Titel:
Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens – Begriff des „Einzelhauses“
Normenketten:
BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 6, § 36 Abs. 1, Abs. 2
BauNVO § 22 Abs. 2
BayBO Art. 2 Abs. 2, Art. 63 Abs. 3, Art. 81 Abs. 1 Nr. 4
Leitsätze:
1. Voraussetzung eines Einzelhauses ist ein Haus, das seitliche Grenzabstände auf dem Grundstück einhält und mithin nicht der geschlossenen Bauweise zuzurechnen ist (§ 22 Abs. 2 S. 1 BauNVO). Die Länge einer derartigen Hausform darf zudem höchstens 50 m betragen (§ 22 Abs. 2 S. 2 BauNVO). Voraussetzung eines Einzelhauses ist in Abgrenzung zum Doppelhaus und zur Hausgruppe, als weitere Hausformen der offenen Bauweise, die Errichtung des Hauses auf einem (einheitlichen) Buchgrundstück. (Rn. 60) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Gemeinde steht kein „Festsetzungserfindungsrecht“ zu. Es besteht ein „Typenzwang“ mit der Folge, dass Festsetzungen eines Bebauungsplans, die in § 9 BauGB iVm der BauNVO keine Rechtsgrundlage finden, unzulässig sind. (Rn. 64) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aus § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB ergibt sich keine Befugnis, die Zahl der Wohnungen für „Einzelhäuser“ zu beschränken. (Rn. 65 – 73) (redaktioneller Leitsatz)
4. Einen etwaigen Verstoß gegen ihre Stellplatzsatzung kann eine Gemeinde nach § 36 Abs. 2 S. 1 BauGB nicht rügen, da es sich bei der Satzung um eine örtliche Bauvorschrift nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 BayBO handelt, die dem Bereich des Bauordnungsrechts zuzurechnen ist. (Rn. 92) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens, Begriff des „Einzelhauses“ in der BauNVO, Abgrenzung der Begriffe „Einzelhaus“ und „Wohngebäude“, inhaltliche Gründe für die Versagung des Einvernehmens, formelle Anforderungen des Ersetzungsverfahrens, Zahl der Wohnungen, Typenzwang, Stellplatzsatzung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 21255
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klägerin ist eine kreisangehörige Gemeinde. Sie wendet sich gegen die Genehmigungen des Beklagten für den Umbau eines Gasthauses zu Wohnungen, mit welchen auch das von ihr versagte, gemeindliche Einvernehmen jeweils ersetzt wurde.
2
Mit am 19. August 2019 bei dem Landratsamt … (im Folgenden: Landratsamt) eingegangenen Formblättern beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für die „Nutzungsänderung des ehemaligen Gasthauses nebst Saalgebäude in Wohnungen und bauliche Änderungen am Gasthof- und Saalgebäude“ auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung … ( … ).
3
Auf dem Baugrundstück befinden sich Bestandsgebäude. Hierbei handelt es sich um ein ehemaliges Gasthaus sowie ein später errichtetes Saalgebäude, samt baulicher Verbindung durch einen Mittelbau. Das ehemalige Gasthaus ist denkmalgeschützt und wird im Denkmalatlas unter der Aktennummer … geführt.
4
Der Gemeinderat der Klägerin hat in der Sitzung vom 9. Mai 2019 beschlossen, den Bebauungsplan Nr. … für das Gebiet „…“ aufzustellen, in dessen Umgriff sich auch das Baugrundstück befindet. In derselben Gemeinderatssitzung wurde der Erlass einer Veränderungssperre für die Dauer von zwei Jahren zur Sicherung der gemeindlichen Planung beschlossen.
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Am 30. April 2020 trat der Bebauungsplan Nr. … für das Gebiet „…“ in Kraft.
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Der Bebauungsplan sieht nach den zeichnerischen Festsetzungen für den maßgeblichen südlichen Bereich des Baugrundstücks ein Mischgebiet nach § 6 BauNVO mit der Bezeichnung „MI2“ vor. Hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung werden für das maßgebliche Gebiet „MI2“ drei Vollgeschosse als Höchstmaß und eine Ausführung des dritten Vollgeschosses als Dachgeschoss sowie eine Grundflächenzahl von 0,6 festgesetzt. Nach Buchst. B, Ziffer 3.2. der textlichen Festsetzungen (Bauweise, Baulinien, Baugrenzen, Stellung der baulichen Anlagen) sind nur Einzelhäuser zulässig. Zudem sind „im MI2 (…) max. 8 Wohneinheiten pro Einzelhaus zulässig“. Nach Buchst. C, Ziffer 1.2. der textlichen Festsetzungen (örtliche Bauvorschriften) ist als Dachform für das Hauptdach ein symmetrisches Satteldach mit mittigem First zulässig. Nach Buchst. C., Ziffer 1.3. der textlichen Festsetzungen (örtliche Bauvorschriften) ist im Gebiet „MI2“ eine Dachneigung von 45° bis 55° zulässig.
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In der Sitzung vom 10. September 2020 verweigerte der Bau- und Umweltausschuss des Gemeinderats der Klägerin zu dem Bauvorhaben (Bauantrag vom 19. August 2019) das gemeindliche Einvernehmen. Mit Schreiben vom 3. Dezember 2020 teilte das Landratsamt der Klägerin unter Begründung der Rechtsauffassung mit, dass es das Bauvorhaben für genehmigungsfähig erachte. Der Klägerin wurde bis zum 11. Januar 2021 die Gelegenheit gegeben, dass gemeindliche Einvernehmen doch noch zu erteilen, da andernfalls eine Ersetzung des Einvernehmens erfolgen müsse. Eine erneute Anhörung des Landratsamts an die Klägerin zur voraussichtlichen Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens datiert auf den 16. Juli 2021. Mit Beschluss des Bau- und Umweltausschusses des Gemeinderats der Klägerin vom 5. August 2021 wurde das Einvernehmen zu dem Bauvorhaben erneut verweigert. Vergleichsweise chronologische Abläufe finden sich ausweislich der Behördenakte auch zu den darauffolgend beantragten Baugenehmigungen.
8
Mit Bescheid vom 2. September 2021 erteilte das Landratsamt der Beigeladenen die Baugenehmigung:
„1. Das Bauvorhaben wird nach Maßgabe der beiliegenden geprüften Bauvorlagen unter den im Anhang abgedruckten Bedingungen und Auflagen, unbeschadet der Rechte Dritter, genehmigt.
