Titel:
Entziehung der Fahrerlaubnis wegen unbehandelten Schlafapnoe-Syndroms - Anfechtungsklage
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
StVG § 2 Abs. 8, § 3 Abs. 1
FeV § 46 Abs. 1, Abs. 3
FeV Anl. 4 Nr. 4, Nr. 6, Nr. 11.2.3
Leitsätze:
1. Eine schwerwiegende, aktuell - bei fehlender Compliance und Adhärenz in Bezug auf die Therapie - unbehandelte Schlafapnoe mit erheblichen nächtlichen Sauerstoffversorgungsminderungen, zudem mit kardiovaskulären Vorerkrankungen erhöht das Verursachungsrisiko eines Verkehrsunfalls deutlich und kann zum Verlust der Kraftfahreignung führen. (Rn. 34 und 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Frage der Fahreignung bei einem mittelschweren bis schweren obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom ist in erster Linie auf das Vorliegen einer geeigneten Therapie, nicht hingegen auf die Feststellung einer messbaren auffälligen Tagesschläfrigkeit abzustellen. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
3. Angesichts der Gefahren, die von einem fahrungeeigneten Fahrerlaubnisinhaber für die anderen Verkehrsteilnehmer ausgehen, ist die Behörde nach Vorlage eines verkehrsmedizinischen Gutachtens über die fehlende Fahreignung aufgrund eines unbehandelten schweren Schlafapnoe-Syndroms auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht gehalten, mit der Entziehung der Fahrerlaubnis für eine weitere Zeitspanne bis zu einer erfolgversprechenden Therapie abzuwarten. (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schlafapnoe-Syndrom im Rahmen der Fahreignung, geeignete Therapie, Compliance und Adhärenz, messbare auffällige Tagesschläfrigkeit bei kardiovaskulären Vorerkrankungen, Verkehrsunfallrisiko, kardiovaskuläre Vorerkrankungen, messbare auffällige Tagesschläfrigkeit, Verhältnismäßigkeit
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 06.08.2024 – 11 ZB 24.562
Fundstelle:
BeckRS 2024, 22268
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger, geb. …, wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A1, B, BE, L, M und T.
2
Der Kläger teilte dem Landratsamt … (im Folgenden: Landratsamt) am 2. August 2021 mit, dass er einen Schlaganfall erlitten habe und ein ärztliches Fahrverbot bald enden werde. Auf seine Frage hin, was nun zu veranlassen sei, wurden vom Landratsamt ärztliche Unterlagen angefordert. Aus dem vorgelegten Abschlussbericht des … vom 27. Juli 2021 (BA, Bl. 2 ff.) ergibt sich u.a. ein Teilinfarkt des Klägers am 25. Mai 2021, ein Schlafapnoe-Syndrom und arterielle Hypertonie. Nach dem ärztlichen Bericht der Hausarztpraxis Dr. med. O. vom 12. August 2021 (BA, Bl. 21 ff) liegen beim Kläger u.a. folgende Dauerdiagnosen vor: Polyneuropathie, Schlafapnoe und Arteriosklerose der Arteria carotis links. Aus dem Bericht der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie K. vom 3. August 2020 (BA, Bl. 43 ff.) ergibt sich, dass der Kläger seit einem Skiunfall vor 20 Jahren ein pelziges Gefühl im Oberschenkel beidseits habe, daneben eine Gleichgewichtsstörung und Gangstörung wegen Schmerzen in den Beinen. Ein MRT zeige einen Deckenplatteneinbruch mit Rückenmarksschädigung. Nach einer internistisch-lungenfachärztlichen Stellungnahme der Praxis Dres. K., M. u.a. vom 17. November 2021 (BA, Bl. 54) sei beim Kläger im Dezember 2019 die Diagnose eines schwergradig ausgebildeten obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms mit Indikation zur Vorstellung in einem Schlaflabor zur Polysomnographie und Einleitung einer nCPAP-Therapie gestellt worden.
3
Das Landratsamt forderte den Kläger mit Schreiben vom 13. Dezember 2021 (BA, Bl. 57 ff.) auf, bis spätestens 13. Februar 2022 ein Gutachten eines verkehrsmedizinisch geschulten Arztes bei einer Begutachtungsstelle für Fahreignung, der die Anforderungen nach Anlage 14 zur Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) erfüllt, vorzulegen. Aufgrund der mitgeteilten Erkrankungen hätten sich erhebliche behördliche Zweifel an der Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen ergeben, welche gutachterlich zu klären seien. Die Eignungszweifel würden sich auf folgende Fragestellungen beziehen:
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1a. Liegen bei dem Untersuchten Erkrankungen vor, die nach Nr. 4, 6 oder 11 der Anlage 4 zur FeV (Die konkrete Zuordnung der Unternummer(n) der Anlage 4 erfolgt durch den Gutachter im Gutachten selbst) die Fahreignung in Frage stellen?
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1b. Wenn ja: ist der Untersuchte (wieder) in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der o.g. Gruppen vollständig gerecht zu werden?
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2. Liegt eine ausreichende Compliance vor und wird diese auch umgesetzt (Adhärenz)?
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3. Sind Beschränkungen und/oder Auflagen erforderlich, um den Anforderungen an das Führen eines Kraftfahrzeuges (je Fahrerlaubnisklassengruppe) weiterhin gerecht zu werden? Ist bzw. sind insbesondere (eine) fachlich einzelfallbegründete Auflage(n) nach Anlage 4 (z.B. ärztliche Kontrollen) erforderlich? In welchem zeitlichen Abstand und wie lange? Was soll regelmäßig kontrolliert und attestiert werden? Sind die Ergebnisse der Fahrerlaubnisbehörde vorzulegen? Wenn ja, warum?
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4. Ist eine fachlich einzelfallbegründete (je Fahrerlaubnisklassengruppe) Nachuntersuchung i.S. einer erneuten (Nach-)Begutachtung erforderlich? In welchem zeitlichen Abstand?
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Die Vorlagefrist wurde im Folgenden auf Bitte des Klägers letztlich bis zum 10. Mai 2022 verlängert. Das Gutachten vom 29. April 2022 ging am 9. Mai 2022 beim Landratsamt ein. Das Gutachten kommt zu folgenden Ergebnissen (BA, Bl. 120):
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1a. Bei Herrn … liegen Erkrankungen vor, die nach den Nrn. 4, 6 und 11 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung in Frage stellen.
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1b. Er ist nicht (wieder) in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der o.g. Gruppen vollständig oder bedingt gerecht zu werden. Grund hierfür ist das unbehandelte schwere Schlafapnoesyndrom gem. Nr. 11.2 der Anlage 4 zur FeV bei fehlender Compliance und Adhärenz.
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2. Eine ausreichende Compliance liegt in Bezug auf Nr. 11.2 und somit auch zur Risikominderung für die Nrn. 4 und 6 der Anlage 4 zur FeV nicht vor und wird auch nicht umgesetzt (Adhärenz).
