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VG Würzburg, Urteil v. 12.08.2024 – W 7 K 24.30942
Titel:

Russische Föderation, Subsidiärer Schutz, Ukrainekrieg, Wehrpflicht

Normenketten:
AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
EMRK Art. 3
Schlagworte:
Russische Föderation, Subsidiärer Schutz, Ukrainekrieg, Wehrpflicht
Fundstelle:
BeckRS 2024, 21541

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

I.
1
Der am … … 1993 in G./Russische Föderation geborene Kläger ist tschetschenischer Volkszugehörigkeit und muslimischen Glaubens.
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Er stellte erstmals am 19. Mai 2015 einen Asylantrag in der Bundesrepublik. Zuvor hatte er bereits gemeinsam mit seiner Familie Asylverfahren in Belgien negativ durchlaufen. Er selbst hatte in Belgien erneut am 20. Juni 2013 Asyl beantragt, wobei dieser Antrag am 17. Dezember 2013 abgelehnt wurde. Ein Folgeantrag vom 20. Februar 2014 wurde am 14. März 2014 abgelehnt. Am 25. April 2014 wurde der Kläger von den belgischen Behörden in die Russische Föderation abgeschoben.
3
Im Rahmen seiner Anhörung in Deutschland gab er an, er sei einberufen worden, um Wehrdienst zu leisten. Schon zuvor sei er 2014 zur Musterung einberufen worden. Die Ladung habe man ihm damals nach Belgien nachgesandt. Überall in Tschetschenien habe es zu dieser Zeit Gerüchte gegeben, dass die Einberufenen in die Ukraine geschickt würden. Er sei Teil einer Gruppe gewesen, die nach dem Nachtgebet vor der Moschee von den Behörden abgepasst worden sei. Man habe die Einberufenen namentlich ausgerufen und auch seinen Namen genannt. Er habe sich aber nicht gemeldet. Von denjenigen, die sich gemeldet hätten, würden jetzt viele vermisst. Er habe Angst um sein Leben gehabt und sich bei Verwandten versteckt. Sodann sei er bei erster Gelegenheit nach Europa geflohen. Er gab außerdem an, seine Eltern und Geschwister seien ebenfalls in Deutschland und hätten Asylanträge gestellt.
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Mit Bescheid des Bundesamts für ...(Bundesamt) vom 10. April 2017 (Az. …) wurde der Antrag abgelehnt. Es wurde in der Sache geprüft und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen. Dem Kläger wurde die Abschiebung in die Russische Föderation angedroht und es wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von 30 Monaten festgesetzt. Der Antrag wurde ausweislich dieses Bescheids als Erstantrag behandelt. Die dagegen erhobene Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg (Az. W 7 K 17.31779) wurde mit Urteil vom 2. Juli 2018 abgewiesen.
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Vom 19. November 2018 bis Anfang 2020 war der Kläger unbekannten Aufenthalts.
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Am 22. Januar 2020 wurde er erneut in einer Erstaufnahmeeinrichtung vorstellig und stellte am 30. Januar 2020 einen Folgeantrag. Er gab an, ihm sei Blutrache angekündigt worden, er habe sich in der Zwischenzeit aber nicht erneut in der Russischen Föderation aufgehalten. Mit Bescheid vom 19. Februar 2020 wurde dieser Antrag als unzulässig abgelehnt (…). Die Abänderung des Bescheids vom 10. April 2017 bzgl. Abschiebungsverboten wurde abgelehnt.
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Ab dem 13. März 2021 war der Kläger erneut unbekannten Aufenthalts, kehrte später zurück und war erneut ab 25. August 2021 unbekannten Aufenthalts. Am 9. Mai 2022 kehrte er in die ANKER-Einrichtung zurück.
