Titel:
Zwangsgeldbewehrte Anordnungen hinsichtlich des Umgangs mit Rufsignalen in einem Seniorenzentrum
Normenketten:
PfleWoqG Art. 3 Abs. 2 Nr. 1, Art. 13 Abs. 2 S. 1, S. 2
AVPfleWoqG § 9 Abs. 1 S. 2
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1, Art. 42 S. 1
VwZVG Art. 36
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
Leitsätze:
1. Der Begriff der Unrichtigkeit iSv Art. 42 S. 1 BayVwVfG erfasst dabei nicht die Fehlerhaftigkeit, dh Rechtswidrigkeit oder Nichtigkeit eines Verwaltungsakts, sondern ein Versehen der Behörde bei seiner Abfassung. (Rn. 33 – 46) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit Blick auf die Regelungsstruktur des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erscheint es ausreichend, dass in der zwangsgeldbewehrten Anordnung nur das Ziel festlegt und hinsichtlich der einzusetzenden Mittel dem Adressaten die Wahl gelassen wird. (Rn. 47 – 52) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die nicht zeitgerechte und damit eingeschränkte Erreichbarkeit von Hilfe über die Rufanlage begründet einen Mangel iSd Art. 13 Abs. 2 S. 1 PfleWoqG. (Rn. 53 – 56) (redaktioneller Leitsatz)
4. In Art. 3 Abs. 2 Nr. 1 PfleWoqG wird deutlich, dass der Einrichtungsträger nicht nur Beeinträchtigungen der Würde und der angemessenen individuellen Lebensgestaltung der Bewohnerinnen und Bewohner seiner Einrichtung abzuwehren, sondern auch aktiv das Zumutbare zu unternehmen hat, um die Entfaltung der Persönlichkeiten der Bewohnerinnen und Bewohner entsprechend ihrer Möglichkeiten und Bedürfnisse unter Aktivierung der vorhandenen Ressourcen zu fördern. (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
5. Der Zweck des AVPfleWoqG kann nur erreicht werden, wenn das Pflegepersonal einer Einrichtung in einem angemessenen Zeitraum reagiert, wenn ein Rufsignal ausgelöst wird und bei ihm eingeht. (Rn. 60) (redaktioneller Leitsatz)
6. Der Zweck, schnell Hilfe herbeiholen zu können, geht auch nicht dadurch verloren, dass weitere, nicht rufsystembasierte Maßnahmen zur Erkennung von Hilfebedarf und Notlagen, etwa regelmäßige nicht anlassbezogene Kontrollgänge, existieren. (Rn. 62) (redaktioneller Leitsatz)
7. Es ist in tatsächlicher Hinsicht offen, welche Zeit für eine Triagierung in Notaufnahmen nach den geltenden fachlichen Standards einzuhalten ist. (Rn. 64 – 68) (redaktioneller Leitsatz)
8. Im Rahmen des Eilverfahrens lässt sich der allgemein anerkannte Stand der pflegewissenschaftlichen Erkenntnisse zum Umgang mit Rufsignalen in einer stationären Einrichtung nicht abschließend beurteilen. (Rn. 69) (redaktioneller Leitsatz)
9. Heimbewohner, aber auch die Allgemeinheit müssen darauf vertrauen können, dass Einrichtungen der Altenpflege sorgfältig überwacht und dort Pflegemängel nicht hingenommen werden, sondern ihnen effektiv begegnet wird. (Rn. 83) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, überwiegend offene Erfolgsaussichten, Anordnungen nach dem PfleWoqG, Reaktionszeit auf Rufsignale, Pflicht des Einrichtungsträgers zur Vorlage von Unterlagen, offenbare Unrichtigkeiten im Verwaltungsakt, Bestimmtheit von Zielvorgaben, Bestimmtheit einer Zwangsgeldandrohung, Pflichten eines Einrichtungsträgers, Zwangsgeld, Pflegeeinrichtung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 01.03.2024 – 12 CS 24.194
Fundstelle:
BeckRS 2024, 2098
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen Ziffer 4.2 des Bescheids des Antragsgegners vom 3. August 2023 wird angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen zwangsgeldbewehrte Anordnungen des Antragsgegners, welche den Umgang mit Rufsignalen in einem Seniorenzentrum einschließlich diesbezüglicher Nachweispflichten regeln.
2
Die Antragstellerin ist Trägerin der stationären Pflegeeinrichtung Seniorenzentrum E., … …, … … Aufgrund einer Beschwerde führte die Fachstelle für Pflege- und Behinderteneinrichtungen – Qualitätsentwicklung und Aufsicht (FQA) des Antragsgegners am 18. November 2021 eine anlassbezogene Begehung und Prüfung in dem Seniorenzentrum Eibelstadt durch. In seinem „Prüfbericht und Anhörung“ vom 28. Juni 2022 zur Begehung am 18. November 2021 machte der Antragsgegner unter anderem Ausführungen zur Rufanlage im Seniorenzentrum E. Insbesondere erläuterte er aufgrund einer Demonstration in einem bewohnten Bewohnerzimmer die Funktionsweise der Anlage und den Ablauf nach Auslösen eines Rufsignals durch einen Bewohner und dessen Eingang beim Pflegepersonal. Werde ein Alarm ausgelöst, leuchte außen neben der Zimmertür ein Licht auf und die Pflegekraft werde über ein von ihr mitgeführtes Telefon unter Mitteilung von Bewohnername und Zimmernummer alarmiert. Komme die Pflegekraft und stecke einen Schlüssel im Telefon des Bewohnerzimmers ein, werde die Anwesenheit der Pflegekraft registriert. Nach Verrichtung der Pflegetätigkeit werde der Schlüssel wieder gezogen. Unter V.1 „Qualitätsbereich: Wohnqualität, Angemessene Versorgung“ stellte der Antragsgegner gestützt auf eine Auswertung der Alarmhistorie von November 2021 im Prüfbericht zudem fest, dass Bewohner regelmäßig erst lange nach Absetzen eines Klingelrufs aufgesucht und versorgt würden. Dies ordnete der Antragsgegner als erheblichen Mangel ein und sprach unter V.1.3. Empfehlungen zur Abstellung des Mangels aus.
3
Mit Stellungnahme vom 14. Juli 2022 teilte die Antragstellerin unter anderem mit, dass es eine interne Anordnung gebe, dass bei Absetzen eines Klingelrufs unverzüglich (ca. fünf Minuten) von den Pflegekräften reagiert werden müsse. Die sich aus den Klingelprotokollen ergebenden langen Reaktionszeiten könnten nur so erklärt werden, dass die Pflegekraft zwar innerhalb kurzer Zeit vor Ort gewesen sei, aber „vergessen“ habe, die Rufglocke abzustellen und erst den Bewohner versorgt habe. Es werde regelmäßig darauf hingewiesen und überprüft, dass nach Absetzen eines Klingelrufs sofort reagiert werde. Mit Schreiben vom 5. August 2022 konkretisierte die Antragstellerin dies dahin, dass die Anordnung über den Umgang mit Rufsignalen mündlich erfolgt sei.
4
Ausweislich seines Schreibens an die Antragstellerin vom 25. November 2022 stellte der Antragsgegner bei einer Überprüfung von Rufprotokollen für den Zeitraum vom 24. Oktober 2022 bis 7. November 2022 erneut aus seiner Sicht zu lange Wartezeiten nach Auslösung eines Rufsignals fest. In ihrer Stellungnahme vom 6. Dezember 2022 zu diesem Sachverhalt wies die Antragstellerin unter anderem auf technische Störungen der Anlage hin sowie darauf, dass mit bestimmten, namentlich nicht genannten Bewohnern vereinbart sei, dass diese einen Klingelton absetzten, um den Pflegekräften zu signalisieren, dass sie jetzt wach seien und versorgt werden wollten.
5
Anlässlich einer anonymen Beschwerde bei der Anlaufstelle „Pflege-SOS B.“ führte der Antragsgegner am 8. Dezember 2022 erneut eine anlassbezogene Begehung und Prüfung im Seniorenzentrum E. durch. Zudem legte die Antragstellerin dem Antragsgegner die Rufglockenprotokolle der Einrichtung vom 25. November 2022 bis 8. Dezember 2022 zur Prüfung vor.
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Mit Schreiben vom 27. Dezember 2022 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin das Ergebnis der Auswertung der Protokolle für den Zeitraum 26. November 2022 bis 8. Dezember 2022 mit, bemängelte die festgestellten Reaktionszeiten auf Rufsignale und gab der Antragstellerin Gelegenheit, zur beabsichtigten Anordnung über den Umgang mit Rufsignalen einschließlich diesbezüglicher Nachweispflichten und einer etwaigen Zwangsgeldandrohung, Stellung zu nehmen.
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Daraufhin teilte die Antragstellerin mit Schreiben vom 10. Januar 2023 mit, dass die Rufanlage am 8. November 2022 gewartet worden sei. Als Nachweis könnten bei Bedarf wöchentlich bis spätestens Freitag die Rufglockenprotokolle für alle Bewohner und Bewohnerinnen zur Verfügung gestellt werden. Ferner legte die Antragstellerin am 30. Januar 2023 die Rufprotokolle der Einrichtung für den Zeitraum 15. Januar 2023 bis 30. Januar 2023 vor.
8
Mit Bescheid vom 10. Februar 2023 verpflichtete der Antragsgegner die Antragstellerin dazu, sicherzustellen, dass das Pflege- und Betreuungspersonal sowohl zur Tages- als auch zur Nachtzeit unverzüglich auf Klingelrufe der Rufanlage reagiere (Ziffer 1 des Bescheids). Der Nachweis hierüber sei im Zwei-Wochen-Takt durch Vorlage des Rufglockenprotokolls über einen Zeitraum von zwei Wochen für alle Bewohnerinnen und Bewohner bis spätestens Mittwoch, erstmals am 8. März 2023 für den Zeitraum vom 20. Februar 2023 bis 5. März 2023, vorzulegen (Ziffer 2 des Bescheids). Diese Vorlagepflicht ende, sobald die unter Ziffer 1 genannte Verpflichtung des Trägers wieder erfüllt und nachgewiesen sei (Ziffer 3 des Bescheids). Ziffer 4 des Bescheids enthielt Zwangsgeldandrohungen, Ziffern 5 und 6 des Bescheids die Kostenentscheidung und die Gebührenfestsetzung.
9
In seinem Prüfbericht vom 16. Februar 2023 zur Begehung der Einrichtung am 18. November 2021 hält der Antragsgegner u.a. den im Rahmen der Begehung demonstrierten Ablauf nach Auslösung eines Rufsignals fest und stellt gestützt auf eine Auswertung der Rufglockenprotokolle des Zeitraums 1. November 2021 bis 24. November 2021 zu lange Reaktionszeiten des Pflegepersonals auf Klingelrufe als erheblichen Mangel fest. Unter V.1.3 des Prüfberichts wird sodann unter der Überschrift „erteilte Anordnungen der FQA zur Abstellung des erheblichen Mangels“ die Anordnung des Antragsgegners vom 10. Februar 2023 inhaltlich wiedergegeben und auf den Bescheid vom 10. Februar 2023 verwiesen.
10
Mit Prüfbericht und Anhörung vom 21. Februar 2023 zur Begehung der Einrichtung am 8. Dezember 2022 stellte der Antragsgegner unter V.3 im Bereich „Pflege und Dokumentation“ gestützt auf nicht dokumentierte Bewohnergespräche und eine Auswertung der Rufglockenprotokolle des Zeitraums 26. November 2022 bis 8. Dezember 2022 und des Zeitraums 17. Januar 2023 bis 30. Januar 2023 zu lange Reaktionszeiten des Pflegepersonals auf Klingelrufe als erheblichen Mangel fest. Nach Stellungnahme der Antragstellerin vom 7. März 2023 erging am 13. März 2023 ein im Wesentlichen mit dem Bericht vom 21. Februar 2023 inhaltsgleicher Prüfbericht des Antragsgegners.
11
Am 3. März 2023 erhob die Antragstellerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 10. Februar 2023 und beantragte beim Antragsgegner die Aussetzung der Vollziehung dieses Bescheids. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 13. März 2023 ab. Der am 23. März 2023 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 10. Februar 2023 hatte wegen durchgreifender rechtlicher Bedenken des Gerichts gegen die formelle Rechtmäßigkeit der angefochtenen Regelung über die Reaktionsdauer auf Rufsignale, namentlich deren hinreichende Bestimmtheit (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG), Erfolg (Beschluss der Kammer vom 19.6.2023 – W 3 S 23.360 – BeckRS 2023, 17132). Das Gericht ging davon aus, dass mit Blick darauf, wie der Antragsgegner den Begriff „unverzüglich“ im konkreten Fall verwendete, in einer Gesamtschau der verfügenden Teile des Bescheids vom 10. Februar 2023, seiner Begründung und den weiteren Begleitumständen nach dem objektiven Empfängerhorizont nicht hinreichend klar und unzweideutig war, innerhalb welches Zeitraums auf ein Rufsignal reagiert werden muss.
12
Mit Schreiben vom 27. Juli 2023 gab der Antragsgegner der Antragstellerin Gelegenheit, zu dem von ihm beabsichtigten erneuten Erlass einer Anordnung zur Regelung der Reaktion auf Rufsignale Stellung zu nehmen.
13
Mit Bescheid vom 3. August 2023 hob der Antragsgegner den Bescheid vom 10. Februar 2023 auf.
14
Des Weiteren erließ der Antragsgegner – gestützt auf Art. 13 Abs. 2 Satz 1 und 2 PfleWoqG – einen weiteren Bescheid vom 3. August 2023, laut Postzustellungsurkunde zugestellt am 5. August 2023, mit folgendem Tenor:
„1. Der Träger der Einrichtung wird verpflichtet mit Ablauf des Tages nach Zustellung des Bescheids sicherzustellen, dass das Pflege- und Betreuungspersonal sowohl zur Tages- als auch Nachtzeit nach maximal fünf Minuten auf Klingelrufe der Rufanlage reagiert.
