Titel:
Asyl, Drittstaatenbescheid, Griechenland: Keine existentielle Gefährdung eines jungen arbeitsfähigen Mannes
Normenkette:
AsylG §§ 29 Abs. 1 Nr. 2
Leitsatz:
Von einer Lage einer einem anerkannt Schutzberechtigten in Griechenland generell und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verelendung ist nach den dem Gericht zur Verfügung stehenden aktuellen Erkenntnismitteln unter Zugrundelegung dieser Rechtslage nicht auszugehen. Dies gilt jedenfalls für nicht vulnerable Personen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anerkannter (junger, gesunder, lediger Mann) in Griechenland (Berücksichtigung BFA vom 21.6.2024, Fortbestehen von HELIOS-Programm), Bett Brot Seife, in Griechenland anerkannter Flüchtling, Helios-Programm, neue Erkenntnismittel
Fundstelle:
BeckRS 2024, 21252
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine asylrechtliche Abschiebungsandrohung nach Griechenland.
2
Der ... geborene, ledige Antragsteller kommt aus Gaza, ist arabischer Volkszugehörigkeit und ungeklärter Staatsangehörigkeit. Er reiste nach seinen Angaben am 25. Juli 2023 aus Gaza aus und über Ägypten und die Türkei nach Griechenland, wo er internationalen Schutz zuerkannt bekommen hat. Von dort reiste er im Januar 2024 weiter bis Deutschland und stellte beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 2. Februar 2024 einen förmlichen Asylantrag.
3
Eine EURODAC-Abfrage des Bundesamts ergab einen Treffer der Kategorie 2 für Griechenland für den 3. August 2023, einen Treffer der Kategorie 1 für den 7. August 2023 und einen Treffer Schutzgewährung für den 21. September 2023.
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Bei Anhörungen zur Klärung der Zulässigkeit des Asylantrags bzw. zur Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland für den Asylantrag am 2. Februar 2024 und am 8. März 2024 und bei seiner Anhörung nach § 25 AsylG vom 8. März 2024 gab der Antragsteller an, am 2. August 2023 nach Griechenland und am 10. Januar 2024 nach Deutschland eingereist zu sein. Er habe Abitur und in Gaza als Fischer gearbeitet. In Griechenland sei er zuerst auf der Insel Kos gewesen, dann in Athen und auf Kreta. Er habe in Griechenland keinerlei Unterstützung erhalten, die wirtschaftliche Lage dort sei schlecht. Er habe keine Arbeit und keine Unterkunft gehabt und als Obdachloser auf der Straße gelebt. Er sei gesund.
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Mit Bescheid vom 28. Juni 2024, dem Antragsteller zugestellt am 9. Juli 2024, lehnte das Bundesamt den Antrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 2), forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Frist von einer Woche zu verlassen und droht ihm widrigenfalls die Abschiebung nach Griechenland an; in sein Herkunftsland dürfe er jedoch nicht abgeschoben werden (Ziffer 3). Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung wurde bis zum Ablauf der Klagefrist bzw. bis zur Bekanntgabe einer ablehnenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Eilverfahren ausgesetzt (ebenfalls Ziffer 3). Weiter ordnete das Bundesamt ein gesetzliches Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete dieses auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4).
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Hiergegen erhob der Antragsteller am 12. Juli 2024 durch seine Prozessbevollmächtigte Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach und beantragte gem. § 80 Abs. 5 VwGO, den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die in Ziffer 5 des Bundesamtsbescheids vom 28. Juli 2024 enthaltene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung anzuordnen.
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Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 17. Juli 2024, den Antrag abzulehnen.
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Mit Schriftsatz vom 24. Juli 2024 berief sich die Antragstellerseite auf die Gefahr der Verelendung des Antragstellers in Griechenland, wo er arbeitslos und obdachlos gewesen sei. Der Zugang zu Sozialleistungen sei für ihn faktisch ausgeschlossen, weil es ihm an einem legalen Voraufenthalt fehle und ein Adressnachweis nicht erbringbar sei. Seit dem 1. Januar 2024 sei auch das HELIOS-Programm komplett geschlossen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.
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Der nach seinem klar erkennbaren Begehren als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes vom 28. Juni 2024 auszulegende Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, aber unbegründet und deshalb abzulehnen.
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1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig. Er ist statthaft, da der Klage gegen die Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1, § 38 Abs. 1 Halbs. 2, § 36 Abs. 3 Asyl keine aufschiebende Wirkung zukommt und der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO damit der zur Verhinderung der Abschiebung notwendige Rechtsbehelf ist. Er ist auch fristgerecht innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids, § 36 Abs. 3 AsylG, gestellt worden.
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2. Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil ernstliche Zweifel i.S.v. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG an der Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsandrohung nicht bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen vor, wenn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris).
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a) Nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG – der Art. 33 Abs. 2 lit. a der RL 2013/32/EU (Verfahrens-RL) in nationales Recht umsetzt – ist ein Asylantrag dann unzulässig, wenn ein Asylantragsteller in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union bereits als international Schutzberechtigter anerkannt worden ist. In der Folge ist eine Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG dorthin veranlasst. Dies ist hier in Bezug auf Griechenland der Fall.
