Inhalt

LG Bamberg, Endurteil v. 29.02.2024 – 44 O 78/23
Titel:

Rückerstattung von Spieleinsätzen bei Online-Casinospielen

Normenketten:
GVG § 23, § 71 Abs. 1
EuGVVO Art. 7 Nr. 1a)
BGB § 134, § 242, § 269, § 274 Abs. 4, § 398, § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1, § 817 S. 2
GlüStV 2012 § 4 Abs. 4
GlüStV 2021 § 4 Abs. 4
GG Art. 12 Abs. 1
Leitsätze:
1. Bei autonomer Auslegung des Vertragsbegriffs in Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO ist entscheidend, welche Rechtsnatur das dem Anspruch zugrundeliegende Schuldverhältnis hat. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Gerichtsstandklausel, wonach die Rechtsbeziehungen zwischen dem Spieler und der Beklagten als Betreiberin der Online-Glücksspiele dem maltesischen Recht unterlägen und sämtliche Rechtsstreitigkeiten in die Zuständigkeit der maltesischen Gerichte falle, ist bereits deshalb nicht maßgeblich, weil eine solche Klausel als missbräuchlich iSv Art. 3 Abs. 1 der RL 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen anzusehen ist (ebenso EuGH BeckRS 2020, 31152). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Vertrag zwischen dem Spieler und der Beklagten über die Teilnahme an dem von der Beklagten angebotenen Online-Glücksspielen bildet keinen tauglichen Rechtsgrund, da dessen Abschluss gegen die hier anwendbaren § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 bzw. 4 Abs. 4 GlüStV 2021, wonach das Veranstalten öffentlicher Glücksspiele im Internet (ohne Erlaubnis) verboten ist, verstoßen hat und daher gem. § 134 BGB nichtig ist. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Rückforderungsanspruch des Spielers ist auch nicht gem. § 817 S. 2 BGB oder § 242 BGB ausgeschlossen. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
5. Soweit sich die Beklagte auf § 817 BGB beruft, trägt sie im Übrigen die Beweislast dafür, dass dem Spieler ein entsprechender Vorwurf zur Last falle. Dies verkennt die Beklagte, die fälschlich davon ausgeht, es genüge ein objektiver Verstoß. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
6. Das "Wegklicken" umfangreicher Klauselwerke in Online-Registrierungsmasken ohne vorherige Kenntnisnahme der zur Verfügung gestellten Rechtstexte ist gerichtsbekannt derart weit verbreitet, dass es nicht als leichtfertig angesehen werden kann, zumal ein durchschnittlicher Verbraucher in Deutschland sehr wohl weiß, dass das Gesetz ihn ohnehin vor benachteiligenden AGB in sehr weitgehendem Umfang schützt (ebenso OLG Braunschweig BeckRS 2023, 2622). (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zuständigkeit, Gerichtsstandsvereinbarung, Schutzgesetz, Rückerstattung, Spieleinsätze, Online-Glücksspiel, Kondiktionssperre, Verbotsgesetz, Leichtfertigkeit, Aussetzung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 21806

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 11.408,37 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 11.274,49 € seit 18.03.2023 und aus einem Betrag von 133,88 € seit 04.05.2023 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 11.408,37 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Mit der Klage begehrt die Klägerin aus abgetretenem Recht die Rückerstattung von Zahlungen, die der Zedent S. im Zusammenhang mit von der Beklagten illegal veranstalteten Online-Glücksspielen an diese geleistet hat.
2
Die Beklagte bot im Zeitraum Dezember 2019 bis Oktober 2020 unter der deutschsprachigen Internetdomain https://...eu/de u.a. Online-Casinospiele an. Die streitgegenständliche Webseite der Beklagten richtet sich in deutscher Sprache an deutschsprachige Verbraucher.
3
Der Zeuge N. S. (nachfolgend „Spieler“ genannt) eröffnete am 04.12. 2019 unter dem Nutzername „...“ ein Nutzerkonto bei der Beklagten und akzeptierte bei der Anmeldung die Nutzungsbedingungen der Beklagten. Im Zeitraum vom 04.12.2019 bis 26.10.2020 nahm der Spieler an Online-Casinospielen über die Internetseite der Beklagten teil. Sportwetten tätigte der Spieler nicht. Er leistete im Zeitraum 04.12.2019 bis 26.10.2020 an die Beklagte Einzahlungen iHv 16.695,82 € und erhielt Auszahlungen iHv 5.287,48 €. Der Spieler erlitt einen Verlust in Höhe von 11.408,37 €. Diesen Verlust trat der Spieler an die Klägerin ab.
4
Während des Zeitraums vom 04.12.2019 bis 26.10.2020 verfügte die Beklagte in Deutschland zu keinem Zeitpunkt über eine Erlaubnis zur Veranstaltung und/oder zum Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet.
5
Die Klägerin behauptet, mit Abtretungsvertrag vom 20. Oktober 2022 (Anlage K 1) habe der Spieler sämtliche Erstattungsansprüche und Schadensersatzansprüche, die ihm im Zusammenhang mit der Nutzung des illegalen Glücksspielangebots der Beklagten entstanden sind, an die Klägerin abgetreten. Die Klägerin habe die Abtretung angenommen. Dem Spieler sei im streitgegenständlichen Zeitraum nicht bekannt gewesen sei, dass das Angebot der Beklagten in Deutschland verboten war. Der Spieler habe von seinem damaligen Wohnort aus in B. gespielt.
6
Die Klagepartei beantragt zuletzt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei € 11.408,37 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
7
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
8
Am 08.01.2024 fand die mündliche Hauptverhandlung statt, in der der Spieler als Zeuge vernommen wurde (Bl. 327 ff. d. A.).
9
Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt Anlagen, den gesamten Akteneinhalt und die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 16.10.2023 und 08.01.2024 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

10
Die Klage ist zulässig und begründet.
A)
11
Die Klage ist zulässig.
