterstrichen, welcher durch die Anmeldung des Ex-Ehemannes unter der Adresse seiner Eltern zum 1. Juni 2018 objektiv bestätigt wird. Diese Ereignisse bilden die entscheidende Zäsur, nach der jedenfalls vom Ex-Ehemann der Klägerin keine Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft mehr beabsichtigt war. Erforderlich, aber auch ausreichend für die Annahme einer endgültigen Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft ist es, wenn der Wille zur endgültigen Trennung bei nur einem Ehegatten vorliegt; auf den entgegenstehenden Willen des anderen Ehegatten kommt es insoweit nicht an, weil die eheliche Lebensgemeinschaft nach dem Wesen der Ehe den Willen beider Partner voraussetzt, diese fortzusetzen (vgl. zu § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG: BayVGH, B.v. 27.6.2016 – 19 ZB 15.737 – juris Rn. 5).
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Dem gegenüber stellen sich die (unterschiedlichen) Angaben eines früheren Trennungszeitpunktes durch die Klägerin und ihren damaligen Ehemann im Scheidungsverfahren als prozesstaktisches Manöver dar, um durch den vorgegebenen Ablauf des Trennungsjahres und die damit in Verbindung mit den übereinstimmenden Scheidungsanträgen einhergehende Vermutung des Scheiterns der Ehe gemäß § 1565 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1566 Abs. 1 BGB eine rasche Scheidung zu erreichen.
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Zu diesem Ergebnis gelangt der Senat aufgrund folgender Erwägungen:
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1.4.3.1 Die Klägerin selbst hat, durch den Senat informatorisch befragt, im Wesentlichen angegeben, dass die (bereits 2012 im Irak geschlossene) Ehe nach der Hochzeitsfeier am 15. Februar 2015 zunächst über einen Zeitraum von etwa 18 Monaten harmonisch verlaufen sei, danach aber immer wieder Meinungsverschiedenheiten („kleine Probleme“) zwischen den Ehegatten aufgetreten seien, die sogar in Beleidigungen seitens des Ehemannes bzw. in der Aussage „ich liebe Dich nicht mehr“ ihr gegenüber gegipfelt seien und nach mehreren (kurzen) Phasen der räumlichen Trennung von jeweils drei bis vier Tagen oder manchmal auch einer Woche, während deren entweder die Klägerin oder ihr Ex-Mann zu den Schwiegereltern gezogen sei, und anschließenden Versöhnungen („danach sei ihr Mann gekommen und habe sie wieder zu sich genommen“) schließlich nach dem Urlaub des Ehemannes in der Türkei in dessen endgültigem Auszug und Einzug bei seinen Eltern gemündet seien.
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Zwar war die Aussage der Klägerin durch etliche Gedächtnislücken gekennzeichnet und widersprach in einzelnen Punkten den Aussagen der Zeugen bzw. eigenen früheren Einlassungen der Klägerin. So hat sie das Datum der Hochzeitsfeier im erstinstanzlichen Verfahren mit dem 16. Februar 2016 abweichend angegeben, was sie auf entsprechenden Vorhalt durch den Senat mit ihrer Aufregung begründete. Des Weiteren widerspricht die Angabe der Klägerin, nach der Hochzeit seien sie und ihr Ehemann in die gemeinsame Wohnung in der S.-Straße 2 in N. gezogen, nachdem sie vorher (seit ihrer Einreise im Dezember 2014) bei den Eltern des Bräutigams und nach der Hochzeit noch drei Tage im Hotel gewohnt hätten, der Angabe der Schwiegermutter der Klägerin, die sich zwar nicht auf einen konkreten Zeitraum festlegen wollte, jedoch von mehreren Monaten sprach, die es nach der Hochzeit noch gedauert habe, bis die Eheleute in die gemeinsame Wohnung gezogen seien, sowie der Angabe des Ex-Ehemannes, der aussagte, sie seien nach der Einreise der Klägerin sofort in die gemeinsame Wohnung gezogen. Trotz dieser Widersprüche lässt sich jedoch als gemeinsame Grundlinie der Aussage der Klägerin und der Zeugenaussagen der Trennungszeitpunkt herausarbeiten. Dieser kann anhand objektiv nachprüfbarer Tatsachen, nämlich des Urlaubs des Ehemannes in der Türkei und des darauffolgenden Umzugs in die Wohnung seiner Eltern auf den Mai 2018 bestimmt werden. Den davor gelegenen Zeitraum hat die Klägerin dahingehend charakterisiert, dass sie noch nicht richtig getrennt gewesen seien. Zwar habe ihr Ex-Ehemann damals ab und zu bei seinen Eltern übernachtet, sie hätten aber nach wie vor in der gemeinsamen Wohnung gelebt, im selben Schlafzimmer geschlafen und gemeinsam gegessen, wobei er arbeiten gegangen sei und sie bis zu seiner Rückkehr das Essen vorbereitet habe.