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Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dem die nationale Rechtsprechung folgt, ist hiervon zwar dann eine Ausnahme zu machen, wenn die Lebensverhältnisse, die den Schutzberechtigten in diesem Land erwarten, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh zu erfahren (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – juris; s.a. schon EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris, BayVGH, U.v. 4.3.2023 – 24 B 22.30376 – juris Rn. 18 ff.; VGH BW, B.v. 27.5.2019 – A 4 S 1329/19 – juris Rn. 5). Ist dies der Fall, steht der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens innerhalb des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, der auch und gerade bei der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 lit. a Verfahrens-RL gilt, nicht entgegen (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 80 ff.; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 83 ff.; s.a. Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, Art. 4 GRCh Rn. 3). Allerdings liegt die Schwelle der in einem Mitgliedsstaat gegebenenfalls existierenden Funktionsstörungen nach der Rechtsprechung sehr hoch. Diese ist erst erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaates zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden (keine Gewährleistung von „Bett, Brot und Seife“, vgl. VGH BW, B.v. 27.5.2019 – A 4 S 1329/19 – juris Rn. 5) und dadurch ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt ist oder sie einem Zustand der Verelendung ausgesetzt wird; dies wäre mit der Menschenwürde unvereinbar (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – juris Rn. 39; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90). Eine – auch starke – Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person, etwa durch einen reduzierten Umfang von existenzsichernden Leistungen und große Armut, genügen hierfür hingegen nicht (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – juris Rn. 39; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 91; BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – juris; B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris, BayVGH, B.v. 27.9.2023 – 24 B 22.30953 – juris; kürzlich: U.v. 4.3.2024 – 24 B 22.30376 – juris; U.v. 21.3.2024 – 24 B 23.30860 – juris; U.v. 28.3.2024 – 24 B 22.31136 – juris). Ebenso wenig sind Mängel bei der Durchführung von Integrationsprogrammen (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 94, 96) ausreichend.
15
Bei der Bewertung der Lebensverhältnisse, die den Betroffenen im Falle seiner Rückkehr in dem Mitgliedstaat erwarten, sind zunächst seine Möglichkeiten, den Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu sichern, zu berücksichtigen. Dabei ist es dem Betroffenen auch zumutbar, eine wenig attraktive und seiner Vorbildung nicht entsprechende Arbeit auszuüben, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entspricht und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise während der Touristensaison, ausgeübt werden kann, selbst wenn es sich um Tätigkeiten in der sog. Schatten- oder Nischenwirtschaft handelt (BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93/21 – juris Rn. 25; U.v. 23.9.2020 – 1 C 27/19 – juris Rn 32; EuGH, U.v. 2.10.2019 – C-93/18 – juris Rn. 48; BayVGH, B.v. 27.9.2023 – 24 B 22.30953 – juris; U.v. 4.3.2024 – 24 B 22.30376 – juris; U.v. 21.3.2024 – 24 B 23,30860 – juris; U.v. 28.3.2024 – 24 B 22.31136 – juris). Bei der Bewertung sind ferner die staatlichen Unterstützungsleistungen und auch die – alleinigen oder ergänzenden – dauerhaften Unterstützungs- oder Hilfeleistungen von vor Ort tätigen nichtstaatlichen Institutionen und Organisationen zu berücksichtigen (BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 3.21 – juris Rn. 23 ff.). Deshalb kann etwa der Umstand, dass der betreffenden Person ein Schlafplatz in einer von Kirchen, Nichtregierungsorganisationen oder Privatpersonen gestellten Notunterkunft oder in einer staatlich geduldeten „informellen Siedlung“ zur Verfügung steht, genügen, sofern die Räumlichkeit Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lässt (BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93/21 – juris Rn. 14 mit Verweis auf VGH BW, B.v. 8.11.2021 – A 4 S 2850/21 – juris Rn. 10; vgl. ferner BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 3.21 – juris Rn. 22). Zumutbar ist es überdies, im Land übliche und geduldete, wenn auch „krumme“ Wege anzuwenden, beispielsweise (Schein-)Meldeadresse käuflich zu erwerben und anzugeben, um die bürokratischen Voraussetzungen für ein Fortkommen in Sachen Arbeit oder Wohnung zu erreichen (BayVGH, U.v. 28.3.2024 – 24 B 22.31136 juris Rn. 39).
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b) Von einer Lage einer einem anerkannt Schutzberechtigten in Griechenland generell und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verelendung ist nach den dem Gericht zur Verfügung stehenden aktuellen Erkenntnismitteln unter Zugrundelegung dieser Rechtslage nicht auszugehen. Dies gilt jedenfalls für nicht vulnerable Personen; um eine solche handelt es sich bei dem jungen und arbeitsfähigen Antragsteller. Die Lage stellt sich für anerkannt Schutzberechtigte in Griechenland wie folgt dar:
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Bei der Ankunft am Athen International Airport – dem Zielflughafen sämtlicher Rückführungen nach Griechenland – werden den Rückkehrern meist keine Informationen zur Verfügung gestellt (Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], Griechenland als „sicherer Drittstaat“, 11.8.2023, S. 6). Die Erteilung eines Aufenthaltstitels geht mit bürokratischen Hindernissen und zeitlichen Verzögerungen einher. So genügt ein bestandskräftiger Anerkennungsbescheid der griechischen Behörden, mit dem internationaler Schutz zuerkannt wird, für sich genommen nicht, um eine Aufenthaltserlaubnis beantragen zu können. Zusätzlich erforderlich ist ein sogenannter „ADET-Bescheid“, der häufig, aber nicht immer zusammen mit dem Anerkennungsbescheid zugestellt wird. Bei dem ADET-Bescheid handelt es sich um einen Bescheid des zuständigen Regionalbüros der Asylbehörde, durch den die Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis angewiesen wird. Verfügt der Anerkannte über keinen ADET-Bescheid, muss er einen Termin beim zuständigen Regionalbüro der Asylbehörde vereinbaren, um sich den ADET-Bescheid ausstellen zu lassen. Per Email kann ein Termin zur Abnahme eines Fingerabdrucks beantragt werden. Die Antwort hierauf dauert zwischen zwei Wochen und zwei Monaten. Nach Abnahme der Fingerabdrücke kann es bis zum tatsächlichen Erhalt der Aufenthaltserlaubnis (Residence Permit Card – RPC) nochmals drei bis acht Monate dauern. Die Ausstellung der RPC erfolgt durch die griechische Polizei. Die RPC wird dabei auf das – in der Vergangenheit liegende – Datum des ADET-Bescheides datiert, ist bei anerkannten Flüchtlingen drei Jahre, bei subsidiär Schutzberechtigten ein Jahr (nach Verlängerung zwei Jahre) gültig und geht durch Ausreise und spätere Wiedereinreise nach Griechenland nicht verloren. Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis muss 30 Tage vor Ablauf beantragt werden, ansonsten droht eine Strafe von 100 EUR (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich [BFA], Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Griechenland, Version 8 vom 21.6.2024, S. 24). Eine unbegründete Verspätung des Antrags auf Verlängerung kann dazu führen, dass diese abgelehnt wird (SFH, a.a.O., S. 7).