2. Das nach § 36 Abs. 1 BauGB erforderliche Einvernehmen der Gemeinde … wird ersetzt (Art. 67 Abs. 1 BayBO).
3. Die Baugenehmigung beinhaltet gleichzeitig die Erlaubnis nach Art. 6 Denkmalschutzgesetz.
4. Von den folgenden Vorschriften werden Befreiungen gewährt:
4.1. Von der Festsetzung des Bebauungsplanes bezüglich Dachform (symm. Walmdach statt symm. Satteldach) wird gemäß § 31 Abs. 2 BauGB eine Befreiung erteilt.
4.2. Von der Festsetzung des Bebauungsplanes bezüglich Dachneigung des Saalgebäudes (34° statt 45°-55°) wird gemäß § 31 Abs. 2 BauGB eine Befreiung erteilt.“
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Hinsichtlich der Begründung des Bescheides wird auf den Bescheid verwiesen.
10
Ausweislich der Bauvorlagen erstreckt sich diese erste Baugenehmigung vom 2. September 2021 auf die gesamte bauliche Anlage, das heißt sowohl auf das Gaststätten- als auch auf das Saalgebäude.
11
Mit am 6. Oktober 2021 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz ließ die Klägerin Klage mit dem Ziel erheben, die Baugenehmigung aufzuheben.
12
Mit Bescheid vom 6. Oktober 2021 änderte das Landratsamt den Bescheid vom 2. September 2021 hinsichtlich der ursprünglichen Auflage Ziffer 24 (Anforderungen an die Eindeckung des Gebäudedaches) ab.
13
Die Klägerin erstreckte ihre Klage mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2021 auf den Bescheid vom 6. Oktober 2021.
14
Auf einen neuen Antrag der Beigeladenen hin, erteilte das Landratsamt mit Bescheid vom 16. Februar 2023 eine weitere Baugenehmigung. Der Bescheid enthält Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplanes zur Dachform und Dachneigung sowie die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens. Ausweislich der Bauvorlagen erstreckt sich der Bescheid vom 16. Februar 2023 ausschließlich auf das Saalgebäude.
15
Die Klägerin erstreckte ihre Klage mit Schriftsatz vom 9. März 2023 auf den Bescheid vom 16. Februar 2023.
16
Auf einen neuen Antrag der Beigeladenen hin, erteilte das Landratsamt mit Bescheid vom 2. November 2023 eine weitere Baugenehmigung. Der Bescheid enthält Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplanes zur Dachform und Dachneigung sowie die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens.
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Ausweislich der Bauvorlagen erstreckt sich der Bescheid vom 2. November 2023 ausschließlich auf das Saalgebäude.
18
Die Bauvorlagen zum Bescheid vom 2. November 2023 tragen Genehmigungsstempel vom 26. Oktober 2023. Die Bauvorlagen sehen für das Saalgebäude eine Ausführung mit Erdgeschoss, ersten Obergeschoss und Spitzboden vor. Im Erdgeschoss befinden sich die Wohneinheiten W11, W12 und W13, welche über zwei Eingänge im Saalgebäude erreichbar sind. Im ersten Obergeschoss und Spitzboden finden sich die Wohneinheiten W14 und W15, welche über einen Eingang im Erdgeschoss des Saalgebäudes sowie eine Treppe im Saalgebäude erreichbar sind. Ausweislich der Grundrisse findet sich in allen Geschossen eine durchgehend geschlossene Wand zu dem Mittelbau und dem dahinterliegenden Gaststättengebäude.
19
Auf neuen Antrag der Beigeladenen hin, erteilte das Landratsamt mit Bescheid vom 27. Februar 2024 eine weitere Baugenehmigung. Der Bescheid enthält die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens.
20
Als „Anlage 6 zur Baubeschreibung“ ist dem Antrag der Beigeladenen ein Stellplatznachweis beigefügt, nach welchem das Gaststättengebäude einen Bedarf von 20 Kfz-Stellplätzen und das Saalgebäude einen Bedarf von 12 Kfz-Stellplätzen auslöst. Auf den Bedarf könnten 21 Kfz-Stellplätze fiktiv aus dem genehmigten Bestand angerechnet werden. Zudem würden 14 Kfz-Stellplätze auf dem Baugrundstück errichtet werden. Der insgesamt erforderliche Bedarf von 32 Kfz-Stellplätzen werde daher mit 35 Kfz-Stellplätzen übererfüllt.
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Ausweislich der Bauvorlagen erstreckt sich der Bescheid vom 27. Februar 2024 ausschließlich auf das Gaststättengebäude.
22
Die Bauvorlagen der Genehmigung vom 27. Februar 2024 tragen Genehmigungsstempel vom 22. Februar 2024. Die Bauvorlagen sehen für das Gaststättengebäude eine Ausführung mit Erdgeschoss, ersten und zweiten Obergeschoss sowie Dachgeschoss vor. Das Gaststättengebäude umfasst nach den Grundrissen acht Wohneinheiten (die Wohneinheiten W1 bis W10, wobei die Einheiten W3 und W9 nicht existieren). Ausweislich der Grundrisse gehören die im Mittelbau befindlichen Wohnräume im ersten und zweiten Obergeschoss sowie Dachgeschoss und die dazugehörigen Terrassen und Balkone allesamt zu Wohneinheiten des Gaststättengebäudes. Zudem findet sich in allen Geschossen eine durchgehend geschlossene Wand zwischen den Mittelbau und dem Saalgebäude.
23
Die Klägerin hat ihre Klage in der mündlichen Verhandlung vom 2. August 2024 auf die Bescheide vom 2. November 2023 und 27. Februar 2024 erstreckt.
24
Vonseiten des Landratsamts wurde gegenüber der Beigeladenen mit Bescheiden vom 24. Januar 2022, 12. Mai 2023 und 29. August 2023 jeweils die Einstellung der Bauarbeiten angeordnet. Die hiesige Beigeladene ließ gegen diese Baueinstellungsanordnungen jeweils Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach erheben. Die Verfahren wurden unter den gerichtlichen Aktenzeichen AN 9 K 24.96 (vormals AN 9 K 22.00378), AN 9 K 23.1203 und AN 9 K 23.1939 geführt. Nachdem die hiesige Beigeladene die Klagen zurückgenommen hatte, wurden die Verfahren jeweils durch Beschluss vom 5. März 2024 eingestellt.
