Inhalt

FG München, Urteil v. 25.07.2024 – 15 K 286/23
Titel:

"Zwangsläufigkeit" von ärztlich verordneten Nahrungsergänzungsmitteln bei Krebserkrankungen - Definition Diät

Normenketten:
AMG § 2, § 21 Abs. 1
EStG § 33 Abs. 2 S. 1
EStDV § 64 Abs. 1
NemV § 1
Leitsätze:
1. Unter Diät ist die auf die Bedürfnisse des Patienten und die Therapie der Erkrankung abgestimmte Ernährung zu verstehen; sie kann in der Einschränkung der gesamten Ernährung, in der Vermeidung bestimmter Anteile oder in der Vermehrung aller oder bestimmter Nahrungsanteile bestehen. Zu den Diätformen gehören nicht nur kurzzeitig angewendete Einformdiäten sowie langzeitig angewandte Grunddiäten, z.B. bei Gicht und Zuckerkrankheit, sondern auch langzeitige Sonderdiäten mit Anpassung an ständige Leiden (BFH, Urteil vom 21. Juni 2007 – III R 48/04 –, BStBl II 2007, 880). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. An der Zugehörigkeit von Aufwendungen für Lebensmittel zu den Kosten der privaten Lebensführung ändert auch nichts, dass die Präparate weitgehend ärztlich verordnet waren. Eine „Zwangsläufigkeit“ im Sinne des § 33 EStG lässt sich daraus nicht ableiten. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Zwangsläufigkeit
Rechtsmittelinstanz:
BFH München vom -- – VI R 23/24
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Revision beim Bundesfinanzhof (BFH) durch Kläger eingereicht
Az. beim BFH: VI R 23/24
Fundstellen:
EFG 2024, 1919
BeckRS 2024, 21733
LSK 2024, 21733

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Streitig ist, ob die ärztlich verordneten und vom beklagten Finanzamt (im Folgenden: FA) nicht anerkannten Aufwendungen für Präparate, die aufgrund einer Tumorerkrankung eingenommen wurden, als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigungsfähig sind.
2
Die Kläger sind Eheleute, die in den Streitjahren 2019 und 2020 mit ihren Einkünften aus Gewerbebetrieb (betreffend nur die Klägerin), aus nichtselbständiger Arbeit, Vermietung und Verpachtung, sowie sonstige Einkünfte (betreffend nur den Kläger) vom FA zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden.
3
Der Kläger leidet seit der Diagnose im Jahr 2015 an einer Tumorerkrankung (metastasierender Prostatakrebs), der mit einer Hormontherapie nicht mehr heilbar ist. Der Kläger, dem zum Zeitpunkt dieser Diagnose eine Lebenserwartung von maximal fünf bis sieben Jahren in Aussicht gestellt worden war, unterzog sich einer Operation und einer anschließenden Chemotherapie, und leidet bis heute unter starken Nebenwirkungen.