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Am 23. Mai 2023 stellte er einen weiteren Folgeantrag, zu dem ihm am 23. Mai 2023 Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gegeben wurde. Zur Begründung gab er an, das Kreiswehrersatzamt und die Polizei hätten seine Verwandten aufgesucht. Es drohe die Zwangsrekrutierung für den Ukraine-Krieg. Bei einer Verweigerung drohe Gefängnisstrafe. Sie seien bereits dreimal gekommen und hätten zur Unterzeichnung rückwirkender Verträge aufgefordert.
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Mit Bescheid vom 15. November 2023 (Az. …) lehnte das Bundesamt den Folgeantrag als unzulässig ab (Ziffer 1) und lehnte außerdem den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 10. April 2017 (Az.: …) bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ab (Ziffer 2). Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde angeordnet und auf zehn Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Ziffer 3).
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Mit Beschluss vom 30. November 2023 (W 7 E 23.30801) gab das Verwaltungsgericht Würzburg einem Antrag des Klägers im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes statt. Mit Urteil vom 11. März 2024 (Az. W 7 K 23.30799) gab das Verwaltungsgericht Würzburg der Klage gegen den Bescheid vom 15. November 2023 statt. Im Wesentlichen gründeten sich diese Entscheidungen darauf, dass angesichts des Vortrags des Klägers vor dem Hintergrund des Kriegs Russlands gegen die Ukraine die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens angezeigt gewesen wäre. Denn der zu diesem Zeitpunkt 30-jährige Kläger befand sich im wehrpflichtigen Alter, sodass von der erheblichen Wahrscheinlichkeit einer Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter auszugehen war.
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Daraufhin führte das Bundesamt ein erneutes Folgeverfahren durch.
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Mit Bescheid vom 23. Mai 2024 (Az. …), dem Kläger zugestellt am 7. Juni 2024, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1), den Antrag auf Asylanerkennung (Ziffer 2) sowie den Antrag auf subsidiären Schutz (Ziffer 3) als offensichtlich unbegründet ab. Des Weiteren wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4). Der Kläger wurde zur Ausreise innerhalb einer Woche aufgefordert. Anderenfalls wurde die Abschiebung in die Russische Föderation bzw. in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Ziffer 5).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei zwar ein weiteres Asylverfahren durchzuführen gewesen. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes lägen aber nicht vor. Die Einberufung zum Wehrdienst würde nicht an einen Verfolgungsgrund anknüpfen, sodass der Flüchtlingsstatus ebenso wie die Anerkennung als Asylberechtigter nicht in Betracht käme. Auch die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes lägen nicht vor. Ein ernsthafter Schaden drohe dem Kläger in der Russischen Föderation nicht. Ein solcher folge insbesondere auch nicht aus der vorgebrachten Einziehung zum Wehrdienst. Diese sei unwahrscheinlich. Selbst wenn man von einer solchen Einziehung ausgehen sollte, drohe dem Kläger jedenfalls nicht die Entsendung in den Ukrainekrieg. Einer eventuell drohenden Zwangsrekrutierung in Tschetschenien könne der Kläger sich durch internen Schutz innerhalb der Russischen Föderation entziehen. Die Ablehnung als offensichtlich unbegründet stütze sich auf § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG, nachdem ein Asyl-Folgeverfahren negativ abgeschlossen worden sei. Aus dem Sachverhalt resultierten außerdem keine Abschiebungsverbote. Die Abschiebungsandrohung stütze sich auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG. In diesem Rahmen beachtliche Kindeswohlbelange, familiäre Bindungen oder gesundheitliche Belange habe der Kläger nicht vorgebracht. Sie seien auch nicht aus den Akten ersichtlich. Die Ausreisefrist ergebe sich aus § 36 Abs. 1 AsylG.
II.
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Am 12. Juni 2024 ließ der Kläger dagegen Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg erheben und beantragen,
1.
Der Bescheid des Bundesamtes AZ: … vom 23. Mai 2024 wird aufgehoben.
