Titel:
Voraussetzungen und Umfang des Anspruches eines Strafmündigen auf Löschung seiner personenbezogenen Daten im staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister
Normenketten:
EGGVG § 23
StPO § 489
BDSG § 58 Abs. 2
Leitsätze:
Die Ablehnung eines Antrags auf Löschung der in einem staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister gespeicherten Daten stellt einen Justizverwaltungsakt im Sinne der §§ 23 ff. EGGVG dar. (Rn. 20)
Ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung noch innerhalb der gesetzlichen Ausschlussfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG bei einer unzuständigen Justizbehörde eingegangen, ist diese aufgrund der ihr obliegenden dem Gebot des fairen Verfahrens entspringenden Fürsorgepflicht verpflichtet, den Antrag an die zuständige Justizbehörde weiterzuleiten, soweit dies im ordentlichen Geschäftsgang möglich ist. Unterbleibt dies, ist dem Antragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. (Rn. 29 – 47)
Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 im Strafverfahren sowie zur Anpassung datenschutzrechtlicher Bestimmungen an die Verordnung (EU) 2016/679 vom 20.11.2019 (BGBl. I 1724) am 26.11.2019 begründet § 58 Abs. 2 BDSG i.V.m. § 500 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, § 489 StPO als Ausprägung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung das subjektive Recht des Betroffenen auf Löschung personenbezogener Daten in Dateien der Strafjustizbehörden. (Rn. 49)
Die Speicherung personenbezogener Daten von zur Tatzeit strafunmündigen Kindern (§ 19 StGB) kann in der Regel nicht auf §§ 483 ff. StPO als gesetzliche Grundlage gestützt werden, da diese nicht Beschuldigte sein können. (Rn. 52 – 59)
Ausnahmsweise ist die Speicherung personenbezogener Daten eines zur Tatzeit Strafunmündigen für Zwecke des Strafverfahrens zulässig, wenn das Alter des Verdächtigen zum Zeitpunkt der Speicherung nicht bekannt oder zweifelhaft war oder eine strafmündige Person an der Tat in irgendeiner Form mitgewirkt hat, ferner für Zwecke der Vorgangsverwaltung, soweit diese dafür erforderlich ist, sowie dann, wenn noch Mitteilungspflichten (etwa zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung) zu erfüllen sind. (Rn. 55)
Die weitere Speicherung personenbezogener Daten zum Zwecke der Vorgangsverwaltung ist nicht mehr zulässig, wenn die Kenntnis der Daten für den Speicherungszweck nicht mehr erforderlich ist. (Rn. 64)
Das „Erforderlichsein“ in diesem Sinne ist von der verantwortlichen Behörde umfassend im Rahmen einer individuellen Prüfung darzulegen. Diese muss im Rahmen einer individuellen Prüfung im jeweiligen Einzelfall eine Abwägung des Rechtes des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung und des Interesses der Allgemeinheit nach dem konkreten Speicherungszweck unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vornehmen. (Rn. 74 – 75)
Das „Erforderlichsein“ im Sinne des § 489 Abs. 1 Nr. 3 StPO und § 58 Abs. 2 BDSG unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der vollen gerichtlichen Überprüfung. (Rn. 76)
Das grundlegende Erfordernis der Speicherung von gewissen personenbezogenen Daten besteht auch bei Strafunmündigen, da eine Aktenverwaltung und Archivierung ohne diese Daten für die Dauer der Aufbewahrungsfristen bereits aus rein organisatorischen Gründen nicht möglich ist, es sei denn, dass ausgeschlossen werden kann, dass die vorhandenen Daten die Arbeit der zuständigen Behörde noch fördern können. (Rn. 82 – 83)
Es ist allein eine Speicherung und Nutzung solcher Daten, die für die Archivierung, Fristenkontrolle und Wiederauffindbarkeit der Akten notwendig sind, erforderlich. Hinsichtlich der Personalien ist insoweit jedenfalls die Speicherung von Familienname, Vornamen, Geburtsdatum und Geburtsort ausreichend, da hierdurch eine eindeutige Individualisierung des Betroffenen möglich ist und Verwechslungen mit anderen Personen ausgeschlossen werden können. (Rn. 88 – 100)
Nicht vom Speicherungszweck der Vorgangsverwaltung umfasst und damit zu löschen sind dagegen die Wohnanschrift, die Staatsangehörigkeit und der Familienstand. (Rn. 90)
Grundsätzlich zu löschen sind auch die Angabe des gesetzlichen Tatbestandes und der Tatzeit. Da dies aus technischen Gründen im staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister jedoch nicht möglich ist, genügt insoweit die Sperrung dieser Daten durch die Staatsanwaltschaft. (Rn. 91 – 100)
Die weitere Speicherung personenbezogener Daten zum Zwecke der Vorgangsverwaltung ist nicht mehr zulässig, wenn die Kenntnis der Daten für den Speicherungszweck nicht mehr erforderlich ist. Hinsichtlich der Personalien ist insoweit die Speicherung von Familienname, Vornamen, Geburtsdatum und Geburtsort ausreichend, während Wohnanschrift, Staatsangehörigkeit und Familienstand zu löschen sind. Grundsätzlich zu löschen sind auch die Angabe des gesetzlichen Tatbestandes und der Tatzeit. Da dies aus technischen Gründen im staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister jedoch nicht möglich ist, genügt insoweit die Sperrung dieser Daten durch die Staatsanwaltschaft. (Rn. 88 – 100) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
Speicherung personenbezogener Daten, Löschungsanspruch, Strafunmündiger, Personalien, Verfahrensregister der Staatsanwaltschaft
Fundstellen:
BeckRS 2024, 22054
FDStrafR 2024, 022054
Tenor
1. Der Bescheid der Leitenden Oberstaatsanwältin in Nürnberg-Fürth vom 30. November 2023 wird aufgehoben, soweit die Löschung folgender personenbezogener Daten des Antragstellers aus dem Verfahrensregister der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth abgelehnt worden ist:
2. Die Leitende Oberstaatsanwältin in Nürnberg-Fürth wird verpflichtet, den Antrag des Betroffenen auf Löschung seiner personenbezogenen Daten, soweit es die Speicherung der Wohnanschrift, der Staatsangehörigkeit und des Familienstandes betrifft, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu verbescheiden.
3. Im Übrigen wird der Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen.
4. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
1
Der am xx.xx…. geborene Antragsteller wurde am 27.09.2022 von einem Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma angehalten, weil er verdächtigt wurde, im Back-Shop eines Lebensmitteldiscounters im Hauptbahnhof N. aus der Auslage eine Getränkedose, eine Flasche Vitamin-Wasser, eine Packung „After Eight“ sowie eine Packung Snickers entnommen und im Anschluss daran den Laden verlassen zu haben, ohne die Ware zu bezahlen. Er habe die herbeigerufenen Beamten der Bundespolizeiinspektion Nürnberg mit den Worten begrüßt: „Was wollt Ihr denn hier? Ich bin strafunfähig.“
2
Die Bundespolizeidirektion M., Bundespolizeiinspektion N., übersandte mit Abverfügung vom 11.11.2022 den Vorgang, der aus ihrem Ermittlungsbericht, der Strafanzeige des Geschädigten sowie einem durch eine Vorladung veranlassten Telefaxschreiben des Vaters des Antragstellers bestand, „zuständigkeitshalber“ an die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth „zur weiteren Entscheidung“. Dieser ist dort gemäß Eingangsstempel am 09.01.2023 eingegangen.
3
Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth erfasste diesen Vorgang unter dem Aktenzeichen 607 Js 50407/23, legte eine aus den übersandten Unterlagen bestehende Ermittlungsakte gegen den Antragsteller wegen des Verdachts des Diebstahls geringwertiger Sachen gemäß § 242 i.V.m. § 248a StGB an und sah mit Verfügung vom 12.01.2023 von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 152 Abs. 2 StGB ab, da der Beschuldigte zur Tatzeit noch nicht 14 Jahre alt und damit schuldunfähig (§ 19 StGB) gewesen sei. Gleichzeitig verfügte sie die Sperrung des Vorgangs im Verfahrensregister web.sta aus datenschutzrechtlichen Gründen und die Weglage der Akten.
4
Ausweislich des Akteninhalts erfolgten keine Mitteilungen gemäß Nr. 35 MiStra an das Stadtjugendamt oder an das Familiengericht.
5
Mit Schreiben vom 05.09.2023 baten die Eltern des Antragstellers die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth um Auskunft zu allen die Person des Antragstellers betreffenden, bei ihr hinterlegten Daten und um deren sofortige Löschung.
6
Die Leitende Oberstaatsanwältin in Nürnberg-Fürth wies mit Bescheid vom 30.11.2023 den Antrag vom 05.09.2023 auf Löschung aller erhobenen Daten des Antragstellers im Verfahren 607 Js 50407/23 zurück.
7
Sie teilte in diesem Bescheid mit, dass im Verfahrensregister web.sta persönliche Daten des Antragstellers, nämlich Geschlecht, vollständiger Name, Geburtsdatum und -ort, Geburtsname sowie Anschrift, Staatsangehörigkeit und Familienstand gespeichert seien. Diese Daten seien mit dem ebenfalls gespeicherten Verfahren 607 Js 50407/23, das folgende Daten enthält, verknüpft:
Aktenzeichen
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Status
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Tatvorwurf
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Tatzeit
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Herkunfts.AZ
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Herkunftsbehörde
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607 Js 50407/23
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erledigt
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Diebstahl
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27.09.2022
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865070/2022
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BPOLI Nürnberg
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8
Ein Anspruch auf Löschung dieser personenbezogenen Daten gemäß § 489 Abs. 1 StPO, § 75 Abs. 2 BDSG bestehe nicht, weil die Speicherung für Zwecke des Strafverfahrens (§ 483 StGB) und für Zwecke der Vorgangsverwaltung (§ 485 StGB) noch erforderlich sei.
9
Dieser an den Vater des Antragstellers gerichtete und adressierte, mit einer Rechtsbehelfsbelehrungversehene Bescheid wurde am 05.12.2023 durch Einlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt, wobei die Postzustellungsurkunde den Namen des Antragstellers als Zustellungsempfänger enthielt.
10
Mit an das Amtsgericht Hersbruck gerichtetem Schreiben vom 05.12.2023, dort eingegangen am selben Tag, stellten die Eltern des Antragstellers als Erziehungsberechtigte des antragstellenden Kindes Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Justizbescheid der Leitenden Oberstaatsanwältin in Nürnberg-Fürth vom 30.11.2023, zugegangen am 05.12.2023. Der Antragsteller begehrt die Löschung seiner personenbezogenen Daten durch Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung.
11
Das Amtsgericht Hersbruck verfügte am 07.12.2023 die Weiterleitung des Antrags „zuständigkeitshalber“ an das Oberlandesgericht Nürnberg. Laut Eingangstempel vom 11.12.2023 ist der Antrag bei der Gemeinsamen Poststelle der Justiz Nürnberg eingegangen, wobei nicht ersichtlich ist, ob er dort dem Oberlandesgericht vorgelegt oder sogleich wieder in den Postauslauf gelegt wurde. Für letzteres würde sprechen, dass er einen zweiten Eingangsstempel der Gemeinsamen Poststelle der Justiz Nürnberg mit dem Datum 13.12.2023 trägt und ohne erkennbare gerichtliche Verfügung gemäß Eingangsstempel der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg dort am 13.12.2023 einging. Der Generalstaatsanwalt in Nürnberg übersandte das Zuleitungsschreiben des Amtsgerichts Hersbruck vom 07.12.2023 samt Antrag vom 05.12.2023 mit Schreiben vom 15.12.2023 an die Leitende Oberstaatsanwältin in Nürnberg-Fürth, wo es am 18.12.2023 einging, „mit der Bitte um Kenntnisnahme und weitere Behandlung, insbesondere Vorlage des Antrags auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 23 EGGVG über die Generalstaatsanwaltschaft München an das BayObLG“. Die Leitende Oberstaatsanwältin in Nürnberg-Fürth sandte schließlich mit Schreiben vom 28.12.2023 das Antragsschreiben vom 05.12.2023 mit den Ermittlungsakten an den Generalstaatsanwalt in München (dortiger Eingang: 18.01.2024) mit der Bitte, die Verfahrensakte dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Entscheidung über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zuzuleiten. Dies erfolgte sodann mit Antragsschreiben der Generalstaatsanwaltschaft München vom 22.01.2024, das zusammen mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung und der Verfahrensakte der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth beim Bayerischen Obersten Landesgericht am 26.01.2024 einging.