4
Die Kläger machten deshalb in den Streitjahren Aufwendungen in 2019 in Höhe von insgesamt 31.031,- Euro und in 2020 in Höhe von 36.048,- Euro steuermindernd geltend, die das FA im Rahmen der Einkommensteuerveranlagungen teilweise als berücksichtigungsfähige Krankheitskosten behandelte bzw. von einer privaten Krankenversicherung teilweise erstattet wurden. Das FA berücksichtigte indes nicht die von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen für Nahrungsergänzungsmittel in Höhe von 9.871,- Euro in 2019 und 10.847,- Euro in 2020 als außergewöhnliche Belastung. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Präparate:
- Acerola
- (Lac.) Acidophilus Kapseln
- Aminosäuren-Komplex
- Agaricus
- All Plant Forte Protein
- Bio-Brokkoli-Keimlinge Kapseln
- Bitterkraft Tropfen
- Blitzbasen
- Blue Redox Flasche
- Boron 3mg Tabletten
- CLA Tabletten
- Calcium Magnesium Plus Tabletten
- Cistus Incanus Tabletten
- Citroplus 800
- Graipefruit Kern Extrakt
- Coenzym Q10
- Coriolus Bio Vitalpilztabletten
- Curcumin-Extrakt
- Double X Tabletten
- Dr. Jacobs Basenpulver
- Dr. Jacobs Granaforte Tropfen
- Dr. Jacobs GranaProstan ferment
- Fibre Powder
- Glucosamin
- Green Tea
- Hericium Vitalpilzkapseln
- Indol-3-Carbinol
- Konzentriertes Obst u Gemüse Tabletten
- Kräuterbeer 1l
- Lecithin E Kautabletten
- L-Glutamine Kapseln
- Magnesium Stick
- Magnesium Tabletten
- Maitake
- Mangan
- Milk Thistle Kapseln
- Multi Impuls 1,0l Flasche
- Neprorella Algen
- Omega 3 Kapseln
- OPC-Kapseln
- PorSol Tabletten
- ProBioBact
- ProstaSol Tabletten
- Phönix Silybum spag
- Phönix Solidago spag
- Phönix Thuja-Lachesis
- Quercitin (mit Bioflavonoide)
- Roter Ginseng
- Reishi Vitalpilz
- Shiitake Pilz-Tabletten
- Shirtake Kapseln
- Silymarin Kapseln
- Superkrillöl
- Vitamin B plus
- Vitamin C Plus Tabletten
- Vitamin D3 Kapseln
- Weihrauch-Kapseln
- Zink Mineralstick
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Das FA setzte für das Streitjahr 2019 im Einkommensteuerbescheid vom 9. Februar 2022 eine Einkommensteuer in Höhe von 48.671 Euro und für das Streitjahr 2020 im Einkommensteuerbescheid vom 3. November 2022 eine Einkommensteuer in Höhe von 43.386 Euro fest.
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Die Einsprüche der Kläger gegen die Einkommensteuerfestsetzungen 2019 und 2020 vom 11. Februar 2022 und vom 18. November 2022, die sich gegen die Nichtanerkennung der Nahrungsergänzungsmittel als außergewöhnliche Belastungen richteten, blieben in der Einspruchsentscheidung des FA vom 3. Februar 2023 ohne Erfolg.
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Mit der am 1. März 2023 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Einspruchsbegehren weiter und tragen – unter Verweis auf ein ärztliches Attest vom 2. Juni 2016, einen ambulanten Arztbrief vom 29. April 2015, den histopathologischen Befund vom 21. Mai 2015 sowie den PET-CT-Befund vom 6. Mai 2015 – vor, der Kläger benötige die kontinuierliche Einnahme spezieller Präparate, da bereits die Knochen und Lymphdrüsen befallen seien. Die geltend gemachten – nicht vom FA berücksichtigten – Krankheitskosten könnten nicht als reine Diätaufwendungen beurteilt werden, weil diese Aufwendungen lebensnotwendig seien, um eine Fortschreitung dieser schweren Krankheit auszuschließen. Aus den weiteren Berichten der Klinik über die Einweisung und stationäre Behandlung vom 19. Mai 2019, 12. November 2019 und 3. Juni 2020 sei ersichtlich, dass die Einnahme der gegenständlichen Präparate Bestandteil der Therapie gewesen seien. Ebenfalls hieraus sowie aus der Bescheinigung des MVZ … vom 22. Juni 2023 ergebe sich die Notwendigkeit der Injektion der Proliaspritze (Denosumab), die wegen des Knochenbefalls jedes halbe Jahr injiziert werde, um die Ausbreitung des Knochenbefalls zu verhindern. Die Einnahme von Calcium und Vitamin D sei vorgeschrieben. Aus der vorgelegten Bestätigung des Arztes … vom 21. Juni 2023 sei die Notwendigkeit der Präparate sowie deren pharmakologischen Wirkung für den Kläger ersichtlich. Es würden zudem für sämtliche Arzneimittel und Präparate ärztliche Verordnungen vorliegen. Diese Produkte seien zwar über die Firma … gekauft worden; sie könnten jedoch auch ausweislich der vorgelegten Liste von Apotheken erworben werden. Für die Beurteilung der Frage, ob ein Präparat als Arzneimittel anzusehen sei und damit der Zulassungspflicht nach § 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) unterliege oder aber einer anderen Produktkategorie angehöre, sei das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) – abgesehen von Anträgen zuständiger Landesbehörden gemäß § 21 Abs. 4 AMG – nicht zuständig. Damit gebe das BfArM keine Auskunft darüber, ob ein Präparat als Arzneimittel anzusehen sei.
