Titel:
Drittanfechtung einer Baugenehmigung, Hinterliegergrundstück, fehlende Erschließung, dinglich gesichertes Geh- und Fahrtrecht, Entstehen eines Notleitungsrechts (bejaht), Schutzwürdiges Interesse des Eigentümers, Kein anderweitiges Duldenmüssen
Normenketten:
BauGB § 34 Abs. 1
BauGB § 35
BGB § 917
BGB § 918
BGB § 905
Leitsatz:
Ein dinglich gesichertes Geh- und Fahrtrecht schließt ein für die baurechtliche Erschließung erforderliches Leitungsrecht nicht mit ein.
Schlagworte:
Drittanfechtung einer Baugenehmigung, Hinterliegergrundstück, fehlende Erschließung, dinglich gesichertes Geh- und Fahrtrecht, Entstehen eines Notleitungsrechts (bejaht), Schutzwürdiges Interesse des Eigentümers, Kein anderweitiges Duldenmüssen
Fundstelle:
BeckRS 2024, 21516
Tenor
I. Die Baugenehmigung vom 7. Dezember 2020 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte und die Beigeladene haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen eine Baugenehmigung, die der Beklagte der Beigeladenen für die Errichtung eines Wohnhauses erteilt hat.
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Der Kläger ist Eigentümer des Grundstückes FlNr. ... Gem. S. …, das im Nordosten u.a. mit einem vom Kläger bewohnten Wohngebäude bebaut ist. An dieses Grundstück grenzt im Südwesten unmittelbar das Grundstück FlNr. 641 Gem. S. … (im Folgenden: Vorhabengrundstück) an, auf dem sich nach Angaben der Beteiligten derzeit ein Gartenhaus und gekieste Stellplätze befinden. Die genannten Grundstücke entstammen einer Erbmasse. Im Zuge der Erbauseinandersetzung im Jahr 1937/38 wurde das Vorhabengrundstück aus dem Grundstück FlNr. ... Gem. S. … herausgemessen. Südlich und östlich des klägerischen Grundstücks verläuft die Kreisstraße …; das Vorhabengrundstück liegt als Hinterliegergrundstück an keiner öffentlichen Straße an. Im Grundbuch ist zu Gunsten des Vorhabengrundstücks ein Ein- und Ausfahrtrecht auf dem Grundstück FlNr. ... Gem. S. … eingetragen. Die Eintragung erfolgte am 11. Oktober 1938 aufgrund notarieller Bewilligung vom 20. Februar 1937 und 9. April 1938. Ein Leitungsrecht wurde nicht eingetragen.
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Die Gemeinde hat unter dem Grundstücksbereich, der mit dem Geh- und Fahrtrecht belastet ist, in ca. 4 m Entfernung zum Vorhabengrundstück einen Abwasserkanal und eine Frischwasserleitung verlegt. Nach Angaben den Beteiligten ist der Kanalanschluss an das Vorhabengrundstück herangeführt, jedoch nicht die Wasserleitung.
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Für den Umgriff des Vorhabengrundstücks besteht eine Einbeziehungssatzung nach § 34 Abs. 4 BauGB. Die Gemeinde hat ferner eine Gestaltungssatzung erlassen, nach deren § 3 Nr. 3 Satz 2 Garagen und Carports einen Grenzabstand von mind. 0,80 m einhalten müssen.
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Die Beigeladene beantragte unter dem 22. Juli 2020 die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage auf dem Vorhabengrundstück, ferner wurde ein Antrag auf Abweichung von der Gestaltungssatzung gestellt.
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Die Gemeinde erteilte mit Beschluss vom 27. Juli 2020 ihr Einvernehmen.
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Mit Bescheid vom 7. Dezember 2020, dem Kläger am 9. Dezember 2020 zugestellt, erteilte das Landratsamt der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung. Von der Einhaltung der örtlichen Bauvorschriften bezüglich des Grenzabstands der Garage wurde eine Abweichung zugelassen. Es handele sich um ein Innenbereichsvorhaben.
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Der Kläger hat, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, am 4. Januar 2021 Klage erhoben und beantragt,
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Die mit Bescheid vom 7. Dezember 2020 erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Einfamilienwohnhauses mit Doppelgarage auf dem Grundstück FlNr. 641 Gem. S. … wird aufgehoben.
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Mit am 18. März 2021 eingegangenen Schriftsatz wird die Klage begründet. Die Baugenehmigung zwinge dem Kläger als Eigentümer ein Notleitungsrecht auf. Ein dinglich gesichertes Leitungsrecht bestehe nicht. Es sei zum Zeitpunkt der Eintragung des Geh- und Fahrtrechts im Jahr 1938 durchaus üblich gewesen, Leitungsrechte dinglich abzusichern, selbst wenn diese Gemeinde damals nur rudimentär über zentrale Ver- und Entsorgungsleitungen verfügt habe. Schließlich sei zugunsten des ebenfalls von der im Jahr 1938 erfolgten Erbauseinandersetzung betroffenen Grundstücks FlNr. 639 Gem. S. … ein „Wasserbezugs- und Leitungsrecht“ eingeräumt und im Grundbuch eingetragen worden. Dies sei gegenüber dem Vorhabengrundstück gerade nicht erfolgt; von einem diesbezüglichen Versehen könne daher nicht ausgegangen werden. Vielmehr sei dies aufgrund der Annahme erfolgt, dass es sich bei dem Vorhabengrundstück um einen Garten handele, wohingegen das andere Grundstück auch zu Wohnzwecken genutzt worden sei. Über die Frage, ob von dem eingetragenen Recht auch ein Leitungsrecht mitumfasst sei, hätten die Zivilgerichte zu entscheiden. Die Baugenehmigung sei auch insoweit rechtswidrig, als die Garage nicht den Mindestgrenzabstand von 80 cm einhalte.
