Titel:
Nachweis des Zugangs durch förmliche Zustellung eines Hinweisschreibens durch das EGVP-Versandprotokoll
Normenketten:
GG Art. 103 Abs. 1
AsylG § 36 Abs. 1, § 38 Abs. 1, § 73b Abs. 7, § 77 Abs. 2 S. 3
VwGO § 56 Abs. 1, § 138 Nr. 3
Leitsatz:
Ein Hinweis gemäß § 77 Abs. 2 Satz 3 AsylG ist dann ordnungsgemäß erfolgt, wenn der Zugang des Hinweises bei den Beteiligten nachgewiesen ist. Der Nachweis des Zugangs kann durch förmliche Zustellung eines Hinweisschreibens geführt werden. Außerdem kann er bei Übermittlung eines Hinweisschreibens als elektronisches Dokument über die Infrastruktur des Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs (EGVP) auch durch das „EGVP Nachricht Versandprotokoll“ anhand der Angaben zum Empfänger, Zeitpunkt der Abgabe und Zeitpunkt des Eingangs sowie des Rückgabewerts EGVP-Enterprise „OK“ erbracht werden. (Rn. 9)
Schlagworte:
Asylrecht, Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, Nachweis des Zugangs des Hinweises, förmliche Zustellung eines Hinweisschreibens, Nachweis des Zugangs durch das „EGVP Nachricht, Versandprotokoll“, Nachweis des Zugangs durch das "EGVP" Nachricht, rechtliches Gehör, Zugangs eines Anhörungsschreibens, Versandprotokoll
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 19.12.2023 – 4 K 23.31306
Fundstelle:
BeckRS 2024, 22269
Tenor
I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 19. Dezember 2023 – AN 4 K 23.31306 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
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Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 19. Dezember 2023 hat keinen Erfolg. Zulassungsgründe nach § 78 Abs. 3 AsylG sind nicht gegeben.
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Der Kläger hat seinen Zulassungsantrag damit begründet, dass ihm das rechtliche Gehör versagt worden sei (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO). Das Verwaltungsgericht habe verfahrensfehlerhaft nach § 77 Abs. 2 Satz 1 AsylG im schriftlichen Verfahren durch Urteil entschieden. Die Voraussetzungen für eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung hätten nicht vorgelegen. Das Verwaltungsgericht habe keinen ordnungsgemäßen Hinweis nach § 77 Abs. 2 Satz 3 AsylG erlassen und zugestellt.
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Mit Schreiben vom 14. Februar 2024 hat der Verwaltungsgerichtshof den Bevollmächtigten des Klägers darauf hingewiesen, dass sich der Akte des Verwaltungsgerichts (Bl. 45 – 47 VG-Akte) entnehmen lassen dürfte, dass diesem ein Hinweisschreiben des Verwaltungsgerichts vom 7. November 2023 zugegangen ist. Der Kläger hat hierzu vorgebracht, dem Versandprotokoll sei kein Nachweis eines erfolgreichen Zugangs der Nachricht, geschweige denn einer Zustellung zu entnehmen.
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Das klägerseitige Vorbringen rechtfertigt es nicht, die Berufung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO zuzulassen:
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Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395/409 – NJW 2003, 1924). Es gewährleistet im Sinn der Wahrung eines verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaßes, dass ein Kläger die Möglichkeit haben muss, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (BVerfG, B.v. 21.4.1982 – 2 BvR 810/81 – BVerfGE 60, 305/310). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist auch dann verletzt, wenn ein Gericht prozessrechtswidrig ohne mündliche Verhandlung entscheidet, weil den Beteiligten dadurch insbesondere die Möglichkeit weiteren Vorbringens genommen wird (BVerwG, B.v. 4.6.2014 – 5 B 11.14 – juris Rn. 11; U.v. 15.9.2008 – 1 C 12.08 – juris Rn. 10; U.v. 26.2.2003 – 8 C 1.02 – juris Rn. 18; VGH BW, B.v. 24.1.2023 – 2 S 2696/22 – juris Rn. 5 m.w.N.; Riese in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Januar 2024; § 101 Rn. 51 m.w.N.).