12
Das Landgericht Bamberg ist international zuständig. Die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts Bamberg folgt aus §§ 23, 71 Abs. 1 GVG, die internationale Zuständigkeit folgt aus Art. 7 Nr. 1 lit. a) EuGVVO. Die Klägerin macht im Sinne der Norm einen Anspruch aus einem Vertrag geltend, dessen Erfüllungsort in Deutschland liegt. Die Zuständigkeitsfrage richtet sich vorliegend nach der EuGVVO. Der hiesigen Klage liegt ein vertraglicher Anspruch im Sinne von Art. 7 Nr. 1 a) EuGWO zugrunde. Der Spieler hat mit der Beklagten einen Vertrag über die Teilnahme an den Online-Glücksspielen geschlossen. Vorliegend macht die Klägerin als Zessionarin der Ansprüche des Spielers bereicherungsrechtliche Ansprüche aufgrund der behaupteten Nichtigkeit des Vertrages geltend. Dass der Anspruch im Ergebnis wegen der Nichtigkeit des Vertrages auf einem gesetzlichen Institut und nicht auf Vertragsrecht beruht, nimmt dem Anspruch jedoch nicht den vertraglichen Charakter im Sinne des internationalen Zivilprozessrechts. Die Regelungen über den Vertragsgerichtsstand gelten auch für Rechtsnachfolger eines Spielers, die sich auf Art. 7 Nr. 1 EuGVVO berufen. Bei autonomer Auslegung des Vertragsbegriffs in Art. 7 Nr. 1 lit. a) EuGVVO ist entscheidend, welche Rechtsnatur das dem Anspruch zugrundeliegende Schuldverhältnis hat. Dies erschließt sich bereits vor dem Hintergrund, dass es sonst zu einer Zuständigkeitssplittung von auf einen (nichtigen) Vertrag bezogenen Ansprüchen kommen würde, die je nach dogmatischer Einordnung einer Anspruchsgrundlage im nationalen Recht zu international betrachtet willkürlichen Ergebnissen führen könnte. Bereicherungsrechtliche Ansprüche aufgrund der Nichtigkeit eines Vertrages fallen insoweit unter vertragliche Ansprüche im Sinne der Norm. Der maßgebliche Erfüllungsort der Ansprüche des Spielers, die er an die Klägerin abgetreten hat, liegt in Deutschland. Der Erfüllungsort im Sinne des Art. 7 Nr. 1 lit. a) EuGVVO bestimmt sich nach der sog. Tessili-Regel. Dabei handelt es sich um den Ort, an dem im Einzelfall rechtlich bzw. tatsächlich Erfüllung eingetreten ist bzw. einzutreten hat. Maßgeblich ist das in der Sache anwendbare Recht. Der Spieler hatte im Zeitpunkt des (nichtigen) Vertragsschlusses und auch die gesamte Spielzeit über seinen Wohnsitz in Deutschland. Die bereicherungsrechtlichen Rückforderungsansprüche sind nach §§ 269, 274 Abs. 4 BGB in Deutschland am Wohnsitz des Spielers zu erfüllen (LG Ulm, Urteil vom 05.10.2023, Az. 6 O 24/23, Anlage K 33).
13
Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg auf eine Gerichtsstandsvereinbarung in Ziffer 14 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen berufen, wonach die Rechtsbeziehungen zwischen dem Spieler und der Beklagten dem maltesischen Recht unterlägen und sämtliche Rechtsstreitigkeiten in die Zuständigkeit der maltesischen Gerichte falle. Die Gerichtsstandklausel ist – ungeachtet der Frage der Einbeziehung der AGB – nicht maßgeblich, weil eine solche Klausel, die in einem Vertrag zwischen einem Verbraucher, nämlich dem Spieler, und einem Gewerbetreibenden, nämlich dem Betreiber der Online-Glücksspiele, enthalten ist, ohne im Einzelnen ausgehandelt worden zu sein, und die dem Gericht, in dessen Bezirk sich der Sitz der Betreibergesellschaft befindet, eine ausschließliche Zuständigkeit zuweist, als missbräuchlich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der RL 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen anzusehen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 18.11.2424, C-519/19 zu Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Fluggesellschaften, juris). Die RL 93/13 gilt nämlich nach ihrem Art. 1 Abs. 1 und ihrem Art. 3 Abs. 1 für Klauseln in Verträgen zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurden (EuGH, Urteil vorn 18.11.2424, C. 519119, Rn 55, juris m.w.N). Insoweit hat der Gerichtshof auch ausdrücklich klargestellt, dass der Anwendungsbereich der für Verbraucherverträge geltenden Klausel-RL nicht von der Identität der Parteien des fraglichen Rechtsstreits, sondern vielmehr von der Eigenschaft der Vertragsparteien abhängig ist (EuGH a. a.0, Rn. 53 f.; LG Ulm, Urteil vom 05.10.2023, Az. 6 O 24/23, Anlage K 33).
B)
14
Die Klage ist begründet.
I) Anwendbarkeit deutschen Rechts
15
Es findet gemäß Art. 6 Abs. 1 b) RomI- VO deutsches Recht Anwendung. Die Anwendung des Art. 6 Rom I-VO wird von der Abtretung des Spielers als Verbraucher an die Klägerin als Unternehmerin nicht ausgeschlossen. Im Kollisionsrecht misst sich die Schutzbedürftigkeit der Parteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sodass eine spätere Abtretung keine Auswirkung auf die Bestimmung des anwendbaren Rechts hat (BeckOGK/Rühl, 1.7.2019, Rom I-VO Art. 6 Rn. 82 mwN). Die von der Beklagten in Ziffer 14 ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Rechtswahlklausel steht dem nicht entgegen. Es kann dahinstehen, ob die Rechtswahlklausel, mit dem maltesisches Recht gewählt wurde, wirksam in den Spielvertrag einbezogen wurde, denn die Vereinbarung der Anwendung von maltesischem Recht in den AGB der Beklagten ist wegen Verstoßes gegen die Richtlinie EG 93113 (Klausel-RL) und wegen Verstoßes gegen Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. a) RomII- VO unwirksam (vgl. LG Frankfurt a. M. Urt. v. 21.12.2022 – 2-13 O 258/21, BeckRS 2022, 38158 Rn. 25, beckonline; LG Ulm, Urteil vom 05.10.2023, Az. 6 O 24/23, Anlage K 33).
II) Aktivlegitimation der Klägerin
16
Die Klägerin ist wegen der Abtretung vom 20.10.2022 aktivlegitimiert. Es steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Abtretung nach § 134 BGB i.V.m. dem Rechtsdienstleistungsgesetz nichtig wäre. Zwar bedarf einer Erlaubnis nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz, wenn Forderungen allein zur Einziehung und nicht zur endgültigen wirtschaftlichen Verwertung im eigenen wirtschaftlichen Interesse übertragen werden, vorliegend bestehen jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass dies der Fall wäre. Vielmehr zeigt der Abtretungsvertrag, dass eine endgültige Abtretung an die Klägerin erfolgt ist.
17
Zwar wurde die Abtretungserklärung im Termin nicht im Original vorgelegt. Das Gericht ist gleichwohl von der Abtretung überzeugt. Das Gericht hat die Anlage K 1 geprüft. In der mündlichen Verhandlung am 08.01.2024 wurde die Anlage K1 dem Spieler vorgehalten. Der Spieler bestätigte, dass es sich auf diesem Dokument um seine Unterschrift handelt. Er erklärte, dass er das Dokument unterschrieben an die Klägerin zurückgesandt habe. Es bestehen daher keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin oder der Zedent die Abtretung nicht vereinbarten und die Klägerin eine gefälschte Urkunde einscannte.
III) Anspruch auf Rückerstattung der geleisteten Spieleinsätze
18
Der Klägerin steht aus abgetretenem Recht ein Anspruch auf Rückerstattung der von dem Spieler an die Beklagte geleisteten Zahlungen in Höhe von 11.408,37 € gemäß §§ 398, 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB zu.
19
1) Die Beklagte hat durch Leistung des Spielers in Höhe von 11.408,37 € einen vermögenswerten Vorteil erlangt. Die Zahlungen des Spielers an die Beklagte sind unstreitig. Die Leistungen wurden seitens des Spielers zur Erfüllung einer vermeintlichen Verbindlichkeit gegenüber der Beklagten aus dem Spielvertrag im Zeitraum vom 04.12.2019 bis 26.10.2020 vorgenommen.