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Der Beklagte beantragt
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Das bestehende Geh- und Fahrtrecht schließe das Leitungsrecht mit ein. Nach dem Urteil des VG München vom 1. Juni 2017 (M 10 K 16.3834) gelte, dass wenn zu Lasten des Vorderliegergrundstücks ein Geh- und Fahrtrecht für das Hinterliegergrundstück eingetragen sei, das Hinterliegergrundstück als erschlossen einzustufen sei. Eine solche Dienstbarkeit schließe die rechtliche Möglichkeit zur Durchquerung des Vorderliegergrundstücks mit einer Wasserleitung und dessen dauerhafte Belastung ein. Auch unter Schonungsgesichtspunkten ergebe sich hier nichts anderes. Die Garagengestaltungsatzung habe keinen drittschützenden Charakter, sodass sich hieraus keine Rechtsverletzung des Klägers ergeben könne.
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Die Beigeladene beantragt durch ihren Bevollmächtigten
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Die Baugenehmigung sei rechtmäßig und der Kläger nicht in seinem Eigentumsrecht verletzt. Auf der bestehenden Wegefläche seien vor Jahren die notwendigen Versorgungssparten, namentlich Schmutzwasserkanal, Frischwasser-, Strom- und Telekommunikationsleitungen mit Zustimmung des Klägers eingebracht worden. Nicht zuletzt diene dies auch der Zusatzerschließung der westlich gelegenen Wohnanwesen E. Hausnr. 5 und 5a. Der Kläger habe diesen Grundstücksteil unwiderruflich einem öffentlichen Anliegergebrauch zur Verfügung gestellt. Die verlegten Leitungen seien Bestandteil der öffentlichen Entwässerungs- und Versorgungseinrichtung, damit öffentliche Einrichtungen und gerade kein privater Grundstücksanschluss. Die örtliche Entwässerungssatzung und die Wasserabgabesatzung lösten Anschluss- und Benutzungsverpflichtungen und -rechte aus. Der Kläger habe die Einbringungen der Leitungen mitgetragen und dem öffentlichen Widmungsakt zugestimmt. Sein Eigentum sei also durch die Widmung überprägt worden. Eine Entschädigung für den Kanal habe er im Jahr 2013 entgegengenommen. Ungeachtet der ohnehin bestehenden gesetzlichen Duldungstatbestände gelte dies für die bestehenden Strom- und Telekommunikationsleitungen ebenso. Eine Zusatzbelastung durch die Realisierung des Bauvorhabens der Beigeladenen sei ersichtlich nicht zu befürchten. Daher gehe es schon nicht um die Begründung von Notleitungsrechten. Ohnehin sei durch die Herausmessung des Vorhabengrundstücks als Hinterliegergrundstück bereits damals ein Notleitungsrecht begründet worden, weil auch ein Gartengrundstück (Ab-)Wasserleitungen benötige. Dem Erbauseinandersetzungsvertrag sei das Ziel zu entnehmen, auch künftig für die Erschließungssicherung dieses Grundstückes und für eine sachgerechte Benutzbarkeit zu sorgen. Ungeachtet der Reichweite der damaligen Dienstbarkeit sei damals schon eine Noterschließung erzeugt worden. Daher besteht die vom Kläger vorgetragene Erst- oder Zusatzbelastung durch das Vorhaben gerade nicht. Ein Einfamilienhaus schaffe gegenüber dem bisherigen Bebauungszustand keine maßgebliche Zusatzbelastung. Es bestehe seit Jahrzehnten ein etabliertes oberirdisches wie unterirdisches Erschließungssystem für die Gesamtanlieger, das nicht mehr entzogen werden könne und dürfe. Auch ungeachtet der fehlenden straßenrechtlichen Widmung bestehe ein tatsächlich-öffentlicher Weg und deswegen eine Verpflichtung des Klägers, die Erschließungsmöglichkeiten zu erhalten. Es handele sich auch um eine ausreichende öffentliche Verkehrsfläche nach Art. 4 BayBO, weil der Kläger in Fortsetzung des Handelns seines Rechtsvorgängers den Anliegerverkehr im Sinne eines uneingeschränkten Gemeingebrauch zugelassen habe. Damit habe sich der Kläger seiner uneingeschränkten Verfügungsbefugnis über sein Eigentum begeben und könne die Eigenschaft als tatsächlich-öffentliche Wegefläche nicht mehr durch einseitige Erklärung beseitigen. Es liege auch ein Fall von Verwirkung vor, weil die Nutzung der Wegefläche durch den öffentlichen Anliegerverkehr auf einer erkennbar unwiderruflichen Zustimmung des Klägers und seines Rechtsvorgängers beruhe. Seit jeher sei Befahren des Wegstücks den Anliegern gestattet und der Leitungsverlegung als öffentliche Versorgungseinrichtungen und gerade nicht als private Grundstücksanschlüsse zugestimmt worden. Die Gemeinde und die Anlieger hätten daraufhin entsprechend disponiert. Die Herstellung der öffentlich-rechtlichen Einrichtungen mit dem vom Kläger mitgetragenen Widmungsakt sorge für eine öffentlich-rechtliche Anschlussmöglichkeit, ohne dass es noch einer privatrechtlichen Regelung bedürfe. Eine Rechtsverletzung scheide aus, weil der Kläger die Benutzung seines Grundstücks ohnehin schon hinnehmen müsse; im Übrigen finde nur eine unwesentliche Erweiterung statt. Diese Annahme liege auch der von der Beklagten in Bezug genommenen Entscheidung des VG München zugrunde. Denn schon das bestellte Geh- und Fahrtrecht erfordere die Freihaltung der Fläche, sodass eine weitergehende Beeinträchtigung durch das Einbringen von Leitungen ausgeschlossen sei. Hier seien ohnedies die Leitungen schon vorhanden. Im Übrigen handele es sich angesichts des Anschlusses der westlichen Anlieger und der öffentlich-rechtlichen Duldungspflichten auch nicht um ein erstmaliges Duldenmüssen. Für den Kläger ergebe sich kein Unterschied, ob das Wohnhaus der Beigeladenen anschlossen werde. Im Übrigen könne sich der Kläger auch nach den Grundsätzen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses nicht auf die fehlende Eintragung eines Leitungsrechts berufen. Ferner betone die vom Kläger unangefochten gelassene Einbeziehungssatzung die öffentliche Vorprägung des Wegebereichs. Aus der erteilten Abweichung von der Garagengestaltungssatzung könne der Kläger keine Rechtsverletzung ableiten; der Drittschutz sei dem Abstandsflächenrecht vorbehalten.