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Die Kläger beantragen,
den Einkommensteuerbescheid für 2019 vom 9. Februar 2022 und den Einkommensteuerbescheid 2020 vom 3. November 2022, beide in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. Februar 2023 aufzuheben, und zusätzliche außergewöhnliche Belastungen vor Berücksichtigung der zumutbaren Eigenbelastung in Höhe von 9.871 Euro im Jahr 2019 und von 10.847 Euro im Jahr 2020 zu berücksichtigen und die Einkommensteuer für die Streitjahre entsprechend niedriger festzusetzen.
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Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Es trägt vor, dass die Kosten für ärztlich verordnete Arzneimittel und Präparate vollumfänglich als Krankheitskosten anerkannt worden seien. Darunter fielen auch ärztlich verordnetes Vitamin D, Calcium, Proliaspritze, etc. Nahezu ausschließlich Nahrungsergänzungsmittel der Firma … seien durch das FA nicht zum Abzug als außergewöhnliche Belastung zugelassen worden. Hier handle es sich ausdrücklich nicht um Arzneimittel, die dem Arzneimittelgesetz unterliegen, sondern um Vitamine, Mineral- und Vitalstoffe etc., die als Lebensmittel gelten. Die Firma … vertreibe im Direktvertrieb nur Nahrungsergänzungsmittel, keinerlei Arzneimittel. Für Arzneimittel sei eine Zulassung und Zertifizierung notwendig, die die Firma … in Deutschland nicht besitze. Die Kläger selbst hätten in der Einkommensteuererklärung 2019 die getätigten Aufwendungen als „Nahrungsergänzungsmittel“ bezeichnet. In der Einkommensteuererklärung 2020 hätten die Kläger selbst differenziert zwischen „Nahrungsergänzungsmittel“ in Höhe 10.847 €, „Arztrechnungen“ der Klägerin und des Klägers sowie Aufwendungen für „Massage-Punktpressur“.
11
Mit Anordnung vom 8. April 2024 forderte das Gericht die Kläger auf, bis 30. April 2024 Erklärungen und Beweismittel vorzulegen, die belegen, dass es sich bei den für den Kläger ärztlich verordneten Präparaten um Medikamente nach § 2 AMG handelt. Das Gericht hat auf Antrag der Kläger eine amtliche Auskunft des BfArM eingeholt, ob es sich bei den streitbefangenen Präparaten um Arzneimittel i. S. des AMG handelt. Auf die hierzu eingereichte Stellungnahme des BfArM vom 22. April 2024 wird Bezug genommen.
12
Wegen weiterer Einzelheiten wird Bezug genommen auf die dem Gericht vorliegenden Steuer- und Gerichtsakten und die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25. Juli 2024.
II.
13
Die Klage ist unbegründet. Die angegriffenen Einkommensteuerbescheide 2019 und 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. Februar 2023 verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten.
14
1. Das FA hat die streitgegenständlichen Aufwendungen in Höhe von 9.871,- Euro in 2019 und 10.847,- Euro in 2020 zutreffend nicht als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) berücksichtigt.
