Titel:
Strafbarkeit des Arztes bei fehlerhafter Abrechnung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung
Normenkette:
StGB § 263, § 269
Leitsatz:
Werden die zur Abrechnung bei der Kassenärztlichen Vereinigung eingereichten Dokumente mit frei erfundenen Anamneseprotokollen und Behandlungen ergänzt, so wird neben dem Betrug auch der Straftatbestand des Fälschens beweiserheblicher Daten verwirklicht. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kassenärztliche Vereinigung, Quartalsabrechnungen, Gebührenordnungsposition, erfundene Behandlungen, erfundene Anamneseprotokolle
Fundstelle:
BeckRS 2024, 21799
Tenor
I.Der Angeklagte XXX ist schuldig des Betrugs in sieben Fällen mit Fälschung beweiserheblicher Daten in fünf tateinheitlichen Fällen.
Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 3 Monaten verurteilt.
III.Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt.
IV.Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Angewendete Vorschriften: §§ 263 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 269 Abs. 1, 52, 53, 56 StGB
Entscheidungsgründe
(abgekürzt gem. § 267 Abs. 4 StPO)
Persönliche Verhältnisse:
1
Der XXX-jährige Angeklagte ist verheiratet und hat eine Tochter im Alter von XXX Jahren, für die er keinen Unterhalt mehr bezahlen muss. Seine Frau ist nicht berufstätig.
2
Der Angeklagte lebt in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen. Monatlich erzielt er als selbstständiger Arzt einen Überschuss von ca. 5.000 EUR. Er hat in XXX Medizin studiert und das 3. Staatsexamen in Ulm absolviert.
3
Der Angeklagte kam 2001 nach Deutschland. Der Angeklagte hat für ein von ihm erworbenes Einfamilienhaus Schulden in Höhe von 1,8 Millionen Euro, die er derzeit allerdings nicht bedient. Darüber hinaus hat der Angeklagte noch Schulden bei der ApoBank in Höhe von ca. 600.000 EUR, auf die er monatlich ca. 5.000 EUR - 6.000 EUR bezahlt.
4
Der Angeklagte ist strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten.
5
Der Angeklagte ist als Facharzt für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Vom 01.07.2016 bis zum 30.09.2020 betrieb er eine Einzelpraxis in der …. Ab dem 01.01.2020 übernahm er zusätzlich eine Praxis in der …, welche er als Filialpraxis führte und welche von der angestellten Ärztin … ärztlich betreut wurde. Zum selben Zeitpunkt übernahm der Angeklagte eine Praxis in der …. Diese ebenfalls als Filialpraxis betriebene Praxis wurde von der angestellten Ärztin … ärztlich betreut.
6
Sämtliche Praxen wurden unter der BSNR … abgerechnet.
7
Seit dem 01.10.2020 werden die Praxen als MVZ („…“) betrieben, dessen Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Angeklagte ist. Seit dem 01.07.2022 betreibt das MVZ in der … einen weiteren Standort.
8
Der Angeklagte hat unter anderem die Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) zur Erbringung und Abrechnung von Leistungen der psychosomatischen Grundversorgung, welche ihn insbesondere dazu berechtigt, Leistungen gemäß GOP 35100 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs – EBM (Differentialdiagnostische Klärung psychosomatischer Krankheitszustände) und 35110 des EBM (Verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen) zu erbringen und abzurechnen. Auch seine angestellten Ärztinnen haben diese Genehmigung, … jedoch erst seit dem 25.05.2020.
9
Obligatorischer Inhalt der GOP 35100 ist neben der differentialdiagnostischen Klärung psychosomatischer Krankheitszustände mit der Dauer von mindestens 15 Minuten die Anfertigung eines schriftlichen Vermerks über ätiologische Zusammenhänge, das heißt über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Zusammenhangs zwischen psychischen und körperliche (somatischen) Beschwerden. Diese GOP kann nur abgerechnet werden, wenn die schriftliche Dokumentation der Prüfung eines solchen Zusammenhangs gefertigt wird.
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In Kenntnis dieser Dokumentationspflichten hat der Angeklagte für die Quartale 1/2019 bis 3/2020 in insgesamt 7.016 Fällen die GOP 35100 gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung abgerechnet, obwohl er in dem weit überwiegenden Teil der Fälle keine inhaltliche Dokumentation zu dieser Leistung vornahm, insbesondere keine Dokumentation des ätiologischen Zusammenhangs.
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Mit den Quartalsabrechnungen versicherte der Angeklagte jeweils bewusst wahrheitswidrig die sachliche Richtigkeit der Abrechnungen. Derart getäuscht veranlasste der jeweils zuständige Mitarbeiter der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns jeweils die ungekürzte Auszahlung der sich aus den sieben Quartalsabrechnungen ergebenden Beträge an den Angeschuldigten, wodurch der KVB ein Schaden in Höhe der zu Unrecht abgerechneten Leistungen von insgesamt 96.357,14 € entstand.