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Die Kammer hat am 23. April 2024 mündlich zur Sache verhandelt. Bezüglich des Vortrags im Übrigen und der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist begründet.
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Die von der Beklagtenseite erstmals in der mündlichen Verhandlung geäußerten Bedenken an der Zulässigkeit der Klage greifen nicht durch. Die Klagebegründung binnen der Zehnmonatsfrist nach § 6 Satz 1 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) ist keine Zulässigkeitsvoraussetzung, sondern nur eine prozessuale Obliegenheit des Klägers und führt deswegen allenfalls zur Unbegründetheit der Klage (vgl. Fellenberg/Schiller in Landmann/Rohmer, UmwRG, 102. EL Sept. 2023, § 6 Rn. 74). Selbst wenn der Kläger also der Regelung unterfiele, würde dies jedenfalls nicht zur Unzulässigkeit der Klage führen.
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Die Klage ist begründet. Die Baugenehmigung vom 7. Dezember 2020 wird aufgehoben, weil sie rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die streitgegenständliche Baugenehmigung ist rechtswidrig, weil die im vereinfachten Genehmigungsverfahren gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO, §§ 29 bis 38 BauGB zu prüfende bauplanungsrechtliche Erschließung des Bauvorhabens nicht gesichert ist. Der Kläger kann sich hier auf die fehlende Erschließung berufen (vgl. sogleich unter 1.) und ist auch nicht präkludiert (unter 2.). Die Erschließung ist nicht gesichert, weil erstmals ein Notleitungsrecht auf dem Grundstück FlNr. ... Gem. S. … entstünde (unter 3.).
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1. Die Frage der rechtmäßigen Erschließung ist ausnahmsweise ein Recht, auf das sich der Kläger im Grunde berufen kann.
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Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen können, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit (auch) auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind. Ob eine Norm des öffentlichen Rechts drittschützende Wirkung hat, bestimmt sich nach der sog. Schutznormtheorie. Ein Rückgriff auf Art. 14 GG zur Begründung des Nachbarrechtsschutzes wegen eines schweren und unerträglichen Eigentumseingriffs kommt grundsätzlich nicht mehr in Betracht, weil durch den den einzelnen baurechtlichen Vorschriften gegebenenfalls zuerkannten Drittschutzcharakter sowie insbesondere das sogenannte Gebot der Rücksichtnahme mögliche Verletzungen nachbarlicher Rechte bereits im Vorfeld des Art. 14 GG aufgefangen werden können. Allein in Fällen, in denen das genehmigte Bauvorhaben eine unmittelbar gegenständliche Inanspruchnahme des Nachbargrundstückes zur Folge hat, also quasi „enteignend“ wirkt, kann Art. 14 GG beim Nachbarrechtsschutz im öffentlichen Baurecht noch von Bedeutung sein (vgl. BayVGH, U.v. 7.12.2010 – 14 B 09.2292 – juris Rn. 17 m.w.N.).