20
2) Die Leistungen des Spielers erfolgten ohne Rechtsgrund, da der zwischen dem Spieler und der Beklagten abgeschlossene Spielvertrag wegen eines Verstoßes gegen § 134 BGB i.V.m. § 4 Abs. 4 GlüStV nichtig war.
21
a) Der Vertrag zwischen dem Spieler und der Beklagten über die Teilnahme an dem von der Beklagten angebotenen Online-Glücksspielen bildet keinen tauglichen Rechtsgrund, da dessen Abschluss gegen die hier anwendbaren § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 bzw. 4 Abs. 4 GlüStV 2021, wonach das Veranstalten öffentlicher Glücksspiele im Internet (ohne Erlaubnis) verboten ist, verstoßen hat und daher gem. § 134 BGB nichtig ist (vgl. BeckOGK/Vossler, 1.9.2023, BGB § 134 Rn. 219 mit Verweis auf die Vielzahl an obergerichtlicher Rechtsprechung in Fußnote 766).
22
Der Vertrag ist wegen eines Verstoßes der Beklagten gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 gem. § 134 BGB nichtig. Gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 ist das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet verboten. Die Beklagte hat dagegen verstoßen, indem sie ihr Glückspielangebot ohne Besitz einer Lizenz/Erlaubnis dem Spieler in Bayern zugänglich gemacht hat. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage des Gesetzesverstoßes ist derjenige der Vornahme des Rechtsgeschäfts hier also der Zeitraum vom 04.12.2019 bis 26.10.2020.
23
Der Spieler spielte auch im örtlichen Anwendungsbereich des GlüStV. Im Rahmen der Zeugenvernehmung schilderte der Spieler glaubhaft, dass er auf der Plattform der Beklagten vom Raum B. und N. aus gespielt hat. Das war seine damalige Route, wo er gewohnt und gearbeitet hat. Soweit er auf Nachfrage des Beklagtenvertreters erklärt hat, dass er nicht mehr weiß, ob er auch im Urlaub gespielt hat und dass es schon sein kann, dass er auch mal im Urlaub gespielt hat, bestehen zur Überzeugung des Gerichts keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass der im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich im Ausland gespielt hat. Der Spieler sagte auch, dass er auch nicht mehr weiß, ob und wo er 2020 im Urlaub war.
24
b) Es kann vorliegend dahinstehen, ob ein ein- oder zweiseitiger Gesetzesverstoß vorgelegen hat. Selbst bei einem nur einseitigen Verstoß ist der Spielvertrag im vorliegenden Fall nichtig, weil es mit dem Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes unvereinbar wäre, die durch das Rechtsgeschäft getroffene rechtliche Regelung hinzunehmen und bestehen zu lassen. § 4 Abs. 4 GlüStV will nicht nur den Abschluss eines Spielvertrags im Internet unterbinden, sondern die Folgen des dann durchgeführten Glücksspiels. Er dient der Suchtprävention und -bekämpfung, dem Spieler- und Jugendschutz, der Kriminalitätsprävention und der Vermeidung von Gefahren für die Integrität des Sports (OLG Braunschweig Urt. v. 23.2.2023 – 9 U 3/22, BeckRS 2023, 2622, Rn. 83 ff).
25
c) Dem steht auch nicht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum „Zahlungsdienstleister“-Fall (BGH, Beschluss vom 13.09.2022 – XI ZR 515/21, BKR 2022, 811) entgegen. Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs lag ein Rechtsstreit zwischen einem Zahlungsdienstleister und einem Verbraucher zugrunde, der an einem Online-Glücksspiel teilgenommen hatte. Seine Einsätze zahlte er mithilfe des Zahlungsdienstleisters und begehrte nunmehr von diesem die Rückzahlung der verlorenen Einsätze. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Verstoß des Zahlungsdienstleisters gegen § 4 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. GlüStV nicht zu einer Nichtigkeit der Autorisierung des Zahlungsvorgangs führe. Diese Entscheidung ist jedoch nicht auf den vorliegenden Rechtsstreit übertragbar (OLG Braunschweig Urt. v. 23.2.2023 – 9 U 3/22, BeckRS 2023, 2622, Rn. 91 ff). Denn vorliegend handelt es sich nicht um eine Klage gegen einen Zahlungsdienstleister, sondern um eine gegen den Anbieter eines Online-Glücksspiels. Entscheidend ist daher nicht die Frage, ob ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. GlüStV 2012 zu einer Nichtigkeit des zivilrechtlichen Schuldverhältnisses zwischen Zahlungsdienstleister und Zahlungsdienstnutzer führt, sondern ob ein Verstoß gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 zur Nichtigkeit des Glücksspielvertrages zwischen Anbieter und Spieler gemäß § 134 BGB führt.
26
d) § 4 Abs. 4 GlüStV ist nicht seinerseits wegen Verstoßes gegen höherrangiges Europarecht unwirksam bzw. aufgrund des Anwendungsvorranges des Europarechts unanwendbar. Ebenso wenig lässt sich ein Verstoß gegen die in Art. 12 Abs. 1 GG normierte Berufsfreiheit feststellen.
27
Europarecht findet hier Anwendung, da nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) eine Regelung eines Mitgliedsstaates, die es in anderen Mitgliedsstaaten, im vorliegenden Fall Deutschland, niedergelassenen Anbietern untersagt, in seinem Hoheitsgebiet Glücksspielangebote über das Internet anzubieten, grundsätzlich eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellen (EuGH, Urteil v. 08.09.2009 – C-42/07). Mit Urteil vom 22.07.2021 (Az. I ZR 194/20) hat der BGH zuletzt (erneut) ausgesprochen, dass das Internetverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV bezogen auf Glücksspiele mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Der BGH hat dabei ausgeführt, dass die RL 2005/29/EG nach ihrem Erwägungsgrund 9 S. 2 nationale Vorschriften unberührt lässt, die sich – wie das Verbot der Werbung für unerlaubte Online-Casinospiele und virtuelle Automatenspiele – im Einklang mit dem Unionsrecht auf Glücksspiele beziehen und dabei Bezug genommen auf die Entscheidung vom 18.11.2010 (Az. I ZR 168/07). Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof bei Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Kammergerichts Berlin vom 06.10.2020 (Az. 5 U 72/19) mit Beschluss vom 22.07.2021 (Az. I ZR 199/20) ausdrücklich ausgeführt, dass eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht veranlasst ist. Er hat deutlich gemacht, dass der EuGH entschieden hat, dass die unionsrechtliche Kohärenzprüfung beschränkender Maßnahmen im Glücksspielsektor im Einzelfall Sache der nationalen Gerichte ist. Gegenstand der Entscheidung des Kammergerichts war unter anderem die rechtliche Einordnung, dass die auch vorliegend in Rede stehenden Vorschriften des § 4 Abs. 4, und § 4 Abs. 5 GlüStV nicht in unionsrechtswidriger Weise den in Art. 56 AEUV geregelten freien Dienstleistungsverkehr beschränken. An dieser Auffassung ändert auch die Tatsache nichts, dass das Totalverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV zwischenzeitlich zu Gunsten einer Neufassung eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt entfallen ist. Dies führt in der Gesamtschau gleichwohl nicht dazu, dass das Totalverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV gegen Art. 56 AEUV verstoßen hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.10.2017 – 8 C 18/16, NVwZ 2018, 895 (900 f., Rn. 41 ff.)).
