Titel:
Unterstützungspflicht der Justizvollzugsanstalt bei der Einsicht des Strafgefangenen in umfangreiche Gefangenenpersonalakten
Normenketten:
StVollzG § 115 Abs. 3, § 118 Abs. 3, § 120 Abs. 1
BayStVollzG Art. 2 S. 2, Art. 75, Art. 78, Art. 79, Art. 195, Art. 204, Art. 208
StPO § 341 Abs. 1, § 345 Abs. 1
Leitsätze:
1. I. Bei der Einlegung einer Rechtsbeschwerde durch die Justizvollzugsanstalt genügt die Schriftform gem. Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 120 Abs. 1 StVollzG, §§ 341 Abs. 1, 345 Abs. 1 StPO. (Rn. 28)
2. II. Ist die Rechtsbeschwerde der Justizvollzugsanstalt nicht eigenhändig, sondern nur in Druckschrift mit vorangestelltem „gez.“ unterzeichnet, so genügt dies der erforderlichen Form, sofern der Inhalt der Erklärung und die Person des Erklärenden feststehen und sofern das Schriftstück nicht nur einen Entwurf darstellt. (Rn. 29 – 40)
3. III. Das im Stufenverhältnis stehende Auskunfts- und Einsichtsrecht gemäß Art. 204 BayStVollzG begründet für den Strafgefangenen ein Feststellungsinteresse i.S.v. § 115 Abs. 3 StVollzG. Art. 204 BayStVollzG trägt dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Gefangenen im Strafvollzug Rechnung und bezieht sich damit im Wesentlichen auf die von diesem Recht betroffenen Gefangenenpersonalakten (Art. 195 Abs. 1 BayStVollzG) und Gesundheitsakten (Art. 195 Abs. 2 BayStVollzG). (Rn. 44 – 50)
4. IV. Zum Umfang der Pflicht der Justizvollzugsanstalt, einen Strafgefangenen bei der Einsicht in umfangreiche Gefangenenpersonalakten zu unterstützen. (Rn. 51 – 67)
Schlagworte:
Strafvollzug, Rechtsbeschwerde, Form, Schriftform, Unterschrift, Feststellungsinteresse, Gefangenenpersonalakte, Gesundheitsakte, Einsichtsrecht, Unterstützungspflicht
Vorinstanz:
LG Regensburg, Beschluss vom 11.08.2023 – SR StVK 819/23
Fundstelle:
BeckRS 2024, 22052
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde der Justizvollzugsanstalt S. gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 11. August 2023 wird als unbegründet verworfen.
2. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 250 € festgesetzt.
3. Die Staatskasse hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die darin dem Strafgefangenen A. entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
1
Der Antragsteller war bis zu seiner Verlegung am 17.08.2023 in die Justizvollzugsanstalt L. Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt S. 1. Die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing hat im Wege der einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 30.06.2023 (SR StVK 816/23) die Justizvollzugsanstalt S. (Antragsgegnerin) verpflichtet, dem Antragsteller Akteneinsicht in seine Gefangenenpersonalakte zu gewähren, zumindest für sämtliche Dokumente, die die Anzeige vom 01.06.2022 betreffen, insbesondere in die Meldung von Frau G. und die Meldung der Justizvollzugsanstalt an die Staatsanwaltschaft.
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Dem lag zugrunde, dass in einem strafgerichtlichen Verfahren gegen den Antragsteller ein Fortsetzungstermin für den 05.07.2023 anberaumt worden war. Dieses Verfahren beruhte auf einer Anzeige der Antragsgegnerin wegen eines Vorfalls am 01.06.2022. Der Antragsteller hat die Ansicht vertreten, nach Zusendung von Verfahrensunterlagen, u.a. einer Zeugenaussage, durch seinen Verteidiger habe sich herausgestellt, dass der Polizei von der Zeugin G. eine gefälschte Meldung vorgelegt worden sei, da die Antragsgegnerin mit der Anzeige gegen ihn eine andere Meldung an die Polizei übersandt habe. Er benötige daher zum Nachweis der Fälschung die Akteneinsicht.
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2. Mit Schreiben vom 30.06.2023, eingegangen per Telefax bei der Strafvollstreckungskammer am 03.07.2023 hat der Antragsteller im vorliegenden Verfahren SR StVK 819/23 beantragt, die Justizvollzugsanstalt S. im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ausreichend Einsicht in die Gefangenenakte zu gewähren. Er bringt vor, die Justizvollzugsanstalt habe ihm den o.g. Beschluss der Strafvollstreckungskammer am 30.06.2023 um 14:30 Uhr ausgehändigt und mitgeteilt, dass er am Montag, dem 03.07.2023 von 08:00 Uhr bis 09:30 Uhr Akteneinsicht erhalte. Diese 90 Minuten reichten aber nicht aus, um über 15 Bände durchzugehen und sich auf den Gerichtstermin am 05.07.2023 in Bezug auf eine im Raum stehende Beweismittelfälschung durch die Justizvollzugsanstalt hinreichend vorzubereiten.
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Dem entgegnete die Justizvollzugsanstalt mit Schreiben vom 03.07.2023, sie habe aufgrund des Beschlusses vom 30.06.2023 dem Antragsteller umgehend die Durchführung der Akteneinsicht für den nächstmöglichen Zeitpunkt (den 03.07.2023 von 08:00 Uhr bis 09:30 Uhr) organisiert. Wäre diese Zeit zur Sichtung der Unterlagen nicht ausreichend gewesen, wäre dem Antragsteller am 03.07.2023 bzw. am 04.07.2023 weitere Zeit zur Akteneinsicht eingeräumt worden. Am 03.07.2023 sei dem Antragsteller ab 08:15 Uhr Akteneinsicht gewährt worden. Dieser habe, noch bevor das Ende der anberaumten Zeitspanne erreicht war, geäußert, dass er mit der Akteneinsicht fertig sei, er habe alle Unterlagen gesichtet, die er benötige.