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Das Erfordernis der gesicherten Erschließung dient grundsätzlich nur dem öffentlichen Interesse und hat keine nachbarschützende Funktion. Ausnahmsweise kann der Nachbar eine Baugenehmigung jedoch dann zulässigerweise wegen einer fehlenden gesicherten Erschließung anfechten, wenn sie dazu führt, dass der Bauherr zur wegemäßigen Erschließung ein Notwegerecht (§ 917 BGB) über das Grundstück des Nachbarn in Anspruch nimmt (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.1976 – IV C 7.74 – BVerwGE 50, 282, juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 27.7.2018 – 1 CS 18.1265 – juris Rn. 11). Wird durch eine Baugenehmigung einem Nachbarn rechtswidrig die Duldung eines Notwegerechts aufgezwungen, so liegt darin ein von der Baugenehmigung ausgehender Eingriff in das Eigentum des Nachbarn, der von öffentlich-rechtlicher Qualität ist und gegen den sich dementsprechend auch ein öffentlich-rechtlicher Abwehr- und Beseitigungsanspruch des Nachbarn richtet, der vor den Verwaltungsgerichten durchzusetzen ist. Die Notwendigkeit, dem Eigentümer einen vor den Verwaltungsgerichten durchsetzbaren öffentlich-rechtlichen Abwehranspruch zuzubilligen, folgt daraus, dass die Baugenehmigung, sollte sie bestandskräftig werden, wegen der von ihr ausgehenden Feststellungswirkung zu seinem Nachteil auf die im Zivilprozess zu beurteilende Rechtslage von Einfluss wäre. Würde eine notwegerhebliche rechtswidrige Baugenehmigung bestandskräftig, so könnte die Ordnungsmäßigkeit der Benutzung des Grundstücks im Sinne des § 917 Abs. 1 BGB aus diesem Grunde nicht mehr in Frage gestellt werden (vgl. BayVGH, B.v. 24.10.1996 – 2 B 94.3416 – BayVBl. 1997, 758 – juris). Darin liegt, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist, ein vom öffentlichen Recht ausgehender Eingriff in das Eigentum, gegen den sich der Betroffene mit den Rechtsbehelfen des öffentlichen Rechts wehren kann (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.1976 – IV C 7.74 – BVerwGE 50, 282, juris Rn. 27).
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Die Vorschrift des § 917 BGB, die nach ihrem Wortlaut nur für das Wegerecht gilt, ist auf die Verbindung von Versorgungsleitungen mit den öffentlichen Versorgungsnetzen entsprechend anzuwenden (vgl. Elzer in Erman, Kommentar zum BGB, 17. Aufl. 2023, § 917 Rn. 10). Bayerisches Landesrecht, das die Voraussetzungen eines Notleitungsrechts entsprechend dem Vorbehalt in Art. 124 EGBGB in eigenständiger Weise regelt, besteht nicht.
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2. Der klägerische Vortrag zur fehlenden Erschließung des streitgegenständlichen Vorhabens, die in sein Eigentumsrecht eingreife, unterliegt entgegen der Ansicht des Beklagten nicht der innerprozessualen Präklusion gemäß § 6 Satz 1 und 2 UmwRG.
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Die Begründung der fristgerecht erhobenen Klage erfolgte zwar erst nach Ablauf der Zehnwochenfrist nach § 6 Satz 1 UmwRG, gleichwohl führt dieser Umstand nicht dazu, dass der Vortrag des Klägers als präkludiert zurückzuweisen wäre.
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Es kann dahingestellt bleiben, ob die Vorschrift des § 6 Satz 1 UmwRG in baurechtlichen Nachbarstreitigkeiten überhaupt Anwendung findet (offengelassen auch von BayVGH, B.v. 5.5.2023 – 1 CS 23.34 – juris Rn. 6 m.w.N.). Denn jedenfalls sind die Voraussetzungen von § 6 Satz 2 und 3 UmwRG, § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO erfüllt, wonach eine Präklusion ausgeschlossen ist, wenn es mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung der Beteiligten zu ermitteln. Davon ist auszugehen, wenn für die Ermittlung des Sachverhalts keine oder nur geringe finanzielle Mittel erforderlich sind; auf den zeitlichen Aufwand kommt es nicht an (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 87b Rn. 12). Aufgrund des im Verwaltungsprozess geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) ist das Gericht unabhängig vom Vortrag der Beteiligten zur Prüfung des Sachverhalts berechtigt und verpflichtet und erst recht dazu berufen, rechtliche Schlüsse aus den ermittelten Tatsachen zu ziehen (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2020 – 22 ZB 18.856 – juris). Die für die Klage maßgeblichen tatsächlichen Umstände, insbesondere die Eigentümerstellung des Klägers an dem Grundstück und der Umfang der grundbuchrechtlichen Dienstbarkeiten ergeben sich schon aus den Behördenakten und aus dem allgemein und für das Gericht einsehbare Grundbuch. Die Eigentümerstellung des Klägers war im Übrigen auch allen Beteiligten von vornherein offenbar. Bereits im Verwaltungsverfahren legte Rechtsanwalt Dr. A., der von der Beigeladenen beauftragt worden war, die Eigentumsverhältnisse u.a. am Grundstück FlNr. ... Gem. S. … offen (vgl. Bl. 16 der Behördenakte). Ebenfalls auf Grundlage der bekannten Eigentumsverhältnisse stellte das Landratsamt den angefochtenen Baugenehmigungsbescheid dem Kläger als Eigentümer des benachbarten Grundstücks zu.