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Was Hilfsangebote angeht, existiert mit dem Programm „Hellenic Integration Support for Beneficiaries of International Protection“ (HELIOS) ein offizielles Integrationsprogramm für international Schutzberechtigte mit festem Wohnsitz. Die Laufzeit des HELIOS-Programms wird jeweils befristet festgesetzt (zuletzt bekannt bis 30. Juni 2024), wird aber regelmäßig, teilweise jedoch mit kürzeren Unterbrechungen aufgrund Finanzschwierigkeiten, verlängert, BFA, a.a.O., S. 27). Von einer kompletten und endgültigen Einstellung des HELIOS-Programms zum Jahresende 2023 (so Antragstellerseite aufgrund einer undatierten Information des Flüchtlingsrates NRW mit dem Titel „Anerkannte Flüchtlinge in Griechenland erhalten nach erneuter Unterbrechung des HELIOS-Programms nicht einmal mehr minimale Unterstützung“) ist nicht auszugehen. HELIOS unterstützt u.a. bei der Suche nach einer eigenständigen Unterkunft und Arbeitsstelle. Ebenso werden Mietzuschüsse für zwölf Monate zu Wohnkosten gewährt. Auch werden Integrationskurse angeboten und diverse Arbeitsmarktmaßnahmen. HELIOS richtet sich grundsätzlich nur an international Schutzberechtigte, die nach dem 1. Januar 2018 anerkannt wurden und zum Zeitpunkt der Zustellung ihres Anerkennungsbescheides in einem Empfangs- und Identifikationszentrum (RIC) oder in Unterkünften von Schutzprogrammen von Behörden oder NGOs für vulnerable Personen untergebracht waren (BFA,, S. 28 f.; Schweizerische Eidgenossenschaft [SEM], Notiz Griechenland, Unterbringungsmöglichkeiten für Personen mit internationalem Schutzstatus, 24. Oktober 2022, S. 8). Die Einschreibung in HELIOS und der dokumentierte Antrag auf Unterstützung müssen zudem innerhalb von zwölf Monaten ab offizieller Benachrichtigung über den positiven Asylbescheid erfolgen (SEM, a.a.O., S. 9). Für etwaige Rückkehrer aus dem Ausland ist die Teilnahme offiziell zwar nicht möglich, praktisch werden Aus- bzw. Wiedereinreise aber nicht überprüft. Bewerben können sich zudem nunmehr auch Personen, welche die Zulassungskriterien nicht erfüllen. Ihre Anträge werden im direkten Austausch mit HELIOS-Mitarbeitenden ad hoc geprüft (BFA, a.a.O, S. 28).
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Daneben gibt es einen „Helpdesk für soziale Integration“ des Ministeriums für Migration und Asyl, der Personen mit internationalem Schutz bei der Beantwortung von Fragen zur sozialen Integration wie beispielsweise zu Griechisch-Sprachkursen, zu Arbeitsberatung, Wohnungssuche und Erteilung einer Steueridentifikationsnummer unterstützten soll (BFA, a.a.O., S. 32). In mehreren Städten bestehen sog. Migrantenintegrationszentren (KEMs), die als Zweigstellen der Gemeinschaftszentren dienen und Information und Beratung, Kurse der griechischen Sprache und Kultur sowie Hilfe beim Zugang zum Arbeitsmarkt durch Kooperation mit den lokalen Behörden anbieten. Das Programm richtet sich an Asylbewerber, legal aufhältige Drittstaatsangehörige und Personen mit internationalem Schutzstatus, die Inhaber des ADET-Aufenthaltstitels sind (BFA, a.a.O., S. 29).
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Seit Ende 2021 steht mit dem in Kooperation von UNHCR, Catholic Relief Services (CRS), Caritas Hellas und der UN Refugees Agency geführten Projekt „ADAMA“ ein weiteres Programm zur Verfügung, dass bei der Arbeitssuche und bei Behördenwegen, zum Erhalt der Sozialversicherung, Bankkonten, Steuernummer, Wohnungen etc. unterstützen soll (vgl. BFA, a.a.O., S. 16). Weiter wird berichtet, dass zivilgesellschaftliche Organisationen, Berufsbildungszentren, Universitäten und im Speziellen die Athener Stadtverwaltung Sprachkurse anbieten würden (ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus, S. 27). Auch stellen weitere Anbieter wie GCR-Pyxida, NGO APOSTOLI, das griechische Rote Kreuz Sprach- und Integrationskurse bereit (BFA, a.a.O., S. 32).