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Dieser erwiderte mit Schreiben vom 03.07.2023, er habe den Beamten der Justizvollzugsanstalt gesagt, er sei für jetzt fertig mit der Akteneinsicht, da die dafür vorgesehene Zeit erreicht gewesen sei. Mit der Akteneinsicht selbst sei er aber nicht fertig gewesen. Der Beamte und er hätten um 09:25 Uhr den Raum verlassen, er sei aber am Nachmittag nicht zur (weiteren) Akteneinsicht abgeholt worden. Ihm seien 16 Bände mit ca. jeweils 250 Seiten vorgelegt worden, so dass er nur mit dem ersten Band fertig gewesen sei und mit dem zweiten angefangen habe. Laut Aktenmappe habe er in dem Zeitraum geschaut, in dem sich die benötigten Unterlagen hätten befinden müssen. Die Anzeige wie auch die Meldung hätten sich aber nicht in dieser Akte befunden, somit sei er nicht fertig. Die Justizvollzugsanstalt solle eine Abhilfe schaffen und ihm für Dienstag (04.07.2023) den ganzen Tag Akteneinsicht gewähren. Trete diese der Einsicht für den 04.07.2023 bei, sei er bereit, den Antrag zurückzuziehen.
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Mit Verfügung vom 05.07.2023 wies die Strafvollstreckungskammer darauf hin, dass der Antrag auf einstweilige Anordnung unzulässig sein dürfte. Die Justizvollzugsanstalt sei verpflichtet worden, dem Antragsteller zumindest Einsicht in die Seiten betreffend die Anzeige / Meldung zu gewähren. Dafür dürfte die Zeit von 90 Minuten ausreichend gewesen sein. Soweit diese selbst mehr Bände als benötigt vorgelegt habe, sei sie bereits aufgrund des Gerichtsbeschlusses vom 30.06.2023 verpflichtet, Einsicht konkret in die Seiten der Meldung zu gewähren und diese konkret vorzulegen bzw. den Hinweis zu geben, wo und in welchem Band sich diese Seiten befinden. Insofern bestehe bereits eine gerichtlich angeordnete Verpflichtung.
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Mit Schreiben vom 05.07.2023 teilte der Antragsteller mit, ihm seien alle Bände vorgelegt worden, ohne ihm zu sagen oder darauf hinzuweisen, wo sich die Seiten befinden. Diese habe er bis dato nicht gesehen. Er sei auch überfordert gewesen. Er könne heute, am 05.07.2023, dem Gericht somit nur die Verfügung der Strafvollstreckungskammer vorlegen, jedoch keinen Beweisantrag stellen, und wisse bis jetzt nicht, ob es einen Fortsetzungstermin geben werde.
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Daraufhin bat die Strafvollstreckungskammer am 06.07.2023 die Justizvollzugsanstalt um Stellungnahme und wies darauf hin, dass diese ein überlegenes Wissen habe, wo sich in der Akte das Schriftstück, in das der Antragsteller Einsicht begehrt, befindet.
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3. Mit Schreiben vom 06.07.2023 stellte der Antragsteller den Antrag auf einen Antrag nach § 109 StVollzG um und beantragte, festzustellen, dass das Vorgehen der Justizvollzugsanstalt rechtswidrig sei und diese bewusst gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 30.06.2023 agiert habe, und die Justizvollzugsanstalt zu verpflichten, entsprechende Akteneinsicht zu gewähren. Er sei am 05.07.2023 zu sieben Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Die Justizvollzugsanstalt habe seine Verteidigung dadurch behindert, dass er die für einen Beweisantrag benötigten Unterlagen nicht habe einsehen können. Er müsse sich nun auf das Berufungsverfahren vorbereiten.
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Die Antragsgegnerin erwiderte mit Schreiben vom 10.07.2023, dass der Antragsteller am 03.07.2023 von 08:30 Uhr bis 09:30 Uhr und am 04.07.2023 von 13:00 Uhr bis 14:30 Uhr Akteneinsicht erhalten habe. Am 05.07.2023 habe ihm keine Akteneinsicht gewährt werden können, da er an diesem Tag von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr einen Gerichtstermin beim Amtsgericht Straubing wahrgenommen habe. Am 06.07.2023 sei ihm für den Zeitraum von 13:00 Uhr bis 14:30 Uhr nochmals die Möglichkeit eingeräumt worden, Einsicht in seine Gefangenenpersonalakte zu nehmen. Er habe dies jedoch abgelehnt, da er an diesem Tag Besuch durch seinen Rechtsanwalt erhalten habe. Weitere Termine könnten ihm in der Kalenderwoche 28 gewährt werden. Bei der Vergabe der Termine zur Akteneinsicht seien jedoch stets die organisatorischen und personellen Gegebenheiten der Justizvollzugsanstalt S. zu berücksichtigen.
11
Werde einem Gefangenen Akteneinsicht gewährt, würden immer alle Bände der Gefangenenpersonalakte vorgelegt, um zu verhindern, dass dieser vortrage, ihm sei der maßgebliche Band vorenthalten worden.
12
Die Anstalt berief sich darauf, dass der in Art. 2 Satz 2 BayStVollzG enthaltene Behandlungsauftrag grundsätzlich die Gewährung von Hilfe zur Selbsthilfe gebiete. Es könne nicht Aufgabe des Vollzugs sein, alle Angelegenheiten der Gefangenen selbst zu regeln; vielmehr sei den Gefangenen Hilfestellung zu geben, eigenverantwortlich zu handeln (vgl. Art. 75, 78, 79 BayStVollzG). Diese sollen nicht durch die umfassende Hilfe der Anstalt in deren Abhängigkeit geraten und darauf vertrauen, dass alles für sie geregelt werde (unter Hinweis auf Arloth, StVollzG, § 71 Rn. 3). Diese Bestimmung sei als Ausgestaltung des Angleichungsgrundsatzes an den Grundsatz des § 1 Satz 2 SGB XII angelehnt, der für Bürger außerhalb des Vollzugs dies gleichermaßen regele. Hilfeempfänger sollen befähigt werden, ihr Leben unabhängig von den Sozialbehörden eigenständig zu gestalten.
