Inhalt

LG Kempten, Urteil v. 08.08.2024 – 31 O 957/23
Titel:

Schadensersatzansprüche wegen Corona-Schutzimpfung (Comirnaty)

Normenkette:
AMG § 84 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Nutzen-Risiko-Abwägung hat abstrakt-generellen Charakter und findet unter Berücksichtigung sämtlicher schädlichen Wirkungen für die vollständige durch die Indikationsangabe des pharmazeutischen Unternehmers anvisierte Patientengruppe statt; sie wird hingegen nicht bezogen auf den individuell Geschädigten oder bezogen auf Untergruppen innerhalb der durch die Indikation angesprochenen Patientengruppe vorgenommen. (Rn. 74) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Nutzen-Risiko-Abwägung ist im Haftungsprozess auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu beziehen. (Rn. 77 – 81) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Haftung nach § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AMG setzt eine doppelte Kausalität voraus: Die Rechtsgutverletzung muss auf der Anwendung des Arzneimittels beruhen und zugleich infolge der unzureichenden Arzneimittelinformation eingetreten sein. Ein Ursachenzusammenhang zwischen der fehlerhaften Information und der Gesundheitsverletzung ist nur zu bejahen, wenn diese bei ordnungsgemäßer Information mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre. (Rn. 153) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatzanspruch, Nutzen-Risiko-Abwägung, Corona-Schutzimpfung, Informationspflichtverletzung
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Verfügung vom 12.12.2024 – 14 U 3100/24 e
Fundstelle:
BeckRS 2024, 20824

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger macht gegen die Beklagte teils im Wege der Leistungsklage, teils im Wege der Feststellungsklage materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche sowie zuletzt klageerweiternd einen Auskunftsanspruch aufgrund eines behaupteten Impfschadens nach 3-maliger Impfung mit einem von der Beklagten hergestellten Coronaimpfstoff geltend.
2
Der Kläger wurde am 04.2021 erstmals mit dem von der Beklagten hergestellten und in Verkehr gebrachten, gegen das SARS-CoV-2-Virus („Coronavirus“) wirkenden Impfstoff Comirnaty geimpft.
3
Die 2. Impfung mit diesem Impfstoff erfolgte am 05.2021 und die 3. Impfung am 11.2021. Sämtliche Impfungen erfolgten im Impfzentrum ...
4
Der Impfstoff Comirnaty hatte am 21.12.2020 von der Europäischen Kommission die bedingte zentrale arzneimittelrechtliche Zulassung erhalten und mit Durchführungsbeschluss vom 10.10.2022 die Standardzulassung, die nicht jährlich erneuert werden muss.
5
Die Sicherheit des Impfstoffs wird seit seiner Zulassung kontinuierlich überwacht. Auf die Anlagen K69, B11 und B13 wird Bezug genommen.
6
Stand Juni 2022 wurden weltweit über 2,6 Milliarden Dosen des Impfstoffs Comirnaty verimpft.
7
Bereits vor den streitgegenständlichen Impfungen hatte der Kläger, wie sich aus dem mit Schriftsatz vom 26.03.2024 als Anlage K65 vorgelegten Übersicht der hausärztlichen Arztbefunde, auf die bezüglich der Einzelheiten Bezug genommen wird, ergibt, an verschiedenen Vorerkrankungen gelitten, unter anderem an Gelenkschmerzen, einem Ganglion Knöchel und Fuß, einer Osteochondrose der Wirbelsäule, einer Arthritis, Schwellungen und Schmerzen am Handgelenk rechts, einer Tendinitis calcarea: Unterarm (Radius, Ulna, Handgelenk).
8
Der Kläger behauptet in der Klage, dass nach der 2. Impfung eine die Knie, Füße, Ellenbogen und Finger betreffende Schwellung aufgetreten sei Im Schriftsatz vom 07.05.2024 wird zusätzlich von Gelenkschmerzen nach der 1. Impfung sowie nach der 2. Impfung ab Anfang Juni 2021 von starken Schwellungen und Schmerzen am Fuß und Handgelenken berichtet.
9
Der Kläger behauptet, dass er impfbedingte Gesundheitsschäden, nämlich Schmerzen, Schwellungen der Extremitäten, Polyarthritis, Tinnitus sowie Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme erlitten habe.
10
Vor den Impfungen habe es noch nie eine Überweisung des Klägers in eine Schmerzklinik gegeben.
11
Hinsichtlich der nach der 2. Impfung ab .06.2021 durchgeführten Behandlungen wegen behaupteter impfbedingter Schäden sowie der gestellten Diagnosen wird auf S. 3 bis S. 8 (Bl. 313/318) und die hierzu vorgelegten Anlagen K3, K87 bis K99 und K103 verwiesen.
12
Er habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 84 Abs. 1 S. 1, 2 Nrn. 1 und 2 AMG.
13
Es bestehe eine Kausalität zwischen Verletzungshandlung und Rechtsgutverletzung.
14
Der Impfstoff sei generell schadensgeeignet und geeignet die vom Kläger vorgetragenen gesundheitlichen Beschwerden und Beeinträchtigungen auszulösen. Es greife zu Gunsten des Klägers die Kausalitätsvermutung des § 84 Abs. 2 S. 1 AMG.
15
Es bestünden Zweifel am positiven Nutzung der Impfung. Zudem dürfe und könne aus der Zulassung des Impfstoffs nicht auf dessen positives Nutzen-Risiko-Verhältnis zurück geschlossen werden.
16
Die Produktinformation der Beklagten zu maßgeblichen Zeitpunkt habe nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprochen. Die Rechtsgutverletzung sei gerade infolge der unzureichenden Information eingetreten.
17
Die Haftungsbegrenzung nach § 3 Abs. 4 MedBVSV greife nicht, da diese verfassungswidrig, nicht verhältnismäßig und nicht rechtmäßig sei. Es bestehe schon keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage.
18
Zumindest habe die Beklagte mit Eventualvorsatz gehandelt, da sie billigend in Kauf genommen habe, dass Menschen durch das Verabreichen der Impfung an ihrer Gesundheit geschädigt würden.
19
Dem Kläger stünden weiter Schmerzensgeldansprüche aus § 823 Abs. 1 in Verbindung mit § 253 Abs. 2 BGB zu, die der Kläger mit mindestens 80.000 € beziffert.
20
Der Kläger habe durch eine Verletzungshandlung der Beklagten eine Rechtsgutverletzung in Form einer Gesundheitsschädigung erlitten.
21
Die Beklagte hafte auch nach den Grundsätzen der Produkthaftung.
22
Das Verhalten der Beklagten sei rechtswidrig und auch schuldhaft.
23
Dem Kläger steht darüber hinaus ein Anspruch aus § 826 BGB zu.
24
Die Beklagte habe unzureichend über Nebenwirkungen nach Corona-Impfungen mit ihrem Impfstoff berichtet. Der Impfstoff sei verharmlost worden.
25
Die unterlassene bzw. mangelnde Aufklärung der Beklagten sei als sittenwidrig einzustufen.
26
Bei der Beklagten habe auch ein Schädigungsvorsatz bestanden.
27
Der Anspruch des Klägers auf Zahlung einer monatlichen Geldrente ergebe sich aus § 843 Abs. 1 BGB.
28
Der erstmals mit der Replik geltend gemachte Auskunftsanspruch stünde dem Kläger nach § 84a Abs. 1 S. 1 AMG zu.
29
Die Klage ist der Beklagten am 19.10.2023 zugestellt worden.
30
In der der Beklagten am 06.03.2024 zugestellten Replik vom 05.03.2024 hat der Kläger klageerweiternd folgenden Auskunftsantrag angekündigt: Die Beklagte wird verurteilt, Auskunft zu erteilen über
a. die zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Impfstoffs Comirnaty sowie der streitgegenständlichen Chargen bekannten Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen soweit diese Schwellungen der Extremitäten, Polyarthritis, Tinnitus sowie Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme betreffen,
b. sowie ihr bekannt gewordene Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Wechselwirkungen, die in ihrem Schadensbild den bei dem Kläger aufgetretenen Gesundheitsbeeinträchtigungen vergleichbar sind,
c. über sämtliche weiteren Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit der bei dem Kläger eingetretenen schädlichen Wirkungen des Impfstoffes Comirnaty von Bedeutung sein können,
d. den Inhalt sämtlicher Unterlagen, die Erkenntnisse liefern über Vergleichbarkeit und Unterschiede des „process 1“ und „process 2“, insbesondere in Bezug auf Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit des nach dem jeweiligen Prozedere hergestellten Impfstoffes Comirnaty,
e. den Inhalt sämtlicher Unterlagen, die im Zusammenhang mit der Überprüfung der Chargen angefertigt wurden, insbesondere jene, die sich auf die Aussagen über Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit der Chargen beziehen.
31
Mit der Beklagten am 08.05.2024 zugestellten Schriftsatz vom 07.05.2024 hat die Klagepartei diesen Antrag auf Auskunftserteilung abgeändert.
32
Der Kläger beantragt zuletzt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch 80.000,00 € nicht unterschreiten soll, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen künftigen Schäden zu ersetzen, die aus der Impfung mit dem Impfstoff Comirnaty am 04.2021, 05.2021 und 11.2021 entstehen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine monatliche Geldrente, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, bis zur Vollendung des Renteneintrittsalters zu zahlen.
4.
Die Beklagte wird verurteilt, Auskunft zu erteilen über die im Zeitraum bis zur mündlichen Verhandlung bei der Beklagten bekannten Wirkungen und Nebenwirkungen sowie sämtliche weiteren Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen des Impfstoffs Comirnaty der Beklagten von Bedeutung sein können, soweit sie Schwellungen und Schmerzen an Fuß und Handgelenken, eine chronische Schmerzerkrankung, Tinnitus, Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme sowie eine Mitochondrien Dysfunktion betreffen.
33
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
34
Die Beklagte ist der Auffassung, dass dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen.
35
Der Kläger lege schon nicht ausreichend dar, dass er an den behaupteten Beeinträchtigungen leide oder dass ein Kausalzusammenhang mit den streitgegenständlichen Impfungen bestehen. Der klägerische Vortrag sei unsubstantiiert, sodass ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Eintritt der behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und den Impfungen nicht ersichtlich sei.
36
Die beim Kläger vorliegenden Vorerkrankungen und Risikofaktoren würden die geschilderten gesundheitlichen Beeinträchtigungen völlig unabhängig von den streitgegenständlichen Impfungen erklären.
37
Selbst wenn man einen Kausalzusammenhang annehmen würde, würden sämtliche geltend gemachten Schadensersatzansprüche daran scheitern, dass der Impfstoff Comirnaty ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis aufweise, da der Nutzen des Impfstoffs die damit einhergehenden selten auftretenden Risiken bei weitem überwiegen würden.
38
Das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis ergebe sich schon aus der arzneimittelrechtlichen Zulassung, die die EMA als zuständige Aufsichts- und Zulassungsbehörde in der Europäischen Union für den Impfstoff Comirnaty erteilt habe. Diese Zulassung, die gerade ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis voraussetze und ohne ein solches nicht hätte erteilt werden dürfen, entfalte für die Zivilgerichte Bindungswirkung, sodass von den Gerichten das Vorliegen der Voraussetzungen der Zulassung nicht in Zweifel gezogen und überprüft werden dürfe.
39
Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) habe das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis nach der Zulassung des Impfstoffs Comirnaty auch wiederholt bestätigt, unter anderem bei der Erweiterung der Zulassung. Aufgrund des fortbestehenden positiven Nutzen-Risikoverhältnisses des Impfstoffs hat der Ausschuss für Humanarzneimittel bei der EMA CHMB am 16.09.2022 empfohlen, die bedingte Zulassung von Comirnaty in eine Standardzulassung umzuwandeln, die nicht jährlich erneuert werden müsse. Diese Empfehlung wurde rechtlich mit Durchführungsbeschluss der Europäischen Kommission vom 10.10.2022 umgesetzt.
40
Zusätzlich habe die EMA sämtliche Daten im Zusammenhang mit dem Impfstoff untersucht und am 30.08.2023 ausdrücklich die Sicherheit des Impfstoffs bestätigt.
