Inhalt

VG München, Urteil v. 02.04.2024 – M 6 K 24.30057
Titel:

Asyl, Herkunftsland: Afghanistan, Internationaler Schutz in einem Mitgliedstaat (hier: Italien), Erkrankungen nicht nachgewiesen

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2
GRCh Art. 4
AufenthG § 60 Abs. 5 und 7
EMRK Art. 3
Schlagworte:
Asyl, Herkunftsland: Afghanistan, Internationaler Schutz in einem Mitgliedstaat (hier: Italien), Erkrankungen nicht nachgewiesen
Fundstelle:
BeckRS 2024, 21540

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger ist Staatsangehöriger Afghanistans, Zugehöriger der Volksgruppe der Pashtunen und sunnitischen Glaubens. Er reiste am … … 2015 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am … … 2016 einen Asylantrag. Dieses Verfahren ist seit dem … … 2017 unanfechtbar abgeschlossen.
2
Der Kläger reiste unter anderem nach Italien weiter und stellte dort einen Asylantrag. Dieser wurde positiv verbeschieden und dem Kläger internationaler Schutz gewährt.
3
Am … Mai 2022 reiste der Kläger ein weiteres Mal in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am … August 2022 erneut einen Asylantrag.
4
Er führte im Rahmen seiner persönlichen Anhörung beim Bundesamt für ... (Bundesamt) am … Oktober 2022 im Wesentlichen aus, er wisse nichts von einer Schutzgewährung in Italien. Er sei von Italien nach Deutschland gekommen, da er in Italien nur mangelnde Unterstützung erhalten und keinen Job gefunden habe. Er leide zudem an Magenschmerzen, Stress sowie Depressionen. Hierzu legte er Unterlagen vor.
5
Mit Bescheid vom 4. Januar 2024, zugestellt am 9. Januar 2024, lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 2) und drohte dem Kläger mit einer Ausreisefrist von einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids die Abschiebung nach Italien oder einen anderen aufnahmebereiten oder aufnahmeverpflichteten Staat an, wobei eine Abschiebung nach Afghanistan ausgeschlossen wurde. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf aufschiebende Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Nr. 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
6
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag sei unzulässig. Der Kläger könne auf Grund des in Italien gewährten internationalen Schutzes keine weitere Schutzgewährung verlangen. Sein Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 Asylgesetz (AsylG) als unzulässig abzulehnen, eine materielle Prüfung erfolge in diesem Falle nicht. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG lägen nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Italien führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vorläge. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Klägers sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nicht beachtlich. Auch die Verletzung anderer Menschenrechte oder Grundfreiheiten der EMRK komme nicht in Betracht. Dem Kläger drohe keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. Die vorgelegten Unterlagen seien nicht ausreichend.
7
Die Abschiebungsandrohung sei gemäß §§ 34, 35 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen, wobei die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH, Beschluss vom 15.02.2023 – Rs. C-484/22) nicht entgegenstehe. Im Falle des Antragsellers lägen keine überwiegend schutzwürdigen familiären Belange vor, die wegen der möglicherweise aus der Asylentscheidung folgenden (räumlichen) Trennung von Teilen der Kernfamilie einer künftigen Abschiebung entgegenstünden. Nach den Erkenntnissen des Bundesamtes habe der Kläger einen Cousin in Deutschland, dieser gehöre jedoch nicht zur Kernfamilie
8
Hiergegen erhob der Kläger am 11. Januar 2024 vertreten durch seine Prozessbevollmächtigten Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragte sinngemäß,
9
den Bescheid mit Ausnahme von Ziffer 3 Satz 4 aufzuheben.
10
Zur Begründung wurde vorgebracht, dass Italien systemische Mängel bei der Versorgung schutzberechtigter Personen aufweise. Es sei gar nicht klar, dass der Kläger in Italien Schutz erhalten habe bzw. sei dieser Schutz abgelaufen. Zudem sei der Kläger krank. Gleichzeitig beantragte er einstweiligen Rechtsschutz (M 6 S 24.30058).
