Titel:
Bloße Anwesenheit eines Hundes zum Unfallzeitpunkt in der Nähe des Unfallortes begründet keine Haftung des Tierhalters
Normenkette:
BGB § 833 S. 1
Leitsätze:
1. Der Umstand, dass ein Hund zum Unfallzeitpunkt in der Nähe des Unfallortes anwesend war, genügt nicht, um eine Haftung des Hundehalters zu begründen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Wortlaut von § 833 S. 1 BGB verlangt die Verursachung einer Rechtsgutsverletzung „durch ein Tier“ und damit mehr als bloße Kausalität, nämlich die Realisierung der spezifischen Tiergefahr. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Entscheidendes Haftungskriterium ist die Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens, die in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbstständigen Verhalten des Tieres liegt. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Tiergefahr, tierisches Verhalten, Tierhalterhaftung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 21249
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages.
Der Streitwert wird festgesetzt auf 30.000,00 €.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche des Zeugen D. aus abgetretenem Recht im Zusammenhang mit einem Fahrradunfall, der sich am 31.12.2020 auf einem Bewirtschaftungsweg am Main-Donau-Kanal im Gemeindegebiet 9. B2. ereignete.
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Der am ...1960 geborene Ehemann der Klägerin, D., befuhr am Unfalltag gegen 12.45 Uhr auf einem Fahrrad den Bewirtschaftungsweg neben dem Main-Donau-Kanal im Gemeindegebiet B. Dabei führte er seinen Hund (“Balu“), einen Rhodesian Ridgeback, an der Leine neben sich. Dabei begegnete er einer Gruppe, bestehend aus dem Beklagten, dessen Ehefrau C.S. und deren gemeinsamen Bekannten und Nachbarin H.B., die am Bewirtschaftungsweg zu Fuß den Hund des Beklagten, einen Australian Shepherd-Mischlingsrüden (“Sammy“), sowie einen kleineren Hund der H.B. ausführten. Als die Gruppe des Beklagten den Zeugen in der Annäherung bemerkte, blieb man mit den beiden Hunden stehen. Der Australian Shepherd-Hund befand sich dabei an der Leine, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob er vom Beklagten oder dessen Frau gehalten wurde. Der kleinere Hund wurde von der Zeugin H.B. auf den Arm genommen. Der Zeuge beabsichtigte, an der Gruppe auf dem Bewirtschaftungsweg langsam vorbeizufahren. Als er sich etwa auf Höhe der Gruppe befand, stürzte er, wobei die Ursache des Sturzes zwischen den Parteien streitig ist (siehe ich hierzu sogleich). Infolge des Sturzes verletzte sich der Beklagte erheblich. Unstreitig erlitt er eine Tibiakopf-Trümmerfraktur mit lateraler Tibiakopfgelenksbeteiligung links. Diese musste mehrfach operiert werden. Der Zeuge D. befand sich bis zum 17.01.2021 stationär im Krankenhaus. Ob es zu unfallbedingten Spätfolgen kam, ist zwischen den Parteien streitig (siehe hierzu sogleich).
3
Außergerichtlich wurde der Beklagte durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schriftsatz vom 21.10.2023 zur Zahlung eines Schmerzensgeldbetrages in Höhe von 25.000.- Euro sowie zur Anerkennung der Pflicht, zukünftige Schäden aus dem Unfallereignis zu tragen aufgefordert. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage K3 umfassend Bezug genommen.
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Die Klägerin behauptet im Wesentlichen, dass der Hund des Beklagten (als sich der Zeuge D. etwa auf dessen Höhe befunden habe) nach vorne geschnellt sei, offensichtlich mit dem Ziel, diesen anzugreifen. Der Hund sei fast bis zum Fahrrad des Zeugen D. gesprungen, habe extrem aggressiv gebellt, geknurrt und die Zähne gefletscht. Der Zeuge D. sei dadurch so stark erschreckt, dass er mit dem Rad ins Schlingern geraten und schließlich gestürzt sei. Sein eigener Hund habe bei dem Sturz keine relevante Rolle gespielt. Der Zeuge D. leide bis heute an den Verletzungsfolgen. So gebe es u.a. ein Reibegeräusch im Bereich des Kniegelenkes. Ferner sei eine 30 cm große Narbe verblieben, eine deutliche Muskelminderung des linken Oberschenkels und eine diffuse Schwellneigung des linken Unterschenkels vorhanden. Es bestehe zudem die Gefahr einer Arthrose. Seit dem Unfall leide er unter Angstattacken und traue sich nicht mehr, Fahrrad zu fahren. Er fürchte sich nunmehr vor Hunden. Seine Schadensersatzansprüche habe er seiner Frau abgetreten. Diese habe die Abtretung angenommen. Dies sei schriftlich am 20.10.2023 erfolgt (Anlage K 4).