25
Die Klägerin führt zur Begründung ihrer Klage wie folgt aus:
26
Die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens sei rechtswidrig und verletze die Klägerin in eigenen Rechten. Das Bauvorhaben sei unzulässig, da es gegen die textliche Festsetzung Buchst. B., Ziffer. 3.2. des einschlägigen Bebauungsplans sowie gegen die Stellplatzsatzung der Klägerin verstoße.
27
Die Festsetzung im Bebauungsplan zur maximalen Zahl an Wohneinheiten pro Einzelhaus sei wirksam, da sie auf einer tauglichen Rechtsgrundlage beruhe und bestimmt genug sei. Die Klägerin habe sich bereits im Jahr 2019 erstmalig gegen das Bauvorhaben gewandt und versucht, dieses noch vor Inkrafttreten des einschlägigen Bebauungsplans mittels einer Veränderungssperre und der Rückstellung des damaligen Baugesuchs zu verhindern. Der einschlägige Bebauungsplan sei gerade in Kenntnis des Bauvorhabens erlassen worden und solle die vonseiten der Klägerin gewünschte städtebauliche Struktur und Dichte sichern. Die Klägerin habe sich daher mehrfach abschlägig zu dem Bauvorhaben geäußert.
28
Es handele sich vorliegend nicht um zwei funktional selbstständige Wohngebäude, sondern vielmehr um ein einheitliches Wohngebäude, das mit der Gesamtzahl der Wohneinheiten gegen die einschlägige Festsetzung des Bebauungsplans verstoße. Entgegen der Ansicht des Landratsamts sei nicht auf den bauordnungsrechtlichen Gebäudebegriff, sondern auf städtebauliche Gesichtspunkte abzustellen. Demnach wirke der Mittelbau nicht selbstständig. Vielmehr fänden sich hier im Erdgeschoss ein Gas-BHKW zur Versorgung sämtlicher Wohneinheiten mit Wärme und ein einheitlicher Elektroraum für das gesamte Gebäude. Auch bestehe nicht nur eine untergeordnete Verbindung zwischen „Hauptgebäude“ und „Saalgebäude“ mit Aufgängen und Technikräumen, sondern eine unmittelbare Angrenzung von Wohnräumen im ersten Dachgeschoss. Zwischen den Gebäudeteilen bestehe daher ein untrennbarer funktionaler Zusammenhang.
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Zudem liege ein Verstoß gegen die anzuwendende Stellplatzsatzung der Klägerin vom … in der Fassung der 1. Änderungssatzung vom … vor. Die vonseiten des Beklagten in der Auflage Ziffer 15 der Genehmigung festgelegten erforderlichen 32 Kfz-Stellplätze gingen fälschlich davon aus, dass 18 Kfz-Stellplätze aus einem fiktiven Altbestand angerechnet werden könnten. Es sei aber unklar, woraus sich diese 18 Kfz-Stellplätze ergeben würden; vielmehr sei die Anrechnung eines Altbestandes überhaupt nicht möglich.
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Auch die vom Landratsamt erteilten Befreiungen von der Dachform und Dachneigung seien rechtswidrig, da entgegen der Ansicht des Beklagten durch die Befreiungen die Grundzüge der Planung sehr wohl berührt seien.
31
Die Klägerin beantragt zuletzt,
Der Bescheid des Landratsamts … vom 2. September 2021 sowie die Bescheide des Landratsamts … vom 6. Oktober 2021, 16. Februar 2023, 2. November 2023 und 27. Februar 2024 werden aufgehoben.
32
Der Beklagte beantragt,
33
Es würde sich vorliegend um zwei selbstständig zu betrachtende Gebäude handeln, welche für sich die Höchstzahl der Wohnungen aus dem Bebauungsplan jeweils einhalten würden. Was bauplanungsrechtlich ein „Gebäude“ sei, sei nicht gesetzlich definiert. Zwar müsse es sich um einen städtebaulichen Begriff handeln, was aber den Rückgriff auf den bauordnungsrechtlichen Gebäudebegriff nicht per se ausschließe. Maßgeblich sei demnach, dass das Gebäude unabhängig von sonstigen baulichen Anlagen genutzt werden könne. Die bauliche Verbindung mit anderen Anlagen stelle die funktionale Selbstständigkeit nicht in Frage. Dies zeige gerade die Existenz der geschlossenen Bauweise in der Baunutzungsverordnung, bei denen mehrere selbstständige Gebäude baulich miteinander verbunden seien. Der Zwischenbau stelle mit den lediglich gemeinschaftlich genutzten Anlagen wie Heizung und Elektroraum ein trennendes Element dar und könne nichts daran ändern, dass die beiden Gebäude selbstständig zugänglich und nutzbar seien.
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Auch die klägerischen Ausführungen zu der vermeintlichen Rechtswidrigkeit der Befreiungen und zu dem etwaigen Verstoß gegen die Stellplatzsatzung gingen fehl. Auf den neuen Bedarf von 32 Kfz-Stellplätzen könnten 19 fiktive Kfz-Stellplätze angerechnet werden. Das Bauvorhaben weise 14 Kfz-Stellplätze nach und erfülle damit den Stellplatzbedarf. Hierbei sei maßgeblich, dass das Gebäude nach seinem äußeren Erscheinungsbild im Wesentlichen gleichbleibe und es sich daher im Kern um eine Nutzungsänderung, nicht um eine Neuerrichtung handele, sodass eine Anrechnung bisheriger Stellplätze zulässig sei.
35
Die Beigeladene beantragt,
36
Die Klage erweise sich als unbegründet, da das Bauvorhaben bauplanungsrechtlich zulässig und das Landratsamt daher zur Ersetzung des rechtswidrig verweigerten Einvernehmens verpflichtet gewesen sei. Die in Rede stehende Festsetzung des Bebauungsplans sei bereits unwirksam, da sie einer Rechtsgrundlage entbehre. Die Klägerin könne keine Höchstzahl von Wohneinheiten „pro Einzelhaus“ festsetzen, da die Rechtsgrundlage des § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB nur eine höchstzulässige Zahl der Wohnungen in „Wohngebäuden“ erlaube und der Begriff des Einzelhauses zu unbestimmt sei. Zudem sei nicht nachvollziehbar, warum diese Festsetzung im Bebauungsplan unter der Überschrift „Bauweise“ aufgeführt worden sei. Mit der Bauweise könne die Klägerin nur die Zulässigkeit von Einzel-, Doppelhäusern und Hausgruppen festlegen, nicht aber Aussagen über die Zahl der dort zulässigen Wohneinheiten treffen.
