Inhalt

VG Würzburg, Gerichtsbescheid v. 30.01.2024 – W 8 K 23.1036
Titel:

Ablehnung, Aufhebung und Rückforderung der Überbrückungshilfe IV, unzulässige Klage, formunwirksame Klageerhebung, Versäumung der Klagefrist, unwirksame Klageerhebung durch Steuerberater per Telefax, zwingende Verpflichtung von Steuerberatern zur elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen über das besondere elektronische Steuerberaterpostfach - beSt, unwirksame Klagerücknahme mangels elektronischer Übermittlung über das beSt, keine Ausnahme und keine Wiedereinsetzung, formunwirksame Einreichung von Schriftsätzen und Erklärungen nicht entschuldbar

Normenketten:
VwGO § 55a
VwGO § 55d
VwGO § 67
VwGO § 92
Schlagworte:
Ablehnung, Aufhebung und Rückforderung der Überbrückungshilfe IV, unzulässige Klage, formunwirksame Klageerhebung, Versäumung der Klagefrist, unwirksame Klageerhebung durch Steuerberater per Telefax, zwingende Verpflichtung von Steuerberatern zur elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen über das besondere elektronische Steuerberaterpostfach - beSt, unwirksame Klagerücknahme mangels elektronischer Übermittlung über das beSt, keine Ausnahme und keine Wiedereinsetzung, formunwirksame Einreichung von Schriftsätzen und Erklärungen nicht entschuldbar
Fundstelle:
BeckRS 2024, 2103