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3. Beschränkungen und/oder Auflagen erübrigen sich.
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4. Eine fachlich einzelfallbegründete (beide Fahrerlaubnisklassengruppen) Nachuntersuchung i.S.e. erneuten (Nach-)Begutachtung erübrigt sich.
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Bezüglich der Gruppe 1 sei festzustellen, dass weder der Bluthochdruck einschließlich Herzleistungsfähigkeit und Durchblutungsstörungen noch der Schlaganfall zu klinisch relevanten fahreignungsausschließenden Folgen geführt hätten. Entscheidend sei die Schlafapnoe. Insoweit hätten sich widersprüchliche Angaben des Klägers ergeben. Es sei deutlich geworden, dass beim Kläger derzeit und schon länger keine Bereitschaft bestehe, sich einer Schlafmaskenanpassung zu stellen. Es sei unwahrscheinlich, dass es beim vorliegenden sehr schweren Befund, der sich durch die aktuelle „… Untersuchung“ auch keineswegs gebessert, sondern als verschlechtert im Vergleich zum Vorbefund darstelle, ausreichende Therapiealternativen zu einer Maskenbehandlung gebe. Da sich im aktuellen Befund ein sehr schwerwiegendes Schlafapnoe-Syndrom mit erheblichen nächtlichen Sauerstoffversorgungsminderungen gezeigt habe und sich zudem bei den kardiovaskulären Vorerkrankungen ein erhebliches zusätzliches Risiko für erneute Ereignisse, z.B. Schlaganfälle, darstelle, das durch die Schlafapnoe noch zusätzlich und maßgeblich erhöht werde, könne bei aktuell unbehandelter Schlafapnoe und fehlender Compliance sowie Adhärenz in Bezug auf die Therapie keine Fahreignung zugestanden werden (BA, Bl. 18). Vorgelegt wurde in Zusammenhang mit der Gutachtensvorlage ein Schreiben des Klinikums …, Schlafmedizinisches Zentrum, vom 11. März 2022 (BA, Bl. 95 f.), wonach ein relevantes obstruktives Schlafapnoe-Syndrom beim Kläger bestehe. Eine CPAP-Therapie werde von diesem nicht toleriert, womit die Option einer Unterkieferprotrusionsschiene bleibe. Ob diese zielführend sein könne, solle zahnärztlich beurteilt werden.
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Mit Schreiben vom 10. Mai 2022 wurde dem Kläger die Möglichkeit zur Stellungnahme und zum freiwilligem Verzicht auf die Fahrerlaubnis bis zum 20. Mai 2022 gegeben. Der Kläger legte im Folgenden zwei Schreiben, vom 18. Mai 2022 und vom 24. Mai 2022, sowie eine Überweisung der Hausarztpraxis an einen Lungenfacharzt vom 24. Februar 2021 vor. In den Schreiben legte der Kläger dar, dass er lange Zeit weite Strecken unfallfrei gefahren sei. Auch wurde mitgeteilt, dass der Kläger bereits seit 2021 mehrfach versucht habe, eine Behandlung hinsichtlich des Schlafapnoe-Syndroms einzuleiten.
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Mit Bescheid vom 25. Mai 2022, zugestellt am 1. Juni 2022, wurde dem Kläger die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen (Ziff. 1) und angeordnet, dass er den Führerschein der Klassen A1, B, BE, C1, C1E, L, M und T bei der Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamtes abzugeben hat (Ziff. 2). Die sofortige Vollziehbarkeit der Ziffern 1 und 2 wurde angeordnet (Ziff. 3). Für den Fall, dass der Kläger seinen Führerschein nicht innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung dieses Bescheides abliefert, werde die Polizei zur Einziehung des Führerscheins unter Anwendung unmittelbaren Zwangs angewiesen (Ziff. 4). Es wurde festgesetzt, dass der Kläger die Kosten des Verfahrens – eine Gebühr in Höhe von 200,00 EUR und Auslagen in Höhe von 5,11 EUR – zu tragen hat (Ziff. 5).
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Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 46 Abs. 1 FeV müsse die Fahrerlaubnis entzogen werden, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweise. Ungeeignet sei insbesondere, wer aufgrund körperlicher oder geistiger Mängel ein Kraftfahrzeug nicht mehr sicher führen könne. Nicht alle der bekannt gewordenen Erkrankungen des Klägers seien – für sich genommen – fahreignungsrelevant. Erschwerend komme vorliegend allerdings hinzu, dass der Kläger unter mehreren Gesundheitsstörungen (Multimorbidität) leide. Diese verschiedenen Erkrankungen könnten sich – gegenseitig bedingend – negativ auf die Fahreignung auswirken und diese einschränken bzw. ausschließen. Nach Nr. 4.2, 4.6, 6.1, 6.2, 6.5, 11.2.3 und 11.4 der Anlage 4 zur FeV lägen beim Kläger Erkrankungen vor, die die Fahreignung beeinträchtigen könnten. Aufgrund der ärztlichen Feststellungen im Gutachten vom 29. April 2022 sei der Kläger nicht geeignet, Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr zu führen, § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. „Nrn. 4, 5 und 6“ der Anlage 4 zur FeV, womit das Landratsamt gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG die Fahrerlaubnis entziehen müsse. Es sei insoweit kein Raum für eine Ermessensausübung. Das Gutachten sei eingehend geprüft und für schlüssig sowie nachvollziehbar erachtet worden. Eine Ausnahme vom Regelfall nach Vorbemerkung 3 zur Anlage 4 zur FeV sei weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Auch die mit Schreiben des Klägers vom 18. und 24. Mai 2022 vorgetragenen Aspekte könnten zu keinem anderen Ergebnis führen, da das Nichtbestehen der Fahreignung aufgrund des ärztlichen Gutachtens feststehe. Es folgen Ausführungen zum Sofortvollzug, zur Zwangsmittelandrohung sowie zur Kostenentscheidung.
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Mit am 23. Juni 2022 bei Gericht eingegangenem Schreiben ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage erheben und beantragen:
Der Bescheid der Beklagten vom 25.05.2022, Az. …, wird insofern aufgehoben, als dem Kläger Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 entzogen wurde, nämlich die Klassen A1, B, BE, L, M und T.