12
Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragte mit Schreiben vom 22.01.2024, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung des durch seine Eltern gesetzlich vertretenen Antragstellers als unzulässig zu verwerfen, da die Antragsfrist nicht eingehalten worden sei.
13
Mit Schreiben vom 24.01.2024 machten die Eltern des Antragstellers ergänzende Ausführungen zu dessen Antrag vom 05.12.2023.
14
Mit Schreiben seiner Eltern vom 02.02.2024, hier eingegangen am selben Tag, beantragte der Antragsteller vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 26 Abs. 2 EGGVG). Er entgegnete auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft München, dass laut der dem Bescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung, auf die er habe vertrauen dürfen, der Antrag auf gerichtliche Entscheidung innerhalb eines Monats nach Zustellung oder schriftlicher Bekanntgabe schriftlich oder zur Niederschrift (wahlweise) bei der Geschäftsstelle des Bayerischen Obersten Landesgerichts oder eines Amtsgerichts gestellt werden könne. Justizinterne mögliche Fehlleitungen wie auch insbesondere fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrungen seien dem Antragsteller nicht anzulasten. Ergänzend werde auf das Telefax an das Bayerische Oberste Landesgericht vom Abend des 18.12.2023 hingewiesen, das unter Bezugnahme auf den Justizbescheid vom 30.11.2023 wie auch den Ursprungsantrag vom 05.12.2023 unschwer ebenfalls als begründeter Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewertet werden könne.
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Mit Schreiben vom 29.02.2024 wies der Senat darauf hin, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Frist des § 26 Abs. 1 EGGVG gemäß § 26 Abs. 2 EGGVG in Betracht komme, und gab der Generalstaatsanwaltschaft München Gelegenheit, zur Begründetheit des Antrags sowie zu einzelnen Fragen Stellung zu nehmen.
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Mit Schreiben vom 25.04.2024 beantragte die Generalstaatsanwaltschaft München, sollte dem Antragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, den Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung vom 05.12.2023 als unbegründet zu verwerfen. Sie legte hierbei das Schreiben der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vom 28.03.2024 vor, in dem diese zu den vom Senat aufgeworfenen Fragen Stellung nahm.
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Der Antragsteller, vertreten durch seine Eltern als gesetzliche Vertreter, nahm hierzu mit Schreiben vom 18.05.2024 Stellung und hielt an seinem bisherigen Vorbringen fest.
18
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig.
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1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist gemäß § 25 Abs. 2 EGGVG i.V.m. Art. 12 Nr. 3 BayAGGVG für Entscheidungen in Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG zuständig.
20
Der Antrag ist nach § 23 Abs. 1 und 2 EGGVG statthaft. Gegenstand des Antrags auf gerichtliche Entscheidung ist die Ablehnung der Leitenden Oberstaatsanwältin in Nürnberg-Fürth, die zum Aktenzeichen 607 Js 50407/23 im staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister gespeicherten personenbezogenen Daten des Antragstellers (§ 46 Nr. 2 BDSG) im Sinne der §§ 483 ff. StPO zu löschen. Bei der Ablehnung eines Antrags auf Löschung der in einem staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister gespeicherten Daten handelt es sich um eine Maßnahme, die die Staatsanwaltschaft als Justizbehörde zur Regelung einer einzelnen Angelegenheit auf dem Gebiet der Strafrechtspflege trifft. Der angefochtene Bescheid stellt daher einen Justizverwaltungsakt im Sinne der §§ 23 ff. EGGVG dar (vgl. OLG Frankfurt, Beschlüsse vom 20.12.2022 – 3 VAs 14/22 –, StV-Spezial 2022, 66, juris Rn. 7; vom 17.01.2008 – 3 VAs 47/07 – 48/07 –, NStZ-RR 2008, 183, juris Rn. 13; vom 20.07.2010 – 3 VAs 19/10 –, NStZ-RR 2010, 350, juris Rn. 6; OLG Hamburg, Beschluss vom 24.10.2008 – 2 VAs 5/08 –, NStZ 2009, 707, juris Rn. 15; OLG Hamm, Beschlüsse vom 15.06.2010 – 1 VAs 16/10 –, juris Rn. 16; vom 26.02.2021 – III-1 VAs 74/20 –, juris Rn. 10; KK-StPO/Gieg, 9. Aufl. 2023, § 489 Rn. 7).
21
Mangels eines förmlichen Rechtsbehelfs bedurfte es keines Vorschaltverfahrens nach § 24 Abs. 2 EGGVG (OLG Hamm, Beschluss vom 26.02.2021 – III-1 VAs 74/20 –, juris Rn. 11).
22
2. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist allerdings verspätet eingegangen.
23
a) Die gesetzliche Ausschlussfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG von einem Monat berechnet sich einheitlich nach § 222 ZPO, § 16 Abs. 2 FamFG in Verbindung mit §§ 186 ff. BGB, wobei der Tag des den Fristbeginn auslösenden Ereignisses nicht mitzählt (§ 187 Abs. 1 BGB; vgl. Mayer in: Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, EGGVG § 26 Rn. 2).
24
aa) Der Fristbeginn wurde nicht durch die Postzustellung des zuzustellenden Bescheids der Leitenden Oberstaatsanwältin vom 30.11.2023 am 05.12.2023 ausgelöst. Denn laut der Postzustellungsurkunde erfolgte die Zustellung an den minderjährigen Antragsteller selbst, also an eine prozessunfähige Person (§ 51 Abs. 1, § 52 ZPO i.V.m. §§ 104, 112, 113 BGB; vgl. hierzu BeckOK ZPO/Hübsch, 51. Ed. 01.12.2023, § 52 Rn. 3). Zustellungen an prozessunfähige Personen sind gemäß § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO unwirksam (vgl. MüKoZPO/Häublein/Müller, 6. Aufl. 2020, § 170 Rn. 6).
25
bb) Allerdings wurde der Zustellungsmangel gemäß § 189 ZPO dadurch geheilt, dass der zuzustellende Bescheid dem Vater des minderjährigen Antragstellers als dessen gesetzlichem Vertreter am 05.12.2023 tatsächlich zugegangen ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 12.03.2015 – III ZR 207/14 –, BGHZ 204, 268, juris Rn. 15 ff.; BeckOK ZPO/Dörndorfer, a.a.O., § 170 Rn. 3). Der Umstand sowie das Datum des tatsächlichen Zugangs ergeben sich aus dem von beiden Elternteilen unterzeichneten Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 05.12.2023. Da der Bescheid vom 30.11.2023 an den Vater des betroffenen Kindes gerichtet war, der auch den Löschungsantrag (unter Versicherung der ordnungsgemäßen Bevollmächtigung durch die Kindsmutter) gestellt hat, ist das Dokument der Person zugegangen, die als Adressat angegeben ist und bei der es sich als einem der gesetzlichen Vertreter des Betroffenen (§ 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB) gemäß § 170 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO um den richtigen Adressaten handelt (vgl. MüKoZPO/Häublein/ Müller, a.a.O., § 189 Rn. 14).
26
b) Die Monatsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG begann somit gemäß § 187 Abs. 1 BGB am 06.12.2023 und endete gemäß § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit Ablauf des 05.01.2024 (vgl. BeckOK BGB/Henrich, 65. Ed. 01.02.2023, § 188 Rn. 3). Die eventuelle Fehlerhaftigkeit der erteilten Rechtsbehelfsbelehrungwirkt sich auf Beginn und Ablauf der Frist nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 16.10.2003 – IX ZB 36/03 –, NJW-RR 2004, 408, juris Rn. 7 ff.).
27
c) Der Antrag vom 05.12.2023 „auf gerichtliche Entscheidung gegen den Justizbescheid der Leitenden Oberstaatsanwältin (StA) in Nürnberg-Fürth vom 30.11.2023 …“ ist erst zusammen mit dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft München vom 22.01.2024 beim Bayerischen Obersten Landesgericht am 26.01.2024 und damit nach Ablauf der Monatsfrist eingegangen.
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Soweit sich der Antragsteller im Schreiben vom 02.02.2024 darauf beruft, er habe dem Bayerischen Obersten Landesgericht am 18.12.2023 ein Telefax übersandt, das – unter Bezugnahme auf den Justizbescheid vom 30.11.2023 wie auch den Ursprungsantrag vom 05.12.2023 – unschwer als begründeter Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewertet werden könne, liegt ein solches Telefax dem Senat nicht vor. Hierauf kommt es aber nicht an.
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3. Dem Antragsteller ist nämlich hinsichtlich der versäumten Frist zur Antragstellung antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 26 Abs. 2 Satz 1 EGGVG), da er ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten.
30
a) Die unrichtige Adressierung seines Antrags auf gerichtliche Entscheidung an das Amtsgericht Hersbruck als dem unzuständigen Gericht war, auch wenn diese auf einem Verschulden des Antragstellers beruhen würde, letztlich nicht ursächlich für den verspäteten Eingang beim Bayerischen Obersten Landesgericht. Denn ein solches Verschulden wird jedenfalls durch eine Mitverantwortung der Justizbehörden überlagert.
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Bereits das Amtsgericht Hersbruck hatte seine Unzuständigkeit erkannt und verfügte demgemäß am 07.12.2023 die Weiterleitung des Antrags „zuständigkeitshalber“ an das Oberlandesgericht Nürnberg. Dieses war allerdings ebenfalls nicht zuständig. Die ausschließliche sachliche Gerichtszuständigkeit für Verfahren über die Anfechtung von Justizverwaltungsakten auf den in § 23 Abs. 1 EGGVG genannten Gebieten richtet sich zwar nach § 25 EGGVG, wonach grundsätzlich die Oberlandesgerichte zuständig sind (vgl. Mayer in Kissel/Mayer, a.a.O., EGGVG § 25 Rn. 1). In Bezug auf die Justizverwaltungsbehörden des Freistaats Bayern ergibt sich aber aus dem seit 01.02.2019 geltenden Art. 12 Nr. 3 BayAGGVG, womit von der Konzentrationsermächtigung des § 25 Abs. 2 EGGVG Gebrauch gemacht worden ist, die Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts anstelle der Oberlandesgerichte Bamberg, München und Nürnberg.
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Dessen Zuständigkeit wurde aber spätestens am 15.12.2023 vom Generalstaatsanwalt in Nürnberg erkannt, so dass dieser – ausgehend von der ihm als Aufsichtsbehörde obliegenden Fürsorgepflicht – gehalten gewesen wäre, den Antrag im normalen Geschäftsgang dem Bayerischen Obersten Landesgericht unmittelbar zuzuleiten.
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b) Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
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aa) Die Thematik der Wiedereinsetzung bei verspäteter Weiterleitung von unzutreffend adressierten Rechtsbehelfen wird im Allgemeinen nur im Zusammenhang mit der Einlegung eines Rechtsmittels beim erstinstanzlichen Gericht statt beim zuständigen Rechtsmittelgericht diskutiert. Die Frage, ob eine Prozesspartei, die einen fristgebundenen Rechtsmittelschriftsatz bei einem unzuständigen Gericht einreicht, darauf vertrauen darf, dass dieses Gericht den Schriftsatz an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterleiten werde, ist im einschlägigen Verfahrensrecht nicht geregelt (BVerfG, Beschluss vom 20.06.1995 – 1 BvR 166/93 –, BVerfGE 93, 99, juris Rn. 43). Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung besteht keine generelle Fürsorgepflicht des unzuständigen Gerichts, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern.
