Titel:
Ansprüche gegen Reiseveranstalter wegen Vorverlegung des (verpassten) Rückfluges
Normenketten:
BGB § 651n Abs. 1, § 651m
Fluggastrechte-VO Art. 6
Leitsätze:
1. Die Vorverlegung des Rückfluges im Rahmen einer Pauschalreise von 3,5 Stunden (von 23:20 Uhr auf 19:50 Uhr) kann eine Reisepreisminderung in Höhe eines halben Tagesreisepreises rechtfertigen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Rahmen des Anspruchs aus § 651n Abs. 1 BGB sind auch vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu ersetzen. (Rn. 17 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Werden einem Reisenden neue Informationen über die Abflugzeit mitgeteilt, muss der Reisende diese grundsätzlich als zutreffend betrachten. (Rn. 21 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine analoge Anwendung oder wertungsmäßig entsprechende Anwendung der Fluggastrechte-VO auf Reiseveranstalter scheidet aus. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Pauschalreise, Reiseveranstalter, Rückflug, Flugzeiten, Vorverlegung, Reisepreisminderung, Schadensersatz, VO (EG) 261/2004
Fundstellen:
ReiseRFD 2025, 51
LSK 2024, 21525
BeckRS 2024, 21525
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 83,20 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.12.2022 sowie weitere 90,96 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.12.2023 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 90 % und die Beklagte 10 % zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Schuldner kann die Vollstreckung des jeweiligen Gläubigers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird auf 786,40 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte auf Schadensersatz und Minderung, da bei einer Urlaubspauschalreise der Rückflug verlegt und verpasst worden ist.
2
Der Kläger buchte für sich und seine Ehefrau, R… R… und seine beiden Kinder H… und M… R… eine Pauschalreise nach Antalya in der Zeit vom 26.09.2022 bis 05.10.2022 zum Preis von 1.664,00 € (Tagesreisepreis 166,40 €; Tagesreisepreis p.P. 41,60 €). Abflug-Flughafen war Köln-Bonn. Die Buchung erfolgte über C…. Ursprünglich sollte der Rückflug am 05.10.2022 um 23.20 Uhr von Antalya ausgehen. Die Abflug-Nr. war …. Der Rückflug wurde verschoben auf 23:55 Uhr. Eine letzte Mitteilung diesbezüglich erhielt der Kläger per E-Mail vom 04.10.2022 und damit einen Tag vor Rückflug. Bis 12:00 Uhr besteht grundsätzlich die Möglichkeit, in dem Urlaubshotel des Klägers – Ra… – auszuchecken. Als der Kläger am 05.10.2022 auscheckte, wurde ihm seitens des Hotels eine Abreiseinformation übergeben, die als Rückflug den FlugNr. … um 19:50 Uhr angab.
3
Am 05.12.2022 wurde die Beklagte zur Zahlung bis zum 26.12.2022 durch die Prozessbevollmächtigten des Klägers aufgefordert. Auch zum Ausgleich der anwaltlichen Kostenrechnung wurde der Beklagten eine Frist bis zum 26.12.2022 gesetzt. Mit Schreiben vom 19.12.2022 hat die Beklagte ihre Eintrittspflicht abgelehnt.