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Zur Begründung wird ausgeführt, der Beklagte ziehe im Bescheid insofern falsche Rückschlüsse aus dem eingereichten Gutachten, als dass Grund für die Entziehung der Fahrerlaubnis das unbehandelte schwere Schlafapnoe-Syndrom gemäß Ziffer 11.2 der Anlage 4 zur FeV bei fehlender Compliance sowie Adhärenz und sehr schwerem Befund sei. Aus dem Gutachten ergebe sich nicht explizit, auf welchen konkreten Befund abgestellt werde. Woraus sich die Diagnose der schweren obstruktiven Schlafapnoe ergebe, sei nicht ersichtlich. Ein Apnoe-Hypopnoe-Index sei nicht zitiert worden. Der Kläger verneine eine vermehrte Tagesmüdigkeit, Sekundenschlaf sowie weitere Symptome. Auch die Ausführungen im Befundbericht des Klinikums … über eine stationäre Behandlung des Klägers vom 2. bis 4. März 2022 wiesen nicht darauf hin, dass zwangsläufig ein schweres obstruktives Schlafapnoe-Syndrom vorliege. Die Beurteilung weise ein „relevantes obstruktives Schlafapnoesyndrom“ aus. Die vorliegenden Beurteilungen seien widersprüchlich, auch in Bezug auf die empfohlene Therapieform. Auch werde in einem Befundbericht der Gemeinschaftspraxis Dres. med. K. u.a. vom 12. Februar 2022 ein mittelgradiges Schlafapnoe-Syndrom diagnostiziert. Dieser Bericht werde im Gutachten zwar wiedergegeben, habe aber keinen Eingang in die Bewertung gefunden. Die Fahreignung des Klägers werde nur deshalb verneint, weil das Gutachten davon ausgehe, dass keine geeignete Therapie vorliege und sich der Kläger nicht zielführend der richtigen Therapieform widmen würde. Jener Rückschluss werde nur deshalb gezogen, weil im Gutachten auf Seite 18 ausgeführt werde, dass es bei dem vorliegenden sehr schweren Befund unwahrscheinlich sei, auf Therapiealternativen zur Maskenbehandlung auszuweichen. Dabei werde verkannt, dass beim Kläger eine Intoleranz bezüglich der Maskentherapie vorliege. Es sei nicht nachvollziehbar, die Maskentherapie als alternativlos anzusehen. Den Akten sei zu entnehmen, dass der Kläger eine Unterkieferschienentherapie angestoßen habe, was ihm ausdrücklich durch die behandelnden Ärzte empfohlen worden sei und was im Gutachten als geeignete Therapieform bei einem mittelgradigen Schlafapnoe-Syndrom bestätigt werde. Weiter werde bestritten, dass sich bei den kardiovaskulären Vorerkrankungen ein erhebliches zusätzliches Risiko für erneute Ereignisse ergebe. Eine Erhöhung des Risikos sei ausgeschlossen, da die Schlafapnoe behandelt werde und keine fehlende Compliance und Adhärenz beim Kläger vorliegen würde, womit seine Fahreignung gegeben sei.
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Das Landratsamt beantragt mit Schreiben vom 11. Juli 2022,
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Ergänzend zur Begründung des Bescheids werde darauf hingewiesen, dass das vorgelegte Gutachten vom 29. April 2022 schlüssig und nachvollziehbar sei. Der Bescheid stütze sich auf die Feststellungen des Gutachtens, da durch die Fahrerlaubnisbehörde selbst keine medizinische Beurteilung erfolgen könne. Es seien alle in der Akte befindlichen Befunde im Gutachten aufgeführt und in die Bewertung eingeflossen. So sei u.a. eindeutig ersichtlich, dass auf den Befundbericht des Klinikums … vom 11. März 2022 Bezug genommen werde. In dem Gutachten werde ausgeführt, dass aufgrund der schweren Befundlage eine ausreichende Therapiealternative zwar unwahrscheinlich sei, eine Therapie mittels Unterkieferschiene werde jedoch nicht ausgeschlossen. Die im Gutachten angenommene fehlende Compliance und Adhärenz in Bezug auf die Therapie begründe sich u.a. in den widersprüchlichen Angaben des Klägers. So sei in der – dem Landratsamt nicht vorgelegten – internistisch-lungenfachärztlichen Stellungnahme der Praxis Dres. K. angegeben worden, dass die Therapie seitens des Klägers aufgrund einer chronischen Nasennebenhöhlenentzündung beendet worden sei. Hierzu seien im ärztlichen Untersuchungsgespräch am Begutachtungstag jedoch keine Angaben gemacht worden. Vielmehr habe der Kläger hier geäußert, dass er die Schlafmaske temporär während der Phase der Carotis-OP und der Covid-Infektion nicht habe tragen können und dass ihm die verordnete Maske zwischenzeitlich nicht mehr passe (vgl. BA, Bl. 114 unten). Zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt habe zweifellos eine unbehandelte Schlafapnoe bei fehlender Compliance und Adhärenz vorgelegen, so dass die Fahreignung für beide Gruppen vollständig ausgeschlossen sei.
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Mit Schreiben vom 11. August 2022 erwiderte der Bevollmächtigte des Klägers hierzu, der Vorwurf der fehlenden Compliance und Adhärenz sei unbegründet. Es sei vom Kläger hinreichend belegt worden, dass er bereits vor 2019 begonnen habe, die Schlafapnoe ärztlich behandeln zu lassen. Dass ab 2020 die Umstände eine schnelle und zielorientierte Behandlung unmöglich gemacht hätten, liege nicht in der Verantwortung des Klägers. Dieser habe vier Monate lang vergeblich versucht, mit der Maske zurechtzukommen. Nach der Absprache mit dem behandelnden Arzt Dr. M. seien auch andere Behandlungsmöglichkeiten im Gespräch gewesen. Die Therapie bezüglich der Schlafapnoe-Problematik sei durch den Kläger nicht abgebrochen, sondern entsprechend der äußeren Umstände (Corona-Erkrankung, Schlaganfall, Reha-Maßnahme) weiterverfolgt worden. Nach Auskunft des Schlaflabors … sei eine Weiterbehandlung nur mit einem erneuten Schlaflaborbesuch möglich, ein Termin sei vor dem Besuch bei der Fahreignungsprüfung durch die Gutachterin am 27. Januar 2022 jedoch nicht möglich gewesen. Zwischenzeitlich habe der Kläger eine Einladung vom Schlaflabor … vom 2. März 2022 bis 4. März 2022 (vgl. Aufenthaltsbescheinigung Klinikum …, BA, Bl. 91) erhalten. Mit dem behandelnden Arzt sei abgesprochen worden, dass eine Unterkieferschienentherapie umgesetzt werde. Seit 12. Juli 2022 trage der Kläger nunmehr jene Schiene mit sehr gutem Erfolg.
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Das Landratsamt führte hierzu mit Schreiben vom 17. August 2022 aus, die Einlassungen der Klägerseite seien zumindest teilweise als Schutzbehauptungen zu qualifizieren. Die widersprüchlichen Angaben des Klägers zur Maskentherapie seien weiterhin nicht plausibel aufgeklärt worden. Sollte nachträglich eine Wiedererlangung der Fahreignung geltend gemacht werden, sei dies durch ein erneutes ärztliches Gutachten bei einer Begutachtungsstelle für Fahreignung im Rahmen eines Neuerteilungsverfahrens zu prüfen.