11
Die Beklagte beantragte,
12
die Klage abzuweisen.
13
Zur Begründung bezog sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
14
Mit Beschluss vom 16. Februar 2024 wurde der Antrag im einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt.
15
Mit Beschluss vom 19. Februar 2024 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
16
Mit Schriftsatz vom 25. März 2024 übersandte die Bevollmächtigte des Klägers weitere medizinische Unterlagen über den Kläger.
17
Am 27. März 2024 fand die mündliche Verhandlung statt.
18
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 6 K 24.30057, auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

19
Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung trotz Ausbleibens der Beklagtenseite entschieden werden. Denn in der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Falle des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
20
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) rechtmäßig. Der Asylantrag des Klägers ist aufgrund des bereits in Italien zuerkannten internationalen Schutzes zu Recht als unzulässig abgelehnt worden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die Abschiebungsandrohung sowie das auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot sind ebenfalls rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
21
Das Gericht nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid Bezug und macht sich diese zur Begründung der vorliegenden Entscheidung zu eigen (§ 77 Abs. 3 AsylG). Ergänzend wird ausgeführt.
22
1. Die Ablehnung des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig ist rechtmäßig.
23
Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Dies ist beim Kläger nach den vorliegenden Auskünften der Fall. Das Gericht hat keinen Zweifel daran, dass es sich bei dem Kläger auch um denjenigen handele, der in Italien subsidiären Schutz bekommen hat, da der Alias-Name im deutschen Verfahren mit dem Namen in der Mitteilung übereinstimmt und umgekehrt auch in der Mitteilung als Alias-Name der Name des Klägers im deutschen Verfahren geführt wird.
24
Die Anwendung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist im vorliegenden Fall nicht aus Gründen vorrangigen Unionsrechts ausgeschlossen. Nach Auswertung der verfügbaren Erkenntnismittel geht das Gericht davon aus, dass die Lebensverhältnisse, die der Kläger in Italien erwartet, ihn nicht der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh), dem Art. 3 EMRK entspricht, aussetzt. Dabei ist für die Anwendungssperre hinsichtlich des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG allein die Frage maßgeblich, ob die festgestellten Aufnahmebedingungen in allgemeiner Hinsicht regelhaft Schwachstellen aufweisen, die unabhängig vom Einzelfall die Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung i.S.v. Art. 4 GrCh für nach Italien zurückkehrende anerkannt Schutzberechtigte hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen (BayVGH, U.v. 21.3.2024 – 24 B 23.30860 – juris Rn. 19).
25
Im Hinblick auf Italien ist im Zusammenhang mit der Beurteilung einer ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung nach Art. 4 GRCh von dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union auszugehen, der im Unionsrecht fundamentale Bedeutung hat, da er die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raums ohne Binnengrenzen ermöglicht. Er verlangt von jedem Mitgliedstaat grundsätzlich, dass dieser davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 81; U.v. 19.3.2019 – C-297/17, C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 – juris Rn. 84; VG Bayreuth, U.v. 7.9.2023 – B 7 K 22.30820 – juris Rn. 19). Folglich gilt im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems die widerlegliche Vermutung, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention steht (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17, C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17, juris Rn. 85 ff.). Diese Vermutung beansprucht nur dann keine Geltung, wenn systemische Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass die betreffende Person im Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 85). Hierbei fallen nur solche Schwachstellen ins Gewicht, die eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen. Diese ist erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass sich eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 91 f.; U.v. 19.3.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 – juris Rn. 89 f.; BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – juris Rn. 12; B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris Rn. 18; VG Bayreuth, U.v. 7.9.2023 – B 7 K 22.30820 – juris Rn. 20). Ein ernsthaftes Risiko eines Verstoßes gegen Art. 4 GRCh besteht nicht bereits dann, wenn nicht sicher festzustellen ist, ob im Fall einer Rücküberstellung die Befriedigung der bezeichneten Grundbedürfnisse sichergestellt ist, sondern nur für den Fall, dass die Befriedigung eines der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist. Die Schwelle der Erheblichkeit kann in Bezug auf vulnerable Personen schneller erreicht sein als etwa in Bezug auf gesunde und arbeitsfähige erwachsene Personen (BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – juris Rn. 12 f.; VG Bayreuth, U.v. 7.9.2023 – B 7 K 22.30820 – juris Rn. 20).