4
Der Kläger behauptet, nach dem der Kläger am Vorabend des Rückfluges die Bestätigung per E-Mail, dass der Rückflug um 23:55 Uhr pünktlich stattfinde solle, erhalten habe, sei der Abreisetag entsprechend verplant worden. Es sei vorgesehen gewesen, sich auf einem Markt in der Stadt mit der restlichen Familie zu treffen, die sich in einem anderen Hotel in der Stadt aufgehalten hätten (Ar…). Um die Reisedokumente nicht den ganzen Tag mitführen zu müssen, habe der Kläger mit seiner Familie diese Unterlagen im Hotel-Safe des Hotels deponiert, in dem sein Bruder nebst restlicher Familie den Urlaub verbracht habe. Der Kläger habe mit seiner Familie am Abflugtag um ca. 12:00 Uhr auschecken wollen. Aufgrund der erst am vorherigen Tag erhaltenen E-Mail von C… und der bisherigen Information, sei der Kläger wegen der erhaltenen Umbuchungsinformation auf einen Abflug um 19:50 Uhr zunächst von einem Fehler ausgegangen, insbesondere auch da sich die Flugnummer geändert hatte. Auf Grund der erst kurz zuvor in der vorgehenden Nacht erhaltenen Information, dass der Rückflug planmäßig um 23:55 Uhr gehen würde, hätten beim Kläger und seiner Familie Zweifel an der nun erhaltenen Information an der Hotelrezeption bestanden. Mit Hilfe des Personals an der Rezeption des Hotels habe der Kläger mehrfach versuchte, die Beklagte telefonisch zu erreichen. Dies sei nicht möglich gewesen. Nachdem dem Kläger mit seiner Familie sodann nach diversen Versuchen, einen örtlichen Ansprechpartner der Beklagten zu erreichen, dies gelungen sei, sei alles erdenklich Mögliche unternommen worden, um den Rückflug um 19:50 Uhr noch zu erreichen. Dies habe sich mit zwei Kleinkindern – sieben beziehungsweise 18 Monate alt – nicht so leicht gestaltet. Eigentlich schliefen die Kinder mittags ca. zwei Stunden, sie mussten gefüttert und gewickelt, beruhigt und schlafen gelegt werden. Die beiden Kinder seien sodann in den Kinderwagen gelegt worden, und um ca. 13:00 Uhr habe sich der Kläger mit seiner Familie auf den Weg gemacht zu dem mit der restlichen Familie vereinbarten Treffpunkt, einem großen Markt in der Stadt in der Nähe des S…-Krankenhauses. Um ca. 14:15 Uhr sei der Kläger mit seiner Familie auf dem Marktplatz eingetroffen und zunächst habe die restliche Familie gesucht werden müssen, was sich in der Menschenmenge als nicht so einfach entpuppt habe, zumal unterwegs kein Handy-Netz bzw. Internetzugang zur Verfügung gestanden habe. Die restliche Familie sei gegen 15:00 Uhr ausfindig gemacht worden, der Kläger habe von seinem Bruder sodann dessen Hotelschlüssel ausgehändigt bekommen. Sodann hätten noch Nahrungsmittel für die beiden Kinder gekauft werden müssen, die Kinder hätten sodann erneut gefüttert und gewickelt werden müssen. Aufgrund des erheblichen Stresses seien die Kinder äußerst unruhig gewesen, seien dann allerdings völlig übermüdet im Kinderwagen eingeschlafen. Um ca. 16:00 Uhr sei der Kläger mit seiner Familie mit der Straßenbahn zurück in Richtung seines Hotels gefahren, das letzte Teilstück habe man zu Fuß zurücklegen müssen. Als man gegen 17:15 Uhr in dem Hotel angekommen sei, habe der Kläger erfahren, dass der Shuttlebus zum Flughafen bereits weg – und der vorgezogene Rückflug „definitiv“ der richtige für den Kläger sei. Die Beklagte sei erst dann zu erreichen gewesen. Die Beklagte habe dem Kläger dann über das Personal der Rezeption mitteilen lassen, dass die von dem Hotel ausgegebenen Informationen richtig seien und er nun selbst sehen müsse, wie er an den Flughafen kommen würde. Das Hotelmanagement habe ein Taxi für den Kläger und seine Familie organisiert, bis zu dessen Eintreffen die Kinder erneut gewickelt, gefüttert und umgezogen worden seien, um für die Rückreise vorbereitet zu sein. Ca. 17:45 Uhr sei man mit dem Taxi losgefahren, um am Hotel der restlichen Familie noch die Reiseunterlagen abzuholen. Obwohl der Taxifahrer dann mit „Vollgas“ zum Flughafen gefahren sei, sei man dort erst ca. 18:45 Uhr angekommen. Vor dem Terminal habe großer Andrang beziehungsweise Stau durch eine Vielzahl von Taxen, Bussen und PKWs geherrscht. Für die Taxifahrt seien Kosten in Höhe von 20,00 € entstanden. Um ca. 19:00 Uhr sei der