28
Das erkennende Gericht schließt sich den Ausführungen des Kammergerichts Berlin vom 06.10.2020 unter Bezugnahme auf die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluss des BGH vom 22.07.2021 und den darin enthaltenen Ausführungen ausdrücklich an. Das Gericht macht diese zum Gegenstand der seiner eigenen Erwägungen im Rahmen der vorliegenden Entscheidung.
29
Nach gefestigter Rechtsprechung war der Glücksspielstaatsvertrag a. F. materiell verfassungsgemäß (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30.09.2013 – 1 BvR 3196/11, BeckRS 2013, 59939; BGH, Urteil vom 28.09.2011 – I ZR 92/09, MMR 2012, 191). Die durch ihn bewirkten Eingriffe in das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) seien durch überragend wichtige Gemeinwohlziele gerechtfertigt, nämlich den Schutz der Bevölkerung vor den Gefahren der Glücksspielsucht und vor der mit Glücksspielen verbundenen Folge- und Begleitkriminalität. Dabei sei davon auszugehen, dass die Besonderheiten des Glücksspiels im Internet, namentlich dessen Bequemlichkeit und – im Vergleich zur Abgabe eines Lottoscheins in einer Annahmestelle – dessen Abstraktheit, problematisches Spielerverhalten in entscheidender Weise begünstigen.
30
Nachdem sich aus dem Verstoß gegen § 4 Abs. 4 GlüStV die Unwirksamkeit des gesamten Spielvertrags gem. § 134 BGB ergibt, ist ein Rechtsgrund für die Leistungen des Spielers an die Beklagte nicht gegeben.
31
Gemäß §§ 812 Abs. 1 S. 1 Variante 1, 818 Abs. 1 BGB kann der Spieler das zum Zweck der Erfüllung der unwirksamen Verbindlichkeit Geleistete zurückfordern. Die Beklagte schuldet daher mangels Herausgabe der Spieleinsätze in natura den Wertersatz für die vom Spieler geleisteten Zahlungen.
32
3) Der Rückforderungsanspruch des Spielers ist auch nicht gemäß § 817 S. 2 BGB oder § 242 BGB ausgeschlossen.
33
a) Die Kondiktionssperre des § 817 S. 2 BGB greift im streitgegenständlichen Fall nicht ein.
34
Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG München, Beschluss vom 20. September 2022, Az. 18 U 538/22, BeckRS 2022, 30008; OLG Hamm, Beschluss vom 12.11.2021 – I-12 W 13/21, zitiert nach juris; OLG München, Beschluss vom 22.11.2021 – 5 U 5491/21; OLG Braunschweig, Beschluss vom 03.12.2021 – 8 W 20/21, BeckRS 2021, 55956; OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.04.2022 – 23 U 55/21, zitiert nach juris) soll die Kondiktionssperre des § 817 S. 2 BGB in solchen Fällen nicht eingreifen, in denen ein Ausschluss der Rückforderung nicht mit dem Zweck des Bereicherungsrechts vereinbar wäre.
35
§ 817 S. 2 BGB findet Anwendung auf alle Fälle der Leistungskondiktion, wenn sowohl dem Empfänger als auch dem Leistenden ein Gesetzes- bzw. Sittenverstoß vorgeworfen werden kann. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz wird gemacht, wenn ein Ausschluss der Rückforderung nicht mit dem Zweck des Bereicherungsrechts vereinbar wäre. Dies ist der Fall, wenn die Rechtswidrigkeit des Geschäfts auf Vorschriften beruht, die gerade den Leistenden Teil schützen sollen (vgl. Palandt/Sprau, § 817 Rn. 18, 81. Aufl. 2022). § 4 GlüStV richtet sich nicht nur vornehmlich an die Glücksspielaufsicht, sondern bezweckt vor allem den Individualschutz des Spielers (OLG München, Beschluss v. 20.09.2022 – 18 U 538/22). Dieser Sichtweise steht insbesondere nicht der systematische Zusammenhang des § 4 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 9 GlüStV in den allgemeinen Bestimmungen entgegen (so hingegen LG München II, Urt. v. 19.08.2021, – 9 O 5322/20). Ausweislich des § 1 Abs. 1 GlüStV sollen unter anderem die Spielteilnehmer vor suchtfördernden, ruinösen oder betrügerischen Erscheinungsformen des Glücksspiels geschützt werden. § 4 Abs. 4 GlüStV verfolgt damit korrespondierend den Zweck als einschlägige Verbotsnorm des Internetverbots zum Schutze des Spielers illegales Glücksspiel zu unterbinden (vgl. Heintz/Scholer, VuR 2020, 323 (329)). Wenn man davon ausginge von einem Spieler getätigte Einsätze wären gem. § 817 S. 2 BGB kondiktionsfest und verblieben dauerhaft beim Anbieter des verbotenen Glücksspiels, würde diese Intention des Verbotsgesetzes faktisch untergraben (vgl. OLG München, Beschluss vom 20.09.2022 – 18 U 538/22).
36
Eine teleologische Reduktion des § 817 S. 2 BGB ist immer dann geboten, um Widersprüche aufzulösen, d.h. wenn man einerseits den gesetzgeberischen Willen zum Schutz des Verbrauchers anerkennt, andererseits aber eine Handlung des Verbrauchers, mit der er sich genau in diese Gefahr begibt, vor der er geschützt werden sollte, zum Ausschluss des Anspruchs führen lasse (vgl. LG Aachen, Urt. v. 13.07.2021 – 8 O 582/20).
37
Der Rückforderungsanspruch des Spielers beruht auf einem Verstoß der Beklagten gegen § 4 Abs. 4 GlüStV als Verbotsgesetz. Dieser verbietet jedoch nur das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet, wendet sich mithin nur an die Beklagte als Betreiberin von Online-Glücksspielen. Ein gleichsamer Verstoß des Spielers gegen diese Vorschrift scheidet insofern aus.
38
Auch das OLG Koblenz entschied jüngst (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 15. Dezember 2022, Az. 1 U 1281/22, Rn. 23, BeckRS 2022, 40470), dass die Rückforderung von Spielbeträgen nicht nach § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen ist:
„[…] Im Ergebnis ist die Rückforderung des Klägers somit nicht nach § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen.