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3. Das Vorhaben, das mit dem angefochtenen Bescheid genehmigt wurde, ist nicht hinreichend erschlossen, zwingt dem Kläger rechtswidrig ein Notleitungsrecht auf und verletzt ihn daher in seinem Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG). Das ergibt sich im Einzelnen aus Folgendem:
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a) Das Wohnbauvorhaben der Beigeladenen bedarf einer Erschließung, die neben der Zuwegung u.a. auch die Versorgung mit Frischwasser, Abwasser und Strom umfasst. Dies steht auch bei den Beteiligten nicht in Frage. Dieses Erschließungserfordernis gilt unabhängig davon, ob es sich um ein sonstiges Vorhaben im Außenbereich, § 35 Abs. 2 BauGB, handelt, oder ob hier ein Innenbereichsvorhaben, § 34 Abs. 1 BauGB, vorliegt. Der Beklagte geht von letzterem aus und beruft sich hierfür auf die gemeindliche Einbeziehungssatzung nach § 34 Abs. 4 Nr. 3 BauGB. Ob die Tatbestandsvoraussetzung des § 34 Abs. 4 Nr. 3 BauGB vorliegen, wonach die Flächen, die mittels der Satzung in den Innenbereich einbezogen werden sollen, durch die bauliche Nutzung der angrenzenden Bereiche baulich geprägt sein müssen, ist anhand der Luftbilder jedenfalls zweifelhaft, muss aber hier nicht geklärt werden. Denn auch im Falle eines Außenbereichsvorhabens richten sich die Anforderungen an die ausreichende Erschließung nach den jeweiligen Gegebenheiten, also nach den Auswirkungen und Bedürfnissen des gegenständlichen Vorhabens; gewisse Mindestanforderungen müssen aber dennoch erfüllt werden (vgl. BVerwG, U.v. 13.2.1976 – IV C 53.74 – juris Ls.); hierzu gehören bei sonstigen Vorhaben im Außenbereich neben der wegemäßigen Erschließung auch die Strom- und Wasserversorgung sowie die Abwasserbeseitigung (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 152. EL Okt. 2023, § 35 Rn. 74). Bei dem hier geplanten Wohnbauvorhaben ist die Versorgung mit den genannten Sparten erforderlich.
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b) Die Erschließung muss darüber hinaus auf Dauer gesichert sein, was voraussetzt, dass sie nicht nur tatsächlich vorhanden, sondern auch rechtlich gewährleistet sein muss (BVerwG, B.v. 22.11.1995 – 4 B 224/95 – juris Rn. 39). Tatsächlich vorhanden ist die Erschließung dann, wenn damit gerechnet werden kann, dass sie bis zur Herstellung des Bauwerks (spätestens bis zur Gebrauchsabnahme) funktionsfähig angelegt ist, und wenn ferner damit zu rechnen ist, dass sie auf Dauer zur Verfügung stehen wird (BVerwG, U.v. 30.8.1985 – 4 C 48/81 – juris Rn. 20). Von einer rechtlichen Gewährleistung ist dann auszugehen, wenn das Vorhabengrundstück entweder an eine öffentliche Straße angrenzt oder ein Zugang zum öffentlichen Wegenetz dadurch hergestellt wird, dass an den dazwischenliegenden Grundstücken Grunddienstbarkeiten bestellt sind (vgl. BVerwG, U.v. 3.5.1988 – 4 C 54/85 – juris Rn. 14). Nicht ausreichend für eine gesicherte Erschließung sind bloß schuldrechtliche Vereinbarungen des Bauherrn mit Nachbarn (BVerwG, B.v. 22.11.1995 – 4 B 224/95 – juris Rn. 3) sowie ein etwaiges Notwege- oder Notleitungsrecht (VG München, U.v. 12.11.2019 – M 1 K 18.3848 – juris Rn. 22; v. 24.11.2020 – M 1 K 17.5873 – juris Rn. 24; zum Notwegerecht: Battis/Krautzberger/Löhr/Mitschang, 15. Aufl. 2022, BauGB § 30 Rn. 26; OVG Magdeburg, B.v. 26. 10. 2012 – 2 M 124.12 – juris Ls.; BayVGH, B.v. 2.12.2005 – 6 CS 05.1522 – juris Rn. 16).
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Hier fehlt es an der leitungsmäßigen Erschließung des nicht an einer öffentlichen Straße angrenzenden Vorhabengrundstücks. Das Leitungsrecht ist von dem dinglichen Geh- und Fahrtrecht nicht umfasst (vgl. sogleich unter aa)). Das Vorhaben kann auch nicht auf ein bereits bestehendes Notleitungsrecht zurückgreifen, das durch das Vorhaben nur unwesentlich erweitert würde (bb)) Der Kläger hat das Leitungsrecht auch nicht aus anderem Rechtsgrund zu dulden (cc) bis ee)).
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aa) Das im Grundbuch zu Lasten des klägerischen und zugunsten des Vorhabengrundstücks eingetragene Geh- und Fahrtrecht schließt das Leitungsrecht nicht mit ein.
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An einem Grundstück können eine oder mehrere Grunddienstbarkeiten bestellt werden, d.h., ein Grundstück kann zugunsten des jeweiligen Eigentümers eines anderen Grundstücks in der Weise belastet werden, dass dieser das Grundstück in einzelnen Beziehungen benutzen darf (§ 1018 Var. 1 BGB). Zu der Belastungsart der Benutzungsdienstbarkeit werden Fallgruppen gebildet, denkbar sind etwa Wege-, Durch- und Zufahrtsrechte, Entnahmerechte von Bodenbestandteilen, Benutzungsrechte an Anlagen und Leitungsrechte (MüKoBGB/Mohr, 9. Aufl. 2023, BGB § 1018 Rn. 33). Der wesentliche Inhalt des Rechts, also die allgemeine Rechtsnatur und die besondere Art des Rechts muss im Eintragungsvermerk gekennzeichnet sein; dabei genügt es, dass dies schlagwortartig geschieht (vgl. BayObLG, B.v. 15.2.1990 – BReg 2 Z 10/90 – juris Rn. 10; OLG Zweibrücken, B.v. 28.9.2016 – 3 W 76/16 – juris Rn. 7).