13
Um dem Antragsteller zu ermöglichen, sich beim nächsten Termin zur Akteneinsicht besser zurechtzufinden, sei ihm ein Auszug der Bayerischen Vollzugsgeschäftsordnung (BayVGO) ausgehändigt worden, der ausführlich den Aufbau der Gefangenenpersonalakte beschreibe. Diese setze sich aus drei Heftnadeln zusammen, in die nach Nr. 52.6 BayVGO jeweils folgende Unterlagen aufzunehmen seien: Die erste Heftnadel enthalte die Unterlagen über persönliche Daten, die zweite Heftnadel die Einweisungs- und Vollstreckungsunterlagen und die dritte Heftnadel sonstige Schriftstücke in der Reihenfolge ihres Entstehens. Gemäß Nr. 52.7 BayVGO seien die Schriftstücke der dritten Heftnadel mit fortlaufenden arabischen Blattzahlen in roter Farbe versehen. Werde es erforderlich, einen weiteren Band anzulegen, sei das unter der ersten und zweiten Heftnadel abgeheftete Schriftgut in den neuen Band umzuheften. Die dritte Heftnadel soll dabei 250 Blatt nicht überschreiten. Aus Nr. 52.6 BayVGO gehe hervor, dass die Schriftstücke in der Reihenfolge ihres Entstehens abgelegt seien, d.h. die dritte Heftnadel sei grundsätzlich chronologisch aufgebaut. Aufgrund der Bearbeitungsdauer für einzelne Vorgänge könne es zwar geringfügige Abweichungen von der Chronologie geben. Eine grobe Chronologie sei jedoch stets gewahrt. Dies sei bei Sichtung der einzelnen Bände auf wenige Blicke auch für einen Laien erkennbar.
14
Ein überlegenes Wissen der Justizvollzugsanstalt könne sich lediglich auf den Aufbau der Gefangenenpersonalakte beziehen, nicht darauf, an welcher Stelle der dritten Heftnadel genau eine bestimmte Meldung oder ein Antrag des Gefangenen zu finden sei. Im Übrigen habe der Gefangene in seinem Antrag vom 26.06.2023 (s. Bl. 20 d.A.) lediglich Akteneinsicht in seine Gefangenenakten mit der Begründung „wegen Amtshaftungsklage“ gestellt und die benötigte Aktenauskunft nicht weiter präzisiert. Auch aus dessen Schreiben vom 29.06.2023 im Verfahren SR StVK 816/23 sei keine Präzisierung der benötigen Unterlagen hervorgegangen. Er habe insoweit lediglich geschrieben, dass der Verdacht bestehe, dass seine Gefangenenpersonalakte verfälscht worden sei und er wegen einer verfälschten Meldung vom 01.06.2022 angezeigt worden sei. Von wann diese angeblich verfälschte Meldung stammen soll, habe er nicht näher dargelegt. Der Anstalt sei es daher bereits nicht möglich gewesen, ihm eine konkrete Meldung vorzulegen. Soweit er auf eine Strafanzeige vom 01.06.2022 Bezug nehme, sei diese für ihn mit dem gleichen zeitlichen Aufwand zu finden, wie dies der Anstalt möglich wäre.
15
In einem weiteren Schreiben vom 10.07.2023 wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass der Antragsteller im laufenden Berufungsverfahren anwaltlich vertreten werde. Sollte er sich nicht in der Lage sehen, die Gefangenenpersonalakte selbst zu sichten, so könne gerne seinem anwaltlichen Vertreter die Möglichkeit der entsprechenden Sichtung eingeräumt werden. Ergänzend wies sie darauf hin, dass sich die in Rede stehenden Meldungen in der Verfahrensakte des laufenden Berufungsverfahrens befänden und der Antragsteller bereits Kenntnisnahme von deren Inhalt haben müsste. In der Hauptverhandlung am 05.07.2023 sei hierauf Bezug genommen worden.
16
4. Mit Verfügung vom 10.07.2023 wies die Strafvollstreckungskammer darauf hin, dass das erneute Begehren auf Akteneinsicht keinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung, sondern auf Androhung von Zwangsgeld im Verfahren SR StVK 819/23 (gemeint SR StVK 816/23) darstelle. Das vorliegende Verfahren SR StVK 819/23 betreffe nach Umstellung bzw. Ergänzung des Antrags im Schreiben vom 06.07.2023 die Feststellung, dass das Vorgehen der Justizvollzugsanstalt hinsichtlich der Akteneinsicht (Vorlage sämtlicher Bände mit einer Zeitvorgabe von zunächst 90 Minuten) rechtswidrig gewesen sei.
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Mit Schreiben vom 10.07.2023 teilte der Antragsteller mit, dass ihm am selben Tag um 10:50 Uhr ein Formblatt vorgelegt (vgl. Kopie der Nrn. 52.6 und 52.7. der BayVGO auf Bl. 24 d.A.) und er um 13.00 Uhr zur Akteneinsicht begleitet worden sei, wobei ihm wieder alle Akten vorgelegt worden seien, ohne ihm das zu zeigen, was er beantragt habe. Er stelle nun Antrag auf Verhängung eines Zwangsgeldes in Höhe von 10.000 €, da die Justizvollzugsanstalt ihren Verpflichtungen aus dem Beschluss vom 30.06.2023 nicht nachgekommen sei.
18
Mit Schreiben vom 20.07.2023 vertrat die Antragsgegnerin die Auffassung, dass sich aus dem Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung vom 06.07.2023 im Verfahren SR StVK 880/23 ergebe, dass diesem in ausreichender Weise Akteneinsicht gewährt worden sei. Denn dort zitiere er eine Meldung der Bediensteten G. vom 25.05.2022 und eine angeblich gefälschte Meldung der Bediensteten G. vom 01.06.2022. Er habe somit bereits Kenntnis von den Meldungen, in die ihm Akteneinsicht gewährt werden soll.
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Hierauf entgegnete der Antragsteller mit Schreiben vom 31.07.2023, warum er aufgrund der äußeren Umstände – vor allem des Inhalts der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte – der Meinung ist, dass die Meldung der Frau G. vom 01.06.2022 gefälscht sein müsse, da sich in den Ermittlungsakten zunächst nur die Meldung der Frau G. vom 25.05.2022 befunden habe und über ein Jahr später dann plötzlich eine neue Meldung vom 01.06.2022 aufgetaucht sei.