41
Am 28.10.2022 habe das CHMP der EMA das positive Nutzen-Risikoverhältnis auf Basis sämtlicher vorliegender Daten erneut bestätigt.
42
Die Fach- und Gebrauchsinformationen des Impfstoffs hätten zu jeder Zeit dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprochen hätten.
43
Aufgrund des positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses des Impfstoffs komme es auf die vorgetragenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und den angeblichen Kausalzusammenhang schon gar nicht an.
44
In der Replik äußert der Kläger einen begründeten Verdacht, dass die vorliegend verwendete Charge des Impfstoffes der Beklagten mit Fremd-DNA verunreinigt gewesen sei.
45
Er behauptet hier, dass sein Vortrag zum Krankheitsverlauf belegt und ausreichend substantiiert sei.
46
Es gebe keine naheliegenden Alternativursachen für die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers.
47
Darüber hinaus reiche eine Mitursächlichkeit der Arzneimittelanwendung schon aus.
48
In der Replik wird weiter dargelegt, dass der Corona-Impfstoff der Beklagten ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis aufweise. Er schütze schon nicht wirksam vor einer Erkrankung durch das Coronavirus. Die Impfung habe allenfalls einen geringen therapeutischen Nutzen, sodass die Nutzen-/Risikoabwägung negativ ausfalle.
49
Die Beklagte bemängelt in ihrer Duplik vom 22.04.2024, dass die Replik zum überwiegenden Teil nicht auf den streitgegenständlichen Fall und den Krankheits- und Behandlungsverlauf des Klägers eingehe. Der Vortrag der Klagepartei sei überwiegend losgelöst vom Einzelfall des Klägers.
50
Beim Kläger hätten, wie sich aus den vorgelegten Unterlagen ergebe, bereits diverse Vorerkrankungen wie Tinnitus und Schmerzen in den Extremitäten vorgelegen.
51
Die Beklagte ist auch in der Duplik der Ansicht, dass sämtliche Schadensersatzansprüche an dem nach wie vor positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis des Impfstoffs der Beklagten scheitern.
52
Der Vorwurf der DNA-Kontamination stütze sich auf einem Bericht des MDR, der mittlerweile von der Internetseite entfernt worden sei, weil er irreführend gewesen sei und journalistische Qualitätsstandards nicht eingehalten habe.
53
Der Auskunftsanspruch sei ausgeschlossen, da auch der Schadensersatzanspruch nach § 84 Abs. 1 AMG offensichtlich ausgeschlossen sei.
54
Der Kläger könne auch nicht nachweisen, dass die geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen alle wirklich eingetreten seien. Er könne auch nicht die erforderliche Plausibilität des Kausalzusammenhangs darlegen.
55
Auch die vom Kläger mit den Schriftsätzen vom 07.05.2024 und 11.06.2024 vorgelegten Unterlagen würden bestätigen, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers, die auch nach der informatorischen Anhörung des Klägers im Termin 13.05.2024 diffus geblieben seien, vorbestehend gewesen seien.
56
Das Gericht hat den Kläger im Termin vom 13.05.2024 informatorisch angehört. Bezüglich seiner Angaben wird auf das Protokoll vom 13.05.2024 (Bl. 327/339) verwiesen.
57
Mit Beschluss vom 18.06.2024 hat das Gericht angeordnet, dass mit Zustimmung der Parteien gemäß § 128 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden wird. Als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht und bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, hat es den 17.07.2024 bestimmt.

Entscheidungsgründe

58
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
A.
59
I. Das Landgericht Kempten (Allgäu) ist sachlich gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sowie örtlich nach § 94a AMG, § 32 ZPO zuständig.
60
II. Hinsichtlich des unter Ziffer 2. gestellten Feststellungsantrags besteht ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO, da derzeit noch nicht absehbar ist, wie sich der gesundheitliche Zustand des Klägers weiter entwickeln wird, so dass eine abschließende Bezifferung sämtlicher möglicherweise auf die streitgegenständlichen Impfungen zurückzuführende Schäden noch nicht möglich ist.
61
III. Die mit der Replik vom 02.02.2024 erfolgte Klageerweiterung ist gemäß § 264 Nr. 2 ZPO zulässig. Dies gilt auch für die mit Schriftsatz vom 07.05.2024 erfolgte Änderung des Auskunftsanspruchs.
B.
62
Die Klage ist allerdings nicht begründet.
63
Dem Kläger steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen des Impfstoffs Cormirnaty zu.
64
I. Ein Schadensersatzanspruch ergibt sich nicht aus § 84 Abs. 1 AMG.
65
Nach § 84 Abs. 1 S. 1 AMG ist ein pharmazeutischer Unternehmer, der ein Arzneimittel in den Verkehr gebracht hat, dem Betroffenen zum Schadensersatz verpflichtet, wenn dieser infolge der Anwendung des Arzneimittels nicht nur unerheblich in seiner Gesundheit verletzt wird. Bei dem streitgegenständlichen Impfstoff Comirnaty handelt es sich gemäß §§ 4 Abs. 4, 2 Abs. 1 AMG um ein Arzneimittel, das von der Beklagten als pharmazeutischer Unternehmerin in Verkehr gebracht worden ist. Der Kläger behauptet auch, durch die Anwendung des Impfstoffs im Rahmen von 3 im Jahr 2021 durchgeführten Impfungen in seiner Gesundheit verletzt worden zu sein.
66
1. Ob die vom Kläger behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen tatsächlich auf die streitgegenständlichen Impfungen zurückzuführen sind oder ob sie auf beim Kläger vorhandenen Vorerkrankungen beruhen, kann dahinstehen.
67
2. Denn gemäß § 84 Abs. 1 S. 2 AMG besteht die Ersatzpflicht nur, wenn nach Nr. 1 das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen oder nach Nr. 2 der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation eingetreten ist.
68
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
69
Der Kläger behauptet zwar, dass der streitgegenständliche Impfstoff Comirnaty eine negative Nutzen-Risiko-Bilanz aufweise. Eine solche ist vorliegend jedoch nicht ersichtlich.
70
Das Gericht schließt sich den überzeugenden Ausführungen des Oberlandesgerichts Koblenz im Urteil vom 10.07.2024 – 5 U 1375/23, durch das die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Mainz vom 14.11.2023 – 9 O 37/23 zurückgewiesen wurde, an.
71
Die nachfolgenden Ausführungen beruhen, soweit nicht aufgrund fallspezifischer Besonderheiten eine Änderung veranlasst war, auf diesem Urteil.
72
a) Der Haftungsgrund in § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG steht in engem Zusammenhang zu § 5 AMG, der es im nationalen Recht verbietet, bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr zu bringen oder bei einem anderen Menschen anzuwenden. Die Bedenklichkeit eines Arzneimittels, die in § 5 Abs. 2 AMG definiert wird, liegt vor, wenn „nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen“; sie knüpft an sehr ähnliche Voraussetzungen an wie § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG. Maßgeblich ist in beiden Fällen die wissenschaftlich belegte Unvertretbarkeit der schädlichen Wirkungen des Arzneimittels bei dessen Einsatz.
73
Die (Un-)Vertretbarkeit der schädlichen Wirkungen eines Arzneimittels ist durch eine auf die jeweilige Indikation des Medikaments bezogene Nutzen-Risiko-Abwägung zu ermitteln (BGH, Urteil vom 19.03.1991 – VI ZR 248/90, juris Rn. 12, 15; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 20.12.2013 – 4 U 121/11, juris Rn. 45; Rehmann, 5. Aufl. 2020, AMG § 84 Rn. 5; BeckOGK/Franzki, 01.06.2024, AMG § 84 Rn. 83; Kügel/Müller/Hofmann/Brock, 3. Aufl. 2022, AMG § 84 Rn. 68). Damit trägt die Vorschrift dem Umstand Rechnung, dass es sich bei Arzneimitteln um Produkte handelt, die unvermeidbar neben ihren therapeutischen Wirkungen auch Risiken mit sich bringen (Kügel/Müller/Hofmann/Brock, 3. Aufl. 2022, AMG § 84 Rn. 68).
74
aa) Die Nutzen-Risiko-Abwägung hat abstrakt-generellen Charakter und findet unter Berücksichtigung sämtlicher schädlichen Wirkungen für die vollständige durch die Indikationsangabe des pharmazeutischen Unternehmers anvisierte Patientengruppe statt; sie wird hingegen nicht bezogen auf den individuell Geschädigten oder bezogen auf Untergruppen innerhalb der durch die Indikation angesprochenen Patientengruppe vorgenommen (Kügel/Müller/Hofmann/Brock, 3. Aufl. 2022, AMG § 84 Rn. 82; BeckOGK/Franzki, 01.06.2024, AMG § 84 Rn. 83; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 20.12.2013 – 4 U 121/11, juris Rn. 46 mwN). Das entspricht – soweit für den Senat des OLG Koblenz ersichtlich – einhelliger Ansicht und erklärt sich daraus, dass im Zulassungsverfahren stets auf anonymisierte Studien zurückgegriffen und die Gesamtheit der Ergebnisse bewertet wird. Demgegenüber liegen Daten zu den jeweils individuellen Risiken nicht vor. Die Spezifika des konkreten Einzelfalls können dagegen (nur) von dem das Arzneimittel einsetzenden Arzt beurteilt und beachtet werden. Erfahrungen aus Einzelfällen fließen wiederum in Form der Art, Schwere und statistischen Häufigkeit von unerwünschten Nebenwirkungen in die Gesamtabwägung ein. Meldepflichten sichern, dass solche Erfahrungen aus Einzelfällen auch tatsächlich Berücksichtigung finden können. Aus diesem Verständnis heraus hat die Nutzen-Risiko-Abwägung nicht anhand der „Einzelumstände“ bei der konkret zu impfenden Person zu erfolgen. Auch die Ständige Impfkommission (STIKO) stellt nicht auf die Einzelumstände ab.
75
Die ermittelten Risiken und der nachgewiesene Nutzen müssen gegeneinander abgewogen werden. Nach § 4 Abs. 28 AMG umfasst das Nutzen-Risiko-Verhältnis „eine Bewertung der positiven therapeutischen Wirkungen des Arzneimittels im Verhältnis zu dem Risiko nach Absatz 27 Buchstabe a“, welches sich definiert als „jedes Risiko im Zusammenhang mit der Qualität, Sicherheit oder Wirksamkeit des Arzneimittels für die Gesundheit der Patienten oder die öffentliche Gesundheit“. Dabei gilt: Je besser der therapeutische Nutzen und je schwerwiegender die Erkrankung ohne Impfung, desto eher können auch gravierende schädliche Wirkungen akzeptiert werden (statt vieler: BeckOGK/Franzki, 01.06.2024, AMG, § 84, Rn. 88). Risiken für den Einzelnen lassen sich also nicht gänzlich ausschließen und werden hingenommen, wenn der Nutzen bezogen auf die Gesamtheit der potentiellen Anwender in der Verhältnismäßigkeitsabwägung höher ausfällt.
76
§ 84 AMG begründet danach keine Haftung des Arzneimittelherstellers oder des das Medikament vertreibenden Unternehmers für solche Nebenwirkungen, die bereits bei der Zulassung bekannt und im Hinblick auf den Nutzen des Arzneimittels im Zulassungsverfahren hingenommen wurden, soweit in der Fachinformation und der Packungsbeilage darauf hingewiesen ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 08.10.2008 – 7 U 200/07, juris, Rn. 6 ff.). Dies versetzt nämlich den behandelnden – impfenden – Arzt im Einzelfall in die Lage, Besonderheiten zu berücksichtigen. Anders kann es sein bei im Rahmen der umfangreichen Prüfung der Arzneimittelzulassung als vertretbar eingestuften schädlichen Wirkungen, wenn die Schwere oder Häufigkeit der schädlichen Wirkungen sich im Vergleich zum Zeitpunkt der Zulassung verändert haben (BeckOGK/Franzki, 01.06.2024, AMG § 84 Rn. 67). Solche nachträglichen Erkenntnisse sind – bezogen auf den Zeitpunkt der Impfung (siehe nachfolgend) – dann bei der (Neu-)Bewertung zu berücksichtigen und belasten gegebenenfalls den Hersteller.