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Mit Schreiben vom 20. September 2022 erklärte der Bevollmächtigte des Klägers, dass bereits die Feststellungen des ärztlichen Gutachtens fehlerhaft gewesen seien und auch dessen Ergebnis fehlerhaft sei. Der Kläger habe sich stets in Behandlung befunden. Es liege in der Natur der Sache, dass manche Behandlungsansätze nicht weiterverfolgt würden, wenn diese für den jeweiligen Patienten untauglich seien. Mit weiterem Schreiben vom 2. November 2022 wurde ergänzt, dass die Schlafapnoe beim Kläger erst im Dezember 2019 von Dr. med. M. erkannt und dann weiter behandelt worden sei. Aufgrund der Corona-Pandemie habe erst Ende 2020 eine Schlafanalyse im …-Klinikum … durchgeführt werden können. Auch mit Schreiben vom 2. Mai 2023 führte der Bevollmächtigte des Klägers unter Vorlage von Terminbestätigungen vom 31. Januar 2022 bis 14. März 2023 durch die Zahnarztpraxis Dr. E. aus, dass der Kläger der Behandlung des Schlafapnoe-Syndroms (Unterkieferschiene) nachgekommen sei.
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Mit gerichtlichem Schreiben vom 15. August 2023 wurden die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört, wobei seitens des Gerichts auf die entscheidungserheblichen Aspekte hingewiesen wurde. Dem gerichtlichen Vorschlag, durch den Kläger ein aktuelles qualifiziertes Gutachten vorlegen zu lassen, wurde seitens des Landratsamts nicht gefolgt. Im Zeitpunkt des Bescheiderlasses sei dieser rechtmäßig ergangen. Daneben sei das Landratsamt – unter Hinweis auf den staatlichen Schutzauftrag aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG bezüglich anderer Verkehrsteilnehmer – nicht verpflichtet gewesen, dem Kläger eine Frist für einen ggf. erfolgreichen Therapieversuch einzuräumen. Auf das gesonderte Wiederteilungsverfahren werde verwiesen.
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Zum Verlauf der mündlichen Verhandlung vom 27. Februar 2024 wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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1. Ziffer 1 des gegenständlichen Bescheids, soweit dem Kläger hierin die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1, konkret der Klassen A1, B, BE, L, M und T, entzogen wurde, erweist sich – wie bereits im Gerichtsbescheid des Bayerischen Verwaltungsgerichts … vom 11. September 2023 ausgeführt – auch nach Durchführung der mündlichen Verhandlung als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnen. Nach Nr. 11.2.3 der Anlage 4 zur FeV ist bei einem mittelschweren bzw. schweren obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom ohne geeignete Therapie keine Fahreignung gegeben.
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a. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist vorliegend der Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 25. Mai 2022 (vgl. VG Augsburg, B.v. 20.12.2022 – Au 7 S 22.2189 – juris Rn. 50). Nach diesem Zeitpunkt eintretende Veränderungen sind grundsätzlich ggf. im Rahmen eines Fahrerlaubnis-Neuerteilungsverfahrens zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere hinsichtlich des Vortrags des Klägerbevollmächtigten mit Schreiben vom 11. August 2022, wonach der Kläger seit 12. Juli 2022 eine Unterkieferschiene trage, und vom 2. Mai 2023, wonach der Kläger die Behandlung mittels einer Unterkieferschiene fortführe, was auch in der mündlichen Verhandlung erörtert wurde.
32
b. Die Rechtswidrigkeit des Bescheids ergibt sich nicht aufgrund der Nennung einer unzutreffenden Rechtsgrundlage in diesem. Soweit auf Seite 13 des gegenständlichen Bescheids (BA Bl. 152) statt Nr. 11.2.3 der Anlage 4 zur FeV lediglich deren Nrn. 4, 5 und 6 als Rechtsgrundlagen der Fahrerlaubnisentziehung zitiert werden, ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang des Bescheids – insbesondere aufgrund der auf der gleichen Seite zitierten Aussagen im Gutachten vom 29. April 2022 zu Nr. 11.2.3 der Anlage 4 der FeV und die Bezugnahme hierauf –, dass an das genannte, für die Beurteilung im Gutachten ursächliche schwere Schlafapnoe-Syndrom des Klägers angeknüpft werden soll.
33
c. Beim Kläger lag jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt ein mittelschweres bis schweres obstruktives Schlafapnoe-Syndrom vor. Das Vorliegen der Erkrankung an sich wurde seitens des Klägers nicht in Frage gestellt.
34
Die Schwere des obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms wird durch die Anzahl der Atemaussetzer definiert. Ein mittelschweres obstruktives Schlafapnoe-Syndrom entspricht nach Nr. 11.2.3 der Anlage 4 zur FeV einer Anzahl von Apnoen und Hypopnoen (Apnoe-Hypopnoe-Index – AHI) zwischen 15 und 29 pro Stunde und ein schweres obstruktives Schlafapnoe-Syndrom einem Apnoe-Hypopnoe-Index von mindestens 30 pro Stunde. Das Vorliegen eines obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms erhöht das Verursachungsrisiko eines Verkehrsunfalls deutlich (Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung – Kommentar, 3. Auflage 2018, S. 226). Durch die atmungsbedingte verminderte Sauerstoffzufuhr (Hypoxie) können unterschiedliche Organe beeinträchtigt werden. Besonders betroffen ist das Herz-Kreislauf-System mit der Folge entsprechender Erkrankungen (arterielle Hypertonie, Herzinfarkt, Schlaganfall). Es besteht jedoch auch ein Einfluss auf Hormonhaushalt und Stoffwechsel. Hypoxie und durch die Atmungsunterbrechung ausgelöste kurze Weckreaktionen (Arousals) können zu nicht erholsamem Schlaf und Tagesschläfrigkeit führen.
35
Aus dem vorgelegten verkehrsmedizinischen Gutachten vom 29. April 2022 (BA Bl. 102 ff.) ergibt sich begründet und nachvollziehbar, dass der Kläger zum Untersuchungszeitpunkt keine Fahreignung für Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 hatte, weder vollständig noch bedingt. Dies ergebe sich aufgrund des aktuellen Befundes eines sehr schwerwiegenden Schlafapnoe-Syndroms mit erheblichen nächtlichen Sauerstoffversorgungsminderungen, wobei sich zudem bei den kardiovaskulären Vorerkrankungen ein erhebliches zusätzliches Risiko für erneute Ereignisse wie z.B. Schlaganfälle darstelle, welches durch die Schlafapnoe noch zusätzlich und maßgeblich erhöht werde, bei aktuell unbehandelter Schlafapnoe mit fehlender Compliance und Adhärenz in Bezug auf die Therapie. Der Bericht des Klinikums …, Schlafmedizinisches Zentrum vom 11. März 2022 (BA Bl. 95 f.) weist hinsichtlich des Klägers insbesondere in der zweiten Diagnostiknacht einen Gesamt-AHI von 36 pro Stunde bis sogar 91 pro Stunde aus. Insoweit ist nicht ausschlaggebend, ob beim Kläger ein mittelschweres oder schweres obstruktives Schlafapnoe-Syndrom vorliegt, da beide Grade von Nr. 11.2.3 der Anlage 4 zur FeV erfasst und jedenfalls die Werte der Einordnung „mittelschwer“ erreicht werden. Dass im Gutachten vom 29. April 2022 u.a. auf jenen Bericht des Klinikums … vom 11. März 2022 abgestellt wird, der exakte Angaben zum AHI enthält, ergibt sich aus dem Wortlaut des Gutachtens („aktuelle … Untersuchung“, S. 18) und dem Gesamtzusammenhang – dem Gericht liegt kein weiterer Bericht eines … Klinikums vor – eindeutig. Die Feststellungen im Gutachten vom 29. April 2022 stellen sich aus Sicht des Gerichts schlüssig und nachvollziehbar dar. Fehlerhafte oder nicht belegte Schlussfolgerungen sind nicht ersichtlich.