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5. Die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing hat mit Beschluss vom 11.08.2023 festgestellt, dass die Art und Weise der Gewährung von Akteneinsicht am 03.07.2023 und 04.07.2023 hinsichtlich der Vorlage sämtlicher Bände der Gefangenenpersonalakte in dem vorgegebenen Zeitfenster von jeweils 90 Minuten rechtswidrig gewesen sei und den Antragsteller in seinen Rechten verletze.
21
Gegen diesen ihr am 16.08.2023 zugestellten Beschluss legte die Antragsgegnerin mit am 14.09.2023 eingegangenem Schreiben vom 12.09.2023 Rechtsbeschwerde ein. Dieses ist nicht unterzeichnet, enthält aber den Vermerk „i.V. gez. R. Regierungsdirektorin“.
22
Die Generalstaatsanwaltschaft M. beantragt, auf die Rechtsbeschwerde der Justizvollzugsanstalt den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 11.08.2023 aufzuheben und den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückzuweisen.
23
Der Antragsteller beantragt mit Schreiben vom 10.10.2023, die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin als unbegründet zu verwerfen.
24
Nach Hinweis des Senatsvorsitzenden zur Problematik der fehlenden Unterschrift übersandte die Generalstaatsanwaltschaft mit Schreiben vom 23.12.2023 die ergänzenden Stellungnahmen der Antragsgegnerin vom 18.12.2023 und vom 19.12.2023.
25
Gemäß Verfügung vom 05.01.2024, ausgeführt am 15.01.2024, erhielt der Antragsteller die genannten Schreiben zur Kenntnis.
26
Die Rechtsbeschwerde der Justizvollzugsanstalt S. ist zulässig.
27
1. Sie wurde form- und fristgerecht eingelegt. Dass der bei den Akten befindliche Rechtsbeschwerdeschriftsatz nicht unterzeichnet wurde, führt nicht zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels.
28
a) Besondere Formanforderungen stellt Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 118 Abs. 3 StVollzG nur für die Rechtsbeschwerde des Antragstellers (also in der Regel des Gefangenen) auf. Für die Rechtsbeschwerde der Vollzugsbehörde enthält § 118 StVollzG hingegen keine bestimmten Formanforderungen (BeckOK Strafvollzug Bund/Euler, 24. Ed. 01.08.2023, StVollzG § 118 Rn. 3). Insoweit muss gemäß Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 120 Abs. 1 StVollzG auf die Regelungen zum Revisionsverfahren in der Strafprozessordnung zurückgegriffen werden. Dort ist für die Revisionseinlegung – gleich durch wen – die Schriftform (§ 341 Abs. 1 StPO) ausreichend. Während die Revisionsbegründung seitens des Angeklagten durch eine von einem Rechtsanwalt oder Verteidiger unterzeichnete Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erfolgen muss (§ 345 Abs. 1 StPO), enthält auch die Strafprozessordnung keine Regelungen zur Form einer staatsanwaltschaftlichen Revisionsbegründung. Hier wird demgemäß, soweit die Akten nicht elektronisch geführt werden, die einfache Schriftform für ausreichend (aber auch erforderlich) erachtet (LR-StPO/Franke, 26. Aufl. 2012, § 345 Rn. 44). Diese Anforderungen sind auch im Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem Strafvollzugsgesetz heranzuziehen (OLG Hamm, Beschluss vom 03.07.2014 – III-1 Vollz (Ws) 279/14 –, juris Rn. 24).
29
b) Die Schriftlichkeit soll gewährleisten, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Außerdem muss feststehen, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 04.07.2002 – 2 BvR 2168/00 –, NJW 2002, 3534, juris Rn. 23; Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 30.04.1979 – GmS-OGB 1/78 –, BGHZ 75, 340, juris Rn. 31). Im Einklang hiermit und in Anknüpfung an die Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGSt 62, 53, 54; 63, 246, 248; 67, 385, 388 f.) hält der Bundesgerichtshof in Strafsachen die eigenhändige Unterzeichnung nicht für eine wesentliche Voraussetzung der Schriftlichkeit. Es genügt vielmehr, wenn aus dem Schriftstück ansonsten in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise ersichtlich ist, von wem die Erklärung herrührt (BGH, Urteile vom 18.10.1951 – 3 StR 513/51 –, BGHSt St 2, 77, juris Rn. 2; vom 07.01.1959 – 2 StR 550/58 –, BGHSt 12, 317, juris Rn. 4; BGH, Beschluss vom 26.01.2000 – 3 StR 588/99 –, NStZ-RR 2000, 305; juris Rn. 3) und dass kein bloßer Entwurf vorliegt (BGH, Beschlüsse vom 23.06.1983 – 1 StR 351/83 –, NJW 1984, 1974, juris Rn. 8; vom 17.04.2002 – 2 StR 63/02 –, NStZ 2002, 558, juris Rn. 3 bis 5; so auch LR-StPO/Gössel, 26. Aufl. 2012, § 314 Rn. 17 m.w.N.).
30
Ausgehend hiervon muss das Gericht prüfen, ob in dem nicht handschriftlich unterzeichneten Schriftstück selbst Anzeichen für ein bewusstes und gewolltes Inverkehrbringen erkennbar sind. Ein Anzeichen hierfür ist etwa die Nennung von Daten, die in der Regel nur den Betroffenen bekannt sind (BVerfG, Kammerbeschluss vom 04.07.2002 – 2 BvR 2168/00 –, NJW 2002, 3534, juris Rn. 24; dem folgend OLG Nürnberg, Beschluss vom 10.12.2007 – 1 Ws 718/07 –, NStZ-RR 2008, 316, juris Rn. 6). Eine Heilung des nur als Entwurf eingegangenen Rechtsmittels durch Genehmigung des Rechtsmittelführers nach Ablauf der Rechtsmittelfrist ist hingegen nicht möglich (vgl. zur Berufung OLG Nürnberg, Beschluss vom 09.11.2015 – 2 Ws 633/15 –, NStZ 2017, 494, juris Rn. 15).
