Titel:
Rückzahlungsansprüche aus Online-Sportwetten
Normenketten:
ZPO § 148
GVG § 23, § 71
Brüssel Ia-VO Art. 17, Art. 18
Rom I-VO Art. 6, Art. 12
BGB § 134, §§ 306 ff., § 762, § 812, § 817, § 818
StGB § 285
Leitsätze:
1. Der Verbrauchergerichtsstand (vgl. Art. 17 Brüssel Ia-VO) erfasst auch nicht-vertragliche Anspruchsgrundlagen, soweit sich die Klage allgemein auf einen Vertrag bezieht und eine enge Verbindung mit diesem Vertrag aufweist. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die zwingenden Verbraucherschutznormen der §§ 305 ff. BGB können wegen Art. 3 und Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO nicht durch Rechtswahl von der Anwendung ausgeschlossen werden. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Regelungen der §§ 4 Abs. 1, 5 und § 5, § 4a Abs. 1 S. 2 GlüStV 2012 dürften ein gesetzliches Verbot iSv § 134 BGB darstellen. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei Online-Sportwetten und Online-Casino-Spielen handelt es sich um öffentliches Glücksspiel iSv § 3 Abs. 1 S. 1 f., Abs. 2 GlüStV 2012. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
5. Verstoß gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 hat die Nichtigkeit der mit dem Kläger geschlossenen Wettverträge zur Folge. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)
6. Ein Ausschluss der Rückforderung ist in den Fällen nicht mit dem Zweck des Bereicherungsrechts vereinbar und deshalb ist die Kondiktionssperre des § 817 S. 2 BGB teleologisch zu reduzieren, wenn die Rechtswidrigkeit des Geschäfts auf Vorschriften beruht, die – wie im Fall des § 1 S. 1 GlüStV – gerade den leistenden Teil schützen sollen. (Rn. 68) (redaktioneller Leitsatz)
7. Ist ein Spiel- oder Wettvertrag nach §§ 134, 138 BGB oder aus einem anderen Grund unwirksam, beurteilt sich die Rückforderung rechtsgrundlos erbrachter Leistungen nach §§ 812, 814, 817 BGB und nicht nach § 762 BGB. (Rn. 69) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rückzahlungsansprüche, Online-Sportwetten, Malta, Zuständigkeit, Verbrauchergerichtsstand, Nichtigkeit, Verbotsgesetz, Rückforderung, Verjährung, Zinsanspruch, Aussetzung, Verbraucher, AGB, Rechtswahl, Rahmenvertrag, Glücksspielvertrag, Kondiktionssperre, EUGVVO, VO (EU) Nr. 1215/2012
Fundstelle:
BeckRS 2024, 20841
Tenor
Die Beklagte zu 1 wird verurteilt, an den Kläger 175.542,40 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.12.2023 zu zahlen.
Die Beklagte zu 2 wird verurteilt, an den Kläger 630,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.12.2023 zu zahlen.
Die Beklagte zu 1 trägt 99,64 % der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten des Klägers, die Beklagte zu 2 trägt 0,36 ‰ der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten des Klägers. Die Beklagte zu 1 und die Beklagte zu 2 tragen ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 176.172,40 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Rückzahlungsansprüche aus Online-Sportwetten.
2
Die in Malta ansässige Beklagte zu 1 veranstaltet Sportwetten, die über das Internet betrieben werden. Die Beklagte ist seit 2004 im Besitz von Lizenzen der Malta Gaming Authority für ihr Angebot.
3
Das Sportwettenangebot erhielt mit Bescheid vom 09.10.2020 eine deutsche Lizenz zur Veranstaltung von Online-Sportwetten.
4
Die ebenfalls in Malta ansässige Beklagte zu 2 bietet Online-Glückspiele an. Die Beklagte zu 2 hatte hierfür ebenfalls eine Lizenz der maltesischen Lizenz. Eine deutsche Lizenz erhielt die Beklagte zu 2 erst 2022.
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Der Kläger nahm vom 13.04.2014 bis jedenfalls zum 08.10.2020 über die deutschsprachige Internetdomaine der Beklagten an den angebotenen Sportwetten mit dem Benutzernamen: und der E-Mail-Adresse teil.
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Insgesamt tätigte der Kläger in diesem Zeitraum Einzahlungen in Höhe von 202.992,40 € bei der Beklagten zu 1, von denen er 26.820,00 € als Auszahlungen zurückerhalten hat. Er erlitt einen Gesamtverlust in Höhe von 175.542,40 €.
7
Im Zeitraum vom 30.10.2016 bis 17.06.2020 zahlte der Kläger über das Konto der Beklagten zu2 insgesamt 630,00 € zum Erwerb von Chips ein, wobei ihm 0,00 € wieder gutgeschrieben wurde.
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Die Beklagten zu 1 und 2 verfügte in dem maßgeblichen Zeitraum nicht über eine Erlaubnis im Bundesland Bayern, die ihr das Anbieten von Online-Sportwetten erlaubt hätte.
9
Der Kläger behauptet, er habe an den Glücksspielen von seiner Wohnung aus teilgenommen. Die Zahlungen des Klägers an die Klagepartei seien jeweils über den PC oder die mobile Website des Smartphones des Klägers aus seiner Wohnung erfolgt. Die Abbuchungen seien über das in Deutschland geführte Girokonto und Kreditkartenkonto des Klägers erfolgt. Er habe angenommen, dass die von der Beklagten angebotenen Glücksspiele erlaubt seien. Erst nach späterer Konsultation seiner Prozessbevollmächtigten habe er erfahren, dass die angebotenen Glücksspiele an seinem Wohnort gesetzlich verboten seien.
10
Der Kläger ist der Auffassung, dass das angerufene Gericht international zuständig sei und das deutsche Recht Anwendung finde. Es sei der Verbrauchergerichtsstand gem. Art. 17 Abs. 1 lit. c) EGVVO gegeben. Der Kläger sei Verbraucher, weil er die Verträge ausschließlich zu einem Zwecke geschlossen habe, der nicht der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit diene. Er sei auch aktivlegitimiert, weil er vom Prozessfinanzierer zur Geltendmachung der abgetretenen Ansprüche berechtigt sei.