12
Dem Angeklagten wuchs hierdurch jeweils – wie beabsichtigt – ein entsprechender Vorteil in Höhe der zu Unrecht abgerechneten Beträge zu, auf den er – wie er wusste – jeweils keinen Anspruch hatte.
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Im Einzelnen handelt es sich um folgende Fälle:
Fall Nr.
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Quartal
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Datum Sammelabrechnung
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Anzahl GOPen ohne Dokumentation
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Wert GOPen ohne Dokumentation
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1
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1/2019
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08.04.2019
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833
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13.704,82 €
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2
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2/2019
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04.07.2019
|
1.026
|
16.877,70 €
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3
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3/2019
|
09.10.2019
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1.384
|
22.766,80 €
|
4
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4/2019
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07.01.2020
|
165
|
2.714,25 €
|
5
|
1/2020
|
06.04.2020
|
321
|
5.360,70 €
|
6
|
2/2020
|
09.07.2020
|
588
|
12.471,48 €
|
7
|
3/2020
|
08.10.2020
|
1.059
|
22.461,39 €
|
|
Gesamt
|
|
5.376
|
96.357,14 €
|
14
Im Rahmen des von der KVB aufgrund zeitlicher Unstimmigkeiten eingeleiteten Plausibilitätsprüfungsverfahrens wurde der Angeklagte mit Schreiben vom 18.11.2021 zum wiederholten Male aufgefordert, Patientendokumentationen für eine Vielzahl von Patienten vorzulegen.
15
Mit anwaltlichem Schreiben vom 10.01.2022 ließ der Angeklagte Dokumentationen für 17 Patienten, Ausdrucke aus dem von ihm verwendeten Praxisverwaltungsprogramm, bei der KVB vorlegen. Da der Angeklagte wusste, dass die ursprünglich im zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung im Jahr 2019 von ihm gefertigten Dokumentationen die Abrechnungsvoraussetzungen, insbesondere für die GOP 35100, nicht erfüllen, ergänzte er die Dokumentationen vor dem Ausdruck und der Einreichung bei der KVB mit frei erfundenen Anamneseprotokollen und Behandlungen.
16
Einem Teil Dokumentationen hatte der Angeklagte auf Aufforderung der KVB bereits dort bereits mit Schreiben vom 19.06.2020 in der ursprünglichen Fassung eingereicht.
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Im Einzelnen handelt es sich hierbei um folgende Fälle:
Fall Nr.
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Patient/Patientin
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Behandlungs-datum
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Ursprüngliche Dokumentation
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Eingereichte Ergänzung
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1
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…
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01.04.2019
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Impfung Tetanus/Diphterie/Polio
89400E, 03004, 35100
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Psychosomatisches Gespräch über depressive Störung und Angstzustände mehr als 15 min
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2
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…
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31.05.2019
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(ECLI:ICD:B8OG) Oxyuriasis
ECLI:M:Vermox forte 500 mg kohlpharma 100 Tbl. N3(#I0810881) lkoWfdiarmaGinbH>ECLI:M:3x Helmex 250 mg 4 Kautabletten N1(iV3259460)>ECLI:M:2x Moxifloxacin – 1 A Pharma 400mg 14 Filmtbl. N1(#13198334) 03003, 35100
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Patientin hat Wurm in Stuhlgang gesehen, Psychosomatisches Gespräch über Epidemiologie von Wurmern und hygienische Maßnahmen, Gespräch mehr als 15 min.
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3
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…
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30.04.2019
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Schlafstörung, Müdigkeit, Angstgefühl, Pollenallergie (ICD; J30.IG) Rhinitis allergica-PoIlen QCD-R45.80) psychische Belastungssituation Überweisung an NeuroIogie(#28S230) 03004, 35100
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Gespräch über die Pathogenese von Schlafstörung mehr als 15 min. Spaziergänge empfohlen.
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4
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…
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08.05.2019
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Sorgen mit Mutter, die im Pflegeheim lebt Pat. macht sich Gedanken über Zukunft (ECLI:ICD:E04.9G) Struma nodosa (ECLI:ICD:C50.9Z) Mammacarcinom (ECLI:ICD:M17.9GB) Varusgonarthrose
ECLI:M:Eferox 50 Tab 100 ST(#4315054) 03004, 35100
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Psychosomatisches Gespräch über 15 min
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5
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…
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01.04.2019
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(ECLI:ICD:M54.2G) HWS Syndrom-Kyphose (ECLI:ICD:J30.1G) Pollinosis (ECLI:ICD:N80.9G) Endometriose AU: Folgebesch. bis 01.04.19 (#283384) 03003, 35100
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Rezidiv, Schmerzen in HWS Bereich mit Ausstrahlung in Kopf, psychosomatisches Gespräch über Schmerzsyndrom und Med. und Operative Behandlung, Gespräch mehr als 15 min
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18
Die Vorlage der veränderten Dokumentationen erfolgte, um unter anderen den Ansatz der GOP 35100 plausibel zu machen.