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Hinsichtlich des Zugangs zu einer Unterkunft gilt für anerkannte Schutzberechtigte der Grundsatz der Inländergleichbehandlung mit griechischen Staatsangehörigen (vgl. BFA, a.a.O., S. 26). Da es in Griechenland kein staatliches Programm für Wohnungszuweisungen an Inländer gibt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Bayreuth vom 21.8.2020, S. 1), entfällt dies auch für anerkannt Schutzberechtigte. Spezifische Wohnangebote für Personen mit internationalem Schutzstatus gibt es von staatlicher Seite nicht (BFA, a.a.O., S. 27). Das von der EU finanzierte Unterkunftsprogramm ESTIA (Emergency Support to Integration and Accommodation) wurde am 31. Dezember 2022 eingestellt (BFA, a.a.O., S. 27), jedoch nehmen die offenen Unterkünfte, die eigentlich für Asylbewerber vorgesehen sind, manchmal – offiziell – auch Personen auf, die bereits internationalen Schutz genießen und in den offenen Unterkünften ankommen und eine Unterkunft suchen (BFA, a.a.O., S. 17).
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Das Anmieten von Wohnungen auf dem freien Markt ist durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte oder Studenten sowie gelegentlich durch Vorurteile gegenüber Flüchtlingen erschwert (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 5). Weiter finden in der Praxis nur Personen mit festem Job eine Wohnung. Erschwert wird die Wohnungssuche daneben auch durch Sprachbarrieren und den Mangel an bezahlbarem Wohnraum. So sind etwa die Mieten in Athen in den vergangenen beiden Jahren um bis zu 30% gestiegen (BFA, a.a.O, S. 27). Für das Anmieten einer Wohnung benötigen Personen mit internationalem Schutzstatus zudem eine Identitätskarte oder Aufenthaltserlaubnis, die persönliche Steuernummer (AFM) und den persönlichen Code für die Steuerplattform TAXISnet (BFA, a.a.O., S. 26). Die Steuernummer eröffnet den Zugang zu TAXISnet (Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Februar 2023, S. 3) und ist Voraussetzung für die Eröffnung eines Bankkontos, welches benötigt wird, um ein Mietverhältnis einzugehen (BFA, a.a.O., S. 26; Botschaft Athen, a.a.O., S. 2). Zum Erhalt der Steuernummer AFM muss der Wohnsitz durch eine vom Aufnahmezentrum ausgestellte Bestätigung, eine Stromrechnung oder eine Kopie eines auf den Namen des Schutzberechtigten abgeschlossenen Mietvertrages nachgewiesen werden (vgl. BFA, a.a.O., S. 25). Um geforderte Wohnsitznachweise erbringen zu können, werden Mietverträge für Flüchtlinge gegen Bezahlung (300 bis 600 EUR auch temporär verliehen, d.h. der Mieter wird angemeldet, ein Mietvertrag ausgestellt und nach kurzer Zeit wieder aufgelöst (BFA, a.a.O, S. 26). Obdachlose erhalten vom städtischen Sozialdienst eine Bescheinigung der Obdachlosigkeit. Diese Bescheinigung ersetzt den Adressnachweis und ist für den Zugang zu städtischen Notdiensten erforderlich (Botschaft Athen, a.a.O, S. 10).
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Eine Unterbringung in Obdachlosenunterkünften für anerkannt Schutzberechtigte ist möglich. Ein Rechtsanspruch auf Obdachlosenunterbringung besteht nicht (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schleswig vom 15.10.2020). Für Obdachlose existieren nachts geöffnete Unterkünfte, Übergangswohnheime und unterstützte Wohnungen. Im Winter werden je nach Witterungsverhältnissen gesetzlich vorgeschriebene zusätzliche Kälteschutzräume bereitgestellt, während etwa im Hitzesommer 2022 in Athen tagsüber gekühlte Räume in Betrieb waren, um Schutz vor der Hitze zu verschaffen. Es gibt Tageszentren und staatliche Migrant Integration Centers (MIC). Auch Migrantenorganisationen spielen eine wichtige Rolle als Anlaufstellen ihrer Landsleute, stellen Informationen bereit und bieten Dienstleistungen und Hilfe an. Weiter sind Straßensozialarbeiter im Einsatz und unterstützen z. B. mit praktischer Soforthilfe wie Kleidung und Lebensmittel und der Suche nach geeigneten Unterkünften (SEM, a.a.O., S. 14 ff.; BFA, a.a.O., S. 30 ff.). Es gibt sowohl durch offizielle Stellen betriebene Obdachlosen- bzw. Notunterkünfte als auch solche, die durch nichtstaatliche Stellen, z. B. durch Médecins du Monde, betrieben werden. Teilweise gibt es Aufnahmebedingungen, z. B. die Vorlage einer Bescheinigung der Steuer- und der Sozialversicherungsnummer. Darüber hinaus können international Schutzberechtigte am Programm Wohnen und Arbeiten für Obdachlose teilnehmen. Hier ist u.a. eine Aufenthaltsgenehmigung und Steuererklärung vorzulegen (SEM, a.a.O., S. 19 ff.; BFA, a.a.O., S. 30 ff.). Allerdings wird berichtet, dass die Zahl der Unterkünfte nicht ausreichend ist und diese stets überfüllt sind und so erfahrungsgemäß Schutzberechtigte, die über keine finanziellen Mittel verfügen, um eine Wohnung zu mieten, obdachlos bleiben, in verlassenen Häusern oder überfüllten Wohnungen zur Untermiete wohnen oder in die Lager zurückkehren und dort als unregistrierte Bewohner leben (BFA, a.a.O., S. 27). Dennoch ist Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen nach wie vor kein augenscheinliches Massenphänomen (Botschaft Athen, a.a.O., S. 9), was wohl auf landsmannschaftliche Strukturen und Vernetzung untereinander zurückzuführen ist (BFA, a.a.O., S. 27; dies entspricht auch den Angaben anerkannt Schutzberechtigter in den mündlichen Verhandlungen der Kammer).