77
bb) § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG trifft – anders als etwa die Vorschrift des § 1 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 5 ProdHaftG, in der ausdrücklich auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens abgestellt wird – keine Aussage über den Zeitpunkt, auf den die Nutzen-Risiko-Abwägung zu beziehen ist.
78
(1) Die Rechtsprechung – auch diejenigen Entscheidungen zu Haftungsfragen nach Corona-Schutzimpfungen – stellt für den Haftungsprozess auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab (OLG Stuttgart, Urteil vom 23.02.1989 – 14 U 19/86, juris, Rn. 173; wohl auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 08.10.2008 – 7 U 200/07, juris, Rn. 11; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 20.12.2013 – 4 U 121/11, juris, Rn. 45; LG Hof, Urteil vom 03.01.2023 – 15 O 22/21, juris, Rn. 22, und dem nachfolgend OLG Bamberg, Beschluss vom 14.08.2023 – 4 U 15/23, juris, Rn. 15 ff.; LG Rottweil, Urteil vom 08.01.2024 – 2 O 153/23, juris, Rn. 30; LG Arnsberg, Urteil vom 21.12.2023 – I-1 O 39/23, juris, Rn. 68; offen gelassen: LG Saarbrücken, Urteil vom 21.12.2023 – 16 O 33/23, juris, Rn. 61), wobei teilweise der Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Impfstoffs zurückprojiziert wird (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 20.12.2013 – 4 U 121/11, juris, Rn. 45; LG Frankfurt, Urteil vom 14.02.2024 – 2-12 O 264/22, juris, Rn. 157; LG Detmold, Urteil vom 13.02.2024 – 2 O 85/23, juris, Rn. 64; LG Hannover, Urteil vom 04.12.2023 – 2 O 76/23 –, Rn. 41, juris). Zur Begründung für diesen Zeitpunkt wird angeführt, dass als gefährlich erkannte Arzneimittel sonst weiter vertrieben werden könnten (OLG Stuttgart, Urteil vom 23.02.1989 – 14 U 19/86, juris, Rn. 173) bzw. dass anderenfalls eine Verschuldens- und keine Gefährdungshaftung vorläge, was vom Gesetzgeber nicht gewollt gewesen sei (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 20.12.2013 – 4 U 121/11, juris, Rn. 45).
79
(2) Auch die überwiegende Meinung in der Literatur sieht den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als maßgeblich an und bezieht die bis zur mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnisse zurück auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Arzneimittels (BeckOGK/Franzki, 01.06.2024, AMG § 84 Rn. 92; Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 27, Haftung für Arzneimittelschäden, Rn. 53; Rehmann, 5. Aufl. 2020, AMG, § 84, Rn. 5; Kügel/Müller/ Hofmann/Brock, 3. Aufl. 2022, AMG, § 84, Rn. 88; Spickhoff/Spickhoff, 4. Aufl. 2022, AMG, § 84, Rn. 19; ohne Rückprojizierung abstellend auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung: Meier/von Czettritz/Gabriel/Kaufmann, Pharmarecht, § 4 Inverkehrbringen, Überwachung und Schutz von Arzneimitteln, Rn. 59). Zur Begründung wird angeführt, die Regelung des § 84 Abs. 3 AMG zeige, dass (auch) für Entwicklungsfehler gehaftet werden soll, die wegen des zwangsläufig begrenzten Erkenntnisstandes im Zeitpunkt des Inverkehrbringens objektiv (noch) nicht vorhersehbar gewesen seien. So sei es auch die erklärte Absicht des Gesetzgebers gewesen, Schäden vergleichbar der Contergan-Katastrophe künftig nicht entschädigungslos zu lassen. Angesichts dessen könne für die maßgeblichen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nicht allein auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Arzneimittels abgestellt werden. Andererseits könne bei der Bewertung der Unvertretbarkeit der Zeitpunkt des Inverkehrbringens des konkreten Arzneimittels nicht gänzlich außer Betracht bleiben, da die Anordnung einer Gefährdungshaftung des pharmazeutischen Unternehmers durch das Inverkehrbringen eines potenziell gefährlichen Produkts gerechtfertigt sei. Allerdings sei dieser neueste Erkenntnisstand insofern auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens zurückzuprojizieren, als gefragt werden müsse, ob bei den nunmehr bestehenden wissenschaftlichen Erkenntnissen, wenn sie damals bereits bekannt gewesen wären, ein Inverkehrbringen des Arzneimittels unter Berücksichtigung des sonstigen damaligen Arzneimittelangebots bzw. der damals zur Verfügung stehenden Behandlungsalternativen hätte in Kauf genommen werden müssen. Zu prüfen sei also, ob das Arzneimittel angesichts der nunmehr vorliegenden Erkenntnisse hätte zugelassen werden dürfen. Wenn es demgegenüber bereits seinerzeit Alternativen mit gleichem therapeutischem Nutzen, indes mit geringeren schädlichen Wirkungen gegeben habe, sei das zu beurteilende Arzneimittel fehlerhaft (Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 27, Haftung für Arzneimittelschäden, Rn. 53) . Eine Rückbeziehung auf den Zeitpunkt der Anwendung des Arzneimittels würde hingegen die Haftung des Herstellers überspannen, wenn ein Arzneimittel erst wesentlich später, wenn auch ohne Überschreitung des Verfallsdatums, tatsächlich angewendet werde (Spickhoff/Spickhoff, 4. Aufl. 2022, AMG § 84 Rn. 19).
80
Eine andere Ansicht legt ebenfalls die Erkenntnisse zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung zugrunde, hält für die Rückprojektion aber den Zeitpunkt der Anwendung des Arzneimittels für vorzugswürdig (Koyuncu in: Kullmann/Pfister/Stöhr/Spindler, Produzentenhaftung Handbuch, Loseblatt, Stand: 2023, Bd. 2, EL 2/23 – VII/23, Kz. 3825, S. 40 ff.). Diese Rückprojektion gewährleiste, dass der pharmazeutische Unternehmer nicht aus § 84 AMG dafür hafte, dass später ein „besseres“ Arzneimittel zugelassen werde und er sein Arzneimittel weiter vertreibe. Ferner werde die Rückprojektion auf den Zeitpunkt der Arzneimittelanwendung dem Charakter des § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG als Gefährdungshaftung eher gerecht. Erst die Anwendung des Arzneimittels setze die Interaktion des Produkts mit dem Körper des Patienten in Gang und ermögliche die Realisierung des produkttypischen Risikos, das den Anknüpfungspunkt für die Gefährdungshaftung darstelle. Bis zu diesem Zeitpunkt könne die Risikoverwirklichung noch verhindert werden, z.B. durch einen Produktrückruf oder eine Warnung. Daher werde gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 AMG die für die Haftungsauslösung maßgebliche „Gefährdung“ nicht schon durch das Inverkehrbringen induziert, sondern erst durch die Anwendung des Arzneimittels. Entsprechend stelle § 84 Abs. 1 Satz 1 AMG explizit darauf ab, dass durch „die Anwendung“ eines Arzneimittels (und nicht durch die Inverkehrgabe) ein Mensch verletzt werde. Für die Auslegung sei ferner bedeutsam, dass ein Inverkehrbringen im Sinne des AMG schon zu einem sehr weit vorgelagerten Zeitpunkt angenommen werde, nämlich gemäß § 4 Abs. 17 AMG bereits durch das Vorrätighalten zum Verkauf im Lager des pharmazeutischen Unternehmers. Zwischen diesem Zeitpunkt und der schadenskausalen Anwendung des Arzneimittels könne erhebliche Zeit vergehen. Wenn sich in diesem Zeitraum etwa das pharmazeutische Umfeld des Arzneimittels ändere, entspreche es den Grundsätzen einer den Entwicklungsfehler einschließenden Gefährdungshaftung, dass diese Veränderung in die Risikosphäre des pharmazeutischen Unternehmers falle. Des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass die Rechtsprechung in einem anderen, hier aber dennoch relevanten Kontext, nämlich zu Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB, ebenfalls auf den Zeitpunkt des Eintritts der Rechtsgutverletzung abstellt, weil § 84 AMG eine Gefährdungshaftung anordne und der Eintritt der Rechtsgutverletzung erst die Haftung auslöse (BGH, Urteil vom 16.03.2010 – VI ZR 64/09, juris Rn. 6) bzw. dem Patienten kaum der Nachweis möglich sei, aus welcher Charge ein Arzneimittel stamme und wann es an die jeweilige Apotheke ausgeliefert worden sei (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 30.05.2012 – 13 U 73/07, juris Rn. 18). Schließlich spreche eine Wertung des allgemeinen Produkthaftungsrechts für eine Rückprojektion auf den Zeitpunkt der Anwendung (oder des Schadenseintritts) und gegen eine Rückbeziehung auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens: Nach dem ProdHaftG und der EG-Produkthaftungsrichtlinie müsse der Verbraucher bei einer Verletzung nur beweisen, dass der Fehler des Produkts im Zeitpunkt der Schädigung vorgelegen habe. Das spreche umso mehr für die Rückprojektion auf den Zeitpunkt der Anwendung, als § 84 AMG – anders als das ProdHaftG – auch die Haftung für Entwicklungsfehler vorsehe und auch keine mit § 1 Abs. 2 Nr. 2 ProdHaftG inhaltsgleiche Regelung enthalte (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 ProdHaftG: „Die Ersatzpflicht des Herstellers ist ausgeschlossen, wenn (…) 2. nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Produkt den Fehler, der den Schaden verursacht hat, noch nicht hatte, als der Hersteller es in den Verkehr brachte.“). Gerade die Tatsache, dass § 84 Abs. 3 AMG für den Haftungsausschluss anders als § 1 Abs. 2 Nr. 2 ProdHaftG nicht auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens abstelle, führe dazu, dass bei § 84 AMG der pharmazeutische Unternehmer auch für „Fehler“ des Arzneimittels hafte, wenn diese zwar beim Inverkehrbringen noch nicht vorgelegen hätten, ihre Ursache aber dennoch in dem Bereich der Entwicklung und Herstellung gehabt hätten. Auch deshalb entspreche eine Rückprojektion auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht dem Normzweck des § 84 AMG. Vielmehr ergebe die Rückprojektion der Schädlichkeit auf den Zeitpunkt der Anwendung des Arzneimittels sachgerechte Ergebnisse.
81
(3) Das OLG Koblenz um mit ihm das erkennende Gericht ist mit der dargestellten weit überwiegenden Ansicht in Literatur und Rechtsprechung der Ansicht, dass einer Entscheidung die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die schädlichen Wirkungen des hier in Rede stehenden Impfstoffs im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zugrunde zu legen sind. Als Zeitpunkt der Rückprojektion ist der Zeitpunkt der Anwendung des Arzneimittels heranzuziehen; dies wird dem Charakter der Vorschrift als Gefährdungshaftung am besten gerecht. Das OLG Koblenz und mit diesem das erkennende Gericht macht sich die Begründung der zuletzt genannten Literaturansicht zu eigen.
82
cc) Die vorgenannten Maßstäbe zugrunde gelegt, ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis für den Impfstoff der Beklagten im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung als positiv zu bewerten.
83
(1) Dies steht zunächst fest aufgrund der Tatbestandswirkung des Durchführungsbeschlusses der Europäischen Kommission vom 10.10.2022 zur unbedingten Zulassung des Impfstoffs (Anlage B12), der den Beschluss vom 21.12.2020 über die bedingte (außerordentliche) Zulassung bestätigt.