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(1) Die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge verfassungsrechtlich geboten ist, kann sich nicht nur am Interesse des Rechtsuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern muss auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss. Danach muss der Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf unzuständige Gerichte verlagert werden (BVerfG, Beschluss vom 20.06.1995 – 1 BvR 166/93 –, BVerfGE 93, 99, juris Rn. 45; Kammerbeschluss vom 17.01.2006 – 1 BvR 2558/05 –, BVerfGK 7, 198, juris Rn. 8; BGH, Beschluss vom 09.12.2021 – V ZB 12/21 –, NJW-RR 2022, 567, juris Rn. 6 m.w.N.). Demgemäß sind der gerichtlichen Fürsorgepflicht im Interesse der Funktionsfähigkeit der Justiz enge Grenzen gesetzt, so dass ein Gericht nur unter besonderen Umständen gehalten sein kann, einem drohenden Fristversäumnis seitens der Partei entgegenzuwirken. So darf es nicht sehenden Auges zuwarten, bis die Partei Rechtsnachteile erleidet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20.06.2012 – IV ZB 18/11 –, NJW-RR 2012, 1269, juris Rn. 13; vom 15.06.2004 – VI ZB 9/04, NJW-RR 2004, 1364, juris Rn. 9). Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts „ohne Weiteres“ bzw. „leicht und einwandfrei“ zu erkennen ist und die nicht rechtzeitige Aufdeckung der nicht gegebenen Zuständigkeit auf einem offenkundig nachlässigen Fehlverhalten des angerufenen Gerichts beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 09.12.2021 – V ZB 12/21 –, NJW-RR 2022, 567, juris Rn. 6). So liegt es etwa, wenn die Rechtsmittelschrift versehentlich an das Ausgangsgericht gerichtet und damit für die Geschäftsstelle offenkundig falsch adressiert war (BGH, Beschluss vom 09.12.2021 – V ZB 12/21 –, NJW-RR 2022, 567, juris Rn. 6).
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(2) Die Abwägung zwischen den betroffenen Belangen fällt somit etwa dann zugunsten des Rechtssuchenden aus, wenn das angegangene Gericht zwar für das Rechtsmittelverfahren nicht zuständig ist, jedoch vorher mit dem Verfahren befasst war (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 17.01.2006 – 1 BvR 2558/05 –, BVerfGK 7, 198, juris Rn. 9 m.w.N.). Für ein solches Gericht bestand, während die Sache bei ihm anhängig war, die aus dem Gebot eines fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) folgende Fürsorgepflicht gegenüber den Prozessparteien. Es wird nicht unangemessen belastet, wenn ihm auch noch eine nachwirkende Fürsorgepflicht auferlegt wird (BVerfG, Beschluss vom 20.06.1995 – 1 BvR 166/93 –, BVerfGE 93, 99, juris Rn. 46). Demgemäß ist das im vorangegangenen Rechtszug mit der Sache befasste Gericht aufgrund des verfassungsrechtlichen Anspruchs des Rechtssuchenden auf ein faires Verfahren grundsätzlich verpflichtet, eine entgegen der Verfahrensvorschriften bei ihm eingegangene fristgebundene Beschwerdebegründung im ordentlichen Geschäftsgang an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.06.1995 – 1 BvR 166/93 –, BVerfGE 93, 99, juris Rn. 42, 47 ff.; BGH, Beschluss vom 31.03.2021 – XII ZB 516/20 –, NJW-RR 2021, 724, juris Rn. 19; BayObLG, Beschluss vom 19.08.2021 – 102 VA 74/21 –, NJW-RR 2021, 1643, juris Rn. 43).
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Deshalb darf ein Rechtssuchender darauf vertrauen, dass das mit der Sache bereits befasst gewesene Gericht einen bei ihm eingereichten, aber für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang dorthin weiterleiten wird (BVerfG, Beschluss vom 20.06.1995 – 1 BvR 166/93 –, BVerfGE 93, 99, juris Rn. 47; BGH, Beschluss vom 01.07.2021 – V ZB 71/20 –, NJW-RR 2021, 1317, juris Rn. 7 m.w.N.). Geht der Schriftsatz so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf der Beteiligte auch darauf vertrauen, dass der Schriftsatz noch rechtzeitig beim Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, wirkt sich das Verschulden des Beteiligten oder seines Verfahrensbevollmächtigten nicht mehr aus, so dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (BVerfG, Beschluss vom 20.06.1995 – 1 BvR 166/93 –, BVerfGE 93, 99, juris Rn. 48; Kammerbeschluss vom 17.01.2006 – 1 BvR 2558/05 –, BVerfGK 7, 198, juris Rn. 9; BGH, Beschlüsse vom 01.07.2021 – V ZB 71/20 –, NJW-RR 2021, 1317, juris Rn. 7; vom 31.03.2021 – XII ZB 516/20 –, NJW-RR 2021, 724, juris Rn. 19 m.w.N.; vom 05.10.2005 – VIII ZB 125/04 –, NJW 2005, 3776, juris Rn. 8 m.w.N.; vom 15.06.2004 – VI ZB 75/03 –, NJW-RR 2004, 1655, juris Rn. 7 m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn zwar die Weiterleitung durch das angegangene (unzuständige Gericht) rechtzeitig verfügt wird, aber die Rechtsmittelschrift dennoch verfristet beim zuständigen Gericht eingeht. Jedenfalls vom Zeitpunkt der Weiterleitungsverfügung an liegen die Gründe für eine weitere Verzögerung allein im Verantwortungsbereich des Gerichts und können dem Rechtsmittelführer nicht angelastet werden (BGH, Beschluss vom 23.03.1988 – IVb ZB 96/87 –, FamRZ 1988, S. 829, juris Rn. 12).
38
Anders liegt es, wenn das betreffende Gericht den Mangel nicht rechtzeitig vor Fristablauf erkannt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20.06.2012 – IV ZB 18/11 –, NJW-RR 2012, 1269, juris Rn. 13; vom 15.06.2004 – VI ZB 9/04, NJW-RR 2004, 1364, juris Rn. 9, jeweils zur nicht ordnungsgemäßen Unterzeichnung der Berufungsbegründungsschrift), wobei es auch darauf ankommen kann, ob dem zunächst befassten Geschäftsstellenbeamten die anzuwendende Zuständigkeitsvorschrift bekannt war oder bekannt sein musste (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 05.10.2005 – VIII ZB 125/04 –, NJW 2005, 3776, juris Rn. 10).
39
Diese Grundsätze gelten entsprechend für die Frage, ob der Antrag nach § 23 EGGVG so frühzeitig bei dem erstinstanzlich befassten unzuständigen Gericht eingegangen ist, dass er im ordentlichen Geschäftsgang noch rechtzeitig an das Bayerische Oberste Landesgericht hätte weitergeleitet werden können (vgl. – zur vom Amtsgericht verweigerten Akteneinsicht – BayObLG, Beschlüsse vom 19.08.2021 – 102 VA 74/21 –, NJW-RR 2021, 1643, juris Rn. 44; vom 28.04.2023 – 101 VA 162/22 –, NZI 2023, 463, juris Rn. 48).
40
(3) Selbst wenn das angegangene Gericht vorher nicht mit dem Verfahren befasst war, gilt das Gleiche für eine leicht und einwandfrei als fehlgeleitet erkennbare Rechtsbehelfsschrift. Auch in diesem Fall der offensichtlichen eigenen Unzuständigkeit stellt es für die Funktionsfähigkeit des Gerichts keine übermäßige Belastung dar, in Fürsorge für die Verfahrensbeteiligten einen fehlgeleiteten Schriftsatz im Rahmen des üblichen Geschäftsgangs an das zuständige Gericht weiterzuleiten. Geschieht dies nicht, kann die nachfolgende Fristversäumnis nicht zu Lasten des Rechtssuchenden gehen und es ist Wiedereinsetzung zu gewähren (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 17.01.2006 – 1 BvR 2558/05 –, BVerfGK 7, 198, juris Rn. 9).
41
(4) Dieser Grundsatz ist von der Rechtsprechung auf Behörden übertragen worden. Denn auch für diese besteht grundsätzlich die Verpflichtung, leicht und einwandfrei als fehlgeleitet erkennbare Schriftstücke (etwa fristwahrende Einspruchsschreiben) im Zuge des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs ohne schuldhaftes Zögern an die zuständige Behörde weiterzuleiten (vgl. – zur Finanzbehörde – BVerfG, Kammerbeschluss vom 02.09.2002 – 1 BvR 476/01 –, NJW 2002, S. 3692, juris Rn. 13 m.w.N.). Dies setzt voraus, dass der Rechtsbehelf so zeitig bei der unzuständigen Behörde eingereicht worden ist, dass die fristgerechte Weiterleitung an die zuständige Behörde im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann. Hierbei besteht aber keine Pflicht zur sofortigen Prüfung und Weiterleitung noch am Tage des Eingangs des Schriftsatzes oder zu einer beschleunigten Weiterleitung (vgl. BFH, Beschluss vom 22.08.2023 – VIII B 76/22 –, BFH/NV 2023, 1324, juris Rn. 3 m.w.N.). Hat die angegangene Behörde die Übermittlung jedoch schuldhaft verzögert oder überhaupt unterlassen, kommt im Falle willkürlichen, offenkundig nachlässigen und nachgewiesenen Fehlverhaltens der Behörde eine Wiedereinsetzung in die Rechtsbehelfsfrist in Betracht (BVerfG, Kammerbeschluss vom 02.09.2002 – 1 BvR 476/01 –, NJW 2002, S. 3692, juris Rn. 13 m.w.N.). Unter den genannten Voraussetzungen kann somit das schuldhafte Handeln des Einspruchstellers durch eine Mitverantwortung der angegangenen Behörde überlagert werden (vgl. BFH, Beschluss vom 22.08.2023 – VIII B 76/22 –, BFH/NV 2023, 1324, juris Rn. 3).
42
bb) Unter Beachtung dieser Rechtsprechungsgrundsätze ist dem Antragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren:
43
(1) Es handelt sich zwar weder um den Fall einer unzutreffenden Einlegung des Rechtsbehelfs beim Ausgangsgericht (anders als in den zitierten Beschlüssen der Zivilsenate des hiesigen Gerichts vom 19.08.2021 – 102 VA 74/21 –, NJW-RR 2021, 1643, juris Rn. 6, und vom 28.04.2023 – 101 VA 162/22 –, NZI 2023, 463, juris Rn. 48, war ein Gericht mit dem Verfahrensgegenstand bislang überhaupt nicht befasst), noch bei der Ausgangsbehörde, also der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth.
44
Legt man aber die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zugrunde, wonach bei einer rechtzeitigen Verfügung der Weiterleitung durch das angegangene (unzuständige) Gericht die Gründe für eine weitere Verzögerung allein im Verantwortungsbereich des Gerichts liegen und der Partei nicht angelastet werden können (BGH, Beschluss vom 23.03.1988 – IVb ZB 96/87 –, FamRZ 1988, S. 829, juris Rn. 12), kann nichts anderes im vorliegenden Fall gelten, in dem mehrere mit der Weiterleitung des Antragsschreibens befasste Stellen entweder allgemein gesehen haben, dass das in § 26 EGGVG genannte Gericht sachlich zuständig ist, oder im besonderen die Zuständigkeit des hiesigen Gerichts erkannt, aber dennoch den Antrag nicht unmittelbar hierher weitergeleitet haben, obwohl hierfür ausreichend Zeit gewesen wäre. Die Geschäftsstelle des Amtsgerichts Hersbruck erkannte, dass es sich bei dem Antrag vom 05.12.2023 um einen solchen nach §§ 23 ff. EGGVG handelte, ging aber offenbar irrig davon aus, dass hierfür noch – wie es vor der Wiedererrichtung des Bayerischen Obersten Landesgerichts der Fall war – das Oberlandesgericht Nürnberg zuständig sei. Der Generalstaatsanwalt in Nürnberg erkannte die Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts, legte aber den an das falsche Gericht gerichteten Antrag nicht dem zuständigen Gericht vor, sondern übermittelte diesen an die Leitende Oberstaatsanwältin in Nürnberg. Diese erkannte ebenfalls die Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts, legte aber den Antrag wiederum nicht diesem vor, sondern übermittelte ihn zu einem Zeitpunkt, zu dem die Einlegungsfrist noch nicht abgelaufen war, an die Generalstaatsanwaltschaft München.