2.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Eigenschaft eines subsidiär Geschützten gemäß § 4 AsylG zuzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, das Offensichtlichkeitsurteil sei verfahrensfehlerhaft gewonnen worden. Denn der Kläger habe nicht nur eine Verfolgung/Bedrohung i.S.d. § 60 Abs. 5 AufenthG, sondern auch die ihm offensichtlich drohende Mobilisierung/Einberufung geltend gemacht. Zudem sei die Abschiebung nach Russland aktuell unzulässig, was auch die Beklagte eigentlich offiziell bestätige. Die aktuelle Situation in der Russischen Föderation werde im Bescheid nicht berücksichtigt. Der Kläger sei hierzu auch nicht persönlich befragt worden. Der Kläger sei überzeugter Regimegegner, er kritisiere seit Jahren die russische Politik und auch den Krieg in der Ukraine. Es sei ihm absolut unmöglich, der Mobilisierung zu folgen, weshalb ihm eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren drohe. Er und seine Familie seien in Russland drastisch verfolgt worden.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung nimmt sie Bezug auf den streitgegenständlichen Bescheid.
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Mit Beschluss vom 9. Juli 2024 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Mit Beschluss vom 4. Juli 2024 im Verfahren W 7 S 24.30943 wurde der Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des verfahrensgegenständlichen Bescheides abgelehnt. Auf den Beschluss wird Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten, auch in den Verfahren W 7 E 23.30801, W 7 K 23.30799 und W 7 S 24.30943 und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12. August 2024 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage, über die nach § 102 Abs. 2 VwGO auch in Abwesenheit von Kläger und Beklagtem verhandelt und entschieden werden durfte, ist unbegründet.
20
Der Bescheid des Bundesamts vom 23. Mai 2024 ist insgesamt rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Zur Begründung verweist das Gericht zunächst auf den verfahrensgegenständlichen Bescheid sowie den Beschluss im zugehörigen Eilverfahren, an dessen rechtlicher Bewertung das Gericht nach nochmaliger Würdigung des Sach- und Streitstands festhält, § 117 Abs. 5 VwGO.
22
Ergänzend wird Folgendes ausgeführt:
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1. Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Recht gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Denn es handelte sich bei dem Asylantrag des Klägers um einen Folgeantrag, der nach Durchführung eines weiteren Asylverfahrens negativ beschieden wurde. Daraus folgt nach den am 27. Februar 2024 in Kraft getretenen Änderungen des Asylgesetzes die Ablehnung als offensichtlich unbegründet unabhängig vom inhaltlichen Vorbringen. Weitere Voraussetzungen für den Offensichtlichkeitsausspruch, wie sie der Klägerbevollmächtigte vorbringt, sieht das Gesetz nicht vor.
24
2. Die negative Bescheidung des Folgeantrags begegnet auch keinen inhaltlichen Bedenken. Der Kläger bringt hierzu im Wesentlichen vor, ihm drohe die Mobilisierung zum Krieg in der Ukraine. In Tschetschenien würden die Männer gezwungen, der Mobilisierung Folge zu leisten. Bei einer Weigerung drohe eine empfindliche Freiheitsstrafe. Seine Verwandten seien diesbezüglich bereits von der Polizei und Militärbehörden aufgesucht worden. Aus diesem Vortrag folgt insbesondere kein Anspruch auf die im Klageverfahren begehrte Zuerkennung subsidiären Schutzes (a). Ebenso wenig liegen Abschiebungsverbote vor (b). Auch im Übrigen erweist sich der Bescheid als rechtmäßig (c).
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a) Nach § 4 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als solcher gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
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Zwar liegt im Zwang zur Teilnahme an Kampfhandlungen im Rahmen eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges, wie er derzeit von der Russischen Föderation in der Ukraine geführt wird, ein drohender ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG, Art. 3 EMRK in Form einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (vgl. VG Bayreuth, U.v. 20.1.2023 – B 9 K 21.30615 – juris Rn. 35; VG Berlin, U.v. 6.7.2023 – 33 K 312.19 A – juris Rn. 36, VG Bremen, B.v. 26.5.2023 – 6 V 24/23 – juris Rn. 17 f.). Diese Auslegung ergibt sich auch aus der entsprechenden Heranziehung der Wertung des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG (vgl. VG Bremen, B.v. 26.5.2023 – 6 V 24/23 – juris Rn. 18). Denn der Militärdienst im Ukrainekrieg würde Verbrechen oder Handlungen umfassen, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (VG Würzburg, U.v. 4.3.2024 – W 7 K 23.30458 – juris Rn. 22 f.).