84
(1.1) Im Unionsrecht gilt der Grundsatz der Vermutung der Rechtmäßigkeit von Gemeinschaftsakten. Dieser Grundsatz besagt, dass die Rechtsakte einer europäischen Behörde – hier der Europäischen Kommission – Rechtswirkungen entfalten, solange sie nicht zurückgenommen, im Rahmen einer Nichtigkeitsklage für nichtig erklärt oder infolge eines Vorabentscheidungsersuchens oder einer Rechtswidrigkeitseinrede für ungültig erklärt worden sind (EuGH, Urteil vom 12.02.2008 – C-199/06, juris, Rn. 60). Dieser Grundsatz betrifft die Rechtsbeständigkeit von Gemeinschaftsakten und enthält – ähnlich wie die §§ 43 Abs. 1, 44 Abs. 1 VwVfG im nationalen Recht – das Prinzip der Rechtswirksamkeit auch fehlerhafter Gemeinschaftsakte. Er gestattet es insbesondere anderen europäischen und nationalen Behörden sowie Gerichten in nachfolgenden Verfahren von der Tatbestandswirkung dieses europäischen Rechtsakts auszugehen, das heißt in nachfolgenden Verfahren bei der Rechtsprüfung das tatbestandliche Vorliegen einer rechtswirksamen Zulassung festzustellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.07.2022 – 1 WB 2/22, BVerwGE 176, 138-211, Rn. 205 – 206).
85
Mit der Feststellung der rechtswirksamen Zulassung wird inzident das Vorliegen eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses festgestellt, da ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis Tatbestandsvoraussetzung der Zulassung eines Arzneimittels ist, gleichgültig, ob auf nationaler oder europäischer Ebene.
86
Bereits eine bedingte (außerordentliche) Zulassung, die für den streitgegenständlichen Impfstoff am 21.12.2020 erteilt worden war, darf nach Art. 14-a Abs. 3 Verordnung (EG) 726/2004 und nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 lit. a) Verordnung (EG) 507/2006 nur erfolgen, „wenn das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Arzneimittels positiv ist“.
87
Mit der bedingten Zulassung werden dem Arzneimittelhersteller gemäß Art. 14-a Abs. 4 Verordnung (EG) 726/2004 „besondere Verpflichtungen“ auferlegt, die nach Abs. 5 darin bestehen, „laufende Studien abzuschließen oder neue Studien einzuleiten, um das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis zu bestätigen.“
88
Das Vorliegen eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses ist nach § 14-a Abs. 8 Verordnung (EG) 726/2004 erneut nachzuweisen, um eine ordentliche, fünf Jahre gültige Zulassung zu erhalten. In Erwägungsgrund Nr. 2 des Durchführungsbeschlusses für die unbedingte Zulassung des streitgegenständlichen Impfstoffs vom 10.10.2022 wird von der EU-Kommission festgestellt, dass die Beklagte die ihr im Rahmen der bedingten Zulassung gemäß Art. 14-a Abs. 4 Verordnung (EG) 726/2004 auferlegten besonderen Verpflichtungen erfüllt hat.
89
Die Prüfung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses war mithin wesentliche Voraussetzung sowohl für die bedingte Zulassung des Impfstoffs als auch für die Erteilung der unbedingten Zulassung, so dass mit der Zulassungsentscheidung zugleich das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis somit Bindungswirkung auch für die Zivilgerichte festgestellt wurde (zum Umfang der Tatbestandswirkung vgl. auch BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245-280, Rn. 12; wie hier auch LG Frankfurt, Urteil vom 14.02.2024 – 2-12 O 264/22, juris, Rn. 12; für die Verwaltungsgerichtsbarkeit allein in Bezug auf die Zulassungsentscheidung: BVerwG, Beschluss vom 07.07.2022 – 1 WB 2/22, BVerwGE 176, 138-211, juris, Rn. 206 unter Bezugnahme auf BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 15.10.2009 – 1 BvR 3522/08, juris, Rn. 50).
90
Die am 10.10.2022 erteilte unbedingte Zulassung ist bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weder geändert noch ausgesetzt oder widerrufen worden (Art. 20a Verordnung (EG) 726/2004) und auch die Verwendung des Impfstoffs ist nicht durch die Kommission ausgesetzt worden (Art. 20 Abs. 4 Verordnung (EG) 726/2004), so dass die Bindungswirkung unverändert fortbesteht.
91
(1.2) Hiergegen kann nicht mit Erfolg eingewendet werden, es sei mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar, wenn die behördliche Zulassungsentscheidung nicht mehr vor den (nationalen) Zivilgerichten angegriffen werden könne. Denn dem Kläger wird der Rechtsschutz dadurch nicht vollständig versagt. Die behördliche Zulassung eines Arzneimittels lässt – ungeachtet der Möglichkeit einer Vorlageentscheidung im Rechtszug – die zivil- und strafrechtliche Verantwortlichkeit des pharmazeutischen Unternehmers unberührt, § 25 Abs. 10 AMG iVm Art. 15 Verordnung (EG) 726/2004. Die durch die Europäische Kommission gemäß Artikel 3 Verordnung (EG) 726/2004 erteilte Zulassung (vgl. Durchführungsbeschluss vom 10.10.2022, Artikel 1) steht einer nationalen Zulassung gleich, § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG. Somit kann die Bindungswirkung der Zulassungsentscheidung im Zivilprozess in Frage gestellt werden, wenn substantiiert dargelegt wird, welche der Beklagten damals bereits bekannte Umstände bei der Zulassungsentscheidung nicht berücksichtigt worden sein sollen, bei deren Berücksichtigung eine andere Zulassungsentscheidung gerechtfertigt gewesen wäre, oder aber, wenn dargelegt wird, dass nach der Zulassung Nebenwirkungen des Impfstoffs bekannt geworden sind, deren Kenntnis im Zeitpunkt der Zulassung einer Zulassung entgegen gestanden hätten (so auch OLG Bamberg, Beschluss vom 14.08.2023 – 4 U 15/23 e, juris, Rn. 15; vgl. auch BGH, Urteil vom 12.05.2015 – VI ZR 328/11, BGHZ 205, 270-287, Rn. 28). Gleiches dürfte gelten, wenn im Einzelnen begründet wird, dass ein Ermessensfehler bei der Nutzen-Risiko-Abwägung vorliegt, d.h. das Ermessen nicht ausgeübt oder überschritten wurde oder das Ermessen wider die gesetzlichen Bestimmungen erfolgte oder ein Verstoß gegen Denkgesetze und anerkannte Erfahrungssätze vorliegt.
92
Dazu hat der Kläger jedoch nichts vorgetragen.
93
(1.3) Das OLG Koblenz hat die Notwendigkeit einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 AEUV mangels Entscheidungserheblichkeit verneint, diese Frage ab letztlich offengelassen, da es nicht letztinstanzlich entscheidet und daher zur Vorlage an den EuGH nicht verpflichtet ist, Art. 267 Abs. 3 AEUV.
94
(2) Wenn man – anders als soeben dargelegt – nicht von einer Bindungswirkung der Zulassungsentscheidung in Bezug auf das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis ausgeht, ergibt sich dennoch kein anderes Ergebnis. Das OLG Koblenz gelangt auf der Grundlage der Bewertung der Expertengremien zu dem Ergebnis, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis des streitgegenständlichen Impfstoffs nach den von den Parteien vorgetragenen Tatsachen zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung projiziert auf den Zeitpunkt der Impfung positiv ist.
95
(2.1) Aus der dem Durchführungsbeschluss der EU-Kommission vom 10.10.2022 zugrundeliegenden Empfehlung des Ausschusses für Humanarzneimittel, CHMP, vom 15.09.2022 (vorgelegt als Anlagen K46 und B13) geht hervor, dass der Beklagten seit der bedingten Marktzulassung des streitgegenständlichen Impfstoffs am 21.12.2020 verschiedene „Spezifische Verpflichtungen“ (kurz: „SV“) auferlegt worden waren (vgl. Art. 14-a Abs. 4 Verordnung (EG) 726/2004). Diese werden in dem Bericht des CHMP ausführlich dargestellt. Der Ausschuss hält dazu fest, dass zu sämtlichen Spezifischen Verpflichtungen neue Daten fristgerecht und als annehmbar zur Erfüllung der Verpflichtungen vorgelegt worden seien. Die allgemeine Schlussfolgerung zu den Spezifischen Verpflichtungen (Ziffer 2.3 des Berichts) lautet:
„(…) Das klinische Unbedenklichkeitsprofil sowie die Wirksamkeit dieses Produkts werden als umfassend charakterisiert und unterstützen ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis. (…)“
96
Unter Ziffer 6.2 führt der CHMP zum Nutzen-Risiko-Verhältnis aus, dass die neuen Daten keinen Einfluss auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Impfstoffs in der zugelassenen Indikation hätten, sondern vielmehr das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis in der zugelassenen Indikation bestätigten. Weiter steht in dem Bericht:
„Unsicherheiten und Einschränkungen in Bezug auf ungünstige Auswirkungen:
Die Unsicherheiten und Einschränkungen ungünstiger Auswirkungen wurden bereits in weiteren Verfahren erörtert. Die Hauptunsicherheiten betreffen die langfristigen Auswirkungen und die Auswirkungen bei bestimmten Risikogruppen.
Nutzen-Risiko-Bewertung und Erörterung:
Die Vorteile von Comirnaty in Bezug auf den Schutz vor COVID-19 überwiegen eindeutig die ermittelten Risiken, und während dieses Verlängerungszeitraums wurden keine neuen Informationen bekannt, die das Verhältnis verändert hätten. Sämtliche qualitätsbezogenen SV gelten als erfüllt. (…) Bedeutung von günstigen und ungünstigen Auswirkungen:
Nicht zutreffend.
Nutzen-Risiko-Verhältnis:
Auf der Grundlage des kumulativen Nachweises für günstige und ungünstige Auswirkungen bleibt das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Comirnaty positiv.“
97
Unter Ziffer 7 empfiehlt der CHMP sodann Folgendes:
„7. Empfehlung
Auf der Grundlage der Überprüfung der verfügbaren Informationen über den Stand der Erfüllung der spezifischen Verpflichtungen ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis für Comirnaty in der zugelassenen Indikation (siehe Zusammenfassung der Produktmerkmale) weiterhin günstig. Da sämtliche spezifischen Verpflichtungen entweder erfüllt oder in Studien der Kategorie 3 des RMP umgestuft wurden, liegen keine Gründe mehr vor, die Marktzulassung an Bedingungen zu knüpfen, und der CHMP empfiehlt daher die Erteilung einer Standardgenehmigung für die Marktzulassung von Comirnaty, die keinen spezifischen Verpflichtungen unterliegt.“
98
Das P.-E.-Institut (...) hat in einer Stellungnahme vom 10.10.2022 (Anlage B11) mitgeteilt, dass der Ausschuss für Humanarzneimittel bei der EMA für den Impfstoff der Beklagten und einen weiteren mRNA-Impfstoff eines anderen Herstellers die Umwandlung der bedingten Zulassung in eine unbedingte Zulassung empfohlen habe. Aus den für beide Impfstoffe bestehenden Verpflichtungen, Ergebnisse aus den laufenden klinischen Prüfungen vorzulegen und zusätzliche Daten über die pharmazeutische Qualität des jeweiligen Impfstoffprodukts im Hinblick auf den geplanten enormen Produktionsanstieg zu liefern, seien umfangreiche Daten gewonnen worden. Zusätzliche Studien, einschließlich unabhängiger, von den EU-Behörden koordinierter Studien, hätten weitere Daten zu wichtigen Aspekten geliefert, z.B. dazu, wie gut die Impfstoffe schwere COVID-19-Erkrankungen verhinderten. Darüber hinaus hätten die Unternehmen alle angeforderten zusätzlichen Daten zur pharmazeutischen Qualität des jeweiligen Impfstoffprodukts vorgelegt. Insgesamt seien seit der Einführung dieser Impfstoffe mit Hunderten von Millionen verabreichten Dosen umfangreiche Daten gewonnen worden. In Anbetracht der Gesamtheit der verfügbaren Daten würden die spezifischen Verpflichtungen nicht mehr als ausschlaggebend für das Nutzen-Risiko-Verhältnis der Impfstoffprodukte angesehen werden. Damit sei der Weg frei für den Übergang von einer bedingten Zulassung zu einer Standardzulassung.