Kläger mit seiner Familie vor dem Terminal ausgestiegen und mit den Koffern sowie zwei übermüdeten Kindern in den Flughafen gegangen. Dort sei ihm mitgeteilt worden, dass das Boarding bereits abgeschlossen und man zu spät angekommen sei. Alle Überredungsversuche, dennoch an Bord gelassen zu werden, seien vergeblich gewesen. Dementsprechend habe der Kläger für sich und seine Familie Ersatztickets für den Rückflug nach Deutschland bei einer anderen Fluggesellschaft gebucht. Hierfür seien ihm Kosten in Höhe von 600,00 € entstanden. Dieser Rückflug sei dann für den 05.10.2022, 23:55 Uhr vorgesehen gewesen – also praktisch zeitgleich mit dem ursprünglich für den Kläger und seine Familie vorgesehenen Rückflug. Der Kläger habe noch am 05.10.2022 um 22:44 Uhr von dem ursprünglich vorgesehenen Rückflug die Information per E-Mail erhalten, dass dieser Rückflug am Mittwoch, 05.10.2023 um 23:55 Uhr von Antalya mit T… Airlines stattfinden würde. Beim Warten auf den Rückflug in dem anderen Terminal im Vergleich zu dem ursprünglich vorgesehenen Abflug-Terminal, habe der Kläger nach seiner Erinnerung gegen 23:00 Uhr einen Aufruf für sich und seine Familie in dem anderen Terminal – also für den ursprünglich vorgesehenen Rückflug vernommen. Es sei bei der Beklagten intern zu Kommunikationsproblemen bezüglich des Rückfluges für den Kläger gekommen. Dies könne dem Kläger allerdings nicht angelastet werden.
5
Der Kläger ist der Ansicht, dass sich in den AGBs der Beklagten keinerlei Hinweis darauf befände, dass Flugverspätungen bis zu vier Stunden oder ähnliches hingenommen werden müssten. Es sei vielmehr so, dass sich in den Reise- und Zahlungsbedingungen für Pauschalreisen und touristische Einzelleistungen unter Punkt 4 ein Hinweis auf die Änderung von Reisezeiten für die gebuchten Flugtage fände (Ziffer 3., Absatz 4). In diesem Verweis fände sich der Hinweis, dass F… die Kunden über wesentliche Leistungsänderungen unverzüglich nach Kenntnis über den Änderungsgrund informieren würde. Hiervon umfasst seien insbesondere zumutbare Änderungen von Flugleistungen. Dies sei aber gerade nicht der Fall gewesen. Es sei reiner Zufall, dass der Kläger beim Auschecken von der Änderung Kenntnis erlangt habe. Die beim Auschecken erhaltene Information wären für den Kläger völlig überraschend gekommen; nicht zu vernachlässigen sei der Umstand, dass das Auschecken hier auch zu einem späteren Zeitpunkt hätte erfolgen können mit der Folge, dass die Flugzeitänderung noch sehr viel später dem Kläger zur Kenntnis gelangt wäre. Die Beklagte habe die Information des Klägers also vollständig dem Zufall überlassen. Insofern könne sich die Beklagte hier aufgrund der AGBs nicht auf eine Leistungsfreiheit berufen.
6
Im Rahmen der Fluggastrechteverordnung werde eine reine Vorverlegung eines Fluges von mehr als einer Stunde als Annullierung eingestuft – einhergehend mit den entsprechenden Entschädigungsleistungen. Eine analoge Anwendung dieses Rechtsgedankens auf die vorliegende Konstellation erscheine angezeigt.
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 786,40 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 19.12.2022 zu zahlen.
2. An den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 159,94 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.12.2022 zu zahlen.
9
Die Beklagte behauptet, es sei allgemein bekannt, dass sich Flugzeiten ändern können. Geringfügige Änderungen – wie hier – seien hinzunehmen.
10
Die Beklagte ist der Ansicht, soweit der Kläger aufgrund von persönlichen Mutmaßungen und in Kenntnis der mitgeteilten, zutreffenden Daten davon ausgegangen sei, dass ihm eine fehlerhafte Information mitgeteilt worden sei und die Klagepartei aufgrund dieser falschen persönlichen Mutmaßung den für ihn und seine Familie vorgesehenen und bereitgestellten Transfer zum Flughafen habe ausfallen lassen, sei das allein Sache der Klagepartei. Notwendig seien behauptete Ausgaben aber ohnehin nicht gewesen, da ein Rückflug für die Klagepartei bereit gestanden habe, aber nicht genutzt worden sei.
11
Mit Beschluss vom 30.05.2023 wurde das Verfahren vom Amtsgericht Köln an das Amtsgericht München verwiesen (vgl. Bl. 56 f. d.A.).