15
a) Nach § 33 Abs. 1 EStG liegen außergewöhnliche Belastungen vor, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands erwachsen. Auf Antrag wird die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (Absatz 3) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird. Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind, beispielsweise die Kosten der Verpflegung (BFH, Urteil vom 14. April 2015 – VI R 89/13 –, BStBl II 2015, 703, m.w.N.).
16
b) Nach ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, dass Krankheitskosten – ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung – dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen, beispielsweise Aufwendungen für einen Rollstuhl. Bei den typischen und unmittelbaren Krankheitskosten wird die Außergewöhnlichkeit letztlich unwiderleglich vermutet und die Zwangsläufigkeit dieser Aufwendungen weder dem Grunde nach (stets aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig) noch der Höhe nach (Angemessenheit und Notwendigkeit im Einzelfall) geprüft. Den Begriff der Krankheit definiert die Rspr. als einen anomalen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand, der den Betroffenen „in der Ausübung normaler psychischer oder körperlicher Funktionen“ beeinträchtigt, so dass er nach herrschender Auffassung einer medizinischen Behandlung bedarf (BFH, Urteil vom 14. April 2015 – VI R 89/13 –, BStBl II 2015, 703, Rn. 10, m.w.N.).
17
c) Nicht zu den Krankheitskosten zählen vorbeugende Aufwendungen, die der Gesundheit allgemein dienen, und solche, die auf einer medizinisch nicht indizierten Behandlung beruhen. Es handelt sich insoweit vielmehr um Aufwand, der nicht aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG entsteht, sondern auf einer freien Willensentschließung beruht und deshalb gemäß § 12 Nr. 1 EStG den nicht abzugsfähigen Kosten der Lebenshaltung zuzurechnen ist.
18
d) Aufwendungen für Diätverpflegung sind nach dem Wortlaut des § 33 Abs. 2 Satz 3 EStG und der Entstehungsgeschichte der Ausschlussnorm ausnahmslos nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar. Dies gilt auch für Sonderdiäten, die eine medikamentöse Behandlung ersetzen.
19
aa) Unter Diät ist die auf die Bedürfnisse des Patienten und die Therapie der Erkrankung abgestimmte Ernährung zu verstehen; sie kann in der Einschränkung der gesamten Ernährung, in der Vermeidung bestimmter Anteile oder in der Vermehrung aller oder bestimmter Nahrungsanteile bestehen. Zu den Diätformen gehören nicht nur kurzzeitig angewendete Einformdiäten sowie langzeitig angewandte Grunddiäten, z.B. bei Gicht und Zuckerkrankheit, sondern auch langzeitige Sonderdiäten mit Anpassung an ständige Leiden (BFH, Urteil vom 21. Juni 2007 – III R 48/04 –, BStBl II 2007, 880).
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bb) Vom Abzugsverbot nach § 33 Abs. 2 Satz 3 EStG werden damit Kosten einer besonderen Verpflegung und damit Aufwendungen für Diätlebensmittel erfasst, auch wenn ihnen „quasi Medikamentenfunktion“ zukommt oder sie zur Unterstützung einer Heilbehandlung konsumiert werden. Denn insoweit ist der Steuerpflichtige nicht außergewöhnlich belastet, da unterschiedliche Lebenshaltungskosten steuerlich unbeachtlich sind.
21
cc) Arzneimittel unterfallen dem Abzugsverbot für Diätverpflegung dagegen nicht. Arzneimittel i.S. des § 2 AMG sind keine Lebensmittel und zählen nicht zur Diätverpflegung i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 3 EStG, auch wenn sie während einer Diät eingenommen werden. Aufwendungen dafür sind vielmehr als Krankheitskosten nach § 33 Abs. 1 EStG zu berücksichtigen, wenn ihre Einnahme einer Krankheit geschuldet und die Zwangsläufigkeit (medizinische Indikation) der Medikation durch ärztliche Verordnung nachgewiesen ist. Der Umstand, dass der Steuerpflichtige wegen dieser Krankheit zugleich eine Diät halten muss, steht dem nicht entgegen. Aufwendungen für Arzneimittel sind auch in einem solchen Fall unmittelbare Krankheitskosten, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen, und damit Aufwendungen, die nach § 33 EStG zu berücksichtigen sind.