26
2. Der Kläger ist nicht als vulnerable Person einzustufen. Er hat in Italien nach eigenen Angaben ohne weitere Probleme bereits acht Monate lang in einem Camp gewohnt und hat dieses freiwillig verlassen, um mehr Geld für seine Familie zu verdienen. Die zuletzt vorgelegten Befundberichte entsprechen nicht den von der Rechtsprechung geforderten Mindestanforderungen. Das Attest der psychiatrischen Praxis N* … vom … März 2024 verfehlt die Anforderungen deutlich und widerspricht der Stellungnahme des Behandlungszentrums für Folteropfer vom 13. März 2024. Nachvollziehbare Angaben, worauf sich die Diagnose stütz, fehlen im Attest. Ebenso welche Exploration und Behandlung genau stattgefunden hat. Vielmehr werden stichpunkthaft gravierende Diagnosen und Behauptungen gestellt, die hinsichtlich der (dort distanzierten) Suizidalität nicht mit der Stellungnahme des Behandlungszentrums in Einklang zu bringen sind. Die Stellungnahme über die Sprechstunde genügt ebenfalls nicht den Anforderungen. Die Bescheinigung über die Teilnahme der „niedrigschwelligen“ Sprechstunde ist bereits nicht geeignet eine Erkrankung nachzuweisen. Weder handelt es sich um ein therapeutisch-ärztliches Angebot noch besitzt die behandelnde Psychologin die erforderliche Sachkunde für die dargestellten Diagnosen.
27
Auffallend ist diesbezüglich, dass beide Atteste explizit als „qualifizierte fachärztliche“ Bescheinigung, teils sogar mit dem Normzitat des § 60 Abs. 2a Satz 2 und 3 AufenthG tituliert sind. Dem Gericht drängt sich der Eindruck auf, das Verhalten des Klägers, der in der mündlichen Verhandlung nicht einmal seine Medikation benennen konnte, ist in erster Linie asyltaktisch geprägt und dient alleine dem Zweck in Deutschland einen Aufenthalt zu erhalten.
28
Nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnen Gesamteindruck des Klägers wäre dieser ferner jedenfalls, auch trotz der vorgetragenen psychischen Probleme, arbeitsfähig. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ging der Kläger in Deutschland einer Arbeit nach, wenngleich es sich hierbei eher um eine unqualifizierte Tätigkeit handelte. Möglicherweise eingenommene Antidepressiva zur Behandlung depressiver Episoden wären auch in Italien ausreichend verfügbar. Es würde ihm somit möglich sein, entsprechende Rezepte und Medikamente auch in Italien zu erhalten.
29
Auch wenn anerkannt Schutzberechtigte nach Rückkehr und Einzelfallbewertung im staatlichen Aufnahmesystem nicht wiederaufgenommen werden sollten, besteht ein Anspruch auf Registrierung in das italienische Zentralregister und in das nationale Gesundheitssystem. Hinsichtlich der Gesundheitsfürsorge sind sie italienischen Staatsbürgern gleichgestellt. Nach zutreffender Einschätzung des BMI und des Bundesamts scheitert eine Rückkehr anerkannt Schutzberechtigter daher nicht wegen fehlendem Zugang zu medizinischer Versorgung (Gemeinsamer Bericht des Auswärtigen Amtes, des Bundesministerium des Innern und für Heimat und des Bundesamtes für ... zur Aufnahmesituation von Asylantragstellenden sowie anerkannt Schutzberechtigten in Italien Stand: September 2022). Der Kläger ist deshalb nach Auffassung des Gerichts trotz der möglicherweise bestehenden psychischen Probleme jedenfalls nicht als vulnerable Person anzusehen.