45
Spätestens als das Antragsschreiben am 13.12.2023 bei der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg, also bei der Aufsichtsbehörde der Ausgangsbehörde, eingegangen und dort erkannt worden war, dass das Bayerische Oberste Landesgericht für den Antrag nach § 23 EGGVG zuständig ist, war diese gehalten, den Antrag dem Bayerischen Obersten Landesgerichts zuzuleiten, wo dieser im normalen Geschäftsgang vor Fristablauf am 05.01.2024 auch eingegangen wäre.
46
(2) Auf die Frage, ob sich der Antragsteller hinsichtlich eines fehlenden Verschuldens erfolgreich auch darauf berufen kann, er habe die Rechtsbehelfsbelehrungmissverständlich dahin ausgelegt, dass er bei jedem Amtsgericht schriftlich den entsprechenden Antrag stellen könne, kommt es somit nicht an (vgl. – verneinend – zum Fall eines anwaltlich vertretenen Antragstellers BayObLG, Beschluss vom 19.08.2021 – 102 VA 56/21 –, NJW-RR 2021, 1431, juris Rn. 35 ff. m.w.N.).
47
cc) Auch die weiteren Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind gegeben, da der entsprechende Antrag fristgemäß gestellt wurde (§ 26 Abs. 3 Satz 1 EGGVG) und zudem der Antrag auf gerichtliche Entscheidung bereits vor Wegfall des Hindernisses gestellt worden war (§ 26 Abs. 3 Sätze 3 und 4 EGGVG). Angesichts der aus den Akten ersichtlichen Umstände für die Fristversäumung bedurfte es keiner gesonderten Glaubhaftmachung der Tatsachen zur Begründung des Antrags (§ 26 Abs. 3 Satz 2 EGGVG).
48
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat in der Sache nur teilweise – im tenorierten Umfang – Erfolg und führt insoweit zur Aufhebung des angegriffenen Bescheides und zur Zurückverweisung der Sache an die Leitende Oberstaatsanwältin zur erneuten Verbescheidung. Im Übrigen war er als unbegründet zu verwerfen.
49
1. Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 im Strafverfahren sowie zur Anpassung datenschutzrechtlicher Bestimmungen an die Verordnung (EU) 2016/679 vom 20.11.2019 (BGBl. I 1724) am 26.11.2019 begründet § 58 Abs. 2 BDSG i.V.m. § 500 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, § 489 StPO als Ausprägung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung das subjektive Recht des Betroffenen auf Löschung personenbezogener Daten in Dateien der Strafjustizbehörden (Senat, Beschluss vom 16.03.2023 – 204 VAs 494/22 –, juris Rn. 31; OLG Hamburg, Beschluss vom 24.10.2008 – 2 VAs 5/08 –, NStZ 2009, 707, juris Rn. 16 speziell zum staatsanwaltlichen Verfahrensregister; OLG Hamm, Beschluss vom 26.02. 2021 – III-1 VAs 74/20 –, juris Rn. 17: § 500 Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 75 Abs. 2, 58 Abs. 2 BDSG; VG Karlsruhe, Urteil vom 30.07.2013 – 3 K 3496/12 –, BeckRS 2013, 55207; BeckOK StPO/Wittig, 50. Ed. 01.01.2024, § 489 Rn. 3; Schelzke, StraFo 2019, 353, 357 und 359; so im Ergebnis auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.12.2022 – 3 VAs 14/22 –, StV-Spezial 2023, 66, juris Rn. 14: § 75 Abs. 2 BDSG, ergänzt durch § 489 Abs. 1 StPO).
50
§ 500 Abs. 1 StPO erklärt hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten durch öffentliche Stellen der Länder Teil 3 des Bundesdatenschutzgesetzes – und somit auch § 58 Abs. 2 BDSG – für entsprechend anwendbar, soweit in der Strafprozessordnung nichts anderes bestimmt ist (§ 500 Abs. 2 Nr. 1 StPO). Da diese keinen ausdrücklichen Anspruch des Betroffenen auf Löschung seiner personenbezogenen Daten enthält, ist § 58 Abs. 2 BDSG entsprechend anwendbar. Danach hat die betroffene Person das Recht, von dem Verantwortlichen unverzüglich die Löschung sie betreffender Daten zu verlangen, wenn deren Verarbeitung unzulässig ist, deren Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist oder diese zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung gelöscht werden müssen. Im Einklang hiermit besteht beim Vorliegen dieser Gründe nach § 75 Abs. 2 BDSG eine Pflicht des Datenverantwortlichen zur Löschung personenbezogener Daten.
51
Eine in der Strafprozessordnung geregelte rechtliche Verpflichtung zur Löschung der bei der Staatsanwaltschaft gespeicherten personenbezogenen Daten des Antragstellers kann sich aus § 489 Abs. 1 StPO ergeben. Danach sind – unbeschadet der in § 75 Abs. 2 BDSG genannten Gründe für die Pflicht zur Löschung – folgende Daten zu löschen:
52
(1.) Die nach § 483 StPO gespeicherten Daten mit der Erledigung des Verfahrens, soweit ihre Speicherung nicht nach den §§ 484 und 485 StPO zulässig ist (§ 489 Abs. 1 Nr. 1 StPO). Als Vorfrage ist allerdings zu klären, ob die Datenverarbeitung gemäß § 483 Abs. 1 Satz 1 StPO überhaupt zulässig war. Danach dürfen personenbezogene Daten in Dateisystemen verarbeitet werden, soweit dies für Zwecke des Strafverfahrens erforderlich ist.
53
(2.) Die nach § 484 StPO gespeicherten Daten, soweit die dortigen Voraussetzungen nicht mehr vorliegen und ihre Speicherung nicht nach § 485 StPO zulässig ist (§ 489 Abs. 1 Nr. 2 StPO).
54
(3.) Die nach § 485 StPO gespeicherten Daten, sobald ihre Speicherung zur Vorgangsverwaltung nicht mehr erforderlich ist (§ 489 Abs. 1 Nr. 3 StPO).
55
2. Dies zugrunde gelegt war die Verarbeitung der personenbezogenen Daten des Antragstellers gemäß § 483 Abs. 1 Satz 1 StPO (hier durch Erhebung und Speicherung, vgl. § 46 Nr. 2 BDSG) nicht „zum Zwecke des Strafverfahrens“ zulässig.
56
a) Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Frankfurt, der die Kommentarliteratur – soweit ersichtlich einhellig – folgt, kann die Speicherung personenbezogener Daten von zur Tatzeit strafunmündigen Kindern (§ 19 StGB) in der Regel nicht auf §§ 483 ff. StPO als gesetzliche Grundlage gestützt werden, da diese nicht Beschuldigte sein können (Beschluss vom 20.12.2022 – 3 VAs 14/22 –, StV-Spezial 2023, 66, juris Rn. 24 mit zustimmender Anm. Lorenz, jurisPR-ITR 12/2023 Anm. 6; so auch Löwe-Rosenberg/Hilger, StPO, 26. Aufl. 2010, § 489 Rn. 10 m.w.N. zur Lit.; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 489 Rn. 5; BeckOK StPO/Wittig, a.a.O., § 484 Rn. 1.1; KK-StPO/Gieg, a.a.O., § 484 Rn. 2; MüKoStPO/ Singelnstein, 1. Aufl. 2019, § 489 Rn. 20; SK-StPO/Weßlau/Deiters, 5. Aufl. 2020, § 484 Rn. 8 und § 489 Rn 14; Schmidt/Niedernhuber in: Gercke/Temming/Zöller, StPO, 7. Aufl. 2023, § 483 Rn. 7 und § 489 Rn. 6; Graf/Wittig, StPO, 4. Aufl. 2021, § 484 Rn. 1.1; Eisenberg/Kölbel/Kölbel, 24. Aufl. 2023, JGG § 1 Rn. 15; Hilgers, NStZ 2001, 15, 19), und demgemäß die Speicherung solcher Daten für Zwecke des Strafverfahrens nicht erforderlich sein (OLG Frankfurt, a.a.O.).
57
Insoweit besteht allerdings keine ausnahmslose, generelle Unzulässigkeit der Datenspeicherung, sondern ein Regel-Ausnahmeverhältnis, welches die Notwendigkeit der Prüfung des Einzelfalls begründet (OLG Frankfurt, Beschluss vom 22.06.2021 – 3 VAs 4/21 –, zitiert im Beschluss vom 20.12.2022 – 3 VAs 14/22 –, StV-Spezial 2023, 66, juris Rn. 16). In der Begründung zur Neuregelung des § 490 StPO a.F. im Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrensrechts – Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 (StVÄG 1999) heißt es im Hinblick auf die auch für Strafunmündige vorgesehene Aussonderungsprüffrist bei Speicherungen für Zwecke künftiger Strafverfahren (BT-Drs. 14/1484, S. 35):
„Im Regelfall werden Speicherungen personenbezogener Informationen von zur Tatzeit Strafunmündigen nicht erforderlich und deswegen unzulässig sein. Es sind jedoch Einzelfälle nicht auszuschließen, in denen Daten von zur Tatzeit Strafunmündigen gespeichert worden sind, etwa wenn Ihr Alter im Zeitpunkt der Speicherung nicht bekannt war. Für diese Fälle ist die Aussonderungsprüffrist von Bedeutung.“
58
An der Bedeutung dieser grundlegenden Ausführungen des Gesetzgebers hat sich durch die Neuregelung der §§ 483 ff. StPO durch das Gesetz vom 20.11.2019 (BGBl. I 1724) nichts geändert, da die Aussonderungsprüffristen für Strafunmündige, deren Daten nach § 484 StPO gespeichert wurden, in § 489 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 StPO inhaltsgleich geregelt wurden und von einer Änderung der gesetzgeberischen Intention nicht auszugehen ist (so zutreffend OLG Frankfurt, Beschluss vom 22.06.2021 – 3 VAs 4/21 –, zitiert im Beschluss vom 20.12.2022 – 3 VAs 14/22 –, StV-Spezial 2023, 66, juris Rn. 21). Demgemäß sind Speicherungen personenbezogener Informationen von zur Tatzeit Strafunmündigen nur ausnahmsweise zulässig, etwa wenn das Alter des Verdächtigen zum Zeitpunkt der Speicherung nicht bekannt oder zweifelhaft war oder eine strafmündige Person an der Tat in irgendeiner Form mitgewirkt hat (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.12.2022 – 3 VAs 14/22 –, StV-Spezial 2023, 66, juris Rn. 24; zustimmend BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg, 59. Ed. 01.11.2023, § 19 Rn. 32; Schmidt/Niedernhuber in: Gercke/Temming/Zöller, StPO, a.a.O., § 483 Rn. 7; SK-StPO/Weßlau/Deiters, a.a.O., § 489 Rn 14; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 489 Rn. 5).
59
b) Solche besonderen Umstände lagen hier bezogen auf das wegen Diebstahls geführte Ermittlungsverfahren des zur Tatzeit unzweifelhaft erst 12 Jahre alten Antragstellers nicht vor. Dieser wurde auch zutreffend bei Aufnahme der Strafanzeige von der Bundespolizei als Kind bezeichnet; weitere strafmündige Tatbeteiligte sind nicht ersichtlich.