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Der 31 Jahre alte Kläger ist in der Russischen Föderation aber nicht mehr wehrpflichtig.
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Die Wehrpflicht in Russland trifft seit dem 1. Januar 2024 volljährige Männer bis zum Alter von 30 Jahren. Das Höchstalter von zuvor 27 Jahren wurde vor der Einberufungswelle ab Frühjahr 2024 am 25. Juli 2023 angehoben, um die Zahl der wehrpflichtigen Männer deutlich zu erhöhen (EU Agency for Asylum, COI Query Q47-2023 v. 3.10.2023, S. 5 f.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 2.8.2024, S. 12).
29
Die reguläre Einberufung als Grundwehrdienstleistender droht dem Kläger im Fall seiner Rückkehr daher nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Ein Einsatz in der Ukraine im Rahmen des Grundwehrdiensts kommt vor diesem Hintergrund nicht in Betracht. Unabhängig von der Frage nach einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit des Einsatzes Grundwehrdienstleistender im Ukrainekrieg, die zum Erfolg des vorangegangenen Klageverfahrens führte, besteht eine solche Gefahr auf Basis der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel jedenfalls für den 31 Jahre alten Kläger nicht mehr.
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Nachdem der Kläger auch in der Vergangenheit keinen Wehrdienst geleistet hat, zählt er mittlerweile zur sogenannten passiven Reserve (Danish Immigration Service, COI: Russia – An update on military service since July 2022, Dezember 2022, S. 13). Die Teilmobilisierung auf Grundlage des von Präsident Putin am 21. September 2022 unterzeichneten „Erlasses über die Teilmobilmachung in der Russischen Föderation“ erfasst allerdings nur solche Mitglieder der Reserve mit militärischen Vorerfahrungen (Auswärtiges Amt, Amtliche Auskunft Russische Föderation vom 10.02.2023, 508-9-516.80 RUS, S. 2; EU Agency for Asylum, COI Query Q47-2023 v. 3.10.2023, S. 13 f.; OVG MV, U.v. 20.11.2023 – 4 LB 82/19 OVG – juris Rn. 28; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 2.8.2024, S. 13). Solche Vorerfahrungen hat der Kläger nicht.
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Zudem wurde die Teilmobilisierung in Tschetschenien nie offiziell durchgeführt (BFA, Länderinformation v. 12.6.2024, S. 49) und wird jedenfalls derzeit auch insgesamt nicht mehr betrieben, auch wenn die Frage nach einer künftigen Wiederaufnahme offen ist (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 2.8.2024, S. 14; Foreign Policy Council „Ukrainian Prism“, Glimpse into Mobilization in Russia, 2024).
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Auch eine Mobilisierung für den Ukrainekrieg auf Grundlage des Dekrets vom 21. September 2022 droht dem Kläger daher nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.