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Vorliegend hat das Verwaltungsgericht sein Urteil vom 19. Dezember 2023 zwar ohne mündliche Verhandlung erlassen. Dieses Vorgehen findet allerdings in § 77 Abs. 2 AsylG eine Stütze im Prozessrecht.
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Gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 AsylG kann das Gericht außer in den Fällen des § 38 Abs. 1 und des § 73b Abs. 7 AsylG bei Klagen gegen Entscheidungen nach dem Asylgesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden (§ 77 Abs. 2 Satz 2 AsylG). Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen (§ 77 Abs. 2 Satz 3 AsylG).
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Diese Voraussetzungen des § 77 Abs. 2 AsylG lagen vor: Die Klage richtet sich gegen den Bescheid vom 2. Oktober 2023, mit dem die Beklagte den Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet abgelehnt hatte. Bei dieser Entscheidung nach dem Asylgesetz handelt es sich um einen Fall des § 36 Abs. 1 AsylG, mithin nicht um einen Fall des § 38 Abs. 1 AsylG oder des § 73b Abs. 7 AsylG. Auch war der Kläger bereits vor dem Verwaltungsgericht anwaltlich vertreten gewesen. Entgegen der Auffassung des Klägers lag auch ein ordnungsgemäßer Hinweis nach § 77 Abs. 2 Satz 3 AsylG vor. Daran ändert nichts, dass nach Aktenlage nur der Zugang, nicht hingegen eine förmliche Zustellung des Hinweisschreibens vom 7. November 2023 nachgewiesen ist.
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Gemäß § 77 Abs. 2 Satz 3 AsylG sind die Beteiligten von dem Gericht darauf hinzuweisen, dass es beabsichtige, gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 AsylG im schriftlichen Verfahren durch Urteil zu entscheiden, dass aber gemäß § 77 Abs. 2 Satz 2 AsylG auf Antrag eines Beteiligten mündlich verhandelt werden müsse (vgl. Redeker in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 15.1.2024, § 77 AsylG Rn. 4b). Ein solcher Hinweis ist dann ordnungsgemäß erfolgt, wenn der Zugang des Hinweises bei den Beteiligten nachgewiesen ist (vgl. zum erforderlichen Nachweis des Zugangs eines Anhörungsschreibens im vereinfachten Berufungsverfahren: BVerwG, U.v. 25.4.2005 – 1 C 6.04 – juris Rn. 8 m.w.N.; U.v. 27.6.1984 – 9 C 44.84 – juris Rn. 8; U.v. 23.11.1981 – 8 C 25.81 – juris Rn. 7; U.v. 13.12.1979 – 7 C 76.78 – juris Rn. 7). Der Nachweis des Zugangs kann durch förmliche Zustellung (§ 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 166 ff. ZPO) eines Hinweisschreibens geführt werden. Außerdem kann er bei Übermittlung eines Hinweisschreibens als elektronisches Dokument über die Infrastruktur des Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs (EGVP) auch durch das „EGVP Nachricht Versandprotokoll“ anhand der Angaben zum Empfänger, Zeitpunkt der Abgabe und Zeitpunkt des Eingangs sowie des Rückgabewerts EGVP-Enterprise „OK“ erbracht werden.