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Soweit mit ärztlichem Bericht vom 25. August 2021 der Hausarztpraxis Dr. med. O. (BA Bl. 21 ff.) festgestellt wird, dass der Kläger nach dortiger Einschätzung fahrtauglich im Rahmen der ihm zuerkannten Fahrerlaubnis sei, ist diese Beurteilung angesichts der mit Schreiben vom 12. August 2021 (BA Bl. 24 ff.) vorgelegten Diagnosen (u.a. Dauerdiagnose „gesichert Schlafapnoe“) bereits wieder in Frage gestellt. Darüber hinaus erschließt sich dem Gericht nicht, aufgrund welcher verkehrsmedizinischer Fachexpertise hier jene Beurteilung getroffen wurde.
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Der klägerische Vortrag in der mündlichen Verhandlung, die Ausprägung des Schlafapnoe-Syndroms sei tagesabhängig und bei Durchführung der Untersuchung im Schlafmedizinischen Zentrum des Klinikums … hätten äußere Umstände zu schlechtem Schlaf des Klägers geführt, kann nicht überzeugen. So liegen, wie ausgeführt, diverse ärztliche Untersuchungen seit 2019 vor, welche dem Kläger ein jedenfalls mittelgradig ausgeprägtes Schlafapnoe-Syndrom attestieren. Die Annahme von Zeitspannen, während derer das Schlafapnoe-Syndrom beim Kläger nur in schwacher Form auftreten würde, erscheint damit fernliegend. Jedenfalls würden auch einzelne Tage mit einer schwachen Ausprägung der Erkrankung des Klägers nichts an der Diagnose einer mittelschweren Schlafapnoe ändern, es sei denn, es würde nachgewiesen, dass sich die Anzahl der Atemaussetzer nachhaltig verbessert hätte, wofür vorliegend keine Anhaltspunkte bestehen.
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d. Im maßgeblichen Zeitpunkt lag keine geeignete Therapie hinsichtlich des obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms beim Kläger vor. Das Landratsamt musste zu Recht davon ausgehen, dass die Schlafapnoe-Erkrankung des Antragstellers zum damaligen Zeitpunkt nicht durch einen Arzt therapiert wurde.
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Die Begriffe Compliance und Adhärenz werden mitunter synonym verwendet; der Begriff der Compliance wird zunehmend vom Begriff der Adhärenz abgelöst. Hinter dem Adhärenz-Konstrukt steckt gegenüber dem Gedanken der reinen Befolgung ärztlicher Anordnungen die Idee der aktiveren und verantwortungsbewussteren Rolle des Patienten beim Umgang mit der Erkrankung und bei der Planung, Gestaltung und dem Erreichen des Therapieziels (vgl. VG Würzburg, U.v. 1.12.2021 – W 6 K 21.638 – juris Rn. 45 m.w.N.). Da vorliegend im maßgeblichen Zeitpunkt keine Therapie des obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms des Klägers erfolgte, ist eine Auseinandersetzung mit Compliance und Adhärenz nicht maßgeblich.
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Im ärztlichen Bericht des Dr. med. M. vom 17. November 2021 (BA Bl. 54), welcher sich auf die Diagnose des Schlafapnoe-Syndroms beim Kläger im Dezember 2019 durch ihn bezieht, wird ausgeführt, dass damals die Indikation zur Einleitung einer nCPAP-Therapie gesehen wurde. Aus einem Herrn Dr. med. M. vorliegenden Bericht des … Klinikums … vom 28. Oktober 2020 ergebe sich, dass der Kläger dort mit einem nCPAP-Gerät versorgt worden sei. Der Kläger ergänzte insoweit in der mündlichen Verhandlung, dass dort der Einsatz der Schlafmaske in der zweiten Nacht zu einem verbesserten Schlaf geführt habe. Das Gutachten vom 29. April 2022 attestiert, dass beim Kläger derzeit und schon länger keine Bereitschaft bestehe, sich einer Schlafmaskenanpassung zu stellen (S. 18). Beim vorliegenden sehr schweren Befund sei es unwahrscheinlich, dass es ausreichende Therapiealternativen zu einer Maskenbehandlung gebe. Eine Unterkieferschiene zur Vermeidung von Unterkieferbewegungen sei oft schwer zu tolerieren und helfe üblicherweise nur bei leichter bis mittelgradiger obstruktiver Schlafapnoe. Es werde dem Kläger dringend empfohlen, sich vor einer neuen Antragstellung in Bezug auf die Fahreignung für Gruppe 1 in schlafmedizinische, halsnasenohrenärztliche bzw. pneumologische Behandlung zu begeben, um vor Antragstellung nachweisen zu können, dass das Schlafapnoe-Syndrom – „wie auch immer“ – ausreichend und stabil behandelt werde. Mithin liege eine ausreichende Compliance in Bezug auf Nr. 11.2 sowie zur Risikominderung auch für die Nrn. 4 und 6 der Anlage 4 zur FeV nicht vor und werde auch nicht umgesetzt (Adhärenz) (S. 19, Nr. 2). Das Gutachten geht vom Vorliegen eines unbehandelten schweren Schlafapnoe-Syndroms zum Zeitpunkt der Gutachtenserstellung aus (S. 19, Nr. 1b).