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Die seit Mai 2022 in Tschetschenien beobachteten Zwangsrekrutierungen (EU Agency for Asylum, COI Query Q37-2023 v. 17.2.2023, S. 19 f.; Cour nationale du droit d’asile, U.v. 20.7.2023, Az. 21068674 Rn. 17; BFA, Länderinformation v. 12.6.2024, S. 50 f.) lassen kein flächendeckendes System erkennen, innerhalb dessen eine Heranziehung des Klägers zum Militärdienst beachtlich wahrscheinlich wäre (OVG MV, U.v. 20.11.2023 – 4 LB 82/19 OVG – juris Rn. 28). Zudem könnte sich der Kläger solchen Maßnahmen durch Wohnsitznahme in einem anderen Teil der Russischen Föderation entziehen, sodass ihm insofern eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht (§§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG). Auch Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich in alle Teile Russlands reisen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 2.8.2024, S. 18; BFA, Länderinformation v. 12.6.2024, S. 109). Der Kläger ist bislang schon allein aufgrund seiner zehn Jahre langen Abwesenheit nicht ins Visier der tschetschenischen Sicherheitskräfte geraten, sodass nicht davon auszugehen ist, dass diese ihn landesweit verfolgen würden (dazu Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 2.8.2024, S. 18). Tschetschenen, die außerhalb Tschetscheniens innerhalb der Russischen Föderation leben, droht die dort beobachtete Zwangsrekrutierung nicht (DIS, Russia – Recruitment of Chechens to the war in Ukraine, April 2024, S. 1 f.). Im Übrigen wird die Lage in Tschetschenien entgegen dem Vorbringen des Klägerbevollmächtigten im Bescheid ausführlich thematisiert.
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b) Es besteht auch kein Anspruch auf Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG.
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Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung abgesehen werden, wenn dort für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gesundheitliche Probleme hat der Kläger im laufenden Klageverfahren nicht vorgebracht. Auch zu gesundheitlichen Problemen, die im vorherigen Klageverfahren vorgebracht wurden, hat er keine aussagekräftigen aktuellen Atteste vorgelegt, sodass kein Anlass für eine weitere Sachverhaltsaufklärung bestand.
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Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Abschiebung ist danach unzulässig, wenn dem Ausländer im Zielstaat unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht oder wenn im Einzelfall andere in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgte, von allen Vertragsstaaten als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien in ihrem Kern bedroht sind (vgl. BVerwG, U.v. 24.5.2000 – 9 C 34/99 – juris Rn. 11). Solche Umstände sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere ist davon auszugehen, dass der körperlich gesunde, 31 Jahre alte Kläger sich auch in der Russischen Föderation eine Existenzgrundlage schaffen könnte. Nichts anderes ergibt sich aus dem pauschal gehaltenen Vortrag des Klägerbevollmächtigten, auch die Beklagte gehe davon aus, dass Abschiebungen in die Russische Föderation derzeit unzulässig seien.
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c) Schließlich bestehen auch bezüglich der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung keine Bedenken. Zwar geht das Bundesamt davon aus, dass bzgl. des Klägers in Deutschland keine familiären Bindungen gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG vorliegen, obwohl dessen Eltern und Geschwister im Bundesgebiet leben. Jedenfalls gehören aber die familiären Bindungen des volljährigen Klägers zu seinen Eltern nicht mehr dem engen Bereich der Kernfamilie aus Eltern und minderjährigen Kindern an. Sie machen die Abschiebung daher nicht unverhältnismäßig und stehen ihr nicht i.S.d. § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG entgegen.
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Rechtliche Bedenken bestehen auch nicht im Hinblick auf die Ausreisefrist von einer Woche, die das Bundesamt in Ziffer 5 Satz 1 des angefochtenen Bescheides entsprechend den gesetzlichen Vorgaben des § 36 Abs. 1 AsylG gesetzt hat. Die Beklagte hat insbesondere den unionsrechtlichen Vorgaben damit Rechnung getragen, dass sie eine Ersatzregelung für den Fall getroffen hat, dass innerhalb der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt wird. Zudem hat sie dadurch, dass sie den Beginn der Ausreisefrist auf den Zeitpunkt des Ablaufes der einwöchigen Rechtsbehelfsfrist hinausgeschoben hat, sichergestellt, dass dem Kläger eine ausreichende Überlegungsfrist vor der Einlegung eines Rechtsbehelfs zur Verfügung steht, ohne dass er der Gefahr eines unmittelbaren Vollzugs der Abschiebungsandrohung ausgesetzt wäre.
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3. Die Klage war deswegen insgesamt mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.