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Die von der nunmehrigen Aussage abweichende Benennung des Mai 2017 als Trennungszeitpunkt im Scheidungsverfahren sowie im erstinstanzlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren (dort allerdings erst auf Vorhalt ihrer Aussagen im Scheidungsverfahren) erklärte die Klägerin zwar wenig plausibel mit ihrer Aufregung. Insoweit bestand der Eindruck einer Schutzbehauptung. Auf den Vorhalt des Senats, dass sie diese Angabe quasi „im Schutzraum“, d.h. schriftsätzlich durch ihre Prozessbevollmächtigte gegenüber dem Familiengericht gemacht habe, reagierte die Klägerin allerdings mit der (sinngemäßen) Gegenfrage, wie es denn sein könne, dass sie damals schon getrennt gewesen wären, wenn er ihr doch die Miete bezahlt habe. Dieser Umstand kennzeichnet einen wesentlichen Unterschied zur Situation der Eheleute nach dem Urlaub und anschließenden Auszug des Ehemannes, weil die Klägerin danach die Miete selbst bezahlen musste. Dies spricht dafür, dass erst mit dem Auszug des Ehemannes von einer endgültigen Trennung auszugehen ist.
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1.4.3.2 Der Zeuge Z.D., der Ex-Ehemann der Klägerin, hat mit seiner Zeugenaussage letztlich (nach der zunächst in Anbetracht des Einreisedatums der Klägerin offensichtlich unrichtigen Angabe des Valentinstags, also des 14. Februar, des Jahres 2014) den Termin der Hochzeitsfeier am 15. Februar 2015 bestätigt. Sodann hat er ausgesagt, sie hätten zwar von Anfang an immer wieder kleine Meinungsverschiedenheiten gehabt, ein bis zwei Jahre später seien die Schwierigkeiten dann aber größer geworden. Damit bestätigte er (in etwa) den von der Klägerin genannten Zeitraum einer „glücklichen“ Ehe in den ersten 18 Monaten nach der Hochzeitsfeier. Auch hat er bestätigt, dass die Klägerin bei Streit des Öfteren bei seinen Eltern übernachtet habe, wenngleich nach seinen Angaben diese Phasen der vorübergehenden Trennung mit ungefähr zwei Wochen pro Monat häufiger und länger scheinen als nach der Darstellung der Klägerin. Des Weiteren hat der Zeuge ausgesagt, dass sie sich vor seinem Auszug nicht innerhalb der Wohnung endgültig getrennt hätten (keine „Trennung von Tisch und Bett“), wenngleich es vorgekommen sei, dass einer der Partner woanders geschlafen habe oder sie getrennt voneinander ihre Mahlzeiten eingenommen hätten. Auch insoweit zeigen sich zwar gewisse Widersprüche zu Details der Angaben der Klägerin (die bekräftigte, sie habe immer das Essen vorbereitet, sodass es bei seiner Rückkehr von der Arbeit schon auf dem Tisch gestanden habe).
