Titel:
Vermeintlich sittenwidriger Darlehensvertrag wegen krasser finanzieller Überforderung
Normenketten:
BGB § 138
AGG § 19 Abs. 1
Leitsätze:
1. Von der Sittenwidrigkeit einer Mithaftungserklärung ist bei Vorliegen einer krassen finanziellen Überforderung des Mitverpflichteten ohne Hinzutreten weiterer Umstände im Wege einer tatsächlichen Vermutung auszugehen, wenn der Hauptschuldner dem Mithaftenden persönlich besonders nahe steht. Eine solch krasse Überforderung liegt vor, wenn der Mithaftende voraussichtlich nicht einmal die laufenden Zinsen der Hauptschuld aufzubringen vermag. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Verstoß gegen § 138 BGB ist aber nicht etwa stets schon dann anzunehmen, wenn ein Kreditvertrag einem Kreditnehmer monatliche Belastungen auferlegt, die höher liegen als der pfändbare Betrag seines Einkommens. (Rn. 6 – 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Darlehensvertrag, Erblasserin, Alter, Sittenwidrigkeit, nicht sittenwidrig, krasse finanzielle Überforderung, Bonitätsprüfung, Kreditwürdigkeitsprüfung
Vorinstanz:
LG Amberg, Endurteil vom 01.02.2024 – 24 O 142/23
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Beschluss vom 25.06.2024 – 14 U 388/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 20942
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Amberg vom 01.02.2024, Az. 24 O 142/23, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.
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Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
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Das Landgericht hat die Beklagten zu Recht zur Zahlung in der tenorierten Höhe verurteilt.
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1. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der streitgegenständliche Darlehensvertrag nicht sittenwidrig. Dies gilt selbst dann, wenn man zugunsten der Beklagten unterstellt, dass die Erblasserin nicht gleichberechtigte Mitdarlehensnehmerin – hierfür spricht jedoch der Umstand, dass sich sowohl die Erblasserin als auch ihr Sohn, C, gemäß Anlage K 14 verpflichtet hatten, den überwiegenden Teil der Kreditmittel für energetische Maßnahmen zugunsten des in ihrem Eigentum stehenden Anwesens S in P zu verwenden –, sondern lediglich Mithaftende gewesen ist (BGH, Urteil vom 15.11.2016, XI ZR 32/16, juris Rn. 15; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Aufl., § 138 Rn. 38a; jeweils m.w.N.).
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a. Von der Sittenwidrigkeit der Mithaftungserklärung ist bei Vorliegen einer krassen finanziellen Überforderung des Mitverpflichteten ohne Hinzutreten weiterer Umstände im Wege einer tatsächlichen Vermutung auszugehen, wenn der Hauptschuldner dem Mithaftenden – wie hier C seiner Mutter – persönlich besonders nahe steht. Eine solch krasse Überforderung liegt vor, wenn der Mithaftende voraussichtlich nicht einmal die laufenden Zinsen der Hauptschuld aufzubringen vermag (BGH, a.a.O., juris Rn. 20; Grüneberg/Ellenberger, a.a.O., § 138 Rn. 38b; jeweils m.w.N.).
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b. Im Streitfall ist eine krasse finanzielle Überforderung der Erblasserin nicht festzustellen.
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Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass es der Erblasserin ohne weiteres möglich gewesen wäre, die monatlich geschuldeten Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von 249,00 € von ihrer monatlichen Rente in Höhe von 1.190,00 € zu begleichen.
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Soweit die Beklagten meinen, dass sich die Sittenwidrigkeit des streitgegenständlichen Darlehensvertrags daraus ergebe, dass der Erblasserin nach der damals gültigen Pfändungstabelle monatlich lediglich 101,47 € hätten gepfändet werden dürfen, können sie daraus nichts für sich herleiten. Denn ein Verstoß gegen § 138 BGB ist nicht etwa stets schon dann zu bejahen, wenn ein Kreditvertrag einem Kreditnehmer monatliche Belastungen auferlegt, die höher liegen als der pfändbare Betrag seines Einkommens (BGH, Urteil vom 16.03.1989, III ZR 37/88, juris Rn. 12).