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Für die Auslegung von Dienstbarkeiten wird entscheidend auf die Grundbucheintragung abgestellt. Angesichts der Zweckbestimmung des Grundbuchs, jedem Gutgläubigen sowie allen späteren Verpflichteten und Rechtsnachfolgern über Inhalt und Umfang der eingetragenen Rechte eindeutig Aufschluss zu geben, ist bei der Auslegung einer Grundbucheintragung auf den Wortlaut sowie insbesondere auf den Sinn abzustellen, wie er sich aus dem Grundbuch selbst und einer gemäß § 874 BGB in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung der Eintragung ergibt. Umstände, die außerhalb dieser Urkunde liegen, dürfen hiernach zur Ermittlung von Inhalt und Umfang des dinglichen Rechts nur insoweit herangezogen werden, als sie nach den besonderen Umständen des Einzelfalls für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (MüKoBGB/Mohr, 9. Aufl. 2023, BGB, § 1018 Rn. 18)
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Im Grundbuch ist ein Ein- und Ausfahrtsrecht eingetragen. Ein Leitungsrecht wurde schon nach dem Wortlaut nicht eingetragen und findet sich im Grundbuch „schlagwortartig“ nicht. Einer auf ein Leitungsrecht erweiternden Auslegung ist diese Eintragung nicht zugänglich. Auch aus den übrigen Umständen, insbesondere der in der Eintragung in Bezug genommenen Bewilligungen vom 20. Februar 1937 und 9. April 1938 ergibt sich nicht, dass auch ein Leitungsrecht zugunsten des Vorhabengrundstücks bestellt werden sollte. Im Gegenteil wurde in demselben Erbauseinandersetzungsvertrag, der auch das Vorhabengrundstück zum Gegenstand hatte, zugunsten eines anderen Grundstücks (FlNr. 639) die Eintragung von Leitungsrechten bewilligt (S. 27-28 und S. 42 Behördenakte). Bezüglich des Vorhabengrundstücks beschränkten sich die Beteiligten gerade auf die Bestellung eines Geh- und Fahrtrechts. Dies ist gerade unter den gegebenen Umständen als absichtsvolles Vorgehen und nicht etwa als versehentliche Auslassung zu werten.
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Diese grundbuch- und sachenrechtliche Beurteilung ist auch in diesem Verfahren zu Grunde zu legen. Die Kammer folgt nicht der in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Ansicht (vgl. z.B. BayVGH, B.v.13.8.2003 – 23 CS 03.1922 – BeckRS 2003, 31497; B.v. 28.8.2008 – 4 ZB 08.1071 – juris Rn. 10; VG München, U.v. 1.6.2017 – M 10 K 16.3834 – juris Rn. 23; weitere Rechtsprechungsnachweise bei Grziwotz in BayVBl. 2019, 187), dass ein dingliches Geh- und Fahrtrecht stets auch ein Leitungsrecht enthält. Das Wegerecht berechtigt nur zu der damit eingeräumten Nutzungsmöglichkeit des belasteten Grundstücks, nicht zu der Verlegung von Leitungen (so ausdrücklich BGH, U.v. 26.1.2018 – V ZR 47/17 – juris Rn. 15).
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bb) Das Vorhaben kann auch nicht auf ein bereits bestehendes Notleitungsrecht zurückgreifen, das mit dem Vorhaben nur unwesentlich ausgeweitet würde.
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Ein Notleitungsrecht bestünde, wenn dies bereits bislang zur ordnungsmäßigen Grundstücksnutzung notwendig gewesen wäre, § 917 Abs. 1 BGB entsprechend. Das Vorhabengrundstück war und ist ein Gartengrundstück; diese Nutzung war im Übrigen auch in dem Erbauseinandersetzungsvertrag vorgesehen. Für kleingärtnerische Nutzung bedarf es nicht der Versorgung mit all den in Rede stehenden Leitungen. Die Kammer hält selbst eine Wasserleitung für eine gärtnerische Nutzung nicht für im Rechtssinne notwendig; jedenfalls aber ist ein Abwasserkanal nicht erforderlich.
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Auch die von der Beigeladenen in Bezug genommene Vorschrift des § 918 Abs. 2 BGB führt zu keinem anderen Ergebnis. § 918 Abs. 2 BGB sieht vor, dass wenn infolge der Veräußerung eines Teils des Grundstücks der veräußerte oder der zurückbehaltene Teil von der Verbindung mit dem öffentlichen Wege abgeschnitten wird, der Eigentümer desjenigen Teils, über welchen die Verbindung bisher stattgefunden hat, den Notweg zu dulden hat. Dieser Rechtsgedanke findet auf Notleitungsrechte entsprechende Anwendung (BeckOK BGB/Fritzsche, 69. Ed. 1.2.2024, BGB § 918 Rn. 7). Der Tatbestand der Vorschrift ist nicht erfüllt. Die Norm setzt mit der Formulierung „die Verbindung bisher stattgefunden hat“ voraus, dass zum Veräußerungszeitpunkt bereits ein Notleitungsrecht vorhanden war. Zu dem Zeitpunkt der Erbauseinandersetzung, als das Vorhabengrundstück als gefangenes Grundstück herausgemessen wurde, bestand aus den o.g. Gründen kein Notleitungsrecht zugunsten der Fläche, die heute das Vorhabengrundstück ausmacht.