Entscheidungsgründe
12
Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.
13
1. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Reisepreisminderung in Höhe von 83,20 € gemäß § 651 m BGB.
14
Wegen der Vorverlegung des Rückflugs von ursprünglich 23:20 Uhr auf 19:50 Uhr liegt ein Reisemangel wegen faktischer Verkürzung der Reisezeit vor (vgl. dazu auch BGH, NJW 2012, 2107, Rn. 26). Insoweit erscheint eine Minderung in Höhe eines halben Tagesreisepreises (dies entspricht zwanglos dem Wegfall des Nachmittags des Abreisetages als Urlaubszeit), also in Höhe von 83,20 € angemessen.
15
Darüberhinausgehende Schadensersatzansprüche wegen entgangener Urlaubsfreude aufgrund der Reisezeitverkürzung bestehen nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht, da eine (so kurze) Reisezeitverkürzung zumindest keine erhebliche Beeinträchtigung der Reise im Sinne von § 651 n Abs. 2 BGB darstellt und die erlittenen Nachteile am ohnehin organisatorischen Dingen gewidmeten Abreisetag voll durch die Reisepreisminderung kompensiert sind.
16
2. Der Kläger hat gegen die Beklagte ebenfalls einen Anspruch auf Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten als Schadensersatz in Höhe von 90,96 € gemäß § 651 n Abs. 1 BGB.
17
Ein Reisemangel liegt vor (s.o.).
„Zu den nach § 651 n Abs. 1 zu ersetzenden Kosten zählen schließlich auch die Kosten für die vorprozessuale Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts“ (BeckOGK/Klingberg, 1.11.2023, BGB § 651 n Rn. 36).
18
Die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts war erforderlich und zweckmäßig wegen schwieriger Sach- und Rechtslage auch im Bezug auf die Begründetheit eines Minderungsanspruchs, was bereits zwanglos aus der von Beklagtenseite in diesem Verfahren vertretenen Rechtsauffassung zur Unbegründetheit eines entsprechenden Anspruchs gefolgert werden kann.
19
Eine 1,3 Gebühr aus einem Gegenstandswert in Höhe von 83,20 € zzgl. Auslagenpauschale in Höhe von 20 % und Umsatzsteuer führt zu erstattungsfähigen Anwaltskosten in Höhe von 90,96 €.
20
3. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen in Höhe von zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus den Forderungen oben Ziff. 1. und 2. ab dem 20.12.2023 gemäß §§ 286, 288 BGB. Die Beklagte ist durch Zahlungsverweigerung vom 19.12.2023 ab dem 20.12.2023 in Verzug.
21
4. Im Übrigen ist die Klage unschlüssig, insbesondere soweit Schadensersatz für die Buchung eines Ersatzflugs und für Taxikosten für die Fahrt zum Flughafen geltend gemacht wird. Auch nach weiterer Substantiierung der Umstände vor Ort sind keine Umstände (aus der Sphäre der Beklagten) ersichtlich, die es der Klageseite unmöglich gemacht hätten, eine Abreise mit dem Flughafenshuttle-Bus um 16:35 Uhr umzusetzen, weswegen mithin die Buchung eines Ersatzflugs für den Kläger erforderlich gewesen wäre.
22
Da nach der allgemeinen Verkehrssitte neuere Informationen zu bestimmten tatsächlichen oder rechtsgeschäftlichen Abläufen ältere Informationen unwirksam werden lassen, durfte und musste der Kläger bei seinem Checkout spätestens um 12 Uhr (genau wird zur Zeit weiterhin nicht vorgetragen) darauf vertrauen, dass die neuen Informationen zur Abflugzeit beim Checkout richtig waren. Ein Erreichen des Shuttlebuses um 16:35 Uhr war ihm dann zwanglos möglich.
23
Dass der Kläger seine Reiseunterlagen zu diesem Zeitpunkt nicht im Besitz hatte, erscheint dabei praktisch eher unüblich und die Beklagte muss sich dies nach Auffassung des Gerichts auch nicht zurechnen lassen.