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Die Klägerin beantragt daher:
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Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Schmerzensgeld in Höhe von 25.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über den Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
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Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen künftige Schäden zu ersetzen, die aus dem Unfallereignis vom 31.12.2020 resultieren, soweit sie nicht bereits auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergangenen sind oder übergehen werden.
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Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.375,88 € freizustellen.
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Der Beklagte beantragt,
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Der Beklagte behauptet im Wesentlichen, dass es zwischen den Hunden keinerlei Kontakt gegeben habe. Zum Sturz sei es gekommen, da der Hund des Zeugen, ohne ersichtlichen Grund um das Vorderrad des Fahrrads herumgelaufen sei und den Zeugen D. dabei vom Rad gerissen habe.
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Wegen des weiteren Sachvortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen umfassend Bezug genommen.
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Das Gericht hat im Termin am 11.07.2024 den Beklagten informatorisch angehört. Ferner wurden die Zeugen C.D., H. B., G.B., P.F. und C.S. uneidlich vernommen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Terminsprotokoll vom 11.07.2024 umfassend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Der Klagepartei gelang es nicht, zur Überzeugung des Gerichts den Beweis zu führen, dass der Unfall auf der vom Beklagten-Hund ausgehenden typischen Tiergefahr beruhte. Eine Haftung gem. § 833 BGB scheidet daher aus.
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1. Zur Überzeugung des Gerichts hat sich der Unfall wie folgt zugetragen:
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Der Zeuge D. befuhr am Unfalltag den Bewirtschaftungsweg am Main-Donau-Kanal im Gemeindegebiet B. mit seinem Fahrrad. Dabei hielt er den 7-jährigen Rhodesian Ridgeback Rüden, welcher ein Gewicht von ca. 40 Kilo aufwies, an der Leine. Zum selben Zeitpunkt ging der Beklagte mit seiner Frau und dem 12 Jahre alten Australian Shepherd-Mischlingsrüden zusammen mit deren gemeinsamen Bekannten und Nachbarin H.B. und deren kleinen Hund spazieren. Als diese den Zeugen D. in der Annäherung bemerkten, blieben sie zwischen Wirtschaftsweg und Kanal stehen. Der Australian Shepherd-Mischlingsrüde, der ein Gewicht zwischen 25 und 28 Kilo aufwies, befand sich angeleint bei der Zeugin C.S.. Der kleine Hund der Zeugin H.B. war auf deren Arm. Als der Zeuge D. an der Personen-/Hundegruppe vorbeifuhr, wechselte der von ihm an der Leine geführte Rhodesian Ridgeback von der rechten auf die linke Fahrradseite. Dabei zog er den Zeugen D. vom Rad und dieser kam infolgedessen zum Sturz. Der Australian Shepherd-Mischlingsrüde des Beklagten verhielt sich während des gesamten Vorgangs ruhig. Er hat auf den Rhodesian Ridgeback nicht reagiert und weder gebellt noch geknurrt.
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2. Das Gericht stützt sich insbesondere auf die Angaben der Zeugen H.B.. Ihre Angaben waren frei von Widersprüchen und für das Gericht in vollem Umfang nachvollziehbar. Die Zeugin war auch glaubwürdig.
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Nicht verkannt wird, dass der Zeuge D. ein aggressives Verhalten des Beklagten-Hundes detailliert schilderte. Konkret gab er an, dass der vom Beklagten gehaltene Hund bei der Vorbeifahrt auf ihn losgesprungen sei, gebellt, geknurrt und die Zähne gefletscht habe. Er sei zu Tode erschrocken, habe instinktiv einen Bogen nach rechts gemacht, wodurch er das Gleichgewicht verloren habe und dann nach links auf den Wirtschaftsweg gestürzt sei. Für sich genommen war die Schilderung frei von Widersprüchen und konnte vom Gericht nachvollzogen werden.