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cc) Es liegt ein Eingriff in das Eigentum des Klägers vor, insbesondere ist von einem schutzwürdigen Interesse des Klägers an der Ausschließung der Beigeladenen auszugehen.
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Ein Eingriff liegt vor, wenn sich die Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung in dem gekennzeichneten Sinne aus Gründen ergibt, die sich – wie vor allem Mängel der Erschließung – ihrer Art nach auf die Duldung eines Notleitungsrechts auswirken. Von einer solchen Auswirkung könnte dann keine Rede sein, wenn der Kläger die Verlegung von Leitungen ohnehin dulden müsste oder wenn die Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks infolge der Bebauung nur derart „unwesentlich“ sein sollte, dass der Kläger die damit verbundenen Nachteile ohne weiteres hinnehmen müsste (BVerwG, U.v. 26.3.1976 – IV C 7.74 – BVerwGE 50, 282-292, juris Rn. 28). Dieser Rechtsgedanke findet sich in der Vorschrift des § 905 Satz 2 BGB wieder, wonach der Eigentümer Einwirkungen nicht verbieten kann, die in solcher Höhe oder Tiefe vorgenommen werden, dass er an der Ausschließung kein Interesse hat.
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(1) Das Herrschaftsrecht des Eigentümers an seinem Grundstück erstreckt sich nach § 905 Satz 1 BGB einerseits senkrecht auf den Raum über der Oberfläche und andererseits senkrecht auf den Erdkörper unter der Erdoberfläche. Der Kläger (bzw. sein Rechtsvorgänger) hat sich durch das eingetragene Geh- und Fahrtrecht zwar der umfassenden Herrschaftsbefugnis an dem oberirdischen Grundstücksteil begeben. Davon unabhängig ist jedoch der unterirdische Grundstücksteil, der Bezugspunkt für das Leitungsrecht wäre, und der bisher nicht mit einem dinglichen Recht belastet ist. Zwar kann der Eigentümer Einwirkungen nicht verbieten, die in solcher Höhe oder Tiefe vorgenommen werden, dass er an der Ausschließung kein Interesse hat (§ 905 Satz 2 BGB). Ob ein solches Interesse nicht besteht, richtet sich nach der Verkehrsanschauung. Bei welcher Tiefe (oder Höhe) das Interesse des Grundstückseigentümers an der Ausschließung einer Einwirkung entfällt, lässt sich nicht allgemein festlegen, entscheidend sind die konkreten Verhältnisse, wobei jedes schutzwürdige Interesse das Verbietungsrecht begründen kann; einer konkreten Beeinträchtigung bedarf es nicht (MüKoBGB/Brückner, 9. Aufl. 2023, BGB § 905 Rn. 5). Dabei ist nicht nur die gegenwärtige Nutzung maßgebend; zu berücksichtigen sind vielmehr auch solche Umstände, die erst in der Zukunft eine Behinderung besorgen lassen (BGH, U.v. 1.2.1994 – VI ZR 229/92 – BGHZ 125, 56-68, juris Rn. 22). Die Zivilgerichte sind hinsichtlich der Beschränkung des Eigentums bei Einwirkungen in die Tiefe des Grundstücks streng; der Grundstückseigentümer hat danach in der Regel ein Ausschließungsinteresse an der Verhinderung der unterirdischen Nutzung (vgl. Grziwotz in BayVBl. 2019, 188 m.w.N.). Vor dem Hintergrund der Feststellungswirkung der Baugenehmigung für den Zivilprozess erscheint ein Gleichlauf der öffentlich-rechtlichen Beurteilung mit der zivilrechtlichen geboten.
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(2) Hier ist davon auszugehen, dass dem Kläger das Verbietungsverbot nicht genommen ist, sondern er ein schützenswertes Interesse an der Ausschließung der in Rede stehenden Grundstücksnutzung hat.
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Die Beigeladene beruft sich darauf, dass kein Interesse des Klägers erkennbar sei, die Beigeladene mit ihrer Nutzungsabsicht auszuschließen, weil die Leitungen bereits bestünden. Es sei damit kein Eingriff verbunden. Dieser Einwand verfängt nicht. Dabei kann offengelassen werden, auf welcher Grundlage und mit welcher rechtlichen Dauerhaftigkeit diese Leitungen verlegt wurden, auch kann dahinstehen, welche Duldungspflichten bezüglich dieser Leitungen bestehen. Denn ausweislich der vorliegenden Akten reichen die vorhandenen Leitungen nicht bis an das Grundstück der Beigeladenen heran, sondern verlaufen in ca. 4 m Entfernung (vgl. Plan S. 60, vgl. auch S. 14 des Behördenakts). Dementsprechend bedürfte es noch weiterer Erdarbeiten zur Verlegung des fehlenden Leitungsabschnitts bzw. des Grundstücksanschlusses, die auf dem Grundstück des Klägers stattfinden müssten. Es ist kein Rechtsgrund dafür ersichtlich, dass der Kläger diese hinzunehmen hätte. Ein Interesse des Klägers, die Beigeladene von der Nutzung auszuschließen, besteht auch insoweit, als an Leitungen Wartungs- und Reparaturarbeiten durchzuführen sein können und auch damit sein Grundstück beansprucht würde. Ferner besteht die Gefahr von Grundstücksbeeinträchtigungen, die im Lauf der Zeit von undichten und maroden Kanälen ausgehen. Daher ist durch das Vorhaben der Beigeladenen auch ein öffentlich-rechtlicher Eingriff zu bejahen.
