Inhalt

OLG München, Beschluss v. 02.04.2024 – 15 U 174/24 Rae e
Titel:

Prozeßbevollmächtigter, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, Zweites Versäumnisurteil, Vollstreckungsbescheid, einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung, Folgebescheinigung, Terminsverlegungsantrag, Vergütungsvereinbarung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Schriftsätze, Unterbevollmächtigter, Hinweisbeschluss, Klageabweisung, Aufhebung, persönliches Erscheinen der Partei, Erlaß eines Versäumnisurteils, Anwaltswechsel, Landgerichte, Kostenentscheidung, Sicherheitsleistung

Schlagworte:
Versäumnisurteil, Terminsverlegung, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, Klageabweisung, Vergütungsvereinbarung, Schlüssigkeit der Klage, Berufung
Vorinstanz:
LG München II, Urteil vom 23.11.2023 – 13 O 498/23
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 14.08.2024 – IX ZR 52/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 21070

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten zu 1) und 2) gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 23.11.2023, Az. 13 O 498/23 Rae, wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass das Urteil in Ziffer 1 wie folgt berichtigt wird:
Das Datum der Vollstreckungsbescheide lautet 13.01.2023 (statt 12.01.2023).
2. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München II ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 224.013,40 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger, Inhaber einer auf das Stiftungs- und Wirtschaftsrecht spezialisierten Kanzlei, verlangt von den beiden Beklagten gesamtschuldnerisch die vereinbarte Vergütung für anwaltliche Beratungsleistungen in verschiedenen Angelegenheiten.
2
Nach Durchführung des Mahnverfahrens erließ das Amtsgericht Coburg am 13.01.2023 gegen beide Beklagte gesondert Vollstreckungsbescheid über eine Hauptforderung von insgesamt 224.013,40 € nebst Zinsen. Der von den Beklagten erhobene Widerspruch wurde jeweils als Einspruch behandelt.
3
Im streitigen Verfahren gab das Landgericht dem mit einer massiven Magen-Darm-Infektion begründeten Verlegungsantrag des vormaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 17.05.2023 statt.
4
Mit Terminsverfügung vom 10.08.2023 wurde Termin zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache auf den 23.11.2023, 09:30 Uhr, bestimmt und das persönliche Erscheinen der Parteien angeordnet. Der vormalige Prozessbevollmächtigte der Beklagten bestätigte mit Schriftsatz vom 17.10.2023, die Terminsladung erhalten zu haben.
5
Mit Schriftsatz vom 16.11.2023 beantragte der vormalige Prozessbevollmächtigte der Beklagten, den Termin vom 23.11.2023 aus gesundheitlichen Gründen auf einen Zeitpunkt nach dem 15.12.2023 zu verlegen. Er führte aus, er habe gegenüber der Rechtsanwaltskammer C. seinen Verzicht auf die Zulassung als Rechtsanwalt aus gesundheitlichen Gründen mit Wirkung zum 01.12.2023 erklärt; bis dahin bearbeite er Schriftsätze und Mitteilungen des Gerichts. In dem Schriftsatz heißt es weiter: „Ein fachärztliches Attest ist beigefügt. Ein Folgeattest erhalte ich zum 20.11.2023.“ Die beigefügte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Folgebescheinigung) vom 23.10.2023 bescheinigt eine voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 20.11.2023.
6
Mit Verfügung vom 16.11.2023 wies das Landgericht darauf hin, dass über den Terminsverlegungsantrag nach Vorlage der Folgebescheinigung entschieden werde.
7
Mit Beschluss vom 21.11.2023 lehnte das Landgericht den Terminsverlegungsantrag ab und führte in den Gründen aus, dass das angekündigte Folgeattest nicht vorgelegt worden sei. Der Beklagtenvertreter habe schon nicht näher dargelegt, aus welchen konkreten gesundheitlichen Gründen ihm eine persönliche Anwesenheit und Verhandlung nicht möglich sei. Auch handele es sich nach eigenem Vortrag nicht um eine plötzliche Erkrankung (vgl. Attest). Erst recht habe der Beklagtenvertreter nicht erklärt, warum es ihm nicht möglich sein sollte, einen Vertreter zu entsenden. Vor dem Hintergrund der bereits schriftsätzlich erhobenen Einwände und der Anordnung des persönlichen Erscheinens der Parteien zur Sachaufklärung sei unter Berücksichtigung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots eine Verlegung zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nicht erforderlich. Ein erheblicher Grund sei auch nicht glaubhaft gemacht; hierfür sei ein Attest über die Verhandlungsunfähigkeit vorzulegen.