235. Unabhängig davon – wobei es hierauf nicht mehr in entscheidungserheblicher Weise ankommt – ist aufgrund der gegebenen Umstände eine teleologische Reduktion geboten und deshalb der Anwendungsbereich des § 817 S. 2 BGB nicht eröffnet. Ein Ausschluss der Rückforderung wäre mit dem Zweck des Bereicherungsrechts nicht vereinbar. Die Rechtswidrigkeit des Geschäfts beruht auf einer Vorschrift (§ 4 GlüStV 2011), die aus gewichtigen Gründen den leistenden Teil, also den Kläger, schützen soll. Wenn aber der Grund und der Schutzzweck der Nichtigkeitssanktion (bzw. hier des Verbotsgesetzes) gegen eine Kondiktionssperre sprechen, ist die Norm nicht anzuwenden (vgl. BGH NJW 1997, 2314, BGH NJW 2006, 45; BGH NJW 2008, 1942 „Schneeballsystem – Schenkkreis“; abgrenzend hierzu BGH NJW 1990, 2542 „Schwarzarbeit“ – das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit dient der Wahrung öffentlicher Belange und soll nicht speziell den leistenden Teil schützen). Hier wollen die Normen des GlüStV 2011 ausweislich § 1 S. 1 GüStV 2011 aber gerade die einzelnen Spielteilnehmer vor suchtfördernden, ruinösen und betrügerischen Erscheinungsformen des Glücksspiels schützen. Diese Intention des Verbotsgesetzes liefe leer, wenn von einem Spieler getätigte Einsätze nach § 817 S. 2 BGB kondiktionsfest wären und bei dem Anbieter des verbotenen Glücksspiels verblieben (vgl. OLG München, Beschluss vom 20.09.2022 – 18 U 538/22, Anlage BB14). […]“
(Hervorhebungen durch das Gericht)
39
b) Der Spieler hat sich nach Ansicht des Gerichts auch nicht der Einsicht in das Verbotswidrige seines Handelns leichtfertig verschlossen.
40
Dem Spieler kann nicht nachgewiesen werden, im Zeitpunkt der Spielteilnahme Kenntnis von der Illegalität des Online-Glücksspiels gehabt zu haben.
41
aa) Die Anwendung des § 817 S. 2 BGB setzt voraus, dass auch der Leistende vorsätzlich gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen hat, wobei es ausreicht, dass sich der Leistende der Einsicht in das Verbotswidrige seines Handelns leichtfertig verschlossen hat (vgl. BGH, Urteil vom 10.01.2019 – IX ZR 89/18, Rn. 28, juris; OLG Braunschweig, Urteil vom 23.02.2023 – 9 U 3/22, Rn. 126, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.04.2022 – 23 U 55/21, Rn. 52, juris; OLG Karlsruhe (14. Zivilsenat), Urteil vom 06.04.2023 – 14 U 256/21, BeckRS 2023, 6752).
42
Der Begriff der Leichtfertigkeit ist gesetzlich nicht definiert. Er ist in Anlehnung an den Begriff der groben Fahrlässigkeit zu bestimmen und bezeichnet damit ein gesteigertes Maß an Fahrlässigkeit (vgl. OLG Karlsruhe (14. Zivilsenat), Urteil vom 06.04.2023 – 14 U 256/21, BeckRS 2023, 6752; MüKoBGB/Grundmann, BGB, 9. Aufl. 2022, § 276 Rn. 92; vgl. auch MüKoStGB/Radtke, StGB, 4. Aufl. 2022, § 306c Rn. 25).
43
Grobe Fahrlässigkeit setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus (vgl. BGH, Urteil vom 15.12.2022 – VII ZR 292/21, Rn. 13, juris).
44
Soweit sich die Beklagte auf § 817 BGB beruft, trägt sie im Übrigen die Beweislast dafür, dass dem Spieler ein entsprechender Vorwurf zur Last falle (vgl. Grüneberg/Sprau, BGB, § 817 Rn. 17, 81. Aufl. 2022; BeckOK BGB/Wendehorst, BGB, Stand: 01.11.2022, BGB, § 817 Rn. 26). Dies verkennt die Beklagte, die fälschlich davon ausgeht, es genüge ein objektiver Verstoß.
45
bb) Gemessen an diesen Grundsätzen ist vorliegend weder ein vorsätzliches noch ein leichtfertiges Verhalten des Spielers nachgewiesen.
46
(1) Der Spieler hat im Rahmen der Zeugeneinvernahme durch das Landgericht am 08.01.2024 angegeben (Bl. 327 ff. d.A.), dass ihm im streitgegenständlichen Zeitraum nicht bewusst war, dass Glücksspiel illegal ist. Im Jahr 2019/2020 wusste er noch nicht, dass Glücksspiel illegal ist. Er hat erst im Jahr 2021 oder 2022 erfahren, dass Online-Glücksspiel nicht erlaubt ist. Dies hat er im Rahmen einer Werbung auf der Plattform youtube erfahren. Im Jahr 2020 ist er nach seiner Erinnerung im Internet auf das Thema Illegalität von Glücksspiel noch nicht gestoßen. In anderen Medien, wie z. B. im Fernsehen oder in der Zeitung ist er nicht auf das Thema Glücksspiel und dessen Legalität bzw. Illegalität gestoßen. Es war nur im Internet.
47
Aus Sicht des Gerichts waren die Angaben des Zeugen glaubhaft. Er schilderte widerspruchsfrei und ausführlich, wie und wann er auf die Illegalität von Online-Glücksspiel aufmerksam wurde. Der Spieler beantwortete dabei alle Nachfragen des Gerichts und der Parteivertreter umfangreich und offen. Er wollte mit dem Thema Glücksspiel abschließen und hat seine Forderung gegen die Beklagte an die Klägerin gegen Zahlung von ca. 700 bis 800 € abgetreten. Somit hat er kein wirtschaftliches Interesse mehr an der Angelegenheit. Diesen Eindruck hat er auch in der Verhandlung vermittelt. In der Gesamtschau erachtet das Gericht den Zeugen als glaubwürdig und dessen Aussagen als glaubhaft.
48
(2) Dass die Frage der Legalität des Online-Glücksspiels in den deutschen Medien seit Jahren breit diskutiert worden ist und sich im Internet zahlreiche, über Suchmaschinen wie etwa „Google“ ohne Weiteres auffindbare Beiträge zu dieser Thematik gefunden haben, vermag eine Leichtfertigkeit ebenfalls nicht zu begründen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – VI ZR 1118/20, juris, Rn. 18; Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 679/21, juris, Rn. 28; OLG Braunschweig (9. Zivilsenat), Urteil vom 23.02.2023 – 9 U 3/22, BeckRS 2023, 2622).
49
Es ist bereits unklar, woraus die Beklagte ableiten will, dass dem Spieler solche Berichte bekannt gewesen sind. Kannte er sie aber nicht – was von ihm geltend gemacht wird –, scheidet Leichtfertigkeit aus.
50
Insofern ist die Bezugnahme auf die mediale Berichterstattung für einen Nachweis der Kenntnis des Spielers nicht ausreichend. Zwar ist der Beklagten zuzugestehen, dass die Gesetzeswidrigkeit des Online-Glücksspiels seit den 2010er-Jahren vermehrt in der öffentlichen Wahrnehmung stand. Gleichzeitig bietet sie aber keine Beweise dafür an, dass der Spieler diese Berichterstattung auch wahrgenommen hat. Daran ändern auch die Ausführungen der Beklagten zu einem „Geschäftsmodell des Spielens ohne Risiko“, zu leicht auffindbaren Online-Plattformen, die über die Rückforderung von Verlusten aus illegalem Online-Glücksspiel informieren, in der Gesamtschau nichts.