11
Er ist weiterhin der Auffassung, dass der mit der Beklagten geschlossene Rahmenvertrag und die Spielverträge wegen Verstoßes gegen den § 4 Glücksspielstaatsvertrag 2012 (im Folgenden: GlüStV 2012) verstoßen und deshalb nichtig seien. Daher stehe ihm ein Rückzahlungsanspruch gegen die Beklagte aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zu. Zudem bestehe auch ein deliktischer Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB.
12
Der Kläger beantragt zuletzt,
Die Beklagte zu 1 wird verurteilt, an die Klagepartei 175.542,40 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte zu 2 wird verurteilt, an den Kläger 630,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
15
Die Beklagte behauptet, zum Zeitpunkt der Spielteilnahme habe sie sich am Sportwettenkonzessionsverfahren beteiligt und die Konzessionserteilungsvoraussetzungen erfüllt. Dasselbe gelte für die Casino-Spiele.
16
Die Beklagten sind der Auffassung, dass bereits keine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte bestehe. Eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 17 ff. EuGVVO liege mangels Verbrauchereigenschaft des Klägers nicht vor.
17
Zudem sind die Beklagten der Auffassung, dass maltesisches Recht anwendbar sei. Es sei zwischen den Parteien wirksam eine Rechtswahlklausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbart (s.o.).
18
Weiterhin fehle es an einer wirksamen Prozessvollmacht. Auch sei der Kläger nicht aktivlegitimiert, da eine Prozessfinanzierung im Hintergrund stehe.
19
Die Beklagten sind ferner der Auffassung, die Verträge seien nicht wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 GlüStV 2012 und § 4 Abs. 4, 5 GlüStV gem. § 134 BGB nichtig. Wegen eines Verstoßes des Konzessionsvergabeverfahrens gegen das Transparenzgebot scheide mit Rücksicht auf den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung auch ein Verstoß der Beklagten gegen ein gesetzliches Verbot aus. Selbst wenn man einen Verstoß der Beklagten gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 annehme, würde dieser jedoch nicht zu einer Nichtigkeit der Verträge führen, da dies nicht dem Normzweck des Verbotsgesetztes entspreche. Zudem sei das Online-Sportwetten-Angebot von den Aufsichtsbehörden geduldet worden.
20
Die Leistungskondiktion sei außerdem wegen nach § 762 Abs. 1 S. 2 BGB ausgeschlossen. Ein Rückforderungsanspruch sei auch wegen § 814 Alt. 1 BGB und § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen. Auch eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs des § 812 S. 2 BGB sei nicht geboten. Schließlich seien die Ansprüche auch wegen § 242 BGB ausgeschlossen.
21
Auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 2, Abs. 4, Abs. 5 GlüStV 2012 oder § 285 StGB bestehe nicht, da den Beklagten schon keine schuldhafte Rechtsgutsverletzung vorzuwerfen sei. Außerdem handele es sich bei den genannten Vorschriften nicht um Schutzgesetzte. Schließlich sei dem Kläger auch kein Schaden entstanden. Es liege keine unfreiwillige Vermögenseinbuße vor.
22
Die Beklagten erheben zudem die Einrede der Verjährung.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das wechselseitige schriftsätzliche Vorbringen der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
24
Das Gericht hat am 11.06.2024 mündlich verhandelt und hierbei den Kläger informatorisch angehört. Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift vom 11.06.2024 verwiesen (Bl. 110 ff. d.A.).
Entscheidungsgründe
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Das Verfahren war nicht nach § 148 Abs. 1 ZPO analog auszusetzen. Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 10.01.2024 das Verfahren mit dem Aktenzeichen I ZR 53/23 bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in dem Verfahren C-440/23 über ein Vorabentscheidungsersuchen des Civil Court Malta vom 11. Juli 2023 ausgesetzt. Das Vorabentscheidungsverfahren betrifft insbesondere die Frage, ob § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 unionsrechtskonform war.
26
Eine Aussetzung war vorliegend nicht angezeigt. Das vorliegende Verfahren unterscheidet sich dadurch von dem ausgesetzten Verfahren, dass Haupt-Gegenstand der Klage hier nicht Online-Pokerspiele sind, die dem Totalverbot des § 4 Abs. 4 Glücksspielstaatsvertrag in der am 1. Juli 2012 in Kraft getretenen und bis zum 30. Juni 2021 geltenden Fassung (GlüStV 2012) unterlagen, sondern Online-Sportwetten, für die der beklagte Veranstalter eine Konzession nach § 4 Abs. 5, §§ 4a, 10a GlüStV 2012 beantragt hatte (vgl. so auch die Pressemitteilungen des BGH vom 17.02.2024 008/2024).
27
Die Klage ist zulässig.
28
Das Landgericht Aschaffenburg ist gem. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sachlich sowie nach Art. 18 EUGVVO international und örtlich zuständig.
29
Der Kläger handelte als Verbraucher gem. § 17 Abs. 1 lit c. EUGVVO. Ein Verbraucher kann wegen Streitigkeiten aus einem Vertrag an seinem Wohnsitz einen Vertragspartner verklagen, wenn der andere Vertragspartner in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.
30
Dies ist hier der Fall. Die Beklagten haben ihr gewerbliches Angebot, nämlich die Veranstaltung von Online-Sportwetten, unter anderem auf Deutschland ausgerichtet. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Umstand, dass das Angebot in deutscher Sprache abrufbar war und über eine deutsche Website zur Verfügung stand. Wird den Verbrauchern auf der Website die Verwendung einer anderen Sprache als derjenigen ermöglicht, die in dem Mitgliedstaat des Gewerbetreibenden üblicherweise verwendet wird, so kann dies einen Anhaltspunkt bilden, der die Annahme erlaubt, dass die Tätigkeit des Gewerbetreibenden auf andere Mitgliedstaaten ausgerichtet ist (EuGH, Urteil vom 07.12.2010 – C-585/08 und C-144/09, Nr. 84, juris). Vorliegend kommt durch das Angebot in deutscher Sprache die Absicht der Beklagten zum Ausdruck, in Deutschland ansässige Personen anzusprechen (OLG Köln Urt. v. 17.11.2023 – 19 U 123/22, BeckRS 2023, 32376 Rn. 18).