99
Einer von der Klägerin im Verfahren des OLG Koblenz selbst vorgelegte Stellungnahme des PEIs über bis zum 31.10.2022 in Deutschland gemeldete „Verdachtsfälle von Nebenwirkungen oder Impfkomplikationen nach Impfung mit den Omikronadaptierten bivalenten COVID- 19-Impfstoffen Comirnaty Original/Omicron BA.1, Comirnaty Original/Omicron BA.4-5 (…)“ (Anlage K30) ist als Fazit zu entnehmen, dass bis 31.10.2022 auch für diese genannten Impfstoffe kein neues Risikosignal aufgrund der Meldungen zu Verdachtsfällen von Nebenwirkungen bzw. Impfkomplikationen aus Deutschland detektiert worden ist.
100
Somit gelangen sowohl der Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA, CHMP, als auch das PEI auf der Basis aller bis dahin bekannten und gemeldeten Nebenwirkungen und Impfkomplikationen auf sachverständiger Ebene (dazu nachfolgend) zu dem Ergebnis, dass im Zeitpunkt der Erteilung der Standardzulassung für den streitgegenständlichen Impfstoff am 10.10.2022 das Nutzen-Risiko-Verhältnis positiv war.
101
Durch die am 31.08.2023 erfolgte Zulassung des auf die COVID-19-Subvariante Omikron XBB.1.5 angepassten Impfstoffs der Beklagten durch die Europäische Kommission wurde das Nutzen-Risiko-Verhältnis erneut bestätigt. Über die Empfehlung des CHMP zur Zulassung berichtet die EMA in ihrer Meldung vom 30.08.2023 (Anlage B8).
102
Die am 21.12.2020 erteilte bedingte Zulassung ist damit weder geändert noch ausgesetzt oder widerrufen worden (Art. 20a Verordnung (EG) 726/2004), sondern in eine unbedingte Zulassung umgewandelt worden. Auch danach ist die Verwendung des Impfstoffs nicht durch die Kommission ausgesetzt worden (Art. 20 Abs. 4 Verordnung (EG) 726/2004). Die unbedingte Zulassung vom 10.10.2022 ist bis zum heutigen Zeitpunkt ebenfalls weder geändert noch ausgesetzt oder widerrufen worden. Vielmehr hat die Europäische Kommission am 31.08.2023 auch den auf die COVID 19-Subvariante Omikron XBB.1.5. angepassten Corminaty-Impfstoff zugelassen.
103
(2.2) Die oben genannten Entscheidungen der Europäischen Kommission zur bedingten Zulassung des Impfstoffs am 21.12.2020 und zur unbedingten Zulassung am 10.10.2022 basieren auf Empfehlungen der EMA, die wiederum ein Gutachten zum Nutzen-Risiko-Verhältnis des Impfstoffs eingeholt hat (Art. 14-a Abs. 3, 4 und 8 Verordnung (EG) 726/2004). Die Europäische Arzneimittelagentur hat nach Art. 56 Verordnung (EG) 726/2004 verschiedene Organe. Zu diesen Organen gehören nach Art. 56 Abs. 1 lit. a) der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP), der die Gutachten der Agentur zu Fragen der Beurteilung von Humanarzneimitteln ausarbeitet, sowie nach Art. 56 Abs. 1 lit. a) aa) der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC), der für Empfehlungen an den CHMP und die Koordinierungsgruppe in allen Fragen, die Pharmakovigilanz-Tätigkeiten in Bezug auf Humanarzneimittel sowie Risikomanagement-Systeme betreffen, und für die Überwachung der Effektivität dieser Risikomanagement-Systeme zuständig ist.
104
Der PRAC, also der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz, setzt sich gemäß Art. 61a der Verordnung (EG) 726/2004 aus Vertretern aus allen Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR), wissenschaftlichen Experten, Vertretern der Heilberufe und Vertretern der Patientenorganisationen zusammen. Die Ernennung der Mitglieder und der stellvertretenden Mitglieder des Ausschusses für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz erfolgt gemäß Art. 61a Abs. 3 Satz 1 der Verordnung (EG) 726/2004 „auf der Grundlage ihres einschlägigen Fachwissens in Pharmakovigilanz-Angelegenheiten und in der Risikobeurteilung von Humanarzneimitteln, um höchste fachliche Qualifikationen und ein breites Spektrum an einschlägigem Fachwissen zu gewährleisten.“
105
Im CHMP, dem Ausschuss für Humanarzneimittel, ist gemäß Art. 61 der Verordnung – wie auch im PRAC – jeder Mitgliedsstaat mit einem mit besonderem Fachwissen ausgestatteten Mitglied vertreten. Ferner können sich die Mitglieder des Ausschusses für Humanarzneimittel gemäß Art. 61 Abs. 3 der Verordnung 726/2004 von Sachverständigen aus speziellen Bereichen von Wissenschaft oder Technik begleiten lassen.
106
Das Pendant der EMA auf Bundesebene ist das P.-E.-Institut (kurz: PEI; § 77 Abs. 2 AMG). Das PEI ist die in Deutschland federführend zuständige Behörde im Zusammenhang mit der Entwicklung, Zulassung, Bewertung und Überwachung der Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit von Impfstoffen. Ihm obliegt insbesondere die Erfassung und Auswertung von impfinduzierten Risiken und die Koordination gegebenenfalls zu ergreifender Maßnahmen. Daneben ist das PEI eine Forschungseinrichtung, um die Expertise zur Impfstoffbeurteilung einschließlich der Beurteilung von individuell auftretenden unerwünschten Impfreaktionen zu bündeln. Geforscht wird unter anderem auf den Gebieten der Immunologie, der Virologie und der Bakteriologie. Aufgrund dieser herausgehobenen Stellung ist das PEI weltweit vernetzt und berät nationale, europäische und internationale Gremien im Zusammenhang mit Impfstoffen (BVerwG, Beschluss vom 07.07.2022 – 1 WB 2/22, BVerwGE 176, 138-211, Rn. 92; vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.04.2022 – 1 BvR 2649/21, juris, Rn. 138).
107
Bei den genannten Institutionen und deren Arbeitsebenen handelt es sich mithin nicht um politische Gremien. Ihre Empfehlungen und Entscheidungen orientieren sich nicht an politischen Interessen, auch wenn Grundlage der Einrichtung der Europäischen Arzneimittelagentur und ihrer Organe selbstverständlich eine politische Entscheidung war – auf anderem Wege ließe sich jedoch eine in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union anerkannte und handlungsfähige Institution wie die EMA nicht einrichten. Dennoch handelt es sich bei den Organen der EMA und dem PEI um medizinisch-pharmazeutische und damit wissenschaftliche Fachgremien, nicht um im eigentlichen Sinne des Wortes politische Gremien.
108
(2.3) Die Einschätzungen zur Arzneimittelsicherheit des CHMP, des PRAC und des PEI stehen also – wovon offenbar auch schon das Landgericht zutreffend ausgegangen ist – einer sachverständigen Begutachtung gleich, da bereits die gesetzlichen Vorgaben für deren Besetzung sie als sachverständige Stellen qualifizieren. Die Institutionen vereinen die widerstreitenden wissenschaftlichen Erfahrungen, Erkenntnisse, Sichtweisen und Hypothesen in sich und lassen diese in eine umfassende Nutzen-Risiko-Bewertung einfließen.
109
Die Bewertung der Experten von CHMP und PRAC und PEI, die selbst nicht in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen, bildet das größtmögliche Fachwissen für die hier zu entscheidende Frage des Nutzen-Risiko-Verhältnisses des streitgegenständlichen Impfstoffs ab. Sie vermögen dem Senat des OLG Koblenz und somit auch dem erkennenden Gericht daher die notwendige Fachkenntnis zu vermitteln, um die Frage des Nutzen-Risiko-Verhältnisses des Impfstoffs der Beklagten zu beurteilen (so im Ergebnis auch BVerwG, Beschluss vom 07.07.2022 – 1 WB 2/22, BVerwGE 176, 138-211). Der Senat des OLG Koblenz und mit diesem das erkennende Gericht macht sich die zitierten Erkenntnisse der oben aufgeführten Expertengremien daher als Grundlage seiner Entscheidung zu eigen.
110
Vor dem erläuterten Hintergrund des maximalen Fachwissens in den Expertengremien ist auch nicht zu erwarten, dass die Begutachtung durch einen einzelnen Virologen oder Pharmakologen als Sachverständigen im hiesigen Einzelfall zu anderen Erkenntnissen führen würde. Es wäre lebensfremd anzunehmen, ein einzelner Sachverständiger könnte über weitere Quellen, eine größere Datengrundlage und umfangreicheres Wissen verfügen als die aus jeweils mindestens 27 Personen bestehenden genannten Expertengremien, so dass die vom Kläger angebotene Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht entscheidungserheblich war. Dass die genannten Expertengremien über die größtmögliche Datengrundlage verfügen, zeigte sich auch in dem vom OLG Koblenz in einem Parallelverfahren (5 U 1139/23) beigezogenen Verfahren vor dem Landgericht Köln (3 O 143/22). Wie sich aus den beigezogenen Unterlagen ergibt, konnte sich der dort beauftragte Sachverständige gleichermaßen nur auf die vorgenannten Quellen (Erkenntnisse von CHMP, PRAC, PEI) beziehen, die auch dem OLG Koblenz zur Verfügung stehen; ihm standen keine weitergehenden Daten oder Informationen zur Verfügung. Der Kläger trägt auch nicht vor, über welches überlegene Wissen ein einzelner Sachverständiger verfügen könnte. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass sich dessen Bewertung eines positiven oder negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses nicht auf den Kläger beziehen dürfte, sondern auf die Gesamtheit der potentiellen Patientengruppe innerhalb der Europäischen Union.
111
(2.4) Die vom OLG Koblenz und auch dem erkennenden Gericht vorzunehmende Abwägung nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG ist zwar nicht mit der Abwägung zur Zulassungsentscheidung der EU-Kommission identisch. Die durchgängig gleichlautenden Entscheidungen der oben genannten Expertengremien in Bezug auf das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis stellen aber ein gewichtiges Indiz im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung (§ 25 Abs. 10 AMG) dar, ob eine ermessensfehlerhafte Bewertung auf Europäischer Ebene bei der Zulassungsentscheidung vorlag, wenn man nicht schon von einer Tatbestandswirkung ausgehen will. Die dargestellte Historie des Impfstoffs von seiner erstmaligen bedingten Zulassung bis zur Erteilung der Standardzulassung in der EU sowie der Zulassung des Impfstoffs für eine Virusvariante, die – auf ständig ergänzter Datengrundlage – jeweils nicht geändert, aufgehoben oder widerrufen wurde, lässt den Schluss zu, dass die nach der bedingten Zulassung bekannt gewordenen Fälle von Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Herzmuskel- oder Herzbeutelentzündung, Gesichtslähmung, allergische Sofortreaktionen (Anaphylaxie) oder möglicherweise zum Tod führende Lungenentzündungen, wie sie etwa in dem Aufklärungsmerkblatt mit Stand 19.08.2021 (Anlage K107) aufgelistet sind, an der positiven Nutzen-Risiko-Abwägung der Expertengruppen nichts geändert haben. Dies gilt bis heute und ergibt sich nicht zuletzt aus der Auflistung der eben genannten Nebenwirkungen sowie der Nennung von Thrombozytopenie und Gerinnungsstörungen unter Ziffer 4.4. der Zusammenfassung der Merkmale des streitgegenständlichen Arzneimittels mit Stand 24.03.2023 (im Verfahren des OLG Koblenz vorgelegt als Anlage K22).
112
(2.5) Relevante medizinische Anhaltspunkte, die von den genannten Expertengruppen vor der Empfehlung für die Zulassung nicht berücksichtigt worden sein sollen und die gegen ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis sprechen könnten, oder solche, die nach der Zulassung bekannt geworden sind und eine andere Zulassungsentscheidung begründet hätten, wären sie schon zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen, werden vom Kläger nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich.
Im Einzelnen:
113
Ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis ist nicht, wie der Kläger meint, deshalb anzunehmen, weil keine verlässlichen Daten vorlägen, da es an Langzeitstudien fehle, welche etwa die langfristige Wirksamkeit des Impfstoffs untersuchten. Das Fehlen solcher Langzeitstudien war bekannt und ist in die Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses durch die Ausschüsse eingeflossen. Das ergibt sich aus dem Bewertungsbericht des CHMP vom 15.09.2022 indirekt daraus, dass die Beurteilung für die unbedingte Zulassung nur rund 21 Monate nach der Erteilung der außerordentlichen (bedingten) Zulassung erfolgte.