2. Der Nachweis zu Ziffer 2 ist im 2-Wochen-Takt durch Vorlage des Rufglockenprotokolls über einen Zeitraum von zwei Wochen für alle Bewohnerinnen und Bewohner mittwochs, erstmals am 23.08.2023 für den Zeitraum vom 07.08.2023 bis 20.08.2023, vorzulegen.
3. Die Vorlagepflicht gemäß Ziffer 3 endet, sobald die unter Ziffer 2 genannte Verpflichtung des Trägers wieder erfüllt und nachgewiesen ist.
4. Der Träger der Einrichtung hat die Anordnungen der Ziffern 2 und 3 des Bescheids umzusetzen. Falls der Träger den genannten Pflichten und Maßnahmen
4.1 gemäß Ziffer 2 nicht fristgemäß nachkommt, wird einmalig ein Zwangsgeld in Höhe von 3.000 EUR zur Zahlung fällig.
4.2 gemäß Ziffer 3 nicht fristgemäß nachkommt, wird einmalig ein Zwangsgeld in Höhe von 250 EUR zur Zahlung fällig.
5. Der Träger der Einrichtung hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
6. Für diesen Bescheid werden Gebühren in Höhe von 300,00 EUR festgesetzt. Die Auslagen betragen 3,13 EUR. Die Gesamtkosten betragen 303,13 EUR.“
15
Am 8. August 2023 hat die Antragstellerin Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg gegen den Bescheid vom 3. August 2023 erhoben. Das Klageverfahren wird unter dem Aktenzeichen W 3 K 23.1093 geführt.
16
Die mit Schreiben des Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 10. August 2023 beim Antragsgegner beantragte Aussetzung der Vollziehung hat der Antragsgegner unter dem 11. August 2023 sinngemäß abgelehnt.
17
Am 17. August 2023 hat die Antragstellerin beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 3. August 2023 wird angeordnet.
19
Zur Begründung führt sie aus, dass das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Vollzugsinteresse überwiege. Denn der Bescheid vom 3. August 2023 sei rechtswidrig. Zudem sei zu berücksichtigen, dass bislang keine konkreten Gefahren für die Bewohner der streitgegenständlichen Einrichtung eingetreten seien und Notfälle stets rechtzeitig erkannt worden seien, so dass keine die sofortige Vollziehbarkeit begründende Eilbedürftigkeit bestehe. Dies werde auch darin deutlich, dass zwischen der anlassbezogenen Begehung im November 2021, der Anhörung zum Prüfbericht und dem Bescheiderlass ein Zeitraum von einem Jahr und neun Monaten vergangen sei.
20
Zur Begründung der von ihr angenommenen Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 3. August 2023 führt sie insbesondere aus, es liege schon kein Mangel im Sinne von Art. 13 PfleWoqG vor, was Voraussetzung für den Erlass von Anordnungen im Sinne dieser Vorschrift sei. Es gebe keine verbindlichen Normen, Richtlinien o.Ä. über die Reaktionsdauer auf Klingelrufe. Zudem könne ein Mangel nicht allein aus Rufglockenprotokollen abgeleitet werden, welche lediglich den Zeitraum zwischen Rufeingang und Abstellung des Rufs wiedergäben, ohne jedoch Auskunft darüber zu geben, ob und wann eine pflegerische Tätigkeit erfolgt sei. Hinzu komme, dass es vorkommen könne, dass Anwesenheiten des Pflegepersonals aufgrund technischer Defekte nicht richtig protokolliert würden. Außerdem könnten die Pflegekräfte aufgrund ihrer Kenntnis der Bewohner einschätzen, in welchen Fällen nicht binnen weniger Minuten auf ein Rufsignal reagiert werden müsse. Dies gelte umso mehr, wenn die Pflegekraft kurz vor dem Rufsignal noch bei dem auslösenden Bewohner gewesen sei und dessen aktuelle Tagesform kenne. Im Zeitraum 17. Januar 2023 bis 30. Januar 2023 sei in 88,23% der Fälle eine Reaktionszeit von 10 Minuten eingehalten worden. Es habe zu keinem Zeitpunkt eine konkrete Gefährdung für Bewohner der Einrichtung bestanden. Dies stelle die Antragstellerin durch verschiedene Maßnahmen wie eine engmaschige Anwesenheit und Zuwendung des Pflegepersonals zu Bewohnern mit Risikopotential sicher, womit Notfällen wesentlich besser adäquat begegnet werde als mit dem formalen Kriterium der Zeiträume zwischen Beginn und Ende von Rufsignalen. Zu berücksichtigen sei ferner, dass Rufsignale im Bereich der stationären Altenpflege nicht mit Rufsignalen im Bereich der Krankenhausbehandlung vergleichbar seien. Die weit überwiegende Anzahl der Rufsignale in der streitgegenständlichen Einrichtung beträfen die Artikulation alltäglicher Bedürfnisse, z.B. nach einem Toilettengang, nach Ansprache, nach Getränken oder sonstigen Hilfestellungen im Alltag. Die Rufsignalanlage einer Senioreneinrichtung sei keine Notrufanlage.
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Zudem sei es unmöglich, die Anordnung in jedem Fall einzuhalten; diese enthalte unzumutbare, da nicht erfüllbare Anforderungen. Beispielsweise könne es nachts wegen der geringeren Personalausstattung durchaus vorkommen, dass wegen vordringlicherer Angelegenheiten der Maximalzeitraum von fünf Minuten zwischen Beginn des Rufsignals und Reaktion des Pflegepersonals überschritten werde. Ein Verstoß gegen Anforderungen, deren Vermeidung/ Abwendung mit dem aktuell zumutbaren Einsatz an Personal- und Sachmitteln nicht möglich sei, könne indes keinen Mangel im Sinne von Art. 12 Abs. 2 PfleWoqG darstellen. Eine schematische Einhaltung eines fünfminütigen Reaktionszeitraums in jedem Fall könne zudem im Einzelfall zu einer Vernachlässigung der Obhuts- und Garantenpflicht gegenüber anderen Bewohnern und einer dementsprechenden zivil- und strafrechtlichen Haftung führen. Dies führt die Antragstellerin am Beispiel eines Falls aus einer Pflegeeinrichtung in Aub näher aus.
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Im Übrigen stelle auch die Entscheidung, bei Eingang eines Rufsignals diesem nicht sofort nachzugehen, etwa, weil sich die Pflegekraft bei einem vorrangig zu betreuenden Bewohner befinde, eine Reaktion auf das Rufsignal dar. Eine Reaktion innerhalb von fünf Minuten könne daher nicht in jedem Fall gefordert werden.
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Ohnehin sei die Festlegung eines Fünfminutenzeitraums als einzuhaltende Reaktionszeit völlig willkürlich, die angegriffene Anordnung für die Erfüllung der Zwecke des PfleWoqG ungeeignet. Außerdem greife die Festlegung zur Höchstdauer der Reaktion der Mitarbeiter einer Pflegeeinrichtung auf Rufsignale in das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 Abs. 1 GG) ein.
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Des Weiteren ist die Antragstellerin der Auffassung, der Antragsgegner habe den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt. Seine tatsächlichen Feststellungen zu Umständen, welche eine längere als die von ihm verlangte Reaktionszeit rechtfertigen würden, beschränkten sich auf die Angabe, dass die Antragstellerin keine sachlichen Rechtfertigungsgründe für die verzögerten Reaktionszeiten vorgetragen habe. Es sei zudem nicht recherchiert worden, inwieweit das Überschreiten bestimmter Zeiträume zwischen Beginn und Ende von Rufsignalen tatsächlich Belange von Bewohnern beeinträchtigt habe.
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Hinsichtlich der Verpflichtung zur Vorlage von Protokollen (Ziffer 2 des Bescheids) führt die Antragstellerin aus, dass keine gesetzliche Verpflichtung zur Protokollierung der Rufsignale und zur Vorlage aufbereiteter Protokolle bestehe. Unterlagen, welche die Antragstellerin nicht zu führen verpflichtet sei, müsse sie auch nicht vorlegen. Zudem sei es für die Pflegekräfte unzumutbar, die Überschreitung einer gewissen Dauer zwischen Beginn und Ende von Rufsignalen und etwaige Rechtfertigungsgründe auch noch Tage später zu erinnern oder am Ende einer Schicht zu protokollieren.
26
Der Antragsgegner beantragt,
Der Antrag wird abgelehnt.
27
Zur Begründung tritt er den Ausführungen der Antragstellerin entgegen, wiederholt und vertieft seine Ausführungen aus dem Bescheid vom 3. August 2023. Ergänzend führt er aus, dass eine erneute, nach der Kennzeichnung „Notruf“ im Protokoll differenzierende Auswertung der Rufprotokolle die folgenden Wartezeiten im Zeitraum 1. November 2021 bis 24. November 2021 ergeben habe: von mehr als fünf Minuten 97-mal, davon 14 Notrufe, von mehr als zehn Minuten 69 -mal, davon sieben Notrufe, von mehr als 20 Minuten 24-mal, davon ein Notruf, von mehr als 30 Minuten zweimal, davon ein Notruf, sowie einmal 60 Minuten. Ferner seien (mindestens) zwei tatsächlich erfolgte Rufe aus dem Protokoll nicht ersichtlich. Für den Zeitraum vom 24. Oktober 2022 bis 7. November 2022 hätten sich folgende Wartezeiten ergeben: von mehr als fünf Minuten 149-mal, davon 32 Notrufe, von mehr als zehn Minuten 48-mal, davon sechs Notrufe, von mehr als 15 Minuten zwölfmal, davon ein Notruf, und von mehr als 20 Minuten zehnmal, davon ein Notruf.
28
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten, welche Gegenstand des Verfahrens waren, einschließlich der Akten der Verfahren W 3 S 23.360 und W 3 K 23.1093 Bezug genommen.
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Der Antrag hat nur insoweit Erfolg, als er sich auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen Ziffer 4.2 des Bescheids vom 3. August 2023 richtet. Insoweit ist der Antrag zulässig und unbegründet. Im Übrigen ist er zwar zulässig, aber unbegründet.
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Der Antrag ist insgesamt zulässig. Er ist nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 3. August 2023 statthaft. Die fristgerecht (§ 74 Abs. 1 VwGO) erhobene Klage der Antragstellerin gegen die Ziffern 1 bis 4 des Bescheids vom 3. August 2023 hat nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 13 Abs. 6 PfleWoqG und Art. 21a Satz 1 VwZVG keine aufschiebende Wirkung. Dies gilt zudem auch hinsichtlich der Ziffern 5 und 6 des Bescheids vom 3. August 2023, unabhängig davon, ob man davon ausgeht, dass die darin enthaltenen Regelungen als Nebenentscheidung zu der Sachentscheidung an deren rechtlichem Schicksal teilnehmen und sich die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs gegen die Nebenentscheidung nach der Wirkung des Rechtsbehelfs gegen die Sachentscheidung richtet, oder ob man mit Blick auf die mit dem vorgenannten Bescheid verbundene und – aufgrund des vollständigen Angreifens des Bescheids vom 3. August 2023 ohne Differenzierung zwischen den einzelnen darin enthaltenen und damit verbundenen Regelungen – konkludent von der Antragstellerin in den Rechtsstreit einbezogenen Kostenrechnung vom 3. August 2023, mit welcher die festgesetzten Gebühren angefordert wurden, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO für anwendbar hält (vgl. hierzu z.B. Gersdorf in BeckOK VwGO, 67. Ed. Stand 1.10.2023, § 80 Rn. 54; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 31 jeweils m.w.N.).
31
Der Antrag ist indes nur insoweit begründet, als die Antragstellerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen Ziffer 4.2 des Bescheids vom 3. August 2023 begehrt. Im Übrigen ist der Antrag unbegründet. Nach der im Verfahren auf Gewährung von Eilrechtsschutz allein gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage überwiegt das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung von Ziffer 4.2 des Bescheids vom 3. August 2023. Im Übrigen überwiegt hingegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids das private Interesse der Antragstellerin, zunächst vom Vollzug der angeordneten Maßnahmen verschont zu bleiben.
32
Die Abwägung des privaten Aussetzungsinteresses eines Antragstellers mit dem öffentlichen Vollzugsinteresse richtet sich in erster Linie nach den Erfolgsaussichten in der Hauptsache, also insbesondere danach, ob der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig ist. Der Bescheid vom 3. August 2023 erweist sich aber mit Ausnahme von Ziffer 4.2 des Bescheids, gegen deren Rechtmäßigkeit erhebliche rechtliche Bedenken bestehen, weder als offensichtlich rechtmäßig noch als offensichtlich rechtswidrig. Die in diesem Fall gebotene Folgenabwägung geht zulasten der Antragstellerin aus.
33
Um die Erfolgsaussichten der Klage gegen die im Bescheid vom 3. August 2023 enthaltenen Verwaltungsakte beurteilen zu können, ist zunächst deren Inhalt zu klären. Dieser ergibt sich im streitgegenständlichen Fall zum Teil nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des Bescheids. Denn der Antragsgegner hat im Tenor des Bescheids vom 3. August 2023 an mehreren Stellen Ziffern des Bescheids, auf welche Bezug genommen wird, falsch bezeichnet. Die versehentlichen Falschbezeichnungen sind allerdings für die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 3. August 2023 unerheblich. Prüfungsgegenstand des Gerichts ist das erkennbar wirklich Gewollte. Denn der Antragsgegner hat lediglich im Sinne einer offenbaren Unrichtigkeit (Art. 42 Satz 1 BayVwVfG) die Ziffern bei deren Bezeichnung verwechselt, seiner Entscheidung aber tatsächlich die richtigen Regelungen zugrunde gelegt.