31
Der Kläger hat den hier streitgegenständlichen Vertrag als Verbraucher geschlossen. Ausweislich seiner Angaben im Rahmen der informatorischen Anhörung hat er an den Sportwetten im Rahmen seiner privaten Freizeitgestaltung teilgenommen, diese stehen nicht im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit. Der Kläger gab an, selbständig zu sein. Anhaltspunkte für eine berufliche Tätigkeit im Zusammenhang mit der Ausübung der Sportwetten und der Online-Glückspiele bestehen nicht.
32
Unerheblich ist insoweit auch, dass sich der Kläger auf die Nichtigkeit des geschlossenen Vertrages beruft. Der Verbrauchergerichtsstand erfasst auch nicht-vertragliche Anspruchsgrundlagen, soweit sich die Klage allgemein auf einen Vertrag bezieht und eine enge Verbindung mit diesem Vertrag aufweist (vgl. BGH Urt. v. 05.10.2010 – VI ZR 159/09, NJW 2011, 532; Zöller/Geimer, ZPO, 34. Aufl., Art. 17 EUGVVO Rn. 17 mwN). Eine solche enge Beziehung liegt hier vor. Von der Regelung gemäß Art. 17, 18 EuGVVO sind auch Bereicherungsansprüche als Folge der Rückabwicklung des Vertrages erfasst (MüKoZPO/Gottwald, 6. Aufl. 2022, Brüssel Ia-VO Art. 17 Rn. 5 m.w.N.).
33
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger zur Finanzierung des vorliegenden Rechtsstreits einen Prozessfinanzierungsvertrag abgeschlossen hat. Art. 17 ff. EuGVVO erfasst gerichtliche Verfahren, die Verträge zum Gegenstand haben, welche eine Einzelperson ohne Bezug zu einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit oder Zielsetzung und unabhängig von einer solchen allein zu dem Zweck schließt, ihren Eigenbedarf beim privaten Verbrauch zu decken. Bei Verträgen, deren Zweck in einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit besteht, ist dieser besondere Schutz hingegen nicht gerechtfertigt (vgl. EuGH, Urteil vom 25.01.2018 – C-498/16, NJW 2018, 1003, Rn. 30 m.w.N. zu Art. 15 f. der VO [EG] 44/2001; zur Übertragbarkeit dieser Grundsätze auf Art. 17 f. EuGVVO s. Paulus, NJW 2018, 987, 989). Da der Begriff des Verbrauchers im Sinne der Verordnung mithin anhand der Stellung dieser Person innerhalb des konkreten Vertrags in Verbindung mit dessen Natur und Zielsetzung und nicht anhand ihrer subjektiven Stellung zu bestimmen ist, hat auch eine Forderungsabtretung ohne weiteres keinen Einfluss auf die Bestimmung des zuständigen Gerichts (EuGH, Urteil vom 25.01.2018 – C-498/16, a.a.O., Rn. 48; OLG Hamm Urt. v. 21.3.2023 – 21 U 116/21, BeckRS 2023, 8297 Rn. 19; OLG Brandenburg Urt. v. 16.10.2023 – 2 U 36/22, BeckRS 2023, 29810 Rn. 29). Von daher kann vorliegend offen bleiben, ob der Kläger nach wie vor Inhaber der geltend gemachten Ansprüche ist oder diese an einen gewerblichen Prozessfinanzierer abgetreten hat (OLG Brandenburg Urt. v. 16.10.2023 – 2 U 36/22, BeckRS 2023, 29810 Rn. 29).
34
Auf die in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten der Gerichte von Malta können sich die Beklagten nicht berufen. Eine Gerichtsstandsvereinbarung ist gemäß Art. 25 Abs. 4 EuGVVO nicht zulässig, wenn sie den Bestimmungen des Art. 19 EuGVVO zuwiderläuft (vgl. dazu BeckOGK/Quantz, Stand 01.11.2022, BGB § 307 Gerichtsstandsklausel Rn. 36.2). Das ist hier der Fall. Nach Art. 19 Nr. 1 EuGVVO kann von den Zuständigkeitsvorschriften bei Verbrauchersachen (also unter anderem von dem hier einschlägigen Art. 18 Abs. 1 S. 2 EuGVVO) nur abgewichen werden, wenn die Vereinbarung nach der Entstehung der Streitigkeit getroffen wird (Nr. 1), die Gerichtspflichtigkeit des Vertragspartners des Verbrauchers erweitert wird (Nr. 2) oder beide Vertragspartner zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Mitgliedstaat haben und durch die Vereinbarung die Zuständigkeit der Gerichte dieses Staates begründet werden soll (Nr. 3). Keine dieser Varianten liegt hier vor. (so auch LG Heidelberg, Urt. V. 08.12.2022 – Az.: 5 O 160/21).
35
Alle Parteien sind ist partei- und prozessfähig nach §§ 50, 51 ZPO. Weiterhin ist die Postulationsfähigkeit gegeben. Alle Parteien haben sich entsprechend den Anforderungen durch Rechtsanwälte vertreten lassen, § 78 Abs. 1 ZPO.
36
Die Klage ist auch vollumfänglich sowohl gegen die Beklagte zu 1,als auch gegen die Beklagte zu 2 begründet.
37
1. Der Kläger kann die Klageforderungen auch im eigenen Namen geltend machen, obwohl er die streitgegenständlichen Ansprüche im Rahmen des Prozessfinanzierungsvertrags zur Sicherung an die Aktiengesellschaft für Umsatzfinanzierung S.A. abgetreten hat. Bei der Sicherungszession können die Voraussetzungen für eine gewillkürte Prozessstandschaft vorliegen. Das dafür erforderliche schutzwürdige Eigeninteresse des Klägers und des Rechtsinhabers ist bei einer Sicherungszession – wie sie hier vorliegt – grundsätzlich gegeben (BGH NJW 2022, 1959, 1961). Durch die Vorlage der Einzugsermächtigung hat der Kläger den erforderlichen Nachweis erbracht, dass der Prozessfinanzierer als Rechtsinhaber ihn zur aktiven Prozessführung ermächtigt hat (Anlage K 18, Bl. 217 d. A.).