8
Mit Schriftsatz vom 21.11.2023 reichte der vormalige Prozessbevollmächtigte der Beklagten das angekündigte Folgeattest vom 21.11.2023 nach, das eine voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 05.01.2024 bescheinigt.
9
Mit Verfügung vom 22.11.2023 wies das Landgericht unter Verweis auf den ergangenen Beschluss darauf hin, dass die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht ausreichend sei und bei Schlüssigkeit der Klage und Abwesenheit eines Beklagtenvertreters ein zweites Versäumnisurteil drohe.
10
Mit Schriftsatz vom 23.11.2023, eingegangen um 8:33 Uhr per beA, teilte der vormalige Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit, die Nachricht des Gerichts soeben in seinem Postfach gelesen zu haben. Er sei schwerst erkrankt und nahezu handlungsunfähig. Das Gericht wisse, dass er seine Zulassung als Rechtsanwalt aus eben diesen Gründen zum 01.12.2023 zurückgegeben habe, weil er dazu aus gesundheitlichen Gründen gezwungen sei. In diesem Lichte sei es verfahrens- und verfassungsrechtlich (Art. 103 Abs. 1 GG) möglich und geboten, den Termin um kurze Zeit auf einen Zeitpunkt nach dem 01.12.2023 zu verlegen, was er erneut beantrage.
11
Im Termin vom 23.11.2023 erschien für die Beklagten nach Aufruf der Sache niemand. Auf telefonische Nachfrage bei der Geschäftsstelle wurde die Einzelrichterin über den Eingang des Schriftsatzes vom 23.11.2023 unterrichtet. Der klägerische Prozessbevollmächtigte stellte die auf Aufrechterhaltung der Vollstreckungsbescheide gerichteten Anträge aus der Anspruchsbegründung und beantragte den Erlass eines Versäumnisurteils gegen beide Beklagte. Mit nach Wiederaufruf der Sache verkündetem zweiten Versäumnisurteil wurde der Einspruch der Beklagten gegen die Vollstreckungsbescheide des Amtsgerichts Coburg „vom 12.01.2023“ verworfen und diese aufrechterhalten.
12
Gegen das Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie die Aufhebung des zweiten Versäumnisurteils und Klageabweisung, hilfsweise Zurückverweisung des Rechtsstreits begehren. Zur Begründung wird ausgeführt, das Landgericht habe zu Unrecht ein zweites Versäumnisurteil erlassen; es habe kein Fall der unentschuldigten Säumnis vorgelegen. Der vormalige Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe zunächst keine Veranlassung gehabt anzunehmen, dass die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht ausreichend sei. Er habe sich für den Fall der Vorlage einer Folgebescheinigung für ausreichend entschuldigt halten dürfen und auch nicht kurzfristig für einen Vertreter sorgen müssen. Vielmehr habe er auf die krankheitsbedingte Verlegung vertrauen dürfen, weil das Gericht in Kenntnis der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Terminsverlegung lediglich von der Vorlage eines Folgeattests abhängig gemacht habe. Aufgrund der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 23.10.2023 sei die Bestellung eines Vertreters nicht veranlasst gewesen. Selbstverständlich sei der vormalige Prozessbevollmächtigte der Beklagten von der rechtzeitigen Genesung ausgegangen. Hiervon habe er aufgrund der Befristung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis 20.11.2023 auch ausgehen dürfen. Da sich der der Streitigkeit zugrundeliegende Sachverhalt auf einen Zeitraum ab 2019 erstrecke, sei es für einen Vertreter unzumutbar, sich kurzfristig sorgfältig in einen Sachverhalt dieses Umfangs einzuarbeiten und sachdienlich zu verhandeln. Darüber hinaus habe das Landgericht die Schlüssigkeit der Klageforderung fehlerhaft geprüft (§ 700 Abs. 6 ZPO); die Klage sei evident unschlüssig und daher abzuweisen. Der Kläger stütze seinen Vergütungsanspruch auf die abgerechneten Stundenhonorare und leite ihn aus den vorgelegten Vergütungsvereinbarungen mit den Beklagten (Anlagen K3, K4) her. Diese seien evident unwirksam, da sie nicht den gesetzlichen Formvorgaben des § 3a RVG entsprechen und unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH vom 12.01.2023 – C-395/21 gegen AGB-Recht verstoßen. Selbst wenn man die Klage nicht für unschlüssig halten würde, wäre sie derzeit unbegründet.