31
Für die Auslegung des Schriftformerfordernisses im Strafverfahren hat sich das Bundesverfassungsgericht, das entscheidend darauf abstellt, welcher Grad von Formenstrenge nach den maßgeblichen verfahrensrechtlichen Vorschriften sinnvoll zu fordern ist, diesem Verzicht auf die Notwendigkeit einer eigenhändigen Unterschrift angeschlossen (Kammerbeschluss vom 04.07.2002 – 2 BvR 2168/00 –, NJW 2002, 3534, juris Rn. 23 unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 19.02.1963 – 1 BvR 610/62 –, BVerfGE 15, 288, juris Rn. 10 zum Schriftformerfordernis in § 23 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Dem steht nicht der (weitere) Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 05.04.2000 (- GmS-OGB 1/98 –, BGHZ 144, 160) entgegen (so auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 04.07.2002 – 2 BvR 2168/00 –, NJW 2002, 3534, juris Rn. 25), der sich ausdrücklich nur auf bestimmende fristwahrende Schriftsätze im Parteiprozess mit Vertretungszwang bezieht, die, soweit sie nicht von Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts oder von Behörden eingereicht wurden, kraft Gesetzes mit einer Unterschrift zu versehen sind (a.a.O., juris Rn. 11).
32
c) Ausgehend hiervon hat es der Bundesgerichtshof für die Wahrung der Schriftform in Strafsachen – neben der eigenhändigen Unterschrift – für ausreichend erachtet, wenn der Name des Verfassers (etwa durch den Vermerk „gez. …)“ wiedergegeben wird und unter Beifügung des Dienstsiegels von einem zuständigen Angestellten der Dienststelle beglaubigt ist. Denn es sei kein Grund ersichtlich, einer beglaubigten Abschrift, die im kontrollierten Geschäftsbereich der das Rechtsmittel einlegenden Behörde gefertigt wird, die Anerkennung im Sinne der §§ 341 Abs. 1 und 345 Abs. 1 StPO zu versagen (BGH, Urteil vom 18.10.1951 – 3 StR 513/51 –, BGHSt 2, 77, juris Rn. 2).
33
Geringere Anforderungen hat der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes gestellt (Beschluss vom 30.04.1979 – GmS-OGB 1/78 –, BGHZ 75, 340, juris Rn. 28 f.). Auf Vorlage des Bundessozialgerichts hat er entschieden, es genüge, wenn der Name des Verfassers nur in Maschinenschrift wiedergegeben und mit einem Beglaubigungsvermerk versehen ist, unabhängig davon, ob der Beglaubigungsvermerk mit einem Dienstsiegel versehen ist. Er hat ausgeführt, dass ein Verzicht auf allzu große Formenstrenge jedenfalls und erst recht auch für das Strafverfahren gelte, in dem seit jeher an die Form bestimmender Schriftsätze geringere Anforderungen gestellt worden sind (a.a.O., juris Rn. 28).
34
Das Reichsgericht hat es bereits ausreichen lassen, wenn der Verfasser die Rechtsmittelschrift mit einem sonst niemand zugänglichen Namensstempel (Faksimilestempel) unterfertigt hat (Urteil vom 06.09.1929 – III 722/29 –, RGSt 63, 246, 248).
35
In einer weiteren Entscheidung geht der Bundesgerichtshof davon aus, dass der Schriftsatz, mit dem der Verteidiger des Angeklagten Revision eingelegt hatte, aufgrund des Briefkopfes und des computergeschriebenen Diktatzeichens neben der Datumsangabe zweifelsfrei den Urheber erkennen lasse (BGH, Beschluss vom 17.04.2002 – 2 StR 63/02 –, Rn. 3 f., juris) und dass nach (nicht näher begründeter) Auffassung des Senats auch feststehe, dass es sich nicht lediglich um einen Entwurf handelt, sondern dass das Schriftstück mit Wissen und Wollen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (a.a.O., juris Rn. 5).
36
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts reicht es im Strafbefehlsverfahren zur Wahrung der Schriftform aus, wenn das Einspruchsschreiben in Form eines im Original überhaupt nicht unterschriebenen Computerfaxes übersandt wird, sofern feststeht, dass der Einspruch gegen den Strafbefehl vom Angeschuldigten herrührt und dieser ihn mit Wissen und Wollen in den Verkehr gebracht hat (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 04.07.2002 – 2 BvR 2168/00 –, NJW 2002, 3534, juris Rn. 24).
37
Hieran anschließend hat das Oberlandesgericht Hamm in einer strafvollzugsrechtlichen Entscheidung bei der Einlegung des Rechtsmittels durch Übersendung eines kopierten, die Unterschriften des Leitungspersonals der Vollzugseinrichtung aufweisenden Schriftsatzes die Schriftform als gewahrt angesehen, da insoweit kein durchgreifender Unterschied zum Fall des Faksimilestempels bestehe (Beschluss vom 03.07.2014 – III-1 Vollz (Ws) 279/14 –, juris Rn. 25 f.).
38
d) Dies zugrunde gelegt entspricht die Rechtsbeschwerdeschrift der Antragsgegnerin den Formerfordernissen. Bereits aufgrund des Inhalts der Schrift, also des gestellten Antrags und des geschilderten Sachverhalts, steht zweifellos fest, dass das Schreiben von der Antragsgegnerin stammt. Der Senat geht auch davon aus, dass es mit Wissen und Willen der Anstalt in den Verkehr gebracht worden ist. Es wurde mit Einschreiben mit Rückschein versendet, so dass es kurz vor Ablauf der Rechtsbeschwerdefrist bei der Strafvollstreckungskammer eingegangen ist. Dies deutet darauf hin, dass die Herausgabe bewusst mit Blick auf den Fristablauf erfolgt ist.
39
Auch der angebrachte Vermerk „I.V. gez. R. Regierungsdirektorin“) spricht dafür, dass es sich nicht lediglich um einen Entwurf handelt. Insoweit hat die Antragsgegnerin im Schreiben vom 19.12.2023 mitgeteilt, dass der Rechtsbeschwerdeschriftsatz im Wege der elektronischen Akte erstellt worden sei und derart erstellte Dokumente in der Regel auch elektronisch gezeichnet würden, so dass diese nicht mit einer elektronischen Unterschrift versehen seien, sondern nur mit dem Kürzel „gez.“ anstelle der Originalunterschrift. Hierdurch werde verdeutlicht, dass das Schreiben mit Wissen und Willen der Behörde erstellt worden sei. Versehentlich sei kein Ausdruck angefertigt worden, der im Anschluss mit einer Originalunterschrift versehen wurde.