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2. Auf das streitgegenständliche Rechtsverhältnis ist deutsches Recht anwendbar.
39
Die Anwendbarkeit deutschen Rechts ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr.593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.06.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO). Danach ist bei Verträgen mit Verbrauchern – wie hier – das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dies betrifft auch die Beurteilung der Wirksamkeit des Vertrages sowie etwaige Folgen der Nichtigkeit des Vertrags, vgl. Art. 12 Abs. 1 lit. a, e Rom I-VO, einschließlich der bereicherungsrechtlichen Folgen, vgl. Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.07.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II-VO).
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Der Kläger hat als natürliche Person ohne Bezug zu einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit als Verbraucher jeweils Verträge mit den Beklagten geschlossen, wobei letztere mit dem Anbieten von Online-Automatenspielen bzw. Online-Sportwetten in Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit handelten (Unternehmer) und diese jedenfalls auch im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Klägers (Deutschland) ausübten, Art. 6 Abs. 1 lit. a Rom I-VO.
41
Etwas anderes ergibt sich nicht aus der in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarten Anwendbarkeit des Rechts von Malta. Dabei kann dahinstehen, ob die entsprechende Vereinbarung tatsächlich eine Rechtswahl darstellt. Unterstellt, es handele sich um eine Rechtswahl, so ist diese wegen Verstoß gegen § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam. Die §§ 306 ff. BGB finden vorliegend Anwendung. Eine Rechtswahl nach Art. 3 der Rom-I-VO ist gemäß Art. 6 Abs. 2 Rom-I-VO nur zulässig, wenn sie nicht dazu führt, dass dem Verbraucher der Schutz entzogen wird, der ihm durch diejenigen Bestimmungen gewährt wird, von denen nach seinem Heimatrecht, also hier nach deutschem Recht, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf. Dies hat zur Folge, dass die nach deutschem Recht zwingenden Verbraucherschutznormen der §§ 305 ff. BGB auf Verbraucherverträge, die Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland geschlossen haben, in jedem Fall anwendbar bleiben (BGH BeckRS 2013, 3084 Rn. 33; LG Waldshut-Tiengen BeckRS 2021, 26917 Rn. 24). Nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders unangemessen benachteiligen, was gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB insbesondere der Fall ist, wenn die Bestimmung nicht klar und verständlich ist (Transparenzgebot). Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot liegt hier darin, dass die von der Beklagten verwendete Klausel (Anlage B 43, Nr. 24. ANWENDBARES RECHT) die Vertragsbeziehung vollständig dem Recht von Gibraltar unterwirft, ohne ihn darüber zu unterrichten, dass er nach Art. 6 Abs. 2 Rom-I-VO auch den Schutz der zwingenden Bestimmungen seines Heimatrechts genießt. Dies vermittelt dem Verbraucher den falschen Eindruck, auf den Vertrag sei nur das vereinbarte Recht anwendbar, führt ihn so in die Irre und ist geeignet, ihn von der Durchsetzung seiner Rechte abzuhalten (vgl. EuGH IWRZ 2016, 215 Rn. 71; BGH BeckRS 2013, 3084 Rn. 36; LG Waldshut-Tiengen BeckRS 2021, 26917 Rn. 25; LG Aachen BeckRS 2021, 36592 Rn. 17; Rock, ZfWG 2022, 118 ff., LG Heidelberg, Urt. V. 08.12.2022 – Az.: 5 O 160/21).
42
Im Übrigen ist nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung grundsätzlich das Recht desjenigen Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt. Der Schaden ist am Wohnsitz des Klägers in Deutschland entstanden, nachdem er von dort aus an den Online-Glücksspielangeboten der Beklagten teilgenommen hat. Damit findet auch auf die deliktischen Ansprüche deutsches Recht Anwendung.
43
Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 1) Anspruch auf Rückzahlung von 175.542,40 € gem. §§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, 818 Abs. 2 BGB und gegen die Beklagte zu 2) in Höhe von 630,00 €.
44
1. Sowohl der Rahmenvertrag als auch die einzelnen Glücksspielverträge sind gemäß § 134 BGB nichtig. Die Verträge verstoßen gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012, der das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet verbietet und ein gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB darstellt (vgl. OLG München, Beschluss vom 4. August 2022 – 18 U 538/22).
45
Der BGH hat sich zur Frage der Nichtigkeit des Spielvertrages jüngst dahingehend geäußert, dass die Regelungen der §§ 4 Abs. 1, 5 und 5, § 4a Abs. 1 S. 2 GlüStV 2012 ein gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB darstellen dürften (BGH Hinweisbeschluss vom 22.03.2024 – I ZR 88/23).
46
Bei Online-Sportwettenv und Online-Casino-Spiele handelt es sich um öffentliches Glücksspiel im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1, 2, Abs. 2 GlüStV 2012 (so BVerwG, Urteil v. 26.10.2017 – 8 C 18/16), welche über die frei zugängliche deutsche Internetdomain der Beklagten öffentlich angeboten wurde und so Personen mit Wohnsitz in Deutschland die Möglichkeit zur Teilnahme an den Glücksspielen von dort aus bietet (vgl. auch BGH, Urteil v. 28.09.11 – I ZR 93/10).
47
Zwar konnten gemäß § 4 Abs. 5 GlüStV 2012 Sportwetten im Internet von den Bundesländern erlaubt werden. Dafür bedurfte es aber gemäß § 4a Abs. 1 GlüStV 2012 einer Konzession, über die die Beklagte im maßgeblichen Zeitraum unstreitig nicht verfügte.
48
2. Mit der Behauptung, die Beklagte habe sich unmittelbar nach Bekanntgabe am 1. Konzessionsverfahren im Jahr 2012 unter dem alten Glückspielvertrag 2012 an diesem Verfahren beteiligt und als eine von 35 Antragstellern die Mindestvoraussetzungen erfüllt, kann die Beklagte nicht durchdringen.