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Eine förmliche Zustellung eines Hinweisschreibens ist der zuverlässigste und damit vorzugswürdige Weg, um den Nachweis des Zugangs zu erbringen. Anders als der Kläger zu meinen scheint, ist allerdings die Zustellung eines Hinweisschreibens nach § 77 Abs. 2 Satz 3 AsylG nicht zwingend vorgeschrieben: § 77 Abs. 2 AsylG selbst enthält keine derartige Vorgabe. Die Notwendigkeit einer Zustellung könnte sich allenfalls aus § 56 Abs. 1 VwGO ergeben. Danach sind unter anderem Entscheidungen und Anordnungen des Gerichts zuzustellen, durch die eine (auch richterliche) Frist in Lauf gesetzt wird. Mit dem Hinweis nach § 77 Abs. 2 Satz 3 AsylG wird indes keine richterliche Frist zum Laufen gebracht (hinsichtlich eines Anhörungsschreibens im vereinfachten Berufungsverfahren überwiegend offen gelassen, vgl.: BVerwG, U.v. 25.4.2005 – 1 C 6.04 – juris Rn. 8 m.w.N.; U.v. 13.12.1979 – 7 C 76.78 – juris Rn. 6). Vielmehr wird lediglich über die beabsichtigte Vorgehensweise einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren und die Möglichkeit belehrt, einen Antrag auf mündliche Verhandlung zu stellen. Dass in einem Hinweisschreiben möglicherweise auch ein Termin genannt wird, ab wann mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zu rechnen ist, falls bis dahin kein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt wird, stellt keine richterliche Fristsetzung im Sinn des § 56 Abs. 1 VwGO dar. Dies zeigt sich vor allem darin, dass ein Verstreichenlassen eines solchen Termins nicht zur Folge hat, dass kein Antrag auf mündliche Verhandlung mehr gestellt werden kann. Sähe man die Nennung derartiger Termine als richterliche Fristsetzung im Sinn des § 56 Abs. 1 VwGO an, müsste letztlich auch jeder Schriftsatz eines Beteiligten, welcher der Gegenseite mit der Gelegenheit zur Stellungnahme bis zu einem bestimmten Termin übermittelt wird, förmlich zugestellt werden.
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Der notwendige Nachweis des Zugangs kann bei Übermittlung eines Hinweisschreibens als elektronisches Dokument über die Infrastruktur des Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs (EGVP) auch durch das „EGVP Nachricht Versandprotokoll“ anhand der Angaben zum Empfänger, Zeitpunkt der Abgabe und Zeitpunkt des Eingangs sowie des Rückgabewerts EGVP-Enterprise „OK“ erbracht werden. Vorliegend zeigen die Angaben im „EGVP Nachricht Versandprotokoll“ zur Übermittlung des gerichtlichen Hinweisschreibens vom 7. November 2023 (Bl. 47 VG-Akte), dass dieses Schreiben am 7. November 2023 um 8:29 Uhr abgesandt wurde und zeitgleich auf dem Server der Bundesrechtsanwaltskammer eingegangen war, von dem es vom Bevollmächtigten des Klägers als Empfänger der Nachricht abgerufen werden konnte. Die in der bayerischen Verwaltungsgerichtsbarkeit zum Einsatz kommende Software liest zu diesem Zweck insbesondere die Datei „acknowledgement.xml“ und dort den Tag <Eingang auf dem Server> aus, die der gerichtliche EGVP-Enterprise-Server (erst) nach einer entsprechenden Statusabfrage beim empfangenden Intermediär erzeugt („automatisierte Eingangsbestätigung“). Die somit nachweislich bestehende Möglichkeit zur Kenntnisnahme durch den Bevollmächtigten reicht für den Zugang aus, auf die tatsächliche Kenntnisnahme kommt es hingegen nicht an. Denn Zugang liegt begrifflich bereits dann vor, wenn eine Erklärung, ein Schreiben, etc. so in den Machbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser bei gewöhnlichem Verlauf und unter normalen Umständen unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung die Möglichkeit zur Kenntnisnahme hat (vgl. zu diesem Begriff des Zugangs: U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Auflage 2023, § 41 Rn. 62 m.w.N.; Gomille in BeckOGK, Stand 1.9.2022, § 130 BGB Rn. 48 m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass diese Möglichkeit zur Kenntnisnahme etwa wegen einer technischen Störung dauerhaft entfallen gewesen wäre, sind nicht ersichtlich und wurden vom Kläger in seiner Stellungnahme zum Hinweisschreiben des Verwaltungsgerichtshofs vom 14. Februar 2024 auch nicht dargelegt.
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Soweit der Kläger ferner meint, die Begründung des Verwaltungsgerichts überzeuge nicht, ist darauf hinzuweisen, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Asylprozess gemäß § 78 Abs. 3 AsylG keinen Berufungszulassungsgrund darstellen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.