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Selbst wenn von einer Wirksamkeit der Festsetzung ausgegangen werde, würde das Bauvorhaben diese Festsetzung einhalten, da es sich um zwei separate Gebäude handele. Der bauordnungsrechtliche Begriff müsse mangels städtebaulicher Definition auch im Bauplanungsrecht herangezogen werden und erfordere eine Überdeckung sowie selbständige Nutzbarkeit. Bauliche Verbindungen zu anderen baulichen Anlagen könnten an dem Gebäudebegriff nichts ändern.
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Die Grundzüge der Planung seien durch die Befreiungen für die Dachneigung und Dachform nicht berührt. Im Wesentlichen werde nur der bisherige Bestand des Daches beibehalten. Zudem sehe Ziffer 6.1. der Begründung zum Bebauungsplan vor, dass Ausnahmen von den Festsetzungen des Bebauungsplans insbesondere für denkmalgeschützte Gebäude erlassen werden könnten.
39
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie Behördenakten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 2. August 2024 verwiesen.
Entscheidungsgründe
40
Streitgegenstand ist die Baugenehmigung des Beklagten in der Fassung der nunmehr geltenden Bescheide vom 2. November 2023 sowie 27. Februar 2024 für den Umbau des ehemaligen Gasthauses mit Saalgebäude zu Wohnungen, mit welchen auch das gemeindliche Einvernehmen ersetzt wurde.
41
Der Streitgegenstand bildet sich nach § 88 VwGO aus dem klägerischen Antrag sowie dem zugrundeliegenden Lebenssachverhalt. Vorliegend begehrt die Klägerin die Aufhebung der Bescheide und rügt deren vermeintliche Rechtswidrigkeit.
42
Hierbei können zulässigerweise nur die Bescheide vom 2. November 2023 und 27. Februar 2024 Prüfungsgegenstand sein, da diese für sich genommen das Bauvorhaben in seiner aktuell genehmigten Gestallt vollständig erfassen.
43
Es vermag dahinstehen, ob die Klage gegen die Bescheide vom 2. November 2023 sowie 27 Februar 2024 aufgrund eines etwaigen Fristversäumnisses gegebenenfalls unzulässig ist.
44
Nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO muss die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden. Ausweislich der in der Gerichtsakte befindlichen Empfangsbestätigung wurde der Klägerin die Genehmigung vom 27. Februar 2024 am 5. März 2024 zugestellt. Auf der Genehmigung vom 2. November 2023 findet sich ein Posteingangsstempel der Klägerin vom 6. November 2023. Die Einbeziehung der Genehmigungen vom 2. November 2023 sowie 27. Februar 2024 in die Klage erfolgte durch die Klägerin jedoch erstmalig in der mündlichen Verhandlung vom 2. August 2024, sodass grundsätzlich von einem Fristversäumnis und einer hiermit gegebenenfalls einhergehenden Unzulässigkeit der Klage ausgegangen werden könnte.
45
Dem entgegen steht allerdings die Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts in der Entscheidung vom 11. November 2020:
„Sind die ursprünglich angefochtene Regelung und die mit der Klageänderung einbezogene Regelung jedoch nach materiellem Recht unteilbar, bedarf es für die Anfechtung der nachträglich einbezogenen Regelung ausnahmsweise keiner erneuten Einhaltung der Klagefrist.
Deshalb kann ungeachtet einer Überschreitung der Klagefrist bei der Einbeziehung des weiteren Bescheides angenommen werden, dass sich sein Abwehrwille unverändert auf die gesamte unteilbare Regelung erstreckt, so dass weder die Behörde noch etwa betroffene Dritte mit dem Eintritt der Bestandskraft des Änderungs- oder Ersetzungsbescheids rechnen können (…)“
(BVerwG, U.v. 11.11.2020 – 8 C 22/19 – beck-online Rn. 16 u. 25).
46
Letztlich vermag eine Entscheidung dieser Frage dahinstehen.
47
Denn die Klage bleibt jedenfalls in der Sache ohne Erfolg und war daher abzuweisen.
48
Gegen die Verletzung des Einvernehmenserfordernisses nach § 36 BauGB kann die Gemeinde Rechtsschutz geltend machen. Wird das erforderliche Einvernehmen von der Bauaufsichtsbehörde nicht eingeholt, kann die Gemeinde auf Herstellung des Einvernehmens klagen. Im Falle einer bereits erteilten Baugenehmigung kann die Gemeinde Anfechtungsklage erheben (BVerwG, U.v. 14.2.1969 – 4 C 215/65 – VerwRspr 1969, 877). Streitgegenstand ist hierbei allerdings nicht der Anspruch des Bauherrn auf die beantragte Genehmigung, sondern allein die von der klagenden Gemeinde verteidigte Rechtsposition (BeckOK BauGB/Hofmeister, 62. Ed. 1.5.2024, BauGB § 36 Rn. 38). Hiermit korrespondiert eine Einschränkung der verwaltungsgerichtlichen Prüfung auf das gemeindliche Prüfprogramm bei der Entscheidung über das Einvernehmen. Die verwaltungsgerichtliche Prüfung ist damit nicht – wie beispielsweise bei der Drittanfechtungsklage des Nachbarn – auf eine etwaige Verletzung subjektiver Rechte der Gemeinde begrenzt (vgl. im Detail: BVerwG, U.v. 1.7. 2010 – 4 C 4/08 – NVwZ 2011, 61 – beck-online Rn. 32). Stattdessen entspricht die gerichtliche Prüfung dem in § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB niedergelegten Umfang der gemeindlichen Prüfung, mithin den sich aus §§ 31, 33-35 BauGB ergebenden Versagungsgründen (Jarass/Kment/Kment, 3. Aufl. 2022, BauGB § 36 Rn. 13 u. 19).