49
Das Veranstalten von Online-Spielwetten setzte nach dem maßgeblichen GlüStV 2012 zwingend die Erteilung einer Konzession durch die zuständige Verwaltungsbehörde voraus. Solange diese nicht erteilt war, bestand das grundsätzliche Verbot fort. Die bloße Anstrengung zur Erlangung oder gar ein Recht auf die (künftige) Erteilung einer Konzession kann im Verhältnis zum Spielteilnehmer aus dem verbotenen kein erlaubtes Online-Wettspiel machen. Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsverfahrens ist nicht die Sache der Zivilgerichte (LG Hamburg, Urteil vom 20.03.2023 – 301 O 92/21, Rn. 33; LG Stuttgart, Urteil vom 23.02.2023 – 53 O 180/22, Rn. 48, 51; OLG Dresden Endurteil v. 31.5.2023 – 13 U 1753/22, BeckRS 2023, 12231 Rn. 29).
50
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einem etwaigen Verstoß des Konzessionsverfahrens gegen das Transparenzgebot. Der von Teilen der Rechtsprechung vertretenen Ansicht, dass das Angebot eines Internet-Sportwetten-Anbieters, der die Anforderungen an die von ihm beantragte, aber (noch) nicht erteilte Konzession erfülle, als Folge eines intransparent durchgeführten Konzessionsverfahrens trotzdem nicht verboten sei (OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 19.01.2023 – 8 U 102/22; LG Frankfurt/Main, Urteil vom 26.04.2022; LG Paderborn, Urteil vom 28.10.2022 – 3 O 76/22; LG Oldenburg, Urteil vom 12.09.2022 – 1 O 3919/20), ist nicht zu folgen. Mithin kommt es auch nicht darauf an, wie das von der Beklagten betriebene Konzessionsverfahren tatsächlich verlaufen ist. Das bloße Vorliegen von eventuellen Verfahrensverstößen im Konzessionserteilungsverfahren, seien sie bei Eingehung des konkreten Wettvertrags von einem Verwaltungsgericht bereits festgestellt oder nicht, vermögen das – rechtmäßige – Verbotsgesetz nicht auszuhebeln. Daraus folgt kein Verstoß gegen die „Einheitlichkeit der Rechtsordnung“, sondern allenfalls eine Verletzung des Rechts des Anbieters auf eine Befreiung von dem Verbot.
51
Aus den unionsrechtlich gebotenen Einschränkungen repressiver Maßnahmen der Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen das Unionsrecht folgt nichts anderes. Hiernach darf ein Mitgliedstaat wegen einer nicht erfüllten Verwaltungsformalität zwar keine strafrechtlichen Sanktionen verhängen, wenn er die Erfüllung dieser Formalität unter Verstoß gegen das Unionsrecht abgelehnt oder vereitelt hat (EuGH, Urteil vom 04.02.2016 – C 336/14, Rn. 63, zitiert nach beck-online). Daraus folgt entgegen der Auffassung des OLG Frankfurt/Main im Beschluss vom 19.01.2023 – 8 U 102/22 aber nicht, dass die Verbotsnorm keinerlei Wirkung entfaltet (Rn. 20, zitiert nach juris) oder der Mitgliedstaat – über den Verzicht auf Sanktionen hinaus – verpflichtet wäre, die in Rede stehende Tätigkeit im Bereich des Glücksspielmarkts zu genehmigen. Das bloße Absehen von einem repressiven Einschreiten gegen ein – möglicherweise – rechtswidriges Verhalten lässt sich mit einer behördlichen Genehmigung, die eine Legalisierungswirkung für die von ihr erlaubte Tätigkeit entfaltet, nicht gleichsetzen. Das Unionsrecht fordert nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine derartige Gleichsetzung nicht. Der Mitgliedstaat ist lediglich gehalten, Entscheidungen über auf eine Genehmigung gerichtete Anträge auf der Grundlage objektiver und nichtdiskriminierender Kriterien zu treffen. Einen bestimmten Inhalt dieser Entscheidungen gibt ihm das Unionsrecht nicht vor (BVerwG, Beschluss vom 07.11.2018 – 8 B 29/18, Rn. 14, zitiert nach beck-online).
52
Nach dem GlüStV 2012 sind sämtliche Internet-Sportwetten, die ohne Konzession veranstaltet werden, verboten; Ausnahmen etwa für den Fall, dass ein Anspruch auf eine Konzession besteht, diese bereits beantragt und unberechtigt (noch) nicht erteilt worden ist, sind nicht statuiert (OLG Dresden Endurteil v. 31.5.2023 – 13 U 1753/22, BeckRS 2023, 12231 Rn. 41).
53
3. Das Internetverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 verstößt – wie unter II. ausgeführt – auch nicht gegen Art. 56 AEUV und ist auch im Übrigen mit dem Unionsrecht vereinbar. Im Übrigen steht die Ince-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, Urteil v. 04.02.2016 – C-336/14) dem Schutz dieser legitimen Gemeinwohlinteressen nicht entgegen, da sie die Vermittlung von Sportwetten vor Ort betrifft.
54
Der Verstoß gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 hat die Nichtigkeit der mit dem Kläger geschlossenen Wettverträge zur Folge (so im Ergebnis auch BGH, Hinweisbeschluss vom 22.03.2024 – I ZR 88/23).
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1. Die Frage, ob der Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führt, ist, wenn eine ausdrückliche Rechtsfolgenregelung fehlt, nach dem Zweck des Verbotsgesetzes zu beantworten. Dabei hat der Verstoß gegen ein Verbotsgesetz in der Regel die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts nur dann zur Folge, wenn sich das Verbot gegen beide Seiten richtet. In besonderen Fällen kann sich die Nichtigkeit allerdings auch aus einem einseitigen Verstoß ergeben, falls nämlich der Zweck des Verbotsgesetzes anders nicht zu erreichen ist und die rechtsgeschäftlich getroffene Regelung nicht hingenommen werden darf. Eine solche Ausnahme liegt etwa vor, wenn der angestrebte Schutz des Vertragspartners die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts erfordert oder wenn der Erfüllungsanspruch auf eine unerlaubte Tätigkeit gerichtet ist. Reicht es dagegen aus, dem gesetzlichen Verbot durch verwaltungs- bzw. strafrechtliche Maßnahmen Nachdruck zu verleihen, so hat die zivilrechtliche Sanktion der Nichtigkeit daneben keinen Platz (BGH, Beschluss vom 13.09.2022 – XI ZR 515/21, Rn. 11; OLG Braunschweig, Urteil vom 23.02.2023 – 9 U 3/22, Rn. 89; OLG Dresden Endurteil v. 31.5.2023 – 13 U 1753/22, BeckRS 2023, 12231 Rn. 37).