60
aa) Die Staatsanwaltschaft erkennt, dass eine Abwägung zwischen dem Recht des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung und dem Interesse der Allgemeinheit an der Strafverfolgung vorzunehmen ist. Sie geht zutreffend davon aus, dass die Speicherung von Daten Strafunmündiger zum Zwecke des Strafverfahrens nicht generell unzulässig ist, vielmehr im Einzelfall zulässig sein könne, z.B. weil das Alter bei der Speicherung nicht bekannt oder zweifelhaft ist oder eine strafmündige Person an der Tat in irgendeiner Form mitgewirkt hat. Sie hat die Erforderlichkeit der (weiteren) Datenspeicherung für Zwecke des Strafverfahrens aber damit begründet, dass das Auftreten des Betroffenen gegenüber der Polizei mit den Worten „Was wollt Ihr? Ich bin strafunmündig.“ den Verdacht nahelege, dass es eine Anstiftung oder (psychische) Beihilfe durch strafmündige Personen gegeben habe. Sollten sich hierzu neue Erkenntnisse ergeben, sei der Antragsteller als Zeuge zu führen. Seinen berechtigten Interessen sei dadurch Rechnung getragen worden, dass das Verfahren im Verfahrensregister web.sta aus datenschutzrechtlichen Gründen gesperrt wurde und hierdurch nur von einem begrenzten Personenkreis aufgerufen werden könne. Daher sei die Speicherung für Zwecke des Strafverfahrens weiter erforderlich und verhältnismäßig.
61
Der Hinweis auf etwaige strafmündige Beteiligte stellt jedoch eine bloße Mutmaßung dar, die sich auf keine belastbare Tatsachengrundlage stützt, und reicht nicht aus, um eine weitere Datenspeicherung für Zwecke des Strafverfahrens zu rechtfertigen. Dagegen sprechen schon die Art und die geringe Anzahl der entwendeten Gegenstände, bei denen es sich um Süßigkeiten und Getränke im Gesamtwert von 4,92 € handelte, die ohne weiteres auch für den Eigenverbrauch des Antragstellers bestimmt gewesen sein konnten. Hinsichtlich der erlangten Kenntnis von der eigenen Strafunmündigkeit ist es ebenso denkbar, dass dieses Thema unter den Mitschülern des Antragstellers erörtert wurde, wie es die Eltern des Antragstellers in den Raum stellen.
62
bb) Im Einklang hiermit vertritt auch das Oberlandesgericht Frankfurt in einem entsprechenden Fall die Ansicht, dass bereits die Speicherung der Daten des Antragstellers im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren unzulässig sei, da der namentlich bekannte Antragsteller zur Tatzeit für die Ermittlungsbehörden erkennbar unzweifelhaft erst 13 Jahre alt und damit schuldunfähig (§ 19 StGB) war und es keine weiteren Anhaltspunkte für das Vorliegen besonderer Umstände gab (z.B. mittelbare Tatherrschaft, Mittäterschaft oder Teilnahme einer strafmündigen Person am Tatgeschehen), die die Speicherung seiner Daten für Zwecke des Strafverfahrens (§ 483 Abs. 1 Satz 1 StPO) erforderlich gemacht hätten (Beschluss vom 20.12.2022 – 3 VAs 14/22 –, StV-Spezial 2023, 66, juris Rn. 15).
63
3. Da bereits die Speicherung dieser Daten für Zwecke des Strafverfahrens gemäß § 483 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht erforderlich ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob diese Daten gemäß § 489 Abs. 1 Nr. 1 StPO wegen Erledigung des Verfahrens zu löschen sind, was aber entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft der Fall wäre.
64
Gemäß § 489 Abs. 2 Satz 1 StPO gilt als Erledigung des Verfahrens die Erledigung bei der Staatsanwaltschaft oder, sofern öffentliche Klage erhoben wurde, bei Gericht. Wird das Verfahren – wie hier – eingestellt und hindert die Einstellung die Wiederaufnahme der Verfolgung nicht, so ist gemäß § 489 Abs. 2 Satz 3 StPO das Verfahren mit Eintritt der Verjährung als erledigt anzusehen. Grundsätzlich kann für eingestellte, aber wiederaufnehmbare Verfahren während des Laufs der Verjährungsfrist die Datenspeicherung zur Aufgabenerfüllung der Staatsanwaltschaft als weiterhin erforderlich angesehen werden, weil während dieses Zeitraums neue Beweismittel auftauchen können, die Anlass zur Wiederaufnahme der Verfolgung geben (vgl. BayObLG, Beschluss vom 27.1.2020 – 203 VAs 1846/19 –, StraFo 2020, 161, juris Rn. 24).
65
Angesichts der Strafunmündigkeit des Betroffenen kann es jedoch ihm gegenüber unter keinen denkbaren Umständen zu einer Wiederaufnahme der Ermittlungen kommen, so dass die weitere Datenspeicherung für die Zwecke des Strafverfahrens gegen den Antragsteller nicht erforderlich ist. Der Hinweis der Staatsanwaltschaft auf eine Wiederaufnahme der Ermittlungen geht somit fehl.
66
4. Die Staatsanwaltschaft kann sich aber grundsätzlich darauf berufen, dass die weitere Speicherung personenbezogener Daten des Antragstellers zur Vorgangsverwaltung (§ 485 StPO) erforderlich ist, wobei sich dies allerdings nur auf die nachfolgend unter b) genannten Daten des Antragstellers bezieht.
67
a) Nach § 489 Abs. 1 Nr. 3 StPO besteht eine Löschungspflicht für die nach § 485 StPO gespeicherten Daten, sobald (und soweit) ihre Speicherung zur Vorgangsverwaltung nicht mehr erforderlich ist.
68
aa) Unter Vorgangsverwaltung ist das Anlegen von Dateien zur Erfassung des bestehenden Akten- und Datenmaterials (Archivierung) zu verstehen (vgl. SK-StPO/Weßlau/Deiters, a.a.O., § 485 Rn. 1), wobei vor allem die verwaltungsmäßige Erfassung des Aktenbestandes im Vordergrund steht (vgl. Senat, Beschluss vom 16.03.2023 – 204 VAs 494/22 –, juris Rn. 51; OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.12.2022 – 3 VAs 14/22 –, StV-Spezial 2023, 66, juris Rn. 27; OLG Hamm, Beschluss vom 26.02.2021 – III-1 VAs 74/20 –, juris Rn. 24). Die Befugnis zur Speicherung nach § 485 StPO besteht nur soweit, wie die Akten archiviert und auffindbar sein müssen (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 04.11.2014 – 2 VAs 2/13 –, juris Rn. 12; OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.07.2010 – 3 VAs 19/10 –, NStZ-RR 2010, 350, juris Rn. 14 f.).
69
bb) Die Speicherung personenbezogener Daten des Antragstellers zur Vorgangsverwaltung war vorliegend zulässig.
70
(1) Hierbei kommt es nicht darauf an, dass deren Speicherung für Zwecke des Strafverfahrens wegen der Strafunmündigkeit des Antragstellers nicht zulässig ist. Die generelle Zulässigkeit der Speicherung zur Vorgangsverwaltung ergibt sich bereits daraus, dass der an die Staatsanwaltschaft übersandte bundespolizeiliche Ermittlungsbericht samt mitübersandten Anlagen mit Eingang bei dieser einen Vorgang darstellt, der dort als Ermittlungsakte karteimäßig erfasst werden muss und ein Aktenzeichen erhält.
71
Die Anlegung einer Ermittlungsakte durch die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth beruht somit auf der Übersendung des polizeilichen Ermittlungsberichts an diese. Die Leitende Oberstaatsanwältin weist im Bescheid vom 30.11.2023 zutreffend darauf hin, dass die Bundespolizei das Verfahren der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vorzulegen hatte, der als Herrin des Verfahrens die Entscheidung oblag, ob ein Ermittlungsverfahren einzuleiten oder hiervon gemäß § 152 Abs. 2 StPO abzusehen sei. Das physische Vorliegen der Akte bedingte gleichzeitig, dass für die Zwecke der Vorgangsverwaltung grundsätzlich ein Datensatz anzulegen war. Dass ein solcher zum Zweck der ordentlichen Archivierung und einer daran anknüpfenden späteren möglichen Aktenauffindung geeignet und somit auch grundsätzlich erforderlich war, ist offensichtlich.
72
(2) Zu Unrecht vertritt der Antragsteller die Ansicht, im vorliegenden Fall hätte es überhaupt nicht zur Anlegung einer Papierakte kommen dürfen. Das Oberlandesgericht Frankfurt, auf das sich der Antragsteller beruft, hat allerdings ausgeführt, in dem dortigen Einzelfall hätte es gar nicht zur Aufnahme von strafrechtlichen Ermittlungen und der Anlegung einer (Papier-) Ermittlungsakte kommen dürfen, da die Strafunmündigkeit des hinsichtlich des Tatvorwurfs allein handelnden Antragstellers von vornherein für die Ermittlungsbehörden klar erkennbar war und einer möglicherweise in Betracht zu ziehenden Jugendwohlgefährdung auch durch das weniger belastende Mittel einer polizeilichen Mitteilung an die zuständigen Stellen hätte begegnet werden können. Es wäre widersinnig, die in einem solchen Fall in der Regel unzulässige Speicherung von Daten strafunmündiger Kinder mit der organisatorischen Erforderlichkeit einer Vorgangsverwaltung (§ 485 StPO) zur Verwaltung einer (Papier-) Ermittlungsakte zu rechtfertigen, die nicht hätte angelegt werden dürfen. Hierdurch würde der zu Gunsten strafunmündiger Kinder bestehende Datenschutz unterlaufen, selbst wenn nur noch Eckdaten der Person und des Verfahrens der Speicherung zur Vorgangsverwaltung unterfallen (vgl. Beschluss vom 20.12.2022 – 3 VAs 14/22 –, StV-Spezial 2023, 66, juris Rn. 29).
73
Das Oberlandesgericht Frankfurt hat aber bei dieser ausdrücklich auf den Einzelfall bezogenen Entscheidung nicht berücksichtigt, dass auch dort Ausgangspunkt eine von der Polizei aufgenommene Strafanzeige gewesen ist (vgl. a.a.O., juris Rn. 2 und 24) und somit bereits ein aktenmäßiger Vorgang angelegt worden war, der der Staatsanwaltschaft übermittelt wurde. Einen solchen bei ihr eingegangenen Vorgang muss die Staatsanwaltschaft aber durch eine Verfügung abschließen, wozu es wiederum der Vergabe eines Aktenzeichens bedarf. Die Ansicht des Oberlandesgerichts Frankfurt, es hätte keine Akte angelegt werden dürfen, widerspricht offensichtlich – jedenfalls in dem vom Senat zu entscheidenden Verfahren – den tatsächlichen Gegebenheiten, wenn die Polizeibehörden den Staatsanwaltschaften als Herrinnen des Verfahrens ihre Ermittlungsergebnisse in Schriftform vorlegen. Die von der Staatsanwaltschaft ebenfalls in Schriftform getroffene Entscheidung über das Verfahren bedurfte, da sie grundsätzlich vom Geschädigten anfechtbar ist (vgl. § 172 StPO), zur Wiederauffindung der Anlegung eines Datensatzes; sie konnte somit – unabhängig von den Aufbewahrungsfristen (s. hierzu unten unter dd)) – als Dokument auch nicht zugleich mit dem Vorgang physisch „vernichtet“ werden.
74
cc) Allerdings muss die weitere Speicherung der personenbezogenen Daten ihrem Umfang nach zum Zwecke der Vorgangsverwaltung auch erforderlich sein.