34
Nach Art. 42 Satz 1 BayVwVfG kann die Behörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten in einem Verwaltungsakt jederzeit berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist zu berichtigen (Satz 2). Die Behörde ist berechtigt, die Vorlage des Dokuments zu verlangen, das berichtigt werden soll (Satz 3). Damit verkörpert die Vorschrift einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der es Behörden und Gerichten erlaubt, in existenten Entscheidungen vorhandene Unrichtigkeiten, die auf einer Abweichung des erklärten vom wahren Willen beruhen, zu berichtigen. Anders als bei Fehlern, die zur Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes führen und nur über Rücknahme (Art. 48 BayVwVfG), Widerruf (Art. 49 BayVwVfG) oder Wiederaufgreifen des Verfahrens (Art. 51 BayVwVfG) korrigiert werden können, berühren Unrichtigkeiten im Sinne des Art. 42 Satz 1 BayVwVfG den sachlichen Gehalt des Verwaltungsaktes nicht. Der Berichtigung nach Art. 42 Satz 1 BayVwVfG kommt daher eine deklaratorische Klarstellungsfunktion hinsichtlich versehentlicher Unstimmigkeiten zu (VGH BW, U.v. 12.4.2018 – 9 S 98/17 – BeckRS 2018, 8254 Rn. 33 m.w.N.). Offenbare Unrichtigkeiten können ihrem Wesen nach nicht zur Fehlerhaftigkeit eines Verwaltungsaktes führen, weil der Verwaltungsakt auch dann mit dem wirklich gewollten Inhalt gilt, wenn keine Berichtigung erfolgt (Schemmer in BeckOK VwVfG, 61. Ed. Stand 1.10.2023, § 42 Einleitung).
35
Der Begriff der Unrichtigkeit im Sinne von Art. 42 Satz 1 BayVwVfG erfasst dabei nicht die Fehlerhaftigkeit, d.h. Rechtswidrigkeit oder Nichtigkeit eines Verwaltungsakts, sondern ein Versehen der Behörde bei seiner Abfassung. Maßgeblich ist, ob der Mangel auf eine unrichtige Willensäußerung oder eine fehlerhafte Willensbildung zurückzuführen ist. Eine Unrichtigkeit ist mithin gegeben, wenn die Behörde etwas nicht oder etwas anderes als das gesagt hat, was sie zum Ausdruck bringen wollte (VGH BW, U.v. 12.4.2018 – 9 S 98/17 – BeckRS 2018, 8254 Rn. 34 m.w.N.). Dabei kommt es nicht auf das subjektiv Gewollte, sondern auf den erkennbaren Willen an. Zu dessen Feststellung ist der Inhalt des Verwaltungsakts durch Auslegung zu ermitteln (Baer in Schoch/Schneider (Hrsg.), VwVfG, 3. EL August 2022, § 42 Rn. 13). Maßgebend ist entsprechend der Auslegungsregel des § 133 BGB der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte (BVerwG, U.v. 18.6.1980 – 6 C 55/79 – juris Rn. 22; U.v. 15.12.1989 – 7 C 35/87 – juris Rn. 22; B.v. 11.1.2000 – 11 VR 4/99 – juris Rn. 35). Unklarheiten gehen hierbei zu Lasten der Verwaltung (BVerwG, U.v. 18.6.1980 – 6 C 55/79 – juris Rn. 22). Unrichtigkeiten im Sinne von Art. 42 Satz 1 BayVwVfG zeichnen sich folglich durch das Auseinanderfallen von Wille und Erklärung aus. Davon sind zu unterscheiden Fehler, die der Behörde bei der Willensbildung unterlaufen sind. Die Unrichtigkeiten müssen zudem offenbar sein. Offenbar sind Unrichtigkeiten, wenn sie „ins Auge springen“ (VGH BW, U.v. 12.4.2018 – 9 S 98/17 – BeckRS 2018, 8254 Rn. 34 m.w.N.).
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Die Falschbezeichnungen im Tenor des Bescheids vom 3. August 2023 stellen unbeachtliche offenbare Unrichtigkeiten in diesem Sinne dar.
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Der Tenor des Bescheids enthält folgende Unrichtigkeiten:
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In Ziffer 2 wird ein Nachweis „zu Ziffer 2“ gefordert. Gemeint ist jedoch ein Nachweis zu Ziffer 1 des Bescheids.
39
In Ziffer 3 wird auf „die Vorlagepflicht gemäß Ziffer 3“ – statt Ziffer 2 – und auf „die unter Ziffer 2 genannte Verpflichtung des Trägers“ – statt die sich aus Ziffer 1 des Bescheids ergebende Verpflichtung der Antragstellerin – Bezug genommen.
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In Ziffer 4 werden Zwangsgelder für Verstöße gegen Ziffer 2 und Ziffer 3 des Bescheids angedroht, wobei mit Ziffer 2 tatsächlich Ziffer 1 und mit Ziffer 3 tatsächlich Ziffer 2 des Bescheids bezeichnet werden sollten.
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In dem vorstehend dargestellten Umfang weicht das von der Behörde Gewollte von dem im Verwaltungsakt Ausgedrückten ab. Dies folgt aus einer Auslegung des Bescheids nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont. Bei den Falschbezeichnungen in den Ziffern 2 und 3 des Bescheidtenors ergibt sich bereits aus der Regelungssystematik des Tenors selbst, dass mit „Ziffer 2“ jeweils „Ziffer 1“ gemeint ist und mit „Ziffer 3“ die Ziffer 2 des Bescheids. Die Regelung in Ziffer 2 des Bescheids macht nur dann Sinn, wenn sie den Nachweis für die Erfüllung der Verpflichtung der Antragstellerin aus der im Tenor unmittelbar davorstehenden Ziffer 1 regelt. Denn die Regelung eines Nachweises zu Ziffer 2 selbst würde als zirkelhafte Anordnung von vornherein völlig ins Leere laufen. Dies ist offensichtlich nicht gewollt, wie ferner auch die Begründung des Bescheids zeigt. Dort heißt es unter der Überschrift „zu Ziffer 2 und 3“ auf Seite 7 des Bescheids ausdrücklich, Nachweise in Form von Rufglockenprotokollen seien „zum Nachweis der Erfüllung der Anordnung in Ziffer 1 des Bescheids“ vorzulegen. Auf Seite 8 wird dies dahingehend konkretisiert, dass mit dieser Verpflichtung der Zweck verfolgt werde, sich als Ordnungsbehörde die Umsetzung der Verpflichtung nach Ziffer 1 nachweisen zu lassen.
42
Stellung und Aufbau der Ziffer 3 des Bescheids machen deutlich, dass diese die in Ziffer 2 getroffene Regelung in ihrer Geltungsdauer einschränken soll. Dies folgt daraus, dass Ziffer 3 vom Ende der Vorlagepflicht spricht, eine Vorlagepflicht aber allein in Ziffer 2 geregelt wird. Hiervon ausgehend ist des Weiteren offensichtlich, dass die Vorlagepflicht nicht mit der nachgewiesenen Erfüllung der Verpflichtung der Antragstellerin aus Ziffer 2, sondern der Verpflichtung aus Ziffer 1 enden soll. Wie bereits ausgeführt dient die Vorlagepflicht in Ziffer 2 nach der Regelungskonzeption des Antragsgegners dazu, die Erfüllung der Verpflichtung aus Ziffer 1 des Bescheids überprüfen zu können und nachzuweisen. Dieses Ziel kann aber nur dann erreicht werden, wenn die Vorlagepflicht erst bei Erfüllung der Verpflichtung aus Ziffer 1 und nicht bereits dann endet, wenn die Antragstellerin (allein) der Pflicht zur Vorlage von Rufglockenprotokollen als solcher nachkommt. Dieses Verständnis der Regelung ergibt sich auch aus der Begründung des Bescheids. Im letzten Absatz auf Seite 7 der Begründung führt der Antragsgegner ausdrücklich aus, dass die Vorlage der Protokolle längstens bis zur Wiedererfüllung der Verpflichtung nach Ziffer 1 erfolgen solle. Inhaltlich identische Ausführungen finden sich auf Seite 8 des Bescheids. Dort heißt es, die Vorlagepflicht sei bis zur Wiedererfüllung der Verpflichtung gemäß Ziffer 1 begrenzt.
43
Schließlich ergibt sich aus der Begründung des Bescheids vom 3. August 2023 des Weiteren, dass sich die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 4.1 des Bescheids auf einen Verstoß gegen Ziffer 1 des Bescheids bezieht und die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 4.2 des Bescheids auf einen Verstoß gegen Ziffer 2 des Bescheids. So führt der Antragsgegner auf Seite 8 des Bescheids zu Ziffer 4.1 aus, dass das Zwangsgeld geeignet sei, die Antragstellerin dazu zu bewegen, der Anordnung gemäß Ziffer 1 Folge zu leisten, die Höhe des Zwangsgelds von einmalig 3.000,00 EUR bei Nichterfüllung der Verpflichtung gemäß Ziffer 1 sei angemessen. Dem steht nicht entgegen, dass auf Seite 9 des Bescheids – ebenfalls zu Ziffer 4.1 – ausgeführt wird, dass das Interesse der Einhaltung der Verpflichtung nach Ziffer 2 das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin überwiege. Denn hiermit ist die Verpflichtung aus Ziffer 1 des Bescheids gemeint, wie sich aus einem Vergleich mit der im Bescheid unmittelbar nachfolgenden Begründung zu Ziffer 4.2 und die Bezugnahme auf den Schutz von Leben, Leib und Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner der Einrichtung der Antragstellerin ergibt. Denn unmittelbar dient lediglich Ziffer 1, nicht aber Ziffer 2 des Bescheids diesem Schutz. Zudem wird aus der Begründung zu Ziffer 4.2 auf derselben Seite des Bescheids deutlich, dass sich Ziffer 4.2 auf Verstöße gegen Ziffer 2 des Bescheids bezieht, eine Regelung, die nur dann Sinn macht, wenn sich Ziffer 4.1 entgegen seinem Wortlaut auf eine andere als die in Ziffer 2 enthaltene Regelung bezieht. Dass sich die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 4.2 auf Verstöße gegen Ziffer 2 des Bescheids bezieht, folgt daraus, dass der Antragsgegner auf Seite 9 des Bescheids zu Ziffer 4.2 ausführt, dass das Zwangsgeld geeignet sei, die Antragstellerin dazu zu bewegen, der Anordnung gemäß Ziffer 2 Folge zu leisten, und das Interesse der Einhaltung der Verpflichtung nach Ziffer 2 i.V.m. Ziffer 1 des Bescheids überwiege, da vor allem der Schutz von Leben, Menschenwürde und Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner höher bewertet werden müsse, als der durch die Übermittlung des Trägers geringe wirtschaftliche Aufwand. Ferner wird die Zwangsgeldandrohung unter Ziffer 4.2 des Bescheids am Ende des Absatzes der Begründung zu Ziffer 4.2 auf Seite 9 des Bescheids in Zusammenhang gestellt mit dem Zweck, die FQA von der Wiedererfüllung der Verpflichtung nach Ziffer 1 zu überzeugen. Diesem Zweck dient aber gerade die Regelung in Ziffer 2 des Bescheids, weshalb sich die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 4.2 auf diese beziehen muss. Hinzu kommt, dass eine Zwangsgeldandrohung für einen Verstoß gegen die in Ziffer 4.2 des Bescheids wörtlich aufgeführte Ziffer 3 des Bescheids ersichtlich sinnlos wäre, da Ziffer 3 des Bescheids die Wirksamkeit von Ziffer 2 auflösend bedingt wegfallen lässt. Hierbei handelt es sich um eine automatisch bei Bedingungseintritt eintretende rechtsgestaltende Folge. Damit hat Ziffer 3 des Bescheids keinen Regelungsinhalt, gegen den die Antragstellerin in irgendeiner Form verstoßen könnte, weil ihr darin keine Verpflichtung auferlegt wird.
44
Diese Auslegung entspricht darüber hinaus dem erklärten Willen des Antragsgegners im Anhörungsschreiben vom 27. Juli 2023. In diesem werden die Ziffern des – seinerzeit noch nicht erlassenen, sondern nur beabsichtigten – Bescheids entsprechend dem vorstehend beschriebenen Verständnis des Gerichts verwendet.
45
Die dargestellten Unrichtigkeiten sind zudem offenbar. Das dargestellte irrtümliche Vertauschen von Ziffern des Bescheids drängt sich aus dem Sinn und Gesamtzusammenhang des Verwaltungsakts, insbesondere dem Auseinanderfallen des Wortlauts des Bescheidtenors und der Begründung des Bescheids, ohne weiteres auf.
46
Ausgehend von dem dargestellten Verständnis des Bescheids vom 3. August 2023 bestehen erhebliche rechtliche Bedenken gegen die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 4.2 des Bescheids. Im Übrigen stellen sich die Erfolgsaussichten der Klage, deren aufschiebende Wirkung begehrt wird, als offen dar.
47
Rechtsgrundlage der Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids ist Art. 13 Abs. 2 Satz 1, ggf. i.V.m. Satz 2 PfleWoqG.
48
Fehler, die zur formellen Rechtswidrigkeit der Anordnung in Ziffer 1 führen würden, sind nicht ersichtlich.