30
Bei der Bewertung der Lebensverhältnisse ist neben den staatlichen Unterstützungsleistungen und etwaigen Möglichkeiten, den eigenen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit auf einem Mindestniveau zu sichern, auch eine Sicherung menschenwürdiger Existenz durch – alleinige oder ergänzende – dauerhafte Unterstützungs- oder Hilfeleistungen von vor Ort tätigen nichtstaatlichen Institutionen oder Organisationen zu berücksichtigen (BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 3.21 – juris Rn. 22; VG Bayreuth, U.v. 7.9.2023 – B 7 K 22.30820 – juris Rn. 22). Deshalb kann etwa der Umstand, dass der betreffenden Person bezogen auf die Unterkunft ein Schlafplatz in einer von Kirchen, Nichtregierungsorganisationen oder Privatpersonen gestellten Notunterkunft oder in einer staatlich geduldeten „informellen Siedlung“ zur Verfügung steht, genügen, sofern die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten zumindest zeitweilig Schutz vor den Unbilden des Wetters bieten und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lassen (BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – juris Rn. 14; B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris Rn. 20; VGH BW, B.v. 8.11.2021 – A 4 S 2850/21 – juris Rn. 10; VG Bayreuth, U.v. 7.9.2023 – B 7 K 22.30820 – juris Rn. 22). Im Hinblick auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ist es den Betroffenen notfalls auch zumutbar, eine wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit auszuüben, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entspricht und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise während der Touristensaison, ausgeübt werden kann (vgl. BVerwG, B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris Rn. 29). Auch reicht der Umstand, dass die betreffende Person in dem Mitgliedstaat keine existenzsichernden Leistungen erhält, ohne jedoch anders als die Angehörigen dieses Mitgliedsstaats behandelt zu werden, regelmäßig nicht für das Erreichen der Erheblichkeitsschwelle (BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – juris Rn. 13; B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris Rn. 19; vgl. zu dem ganzen rechtlichen Maßstab BayVGH, U.v. 25.5.2023 – 24 B 22.30954 – juris Rn. 16 ff.; VG Bayreuth, U.v. 7.9.2023 – B 7 K 22.30820 – juris Rn. 22).
31
3. Gemessen hieran erwarten den Kläger als anerkannten Schutzberechtigten bei einer Rückkehr nach Italien zur Überzeugung des Gerichts keine Lebensverhältnisse, die ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würde, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh zu erleiden.
32
Schutzberechtigte genießen in Italien Niederlassungsfreiheit, können einen Wohnsitz anmelden und haben Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Sozialleistungen im selben Ausmaß wie italienische Staatsbürger (Asylum Information Database – AIDA, Country Report: Italy, Stand: 2021, S. 192, 208; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 10.3.2022, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, S. 18, 20). Da rückkehrende Personen mit Schutzstatus italienischen Staatsbürgern formell gleichgestellt sind, erhalten sie keine besondere Unterstützung (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 1.7.2022, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, S. 21).
33
Hinsichtlich der für Art. 4 GRCh maßgeblichen Bewertung der Unterkunfts- bzw. Unterbringungsmöglichkeiten ist vor dem Hintergrund der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel wegen des bestehenden Angebots von Nichtregierungsorganisationen, Freiwilligenorganisationen und Kirchen nicht von einer mit Art. 4 GRCh unvereinbaren Lage auszugehen, obwohl der möglicherweise keinen Anspruch auf behördliche Unterbringung mehr hat und er die Anmietung einer Sozialwohnung oder einer Wohnung auf dem freien Markt kaum in absehbarer Zeit gelingen wird.