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2. Nach diesen Maßgaben muss der Verstoß gegen das Verbot nach § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 zur Nichtigkeit der vom Kläger mit der Beklagten eingegangenen Wettverträge führen.
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Da sich das Verbot allein gegen die Anbieter und Vermittler von öffentlichen Glücksspielen im Internet richtet und gemäß § 4 Abs. 5 GlüStV 2012 zusätzlich mit einem Erlaubnisvorbehalt für näher bezeichnete Glücksspiele versehen ist, ist zwar nur von einem einseitigen Gesetzesverstoß der Beklagten auszugehen. Der von § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 angestrebte Schutz des Vertragspartners, hier des Klägers, erfordert jedoch die Nichtigkeit des jeweiligen Rechtsgeschäfts. Denn der Zweck von § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 besteht nicht nur darin, den Abschluss eines Spielvertrags im Internet, sondern auch die mit der Durchführung des Glücksspiels verbundenen Folgen zu unterbinden. Er dient im Gefüge der weiteren Regelungen des GlüStV 2012 der Suchtprävention und -bekämpfung, dem Spieler- und Jugendschutz, der Kriminalitätsprävention und der Vermeidung von Gefahren für die Integrität des Sports. Der Spieler soll vor Manipulation, Folgekriminalität und Gesundheitsgefahren geschützt werden (OLG Dresden Endurteil v. 31.5.2023 – 13 U 1753/22, BeckRS 2023, 12231 Rn. 39 unter Bezugnahme auf die Erläuterungen zum Glücksspielstaatsvertrag 2012, S. 4 ff.; OLG Köln Urt. v. 17.11.2023 – 19 U 123/22, BeckRS 2023, 32376 Rn. 26 m.w.N.).
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Vor diesem Hintergrund ist die Nichtigkeit von online abgeschlossenen Glücksspielverträgen auch bereits von mehreren Oberlandesgerichten angenommen worden (OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.04.2023 – 14 U 256/21; OLG Hamm, Urteil vom 21.03.2023 – 21 U 116/21; OLG Braunschweig, Urteil vom 23.02.2023 – 9 U 3/22; OLG Köln, Urteil vom 31.10.2022 – 19 U 51/22, jeweils zitiert nach juris; OLG Dresden, Urteil vom 27.10.2022 – 10 U 736/22; OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 08.04.2022 – 23 U 55/21, zitiert jeweils nach beck-online; OLG München, Beschlüsse vom 04.08.2022 und 20.09.2022 – 18 O 538/22, zitiert nach juris). Diesen Entscheidungen lagen zwar jeweils nicht, wie im Streitfall, Sportwetten zugrunde. Im Vergleich zu anderen Glücksspielen nehmen Sportwetten aber keine Sonderstellung ein, die hinsichtlich der Folgen eines Verstoßes gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 zu einer anderen Bewertung führen müsste. Die oben genannten Gründe für das gesetzliche Verbot gelten auch in Bezug auf Sportwetten.
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Soweit die im GlüStV 2012 enthaltenen Verbote unterschiedliche Adressaten und unterschiedliche Sachverhalte ansprechen, kommen dagegen auch unterschiedliche Rechtsfolgen in Betracht. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof mit seinem Beschluss vom 13.09.2022 – XI ZR 515/21 entschieden, dass der Verstoß eines Zahlungsdienstleisters gegen das Verbot nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 GlüStV 2012 nicht die Nichtigkeit der Autorisierung nach sich zieht. Die Interessen des Spielers gebieten es in diesem Zusammenhang nicht, ihn durch die Nichtigkeit der von ihm bewirkten Autorisierung vor den wirtschaftlichen Folgen des Glücksspiels zu schützen. Denn ein drohender Vermögensschaden resultiert gerade nicht aus dem Verbot unerlaubten Glücksspiels, an das § 4 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 GlüStV 2012 tatbestandlich anknüpft, sondern aus dem jedem Glücksspiel immanenten Risiko, dass Gewinne oder Verluste ungewiss und rein zufällig sind (BGH, a.a.O., Rn. 16; OLG Dresden Endurteil v. 31.5.2023 – 13 U 1753/22, BeckRS 2023, 12231 Rn. 42).
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Zu der hier fraglichen Nichtigkeit des Spielvertrags, der auch in dem von ihm entschiedenen Fall verbotswidrig online abgeschlossen worden war, hat sich der Bundesgerichtshof in dem genannten Beschluss nicht geäußert. Er hat sie aber auch keinesfalls ausgeschlossen. Der Bundesgerichtshof hat in anderem Zusammenhang vielmehr ausgeführt, dass der dortige Kläger die Beklagte in die Lage hätte versetzen müssen, „die Nichtigkeit des Valutaverhältnisses gemäß § 134 BGB i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Fall 1 GlüStV gegenüber den Vertragsunternehmen substantiiert behaupten und liquide beweisen zu können“ (a.a.O., Rn. 21). Der Bundesgerichtshof ist hiernach zumindest davon ausgegangen, dass eine Nichtigkeit des Spielvertrags in Betracht kommt (OLG Dresden Endurteil v. 31.5.2023 – 13 U 1753/22, BeckRS 2023, 12231 Rn. 43).