51
Dass es völlig fernliegend ist, diese Kenntnis im vorliegenden Fall anzunehmen, zeigt auch ein Vergleich zu dem sog. Abgasskandal. Der Abgasskandal hatte eine weitreichendere gesellschaftspolitische Bedeutung und es wurde sogar ein Untersuchungsausschuss im deutschen Bundestag hierzu gegründet. Auch die mediale Resonanz war einem noch größeren Umfang. Dennoch hat dies dem BGH für die Annahme einer Kenntnis der Verbraucher im Jahr 2015 nicht ausgereicht. Trotz der Zurverfügungstellung eines eigenen Such-Portals durch den VW-Konzern, welches zur Identifizierung von betroffenen Fahrzeugen durch Eingabe der Fahrzeugidentifikationsnummer genutzt werden konnte, reichte dem BGH nicht für den Schluss aus, dass eine eigene Recherche einen Fahrlässigkeitsvorwurf für die Kunden mit sich brachte.
52
Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich jedenfalls nicht, dass das Thema „Illegalität von Online-Glücksspiel“ auch nur ansatzweise einen so großen Raum in der Presseberichterstattung eingenommen hat, wie etwa der „Dieselabgasskandal“ ein allgemein diskutiertes Thema gewesen sein soll, das dem Spieler bei lebensnaher Betrachtung praktisch nicht entgangen sein kann. Dies lässt sich insbesondere den durch die Beklagte aufgelisteten Artikeln nicht entnehmen.
53
Der Hinweis der Beklagten, bei Suchanfragen wie „online casino“ habe Google seinerzeit im Jahr 2019 nicht nur Werbeanzeigen für Online-Glücksspielanbieter angezeigt, sondern auch Warnhinweise und Hinweise darüber, wie man bei illegalem Glücksspiel sein Geld zurückverlangen kann, verfängt ebenfalls nicht.
54
Darauf lässt sich jedoch nicht schließen, dass der Spieler eine entsprechende Suchanfrage tatsächlich so durchgeführt hat, auch wenn ihm eine entsprechende Auswahl durch die Suchmaschine angezeigt worden sein sollte (vgl. OLG Karlsruhe im Urteil vom 06.04.2023, Az.14 U 256/21, BeckRS 2023, 6752).
55
(3) Richtig ist zwar, dass der Spieler sich in einem Strafprozess nicht auf die Unkenntnis des § 285 StGB berufen könnte. § 285 StGB setzt aber unter Verweis auf § 284 StGB die objektiv und subjektiv tatbestandliche Beteiligung an einem unerlaubten Glücksspiel voraus. Ob das Glücksspiel vorliegend „unerlaubt“ war, folgte aus § 4 Abs. 4 GlüStV 2012, dessen Inhalt aber nicht ohne Weiteres und generell als bekannt vorausgesetzt werden kann. Auch wenn die Werbung für Online-Glücksspiele einen textlich dargestellten und/oder schnell gesprochenen Hinweis darauf zu enthalten pflegt(e), dass sich das Angebot nur an Spieler in Schleswig-Holstein richte, lässt sich daraus keine allgemeine Bekanntheit des generellen Verbots von Online-Glücksspielen außerhalb dieses Bundeslandes in Deutschland herleiten. Hinzu kommt, dass die in einem zur EU zählenden Staat ansässige Beklagte über eine örtliche Lizenz verfügte und sich mit ihrem deutschsprachigen Angebot an die potenziellen Kunden wandte, so dass sich auch deswegen das Fehlen einer notwendigen Lizenz in Deutschland nicht „per se“ aufdrängen musste (vgl. OLG Braunschweig (9. Zivilsenat), Urteil vom 23.02.2023 – 9 U 3/22, BeckRS 2023, 2622; OLG Frankfurt NJW-RR 2022, 1280, 1283; Beschluss vom 5. Mai 2022 – 19 U 281/21, S. 20 = Anlage K II 2; vgl. LG Waldshut-Tiengen, Urteil v. 21. September 2021 – 2 O 296/20, aaO, Rn. 56).
56
(4) Eine „Leichtfertigkeit“ in dem o. g. Sinne ergibt sich auch nicht daraus, dass der Spieler die Kenntnisnahme der AGB der Beklagten im Zuge der Registrierung durch Betätigen eines „Clicks“ bzw. Setzen eines „Häkchens“ bestätigt haben mag (vgl. OLG Braunschweig (9. Zivilsenat), Urteil vom 23.02.2023 – 9 U 3/22, BeckRS 2023, 2622).
57
Das „Wegklicken“ umfangreicher Klauselwerke in Online-Registrierungsmasken ohne vorherige Kenntnisnahme der zur Verfügung gestellten Rechtstexte ist gerichtsbekannt derart weit verbreitet, dass es nicht als leichtfertig angesehen werden kann, zumal ein durchschnittlicher Verbraucher in Deutschland sehr wohl weiß, dass das Gesetz ihn ohnehin vor benachteiligenden AGB in sehr weitgehendem Umfang schützt (vgl. OLG Braunschweig (9. Zivilsenat), Urteil vom 23.02.2023 – 9 U 3/22, BeckRS 2023, 2622).
58
Zum anderen ist in den AGB der Beklagten ein inhaltlicher Hinweis auf die Rechtswidrigkeit von Online-Glücksspielen gerade nicht enthalten, sondern lediglich auf die Eigenverantwortung des Spielers insoweit.
59
Hinzu kommt, dass der Umstand, dass die Beklagte dem Spieler in der Folge nach ordnungsgemäßer Registrierung offenbar tatsächlich den begehrten Zugang zu dem Online-Spiel gewährte, geeignet war, etwaige Bedenken des Spielers gegen die Rechtmäßigkeit seines Spiels zu zerstreuen (vgl. dazu insgesamt: OLG Frankfurt NJW-RR, 2022, 1280, 1283; Beschluss vom 5. Mai 2022 – 19 U 281/21, S. 20 f. = Anlage K II 2;). Diesen Umstand zu vermeiden, war zudem für die Beklagte auch nicht erkennbar unmöglich. In Betracht wäre beispielsweise gekommen, Spielern, die nicht in Schleswig-Holstein ansässig sind, den Zugang zu den Glücksspielen durch eine fehlende Registriermöglichkeit zu verwehren (vgl. OLG Braunschweig (9. Zivilsenat), Urteil vom 23.02.2023 – 9 U 3/22, BeckRS 2023, 2622).
60
c) Unstreitig verfügte die Beklagte auch nicht über eine dem § 4 Abs. 5 GlüStV entsprechende Erlaubnis, die unter bestimmten Voraussetzungen durch die Länder für bestimmte Arten von Glücksspiel erteilt werden kann.
61
Dem Vortrag der Beklagten, sie verfüge über eine aktive nationale Duldung für das vom Spieler streitgegenständlich genutzte Angebot, welche eine Erlaubniswirkung zur Folge habe und damit einen Verstoß gegen § 4 Abs. 1 GlüStV (i. V. m. § 4 Abs. 4, 5 GlüStV) seitens der Beklagten ausschließe, mag das Gericht aufgrund der gesetzlichen Regelung des § 4 GlüStV nicht zu folgen.