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Zugang zu weiteren Sozialleistungen besteht für anerkannt Schutzberechtigte unter den gleichen Voraussetzungen wie für Inländer. Das Garantierte Mindesteinkommen (EEE) ist seit März 2020 die neue Bezeichnung des 2017 in Griechenland eingeführten Sozialen Solidaritätseinkommens. Es basiert auf den drei Pfeilern finanzielle Einkommensunterstützung, soziale Dienstleistungen und berufliche Integration (SEM, Notiz Griechenland, Garantiertes Mindesteinkommen (EEE), 31.10.2022, S. 4 ff.). Das EEE ist die einzige beitragsunabhängige staatliche Sozialleistung (abgesehen von der Unterstützungsleistung für Menschen mit Behinderung), die keine Bedingungen bezüglich der Länge des legalen und dauerhaften Voraufenthaltes in Griechenland stellt (BFA, a.a.O., S. 34; SEM, a.a.O., S. 6). Die erste Säule sieht ein Sozialgeld in Höhe von 200,00 EUR pro Einzelperson vor. Alle Haushaltsmitglieder werden zusammen betrachtet, die maximale Leistung beträgt 900,00 EUR pro Haushalt. Die zweite Säule besteht aus sozialen Dienstleistungen (je nach Bedarf kostenlose medizinische Versorgung für Nichtversicherte, Überweisung und Integration in Strukturen und Dienste der sozialen Betreuung, Einbeziehungen in Programme und soziale Strukturen zur Armutsbekämpfung sowie die Abgabe von Lebensmitteln und materiellen Gütern, Sozialtarif für Elektrizitäts- und Wasserversorgung, Sozialtarif der Gemeinden und kommunalen Unternehmen. Die dritte Säule besteht in der beruflichen Integration (SEM, a.a.O., S. 4; BFA, a.a.O., S. 34 f.). Voraussetzungen ist die Vorlage einer gültigen Aufenthaltserlaubnis, eine persönliche Steuernummer, die Sozialversicherungsnummer, eine Kontonummer eines Bankkontos in Griechenland, persönliche Kontaktdaten, eine Steuerklärung, ein Mietvertrag/Besitzurkunde eines Hauses/Wohnung der letzten sechs Monate, eine Stromabrechnung/Nebenkostenabrechnung aus den letzten sechs Monaten, eine Arbeitslosenkarte/Beleg über die monatlichen Einkünfte, ggf. Bestätigung hinsichtlich des Schulbesuchs der Kinder (SEM, a.a.O., S. 6 ff.). Speziell was die Beantragung der Steuernummer (AFM) und der Sozialversicherungsnummer (AMKA) anbelangt, ist von erheblichen bürokratischen Hürden auszugehen: Die Ausstellung einer Steueridentifikationsnummer setzt, wie bereits ausgeführt, einen Wohnsitznachweis voraus. Dennoch steht die Leistung des EEE auch Obdachlosen offen, sofern sie als solche beim Sozialdienst der Gemeinde registriert sind. Personen, die im Programm „Wohnen und Arbeiten für Obdachlose“ integriert sind und keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben, werden auf Antrag automatisch für das garantierte Mindesteinkommen zugelassen (SEM, a.a.O., S. 6, S. 10). Die Ausstellung der Sozialversicherungsnummer AMKA erfordert u.a. eine gültige Aufenthaltserlaubnis, die Steueridentifikationsnummer sowie eine Korrespondenzadresse (BFA, a.a.O., S. 25).
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Die weiteren beitragsunabhängigen staatlichen Sozialleistungen wie etwa die staatliche Wohnbeihilfe verlangen einen legalen und dauerhaften Aufenthalt von mehreren Jahren (BFA, a.a.O., S. 35). Hinsichtlich des Wohngeldes beträgt dieser fünf Jahre. Im Falle international Schutzberechtigter wird die Aufenthaltsdauer ab Asylantragstellung angerechnet (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Bayreuth vom 21.8.2020, S. 1). Bei Ausreise aus Griechenland beginnt die Frist des dauerhaften und legalen Aufenthaltes von neuem (SEM, a.a.O., S. 11 f.).
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Einige NGOs stellen kostenlos Essen zur Verfügung. Einige Gemeinden bieten anerkannt Schutzberechtigten monatliche Unterstützung für Essenszuteilungen an. Voraussetzung hierfür ist allerdings eine RPS, AMKA-Nummer, Steuernummer, Bankkonto, Mietvertrag und Telefonvertrag für eine SIM-Karte (BFA, a.a.O., S. 32). In den offenen Unterkünften, in denen – wie bereits ausgeführt – teilweise auch international Schutzberechtigte Aufnahme finden, werden u.a. auch Mahlzeiten und Nahrungsmittel zur Verfügung gestellt (BFA, a.a.O., S. 17).