75
Die in § 485 Satz 1 und § 489 Abs. 1 Nr. 3 StPO ausdrücklich genannte Erforderlichkeit gilt generell für alle Datenverarbeitungszwecke. Auch wenn sich eine Löschungsverpflichtung nicht aus § 489 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 StPO ergeben sollte, liegen die Voraussetzungen für die Speicherung der Daten nach §§ 483 bis 485 StPO dann nicht mehr vor, wenn die Kenntnis der Daten für den Speicherungszweck nicht mehr erforderlich ist. Dies entspricht bereits der früheren Rechtslage (vgl. § 489 Abs. 2 Satz 1 StPO i.d.F. vom 02.08.2000, BGBl. I 1253, und hierzu OLG Hamburg, Beschluss vom 09.10.2009 – 2 VAs 1/09 –, StraFo 2010, 85, juris Rn. 46, 57; BeckOK StPO/ Wittig, a.a.O., § 489 Rn. 3.2; MüKoStPO/Singelnstein, a.a.O., § 484 Rn. 7) und ergibt sich nunmehr direkt aus § 75 Abs. 2 BDSG, der aufgrund ausdrücklicher Regelung in § 489 Abs. 1 Satz 1 StPO unmittelbar anwendbar ist (vgl. BT-Drucks. 19/4671, Seite 69 zu Nr. 33). Danach sind für die Aufgabenerfüllung des Verantwortlichen (hier der Staatsanwaltschaft) nicht erforderliche Daten zu löschen (vgl. Senat, Beschluss vom 16.03.2023 – 204 VAs 494/22 –, juris Rn. 52; BeckOK StPO/Wittig, a.a.O., § 489 Rn. 3.1).
76
(1) Der Maßstab der Erforderlichkeit muss dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gerecht werden. Aufgrund des Zweckbindungsgrundsatzes – es muss ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Speicherung und konkretem Verwendungszweck bestehen – darf die speichernde Stelle nur diejenigen Daten (weiterhin) speichern, die nach Art und Umfang für ihre Aufgabenerfüllung im Rahmen des jeweiligen in §§ 483 bis 485 StPO vorausgesetzten Speicherungszwecks geeignet und erforderlich sind (Senat, Beschluss vom 16.03.2023 – 204 VAs 494/22 –, juris Rn. 54; KG, Beschluss vom 17.02.2009 – 1 VAs 38/08 –, StraFo 2009, 337, juris Rn. 14 ff.; OLG Dresden, Beschluss vom 19.05.2003 – 2 VAs 4/02 –, RDV 2004, 84, juris Rn. 19; OLG Hamburg, Beschluss vom 24.10.2008 – 2 VAs 5/08 –, NStZ 2009, 707, juris Rn 28). Die Speicherung personenbezogener Daten ist nur dann erforderlich, wenn die Aufgabe sonst nicht, nicht vollständig oder nicht in rechtmäßiger Weise erfüllt werden kann. Wesentliche Bestimmungsfaktoren für die Erforderlichkeit der Speicherung sind Datenumfang und Zeitaspekt (vgl. Senat, Beschluss vom 16.03.2023 – 204 VAs 494/22 –, juris Rn. 54; OLG Hamburg, Beschluss vom 24.10. 2008 – 2 VAs 5/08 –, NStZ 2009, 707, juris Rn. 28; BeckOK StPO/Wittig, a.a.O., § 489 Rn. 4.3).
77
(2) Das „Erforderlichsein“ in diesem Sinne ist von der verantwortlichen Behörde umfassend im Rahmen einer individuellen Prüfung darzulegen (vgl. zur neuen Rechtslage: BeckOK StPO/ Wittig, a.a.O., § 489 Rn. 3.2; Köhler, in Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 489 Rn. 3 m.w.N.; so bereits § 489 Abs. 2 Satz 1 StPO i.d.F. vom 02.08.2000, BGBl. I 1253; vgl. hierzu OLG Hamburg, Beschluss vom 24.10.2008 – 2 VAs 5/08 –, NStZ 2009, 707, juris Rn. 21; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.01.2008 – 3 VAs 47/07 – 48/07 –, NStZ-RR 2008, 183, juris Rn. 23, 27; KG, Beschluss vom 17.02.2009 – 1 VAs 38/08 –, StraFo 2009, 337, juris Rn. 15). Dies ergibt sich auch daraus, dass § 500 Abs. 1 StPO den gesamten Teil 3 des Bundesdatenschutzgesetzes für entsprechend anwendbar erklärt, wozu insbesondere auch § 47 BDSG gehört, in dem die allgemeinen Grundsätze für die Verarbeitung personenbezogener Daten verankert sind, die die Strafverfolgungsbehörden zu beachten haben. Dazu gehören insbesondere das Prinzip der Datenminimierung, die Grundsätze der Zweckbindung, das Kriterium der Erforderlichkeit und die Verhältnismäßigkeit. Zudem muss stets das verfassungsmäßig verankerte Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen Berücksichtigung finden (so zutreffend OLG Hamm, Beschlüsse vom 26.02.2021 – III-1 VAs 74/20 –, juris Rn. 24; vom 08.08.2022 – 1 VAs 48/22 –, juris Rn. 23).
78
Die Staatsanwaltschaft muss demgemäß im Rahmen einer individuellen Prüfung der Erforderlichkeit der Speicherung für die in den §§ 483 bis 485 StPO bezeichneten Zwecke im jeweiligen Einzelfall eine Abwägung des Rechtes des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung und des Interesses der Allgemeinheit etwa an der Strafverfolgung oder der Vorgangsverwaltung (je nach Speicherungszweck) unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vornehmen (vgl. KG, Beschluss vom 17.02.2009 – 1 VAs 38/08 – StraFo 2009, 337, juris Rn. 15; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.01.2008 – 3 VAs 47/07 und 48/07 –, NStZ-RR 2008, 183, juris Rn 27; MüKoStPO/Singelnstein, a.a.O., § 489 Rn 11), wobei vor allem der konkrete Tatvorwurf, die konkret geführten Ermittlungsmaßnahmen sowie die hieraus resultierende Rechtsgutsbeeinträchtigung des Antragstellers eine Rolle spielen müssen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.07.2010 – 3 VAs 19/10 –, NStZ-RR 2010, 350, juris Rn. 13; OLG Hamburg, Beschluss vom 24.10.2008 – 2 VAs 5/08 –, NStZ 2009, 707, juris Rn. 22). Hierbei sind insbesondere von der Eintragung des Tatvorwurfs ausgehende etwaige Stigmatisierungs- und Diskreditierungswirkungen in den Abwägungsprozess einzustellen (vgl. zum Ganzen Senat, Beschluss vom 16.03.2023 – 204 VAs 494/22 –, juris Rn. 54; OLG Frankfurt, Beschlüsse vom 17.01.2008 – 3 VAs 47/07 – 48/07 –, NStZ-RR 2008, 183, juris Rn. 30; vom 20.07.2010 – 3 VAs 19/10 –, NStZ-RR 2010, 350, juris Rn. 17; vom 20.12.2022 – 3 VAs 14/22 –, StV-Spezial 2023, 66, juris Rn. 14; OLG Hamburg, Beschlüsse vom 24.10.2008 – 2 VAs 5/08 –, NStZ 2009, 707, juris Rn. 30; vom 27.11.2009 – 2 VAs 5/09 –, OLGSt StPO § 483 Nr. 2, juris Rn. 21; OLG Hamm, Beschluss vom 15.06.2010 – 1 VAs 16/10 –, juris Rn. 31, BeckOK StPO/Wittig, a.a.O., § 489 Rn. 3.2).
79
(3) Das „Erforderlichsein“ im Sinne des § 489 Abs. 1 Nr. 3 StPO und § 58 Abs. 2 BDSG unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der vollen gerichtlichen Überprüfung (Senat, Beschluss vom 16.03.2023 – 204 VAs 494/22 –, juris Rn. 53; KG, Beschluss vom 17.02.2009 – 1 VAs 38/08 –, StraFo 2009, 337, juris Rn. 15; OLG Hamburg, Beschlüsse vom 09.10.2009 – 2 VAs 1/09 –, StraFo 2010, 85, juris Rn. 46, und vom 27.11.2009 – 2 VAs 5/09 –, juris Rn. 20; OLG Hamm, Beschluss vom 26.02.2021 – III-1 VAs 74/20 –, juris Rn. 24; Köhler, in Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 489 Rn. 3 m.w.N.; BeckOK StPO/Wittig, a.a.O., § 489 Rn. 4.3). Dem Senat ist somit nach Beschwerdegrundsätzen eine eigenständige Prüfung dieses Tatbestandsmerkmals möglich, sofern – wie das vorliegend der Fall ist – das Aktenmaterial eine abschließende Entscheidung über das Löschungsgesuch gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 EGGVG zulässt (vgl. Senat, Beschluss vom 16.03.2023 – 204 VAs 494/22 –, juris Rn. 53; OLG Hamm, Beschluss vom 15.06. 2010 – 1 VAs 16/10 –, juris Rn. 27; so auch VG Karlsruhe, Urteil vom 30.07.2013 – 3 K 3496/12 –, BeckRS 2013, 55207; einschränkend bei erheblichen Begründungsmängeln OLG Hamm, Beschluss vom 08.08.2022 – 1 VAs 48/22 –, juris Rn. 42), so dass der Senat selbst die Einzelfallprüfung durchführen kann (so wohl auch BeckOK-StPO/Wittig, a.a.O., § 489 Rn. 13; offen gelassen von OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.12.2022 – 3 VAs 14/22 –, StV-Spezial 2023, 66, juris Rn 32; anders noch – lediglich Überprüfung der Einzelfallbeurteilung durch die Staatsanwaltschaft auf Beurteilungs- und Ermessensfehler – OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.01.2008 – 3 VAs 47/07 – 48/07 –, NStZ-RR 2008, 183, juris Rn. 21 zur alten Rechtslage).
80
dd) Den genannten Anforderungen genügen die Ausführungen der Leitenden Oberstaatsanwältin im Bescheid vom 30.11.2023 nur zum Teil.
81
(1) Bei der Prüfung der Erforderlichkeit einer Datenspeicherung zur Vorgangsverwaltung gemäß § 485 StPO kann in zeitlicher Hinsicht mangels spezieller gesetzlicher Regelungen grundsätzlich auf die Aufbewahrungsfristen abgestellt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 16.03.2023 – 204 VAs 494/22 –, juris Rn. 58; OLG Frankfurt, Beschlüsse vom 20.07.2010 – 3 VAs 19/10 –, NStZ-RR 2010, 350, juris Rn. 18; vom 20.12.2022 – 3 VAs 14/22 –, StV-Spezial 2023, 66, juris Rn. 28; OLG Hamburg, Beschlüsse vom 24.10.2008 – 2 VAs 5/08 –, NStZ 2009, 707, juris Rn. 25; vom 27.11.2009 – 2 VAs 5/09 –, juris Rn. 23; vom 09.10.2009 – 2 VAs 1/09 –, StraFo 2010, 85, juris Rn. 50; OLG Hamm, Beschlüsse vom 26.02.2021 – III-1 VAs 74/20 –, juris Rn. 24; vom 15.06.2010 – 1 VAs 16/10, juris Rn. 24 ff., insb. 28, 31; Köhler, in Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 485 Rn. 1 und § 489 Rn. 3 m.w.N.; MüKoStPO/Singelnstein, a.a.O., § 485 Rn. 6 m.w.N. und § 489 Rn. 24; gegen einen starren Automatismus SK-StPO/Weßlau/Deiters, a.a.O., § 489 Rn. 7). Diese beruhen auf einer durch die Justizministerkonferenz bundeseinheitlich abgestimmten Verwaltungsrichtlinie (vgl. hierzu Burhoff/Kotz, Handbuch für die strafrechtliche Nachsorge, 1. Aufl. 2016, Teil D Rn. 152; Schelzke, StraFo 2019, 353, 356 Fußnote 30; Habenicht, NStZ 2009, 708, 709) und sind für den Freistaat Bayern in der Verordnung über die Aufbewahrung von Schriftgut der Gerichte, Staatsanwaltschaften und Justizvollzugsbehörden (Aufbewahrungsverordnung – AufbewV) vom 29.07.2010 (GVBl. S. 644), zuletzt geändert durch Verordnung vom 30.05.2017 (GVBl. S. 283), geregelt.