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Die Beklagte kann zudem nicht mit Erfolg geltend machen, dass das Angebot geduldet worden sei, da auch eine etwaige Duldung des Angebots durch staatliche Behörden das Verbotsgesetz nicht außer Kraft setzen würde, die Verantwortung gegenüber dem Verbraucher vielmehr bestehen bleibt (vgl. LG Gießen, Urteil v. 25.02.21 – 4 O 84/20). Der Bestand und die Durchsetzbarkeit eines zivilrechtlichen Anspruchs (hier aus § 812 Abs. 1 BGB) hängt nicht davon ab, ob mit einer Durchsetzung öffentlich-rechtliche Verhaltenspflichten seitens der zuständigen Behörden zu rechnen ist, weshalb eine Berufung darauf, die zuständige Verwaltungsbehörde sei gegen einen Gesetzesverstoß nicht vorgegangen, zivilrechtlich nicht verfängt und insbesondere der Anwendung von § 134 BGB nicht entgegensteht (OLG Köln Urt. v. 17.11.2023 – 19 U 123/22, BeckRS 2023, 32376 Rn. 30).
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Auch folgt nichts anderes aus dem Umstand, dass der Beklagten zum 09.10.2020 eine entsprechende Lizenz erteilt wurde. Maßgeblicher Zeitpunkt ist derjenige der Vornahme des Rechtsgeschäftes. Auf eine etwaige spätere Legalisierung kommt es nicht an, weil damit keine rückwirkende Heilung in der Vergangenheit abgeschlossener Verträge in der Vergangenheit verbunden ist (vgl. OLG Frankfurt, BeckRS, 12872, Rn. 44).
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1. Die Bereicherungsansprüche des Klägers gegen die Beklagten scheitern auch nicht an § 817 Satz 2 BGB.
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a. Nach § 817 Satz 2 BGB ist eine Rückforderung ausgeschlossen, wenn dem Leistenden gleichfalls ein Gesetzes- oder Sittenverstoß zur Last fällt. Denn wer sich selbst – bewusst – gegen die Sitten- oder Rechtsordnung stellt, soll hierfür keinen Rechtsschutz erhalten (Grüneberg/Sprau, BGB, 82. Aufl., § 817 Rn. 11). Der bloße objektive Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot genügt deshalb auch insoweit nicht. Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung wird vorausgesetzt, dass der Leistende vorsätzlich verbots- oder sittenwidrig gehandelt oder sich der Einsicht in die Gesetz- bzw. Sittenwidrigkeit leichtfertig verschlossen hat (BGH, Urteil vom 23.02.2005 – VIII ZR 129/04, Rn. 14, zitiert nach juris; Grüneberg/Sprau, BGB, 82. Aufl., § 817 Rn. 17).
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b. Die Beklagten haben den ihnen jeweils obliegenden Nachweis, dass dem Kläger in diesem Sinne ein bewusster Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot zur Last fällt, nicht erbracht. Wer sich als Spieler an einem unerlaubten Glücksspiel beteiligt, erfüllt zwar den objektiven Tatbestand des § 285 StGB. Allerdings wird es schon regelmäßig an einer vorsätzlichen Tatbegehung fehlen, da der Vorsatz auch die Kenntnis von der fehlenden behördlichen Erlaubnis umfasst (MüKoStGB/Hohmann/Schreiner, 4. Aufl., § 285 Rn. 13) und nicht angenommen werden kann, dass die Erlaubnispflichtigkeit der – vielfach angebotenen und beworbenen – Online-Sportwetten allgemein bekannt war (OLG Dresden Endurteil v. 31.5.2023 – 13 U 1753/22, BeckRS 2023, 12231 Rn. 50). Die Beklagten nehmen für sich selbst in Anspruch, von der Legalität ihres jeweiligen Online-Spielangebots ausgegangen zu sein. Weshalb der Kläger als Nutzer dieses Angebots es besser hätte wissen müssen oder gar besser wusste, erläutern die Beklagten nicht (OLG Dresden Endurteil v. 31.5.2023 – 13 U 1753/22, BeckRS 2023, 12231 Rn. 50).
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Der Kläger hat bei seiner informatorischen Anhörung angegeben, dass er nicht gespielt hätte, wenn er gewusst hätte, dass er etwas Illegales tut. Er hat für das Gericht nachvollziehbar angegeben, dass er gedacht hat, dass, wenn Wetten stattfinden, diese auch erlaubt seien. Zunächst habe er so auf Schein im Laden zu tippen begonnen. Als dann Verluste eingetreten seien, habe er auch die Onlineseiten angeschaut und dann darauf gespielt. Er habe dann aufgehört, als es irgendwann zuviel gewesen sei mit den Verlusten, er habe schon Geld von Eltern oder seinen Kindern genommen. Auch ist es für das Gericht nachvollziehbar, dass der Kläger erst Anfang 2023 durch Facebook und Tic-Tok Infos darauf aufmerksam gemacht wurde, dass die angebotenen Glücksspiele verboten waren und vorher aufgrund der Werbung von einer Legalität des Angebots ausgegangen war. Erst dann hat der Kläger zur Frage der Legalität der Online-Wetten Recherchen vorgenommen und auf die Seite der Prozessbevollmächtigten gelangt. Dass der Kläger sich der Gesetzeswidrigkeit auch nur leichtfertig verschlossen hätte, haben die insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten nicht zur Überzeugung des Gerichts nachweisen können.
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Auch der in den AGB enthaltene allgemein gehaltene Hinweis, dass ein Spieler die Rechtslage zu prüfen habe, ist nicht geeignet, per se den Vorwurf eines sich der Gesetzeswidrigkeit leichtfertigen Verschließens zu begründen, zumal der Kläger in seiner informatorischen Anhörung nachvollziehbar angab, letztlich bei den AGB nur die erforderlichen Klicks gesetzt zu haben, um spielen zu können, ohne die AGB gelesen zu haben.