13
Die Beklagten und Berufungskläger beantragen,
das Versäumnisurteil des Landgerichts München II vom 23.11.2023 aufzuheben und die Klage abzuweisen;
hilfsweise, das Versäumnisurteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das Landgericht zurückzuverweisen.
14
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
15
Der Senat hat mit Beschluss vom 07.03.2024 auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO hingewiesen.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II.
17
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 23.11.2023, Az. 13 O 498/23 Rae, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. Die Berichtigung des Urteilstenors hinsichtlich des Datums der Vollstreckungsbescheide beruht auf § 319 Abs. 1 ZPO.
18
Zur Begründung wird auf den Hinweisbeschluss vom 07.03.2024 Bezug genommen, an dem der Senat nach nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechtslage festhält.
19
Die Ausführungen der Beklagten in ihren Stellungnahmen vom 14.03.2024 und 21.03.2024 geben keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung.
20
1. Die Stellungnahmen lassen die gebotene Auseinandersetzung mit den vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätzen (BGH, Urteil vom 02.12.2021 – IX ZR 53/21) vermissen, nach denen die Säumnis der Beklagten im Einspruchstermin vom 23.11.2023 aus den im Hinweisbeschluss genannten Gründen nicht unverschuldet war. Die Beklagten tragen nunmehr vor, dass ihr vormaliger Prozessbevollmächtigter an einer schweren depressiven Phase gelitten habe, die ihm nicht einmal erlaubt habe, die einfachsten Dinge des täglichen Lebens zu regeln; er habe mit äußerster Kraft den Verlegungsantrag stellen können (Schriftsatz vom 21.03.2024, S. 1). Die erstinstanzlich vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen weisen indessen jeweils die ICD10-Diagnose F33.1 und damit eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode aus. Der vormalige Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat sich nach eigenen Angaben im Schriftsatz vom 16.11.2023 noch in der Lage gesehen, Schriftsätze und Mitteilungen des Gerichts zu bearbeiten. Damit ist unverändert davon auszugehen, dass er trotz Kenntnis des Einspruchstermins und seiner Erkrankung nicht alles Zumutbare unternommen hat, um die anwaltliche Vertretung der Beklagten im Termin sicherzustellen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des nunmehr von den Beklagten als Entschuldigungsgrund herangezogenen Anwaltswechsels. Für die Einarbeitung eines neuen Prozessbevollmächtigten gelten die Ausführungen zum Unterbevollmächtigten (vgl. Hinweisbeschluss S. 7) entsprechend, da auf diesen in gleicher Weise zutrifft, dass er andere Verfahren in seinem ordentlichen Geschäftsgang zu betreuen hat. Einen Vertrauenstatbestand hat das Landgericht wie ausgeführt mit seiner Verfügung vom 16.11.2023 nicht gesetzt (vgl. Hinweisbeschluss S. 7).
21
2. Das tatsächliche Vorbringen des Klägers zur Vereinbarung eines Zeithonorars genügt, um den gestellten Sachantrag auf Aufrechterhaltung der Vollstreckungsbescheide über eine Hauptforderung von insgesamt 224.013,40 € zu rechtfertigen. Für die Schlüssigkeit ist allein maßgeblich, dass sich nach dem klägerischen Vorbringen der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Vergütung in dieser Höhe aus §§ 611 Abs. 1, 675 BGB begründen lässt. Weitergehender Ausführungen zur Wirksamkeit der Vergütungsvereinbarungen bedurfte es für eine schlüssige Darlegung seitens des Klägers nicht.
III.
22
Über den Antrag der Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung hat der Senat mit Beschluss vom 07.03.2024 entschieden. Eine Abänderung ist unter Berücksichtigung der schriftsätzlichen Ausführungen vom 14.03.2024, 21.03.2024 und 26.03.2024 nicht veranlasst.
IV.
23
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
24
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
25
Der Streitwert für das Berufungsverfahren war gemäß §§ 47, 48 GKG iVm § 3 ZPO festzusetzen.