114
Das Fehlen von Langzeitstudien ist der bedingten Zulassung eines Arzneimittels nach Art. 14-a Abs. 1 Verordnung 726/2004 zudem immanent, regelt die Norm doch, dass „in hinreichend begründeten Fällen (…) zur Schließung medizinischer Versorgungslücken für Arzneimittel, die zur Behandlung, Vorbeugung oder ärztlichen Diagnose von zu schwerer Invalidität führenden oder lebensbedrohenden Krankheiten bestimmt sind, eine Zulassung erteilt werden [kann], ehe umfassende klinische Daten vorliegen, sofern der Nutzen der sofortigen Verfügbarkeit des betreffenden Arzneimittels auf dem Markt das Risiko überwiegt, das sich daraus ergibt, dass nach wie vor zusätzliche Daten erforderlich sind.“ In Satz 2 heißt es weiter: „In Krisensituationen kann eine Zulassung solcher Arzneimittel erteilt werden, selbst wenn noch keine vollständigen vorklinischen oder pharmazeutischen Daten vorgelegt wurden.“ Ergänzt wird diese Regelung durch Absatz 3, wonach Zulassungen nach Art. 14-a nur erteilt werden dürfen, wenn „das Nutzen-Risiko-Verhältnis positiv ist und der Antragsteller aller Wahrscheinlichkeit nach in der Lage ist, umfassende Daten bereitzustellen.“ Die von der Beklagten vorgelegten Daten aus klinischen und nicht-klinischen Studien waren für den CHMP und die EMA offensichtlich bereits zur Erfüllung der dargelegten Zulassungsvoraussetzungen für die bedingte Zulassung ausreichend, ebenso wie die Studiendaten zu den Speziellen Verpflichtungen nach der bedingten Zulassung des Impfstoffs für den CHMP hinreichend aussagekräftig waren, um den Nutzen des Impfstoffs im Verhältnis zu den bis dahin erkennbaren Nebenwirkungen einzuschätzen (vgl. Anlagen K46 und B13)).
115
Dem Kläger kann im Hinblick auf das von ihm gegen das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis angeführte Argument des Fehlens von Langzeitstudien zudem entgegengehalten werden, dass es bis heute (Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung) nur bedingte Erkenntnisse zu den Langzeitfolgen einer COVID-19-Infektion – insbesondere in Relation zur Schwere der Infektion – gibt. Es erscheint jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die Langzeitfolgen einer Erkrankung an COVID-19 weit schwerwiegender sind als die Risiken einer Impfung. Vor diesem Hintergrund stellt das Fehlen von Langzeitstudien kein durchgreifendes Argument für ein den Nutzen überwiegendes Risiko des Impfstoffs dar.
116
Soweit der Kläger in der Replik (S. 65) den Bewertungsbericht der EMA vom 15.09.2022 (Anlagen K46 und B13) : „Bewertungsbericht über die Verlängerung des Bewertungsberichts für die Marktzulassung“, nachfolgend „Bewertungsbericht“ oder „Bericht“ genannt) mit dem Argument angreift, ihm lägen Daten aus dem Zeitraum vom 30.04.2021 bis 29.04.2022 zugrunde, so dass aufgrund des Datums des Berichts (15.09.2022) die Daten zwischen dem 30.04.2022 und dem 15.09.2022 komplett fehlten, verkennt er, dass der Bericht lediglich den Zeitraum für die Verlängerung der Marktzulassung bewertet, der sich ausweislich Seite 4 des Berichts auf den genannten Zeitraum vom 30.04.2021 bis zum 29.04.2022 erstreckt. Darüber hinaus gehende Daten waren für diesen Verlängerungszeitraum mithin nicht relevant.
117
Dass in dem Bewertungsbericht vom 15.09.2022 hauptsächlich über die Risiken, nicht aber über den Nutzen des Impfstoffs berichtet wird, wie der Kläger rügt, hat seinen Grund darin, dass es sich um den Bericht für die Verlängerung der Marktzulassung des Impfstoffs handelte. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis war bereits mit dem (ersten) „Bewertungsbericht EMA707383/2020 in der Korrekturfassung vom 19.02.2021“ (beim OLG Koblenz vorgelegt als Anlage K37), der vor der bedingten Zulassung des Impfstoffs am 21.12.2020 erstellt wurde, ausführlich erörtert und als positiv bewertet worden. Ändert sich die Betrachtung und Bewertung des Nutzens im Hinblick auf die Gesamtheit der Betroffenen und im Hinblick auf einzelne betrachtete Risikogruppen im Ergebnis zum Ausgangsbericht nicht, bedarf es auch keiner weiteren Ausführungen. Zu betrachten sind dann nur neu hinzukommende Risiken und die Entwicklung zuvor bereits erkannter Risiken sowie das Verhältnis zwischen dem unverändert bewerteten Nutzen und den neu oder erstmals zu bewertenden Risiken. Dies führte im vorliegenden Fall zu der fortbestehen positiven Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses. Die von der Klagepartei behauptete geänderte Betrachtung des Nutzens betreffend die Wirksamkeit des Impfstoffs wird teilweise nur behauptet, aber nicht begründet, an anderen Stellen nur auf Teilgruppen und nicht die Gesamtheit der Betroffenen bezogen und überzeugt den Senat des OLG Koblenz und das erkennende Gericht nicht. Die Klagepartei verallgemeinert hier unzulässig Aussagen zu einzelnen Risikogruppen, die als Risiko betrachtet werden und zu betrachten sind, jedoch den Nutzen für die Gesamtgruppe nicht in Frage stellen. Auch verkennt die Klagepartei, dass der Nutzen nicht (ausschließlich) in der Verhinderung einer Reaktion auf das Virus gesehen wurde und gesehen wird, sondern in der nachhaltigen Abmilderung dieser Reaktion. Bei geringer Infektionsintensität vermeidet der Impfstoff so äußerlich die Infektion und bei einer schweren Infektion verhindert und mildert er schwere Verläufe bis hin zum Tod. Diese Nutzenbeschreibung hat bis zur mündlichen Verhandlung Bestand. Hinzu kommt der Umstand, dass während einer noch andauernden Pandemie mit tausenden Impfungen täglich die dabei zutage tretenden unerwünschten Nebenwirkungen in aller Regel schneller auftreten bzw. erkennbar werden – wie zum Beispiel bei Schmerzen an der Einstichstelle oder Kopfschmerzen innerhalb von Stunden oder spätestens weniger Tage –, der in einer Nichtreaktion bestehende Nutzen einer Impfung aber erst deutlich später untersucht werden kann. Daraus erklärt sich, dass das Hauptaugenmerk in dem Bewertungsbericht vom 15.09.2022 auf die – gegebenenfalls neu zutage getretenen – Risiken des Impfstoffs gelegt wurde.
118
Die weitere Rüge, die klinischen Studien seien nicht aussagekräftig, verfängt ebenfalls nicht. Da die Studien in dem Bewertungsbericht nicht in allen Einzelheiten wiedergegeben sind, sondern in dem Bewertungsbericht für die Verlängerung der Marktzulassung zwangsläufig nur eine Zusammenfassung der zahlreichen einzelnen Studien enthalten sein kann, vermögen die einzelnen Zitate in dem Bericht keine Auskunft über die Aussagekraft der Studien insgesamt zu geben. Wegen der zusammenfassenden Wiedergabe der Studien greift der von der Klagepartei in zahlreichen Facetten erhobene Einwand der intransparenten Datenerhebung und -wiedergabe ebenso wenig durch wie die – ersichtlich – ins Blaue hinein erfolgten Behauptungen, für die klinischen Studien sei keine für die Bevölkerung repräsentative Teilnehmerauswahl erfolgt, die Studien seien nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, es sei „entgegen den Prinzipien evidenzbasierter Medizin ein klinisch nur wenig relevanter primärer Endpunkt gewählt“ worden und es fehlten Daten zu „den Impfeffekten in einzelnen Alters- und Risikogruppen“. Das gleiche gilt für die von der Klagepartei gezogene Schlussfolgerung aus den berichteten Medikationsfehlern. Dass zudem die Studien nicht beendet wurden und der Beobachtungszeitraum nach Ansicht der Klagepartei zu kurz gewesen ist, spielt ebenfalls keine Rolle, wenn – wie offensichtlich hier – die bis zum Berichtszeitpunkt des Bewertungsberichts des CHMP vom 15.09.2022 (Anlage K46/B13) gewonnenen Erkenntnisse für die Bewertung durch den Ausschuss ausreichend sind und die Voraussetzungen des Art. 14-a Verordnung 726/2004 erfüllt werden. Dies gilt ebenso für den Einwand, dass der Berichtszeitraum für die „sicherheitsrelevanten Änderungen der RSI“ (RSI = Hinweis auf Sicherheitsinformationen, vgl. Anlage K48 deutsch, Sicherheitsbericht Pfizer, S. 4: Liste der Abkürzungen) zu kurz gefasst sei. Die Klagepartei stellt lediglich eine Reihe von Behauptungen auf, ohne diese mit greifbaren Anhaltspunkten zu unterlegen.
119
Der Argumentation der Klagepartei ist entgegenzuhalten, dass die Beklagte nach Art. 14 Verordnung 726/2004 zahlreiche Verpflichtungen betreffend die Pharmakovigilanz auch nach Erteilung der unbedingten Zulassung zu erfüllen hat. Die nach Art. 14-a Abs. 8, Art. 14 Abs. 2 und 3 Verordnung 726/2004 auf fünf Jahre erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen kann etwa nur „auf der Grundlage einer von der Agentur vorgenommenen Neubeurteilung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses verlängert werden“, Art. 14 Abs. 2 Satz 1 Verordnung 726/2004. Weiter wird der Beklagten durch Art. 14 Abs. 2 Satz 2 Verordnung 726/2004 aufgegeben: „Zu diesem Zweck legt der Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen der Agentur spätestens neun Monate vor Ablauf der nach Absatz 1 vorgesehenen Gültigkeitsdauer der Genehmigung eine konsolidierte Fassung der Unterlagen in Bezug auf die Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit vor; darin sind Bewertungen von Daten aus den gemäß Kapitel 3 vorgelegten Berichten über vermutete Nebenwirkungen und den regelmäßigen aktualisierten Unbedenklichkeitsberichten sowie Informationen über alle seit der Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen vorgenommenen Änderungen enthalten.“ Damit geht der Vorwurf der Klagepartei, der Impfstoff unterliege einer zu kurzen Nachbeobachtungszeit, an der gesetzlichen Wirklichkeit vorbei.
120
Schließlich spricht der Umstand, dass der aus 27 Mitgliedern – einem aus jedem Mitgliedsstaat der EU – bestehende Ausschuss für Humanarzneimittel (§ 61 Abs. 1 Verordnung (EG) 726/2004) zu einem offensichtlich einstimmigen Ergebnis hinsichtlich der Nutzen-Risiko-Abwägung gekommen ist, dafür, dass kein einziges Ausschussmitglied so erhebliche Bedenken gegen den Umfang der Daten, die Aussagekraft der Studien oder die Bewertbarkeit bzw. Verwertbarkeit der Ergebnisse hatte, dass in dem Gutachten ein begründetes Sondervotum aufgenommen werden musste (§ 61 Abs. 7 Satz 2 Verordnung (EG) 726/2004).