40
Der Senat hat an der Richtigkeit dieser Darstellung keinen Zweifel. Auch wenn im Strafvollzugsverfahren noch keine elektronischen Akten geführt werden, schließt dies nicht aus, dass die Justizvollzugsanstalt intern entsprechende elektronische Dokumente fertigt und im vorliegenden Fall lediglich vergessen hat, einen gesonderten Ausdruck anzufertigen und diesen zu unterzeichnen.
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2. Auch die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor. Die Rechtsbeschwerde dient der Fortbildung des Rechts (Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 116 Abs. 1 StVollzG), da sie dem Senat Anlass bietet, zur Gewährung von Einsicht in die Personalakten der Gefangenen Stellung zu beziehen.
42
Die Rechtsbeschwerde der Justizvollzugsanstalt bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
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1. Der vom Strafgefangenen gestellte Fortsetzungsfeststellungsantrag ist zulässig.
44
a) Die Strafvollstreckungskammer geht davon aus, dass der Antragsteller nach verständiger Würdigung seines Antrags auf gerichtliche Entscheidung die Feststellung begehrt, dass die Akteneinsicht am 03.07. und am 04.07.2023 aufgrund des Umfangs der Akte und des Nichtvorhandenseins einer Hilfestellung zum Aufbau der Akte, wo etwaig etwas zu finden sein könnte, nicht ausreichend und damit rechtswidrig gewesen sei. Diese Auslegung des Begehrens ergebe sich in Zusammenschau mit seinem Vorbringen zur Umsetzung des Beschlusses vom 30.06.2023 im Verfahren SR StVK 816/23, womit nur die Akteneinsichtstermine betroffen seien, die vor dem Gerichtstermin am 05.07.2023 gelegen haben. Ihm sei es darauf angekommen, Akteneinsicht zum Auffinden einer bestimmten Meldung zu erhalten, die er für den Hauptverhandlungstermin in einer Strafsache am 05.07.2023 benötigte, um etwaig einen Beweisantrag stellen zu können.
45
b) Ausgehend von dieser rechtlich nicht zu beanstandenden Auslegung hat der Antragsteller das gemäß Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 115 Abs. 3 StVollzG erforderliche besondere Feststellungsinteresse. Dieses bedeutet kein rechtliches, sondern ein schutzwürdiges Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art (OLG Nürnberg, Beschluss vom 22.11.2012 – 2 Ws 633/12 –, juris Rn. 9).
46
aa) Ein solches kommt nicht nur bei Wiederholungsgefahr, einem Rehabilitierungsinteresse aufgrund des diskriminierenden Charakters der Maßnahme oder bei beabsichtigter Geltendmachung von Amtshaftungs-, Schadensersatz- und Folgenbeseitigungsansprüchen in Betracht (vgl. hierzu OLG Nürnberg, Beschluss vom 22.11.2012 – 2 Ws 633/12 –, juris Rn. 9; Bachmann, in: Laubenthal/ Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, StVollzG, 13. Aufl. 2024, Kap. P Rn. 3; Arloth/Krä/Arloth, StVollzG, 5. Aufl. 2021, § 115 Rn. 8; Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 7. Aufl. 2020, 12. Kap. Abschn. I, Rn. 18), sondern insbesondere auch dann, wenn ein gewichtiger Grundrechtseingriff von solcher Art geltend gemacht wird, dass gerichtlicher Rechtsschutz dagegen typischerweise nicht vor Erledigungseintritt erlangt werden kann. Effektiver Grundrechtsschutz gebietet es in diesen Fällen, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, die Berechtigung des schwerwiegenden – wenn auch tatsächlich nicht mehr fortwirkenden – Grundrechtseingriffs gerichtlich klären zu lassen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 08.11.2006 – 2 BvR 578/02, 2 BvR 796/02 –, BVerfGE 117, 71, juris Rn. 154 und – zu einer Strafvollzugssache – BVerfG, Kammerbeschluss vom 07.03.2012 – 2 BvR 988/10 –, BVerfGK 19, 326 = NJW 2012, 2790, juris Rn. 27; s.a. Bachmann, in: Laubenthal/ Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, a.a.O., Kap. P Rn. 31 und 81). Nur so kann verhindert werden, dass Rechte und insbesondere Grundrechte in bestimmten Konstellationen in rechtsstaatlich unerträglicher Weise systematisch ungeschützt bleiben (BVerfG, Kammerbeschluss vom 20.03.2013 – 2 BvR 67/11 –, BVerfGK 20, 249 = NJW 2013, 1943, juris Rn. 19).
47
bb) Ein solcher Fall liegt vor.
48
Den Gefangenen steht hinsichtlich der über sie geführten Akten der Vollzugsbehörde ein im Stufenverhältnis stehendes Auskunfts- und Einsichtsrecht gemäß Art. 204 BayStVollzG zu (so bereits – zu Art. 203 BayStVollzG a.F., der auf Art. 10 BayDSG verwiesen hat – OLG Nürnberg, Beschluss vom 27.10.2011 – 2 Ws 456/11 –, StV 2012, 168, juris Rn. 16). Art. 204 Abs. 1 BayStVollzG bestimmt ein Recht der Strafgefangenen auf Auskunft über sie betreffende personenbezogene Daten. Soweit eine Auskunft für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen der betroffenen Person nicht ausreicht und sie hierfür auf die Einsichtnahme angewiesen ist, erhält sie gemäß Art. 204 Abs. 3 BayStVollzG Akteneinsicht.