49
Insbesondere ist die Anordnung hinreichend bestimmt im Sinne von Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. Mit ihr soll der Einrichtungsträger verpflichtet werden, dafür zu sorgen, dass das Pflegepersonal innerhalb einer Frist von fünf Minuten nach Eingang eines Rufsignals auf das Rufsignal reagiert. Damit beschränkt sich Ziffer 1 des Bescheids auf die Vorgabe eines Ziels, für dessen Erreichung die Antragstellerin zu sorgen hat. Es wird also der Antragstellerin als Bescheidadressatin und Einrichtungsträgerin überlassen, zu bestimmen, wie sie die Einhaltung einer maximal fünfminütigen Reaktion auf Rufsignale durch das Pflegepersonal sicherstellen will. Hiergegen bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken (zur hinreichenden Bestimmtheit von nicht weiter umschriebenen Unterlassungspflichten in zivilprozessualen Unterlassungsverfügungen vgl. BVerfG, B.v. 28.5.1996 – 1 BvR 927/91 – NJW 1996, 2567 unter II.2.a). Mit Blick auf die Regelungsstruktur des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erscheint es ausreichend, dass in dem Verwaltungsakt nur das Ziel festlegt und hinsichtlich der einzusetzenden Mittel dem Adressaten die Wahl gelassen wird. Damit wird der gesetzlich gewährleisteten unternehmerischen Eigenverantwortung (Art. 1 Abs. 2 PfleWoqG) Rechnung getragen. Anordnungen nach Art. 13 Abs. 1 oder 2 PfleWoqG begründen in der Regel eine einrichtungsbezogene Verhaltenspflicht des Trägers der stationären Einrichtung mit dem Ziel und Inhalt, die gesetzlichen Anforderungen des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes zu verwirklichen. Adressat ist derjenige, der zur Zeit des Erlasses der Anordnung Träger der Einrichtung ist, auf die sich die Anordnung bezieht. Dieser soll die – nach Art. 1 Abs. 2 PfleWoqG grundsätzlich seiner unternehmerischen Eigenverantwortung anheimgegebenen – Maßnahmen ergreifen oder veranlassen, die erforderlich sind, damit Unterbringung und Behandlung von Menschen in stationären Einrichtungen dem geltenden Pflege- und Wohnqualitätsgesetz entsprechen, und Maßnahmen unterlassen, die dem entgegenlaufen würden.
50
Das von der Antragstellerin sicherzustellende Ziel wird auch hinreichend bestimmt bezeichnet. Dass nicht unmittelbar im Tenor der Ziffer 1 des Bescheids konkretisiert wird, wie auf die Rufsignale zu reagieren ist, d.h. welche konkrete Reaktion erfolgen soll, ist mit dem Bestimmtheitsgebot (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG) vereinbar. Denn unter Berücksichtigung der Begründung des Bescheids wird dennoch deutlich, dass mit „reagieren“ eine Nachschau durch das Pflegepersonal am Ausgangsort des Signals gemeint ist: Das Pflegepersonal soll bei Eingang eines Rufsignals dessen Ursache durch Aufsuchen des Ausgangsorts des Rufsignals prüfen, um eine Ersteinschätzung des Hilfebedarfs und seiner Dringlichkeit vornehmen und sodann die gegebenenfalls notwendigen Maßnahmen einleiten zu können. Dies geht aus einer Gesamtschau der Ausführungen in dem Bescheid vom 3. August 2023 hervor. So stellt der Antragsgegner auf Seite 5 des Bescheids im Rahmen der Beanstandung der Wartezeiten nach Rufauslösung auf den Zeitraum zwischen Rufsignalauslösung und Eintreffen des Personals ab. Des Weiteren erläutert er, wenn die Rufglocke betätigt werde, habe das Personal schnellstmöglich, nach maximal fünf Minuten, nach der betreffenden Person bzw. dem Ort, an welchem das Rufsignal ausgelöst worden sei, zu sehen (S. 5 des angefochtenen Bescheids vom 3.8.2023). Es müsse nach Eingang eines Klingelrufs schnellstmöglich eine erste Sichtung bzw. Überprüfung erfolgen. Dies ermögliche die zum betreffenden Zeitpunkt anstehenden Arbeiten nach Dringlichkeit einzuordnen und die pflegerische Versorgung entsprechend einleiten und sicherstellen zu können (S. 6 und 7 des Bescheids vom 3.8.2023).
51
Für die formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung ist es ferner rechtlich unerheblich, ob die Prüfberichte jeweils „zeitnah“ zu der Prüfung im Sinne des Art. 17a Abs. 1 Satz 1 PfleWoqG in der bis zum 31. Juli 2023 und somit bei den streitgegenständlichen Begehungen und der Erstellung der hierauf bezogenen Prüfberichte geltenden Fassung erstellt worden sind. Hierin liegt kein Verfahrensfehler, welcher die Rechtmäßigkeit einer Anordnung nach Art. 13 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 PfleWoqG berühren könnte. Denn der zeitnahe Erlass eines Prüfberichts nach Art. 17a Abs. 1 Satz 1 PfleWoqG ist sowohl nach dem aktuellen als auch nach dem früheren Gesetzeswortlaut von Art. 13 PfleWoqG keine Voraussetzung für den Erlass von Anordnungen nach dieser Vorschrift. Eine späte oder gar fehlende Abfassung von Pflege-Bericht (Art. 17a PfleWoqG a.F.) oder Ergebnisprotokoll (Art. 17a PfleWoqG n.F.) steht daher dem Erlass von Anordnungen nach Art. 13 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 PfleWoqG nicht entgegen. Vielmehr ist ihr im Rahmen der Beweiswürdigung Rechnung zu tragen. So kann etwa eine lange Zeitdauer zwischen Abschluss einer Prüfung und dem Festhalten der Ergebnisse dieser Prüfung in einem Prüf-Bericht bzw. in einem Protokoll unter Umständen Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der darin enthaltenen tatsächlichen Feststellungen wecken, wenn und weil die Erinnerung an lange zurückliegende Geschehnisse nach allgemeiner Lebenserfahrung verblassen kann, wenn sie nicht zeitnah dokumentiert wird.
52
Schließlich steht der Anordnung von Maßnahmen nach Art. 13 Abs. 2 Satz 2 PfleWoqG auch nicht der bis zum 31. Juli 2023 geltende grundsätzliche Vorrang der Beratung entgegen. Ob vor Bescheiderlass eine Beratung stattgefunden hat, kann dahinstehen. Denn eine solche ist weder verfahrensrechtlich noch materiellrechtlich zwingende Voraussetzung für den Erlass einer Anordnung. Der in Art. 13 Abs. 1 Satz 1, Art. 12 Abs. 2 PfleWoqG a.F. zum Ausdruck kommende Grundsatz des Vorrangs der Beratung findet im streitgegenständlichen Fall keine Anwendung (mehr), da er mit der zum 1. August 2023 in Kraft getretenen Änderung des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes abgeschafft worden ist. Nach Art. 13 Abs. 2 Satz 1 PfleWoqG kann nunmehr unabhängig von einer Beratung eine Anordnung getroffen werden. Bei erneuten und in Fortsetzung festgestellten Mängeln soll sogar vorrangig eine Anordnung getroffen werden (Art. 13 Abs. 2 Satz 2 und 3 PfleWoqG). Eine Beratung zur Abstellung der Mängel erfolgt lediglich parallel hierzu („hiervon unberührt“, Art. 13 Abs. 2 Satz 4 PfleWoqG; vgl. LT-Drs. 18/28507, S. 18, 30).
53
Offen ist hingegen, ob Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids auch materiell rechtmäßig ist. Es bedarf weiterer Aufklärung in tatsächlicher Hinsicht, um entscheiden zu können, ob die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen des hier allein als Rechtsgrundlage in Betracht kommenden Art. 13 Abs. 2 Satz 1 und/oder Satz 2 PfleWoqG vorliegen.
54
Nach Art. 13 Abs. 2 Satz 1 PfleWoqG kann die zuständige Behörde gegenüber den Trägern Anordnungen erlassen, die zur Beseitigung einer eingetretenen oder Abwendung einer drohenden Beeinträchtigung oder Gefährdung des Wohls der Bewohnerinnen und Bewohner oder zur Sicherung der Einhaltung der dem Träger gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern obliegenden Pflichten erforderlich sind, wenn in einer stationären Einrichtung oder besonderen Wohnform der Eingliederungshilfe Abweichungen von den Anforderungen dieses Gesetzes (Mängel) festgestellt worden sind. Bei erneuten und in Fortsetzung festgestellten Mängeln sowie erheblichen Mängeln soll eine Anordnung getroffen werden (Art. 13 Abs. 2 Satz 2 PfleWoqG).
55
Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist offen. Zwar stellen unangemessene Wartezeiten auf Rufsignale einen Mangel im Sinne von Art. 13 Abs. 2 Satz 1 PfleWoqG dar. Offen ist indes, ob im streitgegenständlichen Fall unangemessene Wartezeiten und damit ein Mangel (Art. 13 Abs. 2 Satz 1 PfleWoqG) vorliegen, ob der Mangel gegebenenfalls sogar erneut, in Fortsetzung festgestellt oder erheblich ist (Art. 13 Abs. 2 Satz 2 PfleWoqG) und ob eine Anordnung zur Abwendung einer drohenden Beeinträchtigung oder Gefährdung des Wohls der Bewohnerinnen und Bewohner und zur Sicherung der Einhaltung der dem Träger gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern obliegenden Pflichten erforderlich war (Art. 13 Abs. 2 Satz 1 PfleWoqG a.E.). Um dies mit der für die Überzeugungsbildung des Gerichts (§ 122 Abs. 1, § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) erforderlichen Sicherheit beurteilen zu können, bedarf es weiterer Aufklärung im Rahmen des Hauptsacheverfahrens.
56
Die nicht zeitgerechte und damit eingeschränkte Erreichbarkeit von Hilfe über die Rufanlage begründet einen Mangel im Sinne der Legaldefinition des Art. 13 Abs. 2 Satz 1 PfleWoqG, wonach unter einem Mangel eine Abweichung von den Anforderungen des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes zu verstehen ist. Denn hierin liegt eine Abweichung von den Vorgaben des Art. 3 Abs. 2 PfleWoqG. Sowohl die Wahrung und Förderung der Selbstständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohnerinnen und Bewohner (Art. 3 Abs. 2 Nr. 2 PfleWoqG) als auch die Sicherung einer angemessenen Qualität der pflegerischen Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner nach dem allgemein anerkannten Stand der pflegewissenschaftlichen Erkenntnisse (Art. 3 Abs. 2 Nr. 4 PfleWoqG) sowie die Gewährleistung einer angemessenen ärztlichen und gesundheitlichen Betreuung (Art. 3 Abs. 2 Nr. 5 PfleWoqG) erfordern eine ständige Erreichbarkeit von Hilfe zum Beispiel über die Rufanlage innerhalb eines angemessenen Zeitraums.
57
Nach Art. 3 Abs. 2 Nr. 4 PfleWoqG hat u.a. der Träger einer stationären Einrichtung sicherzustellen, dass eine angemessene Qualität der pflegerischen Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner nach dem allgemein anerkannten Stand der pflegewissenschaftlichen Erkenntnisse gesichert ist; hierzu gehört insbesondere, dass ausreichend fachlich geeignetes Personal eingesetzt wird, um unter Achtung der Menschenwürde eine nach Art und Umfang der Betreuungsbedürftigkeit angemessene individuelle Lebensgestaltung zu ermöglichen und bei Pflegebedürftigen eine humane und aktivierende Pflege zu gewährleisten sowie die erforderlichen Hilfen zu gewähren. Hieraus sowie aus der Verpflichtung des Einrichtungsträgers zum Schutz der Würde, der Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner vor Beeinträchtigungen, Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch in Art. 3 Abs. 2 Nr. 1 PfleWoqG wird deutlich, dass der Einrichtungsträger nicht nur Beeinträchtigungen der Würde und der angemessenen individuellen Lebensgestaltung der Bewohnerinnen und Bewohner seiner Einrichtung abzuwehren, sondern auch aktiv das Zumutbare zu unternehmen hat, um die Entfaltung der Persönlichkeiten der Bewohnerinnen und Bewohner entsprechend ihrer Möglichkeiten und Bedürfnisse unter Aktivierung der vorhandenen Ressourcen zu fördern (Wiedersberg in Dickmann (Hrsg.), Heimrecht, 11. Aufl. 2014, C.III. Rn. 35). Insbesondere ist er verpflichtet, die Bewohnerinnen und Bewohner seiner Einrichtung vor körperlicher oder seelischer Vernachlässigung zu schützen. Um dies zu gewährleisten, muss der Einrichtungsträger sicherstellen, dass den Bewohnerinnen und Bewohnern die erforderlichen Hilfen gewährt werden (Art. 3 Abs. 2 Nr. 4 PfleWoqG). Dies beinhaltet auch eine zeitliche Komponente. Denn nur wenn die Bewohnerinnen und Bewohner die benötigte Hilfe rechtzeitig erhalten und ohne unzumutbar lange warten zu müssen, können Beeinträchtigungen ihrer Würde, ihrer Interessen und ihres körperlichen und seelischen Wohls wirksam verhindert werden. Dies gilt nicht nur bei einem plötzlich auftretenden akuten medizinischen Behandlungsbedarf, sondern beispielweise auch dann, wenn sie etwas essen oder trinken möchten, Schmerzen oder andere belastende Symptome haben, ihre Ausscheidungen verrichten müssen, aufstehen, sich hinlegen oder bewegen möchten (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend/Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg.), Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen, Stand Februar 2020, 14. Aufl., Ausführungen zu Art. 2, welche nicht rechtsverbindlich ist, aber wichtige Hinweise für die Auslegung geben kann, s. VG Würzburg, U.v. 17.12.2020 – W 3 K 19.99 – BeckRS 2020, 42314 Rn. 76; VG München, U.v. 2.12.2021 – M 17 K 18.6101 – BeckRS 2021, 40178 Rn. 38). Denn das Pflege- und Wohnqualitätsgesetz schützt die Bewohnerinnen und Bewohner nicht nur in ihrer körperlichen Gesundheit, sondern verpflichtet den Einrichtungsträger in Art. 3 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 4 PfleWoqG insbesondere auch zum darüberhinausgehenden Schutz ihrer Würde, Interessen und Bedürfnisse und zur Förderung ihrer Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung.
