Inhalt

VGH München, Beschluss v. 23.08.2024 – 10 ZB 22.2522
Titel:

Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Personalienfeststellung/Identitätsfeststellung

Normenkette:
VwGO § 124 Abs. 2, Abs. 5 S. 2
Leitsätze:
1. Die von § 124a Abs. 4 S. 4 VwGO geforderte Darlegung des Zulassungsgrundes gem. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erfordert innerhalb der Zulassungsbegründungsfrist von zwei Monaten eine konkret fallbezogene und hinreichend substantiierte Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung; es muss dargelegt werden, dass und weshalb das VG entscheidungstragende Rechts- und Tatsachenfragen unrichtig entschieden hat, wobei "darlegen" schon nach allgemeinem Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis bedeutet; "etwas darlegen" bedeutet vielmehr so viel wie "erläutern", "erklären" oder "näher auf etwas eingehen". (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der bloße Verweis auf die "dargestellten rechtlich schwierigen Fragen des Falles" ergibt keine konkrete, nachvollziehbare Fragestellung iSd § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Polizeirecht, Identitätsfeststellung durch Bundespolizei („racial profiling“), (Fortsetzungs-) Feststellungsinteresse, unzureichende Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung, Identitätfeststellung, Polizei, Fortsetzungsfeststellungsklage, (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresse, racial-profiling, Zulassung der Berufung, Antrag, Begründung, Darlegungsanforderungen
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 29.06.2022 – M 23 K 19.6319
Fundstelle:
BeckRS 2024, 22262

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5000,- € festgesetzt.