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Der Kläger lässt hinsichtlich einer geeigneten Therapie bzw. der Compliance und Adhärenz mehrfach, so auch in der mündlichen Verhandlung, vortragen, er habe sich durchgehend in Behandlung befunden, sei nur durch äußere Umstände (u.a. Corona-Pandemie, Reha-Maßnahme) an einem Behandlungserfolg gehindert worden; es habe zu keinem Zeitpunkt fehlende Compliance und Adhärenz vorgelegen. Nach der Schilderung des Klägerbevollmächtigten mit Schreiben vom 11. August 2022 versuchte der Kläger vier Monate lang vergeblich, mit einer Schlafmaske zurecht zu kommen. Jene Therapie sei Ende 2020 eingeleitet worden. In der mündlichen Verhandlung wurde seitens des Klägers ausgeführt, Ende 2020 sei die Schlafmaske bereits wieder zurückgegeben worden und im Juli 2022 habe die Therapie mit einer Unterkieferschiene begonnen. Mit Schreiben vom 2. Mai 2023 wurde eine Terminbestätigung der Zahnarztpraxis Dr. E. vom 24. April 2023 vorgelegt. Jene Praxis suchte der Kläger nach seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung mit dem Ziel der Anfertigung einer Unterkieferschiene auf. Von den dort aufgelisteten neun Terminen fanden jedoch nur zwei vor Bescheiderlass statt.
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Insoweit ist auszuführen, dass ausweislich der Darstellung des Klägerbevollmächtigten (Schreiben vom 2. November 2022) die Schlafapnoe-Erkrankung beim Kläger bereits im Dezember 2019 erkannt wurde. Dies ergibt sich auch aus dem vorgelegten ärztlichen Schreiben des Dr. med. M. vom 17. November 2021 (BA Bl. 54). Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausführte, wurde ihm bereits 2019 ärztlicherseits deutlich mitgeteilt, dass eine Behandlung derselben erfolgen müsse. Mit Schreiben vom 11. August 2022 wird – im Widerspruch hierzu – seitens des Klägerbevollmächtigten konstatiert, dass der Kläger bereits vor 2019 begonnen habe, seine Schlafapnoe ärztlich behandeln zu lassen. Es erscheint unwahrscheinlich, dass es dem Kläger seit 2019 oder sogar früher bis zum Bescheiderlass im Mai 2022 nicht möglich gewesen sein soll, für eine derart ernstzunehmende Erkrankung wie ein Schlafapnoe-Syndrom keine relevanten Behandlungstermine zur Anwendung verschiedener Therapieansätze zu erwirken. Dem ärztlichen Bericht der Hausarztpraxis Dr. med. O. vom 20. September 2021 (BA Bl. 29 ff.) ist zu entnehmen, dass am 8. Februar 2021 zur Debatte stand, wegen einer Schlafmaske nochmals einen Pneumologen aufzusuchen (BA Bl. 38). Ein zeitweiliges Bemühen des Klägers um die Vergabe von Zahnarzt-Terminen, wie es den vorgelegten E-Mails vom 6. April 2022 und 21. April 2022 zu entnehmen ist und wie in der mündlichen Verhandlung ausgeführt wurde, ist insoweit keineswegs ausreichend. Nach Rückgabe der Schlafmaske Ende 2020 bis jedenfalls Juli 2022 – und damit zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses im Mai 2022 – wurde unbestritten weder eine Unterkieferschienen- noch eine Schlafmasken- oder sonstige Therapie zur Behandlung des Schlafapnoe-Syndroms beim Kläger angewendet. Mithin ist davon auszugehen, dass die nächtlichen Atemaussetzer mangels Therapie jedenfalls in dieser Zeit fortbestanden. Dies war dem Kläger auch während des Zeitraums der Gutachtenserstellung, welcher nach seinem Vortrag in der mündlichen Verhandlung mit dem Einholen weiterer ärztlicher Unterlagen verbunden gewesen sei, bewusst. Soweit in der mündlichen Verhandlung vorgetragen wurde, das Fazit im Gutachten, wonach das Vorliegen von Adhärenz und Compliance beim Kläger verneint wird, sei dem Kläger während dieser Zeit nicht klar gewesen, führt dies zu keiner anderen Beurteilung.
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Einen Widerspruch hinsichtlich der dem Kläger empfohlenen Therapiemöglichkeiten in Bezug auf das Schlafapnoe-Syndrom kann das Gericht in diesem Zusammenhang nicht erkennen. Im Gutachten wird die Behandlung mit einer Unterkieferschiene nicht kategorisch ausgeschlossen, aufgrund des Schweregrads der Erkrankung lediglich deren Erfolg als unwahrscheinlich und die Maskentherapie als vielversprechender bezeichnet. Schließlich wird jedoch festgestellt, dass das Schlafapnoe-Syndrom zur Wiedererlangung der Fahreignung jedenfalls behandelt werden müsse, wobei die Ausgestaltung der Behandlung offengelassen wird („wie auch immer“). Insoweit enthält der ärztliche Bericht des Klinikums … vom 11. März 2022 den Passus, dass die Option einer Unterkieferschiene bleibe, was im Fall des Klägers gerade noch als empfehlenswert erscheine. Primär solle diesbezüglich eine zahnärztliche Beurteilung zu deren Tauglichkeit im Rahmen der Therapie erfolgen.
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e. Etwas anderes ergibt sich vorliegend nicht daraus, dass dem Kläger ärztlich keine messbare auffällige Tagesschläfrigkeit attestiert wird.
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Zwar kann den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung entnommen werden, dass bei einem mittelschweren bis schweren obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom nicht zwangsläufig die Fahreignung eingeschränkt sei, da die schlafbezogene Atmungsstörung auch ohne auffällige Tagesschläfrigkeit auftreten könne (S. 222). Folglich seien nicht allein die Anzahl der Apnoe und Hypopnoen bei der Diagnose zu erfassen, sondern v.a. die Konsequenzen der Schlafstörung auf die Vigilanz zu bewerten. Mithin klingt an, dass im Rahmen der Fahrtauglichkeit bei Vorliegen eines Schlafapnoe-Syndroms eine geeignete Therapie nur dann erforderlich sein könnte, wenn eine messbare auffällige Tagesschläfrigkeit gegeben ist. Vorliegend ist jedoch nicht lediglich auf das Fehlen einer attestierten messbaren auffälligen Tagesschläfrigkeit abzustellen, womit eine geeignete Therapie der Schlafapnoe-Erkrankung des Klägers im Rahmen der Fahrtauglichkeit erforderlich bleibt. Auch in der Rechtsprechung wird in erster Linie auf das Vorliegen einer geeigneten Therapie, nicht hingegen auf die Feststellung einer messbaren auffälligen Tagesschläfrigkeit abgestellt (vgl. BayVGH, B.v. 17.2.2020 – 11 CS 19.2518 – juris Rn. 17: „Nach Nr. 11.2.3 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV ist dies bei einem obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom (OSAS) ohne geeignete Therapie (…) der Fall“; VG München, B.v. 4.4.2017 – M 6 S 16.5727 – juris u.a. Rn. 46 im Eilrechtsschutz: „Insbesondere das Attest vom (…) bescheinigt dem Antragsteller eine absolut regelmäßige Nutzung des CPAP-Gerätes. Es könne nicht mehr von einer Auswirkung der obstruktiven Schlafapnoe auf die Fahrtauglichkeit des Antragstellers ausgegangen werden“ und VG Augsburg, B.v. 20.12.2022 – Au 7 S 22.2189 – juris Rn. 63: „Nach Nr. 11.2.3 der Anlage 4 zur FeV ist bei einem mittelschweren bzw. schweren obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom ohne geeignete Therapie keine Fahreignung gegeben.“).