82
(2) Eine Löschungspflicht besteht spätestens nach Ablauf dieser Fristen (MüKoStPO/ Singelnstein, a.a.O., § 489 Rn. 24) oder wenn die Akten vernichtet wurden (OLG Brandenburg, Beschluss vom 04.11.2014 – 2 VAs 2/13 –, juris Rn. 12; Habenicht, NStZ 2009, 708, 709; zum Ganzen Senat, Beschluss vom 16.03.2023 – 204 VAs 494/22 –, juris Rn. 58). Beides ist nicht der Fall.
83
Nach § 1 AufbewV i.V.m. Kennziffer 622 lit. d) der Anlage zur Aufbewahrungsverordnung beträgt die Aufbewahrungsfrist für Akten in (sonstigen) Angelegenheiten, bei denen das Verfahren eingestellt ist, fünf Jahre, sofern nicht nach der Bemerkung in Spalte 6 dieser Anlage eine längere Frist für die Strafverfolgungsverjährung besteht. Letzteres trifft nicht zu (§ 78 Abs. 3 Nr. 5 und Abs. 4 StGB i.V.m. § 242 Abs. 1 StGB). Die Frist beginnt in Fällen, in denen die verfahrensbeendende Entscheidung – wie vorliegend – keiner Rechtskraft bedarf, gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 AufbewV mit Ablauf des Jahres, in dem diese Entscheidung gefallen ist. Da die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 12.01.2023 von der Einleitung von Ermittlungen gegen den Antragsteller abgesehen hat, begann sie mit Ablauf des Jahres 2023 und wird mit Ablauf des Jahres 2028 enden.
84
(3) Eine weitere Speicherung ist auch nicht aus anderen Gründen unzulässig.
85
Das grundlegende Erfordernis der Speicherung von gewissen personenbezogenen Daten besteht auch bei Strafunmündigen, da eine Aktenverwaltung und Archivierung ohne diese Daten für die Dauer der Aufbewahrungsfristen bereits aus rein organisatorischen Gründen nicht möglich ist (OLG Frankfurt, Beschlüsse vom 20.12.2022 – 3 VAs 14/22 –, StV-Spezial 2023, 66, juris Rn. 28; vom 22.06.2021 – 3 VAs 4/21 –, zitiert im erstgenannten Beschluss, juris Rn. 21).
86
Gleichwohl kann eine weitere Speicherung nur der für die Vorgangsverwaltung noch relevanten Daten innerhalb der Aufbewahrungsfrist unzulässig sein, wenn nichts dafür spricht, dass die Eintragung auch in Zukunft praktische Bedeutung hat, und deshalb ausgeschlossen werden kann, dass die vorhandenen Daten die Arbeit der zuständigen Behörde noch fördern können (Senat, Beschluss vom 16.03.2023 – 204 VAs 494/22 –, juris Rn. 59; OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.07.2010 – 3 VAs 19/10 –, NStZ-RR 2010, 350, juris Rn. 20; OLG Hamburg, Beschluss vom 24.10.2008 – 2 VAs 5/08 –, NStZ 2009, 707, juris Rn. 29).
87
(3.1) Die Staatsanwaltschaft hat insoweit allerdings nicht geprüft, ob im vorliegenden Einzelfall ein gegenüber den Aufbewahrungsfristen vorzeitiger Löschungsanspruch nach § 500 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 489 Abs. 1 Nr. 3 StPO besteht (vgl. zu der Möglichkeit einer verkürzten Löschungsfrist OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.12.2022 – 3 VAs 14/22 –, StV-Spezial 2023, 66, juris Rn. 26; BeckOK StPO/Wittig, a.a.O., § 489 Rn. 4.3). Ein solcher käme deshalb in Betracht, da sich die Aufbewahrungsfristen im Hinblick auf eine mögliche Wiederaufnahme der Ermittlungen an den Fristen der Verfolgungsverjährung (§§ 78 ff. StGB) orientieren, was die Dauer der Aufbewahrungsfrist der in Papierform geführten Akte begründet und rechtfertigt (vgl. KG, Beschluss vom 17.02.2009 – 1 VAs 38/08 –, StraFo 2009, 337, juris Rn. 9; OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.12.2022 – 3 VAs 14/22 –, StV-Spezial 2023, 66, juris Rn. 27). Die Frage einer Verfolgungsverjährung stellt sich aber bei dem strafunmündigen allein handelnden Antragsteller bezogen auf den ihm vorgeworfenen Diebstahl nicht, da bei diesem eine Wiederaufnahme und Strafverfolgung in keinem Fall mehr in Betracht kommt (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.12.2022 – 3 VAs 14/22 –, StV-Spezial 2023, 66, juris Rn. 29).
88
(3.2) Dies ist aber unschädlich, da angesichts des erst kurzen Zeitraums seit Beginn der Aufbewahrungsfristen jedenfalls derzeit ein vorzeitiger Löschungsanspruch nicht in Betracht kommt. Die weitere Speicherung von Daten kann nämlich deshalb erforderlich sein, weil Mitteilungspflichten (etwa zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung) zu erfüllen sind (OLG Frankfurt, Beschluss vom 22.06.2021 – 3 VAs 4/21 –, zitiert im Beschluss vom 20.12.2022 – 3 VAs 14/22 –, StV-Spezial 2023, 66, juris Rn. 21). Die Staatsanwaltschaft hat – anders als in dem vom Oberlandesgericht Frankfurt entschiedenen Fall (vgl. Beschluss vom 20.12.2022 – 3 VAs 14/22 –, StV-Spezial 2023, 66, juris Rn. 25) – nicht ausdrücklich von einer Mitteilung nach Nr. 35 MiStra abgesehen. Die Leitende Oberstaatsanwältin führt insoweit in ihrem Bescheid aus, dass auch nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens eine nachträgliche Mitteilung in Betracht kommt, wenn sich diese Pflicht erst aus dem Zusammentreffen mehrerer Taten ergibt, etwa wenn der Betroffene erneut strafrechtlich in Erscheinung treten sollte.
89
Nr. 35 Abs. 1 Satz 1 MiStra ordnet zwar in Bezug auf das jeweilige Strafverfahren eine Pflicht zur unverzüglichen Mitteilung an bestimmte Empfänger an, wenn nicht die in Nr. 35 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Nr. 2 Abs. 1 Satz 2 MiStra genannten Gründe einer Mitteilung entgegenstehen. Vorliegend kommt aber in Betracht, dass für die übermittelnde Stelle offensichtlich ist, dass schutzwürdige Interessen Betroffener an dem Ausschluss einer derzeitigen Übermittlung überwiegen (§ 13 Absatz 2 EGGVG). Hiervon geht offenbar die Staatsanwaltschaft aus, die eine Übermittlung bislang nicht angeordnet hat. An dieser Beurteilung könnte sich aber etwas ändern, wenn der Antragsteller wiederholt in strafrechtlich relevanter Weise auffallen sollte und sich der Staatsanwaltschaft sodann die Frage, ob eine Mitteilung veranlasst ist, erneut stellt. Da hierbei Erkenntnisse aus früheren Verfahren – also dem jetzigen Verfahren – eine Rolle spielen können, besteht auch unter dem Gesichtspunkt der Kindeswohlgefährdung ein berechtigtes Interesse der Strafverfolgungsbehörden, auf Erkenntnisse aus früheren Vorgängen zurückzugreifen, die aber dann entsprechend auffindbar sein müssen.
90
Demgemäß bestehen keine Bedenken, eine weitere Speicherung der Daten unter Hinweis auf künftige Mitteilungspflichten (Nr. 35 MiStra) zu rechtfertigen. Auch wenn dies letztlich eine präventive Datenspeicherung für den Fall künftiger Straftaten durch den Strafunmündigen betrifft und somit den von § 484 StPO geregelten Bereich erfassen dürfte, auf den sich die Staatsanwaltschaft nicht beruft, rechtfertigt dieser Umstand jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt grundsätzlich die Datenspeicherung zum Zwecke der Vorgangsverwaltung. Die von der Leitenden Oberstaatsanwältin genannten Umstände des in den Akten dokumentierten Auftretens des nach Aktenlage auf frischer Tat beim Diebstahl ertappten Antragstellers gegenüber den Polizeibeamten genügen (ungeachtet des Bestreitens durch den Antragsteller) insoweit den Anforderungen an eine präventive Datenspeicherung (vgl. hierzu auch BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 01.06.2006 – 1 BvR 2293/03 –, BVerfGK 8, 165, juris Rn. 12; vom 16.5.2002 – 1 BvR 2257/01, NJW 2002, 3231, juris Rn. 15).
91
b) Vom Umfang her ist jedoch die Speicherung auf die zur Vorgangsverwaltung erforderlichen Daten zu beschränken (MüKoStPO/Singelnstein, a.a.O., § 485 Rn. 3 und § 489 Rn. 24). Damit ist allein eine Speicherung und Nutzung solcher Daten, die für die Archivierung, Fristenkontrolle und Wiederauffindbarkeit der Akten notwendig sind, erforderlich.
92
aa) Hinsichtlich der Personalien ist insoweit die Speicherung von Familienname, Vornamen, Geburtsdatum und Geburtsort grundsätzlich ausreichend, da hierdurch eine eindeutige Individualisierung des Betroffenen möglich ist und Verwechslungen mit anderen Personen ausgeschlossen werden können (vgl. Senat, Beschluss vom 16.03.2023 – 204 VAs 494/22 –, juris Rn. 62; OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.12. 2022 – 3 VAs 14/22 –, StV-Spezial 2023, 66, juris Rn. 27; OLG Hamm, Beschlüsse vom 15.06.2010 – 1 VAs 16/10 –, juris Rn. 25; vom 08.08.2022 – 1 VAs 48/22 –, juris Rn. 31; BeckOK StPO/Wittig, a.a.O., § 485 Rn. 1a). Ob die Speicherung der Geschlechtsangabe zur Vorgangsverwaltung erforderlich ist (wohl verneinend – jedoch nicht tragend – OLG Brandenburg, Beschluss vom 04.11.2014 – 2 VAs 2/13 –, juris Rn. 11), kann dahinstehen. Denn in Anbetracht der eindeutigen Vornamen des Antragstellers liegt in der Speicherung der Geschlechtsangabe keine zusätzliche Rechtsbeeinträchtigung (vgl. Senat, Beschluss vom 16.03.2023 – 204 VAs 494/22 –, juris Rn. 62; so auch OLG Hamm, Beschluss vom 15.06.2010 – 1 VAs 16/10 –, juris Rn. 23; zustimmend KK-StPO/Gieg, a.a.O., § 485 Rn. 2).
93
Nicht vom Speicherungszweck der Vorgangsverwaltung umfasst und damit zu löschen sind dagegen die Wohnanschrift, die Staatsangehörigkeit und der Familienstand (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 4.11.2014 – 2 VAs 2/13, juris Rn. 11; OLG Hamm, Beschlüsse vom 15.06.2010 – 1 VAs 16/10 –, juris Rn. 31; vom 08.08.2022 – 1 VAs 48/22 –, juris Rn. 31).
94
bb) Letzteres trifft hinsichtlich der Verfahrensdaten grundsätzlich auch für die Angabe des gesetzlichen Tatbestandes und der Tatzeit zu [s. unten unter (2) ]. Wegen der technischen Unmöglichkeit der Nichtbefüllung dieser Rubriken im staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister (und damit auch der Löschung der entsprechenden Einträge) kann jedoch eine Löschungsverpflichtung nicht ausgesprochen werden [s. unten unter (3) ]. Die ersatzweise vorzunehmende Sperrung dieser Daten hat die Staatsanwaltschaft bereits mit der Abschlussverfügung veranlasst [s. unten unter (4) ], so dass insoweit dem Recht des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung Genüge getan ist.