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

I.
1
Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Antrags auf Gewährung der von ihm begehrten Überbrückungshilfe in Höhe von zuletzt 21.769,74 EUR gemäß der Richtlinie für die Gewährung von Überbrückungshilfe des Bundes für kleine und mittelständische Unternehmen – Phase 5 (Überbrückungshilfe IV) des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie vom 6. Mai 2022, Az. 33-3560-3/210/1 (BayMBl. Nr. 278) – im Folgenden: Richtlinie Überbrückungshilfe IV – und gegen die Rücknahme und Rückerstattung der ihm gewährten Überbrückungshilfe in Höhe von 17.092,30 EUR.
2
Mit Online-Antrag vom 4. April 2022 beantragte der Kläger eine Überbrückungshilfe in Höhe von 17.092,30 EUR.
3
Mit Bescheid vom 5. April 2022 wurde ihm eine Abschlagszahlung in Höhe von 8.546,15 EUR gewährt.
4
Mit Bescheid vom 1. Juni 2022 wurde ihm die Überbrückungshilfe IV in Höhe von 17.092,30 EUR gewährt.
5
Mit Online-Änderungsantrag vom 9. Juni 2022 (Antragsdatum: 10.6.2022) beantragte er eine Überbrückungshilfe IV in Höhe von 21.769,24 EUR.
6
Mit vorläufigem Bescheid vom 23. Juni 2022 wurde dem Kläger die Überbrückungshilfe IV vorläufig dem Grunde nach gewährt.
7
Mit Ablehnungs-, Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 30. Juni 2023 wurde der Antrag vom 10. Juni 2022 abgelehnt (Nr. 2). Der vorangegangene Bescheid vom 23. Juni 2022 wurde ersetzt (Nr. 2). Der Bescheid vom 1. Juni 2022 wurde zurückgenommen und damit aufgehoben (Nr. 3). Der Antrag vom 4. April 2022 wurde ebenfalls abgelehnt (Nr. 4). Der zu erstattende Betrag wurde auf 17.092,30 EUR festgesetzt (Nr. 5). Bei nicht fristgerechter Erstattung wurden Zinsen auf den Erstattungsbetrag festgesetzt (Nr. 6).
II.
8
Mit Telefax vom 29. Juli 2023 ließ der Kläger durch den bevollmächtigten Steuerberater (und prüfenden Dritten) Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid vom 30. Juni 2023 erheben, ohne einen Klageantrag zu formulieren.
9
Mit Schreiben des Gerichts vom 1. August 2023 wurde der Klägerbevollmächtigte darauf hingewiesen, dass er gemäß § 55d Satz 2 VwGO verpflichtet sei, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach zu übermitteln habe und dabei das ihm zur Verfügung stehende besondere elektronische Steuerberatungspostfach (beSt) zu benutzen habe. Das Gericht wiederholte den Hinweis auf die Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen an die Verwaltungsgerichte auch für Steuerberater mit Schreiben vom 7. September 2023, 29. September 2023, 16. Oktober 2023, 27. November 2023 und 18. Dezember 2023.
10
Außer per Fax eingereichte Anträge auf Verlängerung der Klagebegründungsfrist (sowie zu einer zeitweiligen Niederlegung des Mandats) äußerte sich der Steuerberater zunächst nicht.
11
Die Beklagte ließ durch ihre Bevollmächtigte mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2023 beantragen,
die Klage abzuweisen.
12
Zur Begründung ließ sie im Wesentlichen ausführen: Die Klage sei unzulässig. Die Klage sei nicht innerhalb der Klagefrist ordnungsgemäß erhoben worden. Gemäß § 55d Satz 2 VwGO seien vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch nach diesem Gesetz vertretungsberechtigte Personen eingereicht würden, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 55a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur Verfügung stehe, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Für die gemäß § 67 Abs. 2 Nr. 3a VwGO in Streitverfahren der vorliegenden Art vertretungsberechtigten Steuerberater stehe seit dem 1. Januar 2023 ein sicherer Übermittlungsweg im Sinne des § 55a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur Verfügung. Zu etwaigen technischen Unmöglichkeiten der Nutzung des beSt sei nichts vorgetragen. Auch eine Wiedereinsetzung sei mangels substantiierter Darlegung der Wiedereinsetzungsgründe sowie wegen des systematischen Vorrangs der Sonderregelung des § 55d Satz 3 VwGO nicht zu gewähren. Ferner wäre hierzu innerhalb der Antragsfrist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen gewesen. Die formpflichtige Klageerhebung und die unzureichende Begründung derselben dürften eine Pflichtverletzung des Steuerberaters darstellen, für die dieser gegebenenfalls regresspflichtig sei. Der Streitwert sei auf 21.769,74 EUR festzusetzen. Dies sei der Betrag, der im Falle einer Förderberechtigung hätte gewährt werden können und den der Kläger im Ergebnis begehre.
13
Mit gerichtlichen Schreiben vom 27. November 2023 und 18. Dezember 2023 wurde dem Kläger seitens des Gerichts eine Klagerücknahme empfohlen und dabei jeweils auf das Erfordernis der elektronischen Form auch für die Klagerücknahme hingewiesen.
14
Mit per E-Mail vom 18. Dezember 2023 als Anlage übersandten Schriftsatz des bevollmächtigten Steuerberaters vom 15. Dezember 2023 erklärte dieser, er nehme die Klage zurück. Am 22. Januar 2024 übersandte er den Schriftsatz vom 15. Dezember 2023 zur Klagerücknahme per Telefax erneut.
15
Mit Schreiben vom 4. Januar 2024 hörte das Gericht die Beteiligten zum Erlass eines Gerichtsbescheids gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO an.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze samt Anlagen, die Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