49
Des Weiteren kann sich die Begründetheit der gemeindlichen Klage aus einem Verstoß gegen das in § 36 Abs. 2 BauGB bzw. Art. 67 Abs. 4 BayBO vorgesehene, besondere Verfahren für die Ersetzung des Einvernehmens ergeben (BeckOK BauGB/Hofmeister, 62. Ed. 1.5.2024, BauGB § 36 Rn. 38). In diesem Zusammenhang geschützt ist die Anhörung der Gemeinde durch die nach Landesrecht zuständige Bauaufsichtsbehörde, die Einhaltung der in § 36 Abs. 2 BauGB normierten Fristen, die ausdrückliche und begründete Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens in der Genehmigung sowie die Durchführung eines (gesetzlich erforderlichen) Baugenehmigungsverfahrens als solches (vgl. allgemein: BeckOK BauGB/Hofmeister, 62. Ed. 1.5.2024, BauGB § 36 Rn. 38; vgl. zur Zuständigkeit und Anhörung: OVG Koblenz, U.v. 12.12.2001 – 8 A 11161/01 – NVwZ-RR 2002, 264 – beck-online).
50
Unter Zugrundelegung dieser Anforderungen an die gerichtliche Prüfung stellt sich die gemeindliche Anfechtungsklage als unbegründet dar, da weder ein Verstoß gegen das in § 36 Abs. 2 BauGB bzw. Art. 67 Abs. 4 BayBO normierte Ersetzungsverfahren, noch ein Verstoß gegen die Versagungsgründe des § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB festgestellt werden konnte.
51
I. Die Ersetzung des versagten Einvernehmens erfolgte formell rechtmäßig.
52
Weder ist die Nichteinhaltung des Ersetzungsverfahrens klägerseitig gerügt worden, noch sind der Kammer im Rahmen der Amtsermittlung Umstände bekannt geworden, welche einen Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften begründeten.
53
Im Bescheid vom 2. November 2023 findet sich in Ziffer 6.1. des Tenors die Ersetzung des klägerseitig versagten Einvernehmens. Zu dem zugrundeliegenden Bauantrag verweigerte die Klägerin mit Beschluss des Bau- und Umweltausschusses des Gemeinderats vom 25. Juli 2023 das Einvernehmen. Mit Schreiben des Landratsamts vom 2. Oktober 2023 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass das Landratsamt beabsichtigte, das gemeindliche Einvernehmen zu ersetzen, und der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Daraufhin teilte die Klägerin mit Schreiben vom 13. Oktober 2023 mit, dass das Einvernehmen weiterhin nicht erteilt wird. In der Begründung des Bescheids vom 2. November 2023 finden sich sowohl dieser chronologische Ablauf des Ersetzungsverfahrens als auch die Gründe, welche inhaltlich zur Ersetzung des Einvernehmens geführt haben.
54
Im Bescheid vom 27. Februar 2024 findet sich in Ziffer 6.1. des Tenors die Ersetzung des klägerseitig versagten Einvernehmens. Zu dem zugrundeliegenden Bauantrag verweigerte die Klägerin mit Beschluss des Bau- und Planungsausschusses des Gemeinderats vom 25. Oktober 2023 das Einvernehmen. Mit Schreiben des Landratsamts vom 22. Januar 2024 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass das Landratsamt beabsichtigte, das gemeindliche Einvernehmen zu ersetzen, und der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Daraufhin teilte die Klägerin mit Schreiben vom 21. Februar 2024 mit, dass das Einvernehmen weiterhin nicht erteilt wird. In der Begründung des Bescheids vom 27. Februar 2024 finden sich sowohl dieser chronologische Ablauf des Ersetzungsverfahrens als auch die Gründe, welche inhaltlich zur Ersetzung des Einvernehmens geführt haben.
55
II. Die Klägerin stützt ihre Argumentation hinsichtlich der vermeintlichen Unzulässigkeit des Bauvorhabens im Wesentlichen auf einen Widerspruch der Genehmigungen gegen Buchst. B, Ziffer 3.2. der Festsetzungen des einschlägigen Bebauungsplans.
56
Hiernach sind nur Einzelhäuser zulässig (Satz 1 der Festsetzung). Zudem sind im maßgeblichen Gebiet „MI2“ nur „max. 8 Wohneinheiten pro Einzelhaus“ zulässig (Satz 2 der Festsetzung).
57
Die diesbezügliche Argumentation der Klägerseite kann nach Auffassung der Kammer nicht verfangen. Das Bauvorhaben hält die Festsetzung „nur Einzelhäuser“ ein (siehe Ziffer 1). Die Festsetzung „max. 8 Wohneinheiten pro Einzelhaus“ ist unwirksam (siehe Ziffer 2). Wenn die Festsetzung – so wohl die Argumentation des Klägervertreters – als maximal acht Wohneinheiten je „(Wohn-)Gebäude“ verstanden werden sollte, so würde das Bauvorhaben die Festsetzung ohnehin einhalten (siehe Ziffer 3).
58
1. Das Bauvorhaben hält die Festsetzung „nur Einzelhäuser“ ein.
59
Das „Einzelhaus“ stellt sich im öffentlichen Baurecht als ein Begriff des Städtebaurechts dar, welcher sich in § 22 Abs. 2 BauNVO als Unterfall der offenen Bauweise findet.
60
Voraussetzung eines Einzelhauses ist demnach ein Haus, welches seitliche Grenzabstände auf dem Grundstück einhält, mithin nicht der geschlossenen Bauweise zuzurechnen ist (§ 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO). Die Länge einer derartigen Hausform darf zudem höchstens 50 Meter betragen (§ 22 Abs. 2 Satz 2 BauNVO). Voraussetzung eines Einzelhauses ist des Weiteren in Abgrenzung zum Doppelhaus und zur Hausgruppe, als weitere Hausformen der offenen Bauweise, die Errichtung des Hauses auf einem (einheitlichen) Buchgrundstück. Namentlich nimmt die Rechtsprechung ein Doppelhaus bei baulichen Anlagen an, die auf benachbarten Grundstücken durch Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden (BVerwG, U.v. 24.2.2000 – 4 C 12/98 – NVwZ 2000, 1055 – beck-online; VGH München, B.v. 28.2.2024 – 9 ZB 23.481 – beck-online Rn. 8).
61
Diese (kumulativ zu erfüllenden) Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, sodass es sich bei dem Bauvorhaben um ein Einzelhaus im Sinne des § 22 Abs. 2 BauNVO handelt, welches die gegenständliche Festsetzung des Bebauungsplans einhält.