121
Dass einige Studien „von der Beklagten gesponsert und von P. entwickelt“ wurden und damit nicht „unabhängig“ waren, wie die Klagepartei bemängelt, war der EMA aufgrund der ausdrücklichen Hinweise in dem Bewertungsbericht bekannt. Diese Vorgehensweise ist zudem in der gesetzlichen Regelung des Zulassungsverfahrens angelegt. So postuliert § 14-a Abs. 5 Verordnung (EG) 726/2004 ausdrücklich:
„Als Teil der besonderen Verpflichtungen gemäß Absatz 4 ist der Inhaber einer gemäß diesem Artikel erteilten Zulassung verpflichtet, laufende Studien abzuschließen oder neue Studien einzuleiten, um das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis zu bestätigen.“
122
Den überwiegenden Nutzen des streitgegenständlichen Impfstoffs vermag die Klagepartei auch nicht damit in Zweifel zu ziehen, dass sie auf den angeblich „nicht vollständigen“ Schutz (sprich: nicht zu 100%) geimpfter Personen vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 oder vor einem schweren Verlauf der Erkrankung COVID-19 verweist. Ihre dafür angebrachte Behauptung, es gebe keine wissenschaftliche Grundlage für die hohe Wirksamkeit des Impfstoffs vor schweren Verläufen der Erkrankung, verfängt nicht. Der zur Begründung dieser in vielfältiger Weise erhobenen Behauptung beispielsweise angeführte Bericht des RKI vom 06.06.2023 stützt die klägerische Ansicht nicht, denn er bezieht sich – wie von der Klagepartei bereits selbst zitiert – auf den Schutz „vor einer symptomlosen und milden Infektion mit der Omikron-Variante“ – und damit nicht auf den streitgegenständlichen Impfstoff, der gerade nicht für die Virusvariante entwickelt worden ist, sondern für das Ausgangsvirus. Die Zulassung der an die Omikron-Variante angepassten Version des Impfstoffs erfolgte erst am 31.08.2023 (siehe oben). Die klägerische Behauptung bleibt auch deshalb erfolglos, weil die nicht absolute Wirksamkeit des Impfstoffs vor einer Ansteckung – und dementsprechend auch nicht vor einem schweren Verlauf – bereits vor der bedingten Zulassung durch die EU-Kommission bekannt war und von dieser hingenommen wurde. So wird in dem Bewertungsbericht des CHMP „EMA707383/2020“ in der Korrekturfassung vom 19.02.2021 (Anlage K37), der sich für die bedingte Zulassung des Impfstoffs unter spezifischen Auflagen aussprach (vgl. S. 228 des Berichts, Anlage K37), als „Schlussfolgerung zur klinischen Wirksamkeit“ zunächst ausgeführt, dass eine ausgezeichnete Wirksamkeit des Impfstoffs (Verhinderung von symptomatischem COVID-19) von 95% bei Probanden ohne Hinweise auf eine frühere SARS-CoV2-Infektion nachgewiesen worden sei, was für alle relevanten Untergruppen gleich gewesen sei (S. 161 des Berichts). Danach wird (unter der Überschrift „Unsicherheiten und Einschränkungen in Bezug auf positive Auswirkungen“) ausführlich erörtert, dass keine verlässliche Aussage über die Wirksamkeit des Impfstoffs gegen schwere Verläufe der Erkrankung an COVID-19 getroffen werden könne (S. 216 des Berichts), was ebenso gilt für die Frage der Wirksamkeit des Schutzes vor einer asymptomatischen Infektion oder für die Frage der Wirksamkeit gegen die Übertragung von SARS-CoV-2 bei Personen, die nach der Impfung infiziert sind, und auch für den Schutz für immungeschwächte und schwangere Personen sowie die Dauer des Schutzes durch die Impfung (S. 216 des Berichts). All diese Unwägbarkeiten waren mithin bereits vor Erteilung der bedingten Zulassung des Impfstoffs bekannt, führten dennoch nicht zu der Annahme eines negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses, vielmehr gab der CHMP übereinstimmend die Empfehlung für die bedingte Zulassung des Impfstoffs. Diese Gesichtspunkte können daher nicht im Nachhinein zu einer anderen Entscheidung in Bezug auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis führen.
123
In dem späteren Bewertungsbericht des CHMP vom 15.09.2022 (Anlage K46/B13) über die Verlängerung der Marktzulassung ist ausgeführt, dass die „verbleibenden Unsicherheiten“ sich hauptsächlich auf die Anwendung bei immungeschwächten Personen, die langfristige Wirksamkeit und Unbedenklichkeit und z.B. die Wirksamkeit gegen die Übertragung bezögen (S. 33 der Anlage K43/B3). Dementsprechend hat der CHMP in dem Bewertungsbericht festgehalten:
„Die Vorteile von Comirnaty in Bezug auf den Schutz vor COVID-19 überwiegen eindeutig die ermittelten Risiken, und während dieses Verlängerungszeitraums wurden keine neuen Informationen bekannt, die das Verhältnis verändert hätten. Sämtliche qualitätsbezogenen SV gelten als erfüllt.“ (S. 34, Anlage K46/B13).
124
Danach ist der nicht absolute Schutz und die nicht in jedem Aspekt bekannte Wirksamkeit des Impfstoffs in die Abwägung des Nutzens zu den Risiken des Impfstoffs eingeflossen und ist hingenommen worden. Dieser Aspekt kann daher im Nachhinein eine andere Entscheidung nicht rechtfertigen.
125
Der weiter von der Klagepartei angeführte Umstand, dass vor der Zulassung weder Genotoxizitäts- noch Karzinogenitätsstudien durchgeführt wurden, führt ebenfalls nicht zu einem negativen Nutzen-Risiko-Verhältnis. Das Fehlen derartiger Studien war vor der Zulassung des Impfstoffs ebenfalls bekannt, was sich nicht nur aus dem Umkehrschluss aus der vom CHMP als qualitativ und quantitativ ausreichend bewerteten Datenlage vor der Zulassungsempfehlung vom 15.09.2022 ergibt (Anlage K46/B13), sondern ausdrücklich bereits aus dem ersten Bewertungsbericht „EMA707383/2020“ in der Korrekturfassung vom 19.02.2021 (beim OLG Koblenz vorgelegte Anlage K37). Dort wird auf Seite 88 das Fehlen von Studien zur Genotoxizität ausdrücklich als „akzeptabel“ beschrieben, da es sich bei den Bestandteilen der Impfstoffformulierung um Lipide und RNA handele, bei denen kein genotoxisches Potenzial zu erwarten sei. Das gilt ausweislich des Berichts auch für fehlende Studien zur Karzinogenität (S. 98, 100, beim OLG Koblenz vorgelegte Anlage K37). Dies führte dennoch nicht zur einer negativen Nutzen-Risiko-Bewertung, sondern gleichwohl zur Empfehlung der bedingten Zulassung (S. 228, beim OLG Koblenz vorgelegte Anlage K37).
126
Die Klagepartei vermag auch mit der behaupteten Verunreinigung des Impfstoffs mit Fremd-DNA das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis nicht in Zweifel zu ziehen. Die Klagepartei legt nicht dar, welche Auswirkungen („unkalkulierbare schädliche Ereignisse“) die angebliche Verunreinigung des Impfstoffs mit Fremd-DNA auf die Gesundheit der Impflinge gehabt haben soll. Ob der in Zusammenhang mit der Verunreinigung des Impfstoffs gehaltene Vortrag, die in den Impfstoffen enthaltenen Spikeproteine könnten Gefäßschäden verursachen, eine weitere Verunreinigung darlegen soll, bleibt unklar. Allerdings behauptet die Klagepartei, auf vorliegend, ohnehin nicht, einen Gefäßschaden durch die Impfung erlitten zu haben. Für die Annahme, dass „die im vorliegenden Fall verwendete Charge des Impfstoffs“ mit Fremd-DNA verunreinigt gewesen ist, fehlt jeder Anhaltspunkt. Ob die ausdrücklich „privaten Untersuchungen“ der die Verunreinigung beschreibenden Frau Prof. Dr. K. überhaupt den notwendigen wissenschaftlichen Standards entsprachen, auf die das PEI mit Schreiben vom 22.12.2023 hinwies (beim OLG Koblenz vorgelegt als Anlage BB12), legt die Klagepartei nicht dar, so dass ihre pauschale Behauptung die behördliche Entscheidung im Sinne eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses nicht infrage zu stellen vermag. Auch der mangels Einhaltung journalistischer Standards aus der Mediathek des Senders MDR gelöschte Beitrag vom 12.12.2023 liefert einen solchen Anhaltspunkt nicht. Der Sender hat mit einem Beitrag vom 08.01.2024 erläutert, dass und aus welchem Grund Gerüchte zu Verunreinigungen von Impfstoffchargen mit DNA falsch sind (beim OLG Koblenz vorgelegt als Anlage BB13). Demnach fehlen auch Anhaltspunkte für die Behauptung, dass gerade der der Klagepartei, vorliegend dem Kläger verabreichte Impfstoff von einer mit Fremd-DNA verunreinigten Charge stammte. Des Weiteren gibt es keine Grundlage für die Ansicht, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Impfstoffs chargenabhängig unterschiedlich zu bewerten ist. Die klägerische Behauptung, dass „auch in Dänemark das Risiko der Impfung mit BNT162b2 von P./... wesentlich von der zufällig erhaltenen Charge abhängig“ sei, wird durch die von der Klagepartei in Bezug genommene Studie einer Gruppe von Wissenschaftlern der Universität Kopenhagen nicht gestützt. Vielmehr ist der Studie zu entnehmen, dass die – ohnehin nur vorläufigen Ergebnisse – „im Lichte mehrerer Einschränkungen interpretiert werden“ müssen (z.B. dass die Meldungen wiederum auch reine Verdachtsmeldungen umfassen) und aufgrund dieser Einschränkungen etwaige Signale, die sich aus solchen Meldesystemen wie dem der dänischen Arzneimittelbehörde ergeben, gerade nicht zur Feststellung einer etwaigen Kausalität des Impfstoffs für die unerwünschten Nebenwirkungen verwendet werden können (S. 3, beim OLG Koblenz vorgelegt als Anlage K41).
127
Folglich kann mit dieser Studie das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis des Impfstoffs nicht infrage gestellt werden.
128
Unergiebig ist des Weiteren der Versuch der Klagepartei, auch des hiesigen Klägers, die positive Nutzen-Risiko-Bilanz des Impfstoffs mit der Zahl der gemeldeten Verdachtsfälle von Nebenwirkungen zu begründen, unabhängig davon, welche Quelle die Klagepartei für die gemeldeten Verdachtsfälle heranzieht: die „Kumulative Analyse der Berichte über unerwünschte Ereignisse nach der Zulassung von PF-07302048 (BNT162B2), die bis zum 28. Februar 2021 eingegangen sind“ (beim OLG Koblenz vorgelegte Anlage K48), das „Update zur Sicherheit des COVID-19-Impfstoffs Comirnaty“ der EMA vom 11.08.2021 (OLG Koblenz vorgelegte Anlage C4), den „Bewertungsbericht über die Verlängerung des Bewertungsberichts für die Marktzulassung“ der EMA vom 15.09.2022 (beim OLG Koblenz vorgelegte Anlage K43) oder den „Corminaty Risk Management Plan“ mit Stand Oktober 2023 (beim OLG Koblenz vorgelegte Anlage C21). Allen Quellen ist gemein, dass sie lediglich von Verdachtsfällen berichten und gesicherte Aussagen über die Kausalität der Impfung für die genannten Nebenwirkungen nicht getroffen werden. Der Bewertung des Landgerichts, dass die 980.105 von der EMA (im Bewertungsbericht über die Verlängerung der Marktzulassung) veröffentlichen Fälle zu Nebenwirkungen im Vergleich zur Gesamtzahl der verabreichten Impfungen von 2,6 Milliarden bereits als sehr gering anzusehen ist (ca. 0,0377%), schließt sich der Senat und auch das erkennende Gericht deshalb ebenso an wie der Begründung, dass ein kausaler Zusammenhang mit der Impfung nicht feststeht. Denn einem solchen Zusammenhang wird bei den freiwilligen Meldungen schlicht nicht nachgegangen – und ihm kann auch nicht nachgegangen werden, wenn die Meldung von einer Privatperson abgegeben wird, bei der nicht nachprüfbar ist, ob die Daten richtig angegeben wurden und ob das subjektive Krankheitsempfinden objektivierbar ist (vgl. Online-Formular unter https://nebenwirkungen.bund.de/SiteGlobals/Forms/nebenwirkungen/covid-19-impfstoff/01-person/person-node.html). Dass die Ursächlichkeit der Impfung für die Meldung einer Nebenwirkung nicht in jedem Fall feststeht, stellt auf europäischer Ebene die EMA klar (S. 4 des Sicherheitsupdates vom 11.08.2021, beim OLG Koblenz vorgelegte Anlage C4), für die nationale Ebene das PEI (S. 6, 20 der beim OLG Koblenz vorgelegten Anlage K32).