17
Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden vorher angehört (§ 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
18
Die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist unzulässig.
19
Die ausschließlich per Telefax eingereichte Klage ist unzulässig. Die Klage ist nicht wirksam erhoben. Denn sie wahrt nicht die nach § 55d Satz 2 VwGO gebotene Form, weil der vom Kläger bevollmächtigte Steuerberater gegenüber dem Verwaltungsgericht nicht das für ihn verpflichtende besondere elektronische Steuerpostfach (beSt) verwendet hat. Aus dem gleichen Grund wahrt sie auch nicht die Klagefrist.
20
Denn vorbereitende – und gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 253 Abs. 4 ZPO auch bestimmende – Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen sind über einen Rechtsanwalt usw. als elektronisches Dokument zu übermitteln (§ 55d Satz 1 VwGO). Nach § 55d Satz 2 VwGO gilt das Gleiche für die nach diesem Gesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 55a Abs. 4 Nr. 2 VwGO zur Verfügung steht. Die Voraussetzungen der elektronischen Übermittlungspflicht nach § 55d Satz 2 VwGO sind bei dem durch den Kläger bevollmächtigten Steuerberater erfüllt. Er ist für das vorliegende Verfahren nach § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3a VwGO vor dem Verwaltungsgericht vertretungsbefugt. Für ihn steht ein sicherer Übermittlungsweg im Sinne des § 55a Abs. 4 Nr. 2 VwGO zur Verfügung (vgl. §§ 86d, 157e StBerG). Steuerberater sind seit dem 1. Januar 2023 zur hier maßgeblichen aktiven Nutzung des besonderen elektronischen Steuerberatungspostfachs (beSt) verpflichtet, da die Bundessteuerberaterkammer über die Steuerberaterplattform für jeden Steuerberater ab diesem Zeitpunkt ein solches empfangsbereit einrichtet (vgl. VG München, U.v. 28.11.2023 – M 31 K 23.1446 – juris Rn. 14 ff.; BayVGH, B.v. 17.7.2023 – 22 CS 23.1040 – juris Rn. 11; B.v. 3.7.2023 – 22 ZB 23.906 – juris Rn. 12).
21
Der Klägerbevollmächtigte hat nicht vorgetragen, dass die Voraussetzungen für eine wirksame Ersatzeinreichung in Papierform vorgelegen hätten, weil ihm aus technischen Gründen vorübergehend eine elektronische Einreichung nicht möglich gewesen sei (vgl. § 55d Satz 3 und 4 VwGO). Vielmehr scheint der bevollmächtigte Steuerberater bis heute das besondere elektronisch Steuerpostfach für sich noch überhaupt nicht eingerichtet zu haben.
22
Die Nichteinhaltung einer bestehenden elektronischen Einreichungspflicht führt zur Unwirksamkeit der jeweiligen Erklärungen und zur Unzulässigkeit von eingelegten Rechtsmitteln (BVerwG, B.v. 8.12.2022 – 8 B 51/22 – juris Rn 2; Hoppe/Ulrich, Die elektronische Einreichungspflicht nach § 55d VwGO – eine Rechtsprechungsübersicht, NVwZ 2023, 465, 466).
23
Der Klägerbevollmächtigte wurde wiederholt seitens des Gerichts auf die Formunwirksamkeit seiner Schriftsätze hingewiesen.
24
Wiedereinsetzungsgründe gemäß § 60 VwGO wurden weder substantiiert vorgetragen, noch sind sie sonst ersichtlich. Das Gericht weist darauf hin, dass Angehörige der rechts- und steuerberatenden Berufe in der Regel das Verfahrensrecht kennen müssen. Dies gilt insbesondere für die Verpflichtung der Steuerberater, ab dem 1. Januar 2023 Schriftsätze sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen über das besondere elektronische Steuerberaterpostfach als elektronisches Dokument an die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu übermitteln, zumal wenn ein Steuerberater jedenfalls grundsätzlich gegenüber seinem Mandanten bereit ist, auch gerichtliche Mandate zu übernehmen und zu verfolgen. Ein etwaiger Irrtum eines Prozessbevollmächtigten, zu einer elektronischen Einreichung nicht verpflichtet zu sein, ist im Hinblick auf eine Wiedereinsetzung nicht entschuldbar (BFH, B.v. 31.10.2023 – IV B 77/22 – juris Rn. 14; VG München, U.v. 28.11.2023 – M 31 K 23.1446 – juris Rn. 22).
25
Die – wenn auch unzulässige – Klage war trotz des klägerischen Klagerücknahmeschriftsatzes vom 15. Dezember 2023 weiterhin rechtshängig geblieben. Denn die seitens des bevollmächtigten Steuerberaters eingereichte Klagerücknahme per E-Mail bzw. per Telefax war mangels Wahrung der verpflichtenden elektronischen Übermittlung über das besondere elektronische Steuerberaterpostfach ebenfalls formunwirksam. Die Klagerücknahme hat als Gegenstück zur Klageerhebung – von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen – grundsätzlich auch schriftlich und im vorliegenden Zusammenhang auch in der besonderen elektronischen Form (über das beSt) zu erfolgen. Zu den bestimmenden Schriftsätzen, die elektronisch einzureichen sind, gehört neben der Klageerhebung auch die Klagerücknahme (Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 55a Rn. 3).
26
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO als unzulässig abzuweisen.
27
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.