58
Für die Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung der Bewohnerinnen und Bewohner (Art. 3 Abs. 2 Nr. 2 PfleWoqG) ist es aber von entscheidender Bedeutung, dass (Not-) Rufeinrichtungen verlässlich zur Verfügung stehen. Andernfalls, d.h. bei Bedenken, bei Eintritt eines akuten Hilfebedarfs schnell Hilfe herbeirufen zu können, werden sich die Bewohnerinnen und Bewohner aus Vorsicht veranlasst sehen, mit einem Sicherheitsrisiko verbundene selbstständige Unternehmungen zu unterlassen. Funktionierende (Not-) Rufeinrichtungen stellen sicher, dass den Bewohnerinnen und Bewohnern eine nach Art und Umfang ihrer Betreuungsbedürftigkeit angemessene Lebensgestaltung ermöglicht und ihnen die erforderlichen Hilfen gewährt werden (Art. 3 Abs. 2 Nr. 4 PfleWoqG). Mit anderen Worten ermöglichen sie es, dass die Bewohnerinnen und Bewohner sich möglichst viel Selbstständigkeit bewahren, erforderlichenfalls aber die notwendige Hilfe herbeiholen können (ebenso VG München, U.v. 10.7.2013 – M 17 K 12.5854 – juris Rn. 85).
59
Bei Bewohnern, die in größerem Umfang auf Hilfe angewiesen sind, stellen funktionierende und erreichbare (Not-) Rufeinrichtungen zudem sicher, dass ihnen Betreuung im notwendigen Umfang zum erforderlichen Zeitpunkt auch zuteilwird (Art. 3 Abs. 2 Nr. 3 PfleWoqG). Gleichzeitig entlasten sie das Pflegepersonal, weil Kontrollgänge seltener erforderlich sind, wenn die Bewohner sich selbst bemerkbar machen können. Schließlich trägt es auch zur Qualität der Pflege bei, wenn auch eine Pflegekraft (ungeachtet der Möglichkeit telefonischer Kontaktaufnahmen) in der Lage ist, rasch Unterstützung herbeizuholen und dafür den betreuten Bewohner nicht allein lassen muss (ebenso VG München, U.v. 10.7.2013 – M 17 K 12.5854 – juris Rn. 86).
60
Dies wird für Rufsignale aus von pflegebedürftigen Personen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 AVPfleWoqG i.V.m. § 14 Abs. 1 SGB XI) genutzten Räumen durch die Regelung des § 9 Abs. 1 AVPfleWoqG bestätigt, welche die vom Träger nach Art. 3 Abs. 2 PfleWoqG zu erfüllenden Anforderungen konkretisiert. Danach müssen zum Schutz pflegebedürftiger Bewohner Wohn-Schlaf-Räume, Sanitärräume, Therapieräume und Gemeinschaftsräume, die von pflegebedürftigen Menschen genutzt werden, jeweils mit einer geeigneten Rufanlage ausgestattet sein. In Wohn-Schlaf-Räumen von Pflegebedürftigen muss die Rufanlage von jedem Bett aus bedient werden können (§ 9 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG). Ausweislich der Begründung der Verordnung dient dies dem Zweck, über die Rufanlage jederzeit und sofort Hilfe herbeiholen zu können (Begründung zum Verordnungsentwurf zu § 9 Abs. 1 AVPfleWoqG; Burmeister/Gaßner/Melzer/Müller, Bayerisches Pflege- und Wohnqualitätsgesetz, 2. Aufl. 2015, § 9 AVPfleWoqG Rn. 1; Friedrich in Philipp (Hrsg.), PfleWoqG Bayern, 2015, S. 53 Rn. 24). Dieser Zweck kann nur dann erreicht werden, wenn das Pflegepersonal einer Einrichtung in einem angemessenen Zeitraum reagiert, wenn ein Rufsignal ausgelöst wird und bei ihm eingeht.
61
Aus der Regelung in § 9 Abs. 1 PfleWoqG kann indes nicht geschlossen werden, dass Art. 3 Abs. 2 PfleWoqG nur bei pflegebedürftigen Personen eine zeitgerechte Reaktion gebietet. Jedenfalls wenn eine Rufanlage tatsächlich vorgehalten wird, muss sie gemäß den Vorgaben des Herstellers installiert, voll funktionsfähig, ihrem Zweck entsprechend bedien- und erreichbar sein (vgl. VG München, U.v. 10.7.2013 – M 17 K 12.5854 – juris Rn. 87), insbesondere also auch ihrem Zweck entsprechend eine jederzeitige schnelle Hilfe auslösen. Der Zweck einer jederzeitigen schnellen, wenn nicht sogar sofortigen Hilfe ist Rufanlagen jedenfalls dann immanent, wenn sie – wie hier – zumindest auch dazu dienen, dem Pflegepersonal Notfälle oder anderweitigen umgehenden Hilfebedarf (z.B. einen nicht allein zu bewältigenden Toilettengang insbesondere bei Inkontinenz) zu übermitteln. Dass die Rufanlage daneben auch noch für weitere Zwecke genutzt wird (z.B. weil die Einrichtung sie zur Signalisierung des Aufwachens am Morgen benutzen lässt oder weil die Bewohnerinnen und Bewohner sie jedenfalls tatsächlich auch zu anderen Zwecken nutzen) ändert hieran nichts. Denn diese weiteren Zwecke ersetzen nicht den Zweck, dem Pflegepersonal Notfälle oder anderweitigen umgehenden Hilfebedarf zu übermitteln, sondern treten lediglich neben diesen.
62
Der Zweck, schnell Hilfe herbeiholen zu können, geht ferner auch nicht dadurch verloren, dass weitere, nicht rufsystembasierte Maßnahmen zur Erkennung von Hilfebedarf und Notlagen, etwa regelmäßige nicht anlassbezogene Kontrollgänge, existieren. Selbst ein sehr häufiges Aufsuchen der Bewohnerzimmer durch das Pflegepersonal kann nicht verhindern, dass plötzlich, also abrupt und unvermittelt, eine Notlage oder ein dringender Unterstützungsbedarf entsteht. Im Gegensatz zum regelmäßigen Aufsuchen des Bewohnerzimmers durch Pflegepersonal stehen Rufanlagen – von technischen Defekten abgesehen – ununterbrochen 24 Stunden am Tag zur Verfügung und erlauben eine Alarmierung des Pflegepersonals auch in unerwarteten Situationen, mit denen vor ihrem tatsächlichen Eintritt nicht oder nicht zu diesem Zeitpunkt zu rechnen war. Da sich Notfälle gerade dadurch auszeichnen, dass sie unerwartet eintreten können, rechtfertigen selbst ein guter gesundheitlicher Grundzustand eines Bewohners, vorausgegangenes Verhalten eines Bewohners, ständiges Klingeln oder demenzbedingt fehlendes Bewusstsein eines Bewohners von der Auslösung eines Rufsignals und dessen Bedeutung nicht die abstrakte Verneinung der Gefahr, ohne die konkrete Situation aufzuklären.
63
Ein anderes Ruf- oder Meldesystem, das (nur) der Meldung von Notfällen und umgehendem Hilfebedarf durch die Bewohner dient, ist im streitgegenständlichen Seniorenzentrum nicht ersichtlich. Nach dem Vortrag der Antragstellerin erhalten lediglich besonders gefährdete Bewohnerinnen und Bewohner mobile Rufknöpfe, die der Signalisierung von Notfällen dienen (Antragsschrift vom 17.8.2023, S. 10, 13; eidesstattliche Versicherung der Einrichtungsleitung vom 17.3.2023). Zudem werden die Zimmer von Personen, welche nicht selbstständig das Rufsystem nutzen können, aber Unterstützung beim Aufstehen benötigen, mit Sensormatten ausgestattet (Antragsschrift vom 17.8.2023, S. 13; eidesstattliche Versicherung der Einrichtungsleitung vom 17.3.2023). Jedenfalls alle anderen Bewohnerinnen und Bewohner sind auf die stationäre Rufanlage angewiesen. Es ist auch nicht vorgetragen oder ersichtlich, dass sich potentiell zu lange Wartezeiten nach Rufsignalauslösung allein auf Bewohnerinnen und Bewohner erstrecken, die über einen mobilen Rufknopf verfügen und sowohl für Pflegekräfte als auch für die betroffenen Bewohnerinnen und Bewohner klar wäre, dass unaufschiebbarer und dringender Hilfebedarf dieser Bewohnerinnen und Bewohner nur über den mobilen Rufknopf gemeldet werden kann und über die stationäre Einrichtung allein Hilfebedarf zu melden wäre, der nicht dringlich ist. Entsprechendes gilt hinsichtlich der mit Sensormatten ausgestatteten Bewohnerinnen und Bewohnern.
64
Eine somit gebotene jederzeitige schnelle Erreichbarkeit von Hilfe über die stationäre Rufanlage ist nur dann gewährleistet, wenn nach Eingang eines Rufsignals in einem angemessenen Zeitraum, wenn nicht sogar umgehend, eine Nachschau durch eine hierfür fachlich geeignete Kraft zur Klärung des Hilfebedarfs und seiner Dringlichkeit erfolgt. Eine vorhandene (Not-) Rufeinrichtung kann den Bewohnerinnen und Bewohnern nur dann die nach Art. 3 Abs. 2 Nr. 5 PfleWoqG gebotene angemessene medizinische Betreuung (auch) in Notfällen und das im Hinblick auf die in Art. 3 Abs. 2 Nrn. 2 und 4 PfleWoqG vorgesehene aktivierende Pflege und Förderung der Selbstständigkeit bedeutsame Sicherheitsgefühl vermitteln, wenn diese sich auch auf deren Funktionsfähigkeit und eine schnelle Reaktion des Pflegepersonals verlassen können.
65
Welches Zeitfenster hierfür (maximal) zur Verfügung steht, ist gesetzlich nicht konkret festgelegt. Maßgeblich ist der allgemein anerkannte Stand pflegewissenschaftlicher Erkenntnisse (Art. 3 Abs. 2 Nr. 4, Art. 17a Abs. 2 PfleWoqG). Weder dem Vorbringen der Antragstellerin noch dem Vorbringen des Antragsgegners lässt sich der allgemein anerkannte Stand pflegewissenschaftlicher Erkenntnisse zum zeitlichen Umgang mit Rufsignalen in einer stationären Einrichtung wie der streitgegenständlichen sicher entnehmen. Dieser ergibt sich insbesondere auch nicht aus den Ausführungen des Antragsgegners zur Bestimmung des von ihm festgesetzten Zeitfensters von fünf Minuten in dem streitgegenständlichen Bescheid vom 3. August 2023.
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Der Antragsgegner leitet das von ihm festgesetzte Reaktionszeitfenster von fünf Minuten – trotz Bezugnahmen auch auf den Rettungsdienst – in erster Linie aus den Standards für Triagesysteme in Notaufnahmen ab, wonach eine Ersteinschätzung der Behandlungsdringlichkeit innerhalb eines angemessenen Zeitraums von nicht mehr als zwei bis fünf Minuten erfolgen solle (vgl. S. 6 des angefochtenen Bescheids vom 3.8.2023). Worauf sich die Annahme, die Triage solle nicht länger als zwei bis fünf Minuten dauern, stützt, ergibt sich aus dem Bescheid vom 3. August 2023 nicht. In der Behördenakte befindet sich allerdings eine Diplomarbeit vom 1. Mai 2015, welche im Rahmen des Nachdiplomstudiums an der Aargauischen Fachschule für Anästhesie-, Intensiv- und Notfallpflege der beiden Kantonsspitäler A. AG und B. AG verfasst wurde und sich mit dem Thema Triagierung beschäftigt. In dieser Diplomarbeit wird auf Seite 7 ausgeführt, dass der Zeitraum für die Triagierung nicht länger als zwei bis fünf Minuten dauern sollte. Es liegt daher nahe, dass der Antragsgegner den Richtwert von zwei bis maximal fünf Minuten hieraus entnommen hat. Allerdings lassen sich der Diplomarbeit keine Nachweise für diese zeitlichen Angaben entnehmen. Stattdessen wird in der Arbeit auf der nächsten Seite (S. 8) im Widerspruch zu der Angabe von maximal zwei bis fünf Minuten die Aussage einer Diplomierten Expertin Notfallpflege zitiert, die Triagezeit solle mindestens fünf Minuten beinhalten.
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Abgesehen davon, dass somit in tatsächlicher Hinsicht offen ist, welche Zeit für eine Triagierung in Notaufnahmen nach den geltenden fachlichen Standards einzuhalten ist, steht einer Heranziehung dieser Zeitwerte zur Bestimmung der Reaktionszeiten auf Rufsignale in der streitgegenständlichen Einrichtung entgegen, dass es bei der streitgegenständlichen Anordnung nicht um das Zeitfenster für die Beurteilung der Dringlichkeit einer Rufmeldung geht, sondern um das Zeitfenster, innerhalb dessen mit der Dringlichkeitsprüfung zu beginnen ist. Wollte man einen Vergleich zur Notaufnahme ziehen, würde dies dem Zeitfenster bis zum Beginn der Triage entsprechen. Von welchen Zeiten der Antragsgegner im Bereich der Notaufnahmen insoweit ausgeht, lässt sich dem angefochtenen Bescheid nicht entnehmen. Die vorgenannte Diplomarbeit wiederum stellt vier verschiedene Triagesysteme vor, von denen nur für eines ein Zeitfenster für den Beginn der Triage genannt wird. So wird auf Seite 13 der Arbeit ausgeführt, die australische Triageskala – Australian Triage Scale (ATS) – sehe vor, dass die Triage binnen fünf Minuten nach Eintreffen des Patienten beginne und nicht mehr als zwei bis fünf Minuten dauern solle. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um das in Deutschland vorherrschende Instrument. In Deutschland sind die zwei vorherrschenden fünfstufigen Instrumente zur Ersteinschätzung das Manchester Triage System (MTS) und der Emergency Severity Index (ESI; vgl. Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags, Ausarbeitung WD 9-3000-068/23, 12.10.2023, S. 9 m.w.N.), wobei die Ersteinschätzung in der Regel durch Pflegekräfte erfolgt (Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags, Ausarbeitung WD 9-3000-068/23, 12.10.2023, S. 7 m.w.N.). Für diese Instrumente sind dem Gericht keine Zeitfenster bis zum Beginn der Ersteinschätzung bekannt. Ausweislich einer Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags sind die international wichtigsten fünfstufigen Triage-Instrumente in der Notaufnahme die ATS, das MTS, der ESI und die Canadian Triage and Acuity Scale (CTAS). Für die ATS wird in der Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes – gestützt auf eine Veröffentlichung im deutschen Ärzteblatt International – ein Zeitfenster bis zur Ersteinschätzung von 10 Minuten angegeben, für die übrigen vier Instrumente sei eine Zeit bis zur Ersteinschätzung nicht spezifiziert (Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags, Ausarbeitung WD 9-3000-068/23, 12.10.2023, S. 16).