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Allerdings steht die Schilderung im deutlichen Widerspruch zu den Angaben des Beklagten sowie der Zeuginnen C.S. und H.B. Der Beklagte gab an, dass seine Frau C.S. den Hund gehalten habe. Als der Zeuge D. an der Gruppe vorbeigefahren sei, sei sein Hund ganz ruhig gewesen. Er habe weder gebellt noch geknurrt. Der Zeuge D. sei erst gestürzt, als er etwa 10 Meter an der Gruppe vorbei gewesen sei. Eine Ursache könne der Beklagte nicht angeben, da er den Sturz nicht selbst gesehen habe. Nicht nur die Ehefrau des Beklagten, sondern auch die Zeugin H.B. bestätigten diese Angaben, wobei die Zeugin H.B. angab, dass der Zeuge D. beim Sturz näher an der Gruppe gewesen sei.
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Nicht verkannt wird, dass es sich bei der Zeugin H.B. um eine Bekannte und Nachbarin des Beklagten und dessen Ehefrau handelt und sie damit ein gewisses Näheverhältnis zum Beklagten hat. Auf der anderen Seite konnte das Gericht keinerlei Anhaltspunkte feststellen, dass die Zeugin – anders als der Zeuge D. und die Zeugin C.S. – ein wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hat. Die Zeugin hat auch kein tendenziöses Aussageverhalten an den Tag gelegt. So gab sie beispielsweise an, der Zeuge sei nicht schnell gefahren. Erinnerungslücken legte sie offen und gab bspw. an, nicht mehr sagen zu können, ob der Beklagten-Hund eben der Zeugin C.S. gestanden oder gesessen sei.
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Damit wurde der entscheidende Punkt der Unfallschilderung des Beklagten, nämlich dass dessen Hund völlig ruhig gewesen sei, bestätigt.
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Für das Gericht steht somit fest, dass der Sturz des Zeugen D. aufgrund eines Richtungswechsels des überaus großen und kräftigen Ridgeback-Rüden ausgelöst worden war. Der Beklagten-Hund hat hierfür keinerlei Ursache gesetzt. Zum Zeitpunkt des Sturzes stand oder saß er in einem deutlichen Abstand von jedenfalls mehreren Metern zum vorbeifahrenden Zeugen D. zwischen Wirtschaftsweg und Main-Donau-Kanal angeleint bei der Zeugin C.S.. Weder während der Annäherung noch während der Vorbeifahrt knurrte oder bellte er oder löste ein anderes Verhalten aus, welches für den eigentlichen Unfall kausal und zurechenbar war.
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Die beiden weiter vernommenen Zeugen F., welche das Unfallgeschehen lediglich von der anderen Kanalseite beobachtet haben, konnten zur Aufklärung naturgemäß nichts beitragen. Nur der guten Ordnung wird darauf hingewiesen, dass der Zeuge P. zum Zeitpunkt der Beweisaufnahme bereits verstorben war.
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Nur am Rande sei erwähnt, dass das Gericht nicht davon ausgeht, dass der Zeuge D., bei dem es sich immerhin um einen Polizeibeamten im Ruhestand handelt, bewusst die Unwahrheit geschildert hat. Das Unfallgeschehen stellte neben den schweren physischen Folgen offensichtlich auch eine große psychische Belastung für den Zeugen dar. In diesem Zusammenhang ist es gut möglich, dass eine Divergenz zwischen dem wirklichen Geschehen und den abgespeicherten Erinnerungen besteht.
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3. Vor diesem Hintergrund genügt der Umstand, dass der Beklagten-Hund zum Unfallzeitpunkt in der Nähe des Unfallortes anwesend war, nicht, um eine Haftung des Beklagten zu begründen.
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Der Wortlaut von § 833 S. 1 BGB verlangt die Verursachung einer Rechtsgutsverletzung „durch ein Tier“ und damit mehr als bloße Kausalität, nämlich die Realisierung der spezifischen Tiergefahr. Als entscheidendes Haftungskriterium wird höchstrichterlich die Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens identifiziert. Danach äußert sich eine typische Tiergefahr in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbstständigen Verhalten des Tieres (vgl. nur Wagner in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2024, § 833, Rn. 17 m.z.N.).
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Der Umstand, dass der Beklagten-Hund in der Nähe des Unfallortes physisch anwesend war, genügt nicht, um die Haftungsvoraussetzung zu erfüllen. Damit wurde die von ihm grundsätzlich ausgehenden typische Tiergefahr noch nicht realisiert.
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4. Da auch keine anderen Anspruchsgrundlagen – insbesondere nicht § 823 Abs. 1 BGB – in Frage kommen, war die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 Abs. 1 Satz 2 ZPO.