62
Denn nach den mit Genehmigungsstempeln vom 26. Oktober 2023 (Genehmigung vom 2. November 2023) sowie vom 22. Februar 2024 (Genehmigung vom 27. Februar 2024) genehmigten Plänen stellen sich das Saal- und Gaststättengebäude als ein zusammengebautes Haus dar, welches die seitlichen Grenzabstände auf dem Baugrundstück einhält. Sämtliche Teile des Bauvorhabens befinden sich auch auf dem (einheitlichen) Buchgrundstück FlNr. …, Gemarkung … Zudem überschreitet das Bauvorhaben nicht die zulässige Höchstlänge des § 22 Abs. 2 Satz 2 BauNVO von 50 Metern. Nach dem mit Genehmigungsstempel vom 26. Oktober 2023 versehenen Grundriss Erdgeschoss erstreckt sich das Bauvorhaben auf eine Gesamtlänge von 42,45 Meter (Gaststättengebäude: 20,11 Meter; Mittelbau: 2,52 Meter; Saalgebäude 19,82 Meter).
63
2. Die Festsetzung in Buchst. B, Ziffer 3.2., Satz 2 „max. 8 Wohneinheiten pro Einzelhaus“ ist unwirksam.
64
a) § 9 Abs. 1 BauGB enthält einen abschließenden Katalog für Festsetzungen, welcher durch die Vorschriften der BauNVO über die Baugebietstypen ergänzt bzw. konkretisiert wird. Der Festsetzungskatalog ist wegen der für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Bedeutung der Festsetzungen abschließend. Für eine nicht in diesem Festsetzungskatalog aufgeführte Festsetzung fehlt der Gemeinde mithin die Ermächtigungsgrundlage. Darüber hinaus steht der Gemeinde kein „Festsetzungserfindungsrecht“ zu (BVerwG, U.v. 11.2.1993 – 4 C 18/91 – NJW 1993, 2695 – beck-online). Die Gemeinde darf also in einem Bebauungsplan keine anderen oder darüberhinausgehenden Festsetzungen treffen, selbst wenn diese die Bodennutzung im Sinne des Art. 74 Nr. 18 GG betreffen und damit eine städtebauliche Zielsetzung aufweisen (BVerwG, U.v. 11.2.1993 – 4 C 18/91 – NJW 1993, 2695 – beck-online). Insoweit besteht ein „Typenzwang“ für die Gemeinde, mit der Folge, dass Festsetzungen, die in § 9 BauGB i.V.m der BauNVO keine Rechtsgrundlage finden, unzulässig sind (siehe zu alledem: BeckOK BauGB/Spannowsky, 62. Ed. 1.10.2023, BauGB § 9).
65
Der für die streitgegenständliche Festsetzung nach der Begründung des Bebauungsplans sowie dem Sachvortrag der Klägerin herangezogene § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB erlaubt in Bebauungsplänen aus städtebaulichen Gründen „die höchstzulässige Zahl der Wohnungen in Wohngebäuden“ festzusetzen.
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Dem entspricht die vonseiten der Klägerin getroffene Festsetzung „max. 8 Wohneinheiten pro Einzelhaus“ nicht. Die Festsetzung geht stattdessen über den Wortlaut des § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB hinaus und findet daher keine Rechtsgrundlage.
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Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Anforderungen hat auch der Bayer. Verwaltungsgerichtshof eine auf § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB gestützte Festsetzung für unwirksam erklärt, welche nicht auf den Begriff des „Wohngebäudes“ abstellte:
„Nach § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB kann aus städtebaulichen Gründen die höchstzulässige Zahl der Wohnungen in „Wohngebäuden“ festgesetzt werden. Dem wird die Festsetzung B.1.1 nicht gerecht, weil sie ihrem Wortlaut nach die Zahl der Wohnungen „je Einzelgrundstück“ bzw. „je Doppelhausgrundstück“ regelt. (…) Da auf einem Grundbuchgrundstück mehrere Einzelhäuser und/oder Doppelhäuser errichtet werden können und die Festsetzung B.1.1 auch nicht lediglich das Verhältnis von Wohnungszahl und Grundstücksfläche regelt, ist die auf die Grundstücke abstellende Festsetzung über die höchstzulässige Zahl der Wohnungen nicht durch § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB gedeckt; auch ist für den Bauwilligen nicht erkennbar, wieviel „Wohnungen in Wohngebäuden“ er auf seinem Grundstück errichten darf (…). Die grundstücksbezogene Festsetzung B.1.1 lässt zudem unberücksichtigt, dass auf den „Einzel(haus) grundstücken“ oder „Doppelhausgrundstücken“ im allgemeinen Wohngebiet nicht nur Wohngebäude errichtet werden können (vgl. § 4 Abs. 2 und 3 BauNVO). Für andere als Wohngebäude kommt aber eine Beschränkung der Zahl der Wohnungen auf Grundlage des § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB nicht in Betracht (…).“ (VGH München, U.v. 28.2.2018 – 9 N 14.2266 – beck-online Rn. 57)
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b) Die Unwirksamkeit der Festsetzung mangels tauglicher Rechtsgrundlage ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass die Begriffe „Wohngebäude“ und „Einzelhaus“ im öffentlichen Baurecht einen unterschiedlichen Inhalt aufweisen.
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Entgegen dem städtebaulichen Begriff des Einzelhauses als Unterform der offenen Bauweise im Sinne des § 22 Abs. 2 BauNVO stellt sich das „Gebäude“ mangels städtebaulicher Definition als ein bauordnungsrechtlicher Begriff dar.
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Nach der Definition des Art. 2 Abs. 2 BayBO sind Gebäude selbstständig benutzbare, überdeckte bauliche Anlagen, die von Menschen betreten werden können. Entgegen dem Begriff des Einzelhauses kommt es daher für den Begriff des Gebäudes auf eine Selbstständigkeit der baulichen Anlage und damit auf eine Abgrenzung zu anderen Anlagen sowie auf eine selbstständige Nutzbarkeit an.
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Das OVG Greifswald führt zu der Unterscheidung von Einzelhaus und Gebäude zutreffend aus:
„Die beiden Objekte sind jedoch Einzelhäuser im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 BauNVO. Hierfür reicht aus, dass es sich um Gesamtbaukörper von höchstens 50 m Länge handelt, die die seitlichen Grenzabstände einhalten. Dabei kann jeder Baukörper aus mehreren selbstständig benutzbaren baulichen Anlagen bestehen; (…)“
(OVG Greifswald, B.v. 16.04.2012 – 3 L 156/08 – NordÖR 2012, 452, 453 – beck-online).