68
Demgegenüber sieht § 12 Nr. 2 der Regelungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern nach § 136c Absatz 4 SGB V in der Fassung vom 19. April 2018 (BAnz AT 18.05.2018 B4), zuletzt geändert am 20. November 2020 (BAnz AT 24.12.2020 B2), vor, dass Notfallpatienten eines Krankenhauses der Basisnotfallversorgung spätestens zehn Minuten nach Eintreffen in der Notaufnahme eine Einschätzung der Behandlungspriorität erhalten (vgl. auch § 5 Abs. 1 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur Ersteinschätzung des Versorgungsbedarfs in der Notfallversorgung gemäß § 120 Abs. 3b SGB V (Ersteinschätzungs-Richtlinie) vom 6. Juli 2023, die allerdings aufgrund einer Beanstandung des Bundesministeriums für Gesundheit gemäß § 94 SGB V nicht wirksam geworden ist). Dass der G-BA in seiner vorgenannten Regelung ein Zeitfenster von zehn Minuten bis zur Einschätzung der Behandlungspriorität, also bis zur Erstsichtung, vorsieht, legt nahe, dass es sich hierbei um eine dem (im Zeitpunkt des Regelungserlasses) anerkannten Stand fachlicher Erkenntnisse entsprechende Konkretisierung für die strukturierte Priorisierung der Behandlungsnotwendigkeit in Notaufnahmen der Krankenhäuser handeln dürfte.
69
Ob dieser Zeitwert trotz der Unterschiede zwischen Notaufnahmen und deren Aufsuchen einerseits sowie stationären Pflegeeinrichtungen und dem dortigen Auslösen eines Rufsignals andererseits Eingang in den allgemein anerkannten Stand der pflegewissenschaftlichen Erkenntnisse gefunden hat und als Richtwert herangezogen werden kann, ist unklar. Im Rahmen des Eilverfahrens lässt sich der allgemein anerkannte Stand der pflegewissenschaftlichen Erkenntnisse zum Umgang mit Rufsignalen in einer stationären Einrichtung daher nicht abschließend beurteilen. Die Antragstellerin bestreitet sogar das Bestehen eines solchen allgemein anerkannten Stands der pflegewissenschaftlichen Erkenntnisse. Dies bedarf weiterer Aufklärung im Hauptsacheverfahren.
70
Hiervon ausgehend lässt sich die streiterhebliche Frage, ob ein Mangel vorliegt, im Eilverfahren nicht beantworten. Es bedarf zunächst der Klärung der zeitlichen Anforderungen nach dem allgemein anerkannten Stand der pflegewissenschaftlichen Erkenntnisse an den Umgang mit Rufsignalen in einer stationären Einrichtung, bevor in einem zweiten Schritt geprüft und entschieden werden kann, ob von diesen Anforderungen im streitgegenständlichen Fall abgewichen worden ist. Im Rahmen dieses zweiten Prüfungsschrittes werden dann auch die tatsächlichen Warte- bzw. Reaktionszeiten nach Rufsignalauslösung in der streitgegenständlichen Einrichtung aufzuklären sein.
71
Gründe, aus denen das Vorliegen eines Mangels ungeachtet der vorstehenden Fragen von vornherein zu verneinen ist oder aus denen sich Ziffer 1 des Bescheids vom 3. August 2023 unabhängig von der Frage des Vorliegens eines Mangels von vornherein als rechtswidrig erweist, liegen nicht vor. Dies gilt auch, soweit die Antragstellerin vorträgt, es sei aufgrund der vom Antragsgegner beanstandeten Reaktionszeiten auf Rufsignale nie zu einer konkreten Gefährdung des Wohls der Bewohnerinnen und Bewohner gekommen. Ob eine etwaige Abweichung von den Anforderungen des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes im Umgang mit Rufsignalen zu einer konkreten Gefährdung des Wohls der Bewohnerinnen und Bewohner geführt hat, ist für die Frage des Vorliegens eines Mangels im Sinne von Art. 13 Abs. 2 Satz 1 PfleWoqG irrelevant. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Legaldefinition in der vorgenannten Vorschrift setzt ein Mangel allein eine Abweichung von den Anforderungen des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes voraus. Bei dem Merkmal der drohenden Beeinträchtigung oder Gefährdung des Wohls der Bewohnerinnen und Bewohner in Art. 13 Abs. 2 Satz 1 PfleWoqG handelt es sich um eine vom Tatbestandsmerkmal des Mangels zu trennende eigenständige Anforderung an den Erlass einer Anordnung. Art. 13 Abs. 2 Satz 1 PfleWoqG befugt die Behörde nämlich nur zu solchen Anordnungen, die entweder zur Beseitigung einer eingetretenen oder Abwendung einer drohenden Beeinträchtigung oder Gefährdung des Wohls der Bewohnerinnen und Bewohner oder aber zur Sicherung der Einhaltung der dem Träger gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern obliegenden Pflichten erforderlich sind.
72
Schließlich sind nach gegenwärtiger Aktenlage auch keine Gründe erkennbar, aus denen unabhängig von den vorstehend dargestellten offenen Fragen offensichtlich von der Rechtswidrigkeit der Ziffer 1 des Bescheids vom 3. August 2023 auszugehen wäre.
73
Im streitgegenständlichen Fall ist insbesondere nicht ausgeschlossen und im Falle des noch zu klärenden Vorliegens eines Mangels sogar wahrscheinlich, dass sich eine Regelung der Reaktionszeit auf Rufsignale zur Abwendung einer drohenden Beeinträchtigung oder Gefährdung des Wohls der Bewohnerinnen und Bewohner und unabhängig hiervon überdies auch zur Sicherung der Einhaltung der dem Träger gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern obliegenden Pflichten als erforderlich erweist. Für die Erforderlichkeit einer Anordnung zur Abwendung einer drohenden Beeinträchtigung oder Gefährdung des Wohls der Bewohnerinnen und Bewohner spricht, dass verlässlich funktionierende und erreichbare Notrufeinrichtungen eine Voraussetzung dafür schaffen, dass bei konkreter Gefahr Abhilfemaßnahmen ergriffen werden können. Sind diese nicht vorhanden, besteht eine abstrakte Gefahr, d.h. eine Sachlage, aus der nach allgemeiner Lebenserfahrung konkrete Gefahren im Einzelfall resultieren können, was für eine Anordnung ausreicht (vgl. VG München, U.v. 10.7.2013 – 17 K 12.5854 – BeckRS 2013, 198343 Rn. 75 zur alten Rechtslage). Es kommt hierbei auch nicht darauf an, wie oft in der Vergangenheit ein Rufsignal tatsächlich aufgrund einer konkreten Gefahrensituation ausgelöst worden ist, sondern – da der Ausschluss künftiger potentieller Gefährdungen sichergestellt werden muss – auf in Zukunft realistischerweise zu erwartende Fälle sofortigen Hilfebedarfs (vgl. VG Würzburg, U.v. 8.2.2018 – W 3 K 17.608 – BeckRS 2018, 34580 Rn. 60 zur Rufbereitschaft). Da die Rufanlage wie bereits ausgeführt zumindest auch der Meldung dringenden Hilfebedarfs und dem Herbeirufen schneller Hilfe in Notfällen dient, ist aber mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass über die Rufanlage (auch) Fälle dringenden Hilfebedarfs eingehen und bei Nichterreichbarkeit jederzeitiger schneller Hilfe über die Rufanlage eine Gefahr für die Gesundheit, das Leben und die Würde der Bewohnerinnen und Bewohner, mithin für ihr Wohl, droht.
74
Schließlich erweist sich Ziffer 1 des Bescheids vom 3. August 2023 derzeit auch nicht als offensichtlich unverhältnismäßig. Insbesondere verlangt ihre Einhaltung der Antragstellerin nichts Unmögliches oder Unzumutbares ab.
75
Dass es grundsätzlich möglich ist, innerhalb von fünf Minuten auf Rufsignale zu reagieren, zeigt sich darin, dass die Antragstellerin selbst in einer internen Anweisung an ihre Beschäftigten auf einen Zeitraum von „circa“ von Minuten als Richtwert für die Reaktion auf Rufsignale abstellt (vgl. Stellungnahme der Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner vom 14.7.2022). Mangels entgegenstehender greifbarer Anhaltspunkte geht das Gericht daher davon aus, dass es der Antragstellerin möglich und zumutbar ist, für möglichst kurze, maximal fünfminütige Reaktionszeiten durch ihre Pflegekräfte zu sorgen. Es wäre widersprüchlich, würde sich die Antragstellerin selbst bzw. ihren Beschäftigten einen entsprechenden Richtwert auferlegen, nunmehr aber vortragen wollen, dieser Richtwert sei generell nicht umsetzbar und unzumutbar.
76
Nicht auszuschließen ist allerdings, dass es im Einzelfall zu einer Pflichtenkollision kommt, die es unmöglich macht, auf ein Rufsignal innerhalb des in Ziffer 1 des Bescheids vom 3. August 2023 vorgeschriebenen fünfminütigen Zeitfensters zu reagieren. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn trotz Bereitstellung ausreichender, den gesetzlichen Mindeststandards entsprechender Personalressourcen durch die Antragstellerin bei Eingang des Rufsignals eines Einrichtungsbewohners sämtliche verfügbaren Pflegekräfte an einer fristgemäßen Reaktion auf ein Rufsignal aufgrund der Notfallversorgung eines anderen Bewohners gehindert sind, die unmöglich aufgeschoben oder unterbrochen werden kann, und zwar auch nicht von nur wenigstens einer Pflegekraft. Eine ausdrückliche Ausnahme- oder Härtefallregelung für diesen Fall sieht der Bescheid vom 3. August 2023 nicht vor. Dies ist indes voraussichtlich unschädlich, da eine solche ausdrückliche Regelung lediglich klarstellende Funktion hätte. Ziffer 1 des Bescheids vom 3. August 2023 ist nämlich so zu verstehen, dass die Antragstellerin als Einrichtungsträgerin eine nach objektiven Maßstäben bemessene Verpflichtung trifft, für möglichst kurze, maximal fünfminütige Reaktionszeiten auf Rufsignale zu sorgen. Dies bedeutet, dass sie alle nach Lage der Dinge erforderlichen und zumutbaren Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen hat, um Verstöße gegen das Gebot kurzer, maximal fünfminütiger Reaktionszeiten soweit wie irgend möglich zu vermeiden. Dabei überlässt es der Antragsgegner im Einklang mit Art. 1 Abs. 2 PfleWoqG der Antragstellerin, auf welche Art und Weise und mit welchen Mitteln sie ihren Pflichten nachkommt. Dies ist – wie bereits zur hinreichenden Bestimmtheit der Regelung ausgeführt – zulässig. Rechtlich oder tatsächlich unerfüllbare Anforderungen treffen die Antragstellerin damit nicht, auch wenn insbesondere über Art und Umfang effizienter Vorsorgemaßnahmen unterschiedliche Auffassungen bestehen können. Sollte der Antragsgegner im Einzelfall unzulässige oder unzumutbar überspannte, mit dem Zweck der Regelung unter Berücksichtigung des Telos des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes unvereinbare Anforderungen an die Beachtung des in Ziffer 1 des Bescheids vom 3. August 2023 enthaltenen Gebots stellen, so kann die Antragstellerin Rechtsschutz gegen die Zwangsgeldfestsetzung wegen einzelner Verstöße in Anspruch nehmen. Erst und nur in diesen Verfahren besteht gegebenenfalls Anlass zur Überprüfung, ob die Verletzung eines Reaktionszeitfensters von maximal fünf Minuten nach Rufsignaleingang im Einzelfall der Antragstellerin vollstreckungsrechtlich zuzurechnen ist (vgl. BVerwG, U.v. 21.1.2003 – 1 C 5/02 – NVwZ 2003, 1271 zu Pflichten der Beförderungsunternehmer nach § 74 AuslG a.F.).
77
Nachdem die Rechtmäßigkeit von Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids vom 3. August 2023 und damit die Erfolgsaussichten der Klage gegen die Anordnung in Ziffer 1 des Bescheids offen sind, stellen sich auch die Erfolgsaussichten der Klage gegen die hierauf aufbauende Regelung in Ziffer 2 des Bescheids, welche Vorlagepflichten der Antragstellerin zum Nachweis der Einhaltung von Ziffer 1 des Bescheids regelt, als offen dar. Auch die Rechtmäßigkeit von Ziffer 2 des Bescheids hängt von der offenen Frage ab, ob ein Mangel im Sinne von Art. 13 Abs. 2 Satz 1 PfleWoqG vorliegt. Denn bei Vorliegen eines Mangels wäre die Regelung einer Nachweispflicht voraussichtlich von der Anordnungsbefugnis nach Art. 13 Abs. 2 PfleWoqG, jedenfalls aber durch Art. 11 Abs. 1 Satz 5 bis 8 PfleWoqG gedeckt.