22
dd) Der Wille des Gesetzgebers zum umfassenden Ausschluss der Diätverpflegungsaufwendungen ist im Gesetzgebungsverfahren klar zum Ausdruck gekommen (BFH, Beschluss vom 3. August 2000 – III B 5/00 –, BFH/NV 2001, 188; Urteil vom 27. September 1991 – III R 15/91 –, BStBl II 1992, 110). Nach den Erfahrungen der Praxis sei die bis zum 31. Dezember 1974 bestehende Steuerermäßigung in vielen Fällen ungerechtfertigt in Anspruch genommen worden. Hinzu komme, dass angesichts der modernen Lebens- und Essgewohnheiten die Einhaltung einer Diät im Allgemeinen zu keiner Mehrbelastung, oft sogar zu Einsparungen führe. Selbst wenn aber Mehrkosten entstünden, sei zu berücksichtigen, dass zwangsläufige Unterschiede in den Lebenshaltungskosten anderer Art ebenfalls nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden könnten (Bundestags-Drucksache – BT-Drucks. – 7/1470, 281). Darüber hinaus hielten der Bundesrat (BT-Drucks. 7/1722, 11) und ihm folgend der federführende Finanzausschuss des Deutschen Bundestages (BT-Drucks. 7/2180, 20) die ausdrücklich im Gesetzesentwurf vorgesehenen Ausnahmen vom Abzugsverbot für krankheitsbedingte Diätmehraufwendungen bei Zuckerkrankheit und Multipler Sklerose für mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz unvereinbar und sprachen sich deshalb für ein ausnahmsloses Abzugsverbot aus, das dann auch Gesetz geworden ist.
23
Sind Diätaufwendungen aber auch in Fällen, in denen sie wie andere Krankheitskosten zwangsläufig entstehen, vom Abzug ausgeschlossen, so muss dies auch dann gelten, wenn sie nicht nur neben, sondern an Stelle von Medikamenten zur Linderung der Krankheit benötigt werden. Denn für die steuerliche Behandlung dieser Verpflegungskosten kann es keinen Unterschied machen, ob zusätzlich noch Aufwendungen für Medikamente anfallen oder nicht (BFH, Urteil vom 21. Juni 2007 – III R 48/04 –, BStBl II 2007, 880; Urteil vom 27. September 1991 – III R 15/91 –, BStBl II 1992, 110; Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 10. Mai 2011 – 12 K 127/10 –, juris). Dies gilt auch dann, wenn die Diät aufgrund einer ärztlichen Verordnung unmittelbar als Therapie eingesetzt wird und damit im medizinischen Sinne Medikamentencharakter aufweist (BFH, Urteil vom 21. Juni 2007 – III R 48/04 –, BStBl II 2007, 880; Finanzgericht Köln, Urteil vom 10. November 1989 – 7 K 5015/88 –, EFG – 1990, 356). Auch in diesen Fällen tritt die Diätverpflichtung an die Stelle üblicher Nahrungsmittel, die Kosten der allgemeinen Lebensführung darstellen (Greite, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung – HFR – 2007, 1203).
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e) Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf. Eine derart typisierende Behandlung der Krankheitskosten ist zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten. Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden, also medizinisch indiziert sind (BFH, Urteil vom 2. September 2010 – VI R 11/09 –, BStBl II 2011, 119, Rn. 13 ff, m.w.N.).
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Wissenschaftlich anerkannt ist eine Behandlungsmethode, wenn Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (BFH, Beschluss vom 21. Februar 2018 – VI R 11/16 –, BStBl II 2018, 469, m.w.N.). Dies wird angenommen, wenn die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) die Behandlungsmethode befürwortet und über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dies setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein.