62
Jedenfalls wäre eine etwaige Duldung auch zivilrechtlich nicht zu beachten. d)
63
Ein Verstoß des Spielers gegen § 285 StGB scheidet mangels nachweisbaren Vorsatzes eines solchen bei den Teilnahmen an den Glücksspielen aus. Unstreitig ist, dass der Spieler auf eigene Rechnung am Glücksspiel der Beklagten teilnahm und sich damit den vom Zufall abhängigen Gewinn- und Verlustchancen unterwarf (vgl. Heine/Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, § 285 Rn. 2, 30. Auflage 2019).
64
Bei der Internetseite der Beklagten handelt es sich um ein öffentliches Glücksspiel i. S. d. § 284 StGB, welches – unstreitig – entgegen § 4 Abs. 4 GlüStV ohne behördliche Erlaubnis öffentlich über das Internet Glücksspiel veranstaltet. Nach den glaubhaften Angaben des Spielers im Rahmen der Zeugenvernehmung hat er auf der Plattform der Beklagten Roulette, Black Jack und an fiktiven Automaten gespielt. Poker hat der Spieler nicht genannt. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts München (Beschluss vom 28.02.2020 – 8 U 5467/19), denen das Gericht folgt, ist § 284 StGB auf Veranstalter öffentlicher Glücksspiele im Ausland anwendbar, wenn sich das via Internet unterbreitet Angebot gezielt an den deutschen Markt richtet und die Beteiligung am Glücksspiel im Inland ermöglicht, da der Gefährdungserfolg des § 284 StGB im Inland eintritt (§§ 3, 9 StGB).
65
Demzufolge stellt die Internetseite der Beklagten ein unerlaubtes Glücksspiel i. S. d. Vorschrift dar (so auch LG München, Urt. v. 13.04.2021 – 8 O 16058/20). Gleichzeitig hat der Spieler durch seinen Vortrag nicht ausräumen können, dass er in objektiver Hinsicht durch die Teilnahme am unerlaubten Glücksspiel den Tatbestand des § 285 StGB verwirklicht hat (s.o.).
66
Nach Ansicht des Gerichts ist die Beklagte ihrer Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Vorsatzes des Spielers zur Teilnahme am unerlaubten Glücksspiel nicht nachgekommen (s.o.). e)
67
Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, der Spieler verhalte sich widersprüchlich und dadurch treuwidrig im Sinne des § 242 BGB, indem er seinerseits an den Online-Casinospielen teilnehme, seinen Einsatz in der Höhe der Verluste dann aber zurückfordere.
68
§ 242 BGB als Auffangnorm führt nicht dazu, dass Einwände der Beklagten, die bereits den Anwendungsbereich speziellerer Normen, nämlich vorliegend § 817 S. 2 BGB betreffen, aber deren Voraussetzung nicht erfüllen, doch Beachtung finden in einer Weise, dass dies zum Ausschluss der Ansprüche des Spielers führt.
69
Eine Kenntnis des Spielers von der Illegalität des Glücksspiels konnte im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden. Im Hinblick darauf, dass – insbesondere auch dem Vortrag der Beklagten folgend – die Rechtslage aus Sicht der Beklagten weiterhin klärungsbedürftig ist, kann dem Spieler nicht unterstellt werden, dass er diese Rechtslage so einschätzen konnte, dass ihm eine Kenntnis von der Illegalität des Glücksspiels unterstellt werden kann. Selbst wenn sich der Spieler die Erkenntnis grob fahrlässig verschlossen hätte, würde sein Verhalten – jedenfalls im Vergleich mit den Rechtsverstößen, die der Beklagten anzulasten sind – nicht den Schluss der Treuwidrigkeit seines Verhaltens rechtfertigen (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 8. April 2022, Az. 23 U 55/21 Rn.62, juris; LG Nürnberg-Fürth, Urteil v. 19.07.2021 – 19 O 6690/20; LG Traunstein, Urteil v. 20.12.2021 – 3 O 1549/21).
70
Angesichts des eigenen gesetzwidrigen Handelns ist die Beklagte schon nicht – jedenfalls nicht im Verhältnis zu ihrem Kunden – vorrangig schutzwürdig (vgl. OLG Hamm, Beschuss vom 12.11.2021 – 12 W 13/21, ZfWG 2022, 91), zumal sie selbst den Weg zur Teilnahme an dem Online-Glücksspiel eröffnet hat, der Spieler sich den Zugang nicht etwa erschlichen hat und im Übrigen auch bereit ist, sich die Gewinne anrechnen zu lassen (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 03.12.2021 – 8 W 20/21; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 8. April 2022, Az. 23 U 55/21 Rn.62, juris).
71
Aus diesem Grund stellt die Rückforderungsmöglichkeit von Verlusten auch keinen „besonderen Anreiz für eine – völlig risikolose und kostenlose – Spielteilnahme“ dar.
72
IV) Ein Anspruch des Spielers auf Rückzahlung der geleisteten Zahlungen in der geltend gemachten Höhe ergibt sich auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Abs. 4 GlückStV.
73
§ 4 Abs. 4 GlüStV ist ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB.
74
Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Norm Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, wenn die konkrete Norm nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einen einzelnen Personenkreis gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2018, Az. VI ZR 143/17, NJW 2018, 1671 Rn. 27; BGH, Urteil vom 14. Mai 2013, Az. VI ZR 255/11, NJW 2014, 64 Rn. 7).
75
Ausreichend dafür ist, dass die Norm zumindest auch das in Frage stehende Interesse des Einzelnen schützen soll (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2018, Az. VI ZR 143/17, NJW 2018, 1671, Rn. 27; BGH, Urteil vom 14. Mai 2013, Az. VI ZR 255/11, NJW 2014, 64, Rn. 7)
76
Dies trifft auf § 4 Abs. 4 GlüStV zu. Aus § 1 S. 1 GlüStV ergibt sich, dass der Glücksspielstaatsvertrag unter anderem das Entstehen von Glücksspielsucht verhindern und den Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen lenken soll. § 4 Abs. 4 GlüStV begrenzt das Angebot von Casinospielen zum Schutz besonders spielgeneigter Spieler auf Spielbanken. Die Norm dient somit auch dem Schutz des Einzelnen (vgl. LG Ulm, Urt. v. 16.12.2019, 4 O 202/18; LG Gießen, Urt. v. 21.01.2021, 4 O 84/20; LG Konstanz, Urteil vom 2. Februar 2022, Az. D 2 O 287/21, BeckRS 2022, 13104).
77
Indem die Beklagte ohne über eine entsprechende Lizenz zu verfügen Online-Glücksspiele auch für Kunden in Bayern angeboten hat, hat sie gegen § 4 Abs. 4 GlückStV verstoßen (vgl. LG Düsseldorf, Urteil vom 18. August 2021, Az. 2b O 154/20, S. 12; LG Aachen, Urteil vom 13.07.2021, Az. 8 O 582/20 Rn. 39, juris; LG Konstanz, Urteil vom 2. Februar 2022, Az. D 2 O 287/21, BeckRS 2022, 13104).