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Das Vorliegen jener Tagesschläfrigkeit beim Kläger kann den vorgelegten ärztlichen Dokumenten nicht entnommen werden. Auch nach dem Gutachten vom 29. April 2022 ergeben sich im testpsychologischen Zusatzgutachten keine Hinweise auf eine subjektiv erlebte auffällige Tagesschläfrigkeit. Letztlich ergaben sich demnach knapp keine verkehrsbedeutsamen Beeinträchtigungen für Gruppe 1; es liege gerade noch eine ausreichende Kompensation isolierter Schwächen vor (S. 15). Allerdings führt dieser Befund nach dem Gutachten vom 29. April 2022 nicht dazu, dass die Fahreignung hinsichtlich der Gruppe 1 zuzugestehen wäre, da jene knapp noch ausreichenden Tests bei zudem stark wechselnder Schlafqualität des Klägers ohne Behandlung nur einen tagesaktuellen Zustand widerspiegeln würden. Zudem wird in diesem Zusammenhang auf die kardiovaskulären Vorerkrankungen des Klägers abgestellt, welche danach ein erhebliches zusätzliches Risiko für erneute Ereignisse, z.B. Schlaganfälle darstellen, das durch das sehr schwerwiegende Schlafapnoe-Syndrom mit erheblichen nächtlichen Sauerstoffversorgungsminderungen noch zusätzlich und maßgeblich erhöht werde (S. 18). Auch der gegenständliche Bescheid stellt darauf ab, dass beim Kläger „Multimorbidität“ als gleichzeitiges Bestehen mehrerer Gesundheitsstörungen vorliegt (S. 6 des Bescheids, BA Bl. 145). Den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung ist insoweit zu entnehmen, dass zwar der AHI nicht allein über die Fahreignung entscheidet, Ärzte ab einem gewissen AHI jedoch sensibilisiert sein sollten (S. 226 f.). Bei einem AHI von – wie bezüglich des Klägers festgestellt – bis 91/h, wobei ein schweres obstruktives Schlafapnoe-Syndrom nach Nr. 11.2.3 der Anlage 4 zur FeV bereits bei einem AHI von mindestens 30/h beginnt, ist hiervon auszugehen.
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So können bei Vorliegen einer Schlafapnoe-Erkrankung – wie ausgeführt – durch die atmungsbedingte verminderte Sauerstoffzufuhr (Hypoxie) unterschiedliche Organe beeinträchtigt werden. Besonders betroffen ist das Herz-Kreislauf-System mit der Folge entsprechender Erkrankungen (arterielle Hypertonie, Herzinfarkt, Schlaganfall) (Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung – Kommentar, 3. Auflage 2018, S. 226). Diese Gefahr hat sich beim Kläger offensichtlich bereits verwirklicht, da er – wie sein Bevollmächtigter mit Schreiben vom 11. August 2022 ausführt und sich aus dem Abschlussbericht des … vom 27. Juli 2021 (BA Bl. 2 ff.) ergibt – am 25. Mai 2021 und damit nach der Diagnose der Schlafapnoe-Erkrankung einen Schlaganfall erlitt. Ebenfalls aus jenem Abschlussbericht ergibt sich das Vorliegen einer arteriellen Hypertonie beim Kläger. Wie im Gutachten vom 29. April 2022 sowie im Bescheid richtig zu Grunde gelegt wird, ergibt sich im Zusammenspiel der kardiovaskulären Vorerkrankungen des Klägers mit der Schlafapnoe-Erkrankung in seiner konkreten schweren Ausprägung ein erhebliches Risiko für erneute Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, womit ohne eine geeignete Therapie eine Fahreignung nicht zugestanden werden kann. Auch das Bayerische Verwaltungsgericht München berücksichtigt im Beschluss vom 4. April 2017 neben der Problematik der Schlafapnoe genannte verkehrsmedizinisch relevante Erkrankungen des Antragstellers wie u.a. eine koronare und hypertensive Herzerkrankung sowie Hypertonie (Az. M 6 S 16.5727 – juris Rn. 49).
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Zudem bleibt zu berücksichtigen, dass es sich bei der Feststellung einer messbaren auffälligen Tagesschläfrigkeit, welche auch stark schwankend zutage treten kann, um einen bedeutend subjektiv geprägten Eindruck handelt, womit auch ohne deren Auftreten im Rahmen der punktuellen ärztlichen Untersuchungen nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine solche teilweise beim Kläger – ggf. auch unbewusst – vorliegt.
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f. Im Rahmen von Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten ergibt sich – auch nach Durchführung der mündlichen Verhandlung – keine andere Bewertung.
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Insoweit war insbesondere zu erwägen, dem Kläger vor Entziehung der Fahrerlaubnis eine weitere Zeitspanne zu gewähren, um einen Therapieerfolg der Unterkieferschiene abzuwarten, zumal der Kläger mit E-Mail vom 2. Mai 2022 (BA Bl. 92) an die Führerscheinstelle des Landratsamts seine zu diesem Zeitpunkt aktuellen Bemühungen um eine diesbezügliche zahnärztliche Behandlung darlegte.
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Es bleibt jedoch zu bedenken, dass dem Kläger die Diagnose der (mittel- bis schwergradigen) Schlafapnoe-Erkrankung bereits zumindest seit Ende 2019 bekannt war, was einen grundsätzlich ausreichenden Zeitraum zur Umsetzung einer Therapie zur Probe darstellt, und dass klägerseits im Vorfeld des Bescheiderlasses mehrfach das bloße Bemühen um entsprechende Termine dargestellt wurde. Hierzu führte der Kläger in der mündlichen Verhandlung aus, er habe die Schlafmaske Ende 2020 zurückgegeben, da er damit nicht zurechtgekommen sei und ansonsten andere Behandlungsmöglichkeiten von der Krankenkasse nicht übernommen worden wären. Bereits zu diesem Zeitpunkt sei er durch eigene Recherche auf die Behandlungsmöglichkeit der Unterkieferschiene aufmerksam geworden, seitens der Ärzte sei ihm diese Methode jedoch erst ab Januar 2022 empfohlen worden, da diese Behandlung ab diesem Zeitpunkt seitens der Krankenkasse übernommen worden wäre. Nach der vorgelegten Auflistung von Behandlungsterminen bei Zahnärztin Dr. H. nahm der Kläger hier seit Ende Januar 2022 Termine wahr. Therapiebeginn sei im Juli 2022 gewesen, wobei laut Dr. med. M. Aussagen zur Wirksamkeit der Unterkieferschiene erst frühestens nach einem halben Jahr getroffen werden könnten. Mithin hätte die Behörde zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses im Mai 2022 ca. ein weiteres dreiviertel Jahr abwarten müssen, um überhaupt einen Behandlungserfolg mittels der Unterkieferschiene beurteilen zu können. Dies muss vor den im Gutachten vom 29. April 2022 diesbezüglich getroffenen Aussagen betrachtet werden, wonach angesichts der Ausprägung der Schlafapnoe beim Kläger v.a. eine Schlafmaske als erfolgversprechend angesehen werde und die Erfolgsaussicht einer Behandlung mit der Unterkieferschiene erst noch zahnärztlich beurteilt werden müsse, da letztere eher bei leicht ausgeprägten Schlafapnoe-Erkrankungen anzuwenden sei. Zudem hatte die Unterkieferschienen-Therapie bei Bescheiderlass noch nicht einmal begonnen und der Zeitpunkt des tatsächlichen Therapiebeginns stand nicht fest.