34
In Italien bildet das nach der Reform von 2020 entstandene Zweitaufnahmesystem „Sistema Asilo Integrazione“ (SAI) die maßgebliche Unterbringungsmöglichkeit für anerkannt Schutzberechtigte und ersetzt das unter Innenminister Salvini geschaffene SIPROIMI-System (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 10.3.2022, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, S. 18). Die SAI-Projekte werden in der Regel gemeinsam von Kommunen und zivilgesellschaftlichen Akteuren betrieben. In den Zentren werden die Bewohner materiell und gesundheitlich versorgt, sozial und psychologisch betreut und erhalten Sprach- und landeskundlichen Unterricht. Anerkannt Schutzberechtigte erhalten zudem Unterstützung bei Integration, Arbeitssuche und beruflicher Bildung. Die reguläre Aufnahmedauer beträgt sechs Monate und kann in Ausnahmefällen verlängert werden. Nach der Gesetzesverordnung 130/2020 sollen die Personen nach dem Verlassen des SAI-Systems im Rahmen der Kapazitäten weiter behördlich bei der Integration unterstützt werden (AIDA, Country Report: Italy, Stand: 2021, S. 213 ff.).
35
Aufnahmeberechtigt in den Zentren des SAI-Systems sind unbegleitete minderjährige und heranwachsende Flüchtlinge, anerkannt international Schutzberechtigte und im Rahmen der Aufnahmekapazität Asylbewerber und sonstige Aufenthaltsberechtigte. Das Recht auf Unterbringung kann entzogen werden, wenn die Hausregeln missachtet werden, der Betreffende sich gewalttätig verhält oder die Unterkunft unberechtigt länger als 72 Stunden verlassen wird (AIDA, Country Report: Italy, Stand: 2021, S. 213, 215 f.). Wenn der Betreffende vor seiner Ausreise aus Italien noch keinen Zugang zu einem SAI-Projekt bzw. einer Einrichtung nach den Vorgängervorschriften über SIPROIMI hatte, besteht grundsätzlich ein Recht auf Unterbringung in einem solchen Projekt im Rahmen der Kapazität (Schweizerische Flüchtlingshilfe und Pro Asyl, 29.10.2020, Auskunft an VGH Kassel, S. 2). Wenn eine Person dagegen früher Zugang zu einem SIPROIMI-Projekt erhalten hatte und später nach Italien rücküberstellt wird, erhält sie keinen Zugang zu SIPROIMI-Projekten mehr. Ausnahmsweise kann man beim Innenministerium einen Antrag aufgrund von neuen Vulnerabilitäten stellen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Januar 2020, Aufnahmebedingungen in Italien, S. 61). Dies gilt auch seit Einführung des neuen SAI-Systems (Schweizerische Flüchtlingshilfe, 10.06.2021, Aufnahmebedingungen in Italien, S. 12).
36
Selbst wenn der Kläger bei Rückkehr nach Italien keine Unterkunft über das SAI-System erlangen könnte, er möglicherweise in absehbarer Zeit auch weder eine Sozialwohnung noch eine Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt anzumieten vermag und ihm deshalb im Falle der Rückkehr jedenfalls in der Anfangszeit Obdachlosigkeit im Sinne einer (dauerhaften) Wohnungslosigkeit droht, wird es ihm möglich sein, einen Lebensstandard zu erhalten, der noch unterhalb der Erheblichkeitsschwelle des Art. 4 GRCh liegt.