19
1. Die Feststellungen zu Ziffer I. traf das Gericht aufgrund der glaubhaften Angaben des Angeklagten zu seinem Werdegang und dem verlesenen Auszug aus dem Bundeszentralregister.
20
2. Hinsichtlich des Sachverhalts unter Ziffer II. hat der Angeklagte sich vollgeständig gezeigt. Das Gericht hat das Geständnis des Angeklagten überprüft durch Einvernahme der Polizeibeamten … und des Zeugen … von der kassenärztlichen Vereinigung Bayerns.
21
Der Angeklagte hat sich damit des Betrugs in sieben Fällen und der Fälschung beweiserheblicher Daten in fünf tateinheitlichen Fällen gemäß §§ 263 Abs. 1, Abs. 3 S. 2 Nr. 1, 269 Abs. 1, 52, 53 StGB strafbar gemacht.
22
1. Der Strafrahmen beträgt für die Fälle des Betrugs 6 Monate bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe (§ 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB). Das Gericht nimmt jeweils einen besonders schweren Fall an, da der Angeklagte in der Absicht handelte, sich durch wiederholte Tatbegehung eine Einnahmequelle von einigem Gewicht und einiger Dauer zu verschaffen.
23
Für die Fälschung beweiserheblicher Daten beträgt der Strafrahmen Geldstrafe bzw. Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren.
24
2. Das Gericht hat sich bei der konkreten Strafzumessung von folgenden Erwägungen leiten lassen:
25
Zugunsten des Angeklagten sprach sein umfassendes Geständnis, das auch besonders Werthaltigkeit war. Ohne das Geständnis des Angeklagten, das auch die konkrete Berechnung des Schadens umfasste, wäre eine umfangreiche und vermutlich über mehrere Tage andauernde Hauptverhandlung erforderlich gewesen. Möglicherweise hätten auch eine Vielzahl von Patienten vernommen werden müssen. Der Angeklagte war bereits zu einem sehr frühen Stadium im Rahmen der Ermittlungen äußerst kooperativ. Zu sehen war auch, dass es sich in der überwiegenden Anzahl der zu Unrecht geltend gemachten GOP 35100 zwar um eine Verletzung der Dokumentationspflicht gehandelt hat, die Patienten aber tatsächlich vom Angeklagten behandelt wurden und die differenzialdiagnostische Klärung psychosomatischer Krankheitszustände erfolgte. Strafmildernd musste ferner berücksichtigt werden, dass der Angeklagte aufgrund der Durchsuchung und der Medienberichterstattung über diesen Fall erkennbar beeindruckt ist. Der Angeklagte hat sich reuig gezeigt, was auch durch sein Nachtatverhalten dokumentiert ist. So hat der Angeklagte den strafrechtlich relevanten Schaden in Höhe von 96.357,14 EUR durch Verrechnung mit seinen Quartalsabrechnungen bereits vollständig wiedergutgemacht. Darüber hinaus konnte seitens der KVB ein weiterer Betrag von rund 100.000 EUR durch Verrechnung einbehalten werden, wenngleich noch das Widerspruchsverfahren des Angeklagten gegen den insoweit ergangenen Bescheid der KVB anhängig ist. Ferner hat das Gericht berücksichtigt, dass der strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getretene Angeklagte sich durch seine Taten in die Gefahr des Entzugs der Approbation bzw. seiner Kassenzulassung gebracht hat.
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Strafschärfend hingegen war zu berücksichtigen, dass sich die Taten über einen nicht unerheblichen Zeitraum hinzogen und ein hoher Gesamtschaden entstand.
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Unter Berücksichtigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände erachtet das Gericht vorliegend folgende Einzelstrafen für tat- und schuldangemessen:
Fall 1: 7 Monate Freiheitsstrafe
Fall 2: 7 Monate Freiheitsstrafe
Fall 3: 8 Monate Freiheitsstrafe
Fall 4: 6 Monate Freiheitsstrafe
Fall 5: 6 Monate Freiheitsstrafe
Fall 6: 7 Monate Freiheitsstrafe
Fall 7: 8 Monate Freiheitsstrafe
- Fälschung beweiserheblicher Daten:
50 Tagessätze zu je 100 EUR
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Unter nochmaliger Würdigung aller Strafzumessungsgesichtspunkte hat das Gericht hieraus im Hinblick auf den sachlichen Zusammenhang der Straftaten eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 3 Monaten für tat- und schuldangemessen erachtet.
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Die Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe kann auch ohne weiteres zur Bewährung ausgesetzt werden. Der Angeklagte lebt in geordneten sozialen Verhältnissen und wurde erstmalig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, sodass das Gericht davon ausgeht, dass er sich allein die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Warnung dienen lassen wird und keine weiteren Straftaten mehr begeht (§ 56 Abs. 1 StGB). Im Übrigen liegen auch besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB vor. Der Angeklagte war voll geständig und hat den hier gegenständlichen Schaden bereits beglichen.
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Aus diesem Grund war auch eine Einziehungsentscheidung entbehrlich.
31
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464, 465 StPO.