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Bei der Aussage des Zeugen fiel zwar auf, dass er sich mehrfach zunächst in Unstimmigkeiten bzw. Widersprüche verwickelte und auf Nachfragen und Vorhalte mehrfach ausweichend antwortete, indem er sich auf Erinnerungsverluste berief. Auch wirkte er während seiner Aussage sehr angespannt und äußerte mehrfach, er wolle, dass es endlich vorbei sei, und verstehe nicht, dass er nach so vielen Jahren und mehreren Gerichtsverfahren erneut aussagen müsse. Zu der Behauptung der Klägerin, er habe sie im Streit beleidigt, konnte oder wollte der Zeuge keine Angaben machen. Des Weiteren vermochte der Zeuge die abweichenden Angaben zum Trennungszeitpunkt im Scheidungsverfahren nicht zu erklären. Seine Aussage in der Hauptverhandlung vor dem Strafgericht, er habe nicht gewollt, dass sie den Titel verliere, bestätigte er hingegen. Seine Zustimmung zur Einstellung des Strafverfahrens trotz seiner Beteuerungen, keine falschen Angaben gemacht zu haben, erklärte er damit, dass er die Sache habe beenden wollen. Diese Einlassung erscheint angesichts des geschilderten Verlaufs der Beziehung und seines deutlich zum Ausdruck gebrachten Wunsches, einen Schlussstrich zu ziehen, plausibel. In den wesentlichen Punkten der Zeugenaussage ergeben sich somit keine inhaltlichen Unvereinbarkeiten mit den Angaben der übrigen Zeugen und der Klägerin. Auch ist der geschilderte Geschehensablauf nachvollziehbar und plausibel. So hat der Zeuge die Darstellung der Klägerin bestätigt, dass sie sich nach seinem Urlaub im Jahr 2018 endgültig getrennt hätten, indem er seine Sachen gepackt habe und zu seinen Eltern gezogen sei. Die Schilderung der Umstände des Urlaubs und der anschließenden Trennung durch den Zeugen war detailreich und anschaulich. Er hat ausgesagt, spontan mit einem guten Freund in den Urlaub gefahren zu sein. Dieser habe seine emotionale Verstimmung bemerkt. Der Zeuge selbst habe gesagt, dass er „nicht mehr kann“ und dass er wolle, „dass es vorbei ist“. Damit brachte der Zeuge glaubhaft die emotionale Anspannung zum Ausdruck, unter der er damals nachvollziehbar stand und die zum (endgültigen) Trennungsentschluss geführt hat. Diesen Eindruck verstärkte der Zeuge noch durch die Beteuerung, er habe keine Scheidung gewollt und bis zuletzt versucht, die Ehe zu retten, die Entscheidung zur Trennung habe er auf dem Rückflug vom Urlaub getroffen. Vor diesem Hintergrund lässt sich das Verhalten des Zeugen im Strafverfahren schlüssig damit erklären, dass er bis zu seinem Urlaub im Mai 2018 keine Trennung wollte, sondern versuchte, die Beziehung zu „retten“. Im Scheidungsverfahren wurde hingegen offensichtlich ein falscher Trennungszeitpunkt angegeben, um mit dem Erfüllen des Trennungsjahres zu einer raschen Scheidung zu gelangen. Zwar bleiben geringe Zweifel aufgrund des Umstandes, dass die Ex-Eheleute im Scheidungsverfahren unterschiedliche Trennungszeitpunkte angegeben haben. Insgesamt ergibt die Aussage jedoch einen plausiblen Geschehensablauf, ohne dass in den wesentlichen Punkten inhaltliche Widersprüche zu den übrigen Aussagen bestehen, weshalb sie glaubhaft ist.
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1.4.3.3 Die Zeugin P.D., die Schwiegermutter der Klägerin, bestätigte das Hochzeitsdatum (15.2.2015) sowie den Umstand, dass die Ex-Eheleute nach der Hochzeit in die Wohnung in der S.-Straße gezogen seien, wenngleich sie den Zeitraum zwischen der Hochzeitsfeier und dem Einzug mit etwa mehreren Monaten deutlich länger veranschlagte als die Klägerin, dies allerdings dahingehend relativierte, dass sie es zeitlich nicht mehr genau wisse. Die Zeugin erklärte des Weiteren, sie habe mit Ihrem Mann und ihrer Tochter ab dem 1. Februar 2016 etwa neun Monate lang gemeinsam mit ihrem Sohn und der Klägerin in deren Wohnung in der S.-Straße in N. gelebt, da sie ihre bisherige Wohnung in der G.-Straße in N. gekündigt und nicht gleich eine neue Wohnung gefunden hätten. Zwar handelt es sich insoweit um einen gegenüber den bisherigen Zeugenvernehmungen neu vorgetragenen Sachverhalt, aus den Protokollen des Amtsgerichts N. sowie des Verwaltungsgerichts N. ergibt sich aber zumindest nicht, dass es Veranlassung für die Zeugin zu einer entsprechenden Mitteilung gegeben hätte. Vielmehr gab die Zeugin diesen Umstand erst auf die Frage des Senats an, ob sie die Wohnung in der S.-Straße kenne. Der Senat sieht deshalb keine Veranlassung, die Aussage insoweit in Zweifel zu ziehen, zumal auch der Ehemann der Zeugin den vorübergehenden Umzug in die Wohnung der Kinder bestätigt hat.