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f) Nach § 64 Abs. 1 EStDV ist der Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel durch eine Verordnung eines Arztes zu erbringen, für dort aufgeführte andere Aufwendungen, darunter wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden, durch ein amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung. Der danach zu erbringende Nachweis muss vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestellt worden sein. Dies gilt auch in den Fällen einer Erkrankung mit einer nur noch begrenzten Lebenserwartung, da die Regelung des § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStDV insoweit keine Differenzierung enthält (BFH, Beschluss vom 21. Februar 2018 – VI R 11/16 –, BStBl II 2018, 469). Die ältere Rspr. (BFH, Urteil vom 2. September 2010 – VI R 11/09 –, BStBl II 2011, 119, ist insoweit durch die Einführung des § 64 EStDV überholt.
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2. Nach Maßgabe dieser Rechtsgrundsätze stellen die streitgegenständlichen Aufwendungen für Nahrungsergänzungsmittel keine außergewöhnlichen Belastungen im Sinne des § 33 EStG dar. Aufwendungen für Lebensmittel – auch in Form der streitgegenständlichen Nahrungsergänzungsmittel – sind nicht originäre Aufwendungen im Krankheitsfall, die dem Anwendungsbereich des § 33 Abs. 1 EStG zugeordnet werden können. Es handelt sich insoweit vielmehr um Kosten der privaten Lebensführung, die dem Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 EStG unterfallen.
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a) Zwar ist der Kläger unstreitig krank, so dass ihm Krankheitsaufwendungen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen.
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b) Zu diesen zwangsläufig erwachsenden Aufwendungen gehören auch ärztlich verordnete Arzneimittel (§ 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV). Um solche handelt es sich jedoch im Streitfall nicht. Die streitgegenständlichen Präparate sind nach der Auskunft des Arzneimittelbundesinstituts nicht als Arzneimittel zugelassen. Die Kläger tragen schon nicht substantiiert vor, dass sie eine pharmakologische Wirkung hätten, die sie ggf. auch ohne förmliche Zulassung zu „Arzneimitteln“ machen könnten. Gegen deren Einstufung als Arzneimittel spricht aus Sicht des Senats die fehlende Zulassung der streitgegenständlichen Präparate bei bestehender Zulassungspflicht für Arzneimittel. Auch handelt es sich um Mittel, die nach der Verkehrsanschauung Nahrungsergänzungsmittel im Sinne des § 1 der Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NemV) darstellen und der dortigen Definition des Nahrungsergänzungsmittels auch entsprechen. Nach Kenntnis des Gerichts nehmen eine Vielzahl von Menschen Präparate wie die streitigen zu sich, um dem Körper Nährstoffe, Vitamine, Mineralstoffe etc. zuzuführen, die eine reale oder so wahrgenommene Mangelernährung ausgleichen sollen. Exemplarisch gilt dies insbesondere für die Tees, für „Konzentriertes Obst und Gemüse“, Pilzkonzentrate, Magnesium, Lecithin, Calcium, Vitamin C, Ginseng. Solche Nahrungsergänzungsmittel stellen Lebensmittel dar (vgl. § 1 NemV), die nicht in den Anwendungsbereich des § 2 AMG fallen.
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Auch die mutmaßlich etwas spezifischere Wirkung der Nahrungsergänzungsmittel gegenüber „Lebensmitteln im Allgemeinen“ durch die konzentrierteren Inhaltsstoffe ersterer macht nach Auffassung des Senats diese Präparate nicht zu Arzneimitteln. Vielmehr ist die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln zur Überzeugung des Senats dem in der zitierten Rspr. näher ausgeführten Typus der besonderen – ggf. behandlungsbegleitenden – Diät zuzuordnen. Die vorgelegte Verordnung ist auf die Bedürfnisse des Klägers und die Therapie der Erkrankung des Klägers (etwa zum Ausgleich von Nebenwirkungen wie der Gefahr von Osteoporose durch die Chemotherapie) abgestimmt und besteht im Streitfall in der Vermehrung bestimmter Nahrungsanteile. Die Kosten für solche Diätverpflegung schließt § 33 Abs. 1 Satz 3 EStG – wie oben ausgeführt – von der Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung aus (vgl. hierzu BFH, Urteil vom 21. Juni 2007 – III R 48/04 –, BStBl II 2007, 880).