Gründe

1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Fortsetzungsfeststellungsklage weiter, mit der er die Feststellung erreichen will, dass die von Bundespolizeibeamten am 27. Dezember 2018 bei ihm durchgeführte Personalienfeststellung / Identitätsfeststellung rechtswidrig gewesen sei, weil er damit im Sinne eines „racial profiling“ diskriminiert worden sei.
2
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) noch besondere rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 (2.) noch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (3.).
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Die von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geforderte Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert innerhalb der Zulassungsbegründungsfrist von zwei Monaten eine konkret fallbezogene und hinreichend substantiierte Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung; es muss dargelegt werden, dass und weshalb das Verwaltungsgericht entscheidungstragende Rechts- und Tatsachenfragen unrichtig entschieden hat (BayVGH, B.v. 29.4.2020 – 10 ZB 20.104 – juris Rn. 3), wobei „darlegen“ schon nach allgemeinem Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis bedeutet; „etwas darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – juris Rn. 3 m.w.N.).
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Gemessen daran werden mit dem Zulassungsantrag ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht dargelegt.
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Das Verwaltungsgericht hat ein Feststellungs- bzw. Fortsetzungsfeststellungsinteresse verneint, soweit sich die Klage auf die „nicht weiter thematisierte“ Rechtmäßigkeit der damaligen Grenzkontrollen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland durch die Bundespolizei „an sich“ beziehe. Ein solches Feststellungs- bzw. Fortsetzungsfeststellungsinteresse folge weder aus der Fallgruppe der Präjudizialität noch aus der des Rehabilitierungsinteresses noch aus der der Wiederholungsgefahr; es ergebe sich auch nicht deshalb, weil die polizeilichen Kontrollmaßnahmen mit einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff in Sinne der Rechtsprechung verbunden gewesen wären.
6
Soweit die Klage hingegen „im Wesentlichen und im Kern“ mit einer diskriminierenden Wirkung der vorgenommenen Identitätsfeststellung gegenüber dem Kläger („racial profiling“) begründet worden sei, erkenne das Gericht ihm ein relevantes Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu, insbesondere im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG.
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In der Sache vermöge das Gericht jedoch eine über subjektive Eindrücke hinausgehende Diskriminierung bzw. Ungleichbehandlung nicht zu erkennen. Es sei keine Kriterienbestimmung in Bezug auf die Hautfarbe im Sinne der einschlägigen Rechtsprechung ersichtlich. Es sei nicht widerlegbar, dass nicht nur der Kläger und sein Sohn, sondern auch vier weitere – insofern unbekannte – Personen in dem Zug kontrolliert worden seien. Nach den Darlegungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung sowie nach dem Inhalt der Aussagen der befragten Polizisten sei im Fall des Klägers gerade keine unzulässige zielgerichtete Motivation bzw. seien auch nicht in einem unterstellten Motivbündel unzulässige wesentliche Gesichtspunkte zu erkennen gewesen. Die Tatsache, dass sich die damals beteiligten Polizisten nicht mehr detailliert an den Kontrollvorgang hätten erinnern können, sei auch mitverursacht durch die späte Klageerhebung nach nahezu einem Jahr.
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Die Begründung des Zulassungsantrags, die der Senat seiner Beurteilung zugrunde zu legen hat (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO), ist schon im Ansatz unzutreffend, soweit sie davon ausgeht, dass das Verwaltungsgericht „die Klage“ als unzulässig abgewiesen habe, weil ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht bestehe; im Weiteren wird insbesondere ausgeführt, das Gericht habe zu Unrecht eine tiefgreifende spezifische Grundrechtsverletzung verneint. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht dem Kläger in Hinblick auf eine diskriminierende Behandlung („racial profiling“) – worauf es dem Kläger ausweislich der Ausführungen in der Begründung des Zulassungsantrags offensichtlich alleine ankommt – ausdrücklich ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zuerkannt und die Klage insoweit für zulässig gehalten. Die Darlegungen, dass es sich bei der Identitätsfeststellung des Klägers – nach seinem Vortrag allein aufgrund seiner Hautfarbe – um eine tiefgreifende spezifische Grundrechtsverletzung gehandelt habe, weshalb die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen worden sei, gehen damit ins Leere.
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Auch soweit – zugunsten des Klägers – einzelne Ausführungen im Rahmen des Vortrags zur tiefgreifenden spezifischen Grundrechtsverletzung und damit zur Zulässigkeit der Klage als Ausführungen in Bezug auf die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahme und damit die Begründetheit der Klage herangezogen werden, kann dies die inhaltliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils nicht durchgreifend in Frage stellen.
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Insoweit will der Kläger offenbar – unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 18. Oktober 2022 (EGMR, U.v. 18.10.2022 – 215/19 – BeckRS 2022, 27643 = NJW 2023, 139; dazu Payandeh, Racial Profiling vor dem EGMR, NJW 2023, 123) – geltend machen, das Verwaltungsgericht sei, ebenso wie bereits die Bundespolizei, seiner Aufklärungspflicht nicht nachgekommen. Das Vorbringen hierzu ist aber unsubstantiiert und oberflächlich. Es wird etwa beanstandet, dass die vorhandene Kontrollliste der Bundespolizei nicht offengelegt worden sei; diese befindet sich jedoch in der Akte des Verwaltungsgerichts (Anlage 1 zum Schriftsatz der Bundespolizei vom 20.2.2020; dazu auch Schriftsatz vom 15.3.2022), und die dort unkenntlich gemachten Zeilen beziehen sich nach Angaben der Beklagten nicht die hier betroffene Zugverbindung. Weiter haben die schriftlichen Stellungnahmen der eingesetzten Polizeibeamten auch nicht pauschal ergeben, „keine Erinnerung zu haben“; dies trifft nur auf drei der Polizeibeamten zu. Zwei weitere, darunter der Truppführer, haben inhaltliche Stellungnahmen abgegeben, jedoch die vom Kläger erhobenen Vorwürfe nicht bestätigen können. Das Verwaltungsgericht hat nicht zu Unrecht darauf hingewiesen, dass die Tatsache, dass sich die damals beteiligten Polizisten nicht mehr an Details des Kontrollvorgangs erinnern konnten, mitverursacht sei durch die späte Klageerhebung nach fast einem Jahr (19.12.2019). Eine Zeugenvernehmung der Polizeibeamten ebenso wie auch des Sohnes des Klägers musste sich dem Gericht auch nicht aufdrängen. Gemäß der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 8. Dezember 2021 wurde damals eingehend über mögliche Zeugen und deren persönliche oder schriftliche Einvernahme gesprochen, wobei die Beteiligten mit dem vom Gericht vorgesehenen Vorgehen einverstanden waren. Die Klägerseite hat weder in der mündlichen Verhandlung noch im anschließenden schriftlichen Verfahren einen Beweisantrag gestellt, vielmehr schriftsätzlich einer Entscheidung ohne weitere mündliche Verhandlung zugestimmt.
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2. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegen vor, wenn der konkret zu entscheidende Fall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht von normalen verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten deutlich abgehoben ist, d.h. wenn er sich im Schwierigkeitsgrad von den in anderen Verfahren zu entscheidenden Fragen signifikant unterscheidet. Die Schwierigkeit des Falles ist aus Sicht des Oberverwaltungsgerichts und im Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung zu beurteilen (BayVGH, B.v. 4.3.2019 – 10 ZB 18.2195 – juris Rn. 17; B.v. 10.12.2018 – 10 ZB 16.1511 – juris Rn. 22; B.v. 27.9.2017 – 10 ZB 16.832 – juris Rn. 24; Roth in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.4.2024, § 124 Rn. 43, 51, jew. m.w.N.; Happ in Eyermann, 16. Auflage 2022, § 124 Rn. 27 ff.). Die tatsächliche oder rechtliche Frage, die solche Schwierigkeiten aufwirft, muss dabei entscheidungserheblich sein (BayVGH, B.v. 13.1.2023 – 10 ZB 22.1408 – juris Rn. 17).
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Die Zulassungsbegründung zeigt keine besonderen, von anderen verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten deutlich abgehobenen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten auf. Der vage Hinweis auf besondere rechtliche Schwierigkeiten bei der Frage des Feststellungsinteresses bei kurzfristig sich erledigenden Maßnahmen genügt dem nicht. Wie dargelegt, ist diese Frage nicht entscheidungserheblich, weil das Verwaltungsgericht unabhängig von dieser Frage ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bejaht und die Klage als zulässig angesehen hat.
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3. Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. z. B. BayVGH, B.v. 18.11.2022 – 10 ZB 21.2465 – juris Rn. 19; B.v. 23.1.2020 – 10 ZB 19.2235 – juris Rn. 4; B.v. 14.2.2019 – 10 ZB 18.1967 – juris Rn. 10).
14
Diese Anforderungen sind hier nicht erfüllt. Der Kläger benennt keine konkrete klärungsbedürftige Frage und verweist lediglich auf die „dargestellten rechtlich schwierigen Fragen des Falles“. Eine konkrete, nachvollziehbare Fragestellung ergibt sich daraus nicht. Im Übrigen ist die Frage bezüglich eines „qualifizierten Grundrechtseingriffs als Voraussetzung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses in den Fällen sich typischerweise kurzfristig erledigender Maßnahmen“ mittlerweile höchstrichterlich entschieden worden (BVerwG, U.v. 24.4.2024 – 6 C 2.22 – juris).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 1 und Abs. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).