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Die Zeugin hat des Weiteren erklärt, dass es zwischen der Klägerin und ihrem Ex-Ehemann bereits Streit gegeben hat, als sie dort mit ihrem Mann wohnte. Außerdem bestätigte sie die Angabe der Klägerin, dass diese – auch schon im ersten Ehejahr bis zum Einzug der Schwiegereltern – öfter wegen Ehestreitigkeiten bei ihnen übernachtet habe, wobei sie die Zeiträume und Häufigkeit des Übernachtens der Klägerin bei ihr mit manchmal zwei bis drei Tagen und manchmal ein bis zwei Wochen tendenziell länger als die Klägerin angab. Sie gab außerdem an, dass manchmal auch ihr Sohn zu ihnen gekommen sei. Diese Phasen beschrieb die Zeugin für sich selbst als sehr belastend. Als Trennungszeitpunkt gab die Zeugin übereinstimmend mit den übrigen Aussagen den Urlaub ihres Sohnes ohne die Klägerin in der Türkei im Jahr 2018 an. Von dort aus habe er sie angerufen und ihr mitgeteilt, dass er sich trennen werde. Nach dem Urlaub sei er dann zu ihnen gezogen. Die abweichenden Angaben der Klägerin sowie ihres Ex-Ehemannes zum Trennungszeitpunkt im Scheidungsverfahren bezeichnete die Zeugin als falsch, sie konnte jedoch keine Erklärung dazu geben, wie diese Angaben zustande gekommen seien.
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Die Aussage der Zeugin war in sich konsistent und in den wesentlichen Punkten präzise, die Zeugin wirkte dabei zwar emotional anteilnehmend, aber selbstsicher und ohne Tendenzen zu unrichtigen Angaben. Der Senat misst dieser Aussage daher einen hohen Beweiswert zu.
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1.4.3.4 Der Zeuge N.D., der Schwiegervater der Klägerin, berief sich mehrfach auf krankheitsbedingte Gedächtnisstörungen und war kaum in der Lage, klare Zeitpunkte für bestimmte Ereignisse zu benennen. Er hat jedoch die wesentlichen Punkte der vorherigen Zeugenaussagen bestätigt, so den Umstand, dass die Klägerin und sein Sohn in Deutschland die Hochzeit nachgefeiert haben, ohne dieses Ereignis zeitlich einordnen zu können. Des Weiteren konnte er zwar keinen Zeitpunkt für den Einzug seines Sohnes mit der Klägerin in deren gemeinsame Wohnung in der S.-Straße nennen, er wusste aber, dass er mit seiner Frau dort ebenfalls vorübergehend gewohnt habe. Des Weiteren hat er bestätigt, dass die Klägerin bzw. sein Sohn oder auch beide zusammen „ständig“ zu ihnen gekommen seien. Wenn einer der beiden allein gekommen sei, habe der Besuch eine oder zwei Wochen gedauert. Schließlich konnte der Zeuge den Zeitpunkt der Trennung mit dem Urlaub seines Sohnes in der Türkei an einem objektiven Ereignis festmachen und bestätigte auf Nachfrage, dass dies im Jahr 2018 gewesen sei. Der Beweiswert dieser Aussage ist damit zwar durch die vielen Unsicherheiten bzw. ungenauen Angaben geschwächt, dennoch bestätigt sie das von den übrigen Zeugen und der Klägerin vorgetragene Geschehen in den wesentlichen Punkten.