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Vergleichbare Aussagen finden sich ebenso in der Kommentarliteratur:
„Ein solchermaßen auf einem Grundstück stehendes „Gesamtgebäude“ ist somit auch dann ein Einzelhaus iSv § 22, wenn es baulich aus mehreren Gebäuden im engeren Sinne besteht. Einzelhaus kann also ein Einfamilienhaus, ein mehrgeschossiger Wohnblock oder ein Hochhaus sein, soweit nur die nach § 22 Abs. 2 Satz 2 höchstzulässige Seitenlänge von 50 m nicht überschritten wird (…)“
(BeckOK/BauNVO/Hornmann § 22 BauNVO, Rn. 33 – beck-online)
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Dass die Klägerin nicht befugt war, die Zahl der Wohnungen für „Einzelhäuser“ zu beschränken, zeigt sich gerade in dem vorliegenden Fall, in welchem sich das Bauvorhaben als ein Einzelhaus im Sinne des Städtebaurechts darstellt, welches jedoch aus zwei Wohngebäuden besteht. Die Klägerin hat sich damit gerade – über den Wortlaut des § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB hinausgehend und damit ohne Ermächtigungsgrundlage – die Befugnis zu eigen gemacht, für Bauvorhaben eine Höchstzahl an Wohnungen zu definieren, welche aus mehreren Gebäuden bestehen (können).
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Dass es sich bei dem Bauvorhaben um zwei Wohngebäude handelt, ergibt sich aus den genehmigten Plänen vom 26. Oktober 2023 sowie 22. Februar 2024.
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Namentlich weisen das Gaststättengebäude mit dem Mittelbau einerseits und das Saalgebäude andererseits eine bauliche Trennung auf. So findet sich in sämtlichen dargestellten Geschossen (Erdgeschoss, 1. und 2. Obergeschoss sowie Dachgeschoss) eine vollständig geschlossene (Brand-)Wand zwischen dem Mittelbau und dem Saalgebäude. Zudem gehören sämtliche Räume im 1. und 2. Obergeschoss sowie im Dachgeschoss des Mittelbaus zu Wohneinheiten des Gaststättengebäudes (1. Obergeschoss: Schlafzimmer und Dachterrasse von W5; 2. Obergeschoss: Esszimmer und Balkon von W8; Dachgeschoss: Dachterrasse von W10). Auch aus dem im Erdgeschoss des Mittelbaus befindlichen Elektro- und Heizungsraum, welcher nach der Baubeschreibung der Versorgung des gesamten Bauvorhabens dient, ergibt sich nichts anderes. So finden sich (insbesondere in innerstädtischen Gebieten) häufig einheitliche Heizungsanlagen für die Versorgung einer Vielzahl von Treppenaufgängen, manchmal gar für ganze Straßenzüge.
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Zudem ist das Saalgebäude auch selbstständig nutzbar. Die fünf dort befindlichen Wohneinheiten sind abgegrenzt. Die Wohneinheiten sind durch zwei Eingänge im Erdgeschoss (ein Eingang für die W13 und ein Eingang für die W11, W12, W14 und W15) selbstständig begehbar, ohne dass die Nutzer der Wohneinheiten hierfür den Mittelbau oder das Gaststättengebäude betreten müssten.
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c) Auch die Argumentation der Klägerseite, im geltenden Mischgebiet seien auch andere Gebäude als Wohngebäude zulässig und die Klägerin habe ein Interesse daran, der schleichender Umwandlung des Baugebietstypus entgegenzuwirken, kann nicht verfangen.
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Denn zwar ist zutreffend, dass nach der Begründung des „Entwurfs eines Gesetzes über das Baugesetzbuch“ die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB gerade auch eingeführt wurde, um der schleichenden Umwandlung gemischtgenutzter Baugebiete der BauNVO (seinerzeit nur Mischgebiet und Dorfgebiet) durch ein Übermaß an neu entstehender Wohnbebauung entgegenzuwirken. So wird dort unter anderem wie folgt ausgeführt:
„Die städtebauliche Notwendigkeit für solche Festsetzungen kann sich insbesondere in solchen Gebieten ergeben, in denen durch Begrenzung der Zahl der zulässigen Wohnungen unerwünschte Umstrukturierungen der städtebaulichen Eigenart des Gebiets verhindert werden sollen, andererseits jedoch Beschränkungen hinsichtlich des zulässigen Maßes der Nutzung unverhältnismäßig wären. Solche Festsetzungen können namentlich in Baugebieten in Betracht kommen, die Fremdenverkehrsaufgaben erfüllen, und in Dorfgebieten, wenn es durch Einrichtung einer größeren Zahl von Wohnungen in Gebäuden – unter Einhaltung des zulässigen Bauvolumens – und auf diese Weise durch ein Überhandnehmen von Wohnungen zu Beeinträchtigungen der städtebaulichen Funktion des Gebietes kommen würde.“
(BT-Drs. 10/4630, Seite 72)
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Allerdings kann der Gefahr der schleichenden Umwandlung des Baugebiets auch mit der Festsetzung einer maximalen Zahl von Wohnungen in „Wohngebäuden“ (nicht in „Einzelhäusern“) entgegengewirkt werden. Die ober- und höchstgerichtliche Rechtsprechung hat namentlich festgestellt, dass derartige Festsetzungen sich auch auf gemischtgenutzte Gebäude erstrecken (können), soweit dies vom Plangeber gewollt und die Wohnnutzung in den betroffenen Gebäuden nicht vollständig untergeordnet ist (BVerwG, U.v. 8.10.1998 – 4 C 1/97 – NVwZ 1999, 415 – beck-online; VGH München, U.v. 13.4. 2006 – 1 N 04.3519 – KommJur 2007 Heft 02, 69 – beck-online).
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Für die – über den Wortlaut des § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB hinausgehende und daher unwirksame – Festsetzung der Klägerin besteht daher in der konkreten Gestalt auch kein praktisches Bedürfnis.
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3. Wenn die Festsetzung – so wohl die Argumentation des Klägervertreters – als maximal acht Wohneinheiten pro „(Wohn-)Gebäude“ verstanden werden sollte, so würde das Bauvorhaben die Festsetzung einhalten.