24
Selbst wenn letzter Umstand betreffend die Reiseunterlagen für Verantwortlichkeitsüberlegungen relevant wäre, wäre es aber im Rahmen von Schadensminderungspflichtüberlegungen Aufgabe des Klägers gewesen, diese Reiseunterlagen nach Erlangung der Informationen zur neuen Abflugzeit schnellstmöglich zu beschaffen. Hierzu hätte er notfalls auch seine Frau und die Kinder im Hotel lassen müssen und auf dem schnellsten Weg zum Hotel seines Bruders oder zu seinem Bruder fahren müssen, um dann im dortigen Hotel auf die Reiseunterlagen zuzugreifen. Da der Kläger für Hinfahrt (zum Markt) und Rückfahrt vom Hotel des Bruders jeweils 1 Stunde 15 Minuten als Fahrtzeit angibt, wäre ihm eine Beschaffung also auch zwanglos bis spätestens 15 Uhr möglich gewesen. Er hätte dabei seinen Bruder z.B. mobil oder über dessen Hotel kontaktieren können, damit dieser am Hotel auf ihn wartet oder sogar von Anfang an den Bruder bitten können, ihm die Unterlagen vorbeizubringen, was zu einer noch schnelleren Erlangung der Unterlagen geführt hätte. Telefonische Unerreichbarkeit kann dabei wertungsmäßig ebenfalls nicht zulasten der Beklagten gehen.
25
Stattdessen enthält dagegen die Darlegung des Klägers zum Zeitablaufs von Checkout im Hotel bis zur verspäteten Rückkehr zum Hotel diverse Elemente, die mit Schadensminderungspflichtüberlegungen nicht in Einklang zu bringen bzw. weiterhin unsubstantiiert sind. So ist die Schilderung des gesamten Zeitraums von (ca.) 12 Uhr bis 15 Uhr, also dem letztlichen Zusammentreffen mit der „restlichen Familie“ geprägt von Unklarheiten und Andeutungen, nicht aber von der gradlinigen Darstellung eines Versuchs, die Reisepapiere zu erlangen. Von 12 bis ca. 13 Uhr wurde dabei möglicherweise (genau erläutert wird es nicht) im Hotel versucht, Kontakt zur Beklagten aufzunehmen, ohne dabei schon einmal den Weg in Richtung der Reisepapiere zu beginnen (was in Zeiten mobiler Handykommunikation zwanglos möglich gewesen wäre). Unklar bleibt weiterhin, warum sich überhaupt an einem Markt getroffen wird, wenn die Reiseunterlagen im Hotel des Bruders liegen und warum der Treffpunkt nicht gleich per Kontaktaufnahme mit dem Bruder auf das Hotel des Bruders verlegt worden ist. Warum dann am Markt erneut 45 Minuten aufgewendet werden mussten „die restliche Familie“ zu treffen, wer diese restliche Familie ist und warum sie getroffen werden musste, um an Reiseunterlagen zu gelangen, bleibt ebenfalls unklar. Der Zeitraum von 15 bis 16 Uhr ist dann wiederum nicht schlüssig erklärt, insbesondere die Dauer der Erlangung der Reiseunterlagen wird nicht näher erläutert; die Versorgung der Kinder dürfte jedenfalls keine relevante Rolle zulasten einer Haftung der Beklagten spielen, da sie allein in der Sphäre des Klägers liegt und in zivilrechtlichen Wertungen lediglich ein objektiver Betrachtungsmaßstab anzuwenden ist (Anmerkung: diese Versorgung hätte dabei ggf. auch auf der Rückfahrt in der Straßenbahn vorgenommen werden können).
26
Anspruchsgegner von Ansprüchen aufgrund der VO (EG) Nr. 261/2004 ist ausschließlich das ausführende Luftfahrtunternehmen (BGH, 11.03.2008 – X ZR 49/07, NJW 2008, 2119). Eine analoge Anwendung oder wertungsmäßig entsprechende Anwendung der VO (EG) 261/2004 auf Reiseveranstalter scheidet gem. der eindeutig getroffenen Regelung in Art. 6 aus (u.a. AG München, Urt. v. 04.05.2016, Az. 158 C 471/16; AG München, Urt. v. 20.04.2017, Az. 213 C 25566/16). Dies lässt sich bereits damit begründen, dass der Pauschalreiseanbieter keinen direkten Einfluss auf die erbrachten Transportdienstleistungen hat und deswegen auch nicht wie ein Transportdienstleister haften soll.
3. Kosten: § 92 Abs. 1 ZPO.
4. Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.