49
Die Regelung trägt dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. BVerfG, Urteil vom 15.12.1983 – 1 BvR 209/83 –, BVerfGE 65, 1, juris Rn. 146 ff.) des Gefangenen im Strafvollzug Rechnung und bezieht sich damit im Wesentlichen auf die von diesem Recht betroffenen Gefangenenpersonalakten (Art. 195 Abs. 1 BayStVollzG) und Gesundheitsakten (Art. 195 Abs. 2 BayStVollzG; vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20.12.2016 – 2 BvR 1541/15 –, juris Rn. 16 ff. zum Anspruch des im Maßregelvollzug Untergebrachten auf Einsicht in seine Krankenakten; BayObLG, Beschluss vom 21.09.2023 – 204 StObWs 125/23 –, nicht veröffentlicht; s.a. KG, Beschluss vom 30.08.2021 – 2 Ws 60/21 Vollz –, juris Rn. 12 ff.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.09.2018 – 3 Ws 239/18 (StVollz) –, NStZ-RR 2019, 263, juris Rn. 5).
50
Durch seinen Vortrag, die Gewährung von Akteneinsicht am 03.04.2023 und am 04.07.2023 von jeweils 90 Minuten sei aufgrund des Umfangs der Akten von über 15 Bänden je 250 Seiten und der fehlenden Hilfestellung durch die Antragsgegnerin zum Auffinden der im Hinblick auf den anstehenden Hauptverhandlungstermin am 05.07.2023 benötigten Meldungen der Zeugin G. unzureichend gewesen, macht er einen schweren Eingriff in sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung hinreichend geltend, gegen den er gerichtlichen Rechtsschutz (hier etwa aufgrund des Zwangsgeldantrags) typischerweise nicht vor Erledigungseintritt (also vor dem erstinstanzlichen Hauptverhandlungstermin) erlangen konnte.
51
2. Der Fortsetzungsfeststellungsantrag des Strafgefangenen ist – wie die Strafvollstreckungskammer zutreffend entschieden hat – auch begründet.
52
a) Die Antragsgegnerin ist ihrer durch einstweilige Anordnung vom 30.06.2023 auferlegten Verpflichtung, dem Antragsteller angesichts der anstehenden Hauptverhandlung am 05.07.2023 Akteneinsicht zumindest für sämtliche Dokumente, die die Anzeige vom 01.06.2022 betreffen, zu gewähren, nicht dadurch nachgekommen, dass sie dem Antragsteller am 03.07.2023 und am 04.07.2023 für jeweils 90 Minuten sämtliche 16 Aktenbände zu je 250 Seiten vorgelegt hat, ohne ihm Hilfestellung zum Auffinden der benötigten Dokumente zu leisten. Sie hat hierdurch sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt.
53
b) Die hiergegen erhobenen Einwendungen der Antragsgegnerin bleiben ohne Erfolg.
54
aa) Die Antragsgegnerin vertritt die Auffassung, dass sie durch die Gewährung der Einsicht in die gesamten Gefangenenpersonalakten am 03.07.2023 und am 04.07.2023 (jeweils 90 Minuten) ihrer im Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 30.06.2023 ausgesprochenen Verpflichtung nachgekommen sei. Die Durchsicht der einzelnen Bände der Gefangenenpersonalakte stelle trotz deren Anzahl keine Aufgabe dar, die den Antragsteller überfordert hätte oder ihm unzumutbar gewesen wäre.
55
Soweit sie diesbezüglich auf den dem Antragsteller überlassenen Auszug aus der Vollzugsgeschäftsordnung hinweist, übersieht sie, dass sie die Aushändigung einer Kopie dieser Vorschriften erst mit Schreiben vom 10.07.2023 angekündigt hat, also nach den ersten beiden Einsichtnahmeterminen am 03.07.2023 und am 04.07.2023 und vor allem nach der Durchführung des erstinstanzlichen Hauptverhandlungstermins am 05.07.2023.
56
bb) Die Antragsgegnerin bringt mit der Rechtsbeschwerde vor, die Tatsache, dass zwischenzeitlich mehrere Anträge auf gerichtliche Entscheidung eingegangen seien, die angebliche Fehler der Justizvollzugsanstalt S. betreffen, welche der Antragsteller im Rahmen der Akteneinsicht erkannt haben will, zeige, dass dieser auch in der Lage gewesen sei, die einzelnen Bände seiner Gefangenenpersonalakte zu sichten.
57
Abgesehen davon, dass es sich insoweit um neues Tatsachenvorbringen handelt, das im Rahmen der Rechtsbeschwerde nicht zu berücksichtigen ist, kann es sich hierbei auch um „Zufallsfunde“ bei der Akteneinsicht handeln, wobei nicht erkennbar ist, ob diese Erkenntnisse in den insgesamt drei Stunden vor dem Hauptverhandlungstermin oder erst hinterher gewonnen wurden. Im Übrigen stellt sich – wie dem Senat aus der Praxis der Durchsicht zahlreicher zunächst fremder Akten bekannt ist – erst mit zunehmender Befassung ein Lerneffekt über deren Zusammenstellung ein, der den Umstand nicht in Frage stellt, dass für die erstmalige inhaltliche Erfassung und gedankliche Bewältigung eines „Berges“ von 16 Akten zu je 250 Seiten (also rund 4.000 Seiten) eine Zeitspanne von zweimal 90 Minuten auch dann unzureichend ist, wenn vorher – wie es nicht der Fall war – die entsprechende Vorschrift über die Anlegung der Akten ausgehändigt worden wäre.
58
cc) Soweit die Antragsgegnerin darauf hingewiesen hat, dass der Antragsteller im Verfahren SR StVK 880/23 eine Meldung der Bediensteten G. vom 25.05.2023 und eine angeblich gefälschte Meldung der Bediensteten G. vom 01.06.2023 zitiert habe, und er somit bereits Kenntnis von den Meldungen gehabt habe, in die er Akteneinsicht begehrt habe, ergibt sich daraus nicht, dass ihm von der Antragsgegnerin in ausreichender Weise Akteneinsicht gewährt worden ist. Denn der Antragsteller hat nie die Existenz der Meldung vom 01.06.2023 in Abrede gestellt, vielmehr ging es ihm gerade darum, die Gefangenenpersonalakten daraufhin zu überprüfen, ob sich dort das Original einer solchen, von ihm für gefälscht angesehenen Meldung befindet.