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1.4.3.5 Als Gesamtergebnis der Beweisaufnahme ergibt sich das Bild einer von mehreren vorübergehenden Trennungen und anschließenden Versöhnungen geprägten Beziehung. Dieser Zustand bestand wohl schon seit der Einreise der Klägerin und der Hochzeitsfeier über einen mehrjährigen Zeitraum bis zur endgültigen Trennung hinweg. Der Schlusspunkt dieser Beziehung mit der endgültigen Trennung ist zeitlich klar nach dem Urlaub des Ehemannes in der Türkei im Jahr 2018 und dem anschließenden Auszug des Ehemannes sowie dessen Anmeldung in der Wohnung seiner Eltern zum 1. Juni 2018 zu verorten und knüpft somit an objektiv nachprüfbare Tatsachen an. Dieses von allen Zeugen und der Klägerin übereinstimmend genannte Ereignis bildet somit die entscheidende Zäsur, nach der nicht mehr von einer Versöhnung und Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft ausgegangen werden kann. Aufgrund der glaubhaften Schilderungen des Ex-Ehemannes (des Zeugen Z.D.) sowie dessen Mutter (der Zeugin P.D.) steht zudem fest, dass jedenfalls der Ehemann im Mai 2018 keine Versöhnung mehr wollte. Auch die Klägerin ging zu diesem Zeitpunkt nach eigenem Bekunden nicht mehr von einer Versöhnung aus. Dem gegenüber hat die Beweisaufnahme keine gesicherten Anhaltspunkte für einen bereits früher gebildeten Willen der Ex-Eheleute zur endgültigen Trennung ergeben. Zwar ergaben sich Indizien bzw. konnten nicht völlig ausgeräumt werden, die sich so auffassen ließen, dass die Ex-Eheleute bereits ab dem vom Ex-Ehemann im Scheidungsverfahren genannten Zeitpunkt Dezember 2016 oder ab dem von der Klägerin im Scheidungsverfahren genannten Zeitpunkt Mai 2017 faktisch getrennt waren. Dafür könnte sprechen, dass der vom Ex-Ehemann genannte Zeitraum Dezember 2016 in etwa mit dem Umzug seiner Eltern aus der Wohnung in der S.-Straße 2 in N. in deren neue Wohnung zusammenfällt. Auch läge ein Motiv der Beteiligten für die Aufrechterhaltung des Anscheins einer ehelichen Lebensgemeinschaft vor, da in den ursprünglich angegebenen Zeitpunkten Dezember 2016 bzw. Mai 2017, gerechnet vom Zeitpunkt der Einreise der Klägerin am 17. Dezember 2014, der Dreijahreszeitraum der ehelichen Lebensgemeinschaft für das Erstarken des abgeleiteten Aufenthaltsrechtes der Klägerin zum eigenständigen Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG noch nicht abgelaufen war. Indes sprechen die überwiegenden Indizien gegen diese Interpretation. So zeigt der Umstand, dass der Ex-Ehemann der Klägerin bis zu seinem (endgültigen) Auszug aus der gemeinsamen Wohnung noch die Miete bezahlte, dass dieser sich – wie von ihm ausgesagt – erst während des Urlaubs im Mai 2018 (endgültig) darüber im Klaren wurde, dass er die Beziehung beenden will. Die von dem Ex-Ehemann glaubhaft geschilderte emotionale Belastung, die zu diesem Entschluss führte, sowie der Umstand, dass er sich erst zum 1. Juni 2018 unter der Anschrift seiner Eltern anmeldete, legen ebenfalls nahe, dass er erst zu diesem Zeitpunkt von einer endgültigen Trennung ausging und nicht mehr beabsichtigte, die eheliche Lebensgemeinschaft wiederaufzunehmen.
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1.4.3.6 Schließlich kommt es – entgegen der Auffassung der Beklagten – nicht entscheidend auf Fragen der Beweislast bzw. eine etwaige Verletzung von Mitwirkungspflichten der Klägerin an. Ohnehin ginge nach den allgemeinen Grundsätzen der materiellen Beweislast die Nichterweislichkeit unrichtiger Angaben im Sinne des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG und damit eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a) und Nr. 10 AufenthG zu Lasten der Beklagten. Denn diese trägt nach den allgemeinen Grundsätzen die materielle Beweislast für das Vorliegen der rechtsbegründenden Tatsachen, d.h. der tatbestandlichen Voraussetzungen der Eingriffsnorm, auf die sie die Ausweisungsverfügung stützt (sog. Günstigkeitsprinzip, vgl. statt aller W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 108 Rn. 13; Kraft in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 108 Rn. 52; Schübel-Pfister in Eyermann a.a.O., § 86 Rn. 5, jeweils m.w.N.). Die materielle Beweislast kommt jedoch erst in einer (hier nicht gegebenen) non-liquet-Situation zum Tragen, wenn also nach Ausschöpfen aller zur Verfügung stehenden Aufklärungsmöglichkeiten weder das Vorliegen noch das Nichtvorliegen einer Tatsache zur Überzeugung des Gerichtes feststeht (vgl. Kraft in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 108 Rn. 52 m.w.N.). Hingegen sind (schuldhafte) Sachaufklärungs- oder Beweisvereitelung und die Verletzung sonstiger Mitwirkungspflichten bei der Aufklärung des Sachverhalts, obwohl dem Betroffenen eine Aufklärung möglich und zumutbar gewesen wäre, in der Regel entsprechend den §§ 427, 444, 446 ZPO i.V.m. § 98 VwGO bei der Beweiswürdigung zu seinem Nachteil zu berücksichtigen, haben aber nicht eine Umkehr der Beweislastverteilung zur Folge (W.-R. Schenke in Kopp/Schenke a.a.O., Rn. 17 m.w.N. auch zur Rspr.). Auch eine Beweisnot – wie sie die Beklagte teilweise geltend macht – führt nicht zu einem Absenken des Regelbeweismaßes, vielmehr handelt es sich gegebenenfalls um einen Aspekt der Beweiswürdigung (vgl. Kraft a.a.O., Rn. 17 m.w.N.).