78
Ziffer 3 des Bescheids vom 3. August 2023 teilt als akzessorische Regelung zu Ziffer 2 deren Schicksal; sie „steht und fällt“ mit dieser (vgl. Ramsauer in Kopp/Ramsauer (Hrsg.), VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 36 Rn. 8; Schröder in Schoch/Schneider (Hrsg.), VwVfG, 3. EL August 2022, § 36 Rn. 133). Die Regelung in Ziffer 3 des Bescheids ist weder vollstreckungsfähig noch vollstreckungsbedürftig (Ramsauer in Kopp/Ramsauer (Hrsg.), VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 36 Rn. 97; Schröder in Schoch/Schneider (Hrsg.), VwVfG, 3. EL August 2022, § 36 Rn. 137; Tiedemann in BeckOK VwVfG, 61. Ed. 1.10.2023, § 36 Rn. 96). Vielmehr entfaltet sie ihre Wirkung automatisch, indem sie die Verpflichtung aus dem Hauptverwaltungsakt (Ziffer 2 des Bescheids) mit Eintritt der in ihr bezeichneten Bedingung entfallen lässt. Sollte sich Ziffer 2 des Bescheids im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen, könnte auch die sich hierauf beziehende Nebenbestimmung in Ziffer 3 des Bescheids keinen Bestand haben. Sollte sich Ziffer 2 hingegen als rechtmäßig erweisen, ist nicht ersichtlich, wie Ziffer 3 die Antragstellerin in ihren Rechten verletzen sollte. Ziffer 3 des Bescheids stellt die sich aus Ziffer 2 ergebende Verpflichtung der Antragstellerin unter eine auflösende Bedingung und enthält damit eine sich im Ergebnis für die Antragstellerin günstig auswirkende, da ihre Verpflichtung (zeitlich) begrenzende Nebenbestimmung. Ob die in Ziffer 2 des Bescheids geregelte Nachweispflicht in zulässiger Weise nach Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG auflösend bedingt worden ist bis zur „Wiedererfüllung“ der Ziffer 1 des Bescheids und dem Nachweis hierüber (s. Ziffer 3 des Bescheids), kann daher an dieser Stelle derzeit dahinstehen.
79
Die im Fall offener Erfolgsaussichten gebotene Folgenabwägung geht hinsichtlich der Regelungen in den Ziffern 1 bis 3 des Bescheids vom 3. August 2023 zulasten der Antragstellerin aus.
80
Es unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass sich die verwaltungsgerichtliche Kontrolle des Sofortvollzugs einer behördlichen Maßnahme auf die Durchführung einer Interessenabwägung beschränkt, wenn sich die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme bei summarischer Prüfung nicht hinreichend übersehen lässt (BVerfG, B.v. 22.2.2002 – 1 BvR 300/02 – NJW 2002, 2225). Im Rahmen dieser Abwägung sind die Folgen für die zu schützenden Rechtsgüter der Antragstellerin einerseits und des Antragsgegners und der Bewohner oder Bewohnerinnen andererseits, die entstünden, wenn eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung erginge, und die Folgen für die Rechtsgüter der Antragstellerin, wenn eine solche nicht erginge, abzuwägen (BayVGH, B.v. 29.9.2011 – 12 CS 11.2022 – BeckRS 2011, 33931 Rn. 89). Dabei wiegt der Rechtsschutzanspruch des Betroffenen umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je gewichtiger die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahmen Unabänderliches bewirken (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 93).
81
Hiervon ausgehend überwiegt bei einer Gesamtwürdigung der im streitgegenständlichen Fall widerstreitenden Interessen das Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ziffern 1 bis 3 des Bescheids vom 3. August 2023 das Interesse der Antragstellerin an einer Aussetzung der Vollziehung. Das Vertrauen der Allgemeinheit in eine effektive Heimaufsicht und insbesondere Leib, Leben und Menschenwürde der Heimbewohner wiegen schwerer als das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin und die ihr und ihren Beschäftigten entstehenden Belastungen durch die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 bis 3 des Bescheids vom 3. August 2023.
82
Dafür spricht schon die gesetzliche Wertung des Gesetzgebers, die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Maßnahmen nach Art. 13 Abs. 2 PfleWoqG gemäß Art. 13 Abs. 6 PfleWoqG entfallen zu lassen. Entsprechendes würde gemäß Art. 11 Abs. 5 PfleWoqG im Übrigen auch für Maßnahmen nach Art. 11 Abs. 1 PfleWoqG gelten, sollte man diese als Rechtsgrundlage für Ziffer 2 des Bescheids vom 3. August 2023 betrachten. Diese gesetzliche Wertung hat gerade bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens erhebliches Gewicht (BVerwG, B.v. 13.6.2007 – 6 VR 5/07 – NVwZ 2007, 1207 Rn. 26). Es besteht ein besonderes öffentliches Interesse daran, die Rechte der Bewohnerinnen und Bewohner stationärer Einrichtungen effektiv und zeitnah zu schützen. Die Abwehr von Gefahrenlagen ist nur dann effektiv und insbesondere zeitnah möglich, wenn die zu ergreifenden Maßnahmen nicht durch die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen aufgeschoben werden. Besondere Umstände, die ein Abweichen vom grundsätzlichen Vorrang des Vollzugsinteresses hier rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.
83
Heimbewohner, aber auch die Allgemeinheit müssen darauf vertrauen können, dass Einrichtungen wie die der Antragstellerin sorgfältig überwacht und dort Pflegemängel nicht hingenommen werden, sondern ihnen effektiv begegnet wird. Gerade die in der Einrichtung wohnenden älteren Menschen sind hierauf zur Wahrung ihrer Menschenwürde auch im Alter und etwa auch bei Gebrechlichkeit angewiesen, zumal sie sich nicht selten selbst nicht mehr gegen Mängel zur Wehr setzen können.
84
Durch die Regelungen in den Ziffern 1 bis 3 des Bescheids vom 3. August 2023 können die grundrechtlich geschützten Belange der Heimbewohner auf Achtung ihrer Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und der Unverletzlichkeit der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) effektiv geschützt werden. Ziffer 1 des Bescheids dient dazu, sicherzustellen, dass Hilfebedarf der Heimbewohner, insbesondere dringender Hilfebedarf, zeitgerecht entdeckt und erfüllt wird. Diese Regelung zielt damit unmittelbar auf die Gewährleistung des Schutzes der vorstehend genannten Rechtsgüter. Mittelbar zielen auch die Regelungen zur Nachweisführung (Ziffern 2 und 3 des Bescheids) hierauf. Denn der vom Pflege- und Wohnqualitätsgesetz bezweckte Bewohnerschutz ist nur dann wirkungsvoll, wenn Anordnungen zu seiner Sicherstellung nicht nur getroffen, sondern auch effektiv kontrolliert (und bei Bedarf mit Zwangsmitteln) durchgesetzt werden können.
85
Würde die aufschiebende Wirkung angeordnet und sich im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass die vom Antragsgegner angenommenen Mängel auch nur teilweise vorlagen, wären die für die Heimbewohner eintretenden Schäden nachträglich nicht wieder gut zu machen. Das gilt insbesondere für Gesundheitsbeeinträchtigungen oder gar Gesundheitsschäden, etwa aufgrund zu später Einleitung von Versorgungsmaßnahmen infolge einer nicht schnell genug erfolgten Reaktion auf ein Rufsignal. Es gilt aber auch für die mangelnde Förderung der Würde und Selbstbestimmung der Bewohnerinnen und Bewohner bei fehlender Möglichkeit der Bewohnerinnen und Bewohner, jederzeit schnell Hilfe herbeirufen zu können. Insoweit sind an die Eintrittswahrscheinlichkeit weiterer Gefahren für die gesamten grundrechtlich geschützten Belange umso weniger Anforderungen zu stellen, je höher die Rechtsgüter einzuordnen sind und je nachhaltiger die Verletzung wirkt (BayVGH, B.v. v. 29.9.2011 – 12 CS 11.2022 – BeckRS 2011, 33931 Rn. 97).
86
Demgegenüber treten die wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin auch unter Berücksichtigung von Art. 12 und Art. 14 GG bei der Abwägung zurück. Die Nachteile, die der Antragstellerin durch die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 bis 3 des Bescheids vom 3. August 2023 entstehen, erscheinen weniger gravierend als die Schäden, die im Falle der Anordnung der aufschiebenden Wirkung drohen könnten. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Umstand zu, dass die angefochtene Regelung in Ziffer 1 des Bescheids vom 3. August 2023 inhaltlich einer bereits vor Bescheiderlass existierenden internen Regelung der Antragstellerin ähnelt. So teilte die Antragstellerin dem Antragsgegner mit Stellungnahme vom 14. Juli 2022 mit, dass es eine interne Anordnung gebe, dass bei Absetzen eines Klingelrufs unverzüglich (ca. fünf Minuten) von den Pflegekräften reagiert werden müsse. Einem zwangsgeldbewehrten Verwaltungsakt, der sich an die Antragstellerin richtet, kommt zwar rechtlich gesehen eine andere Qualität zu als einer bloßen internen Anweisung der Antragstellerin selbst. Ersterer kann durch die Verwaltung mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, während sich die interne Anweisung der Antragstellerin an deren Beschäftigte richtet und die Antragstellerin diese Anweisung im Rahmen arbeitsrechtlicher Vorgaben grundsätzlich jederzeit selbstbestimmt wieder ändern kann. Die von der Antragstellerin selbst gewählte interne Regelung zeigt jedoch, dass die Einhaltung eines Reaktionszeitfensters von fünf Minuten in der streitgegenständlichen Einrichtung grundsätzlich möglich ist. Hierauf wirksam hinzuwirken, ist der Antragstellerin bis zur Klärung der noch offenen Fragen im Rahmen des Hauptsacheverfahrens angesichts der andernfalls drohenden potentiellen Gefahren für die Bewohnerinnen und Bewohner der Einrichtung zumutbar, selbst wenn sich Ziffer 1 des Bescheids vom 3. August 2023 im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen sollte. Dass in der streitgegenständlichen Einrichtung bereits ein interner Richtwert für die Reaktion auf Rufsignale von „circa“ fünf Minuten gilt, lässt den Schluss zu, dass die (sofortige) Umsetzung von Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids nicht zu einem unverhältnismäßigen Aufwand aufseiten der Antragstellerin führt. Es erschiene äußerst widersprüchlich, würde die Antragstellerin ihren Beschäftigten einen entsprechenden Richtwert auferlegen, nunmehr aber vortragen wollen, die Sicherstellung der Einhaltung dieses Richtwerts sei nicht umsetzbar und unzumutbar.
87
Mit Blick auf die offenen Erfolgsaussichten der Klage gegen die Grundverfügungen im Bescheid vom 3. August 2023 sind die Erfolgsaussichten der Klage gegen die Zwangsgeldandrohungen in Ziffer 4 des Bescheids vom 3. August 2023 ebenfalls offen. Die Zwangsgeldandrohungen erweisen sich nach Aktenlage nicht bereits aus anderen, von der Wirksamkeit der Grundverfügungen unabhängigen Gründen als offensichtlich rechtswidrig. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 19 VwZVG oder die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 29, 31, 36 VwZVG nicht vorliegen. Insbesondere liegen mit den in den Ziffern 1 und 2 des Bescheids vom 3. August 2023 enthaltenen Regelungen vollziehbare Verwaltungsakte vor, die zu einem Handeln, Dulden oder Unterlassen verpflichten oder zu einer unmittelbar kraft einer Rechtsnorm bestehenden solchen Pflicht anhalten (vgl. Art. 18 Abs. 1, Art. 19 Abs. 1 Nr. 2, Art. 29 VwZVG). Diese Verwaltungsakte können mit den in Art. 29 Abs. 2 VwZVG genannten Zwangsmitteln vollstreckt werden. Zu den zulässigen Zwangsmitteln zählt auch das Zwangsgeld nach Art. 31 VwZVG.
88
Die Zwangsmittel müssen vor ihrer Anwendung grundsätzlich schriftlich angedroht werden (Art. 36 Abs. 1 Satz 1 VwZVG). Hierbei ist für die Erfüllung der Verpflichtung eine Frist zu bestimmen, innerhalb welcher dem Pflichtigen der Vollzug billigerweise zugemutet werden kann (Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG). Die Androhung kann mit dem Verwaltungsakt verbunden werden, durch den die Handlung, Duldung oder Unterlassung aufgegeben wird. Sie soll mit ihm verbunden werden, wenn der sofortige Vollzug angeordnet ist oder wenn den Rechtsbehelfen keine aufschiebende Wirkung zukommt (Art. 36 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwZVG). Zudem muss ein bestimmtes Zwangsmittel angedroht werden (Art. 36 Abs. 3 Satz 1 VwZVG), wobei der Betrag des Zwangsgeldes in bestimmter Höhe anzudrohen ist (Art. 36 Abs. 5 VwZVG). Zwangsgeldandrohungen müssen also erkennen lassen, für welchen Verstoß gegen welche einzelne Pflicht ein Zwangsgeld in welcher Höhe angedroht wird (BVerwG, GB v. 26.6.1997 – 1 A 1 10/95 – NVwZ 1998, 393, 394; Tiedemann in BeckOK VwVfG, 59. Ed. Stand 1.4.2023, § 37 Rn. 19).
89
Neben der Bestimmtheit der Zwangsgeldandrohung selbst setzt eine rechtmäßige Zwangsgeldandrohung voraus, dass der zu vollstreckende Grundverwaltungsakt ebenfalls hinreichend bestimmt ist. Die hinreichende Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG ist eine Grundvoraussetzung für seine Vollstreckbarkeit, denn erst dann, wenn die rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Feststellung möglich ist, welche Pflicht von wem zu erfüllen ist, ist die zwangsweise Durchsetzung dieser Pflicht möglich. Sowohl der Pflichtige selbst als auch die Vollstreckungsbehörde müssen aus dem Bescheid den Umfang der Verpflichtungen zweifelsfrei entnehmen können (BayVGH, B.v. 4.7.2012 – 22 ZB 12.204 – juris Rn. 13 m.w.N.). Zur Wahrung des Bestimmtheitsgebots im Sinne des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG genügt es, wenn sich die hinreichende Klarheit für den Adressaten im Wege einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung und unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts des Verwaltungsakts und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der Begründung der Entscheidung und den den Beteiligten näher bekannten Umständen des Erlasses gewinnen lässt (BayVGH, B.v. 4.7.2012 – 22 ZB 12.204 – juris Rn. 17).