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Dass das o.g. Anwesen mit Grundschulden in Höhe von 150.000,00 € belastet war, verhilft der Berufung der Beklagten ebenfalls nicht zum Erfolg, da weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, ob und, wenn ja, in welcher Höhe diese Grundschulden der Besicherung noch bestehender Verbindlichkeiten dienten.
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c. Auch die übrigen beklagtenseits angeführten Umstände können eine Sittenwidrigkeit des streitgegenständlichen Darlehensvertrags nicht begründen.
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aa. Soweit die Beklagten das Alter der Erblasserin bei Vertragsschluss anführen, begründet dies keine verwerfliche Gesinnung der Klägerin. Gegenteilig war es der Klägerin gemäß § 19 Abs. 1 AGG sogar untersagt, die Erblasserin allein aufgrund ihres Alters von einer Kreditgewährung auszuschließen, da vorliegend keine Bonitätsprüfung durchgeführt wurde (vgl. BeckOGK/Mörsdorf, AGG, Stand: 01.04.2024, § 19 Rn. 36; Grüneberg/Grüneberg, a.a.O., § 19 AGG Rn. 2 f.).
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bb. Gleiches gilt für die Berufung der Beklagten auf den Rechtsgedanken des § 509 BGB i.d.F. vom 29.07.2009 (im Folgenden: a.F.). Denn die Erblasserin war entgegen der Auffassung der Beklagten kreditwürdig.
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Wie bereits ausgeführt, verfügte die Erblasserin über eine monatliche Rente in Höhe von 1.190,00 € und bewohnte das in ihrem Miteigentum stehende o.g. Anwesen. Selbst bei voller Inanspruchnahme der Erblasserin (ohne die übrigen Mitdarlehensnehmer) hätten dieser noch rund 80% ihrer monatlichen Einkünfte zur Verfügung gestanden; weitere größere Abzugsposten hiervon sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
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cc. Soweit die Beklagten sich auf die Verbraucherkreditrichtlinie (…) berufen, übersehen sie, dass diese vorliegend nicht anwendbar ist (Umkehrschluss aus Art. 2 Abs. 2a VerbraucherkreditRL; vgl. auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 18.01.2023, 24 U 172/21, Anlage BB 1).
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dd. Gegenteilig spricht der Umstand, dass der überwiegende Teil der Kreditmittel für energetische Maßnahmen zugunsten des im Miteigentum der Erblasserin stehenden Anwesens aufgebracht werden sollte, so dass die Klägerin ein nachvollziehbares Interesse zumindest an einer Mithaftung der Erblasserin hatte, klar gegen ein sittenwidriges Verhalten der Klägerin.
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2. Entgegen der Auffassung der Beklagten, ist die Klägerin nicht zum Schadensersatz verpflichtet.
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Dabei kann dahinstehen, ob eine Verletzung der Pflicht zur Kreditwürdigkeitsprüfung überhaupt Schadensersatzansprüche auslösen kann (zum damaligen Meinungsstand BeckOK/Möller, BGB, Stand: 01.05.2015, § 509 Rn. 3). Wie bereits ausgeführt, war die Erblasserin kreditwürdig, so dass es jedenfalls an einer schadenskausalen Pflichtverletzung fehlt, worauf das Landgericht zutreffend hingewiesen hat.
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3. Da die beklagtenseits aufgeworfenen europarechtlichen Fragen selbst bei Anwendbarkeit der Verbraucherkreditrichtlinie nicht entscheidungserheblich sind, bedarf es keiner Vorlage der Streitsache an den Gerichtshof der Europäischen Union.
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Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
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Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 17.180,86 € festzusetzen.
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Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.