59
dd) Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, die Strafvollstreckungskammer habe verkannt, dass es sich lediglich um erste Termine zur Akteneinsicht gehandelt habe. Hätte der Antragsteller mitgeteilt, dass er mehr Zeit brauche, wären ihm weitere Termine eingeräumt worden, was der Strafvollstreckungskammer auch aus der Stellungnahme der Antragsgegnerin vom 03.07.2023 bekannt gewesen sei. Dieser Wunsch nach weiteren Terminen sei aber nicht der Antragsgegnerin mitgeteilt worden, sondern ausschließlich der Strafvollstreckungskammer.
60
Dem ist entgegenzuhalten, dass bis zum Hauptverhandlungstermin am 05.07.2023 vom Standpunkt der Antragsgegnerin aus nicht die zeitliche Möglichkeit bestand, weitere Akteneinsichtstermine wahrzunehmen. Der Hinweis der Antragsgegnerin auf das laufende Berufungsverfahren ersetzt nicht das schutzwürdige Interesse des Antragstellers, Akteneinsicht bereits im erstinstanzlichen Strafverfahren zu erlangen, um sich dort verteidigen zu können.
61
ee) Das Vorbringen der Antragsgegnerin, sie habe angesichts des bei ihr gestellten, allgemein gehaltenen Antrags auf Akteneinsicht überhaupt keine Kenntnis vom Umfang und Ziel dieser Einsicht gehabt, ist bereits deshalb unzutreffend, da sie durch Beschluss vom 30.06.2023 zur Gewährung von Akteneinsicht gerade im Hinblick auf sämtliche Dokumente, die die Anzeige vom 01.06.2022 betreffen, verpflichtet worden ist.
62
ff) Auch der Hinweis der Antragsgegnerin, der Antragsteller habe den Antrag auf gerichtliche Entscheidung bereits gestellt, bevor der erste Termin zur Akteneinsicht begonnen hatte, verfängt nicht. Zum einen enthält das Schreiben des Antragstellers vom 30.06.2023 lediglich den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Zum anderen hatte die Antragsgegnerin bereits zu diesem Zeitpunkt dem Antragsteller lediglich einen Termin am 03.07.2023 von 90 Minuten bewilligt. Dass ein solcher ohne Hilfe hinsichtlich der Fundstellen der gesuchten Dokumente für die Durchsicht von mindestens 16 Aktenbänden mit jeweils ca. 250 Seiten nicht ausreichen würde, lag bereits am 30.06.2023 auf der Hand.
63
gg) Neben der Sache liegt auch der Hinweis der Antragsgegnerin auf ihren Behandlungsauftrag (Art. 2 Satz 2 BayStVollzG).
64
(1) Allerdings ist es nicht Aufgabe des Vollzugs, alle Angelegenheiten des Gefangenen selbst zu regeln, sondern den Gefangenen Hilfestellungen zu geben, eigenverantwortlich zu handeln (vgl. Art. 75, 78, 79 BayStVollzG). Soweit die Antragsgegnerin sich dabei auf den Angleichungsgrundsatz beruft, liegt aber kein Fall vor, dessen eigenverantwortliche Bewältigung den Gefangenen befähigen würde, sein Leben außerhalb des Vollzugs eigenständig zu gestalten. Vielmehr handelt es sich bei der Einsicht in umfangreiche Gefangenenpersonalakten um einen Umstand, der den Antragsteller gerade in seiner Eigenschaft als Strafgefangener trifft, und um einen Gegenstand, bei dem die Antragsgegnerin schon angesichts der genannten Regelungen der Vollzugsgeschäftsordnung ein überlegenes Wissen hat. Der Hinweis auf die vergleichbare Einsichtnahme in Behördenakten in der Freiheit verfängt insoweit nicht, worauf bereits die Strafvollstreckungskammer zutreffend hingewiesen hat.
65
(2) Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 24.02.2021 (- 204 StObWs 31/21 –, in juris Rn. 22 ff.) ausgeführt, dass gemäß Art. 75 BayStVollzG die soziale Hilfe, die über die in Art. 78 BayStVollzG explizit benannten Rechte hinaus alle sonstigen Lebensbereiche, in denen eine Rechtsberatung erforderlich werden kann, erfasst, darauf gerichtet sein soll, die Gefangenen dabei zu unterstützen, ihre Rechte und Pflichten wahrzunehmen. Hierbei obliegt dem Vollzugsstab nicht nur die Pflicht, den Gefangenen über seine Rechte und Pflichten innerhalb der Anstalt zu informieren, sondern darüber hinaus die Verpflichtung, ihm auch bei der Gewinnung derjenigen rechtlichen Informationen behilflich zu sein, die seine Stellung im bürgerlichen und sozialen Leben betreffen. Hinsichtlich der Art der Hilfestellung steht der Anstalt ein Beurteilungsspielraum zu, so dass hierdurch kein subjektiver Rechtsanspruch auf einzelne konkrete, vom Gefangenen zu bestimmende Leistungen oder Maßnahmen bei der Beratung in für ihn bedeutsamen rechtlichen Fragestellungen begründet wird (unter Hinweis auf OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.11.2014 – 4 Ws 373 und 374/14 (V) –, Justiz 2015, 98, juris Rn. 9).
66
Nichts anderes kann aber gelten, wenn der Gefangene Einsicht in umfangreiche Personalakten nehmen will, aus denen er lediglich zwei Urkunden benötigt, zumal er insoweit im Hinblick auf den zeitnahen Hauptverhandlungstermin bereits gerichtliche Hilfe gegen die Antragsgegnerin in Anspruch nehmen musste. Auf die zutreffenden Ausführungen der Strafvollstreckungskammer zur Art und Weise der Hilfestellung bei der Einsichtnahme (Beschluss vom 11.08.2023, Seite 5 letzter Abs., Seite 6 oben) wird ergänzend hingewiesen.
67
Nach alledem stellt die Art und Weise der Gewährung von Akteneinsicht durch die Antragsgegnerin eine Verletzung der Rechte des Antragstellers dar und erweist sich somit als rechtswidrig.
68
1. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 121 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 StVollzG.
69
2. Die Festsetzung des Beschwerdewerts ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Nr. 8, §§ 65, 60, 52 GKG.