95
(1) Überwiegend wird zur Vorgangsverwaltung an Verfahrensdaten die Speicherung von Aktenzeichen, Tatzeit (ohne Deliktsbezeichnung), gegebenenfalls auch Eingangsdatum, Erledigungsart und Erledigungsdatum als grundsätzlich ausreichend und somit auch nur erforderlich angesehen (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 04.11.2014 – 2 VAs 2/13 –, juris Rn. 11; OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.12.2022 – 3 VAs 14/22 –, StV-Spezial 2023, 66, juris Rn. 27; OLG Hamburg, Beschluss vom 09.10.2009 – 2 VAs 1/09 –, StraFO 2010, 85, juris Rn. 52; MüKoStPO/ Singelnstein, a.a.O., § 485 Rn. 4; KK-StPO/Gieg, a.a.O., § 485 Rn. 2; BeckOK StPO/Wittig, a.a.O., § 485 Rn. 1a; weitergehend – auch Tatvorwurf – Löwe-Rosenberg/Hilger, a.a.O., StPO § 485 Rn. 2 mit Einschränkungen in § 489 Rn. 5), wobei bei abgeschlossenen Verfahren zu berücksichtigen ist, dass es nur noch um den Zweck der späteren möglichen Aktenauffindung geht (so zutreffend KK-StPO/Weßlau/Deiters, a.a.O., § 485 Rn. 3). Teilweise wird auch die Erforderlichkeit der Angabe der Erledigungsart und des Erledigungsdatums in Bezug auf die Vorgangsverwaltung als kritisch erachtet (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15.06.2010 – 1 VAs 16/10 –, juris Rn. 26).
96
(2) Von weiten Teilen der Rechtsprechung und der Literatur wird, insbesondere wenn das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist, eine Speicherung der gegen den früheren Beschuldigten erhobenen Tatvorwürfe oder der Deliktsgruppe wegen der – insbesondere beim unbestraften Betroffenen – hiervon ausgehenden besonderen Stigmatisierungs- und Diskreditierungswirkung als in der Regel weder zur Vorgangsverwaltung erforderlich noch verhältnismäßig im engeren Sinn angesehen (vgl. zum Ganzen OLG Brandenburg, Beschluss vom 04.11.2014 – 2 VAs 2/13 –, juris Rn. 11; OLG Frankfurt, Beschlüsse vom 17.01.2008 – 3 VAs 47/07 – 48/07 –, NStZ-RR 2008, 183, juris Rn. 30; vom 20.07.2010 – 3 VAs 19/10 –, NStZ-RR 2010, 350, juris Rn. 17; vom 20.12.2022 – 3 VAs 14/22 –, StV-Spezial 2023, 66, juris Rn. 22 f.; OLG Hamburg, Beschlüsse vom 24.10.2008 – 2 VAs 5/08 –, NStZ 2009, 707, juris Rn. 30; vom 09.10.2009 – 2 VAs 1/09 –, StraFo 2010, 85, juris 21 und Rn. 53; OLG Hamm, Beschluss vom 15.06.2010 – 1 VAs 16/10 –, juris Rn. 25 f.; vom 26.02.2021 – III-1 VAs 74/20 –, juris Rn. 26; MüKoStPO/Singelnstein, a.a.O., § 485 Rn. 4; KK-StPO/Weßlau/Deiters, a.a.O., § 485 Rn. 3; KK-StPO/Gieg, a.a.O., § 485 Rn. 2). Teilweise wurde im konkreten Fall (lediglich) beanstandet, dass seitens der Staatsanwaltschaft die hinsichtlich des Grundsatzes der Datensparsamkeit nötige Einzelfallprüfung des „Erforderlichseins“ für die Speicherung der Deliktsart und der Tatzeit für die Vorgangsverwaltung fehlte (so OLG Hamm, Beschlüsse vom 26.02.2021 – III-1 VAs 74/20 –, juris Rn. 26; vom 08.08.2022 – 1 VAs 48/22 –, juris Rn. 31).
97
Demgegenüber vertritt der 3. Strafsenat des hiesigen Gerichts die Auffassung, der Tatvorwurf müsse gespeichert werden, um den Gegenstand des Ermittlungsverfahrens zweifelsfrei zu erfassen, insbesondere auch, um den Eintritt der Verjährung konkret bestimmen zu können (BayObLG, Beschluss vom 27.01.2020 – 203 VAs 1846/19 –, StraFo 2020, 161, juris Rn. 20 f. und 24; kritisch hierzu Basar, jurisPR-StrafR 22/2020 Anm. 2 unter C; Ihwas, FD StrafR 2020, 429288).
98
Ob dies generell zutrifft, kann vorliegend dahinstehen. Denn der Eintritt der Erledigung des Verfahrens durch den Ablauf der Verjährungsfrist und die Möglichkeit, dass bis dahin neue Beweismittel auftauchen können, spielt wegen der Schuldunfähigkeit des Antragstellers keine Rolle. Der Senat sieht demgemäß bei dieser Fallkonstellation keinen Grund, weshalb es zur verwaltungsmäßigen Erfassung des Akten- bzw. Dateienbestandes erforderlich sein soll, unter der Rubrik „Tatvorwurf“ den gesetzlichen Tatbestand und unter der Rubrik „Tatzeit“ das Datum (weiterhin) zu speichern (vgl. hierzu OLG Hamm, Beschluss vom 26.02.2021 – III-1 VAs 74/20 –, juris Rn. 26).
99
Diese Bedenken gelten erst Recht in Fällen der Speicherung von Daten Strafunmündiger. Hier ist nach strengem Maßstab im Einzelfall durch die verantwortliche Staatsanwaltschaft zu prüfen, welche Daten für die reine Aktenverwaltung oder die Erfüllung von Mitteilungspflichten tatsächlich erforderlich sind. Alle übrigen Daten sind zu löschen. Hinsichtlich der Deliktsbezeichnung, der möglicherweise eine nachhaltige langfristige stigmatisierende Wirkung zukommt, dürfte ein Erfordernis der Datenspeicherung für die reine Aktenverwaltung nur schwerlich zu begründen sein (OLG Frankfurt, Beschluss vom 22.06.2021 – 3 VAs 4/21 –, zitiert im Beschluss vom 20.12.2022 – 3 VAs 14/22 –, StV-Spezial 2023, 66, juris Rn. 22; so bereits OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.01.2008 – 3 VAs 47/07 und 48/07 –, NStZ-RR 2008, 183, juris Rn. 30). Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Auffassung der Leitenden Oberstaatsanwältin im Bescheid vom 30.11.2023, dass der Tatvorwurf des Diebstahls geringwertiger Sachen, wenn überhaupt, nur geringfügig stigmatisierenden Charakter habe.
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(3) Gleichwohl führt dies nicht zu einer Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, die entsprechenden Daten zu löschen. Die Speicherung dieser Angaben wurde nämlich in Fällen toleriert, in denen die Staatsanwaltschaft nachvollziehbar dargelegt hatte, dass eine isolierte Löschung dieser Dateien systembedingt nicht oder nicht ohne unverhältnismäßigen Aufwand möglich sei und stattdessen Schutzmechanismen zum Zuge gekommen seien, die gewährleisten, dass die Daten des Betroffenen nur für die Vorgangsverwaltung nach § 485 StPO verwendet werden können. Die Löschung sei dann durch eine Vollsperrung sämtlicher betroffener Verfahren gemäß § 75 Abs. 3 Satz 1, § 58 Abs. 3 Nr. 3 BDSG zu ersetzen (so bereits zur alten Rechtslage gemäß § 489 Abs. 7 S. 1 Nr. 3 StPO a.F. OLG Hamm, Beschluss vom 15.06.2010 – 1 VAs 16/10 –, juris Rn. 26), mit der Folge, dass ausschließlich Bedienstete Zugriff auf die Datensätze haben, die mit der Aktenvernichtung betraut sind (OLG Hamm, Beschlüsse vom 26.02.2021 – III-1 VAs 74/20 –, juris Rn. 27; vom 08.08.2022 – 1 VAs 48/22 –, juris Rn. 41). Durch diese Vorkehrungen sei auch dem Zweckbindungsgrundsatz Genüge getan (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15.06.2010 – 1 VAs 16/10 –, juris Rn. 26).
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(4) Entsprechend verhält es sich im vorliegenden Fall, in dem die Staatsanwaltschaft im Schreiben vom 28.03.2024 nachvollziehbar dargelegt hat, dass die Angabe des Tatvorwurfs und der Tatzeit erforderlich sei, um das Verfahren im Fachverfahren web.sta erfassen zu können, da es sich um sog. Pflichtfelder handle.
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Dem Grundrecht des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung wird insoweit Genüge getan, als in der Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft vom 12.01.2023 die Sperrung des Antragstellers aus datenschutzrechtlichen Gründen angeordnet worden ist. Dies bedeutet nach der Auskunft der Staatsanwaltschaft im Schreiben vom 28.03.2024, dass das Verfahren und die vom Antragsteller hinterlegten Daten nur von einem begrenzten Personenkreis innerhalb der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, nämlich der Behördenleitung sowie der Abteilungsleiterin, den Staatsanwälten und der Geschäftsstelle der Abteilung 6 eingesehen werden können. Demgegenüber haben andere Mitarbeiter der Behörde oder gar externe Stellen außerhalb dieser Abteilung keinen Zugriff und erhalten bei der Suche nach dem Aktenzeichen die Meldung, ein Verfahren mit diesem Aktenzeichen existiere nicht, während bei der Suche nach dem Namen des Betroffenen das gesperrte Verfahren nicht in der Verfahrensliste auftaucht.
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Der nur für den begrenzten Kreis der genannten Angehörigen der für Jugendstrafsachen und Jugendschutzsachen zuständigen Abteilung 6 der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth sowie für die Behördenleitung mögliche Datenzugriff gewährleistet einerseits ein Wiederauffinden der Ermittlungsakte in den genannten, zulässigen Fällen und andererseits einen ausreichenden Schutz des Grundrechts des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung.
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Eine Kostengrundentscheidung nach § 1 Abs. 2 Nr. 19, § 22 Abs. 1 GNotKG i.V.m. Nr. 15300 bzw. 15301 KV GNotKG war nicht veranlasst. Da der Antrag teilweise erfolgreich ist und deshalb nicht vollständig zurückgewiesen wurde, fallen – anders als bei der zusammengefassten Entscheidung über verschiedene Antragsgegenstände (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 09.03.2015 – 2 VA 3/14 –, juris Rn. 18) – keine Gerichtskosten gemäß Nr. 15301 KV GNotKG an (vgl. BayObLG, Beschlüsse vom 03.12.2019 – 1 VA 70/19 –, juris Rn. 20 m.w.N.; vom 09.10.2023 – 203 VAs 284/23 –, juris Rn. 27). Auch (gerichtliche) Auslagen im Sinne von Teil 3, Hauptabschnitt 1 des Kostenverzeichnisses zum GNotKG sind nicht angefallen. Einer Festsetzung des Geschäftswerts bedarf es daher nicht.
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Anlass zur Erstattung außergerichtlicher Kosten (§ 30 Abs. 2 EGGVG) besteht nicht. Eine solche Anordnung kann nur im Ausnahmefall getroffen werden (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., EGGVG § 30 Rn. 3), wenn dies durch die Lage des Einzelfalles besonders gerechtfertigt ist. Erforderlich wäre ein offensichtlich oder grob fehlerhaftes oder gar willkürliches Verhalten der Justizbehörde (OLG Dresden, Beschluss vom 19.05.2003 – 2 VAs 4/02 –, RDV 2004, 84, juris Rn. 25; OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.12.2022 – 3 VAs 14/22 –, StV-Spezial 2023, 66, juris Rn. 34; OLG Hamm, Beschlüsse vom 26.02.2021 – III-1 VAs 74/20 –, juris Rn. 51; vom 08.08.2022 – 1 VAs 48/22 –, juris Rn. 44; OLG Zweibrücken, wistra 2010, 118, juris Rn. 21 m.w.N.; KK-StPO/Kissel, a.a.O., EGGVG § 31 Rn. 5 m.w.N.). Ein solches ist nicht ersichtlich.
106
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen (§ 29 Abs. 2 EGGVG), da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.