37
Zwar kann Obdachlosigkeit zu einer für die Verletzung des Art. 4 GRCh hinreichenden Bedingung anwachsen, wenn der Betroffenen zusätzlich besondere Vulnerabilitäten aufweisen oder wenn er in der Obdachlosigkeit auch in denjenigen Situationen auf sich selbst gestellt bleiben, in denen ihre Unterstützung zur Vermeidung einer extremen materiellen Not zwingend notwendig ist. Davon kann jedoch bei alleinstehenden und arbeitsfähigen Personen angesichts der zahlreichen Hilfsangebote verschiedener Akteure nicht ohne weitere Anhaltspunkte ausgegangen werden. Auch wenn sich die Lebenssituation und der Lebensstandard der anerkannt Schutzberechtigten bei einer Rückkehr nach Italien im Vergleich zu einem Aufenthalt in Deutschland deutlich verschlechtern, stellt dies noch keine mit Art. 4 GRCh unvereinbare Situation dar. Ausweislich der Erkenntnismittel können anerkannt Schutzberechtigte in privaten Notunterkünften ihre elementarsten Grundbedürfnisse decken und auf ein umfangreiches Netzwerk privater Einrichtungen zur Aufnahme von Asylbewerbern und anerkannt Schutzberechtigten, die von kirchlichen und Nichtregierungsorganisationen getragen werden, zurückgreifen. Insbesondere die Kirchen bieten in Italien ein breites Spektrum an Hilfsleistungen an. Dies betrifft namentlich die Zurverfügungstellung von (Not-)Unterkünften, Kleidung und Nahrung (AIDA, Country Report: Italy, Stand: 2021, S. 134; Schweizerische Flüchtlingshilfe und Pro Asyl, 29.10.2020, Auskunft an VGH Kassel, S. 2, 7). Viele Menschen mit internationalem Schutzstatus leben in Notunterkünften, die lediglich einen Schlafplatz anbieten und auch anderen Bedürftigen zur Verfügung stehen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 1.7.2022, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, S. 20). Daneben existieren zahlreiche informelle Unterkünfte (Zeltstädte, Slums, besetzte Häuser), die teilweise von Hilfsorganisationen im Hinblick auf die Grundversorgung unterstützt werden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe und Pro Asyl, 29.10.2020, Auskunft an VGH Kassel, S. 7). Es ist nichtvulnerablen anerkannt schutzberechtigten Personen wie dem Kläger möglich und zumutbar, sich darüber zu informieren, an welchem Ort noch Kapazitäten bestehen und ihren Aufenthalt auch dorthin zu verlagern. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund etwaiger regionaler Unterschiede bei der Verfügbarkeit und Auslastung dieser Angebote.
38
Dies gilt umso mehr, als der Kläger die Unterkunft freiwillig verlassen hat, um nach Deutschland zu gehen und eine mögliche Obdachlosigkeit selbst verschuldet hat.
39
4. Es ist zudem nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger seine Existenz in Italien nicht sichern kann.
40
Personen, die als Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte internationalen Schutz genießen, haben in Italien denselben Zugang zum Arbeitsmarkt wie Inländer. In der Praxis bestehen wegen der hohen Arbeitslosigkeit Schwierigkeiten, Arbeit zu finden. Schwarzarbeit ist weit verbreitet. Viele Zuwanderer arbeiten in der Landwirtschaft, oft unter prekären Bedingungen und sind anfällig für Ausbeutung. In Anbetracht der derzeit hohen Arbeitslosigkeit in Italien ist es für Asylsuchende und Personen mit Schutzstatus schwierig, Arbeit zu finden. Meist bleibt ihnen nur die Arbeit in der Schattenwirtschaft, wo die Gefahr der Ausbeutung ein Problem darstellt. Im Allgemeinen sind die wenigen Arbeitsplätze, die Asylsuchenden und Schutzberechtigten zur Verfügung stehen, schlecht bezahlt und befristet. Der Lohn reicht in der Regel nicht aus, um eine Wohnung zu mieten oder einer Familie ein sicheres Einkommen zu bieten. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt hat sich im Zuge der Covid-19-Pandemie und der Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen Lage 2020 und 2021 zusätzlich verschärft, viele Personen mit Status, die eine Arbeit gefunden hatten, haben diese dadurch verloren (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, 10.6.2021, S. 13 f.).