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Der Klägerin mag vorzuwerfen sein, dass sie sich in der verwaltungsverfahrensrechtlichen Anhörung zur beabsichtigten Ausweisung nicht zur Sache geäußert hat und damit das Entstehen der Erinnerungslücken, auf die sie und einzelne Zeugen sich berufen, infolge des nunmehr erheblichen zeitlichen Abstandes zum fraglichen Geschehen begünstigt hat. Indes schwebte im Zeitpunkt der Anhörung im Verwaltungsverfahren noch das Strafverfahren wegen des Verdachts des Erschleichens eines Aufenthaltstitels gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG. Aufgrund dessen erscheint das Schweigen der Klägerin nachvollziehbar und kann ihr unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten (nemo-tenetur-Grundsatz) nicht im Sinne einer Beweislastumkehr entgegengehalten werden. Konsequenter Weise hat ihr damaliger Bevollmächtigter in seiner Stellungnahme im Rahmen der Anhörung auch angeregt, das Ausweisungsverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens ruhen zu lassen (da der Ausweisungsbescheid zeitlich nach der Einstellung des Strafverfahrens erlassen wurde, hat das Ausweisungsverfahren dann auch faktisch geruht). Vor dem Hintergrund des Fehlens entsprechender Erklärungen der Klägerin hat das Gericht deshalb gemäß § 446 ZPO i.V.m. § 98 VwGO unter Berücksichtigung der gesamten Sachlage nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob es die behauptete Tatsache als erwiesen ansehen will. Somit mag das Schweigen der Klägerin in der Anhörung im Ausweisungsverfahren in Verbindung mit ihrem Schweigen im Strafverfahren als ein Indiz dafür gewertet werden, dass sie (zumindest) bei der letzten Antragstellung auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis am 16. Februar 2018 eine inhaltlich falsche Erklärung zum Bestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft abgegeben hat. Indes sprechen, wie ausgeführt, die Zeugenaussagen des Ex-Ehemannes, der Schwiegermutter und des Schwiegervaters der Klägerin gegen diese Interpretation. Etwas Anderes folgt auch nicht daraus, dass die Klägerin ausweislich der divergierenden Aussagen in Bezug auf den Trennungszeitpunkt entweder im Scheidungsverfahren oder im Verwaltungsverfahren auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis unwahre Angaben gemacht haben muss. Zwar hat sie mit diesem widersprüchlichen Verhalten eine Situation herbeigeführt, in der die Wahrheitsfindung erschwert ist. Indes bleibt die Feststellung des tatsächlichen Trennungszeitpunktes mit dem nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO maßgeblichen, für das praktische Leben erforderlichen Grad der Gewissheit durch die durchgeführte Beweisaufnahme und Beweiswürdigung möglich. Als Indiz für einen bestimmten Trennungszeitpunkt – etwa, wie von der Beklagten nahegelegt, den früheren Zeitpunkt im Mai 2017 – vermag der Umstand, dass einer der beiden angegebenen Zeitpunkte nach den Grundsätzen der Logik unzutreffend sein muss, ohnehin nicht zu dienen.
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Im Ergebnis überwiegen damit nicht die für einen früheren als den von den Zeugen bestätigten Trennungszeitpunkt im Mai 2018 sprechenden Indizien. Vielmehr steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die endgültige Trennung der Ex-Eheleute erst im Mai 2018 mit dem Auszug des Ehemannes aus der gemeinsamen Wohnung stattgefunden hat. Folglich bestand die eheliche Lebensgemeinschaft, wie von § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vorausgesetzt, im Zeitpunkt der (letzten) Antragstellung auf Aufenthaltserlaubnisverlängerung am 16. Februar 2018 noch, weshalb es an einer unrichtigen Erklärung gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG und damit an einem Ausweisungstatbestand fehlt.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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3. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
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4. Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.