90
Diesen Anforderungen genügt die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 4.1 des Bescheids vom 3. August 2023. Ziffer 4.1 des Bescheids enthält zwar keine konkrete Fristbestimmung, aus der Bezugnahme auf Ziffer 1 des Bescheids wird jedoch deutlich, dass das Zwangsgeld fällig wird, wenn die Verpflichtung aus Ziffer 1 des Bescheids nicht ab der in Ziffer 1 genannten Frist („mit Ablauf des Tages nach Zustellung des Bescheids“) eingehalten wird. Dass eine bloß eintägige Frist zu kurz bemessen wäre, um die Verpflichtung aus Ziffer 1 des Bescheids vom 3. August 2023 umzusetzen, hat die Antragstellerin nicht substantiiert vorgetragen und drängt sich – jedenfalls ohne substantiierte Ausführungen der Antragstellerin zu den von ihr hierzu vorzunehmenden Maßnahmen im Betrieb – auch nicht auf.
91
Gemessen hieran bestehen gegenwärtig keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken gegen Ziffer 4.1 des Bescheids. Daher überwiegt mit Blick auf die gesetzliche Wertung des Art. 21a Satz 1 VwZVG und zwecks Sicherstellung der Effektivität des mit Ziffer 1 des Bescheids verfolgten Bewohnerschutzes das Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ziffer 4.1 des Bescheids vom 3. August 2023 das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin.
92
Gegen die Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung in Ziffer 4.2 bestehen hingegen erhebliche rechtliche Bedenken. Daher überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das gemäß Art. 21a Satz 1 VwZVG kraft Gesetzes bestehende und allein deshalb ein nicht unerhebliches Gewicht aufweisende Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ziffer 2 des Bescheids vom 3. August 2023. Die Androhung eines Zwangsgelds in Höhe von 250,00 EUR für den Fall nicht fristgerechter Erfüllung der Verpflichtung aus Ziffer 2 des Bescheids vom 3. August 2023 verstößt gegen den Grundsatz hinreichender Bestimmtheit. Für die Antragstellerin als Bescheidadressatin ist nicht eindeutig erkennbar, welche ihr in Ziffer 2 des Bescheids vom 3. August 2023 auferlegte Verpflichtung sie innerhalb welcher Frist erfüllen muss, um ein Fälligwerden des Zwangsgelds zu vermeiden (Art. 31 Abs. 3 Satz 3, Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG). Nach dem Wortlaut von Ziffer 4.2 des Bescheids vom 3. August 2023 wird das Zwangsgeld fällig, wenn die Antragstellerin den „Pflichten und Maßnahmen gemäß Ziffer 3 nicht fristgemäß nachkommt“.
93
Wie bereits ausgeführt, ist mit „Ziffer 3“ tatsächlich „Ziffer 2“ gemeint. Mit dem Begriff „fristgemäß“ wird dementsprechend auf Ziffer 2 und die dort genannten Fristen Bezug genommen. Ziffer 2 des Bescheids sieht vor, dass Rufglockenprotokolle im Zwei-Wochen-Takt mittwochs, erstmals am 23. August 2023, vorzulegen sind. In der Begründung zu Ziffer 4.2 des Bescheids wird demgegenüber ausgeführt, dass „die Frist (23.08.2023)“ aufgrund des erheblichen Mangels angemessen sei. Zugleich weist der Antragsgegner in der Begründung des Bescheids „zu Ziffern 1 bis 4 (einschl. 4.1-4.2)“ aber auch darauf hin, dass die Zwangsgelder fällig würden, wenn einzelne oder alle Anordnungen nicht, nicht fristgerecht oder nicht vollständig beachtet würden. Während die Nennung des Datums „23.08.2023“ darauf hindeutet, dass nur für einen Verstoß gegen die Pflicht zur erstmaligen Vorlage von Rufprotokollen (für den Zeitraum 7.8.2023 bis 20.8.2023) am 23. August 2023 ein Zwangsgeld verhängt werden soll, legt der Hinweis auf das Fälligwerden von Zwangsgeldern, wenn einzelne oder alle Anordnungen „nicht, nicht fristgerecht oder nicht vollständig“ erfüllt würden, nahe, dass alle in den Ziffern 1 und 2 des Bescheids getroffenen Regelungen zwangsgeldbewehrt und für jeden Verstoß ein Zwangsgeld angedroht werden sollte. Der Wortlaut des Tenors von Ziffer 4.2 i.V.m. Ziffer 2 des Bescheids als solcher lässt beide Auslegungen zu. Für den Bescheidadressaten ist damit nicht eindeutig erkennbar, ob das Zwangsgeld nur dann fällig werden soll, wenn die Frist für die erstmalige Vorlage von Rufprotokollen versäumt wird, oder aber für jeden Verstoß gegen die Vorlagepflicht im Zwei-Wochen-Takt ein Zwangsgeld angedroht wird.
94
Nicht anzuordnen ist die aufschiebende Wirkung schließlich hinsichtlich der Nebenentscheidungen in den Ziffern 5 und 6 des Bescheids, welche die mit Kostenrechnung vom 3. August 2023 angeforderten Kosten des Verwaltungsverfahrens regeln. Es ist kein Grund ersichtlich, insoweit die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, obwohl die Klage gegen die Sachentscheidung, auf die sich die Kostenentscheidung und die Kostenfestsetzung beziehen, keine aufschiebende Wirkung hat mit Ausnahme der Klage gegen die kostenmäßig nicht ins Gewicht fallende (vgl. Nr. 1.I.8/1 des Kostenverzeichnisses) Ziffer 4.2 des Bescheids, deren aufschiebende Wirkung mit diesem Beschluss angeordnet wird. Insofern sind diese Nebenentscheidungen mit dem rechtlichen Schicksal der Sachentscheidung verknüpft. Jedenfalls überwiegt mit Blick darauf, dass die Rechtmäßigkeit des Bescheids, für dessen Erlass Kosten erhoben werden, mit Ausnahme von Ziffer 4.2 des Bescheids offen ist, mithin insoweit derzeit keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Dies entspricht auch der Wertung von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 4 Satz 3 Alt. 1 VwGO. Nach § 80 Abs. 4 Satz 3 Alt. 1 VwGO soll die Vollziehung bei öffentlichen Abgaben und Kosten ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Mit Blick auf die Ratio des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO ist aber nur bei überwiegenden für die Rechtswidrigkeit streitenden Gründen von ernstlichen Zweifeln auszugehen, weil das Vollziehungsrisiko gerade nicht bei der Verwaltung, sondern beim Bürger liegen soll (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 95). Für das Vorliegen einer unbilligen Härte ist im streitgegenständlichen Fall nichts ersichtlich. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragstellerin durch die Vollziehung der Kostenentscheidung wirtschaftliche Nachteile drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung der mit Kostenrechnung vom 3. August 2023 erhobenen Kosten von 303,13 EUR nicht ausgeglichen werden oder nur schwer gutzumachen sind, oder dafür, dass die Vollziehung zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz der Antragstellerin führen würde, sind weder vorgetragen noch sonst erkennbar.
95
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.
96
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG. Der Streitwert entspricht einem Betrag in Höhe der Hälfte des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der am 31.5./1.6.2012 und am 18.7.2013 beschlossenen Fassung, BayVBl. 2014, Sonderbeilage Januar). Da der Sach- und Streitstand keine genügenden Anhaltspunkte für die Bestimmung des Hauptsachestreitwerts nach der Bedeutung bietet, beträgt der für ein Hauptsacheverfahren anzunehmende Streitwert 5.000,00 EUR (§ 52 Abs. 2 GKG).
97
Es liegen keine genügenden Anhaltspunkte für die Bestimmung des Hauptsachestreitwerts nach der Bedeutung der Sache für die Antragstellerin (§ 52 Abs. 1 GKG) vor, weil nicht ersichtlich ist, welche (wirtschaftliche) Bedeutung den Regelungen in den Ziffern 1 bis 3 des Bescheids vom 3. August 2023 für die Antragstellerin beizumessen ist.
98
Genügende Anhaltspunkte zur Bestimmung des Werts dieser Regelungen für die Antragstellerin ergeben sich insbesondere nicht aus den Zwangsgeldandrohungen in Ziffer 4 des Bescheids für den Fall von Verstößen gegen Ziffer 1 oder Ziffer 2 des Bescheids. Das angedrohte Zwangsgeld soll zwar nach Art. 31 Abs. 2 Satz 2 VwZVG das wirtschaftliche Interesse, das der Pflichtige an der Vornahme oder am Unterbleiben der Handlung hat, erreichen, seine Höhe entspricht jedoch nicht zwingend dem für die Grundverfügung selbst zu bemessenden Streitwert (vgl. Ziffer 1.7.2 Satz 2 des Streitwertkatalogs).
99
Im Rahmen der Streitwertbestimmung hat sich der Wert der Regelungen in den Ziffern 1 und 2 des Bescheids vom 3. August 2023 an den Kosten zu orientieren, die der Antragstellerin für die Umsetzung dieser Anordnungen voraussichtlich entstehen werden. Denn diese spiegeln die sich aus dem Antrag der Antragstellerin insoweit für sie ergebende Bedeutung der Sache wider. Dieser aus § 52 Abs. 1 GKG folgende Bezugspunkt der Wertbestimmung ist dem für die Zwangsgeldhöhe maßgeblichen Maßstab des wirtschaftlichen Interesses, das der Pflichtige an der Vornahme oder am Unterbleiben der Handlung hat, (Art. 31 Abs. 2 Satz 2 VwZVG) im Ergebnis vergleichbar. Indes ist offen, ob die für die Umsetzung der Anordnungen zu veranschlagenden Kosten tatsächlich betragsmäßig dem angedrohten Zwangsgeld entsprechen und wie diese Kosten ermittelt wurden.
100
Zum Zeitpunkt dieser Entscheidung liegen keine ausreichenden Anhaltspunkte zur Bestimmung der Höhe der für die Anordnungsumsetzung zu veranschlagenden Kosten vor. Solche ergeben sich hinsichtlich Ziffer 2 des Bescheids auch nicht aus der von der Antragstellerin im Verfahren W 3 S 23.360 vorgelegten Übersicht vom 28. März 2023 über den Zeitaufwand für die Bereitstellung und Auswertung von Rufsignalprotokollen. Denn aus dem Zeitaufwand für sich allein (ohne Kenntnis eines Stundensatzes) lassen sich die zu veranschlagenden Kosten für die in Ziffer 2 angeordnete bloße Vorlage (nicht Auswertung) von Rufsignalprotokollen nicht ermitteln.
101
Nachdem der für die Grundverfügungen somit anzusetzende Auffangwert höher ist als die angedrohten Zwangsgelder, ist dieser höhere Wert zur Streitwertermittlung heranzuziehen (vgl. Nr. 1.7.2 Satz 2 des Streitwertkatalogs).
102
Für eine vom gesetzlichen Auffangwert abweichende Bestimmung der Höhe des Streitwerts, etwa durch Vervielfältigung des Auffangwerts oder Addition des Werts der Zwangsgeldandrohungen von 3.000,00 EUR und 250,00 EUR besteht kein Raum, auch wenn der Bescheid vom 3. August 2023 mehrere Regelungen enthält und sich der Antrag der Antragstellerin auf sämtliche dieser Regelungen bezieht. Bei der im Rahmen der Streitwertermittlung maßgeblichen wirtschaftlichen Betrachtungsweise (vgl. Ziffer 1.1.1 des Streitwertkatalogs) ist davon auszugehen, dass den in den Ziffern 2 und 3 des Bescheids vom 3. August 2023 enthaltenen Regelungen kein selbstständiger wirtschaftlicher Wert gegenüber der Regelung in Ziffer 1 des Bescheids zukommt, da die Ziffern 1 bis 3 in engem Zusammenhang stehen und im Ergebnis auf dasselbe Ziel gerichtet sind.
103
Nichts anderes ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin gegen Ziffer 2 des Bescheids vom 3. August 2023 einwendet, dass deren Erfüllung in Form einer Vorlage aufbereiteter Rufsignalprotokolle unverhältnismäßigen Aufwand bei ihr verursache. Hieraus lässt sich zwar schließen, dass der Anordnung einer (inhaltlichen) Aufbereitung von Protokollen vor deren Vorlage – wäre eine solche Regelungsgegenstand der Ziffer 2 – gegenüber der in Ziffer 1 des Bescheids angeordneten Sicherstellung maximal fünfminütiger Reaktionszeiten auf Rufsignale wirtschaftlich eine eigenständige Bedeutung für die Antragstellerin zukommen könnte. Tatsächlich regelt Ziffer 2 des Bescheids jedoch lediglich eine Protokollvorlage und keine -aufbereitung. Hierfür müssen zwar die vorhandenen Unterlagen zusammengestellt und übermittelt werden, wofür nach Angaben der Antragstellerin in der Vergangenheit ein zeitlicher Aufwand von 1 Stunde 14 Minuten pro Bereitstellung zweiwöchiger Protokollhistorien anfiel (Aufstellung des Geschäftsführers der Antragstellerin vom 28.3.2023). Eine weitergehende Aufbereitung, insbesondere Auswertung der vorzulegenden Unterlagen, wofür nach Angaben der Antragstellerin ein zusätzlicher zeitlicher Aufwand von 3 Stunden anfiel, ist hiermit jedoch nicht verbunden.
104
Des Weiteren bleiben bei der Streitwertermittlung außer Betracht der Wert der mit der Grundverfügung verbundenen Zwangsgeldandrohungen in Ziffer 4 des Bescheids (Nr. 1.7.2 des Streitwertkatalogs) und der Wert der Nebenentscheidungen in den Ziffern 5 und 6 (vgl. § 43 Abs. 1 GKG).