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Der Zugang zum griechischen Arbeitsmarkt ist für international Schutzberechtigte grundsätzlich gleichermaßen wie für Inländer gegeben, gestaltet sich jedoch als schwierig. Nachdem sich die allgemeinen Arbeitsmarktbedingungen einige Zeit durch die andauernde Wirtschafts- und Finanzkrise verschlechtert hatten, hat sich die griechische Wirtschaft in den letzten Jahren wieder erholt und verzeichnet weiterhin eine bessere Entwicklung als im EU-Durchschnitt (Botschaft Athen, a.a.O., S. 1). 2021 legte die griechische Wirtschaft um 8,4% zu, 2022 waren es 5,6% und 2023 noch immer 2,3% (taz, Wirtschaftsranking von Ländern, Die Pleite-Griechen auf Platz eins, 6.1.2024). Für 2024 wird ein Wachstum von 2,3% prognostiziert. Im Jahr 2025 soll sich das Wirtschaftswachstum fortsetzen, wobei die Tourismusbranche weiterhin ausschlaggebend zum Wachstum beitragen wird (Germany Trade & Invest (GTAI), Griechische Wirtschaft wächst moderat, 18.12.2023). Der Wirtschaftsaufschwung in Griechenland macht sich auch positiv auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. Demnach ging die Arbeitslosigkeit im September 2023 auf 10% zurück. Dies ist der niedrigste Stand seit September 2009. Im Vergleich erreichte die Arbeitslosigkeit im Juni 2013 einen Rekordwert von 28,1%, in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen waren damals sogar 57,5% ohne Beschäftigung. Seitdem gehen die Arbeitslosenzahlen, abgesehen von einem starken Anstieg im Coronajahr 2020, kontinuierlich zurück (Höhler, Arbeitslosigkeit in Griechenland fällt unter Vorkrisenniveau, 7.11.2023). Jedoch ist die Arbeitslosenquote von letztlich 9,2% für 2023 die zweithöchste in der Europäischen Union (Statistisches Bundesamt, Europa in Zahlen, EUweitere Erwerbslosigkeit liegt Dezember 2023 bei 5,9%). Schwarzarbeit ist in Griechenland weit verbreitet. Der Umfang der Schattenwirtschaft wird mit 21,7% des offiziell ermittelten Bruttoinlandsprodukts angegeben (Höhler, Griechische Regierung will härter gegen Steuersünder vorgehen, 15.7.2023).
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Rechtmäßig ansässige Drittstaatsangehörige sind meist im niedrigqualifizierten Bereich und in hochprekären Beschäftigungsverhältnissen oder in der Schattenwirtschaft tätig (Konrad-Adenauer-Stiftung, Integrationspolitik in Griechenland, Stand Juli 2018, S. 9). Erschwerend hinzu tritt regelmäßig die Sprachbarriere. Zudem stehen die Schutzberechtigten im Wettbewerb mit den griechischsprachigen Arbeitnehmern. Inzwischen suchen allerdings Arbeitgeber in einigen Branchen, in denen ein Arbeitskräftemangel herrscht (Landwirtschaft, Bau und Tourismus), auch unter Schutzberechtigten aktiv nach Arbeitskräften. So herrscht im Tourismussektor ein Arbeitskräftemangel von ca. 50.000 Personen, der bislang nur zum Teil mit Flüchtlingen aus der Ukraine geschlossen werden konnte (Botschaft Athen, a.a.O., S. 7). Auch in der Landwirtschaft herrscht oft Arbeitskräftemangel, so dass Flüchtlinge gute Chancen haben, in diesen Bereichen eine Beschäftigung zu finden (BFA, a.a.O., S. 36). Das Potential der vornehmlich jungen Migranten wurde in Griechenland erkannt und verschiedene Projekte und Initiativen ins Leben gerufen, um diese in Arbeit zu bringen wie etwa das bereits erwähnte Programm ADAMA. Bis Ende Februar 2023 hatten bereits rund 4.500 Migranten von dem ADAMA-Coaching profitiert. Es wurde eine Job-Matching Plattform aufgebaut – das ADAMA-Job Center. Diese Plattform verlinkt private Arbeitgeber mit potenziellen Arbeitnehmern. Zudem gibt es weitere Initiativen. Auf Kos und Rhodos konnten bereits 56 anerkannt Schutzberechtigte einen Saison-Job in der Touristikbranche erhalten mit monatlichen Nettoeinkommen zwischen 800 und 1.400 EURO, was dem durchschnittlichen Gehalt auf der Insel entspricht. Hinzu kommen Trinkgeld, bezahlte Überstunden, kostenlose Übernachtungsmöglichkeit und Verpflegung. Auf Lesbos wurde Schutzberechtigten erfolgreich eine ganzjährige Stelle in der Landwirtschaft, auf Samos insbesondere Jobs in der Gastronomie, dem Hotelgewerbe und Handwerk vermittelt. Auf Chios werden Arbeitskräfte in der Agrarwirtschaft gesucht. Auch auf dem Festland gibt es Initiativen wie die „Welcome 2023“ Career Days in Athen und die „Refugee Week Greece“ im Juni 2023 (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Entscheiderbrief 05/2023, S. 10 ff.). Beim Zugang zum legalen Arbeitsmarkt sind jedoch weiterhin etliche bürokratische Hürden zu überwinden wie der Nachweis einer gültigen Aufenthaltserlaubnis, einer Steueridentifikationsnummer und der Sozialversicherungsnummer mit den bereits beschriebenen erforderlichen Nachweisen und zeitlichen Verzögerungen. Eine weitere Voraussetzung ist ein gemeldeter Wohnsitz (BFA, a.a.O., S. 35). Drittstaatsangehörige sind in den einschlägigen statistischen Daten zur Arbeitslosigkeit nach wie vor überrepräsentiert. Eine Mehrheit der Personen, die internationalen Schutz erhalten, ist zur Deckung ihrer Grundbedürfnisse auf die Verteilung von Nahrungsmitteln, anderen Gütern und finanzielle Unterstützung angewiesen (BFA, a.a.O., S. 36).