41
Die Beschäftigungsrate von Ausländern in Italien ist gleichwohl sehr hoch, sie liegt über der Beschäftigungsrate von Inländern. Der italienische Arbeitsmarkt ist aus demografischen Gründen auf Migration angewiesen. Es handelt sich jedoch zu einem großen Teil um geringqualifizierte und informelle Arbeit (RESPOND, 1.6.2020, Integration, Policies, Practices and Experiences. Italy Country Report, S. 26 f.). In den vergangenen Jahrzehnten war in Italien ein dramatischer Anstieg von Schwarzarbeit, illegalen Anwerbungsmethoden und damit einhergehender Ausbeutung von ausländischen Arbeitskräften zu verzeichnen (sog. „caporalato“). Zur Bekämpfung dieser Zustände wurden bestehende Strafen verschärft und neue Straftatbestände gegen kriminelle Arbeitgeber geschaffen; der italienische Staat geht vermehrt gegen illegale Beschäftigung und Ausbeutung von Ausländern vor (RESPOND, 1.6.2020, Integration, Policies, Practices and Experiences. Italy Country Report, S. 26 und 27). So wurden etwa im November 2022 in der Nähe von Foggia (Apulien) fünf Personen wegen der Ausbeutung von Arbeitern bei der Tomatenernte festgenommen (Amnesty International, Report zur Lage der Menschenrechte Italien 2022).
42
Über ein Drittel der Ausländer arbeitet in befristeten oder in Teilzeitverträgen. 32% der Migranten in Beschäftigung arbeiten in einem ungelernten Beruf; mehr als ein Viertel der ausländischen Beschäftigten üben persönliche Dienstleistungen wie Pflege und Betreuung aus, ein weiteres Viertel ist in Hotels und Restaurants, im Transportgewerbe, als Lagerarbeiter oder Bauarbeiter beschäftigt. Das durchschnittliche Nettoeinkommen von Ausländern liegt unterhalb des Durchschnittseinkommens von Inländern. Die Arbeitslosigkeit von international schutzberechtigten Personen wird auf 17,8% geschätzt, wobei Frauen aus diesem Personenkreis zu 34,9% erwerbslos sind. Gleichwohl erreicht auch die Erwerbsquote dieses Personenkreises fast die Erwerbsquote von italienischen Staatsangehörigen (vgl. Beppe De Sario, 1.1.2021, Migration at the crossroads, S. 206 ff.). Die Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt hängt auch vom lokalen sozioökonomischen Kontext ab und gelingt im hochentwickelten Norden besser als im landwirtschaftlich geprägten Süden. Maßgebliche Umstände für einen Zugang zum Arbeitsmarkt sind der Erwerb von Sprachkenntnissen, berufliche Fähigkeiten, gesicherte Wohnverhältnisse und eine funktionierende Arbeitsvermittlung (SIRIUS, Dezember 2020, WP7: Italian country report, S. 6 f., 9).
43
Es gibt ferner öffentliche staatliche Schulen (Provincial Centres for Adult Education – CPIA), in denen italienischen und ausländischen Staatsbürgern ab 16 Jahren Aus- und Weiterbildungen angeboten werden. Hierunter fallen neben der Vermittlung von Lese- und Schreibkompetenz auch italienische Sprachkurse für Ausländer (Beppe De Sario, 1.1.2021, Migration at the crossroads, S. 203).
44
Anerkannt Schutzberechtigte haben außerdem denselben Anspruch auf Zugang zum italienischen Sozialsystem wie italienische Staatsbürger (AIDA, Country Report: Italy, Stand: 2021, S. 221), auch wenn das italienische Sozialsystem nur schwach ausgeprägt ist und sich auf traditionelle Familienstrukturen, die Flüchtlingen meist nicht zur Verfügung stehen, stützt. Sechs Monate nach Erhalt des Schutzstatus sind die Asylsuchenden auf sich gestellt und müssen für sich selbst sorgen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 10.3.2022, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, S. 20; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Januar 2020, Aufnahmebedingungen in Italien, S. 62).