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c. Der Anwendungsbereich der Kondiktionssperre des § 817 S. 2 BGB wäre im vorliegenden Fall jedoch selbst bei Kenntnis des Klägers von der Gesetzwidrigkeit teleologisch zu reduzieren (vgl. OLG München, Beschluss vom 20. September 2022 – 18 U 538/22; LG Köln, Urteil vom 19.10.2021 – 16 O 614/20; LG Gießen, Urt. v. 25.02.21 – 4 O 84/20; LG Paderborn, Urteil vom 8. Juli 2021 – 4 O 323/20). Ein Ausschluss der Rückforderung ist in den Fällen nicht mit dem Zweck des Bereicherungsrechts vereinbar, wenn die Rechtswidrigkeit des Geschäfts auf Vorschriften beruht, die gerade den leistenden Teil schützen sollen. Die Normen des GlüStV sollen ausweislich dessen § 1 Satz 1 u.a. die Spielteilnehmer vor suchtfördernden, ruinösen oder betrügerischen Erscheinungsformen des Glücksspiels schützen. Damit korrespondierend verfolgt gerade auch die vorliegend einschlägige Verbotsnorm des Internetverbots nach § 4 Abs. 4 GlüStV a.F. den Zweck, zum Schutze der Spieler illegales Glücksspiel zu unterbinden (siehe dazu auch Heintz/Scholer, VuR 2020, 323, 329 m.w.N.). Wenn man davon ausginge, von einem Spieler getätigte Einsätze wären gem. § 817 S. 2 BGB kondiktionsfest und verblieben dauerhaft beim Anbieter des verbotenen Glücksspiels, würde diese Intention des Verbotsgesetzes somit untergraben (vgl. OLG München, Beschluss vom 20. September 2022 – 18 U 538/22 –, Rn. 24, juris).
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2. Auch § 762 BGB steht den Rückforderungsansprüchen des Klägers nicht entgegen. Die Vorschrift greift nur ein, wenn die Rückforderung auf den Spielcharakter gestützt wird (vgl. BGH, Urteil vom 22.04.1997 – XI ZR 191/96 –, juris). Ist der Spiel- oder Wettvertrag – wie hier – nach §§ 134, 138 BGB oder aus einem anderen Grund unwirksam, beurteilt sich die Rückforderung rechtsgrundlos erbrachter Leistungen nach §§ 812, 814, 817 BGB (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.04.2022 – 23 U 55/21 –, Rn. 58, juris).
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3. Dem Rückzahlungsanspruch des Klägers steht auch nicht § 814 BGB entgegen. Danach kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war.
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Erforderlich ist positive Kenntnis der Nichtschuld im Zeitpunkt der Leistung. Ein „Kennen müssen“ genügt nicht, selbst wenn die Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruht. Es genügt auch nicht, wenn dem Leistenden die Tatsachen bekannt sind, aus denen sich das Fehlen einer rechtlichen Verpflichtung ergibt. Vielmehr muss der Leistende aus diesen Tatsachen nach der maßgeblichen Parallelwertung in der Laiensphäre auch die zutreffende rechtliche Schlussfolgerung gezogen haben (std. Rspr, vgl. etwa BGH, Urteil vom 05.032015 – IX ZR 133/14 –, BGHZ 204, 231-251 und juris; siehe auch Grüneberg/Sprau, BGB, 88. Aufl. 2022, § 814 Rn. 4).
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Dass dem Kläger hier positiv bekannt war, dass die zugrundeliegenden Verträge mit der Beklagten nichtig und er deshalb zur Leistung nicht verpflichtet war, kann das Gericht nicht feststellen. Der Kläger hat dies bestritten und die Beklagten haben Gegenteiliges nicht bewiesen. Das Gericht ist aufgrund der Angaben des Klägers in seiner informatorischen Anhörung vielmehr davon überzeugt, dass dieser gerade nicht darum wusste, dass die angebotenen Spiele gegen ein gesetzliches Verbot verstießen und die Verträge daher nichtig waren.
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4. Eine Rückforderung ist auch nicht nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB ausgeschlossen.
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Zwar nehmen die Spieler aus eigenem Handlungsantrieb am Glücksspiel teil. Dennoch sollen die Regelungen des Glücksspielstaatsvertrages 2012 und speziell das Internetverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 gerade vor besonders suchtfördernden und ruinösen Arten des Glücksspiels schützen, bei denen die Hürde für die Teilnahme besonders gering ist. Ein Ausschluss der Rückforderung würde dieses legitime Ziel untergraben. Dies überwiegt gegenüber der Erwägung, dass die Spieler hierdurch risikofrei spielen könnten. Wenn sich die Betreiber an die gesetzlichen Regelungen halten würden, so würde potenziell spielsüchtigen oder minderjährigen und damit besonders schutzwürdigen Personen die Teilnahme an diesen sehr risikobehafteten Formen des Glücksspiels gar nicht erst ermöglicht werden. Insofern ist die Beklagte auch nicht im Sinne des § 242 BGB schutzwürdig (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 8. April 2022 – 23 U 55/21; OLG Hamm, Beschluss vom 12. November 2021 – 12 W 13/21).
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5. Die Ansprüche des Klägers sind auch nicht teilweise verjährt, §§ 195, 199 BGB.
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Der Kläger hat schlüssig und seitens der Beklagten nicht erheblich bestritten dargetan, dass er erst Anfang 2023 durch das Internet und die dadurch angestoßene Recherche von der möglichen Unwirksamkeit der mit der Beklagten geschlossenen Verträge Kenntnis erlangt habe (s.o.).
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Die regelmäßige Verjährung beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von dem Anspruch, den Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Insoweit kommt es vorliegend auf den Zeitpunkt an, zudem der Antragsteller Kenntnis von der Illegalität des Online-Glücksspiels erlangt hat (OLG Hamm, Beschluss vom 12.11.2021 – 12 W 13/ 21, BeckRS 2021, 37639 Rn. 27). Die Beweislast für das Vorliegen der Verjährungsvoraussetzungen trifft die Beklagten. Der Kläger hat in seiner informatorischen Anhörung und im Rahmen der Einlassung über seine Prozessbevollmächtigten (Bl. 249 d.A.) dargestellt, dass er von der Möglichkeit der Illegalität von Sportwetten erst 2022 erfahren hat. Den Nachweis einer früheren Kenntniserlangung konnten die Beklagten nicht führen. Auf die Ausführungen unter IV. 1. b. wird Bezug genommen.
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Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 BGB.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 1 und 2 ZPO. Die Beklagten sind einfache Streitgenossen, keine Gesamtschuldner, sodass die Kosten entsprechend der jeweiligen Beteiligung am Gesamtwert zu quoteln waren.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 3 ZPO.