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Der Zugang zu medizinischer Versorgung und zum Gesundheitssystem ist für anerkannt Schutzberechtigte grundsätzlich zu den gleichen Bedingungen wie für griechische Staatsangehörige gegeben. Jeder Schutzberechtigte und Asylwerber in Griechenland hat das Recht auf freien Zugang zur primären, sekundären und tertiären Gesundheitsversorgung. Die Versorgung unterliegt denselben Beschränkungen durch Sparmaßnahmen wie für griechische Staatsbürger. Jedoch sind hinsichtlich des Zugangs zum Gesundheitssystem bürokratische Hindernisse zu überwinden. Insbesondere muss vor Inanspruchnahme des Gesundheitssystems die Sozialversicherungsnummer AMKA ausgestellt sein (BFA, a.a.O., S. 21 ff.). Wer über keine solche verfügt, hat keinen Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversorgung, sondern muss diese privat bezahlen. Seit März 2022 können selbständig tätige Ärzte Personen ohne AMKA keine Medikamente oder Behandlungen mehr verschreiben. Dies ist nur noch Ärzten aus öffentlichen Gesundheitseinrichtungen und in Aufnahmezentren möglich. Die Wartefrist in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen variiert zwischen mehreren Wochen und mehreren Monaten (BFA, a.a.O., S. 33). Eine Notfallversorgung wird jedoch stets und unabhängig vom Rechtsstatus gewährleistet (BFA, a.a.O., S. 21 ff., 33; ACCORD, a.a.O., S. 21). Weiter gibt es ein paralleles Gesundheitsprogramm für Flüchtlinge und Migranten, die in den Aufnahmezentren leben. Auch bieten mehrere NGOs wie etwa MSF – Ärzte ohne Grenzen –, Ärzte der Welt oder das Hellenische Rote Kreuz medizinische Grundversorgung an (BFA, a.a.O., S. 22, 33). Während einerseits berichtet wird, dass psychologische und psychiatrische Angebote für Asylsuchende und Schutzstatusinhabende gänzlich fehlen (BFA, a.a.O., S. 33, SFH, a.a.O., S. 9), wird andererseits beschrieben, dass Asylbewerber, die eine temporäre Sozialversicherungsnummer besitzen, Zugang auch zu notwendiger psychiatrischer Versorgung haben (BFA, a.a.O., S. 21). Dasselbe gilt für Schutzberechtigte, die eine AMKA besitzen, denn diese haben den gleichen Zugang zur medizinischen Versorgung wie griechische Staatsangehörige (BFA, a.a.O., S. 21, 32).
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c) Unter Beachtung des vorstehenden rechtlichen Maßstabes, der tatsächlichen Situation für rückkehrende anerkannt Schutzberechtigte und des individuellen Vorbringens des Antragstellers ergibt sich für diesen nach der Überzeugung des Gerichts keine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eintretende Verelendung bei einer Rückkehr nach Griechenland.
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Das Gericht hält an seiner bisherigen Rechtsprechung fest und teilt insbesondere unter Berücksichtigung der aktuellen und dargelegten Erkenntnismittel nicht die Auffassung zahlreicher Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe anderer Bundesländer (vgl. etwa OVG Saarl., U.v. 15.11.2022 – 2 A 81/22 – juris; OVG Sachsen, U.v. 27.4.2022 – 5 A 492.21 A – juris; VGH BW, U.v. 27.1.2022 – A 4 S 2443/21 – juris; OVG Berlin-Bbg, U.v. 23.11.2021 – OVG 3 B 53.19 – juris; OVG Bremen, U.v. 16.11.2021 – 1 LB 371/21 – juris; OVG NW, U.v. 21.1.2021 – 11 A 1564/20.A – juris; B.v. 5.4.2022 – 11 A 314/22.A – juris; NdsOVG, U.v. 19.4.2021 – 10 LB 244/20 – juris), die zur Einschätzung kommen, dass in Griechenland generell unmenschliche Lebensverhältnisse für rückkehrende anerkannt Schutzberechtigte, auch für nicht vulnerable Personen, bestehen oder solche – vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalles – zu vermuten sind. Die zitierte obergerichtliche Rechtsprechung basiert auf älteren Erkenntnismitteln und berücksichtigt neuere Erkenntnismittel aus 2023 und 2024 nicht und führt deshalb nicht zu einer korrekten aktuellen Lagebewertung.
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Zwar haben rückkehrende Schutzberechtigte nach der Ankunft in Griechenland möglicherweise über einen längeren Zeitraum keinen gesicherten Zugang insbesondere zu Obdach und sanitären Einrichtungen. Zudem ist es für sie anfangs für einen nicht unerheblichen Zeitraum teilweise praktisch unmöglich, die Voraussetzungen für den Erhalt des garantierten Mindesteinkommens EEE zu erfüllen. Bei dieser Sachlage ist nach Überzeugung des Gerichts die Abdeckung der Grundbedürfnisse „Bett, Brot und Seife“ für eine Übergangszeit nach der Rückkehr nach Griechenland durch das eigenverantwortliche Handeln des Einzelnen und auch die Hilfestellung von NGOs geprägt, die im Bereich der sozialen Unterstützung, Nahrungsmittelhilfe, Bildung, medizinischen Versorgung und teils auch der Unterbringung aktiv sind. Vor diesem Hintergrund muss der jeweilige Schutzberechtigte, damit ihm keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bei einer Rückkehr droht, nach Überzeugung des Gerichts grundsätzlich in der Lage sein, sich den schwierigen Bedingungen zu stellen und durch eine hohe Eigeninitiative und unter Inanspruchnahme von Hilfsangeboten selbst für seine Unterbringung und seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Ist davon auszugehen, dass er diese Schwierigkeiten bewältigen kann, fehlt es an der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in Griechenland.