45
5. Damit wird dem Kläger, erforderlichenfalls ergänzt durch Hilfsleistungen karitativer nichtstaatlicher Einrichtungen, die Sicherung des Lebensunterhalts regelhaft möglich sein. Ihm ist es möglich und zumutbar, sich gerade in der Anfangszeit um Anstellungen im Tourismusgewerbe oder in der Landwirtschaft zu bemühen und so für seine Existenzsicherung zu sorgen. Er muss sich hierbei auch auf – ggf. befristete – Aushilfstätigkeiten verweisen lassen. Denn der Maßstab kann nur das zum Lebensunterhalt unbedingt Notwendige sein, wobei es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zumutbar ist, auch Tätigkeiten auszuüben, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise während der Touristensaison oder Erntezeit, ausgeübt werden können, selbst wenn diese im Bereich der sogenannten „Schatten- oder Nischenwirtschaft“ angesiedelt sind (vgl. zu diesem strengen Maßstab z.B. BVerwG, B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris Rn. 29 m.w.N.). Hinsichtlich der fehlenden italienischen Sprachkenntnisse können die Rückkehrer auf Sprachkurse für Ausländer an den CPIA verwiesen werden.
46
6. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor.
47
Bei der Prüfung, ob eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung als Folge schlechter Lebens- und Rückkehrbedingungen droht und deshalb ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG besteht, kommt es vorliegend maßgeblich darauf an, wie sich die – bei der oben durchgeführten Prüfung der Unzulässigkeit gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG – allgemein festgestellten Aufnahmebedingungen im Lichte der jeweils individuellen Umstände und persönlichen Besonderheiten bei der konkreten Klagepartei im Falle der Rückkehr auswirken werden (BayVGH, U.v. 25.5.2023 – 24 B 22.30954 – juris Rn. 45). Denn die Frage nach einem nationalen Abschiebungsverbot kann nicht allein aufgrund der Umstände in einem Mitgliedstaat, sondern nur in der Auswirkung dieser Umstände auf den konkret Betroffenen beurteilt werden. Es bedarf insoweit einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls (BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 11).
48
In einer Gesamtschau liegen keine besonderen, einzelfallbezogenen Umstände vor, aufgrund derer eine mit dem Unionsrecht unvereinbare Behandlung des Klägers in Italien ausnahmsweise zu erwarten ist. Es ist zudem weder ersichtlich noch vorgetragen, dass beim Kläger weitere besondere individuelle Umstände vorliegen, die in seinem konkreten Fall dazu führen, dass abweichend von den obigen Feststellungen und hinsichtlich der allgemeinen Situation der arbeitsfähigen anerkannten Schutzberechtigten in Italien eine Verletzung von Art. 3 EMRK hinreichend wahrscheinlich erscheint und die Feststellung eines Abschiebungshindernisses erfordert, selbst wenn kein Anspruch (mehr) auf Unterbringung in einer staatlichen Zweitaufnahmeeinrichtung bestehen sollte. Der Kläger ist arbeitsfähig. Er hat offenbar gar nicht erst versucht, weitere Leistungen in Italien zu beantragen oder sich um Integrations-, Sprachsowie Verdienstmöglichkeiten zu bemühen. Vielmehr hat er Italien freiwillig verlassen, da er in seinen Augen nicht genug Geld für seine Familie in Afghanistan erwirtschaften konnte. Selbst bei jedenfalls in der Anfangszeit möglicherweise drohender Obdachlosigkeit geht das Gericht davon aus, dass der Kläger bei Ausschöpfung der Möglichkeiten in Italien ohne weiteres in der Lage sein wird, ein Leben so zu führen, welches keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in Italien erwarten lässt.
49
Hinsichtlich eines Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gilt oben gesagtes entsprechend.
50
7. Auch die Nummern 3 und 4 des Bescheids sind rechtmäßig. Die Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG ist nicht zu beanstanden. Sie wäre auch dann nicht rechtswidrig, sollte Italien dem Kläger tatsächlich die Einreise verweigern. Gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 2, § 75 Nr. 12 AufenthG bestehen ebenfalls keine Bedenken.
51
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
52
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.