31
An der Zugehörigkeit von Aufwendungen für Lebensmittel zu den Kosten der privaten Lebensführung ändert auch nichts, dass die Präparate weitgehend ärztlich verordnet waren. Eine „Zwangsläufigkeit“ im Sinne des § 33 EStG lässt sich daraus nicht ableiten. Vielmehr gilt das Abzugsverbot für Diätverpflegung auch dann, wenn die Diät – wie im Streitfall – aufgrund ärztlicher Verordnung unmittelbar als Therapie eingesetzt wird und damit im medizinischen Sinne Medikamentencharakter aufweist (BFH, Urteil vom 21. Juni 2007 – III R 48/04 –, BStBl II 2007, 880, Rn. 33). Insoweit sind im Streitfall die ärztlichen Verordnungen als Verordnungen einer die eigentliche Heilbehandlung und die Arzneimittelgabe begleitenden Diät zu beurteilen.
32
c) Zu den Krankheitsaufwendungen gehören auch Heilbehandlungen. Um solche handelt es sich jedoch nicht – wie oben bereits ausgeführt – bei Aufwendungen für Diätverpflegung. Soweit eine Behandlung in der Gabe von Stoffen über den Verdauungstrakt besteht, sind diese Aufwendungen für die steuerliche Beurteilung der spezielleren Kategorie des Aufwandes für Arzneimittel oder aber den Kategorien Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel zuzuordnen und wie vorstehend ausgeführt zu behandeln. Der Begriff bzw. die Kategorie der „Heilbehandlung“ umfasst damit nur noch andere verbleibende Aufwendungen, etwa die eigentliche ärztliche bzw. ärztlich verordnete Dienstleistung, sowie ggf. Eingriffe in den Körper.
33
d) Auch als wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode kann die Einnahme von üblichen Nahrungsergänzungsmitteln nicht beurteilt werden. Für die Annahme einer „Behandlungsmethode“ fehlt schon eine Zielgerichtetheit der eingenommenen Präparate in ihrer Gesamtheit im Rahmen eines Behandlungskonzepts. Ein solches Behandlungskonzept bzw. eine Behandlungsmethode ist auch nicht substantiiert vorgetragen. Insbesondere genügt hierfür nicht die bloße Bezeichnung als „Orthomolekulare und Mikronährstoffbegleittherapie“.
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Soweit ein Zusammenhang mit einem Behandlungskonzept auch ohne detaillierten Vortrag möglicherweise etwa bei der Einnahme von Calcium zur Vorbeugung gegen Osteoporose noch gesehen werden könnte, ist dies für die anderen Präparate nicht ersichtlich. Die Aufwendungen für Calciumpräparate wirken sich jedoch im Streitfall steuerlich nicht aus – worüber sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung einig waren.
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Selbst wenn man die Einnahme der Nahrungsergänzungsmittel als „wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode“ beurteilte, fehlte es zur steuerlichen Anerkennung an einem qualifizierten Nachweis der Zwangsläufigkeit durch Vorlage eines vorherigen amtsärztlichen Gutachtens bzw. einer Bescheinigung des medizinischen Dienstes, den § 64 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe f EStDV für solche Behandlungen fordert.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
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4. Die Revision wird zugelassen. Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision u.a. zuzulassen, wenn (Nr. 2) die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert. Der Senat bejaht dies, weil der BFH noch keine Gelegenheit hatte, näher darüber zu entscheiden ob in Fällen einer Krebserkrankung die Einnahme von Präparaten in Form von Nahrungsergänzungsmitteln zwangsläufig im Sinne des § 33 Abs. 2 EStG ist.