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So liegt es hier. Es ist beim Antragsteller nach Überzeugung des Gerichts gerade nicht beachtlich wahrscheinlich, dass er bei einer Rückkehr nach Griechenland sein Bedürfnis nach „Bett, Brot und Seife“ nicht wird befriedigen können. Der Antragsteller ist als junger, lediger, allein reisender, arbeitsfähiger und gesunder Mann nicht durch familiäre Zwänge oder Verpflichtungen eingeschränkt und kann sich vollständig der Alltagsbewältigung und Erwirtschaftung seines Lebensunterhalts widmen. Vorübergehend sind ihm, der keine Merkmale besonderer Schutzbedürftigkeit aufweist, auch schwierige Verhältnisse, z.B. häufig wechselnde Schlafstätten, zumutbar. Zwar hat er angegeben, in Griechenland obdachlos gewesen zu sein, jedoch fehlt jeglicher konkreter Vortrag dazu, was er zur Abwendung der Obdachlosigkeit – erfolglos – unternommen hat und wie er konkret in Griechenland gelebt hat. Seine völlig unkonkreten Angaben zu den in Griechenland vorgefundenen Lebensverhältnissen widerlegen die sich aus den o.g. Erkenntnisquellen ergebende Lage für nicht vulnerable Flüchtlinge weder allgemein, noch besteht Anlass zu der Annahme, dass der Antragssteller den Lebensverhältnissen nicht gewachsen wäre. Es kann für den Antragsteller insbesondere erwartet werden, dass er in Griechenland – jedenfalls mit Hilfe landsmannschaftlicher Strukturen und Hilfe – kurzfristig – (Gelegenheits-)Arbeit bzw. Arbeit im informellen Sektor finden wird und dies ihm sein Überleben in Griechenland zunächst sichert. Schwarzarbeit ist in Griechenland – wie bereits ausgeführt – weit verbreitet und faktisch geduldet. Es sind prognostisch Aushilfstätigkeiten in der Bauwirtschaft oder Landwirtschaft, der Gastronomie oder im Tourismusbereich möglich. Mittelfristig kann damit auch mit einem Hinweinwachsen in festere Arbeitsstrukturen gerechnet werden. Es ist auch zu erwarten, dass der Antragsteller die griechische Sprache erlernen wird und so mittelfristig seine Arbeitsmarktchancen zusätzlich verbessert. Die anfänglichen administrativen Schwierigkeiten (Erhalt von Steuer- und Sozialversicherungsnummern und einem Wohnsitznachweis als Zugangsvoraussetzung zum legalen Arbeitsmarkt) können mit Hilfe von Hilfsorganisationen und landsmannschaftlicher Hilfe prognostisch ebenfalls gemeistert werden. Der Antragsteller ist nach Überzeugung des Gerichts fähig, für sich zu sorgen und sich im Bedarfsfall, insbesondere in der schwierigen Anfangszeit, auch an die vorhandenen NGOs für eine erste Hilfe vor Ort zu wenden. Weiter ist der Antragsteller prognostisch in der Lage, eine Unterkunft zu finden, sei es in einer Obdachlosenunterkunft oder unter Zuhilfenahme landsmannschaftlicher Strukturen. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller, sofern nötig, eine Bleibe in einer Obdachlosenunterkunft findet, ist gegenüber einer Personenmehrheit an Schutzberechtigten (Familien) deutlich höher, zumal nicht alle Obdachlosenunterkünfte die jedenfalls anfangs kaum zu erfüllenden Voraussetzungen wie etwa die Vorlage der Sozialversicherungsnummer verlangen. Zudem gibt es auch für anerkannt Schutzberechtigte die – offizielle – Möglichkeit, in den offenen Unterkünften unterzukommen und damit einhergehend eine Versorgung, auch mit Essen, zu erreichen. Weiter können sich beim – fortexistierendem – HELIOS-Programm auch Schutzberechtigte bewerben, die, wie der Antragsteller, die Zugangsvoraussetzungen eigentlich nicht erfüllen. Auch unterstützen staatliche und nichtstaatliche Stellen bei der Wohnungssuche. Die Prognose einer Verelendung kann für den Antragsteller damit nicht gestellt werden. Es ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) von einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Antragstellers bei einer Rückkehr nach Griechenland auszugehen. Es ist jedenfalls Sache des Schutzsuchenden, die Gründe für seine Furcht vor Verelendung schlüssig darzulegen, was insbesondere für in seine eigene Sphäre fallende Ereignisse und Umstände (wie eine eventuelle eigene Vulnerabilität) zutrifft (VGH BW, U.v. 22.2.2023 – A 11 S 1329/20 – juris Rn. 200 vgl. auch BayVGH, U.v. 28.3.2024-24 B 22.31136 – juris Rn. 23). Ein konkreter, nachvollziehbarer Vortrag hierzu fehlt jedoch.
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b) Im Fall des Antragstellers kommt auch kein Abschiebungsverbot in Betracht, womit sich auch in dieser Hinsicht keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsandrohung i.S.v. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG ergeben. Für den Antragsteller greift kein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG ein. Hinsichtlich eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK stellen sich keine anderen oder zusätzlichen rechtlichen Fragen im Vergleich zu den oben erfolgten Ausführungen unter a). Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG – eine mit hoher Wahrscheinlichkeit drohende Extremgefahr für Leib, Leben oder Freiheit – sind im Hinblick auf die allgemeine humanitäre Lage in Griechenland erst recht nicht erfüllt (vgl. rechtlich hierzu BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 13; VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris). Anhaltspunkte für ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen liegen ebenso nicht vor.
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c) Die Abschiebungsandrohung erweist sich auch im Übrigen als rechtmäßig. Durch das Gesetz zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz vom 21. Februar 2024 (BGBl I Nr. 54) hat der Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union reagiert, wonach die bisherigen Regelungen für den Erlass einer Abschiebungsandrohung teilweise nicht den Anforderungen der RL 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) genügten (vgl. EuGH, B.v. 15.2.2023 – C-484/22 – juris Rn. 23 ff.). Der Erlass einer Abschiebungsandrohung setzt nunmehr nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG n.F. auch voraus, dass der Abschiebung weder das Kindeswohl noch familiäre Bindungen noch der Gesundheitszustand des Ausländers entgegenstehen. Für den Antragsteller sind derartige Belang aber nicht ersichtlich.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
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4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.