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Hierbei ist zu betonen, dass die Kammer die Auffassung, dass die Festsetzungen in den Sätzen 1 und 2 des Buchst. B, Ziffer 3.2. hinsichtlich des Begriffs des „Einzelhauses“ unterschiedlich auszulegen seien, nicht teilt.
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Ungeachtet dessen, dass es sich bei einem solchen Normverständnis um eine für den Adressaten nicht nachvollziehbare (und auch aus der Begründung des Bebauungsplans nicht ableitbare) Unterscheidung handelt und daher die Festsetzung bereits hinsichtlich seiner Bestimmtheit erheblichen Zweifel begegnet, wäre die Festsetzung bei einem derartigen Verständnis eingehalten.
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Denn nach den mit Genehmigungsstempeln vom 26. Oktober 2023 (Genehmigung vom 2. November 2023) sowie vom 22. Februar 2024 (Genehmigung vom 27. Februar 2024) genehmigten Plänen befinden sich im Gaststättengebäude acht Wohneinheiten (Wohneinheiten W1 bis W10, wobei die Einheiten W3 und W9 nicht mehr existieren) und im Saalgebäude fünf Wohneinheiten (Wohneinheiten W11 bis W15). Eine festgesetzte Höchstzahl von acht Wohneinheiten je (Wohn-)Gebäude würde das Bauvorhaben demnach ohnehin einhalten.
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Ebenfalls nicht zu verfangen vermag die Begründung der Klägerin, die erteilten Befreiungen hinsichtlich der Dachform und der Dachneigung seien rechtswidrig.
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Nach § 31 Abs. 2 BauGB können von den Festsetzungen eines Bebauungsplans Befreiungen erteilt werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, ein Befreiungsgrund der Ziffern 1 bis 3 vorliegt und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
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Das Landratsamt hat sich in den Bescheiden vom 2. September 2021, 16. Februar 2023 sowie 2. November 2023, in denen Befreiungen erteilt worden sind, jeweils mit den Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB auseinandergesetzt und das der Bauaufsichtsbehörde eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Ermessensfehler sind der Kammer – bei der nach § 114 VwGO eingeschränkten Prüfdichte von behördlichen Ermessensentscheidungen – nicht ersichtlich.
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Die Erteilung der Befreiungen dient sowohl den Wohnbedürfnissens der Bevölkerung (Befreiungsgrund des § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB) als auch dem Erhalt des bestehenden Daches (Befreiungsgrund des § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB). Die im Tenor der Bescheide vom 2. September 2021, 16. Februar 2023 sowie 2. November 2023 erteilten Befreiungen entsprechen hinsichtlich der Dachneigung und der Dachform auch jeweils den genehmigten Plänen.
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Dass durch die Erteilung der Befreiungen die Grundzüge der Planung berührt sein könnten, ist für die Kammer nicht erkennbar. Namentlich ordnet der Bebauungsplan die Festsetzung mit der Auflistung unter Buchst. C. den örtlichen Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO zu. Die Art der baulichen Nutzung, bei deren Dispens die Grundzüge der Planung regelmäßig berührt sind, ist durch die Befreiungen gerade nicht betroffen. Auch die Begründung des Bebauungsplans legt nicht nahe, dass die Klägerin die Dachform und Dachneigung mit gehörigem (städtebaulichen) Gewicht bei der Planung versehen haben wollte. So wird die Dachneigung überhaupt nicht und die Dachform nur knapp unter Ziffer 6.1. der Begründung des Bebauungsplans angesprochen. Vielmehr ist der Beigeladenen zuzugeben, dass nach der Begründung des Bebauungsplans unter Ziffer 6.1. Ausnahmen von den Festsetzungen gerade für historische, ortsbildprägende und denkmalgeschützte Gebäude ermöglicht werden sollten.
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Die klägerseitig angeführte Stellplatzproblematik stellt keinen Aspekt dar, welchen die Klägerin im Rahmen des versagten Einvernehmens zulässig rügen könnte.
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Denn wie eingangs dargelegt, korrespondiert die gerichtliche Prüfungsdichte mit dem in § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB niedergelegten Umfang der gemeindlichen Prüfung bei der Entscheidung über das Einvernehmen, mithin mit den sich aus §§ 31, 33-35 BauGB ergebenden Versagungsgründen.
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Die vonseiten der Klägerin angeführten Einwände zu dem Stellplatzbedarf des Bauvorhabens stellen jedoch keine Frage der §§ 31, 33-35 BauGB oder des Bauplanungsrechts im Allgemeinen dar. Einen etwaigen Verstoß gegen ihre Stellplatzsatzung kann die Klägerin nach § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB stattdessen nicht rügen, da es sich bei der Satzung um eine örtliche Bauvorschrift nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 BayBO handelt, welche dem Bereich des Bauordnungsrechts zuzurechnen ist.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 63 Abs. 3 Satz 2 BayBO, nach welchem die untere Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von örtlichen Bauvorschriften im Einvernehmen mit der Gemeinde zulässt. Denn vorliegend erteilte das Landratsamt keine Abweichung von der gemeindlichen Stellplatzsatzung, sondern hat die Satzung lediglich angewendet. Der als „Anlage 6 zur Baubeschreibung“ bezeichnete Stellplatznachweis zur Genehmigung vom 27. Februar 2024, welcher bei Anwendung der gemeindlichen Stellplatzsatzung für das Bauvorhaben auf einen Bedarf von 32 Kfz-Stellplätzen kommt und für den Nachweis eine fiktive Anrechnung von 21 Kfz-Stellplätzen sowie eine tatsächliche Errichtung von 14 Kfz-Stellplätzen ausgeht, spricht ebenfalls für eine Anwendung der Stellplatzsatzung durch das Landratsamt und nicht für die Erteilung einer Abweichung im Sinne des Art. 63 Abs. 3 Satz 2 BayBO. Es sind der Kammer auch keine anderen Umstände erkennbar, welche für eine Abweichungsentscheidung nach Art. 63 Abs. 3 Satz 2 BayBO (gegebenenfalls in Form eines „versteckten Dispenses“) sprechen könnten.
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Nach alledem war die Klage als unbegründet abzuweisen, da weder ein Verstoß gegen das in § 36 Abs. 2 BauGB bzw. Art. 67 Abs. 4 BayBO normierte Ersetzungsverfahren, noch ein Verstoß gegen die Versagungsgründe des § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB festgestellt werden konnte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Kosten der Beigeladenen trägt die Klägerin, da sich die Beigeladene durch die Antragstellung einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.