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(3) Auch die von der Beigeladenen bemühten Grundsätze des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses führen nicht zur Duldungspflicht.
47
Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis stellt eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) für den besonderen Bereich des notwendigen Zusammenlebens von Grundstücksnachbarn dar, aus dem eine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme entspringt (BGH, U. v. 31.01.2003 – V ZR 143/02 – juris). In dem von der Beigeladenen hierzu herangezogenen Urteil des OVG Bremen (v. 30.9.2003 – 1 A 251/01 – abrufbar unter https://www.oberverwaltungsgericht.bremen.de) wird hierfür darauf abgestellt, ob es sich um einen Eingriff handelt, der als unwesentlich hinzunehmen sei. Es wird dargelegt, dass unter dem Blickwinkel dieses Gemeinschaftsverhältnisses auch ein Notwegerecht eine eigene, zusätzliche Rechtfertigung erlangen könne, die dazu führe, dass eine erteilte Baugenehmigung die Eingriffsqualität für den Nachbarn verliere. Dies sei in Erwägung zu ziehen, wenn die Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks nur unwesentlich sei. In diesem Fall zeichne das Notwegerecht lediglich die ohnehin schon bestehenden nachbarlichen Pflichten nach. Die erteilte Baugenehmigung bewirke keine Rechtsverschlechterung des Nachbarn; ihr fehle die Eingriffsqualität. Aus einer nur unwesentlichen, praktisch nicht spürbaren Beeinträchtigung eine Sperrposition für die ansonsten zulässige Bebauung des Nachbargrundstücks abzuleiten widerspräche dem durch das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis konkretisierten Grundsatz von Treu und Glauben.
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Hier nimmt das in Rede stehende Leitungsrecht, wie oben dargelegt, das Grundstück des Klägers jedoch nicht nur unwesentlich in Anspruch. Von einer Treuwidrigkeit kann daher nicht die Rede sein. Auch die Vorgeschichte, die die beiden Grundstücke verbindet und die zu den gegenwärtigen Grundstücksverhältnissen geführt hat, vermag zu keiner anderen Bewertung zu führen, ebenso wenig die möglicherweise in den nachfolgenden Generationen aufgetretenen Familienstreitigkeiten. Die Herauslösung des Vorhabengrundstücks aus dem (nunmehr im klägerischen Eigentum stehenden) Grundstück im Wege der Erbauseinandersetzung erfolgte in bewusster Steuerung der baulichen Nutzungsmöglichkeit des Vorhabengrundstücks und der damit flankierenden, lediglich beschränkten Einräumung von Dienstbarkeiten.
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(4) Die von der Beigeladenen angestellten Erwägungen zur Wegefläche, insbesondere zur straßenrechtlichen Einstufung des Weges und zu der bestehenden Erhaltungspflicht gehen wegen der oben dargestellten Differenzierung zwischen dem Eigentum am oberirdischen und am unterirdischen Grundstücksteil gemäß § 905 Satz 1 BGB fehl.
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dd) Aus den von der Beigeladenen vorgebrachten Duldungspflichten bezüglich der Frischwasserzuleitung und des Abwasserkanals nach den kommunalen Satzungen ergibt sich nichts anderes. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 der örtlichen Entwässerungssatzung (EWS) hat der Grundstückseigentümer das Anbringen und Verlegen von Leitungen einschließlich Zubehör zur Ableitung von Abwasser über sein im Einrichtungsgebiet liegendes Grundstück sowie sonstige Schutzmaßnahmen unentgeltlich zuzulassen, wenn und soweit diese Maßnahmen für die örtliche Abwasserbeseitigung erforderlich sind. Eine vergleichbare Regelung für die Frischwasserleitungen enthält § 14 Abs. 1 Satz 1 der örtlichen Wasserabgabesatzung (WAS).
51
Die Anwendung dieser Vorschriften setzt nach ihrem Wortlaut voraus, dass die Leitungsverlegung für die örtliche Abwasserbeseitigung bzw. Wasserversorgung „erforderlich“ ist. Davon ist in diesem Streitverfahren, in dem es um die Rechtmäßigkeit der erteilten Baugenehmigung und der damit verbundenen Entscheidung für ein einzelnes Gebäude geht, nicht auszugehen. Die Erforderlichkeit der Maßnahmen im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge liegt nämlich nicht schon zur Erfüllung eines Bauwunsches vor, sondern erst bei feststehender Bebaubarkeit bzw. Bebautheit des Grundstücks (vgl. hierzu auch § 4 Abs. 1 WAS, § 5 Abs. 1 EWS). Die Anwendbarkeit der Regelung setzt voraus, dass die hier streitige Baugenehmigung bestandskräftig worden wäre. Dies hat der Kläger mit der Erhebung seiner Klage gerade verhindert.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, Abs. 3 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 709, 711 ZPO.
53
Die Berufung wird nach § 124 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 VwGO zugelassen. Das Urteil weicht von der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. z.B. B.v. 28.8.2008 – 4 ZB 08.1071; B.v. 13.8.2003 – 23 CS 03.1922 – jeweils juris) ab, insoweit es das Leitungsrecht nicht vom dinglich gesicherten Geh- und Fahrtrecht umfasst sieht, und orientiert sich an der zivilgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, U.v. 26.1.2018 – V ZR 47/17 – juris Rn. 15; siehe auch Grziwotz, Umfassende Erschließung bei Geh- und Fahrtre…, in: BayVBl. 2019, 187f.).