78
Der bei dem Spieler eingetretene Schaden wurde durch das von der Beklagten angebotene Online-Glücksspiel, mithin durch die Verletzung des Schutzgesetzes, verursacht. Dies geschah auch schuldhaft. Anhaltspunkte für ein fehlendes Verschulden sind nicht ersichtlich.
79
Dem Spieler ist durch das schuldhafte Verhalten der Beklagten ein Schaden in Höhe des geltend gemachten Betrages entstanden. Diesen Schaden kann der Spieler nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Abs. 4 GlückStV ersetzt verlangen.
80
Aus denselben Erwägungen wie zu § 817 S. 2 BGB (s.o.) kommt auch ein zu berücksichtigendes Mitverschulden des Spielers nach § 254 BGB nicht in Betracht.
V) Verzinsung
81
Der Zinsanspruch begründet sich aus den §§ 286 Abs. 1 Satz 2, 288 Abs. 1 BGB. Die Klagepartei hatte mit Klageschrift vom 27.01.2023 zunächst die Zahlung von 11.274,49 € begehrt. Die Klage wurde am 17.03.2023 zugestellt, sodass die Forderung in dieser Höhe (11.274,49 €) ab dem 18.03.2023 zu verzinsen ist. Mit Schriftsatz vom 23.06.2023 wurde die Klage auf einen Betrag von € 11.408,37 € erweitert. Die Klageerweiterung wurde der Beklagten nicht zugestellt, sondern aufgrund richterlicher Verfügung vom 26.06.2023 nur formlos an den Beklagtenvertreter herausgegeben. Der Beklagtenvertreter reagierte mit Schriftsatz vom 03.05.2023 auf die Verfügung vom 26.06.2023, sodass ihm spätestens am 03.05.2023 die Klageerweiterung tatsächlich zugegangen war und insoweit der Zustellmangel gemäß 189 ZPO geheilt wurde.
VI) Keine Verjährung
82
Die geltend gemachten Ansprüche des Spielers sind nicht verjährt. Der Verjährungseinwand der Beklagten greift nicht durch.
83
Der Verjährungsbeginn gem. § 199 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass der Spieler die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Verträge kannte oder hätte kennen müssen (vgl. OLG Köln, Urteil vom 31. Oktober 2022 – 19 U 51/22 –, Rn. 81, juris; OLG Braunschweig Urt. v. 23.2.2023 – 9 U 3/22, BeckRS 2023, 2622 Rn. 132; OLG Dresden Endurteil v. 31.5.2023 – 13 U 1753/22, BeckRS 2023, 12231 Rn. 56).
84
Da der Spieler nach seinen glaubhaften Angaben im Rahmen der Zeugeneinvernahme frühestens im Jahr 2021 von der Illegalität des Angebots der Beklagten erfuhr und dies vorher auch nicht hätte kennen müssen, sind die geltend gemachten Ansprüche nicht verjährt.
85
Die Beklagte ist hinsichtlich des Verjährungsbeginns und -ablaufs darlegungs- und beweisbelastet.
86
VII) Keine Vorlage an den EuGH und keine Aussetzung nach § 148 ZPO Eine Vorlage an den EuGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht veranlasst. Da der EuGH bereits entschieden hat, dass die unionsrechtliche Kohärenzprüfung beschränkender Maßnahmen im Glücksspielsektor im Einzelfall Sache der nationalen Gerichte ist und auch die für diese Prüfung maßgeblichen Grundsätze des Unionsrechts bereits geklärt sind, ist eine erneute Vorlage dieser Fragen nicht veranlasst (vgl. BGH Beschluss vom 22.07.2021 – 1 ZR 33 O 663, BeckRS 2021, 21504, beckonline; OLG München (18. Zivilsenat), Beschluss vom 20.09.2022 – 18 U 538/22, BeckRS 2022, 30008; OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 07.06.2023, 10 U 12/23 e).
87
Nach § 148 Abs. 1 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen sei.
88
Zwar kann sich im Einzelfall die zu treffende Ermessensentscheidung auf Null reduzieren, wenn eine Sachentscheidung nicht möglich ist, weil deren Voraussetzungen im vorliegenden Verfahren nicht geklärt werden können (vgl. BeckOK/Wendtland, ZPO, Stand: 01.09.2023, § 148 Rn. 13).
89
Dies ist aber nicht der Fall. Vorliegend stellt sich keine entscheidungserhebliche Frage zur Auslegung des Unionsrechts, die nicht bereits durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs geklärt oder nicht zweifelsfrei zu beantworten ist. Der Gerichtshof hat entschieden, dass die unionsrechtliche Kohärenzprüfung beschränkender Maßnahmen im Glücksspielsektor im Einzelfall Sache der nationalen Gerichte ist. Die für diese Prüfung maßgeblichen Grundsätze des Unionsrechts hat er bereits geklärt (vgl. BGH, Beschluss vom 22.07.2021,1 ZR 199/20, juris, m.w.N.).
90
Daran ändert auch der aktuelle Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 10.01.2024, Az. I ZR 53/23 unter Verweis auf das Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH, Az. C – 440/23, nichts.
91
Der BGH geht davon aus, dass eine Aussetzung lediglich bei „Online-Pokerspielen“ geboten ist, nicht jedoch bei Online-Sportwetten oder Online-Casinospielen.
92
Aus der Pressemitteilungen des BGH vom 17.01.2024 geht hervor, dass in dem Revisionsverfahren I ZR 90/23, das Verluste aus unerlaubten Online-Sportwetten beinhaltet, ausdrücklich keine Aussetzung erfolgen soll. Die Pressemitteilung in dem Revisionsverfahren I ZR 53/23, in dem Erstattungsansprüche aus „Online-Pokerspielen“ geltend gemacht werden, führt der BGH dagegen aus:
„Von dem Verfahren unter dem Aktenzeichen I ZR 90/23, in dem der I. Zivilsenat am 7. März 2024 mündlich verhandeln wird, unterscheidet sich diese Sache maßgeblich dadurch, dass Gegenstand hier Verluste bei Online-Pokerspielen sind, die dem Totalverbot des § 4 Abs. 4 Glücksspielstaatsvertrag in der am 1. Juli 2012 in Kraft getretenen und bis zum 30. Juni 2021 geltenden Fassung (GlüStV 2012) unterlagen, und nicht Verluste bei Online-Sportwetten, für die der Veranstalter bereits eine Konzession nach § 4 Abs. 5, §§ 4a, 10a GlüStV 2012 beantragt hatte (vgl. auch den Terminhinweis vom heutigen Tag zum Verfahren I ZR 90/23).“
93
Ausweislich dieser Ausführungen ist der BGH wohl der Auffassung, dass nach Art. 267 Abs. 3 AEUV lediglich Verfahren zu „Online-Pokerspielen“ ausgesetzt werden müssen, da das beim EuGH derzeit anhängige Verfahren mit dem Aktenzeichen C-440/23 gerade „Online-Pokerspiele“ betrifft.
94
Der Spieler spielte bei der Beklagten kein Poker. Wie er in der Verhandlung am 08.01.2024 glaubhaft schilderte, habe er bei der Beklagten Roulette, Black Jack und an fiktiven Automaten gespielt.
C)
95
Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in § 91 Abs. 1 ZPO.
D)
96
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.