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An dieser Stelle kann eine Parallele zur Fristsetzung im Rahmen einer fahrerlaubnisbezogenen Gutachtensaufforderung nach § 11 Abs. 6 Satz 2 Fahrerlaubnis-Verordnung gezogen werden. Die Frist muss hier lediglich so bemessen sein, dass eine Gutachterstelle zur Erstellung eines Gutachtens über die aktuelle Fahreignung tatsächlich in der Lage ist (vgl. VG Würzburg, B.v. 8.5.2017 – W 6 S 17.413 – juris Rn. 29). Die Bemessung der Frist für die Beibringung eines Fahreignungsgutachtens ist grundsätzlich an den Umständen des Einzelfalls zu orientieren. Dies bedeutet allerdings nicht, dass hierfür die besonderen persönlichen Bedürfnisse des Fahrerlaubnisinhabers maßgeblich sind. Dient die Vorlage des Gutachtens nicht dem Nachweis der Wiedererlangung der Fahreignung, sondern der Klärung der Frage, ob der Fahrerlaubnisinhaber seine Fahreignung verloren hat, ist die Beibringungsfrist nach der Zeitspanne zu bemessen, die von einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle zur Erstattung des Gutachtens voraussichtlich benötigt wird. Etwaigen Eignungszweifeln ist insoweit so zeitnah wie möglich nachzugehen, da insofern die Abwendung möglicher erheblicher Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer in Frage steht (vgl. BayVGH, B.v. 5.5.2022 – 11 CS 22.927 – juris Rn. 27; B.v. 11.2.2019 – 11 CS 18.1808 – juris Rn. 26). Grundsätzlich bietet bereits ein Zeitraum von ca. acht Wochen die Gelegenheit, sich entsprechend begutachten zu lassen (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.2019 – 11 CS 18.1808 – juris Rn. 27 bezüglich eines Zeitraums von „etwas mehr als acht Wochen“, wobei hier Feiertage und Jahreswechsel zu berücksichtigen waren). Weder aus der Rechtsprechung des Senats (vgl. BayVGH, B.v. 9.10.2017 – 11 CS 17.1483 – juris Rn. 5, 26; B.v. 21.10.2015 – 11 C 15.2036 – juris Rn. 18; B.v. 23.4.2013 – 11 CS 13.219 – juris Rn. 20: jeweils zwei Monate für ausreichend erachtet) noch aus der Verwaltungspraxis anderer Hoheitsträger lässt sich eine behördliche Verpflichtung ableiten, regelmäßig (z.B.) mindestens drei Monate zur Beibringung eines Gutachtens einzuräumen (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.2019 – 11 CS 18.1808 – juris Rn. 28). Vorliegend wurde der Kläger mit Schreiben vom 13. Dezember 2021 dazu aufgefordert, ein verkehrsmedizinisches Gutachten vorzulegen. Die Vorlagefrist wurde im Folgenden auf Bitte des Klägers hin letztlich bis zum 10. Mai 2022 verlängert. Mithin wartete die Behörde bereits – bei Abstellen auf die Gutachtensaufforderung – zumindest ca. ein halbes Jahr ab, bevor die Fahrerlaubnis entzogen wurde.
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Zudem ist die Behörde angesichts der Gefahren, die von einem fahrungeeigneten Fahrerlaubnisinhaber für die anderen Verkehrsteilnehmer ausgehen, nicht gehalten, so lange abzuwarten, bis sich eine erfolgversprechende Therapie einstellt. Im maßgeblichen Zeitpunkt lag der Behörde vielmehr ein verkehrsmedizinisches Gutachten vor, wonach der Kläger aufgrund des unbehandelten schweren Schlafapnoe-Syndroms bei fehlender Compliance und Adhärenz nicht in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen gerecht zu werden. Darüber hinaus hatte sich beim Kläger das Risiko des Eintritts eines Schlaganfalls bei seit 2019 bekannter Schlafapnoe-Erkrankung im Jahre 2021 wie ausgeführt bereits verwirklicht.
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In Anbetracht jener Gesamtumstände ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landratsamt vor Entzug der Fahrerlaubnis nicht einen im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses wie ausgeführt unwahrscheinlichen Therapieerfolg mittels der Unterkieferschiene abgewartet hat.
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Auch eine regelmäßige ärztliche Kontrolle in Abständen von höchstens drei Jahren für Fahrer der Gruppe 1 stellt vorliegend kein milderes Mittel im Vergleich zum Entzug der Fahrerlaubnis dar. Soweit den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (S. 221 f.) entnommen werden kann, dass bei mittelschwerem oder schwerem obstruktivem Schlafapnoe-Syndrom in diesem Rahmen eine Fahrerlaubnis erteilt werden könnte, würde hierfür eine ärztliche Begutachtung benötigt, die bestätigt, dass eine ausreichende Kontrolle des Zustands und eine geeignete Behandlung vorliegt, was hier wie ausgeführt nicht gegeben ist. Darüber hinaus werden derartige Kontrollen in Nr. 11.2.3 der Anlage 4 zur FeV nur hinsichtlich der Gruppe 2 als Beschränkung bzw. Auflage erwähnt.
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Soweit der Kläger mit Schreiben vom 18. Mai 2022 (BA Bl. 136) einwandte, jahrelang trotz der bekannten Erkrankungen unfallfrei große Strecken gefahren zu sein, ist anzuführen, dass eine zwischenzeitliche, möglicherweise beanstandungsfreie Teilnahme am Straßenverkehr unbeachtlich ist. So kann das Ausbleiben spezifischer Auffälligkeiten ebenso gut auf einer lediglich zeitweiligen Anpassung oder auf bloßem Zufall beruhen. Auch bringt es schon die relativ geringe Kontrolldichte im Straßenverkehr mit sich, dass häufig trotz fortbestehender Erkrankungen über einen langen Zeitraum keine Auffälligkeiten aktenkundig werden (vgl. OVG NRW, B.v. 7.4.2014 – 16 B 89/14 – juris Rn. 13 im Rahmen einer fortbestehenden Drogenproblematik).
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.