129
Abgesehen davon, dass die Behauptung der Klagepartei, es würden vor allem die größeren gesundheitlichen Beeinträchtigungen gemeldet, nicht hingegen einfache Beeinträchtigungen wie Kopfschmerzen, nicht zutreffend ist, wie sich aus der dem OLG Koblenz vorgelegten Anlage K48 (vgl. S. 8 ff. der Anlage „Kumulative Analyse der Berichte über unerwünschte Ereignisse nach zu der Zulassung von PF-07302048 (BNT162B2), die bis 28.02.2021 eingegangen sind) und der dem OLG Koblenz vorgelegten Anlage C4 (vgl. S. 5 des Sicherheitsupdates der EMA vom 11.08.2021) ergibt, kommt es hierauf nicht an. Die Behauptung könnte ebenso als wahr unterstellt werden wie die klägerische Behauptung, dass mit der genannten Zahl von 980.105 nicht sämtliche weltweiten Verdachtsfälle aufgeführt sind, weil nur wenige Gesundheitsbeeinträchtigungen bei der EMA gemeldet werden und daher eine große Dunkelziffer besteht. Dies spielt keine Rolle, weil in die Bewertung der Risiken eines Impfstoffs im Verhältnis zu seinem Nutzen allein die den Zulassungsbehörden über eine Meldung bekannt gewordenen Nebenwirkungen einbezogen werden können. Bei der behördlichen Entscheidung über die Zulassung eines Impfstoffs verbietet sich jede Spekulation über lediglich potentielle Nebenwirkungen, deren Schwere und deren Anzahl. Daher kann die von der Klagepartei behauptete „Dunkelziffer“ bei unerwünschten Nebenwirkungen bei der Entscheidung über die Zulassung keine Berücksichtigung finden, da anderenfalls einer manipulativen Bewertung Tür und Tor geöffnet wäre. Andererseits sind aber bei der Entscheidung über die Verlängerung der bedingten Zulassung ebenso wie bei der Entscheidung über die unbedingte Zulassung die bis zu dem jeweiligen Zeitpunkt tatsächlich bekannt gewordenen unerwünschten Nebenwirkungen eingeflossen (vgl. etwa S. 16 f. der dem OLG Koblenz vorgelegten Anlage K43).
130
Soweit die Klagepartei darüber hinaus noch weitere Argumente gegen das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis des streitgegenständlichen Impfstoffs vorgebracht hat, handelt es sich um Einzelstimmen zu Einzelaspekten der Gesamtabwägung, die vor dem Hintergrund der auf zahlreichen und umfangreichen Studien basierenden gegenteiligen Einschätzung der Europäischen Arzneimittelagentur bzw. der Europäischen Kommission bei weitem nicht ausreichen, um die von der Klagepartei, auch dem hiesigen Kläger behauptete Gefährlichkeit des Impfstoffs im Sinne des § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG einzustufen. Denn einzelne Wissenschaftler vermögen die Gesamtbreite der „Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ nicht infrage zu stellen und bei der Betrachtung lediglich von einzelnen Aspekten bleibt die für das Nutzen-Risiko-Verhältnis gebotene Gesamtschau der positiven therapeutischen Wirkungen des Arzneimittels im Verhältnis zu dem Risiko (vgl. § 4 Abs. 28 iVm Abs. 27 AMG) außen vor. Die von der Klagepartei, auch dem hiesigen Kläger gewünschte Betrachtung entspricht damit nicht den gesetzlichen Vorgaben.
131
Anders als die Klagepartei, auch der hiesige Kläger meint, kann schließlich auch nicht von einer „ergebnisorientierten Voreingenommenheit“ aufgrund des politischen Drucks auf die EMA und die ihr angegliederten Ausschüsse (ebenso wie auf die nationalen Behörden) in Bezug auf ihre Empfehlungen an die Europäische Kommission ausgegangen werden. Es erschließt sich nicht, welchem politischen Druck die EMA unterliegen soll, wenn sie im Hinblick auf die beantragte Zulassung eines Arzneimittels eine Empfehlung ausspricht; diese kann für oder gegen die europaweite Zulassung des Arzneimittels ausfallen. Zudem vernachlässigt die Argumentation den Umstand, dass die EMA mit ihren Gremien pluralistisch besetzt ist und durch ganz unterschiedliche Herkünfte der Sachverständigen geprägt wird. Eine stringente „Führung“ der EMA durch die EU-Kommission ist deshalb ebenso wenig ersichtlich wie eine Bindung der EMA an deren politische Vorgaben. Die Behauptungen der Klagepartei sind ohne greifende Anhaltspunkte geblieben.
132
Die EMA ist der Europäischen Kommission auch nicht untergeordnet, wie die Klagepartei meint. Vielmehr ist allein die Europäische Kommission das Exekutiv-Organ der EU, die EMA hingegen gehört – auf keiner hierarchischen Stufe – zur Exekutive der Europäischen Union. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, „den Unionsorganen und den Mitgliedstaaten wissenschaftliche Gutachten auf möglichst hohem Niveau bereitzustellen, damit diese die Befugnisse hinsichtlich der Genehmigung und Überwachung von Arzneimitteln ausüben können, die ihnen durch die Unionsvorschriften im Arzneimittelbereich übertragen wurden“ (vgl. Erwägungsgrund Nr. 19 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung der Verfahren der Union für die Genehmigung und Überwachung von Humanarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur). Die Behauptung der Klagepartei, die EMA unterliege „in ihrer Funktion einer Einflussnahme durch die Kommission“, entbehrt damit jeder Grundlage.
133
Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass die EU-Kommission ein spezifisches Interesse an einem besonders sicheren Impfstoff gehabt haben dürfte, da – wie die Klagepartei selbst vorgetragen hat – die Kommission sowie die Mitgliedsstaaten die volle Haftung für den Impfstoff gegenüber dem Hersteller übernommen haben. In seinem solchen Fall wäre es widersinnig, wenn die EMA in dem von der Klagepartei behaupteten „vorauseilenden Gehorsam“ eine Empfehlung zur Zulassung des Impfstoffs in der EU mit einer voraussichtlich millionenfachen Anwendung ausgesprochen hätte, obwohl ihr dessen vermeintlich unvertretbare Risiken bekannt waren.
134
(3) Das OLG Koblenz und in Übereinstimmung mit diesem das erkennende Gericht gelangt daher zu dem Ergebnis, dass schädliche Wirkungen des Impfstoffs bei bestimmungsgemäßem Gebrauch nicht über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. Eine positive Nutzen-Risiko-Abwägung darf nicht dahin verstanden werden, dass es nicht auch Fälle geben darf und gibt, in denen sich ein Risiko verwirklicht. Der Betroffene erhält darauf die versicherte Heilfürsorge, aber eben keinen darüber hinausgehenden Schadensersatzanspruch; insoweit wird ein „Sozialopfer“ für die Gemeinschaft der Anwender des Impfstoffs erbracht. Die in diesem Sinne verstandene Nutzen-Risiko-Abwägung fällt daher positiv aus. Dies gilt sowohl für den heutigen Zeitpunkt als auch für den Zeitpunkt der Anwendung durch die streitgegenständlichen Impfungen am .04.2021, .05.2021 und .11.2021 Die Voraussetzungen des Haftungstatbestands § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG sind damit nicht erfüllt.
135
b) Der Haftungstatbestand des § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG ist ebenfalls nicht erfüllt.
136
Danach besteht eine Ersatzpflicht des pharmazeutischen Unternehmers nur dann, wenn der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung (§ 10 AMG), Gebrauchsinformation (= Packungsbeilage, § 11 AMG) oder Fachinformation (§ 11a AMG) eingetreten ist. Vorliegend bestehen keine Anhaltspunkte, dass eine dieser Produktinformationen zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprach.
137
aa) Im Rahmen der Prüfung der fehlerhaften Produktinformation ist streitig, auf welchen Zeitpunkt abzustellen ist.
138
Diese vom OLG Koblenz ausführlich dargestellte Streitfrage, ob auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Arzneimittels oder auf den von dessen Anwendung abzustellen sei, war vom OLG Koblenz und auch dem erkennenden Gericht vorliegend nicht zu entscheiden, da die Klagepartei, auch der hiesige Kläger eine falsche Packungsbeilage oder Fachinformation – eine fehlerhafte Kennzeichnung im Sinne von § 10 AMG steht nicht im Raum – zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Impfstoffs nicht behauptet; es wird nicht einmal das Datum des Inverkehrbringens des Impfstoffs (plausibel) vorgetragen. Eine fehlerhafte Packungsbeilage oder Fachinformation zum Zeitpunkt der Anwendung des Arzneimittels bei den 3 streitgegenständlichen Impfungen kann auf der Basis des Vortrags der Klagepartei nicht festgestellt werden.
139
In diesem Zusammenhang muss zunächst berücksichtigt werden, dass nicht jede entfernte Möglichkeit eventueller Nebenwirkungen in die Produktinformationen aufgenommen werden muss. Nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG sind „die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ der Maßstab dessen, was der pharmazeutische Unternehmer an Informationen in die Informationsträger (Kennzeichnung, Gebrauchs- und Fachinformation) aufzunehmen hat. Diese ergeben sich aus den medizinischen Informationen, die Teil der Zulassungsunterlagen sind (Kügel/Müller/Hofmann/Brock, 3. Aufl. 2022, AMG, § 84, Rn. 102; BeckOGK/Franzki, 01.06.2024, AMG, § 84, Rn. 102), der ärztlich-klinischen Praxis und der medizinisch-wissenschaftlichen Fachliteratur (Koyuncu in: Kullmann/Pfister/Stöhr/Spindler, Produzentenhaftung, 3. EL 2023, E. Die speziellen Haftungsvoraussetzungen gemäß § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AMG; Spickhoff/Spickhoff, 4. Aufl. 2022, AMG, § 84, Rn. 23). Da neue medizinische Erkenntnisse stets Unsicherheiten unterliegen (BeckOGK/Franzki, 01.06.2024, AMG, § 84, Rn. 103; Kügel/Müller/Hofmann/Brock, 3. Aufl. 2022, AMG, § 84, Rn. 102), aber auch ein ausreichender Schutz der Anwender des Arzneimittels sicherzustellen ist, müssen keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse über Risiken des Arzneimittels vorliegen, sondern es reicht bereits ein ernst zu nehmender Verdacht, um eine Pflicht zur Aufnahme in die Produktinformation zu begründen (BGH, Urteil vom 24.01.1989 – VI ZR 112/88, juris, Rn. 30, 33; BGH, Urteil vom 17.03.1981 – VI ZR 191/79, BGHZ 80, 186-199, Rn. 18), solange dieser auf validen, wissenschaftlichen Daten beruht (Kügel/Müller/Hofmann/Brock, 3. Aufl. 2022, AMG, § 84, Rn. 104; BeckOGK/Franzki, 01.06.2024, AMG, § 84, Rn. 103). So geht auch die Europäische Kommission von einer Hinweispflicht ab einer „reasonable possibility“ der schädlichen Wirkung aus (European Commission, A guideline on summary of product characteristics (SmPC), September 2009, S. 15).
140
(1) Die Klagepartei legt aber bereits weder den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Impfstoffs an sich noch der bei ihr verimpften Charge bzw. vorliegend der 3 verimpften Chargen – falls es darauf ankommen sollte – dar.
141
(2) Des Weiteren legt die Klagepartei, auch vorliegend der Kläger, nicht dar, dass die Produktinformationen (Kennzeichnung, Packungsbeilage und Fachinformation) im Hinblick auf die bei ihr eingetretenen Gesundheitsbeeinträchtigungen im Zeitpunkt ihrer Impfungen falsch gewesen seien. Die Klagepartei behauptet lediglich allgemein, die Hersteller seien zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens, spätestens jedoch, als sich die Möglichkeit des Eintritts weiterer Gesundheitsrisiken herausstellte, dazu verpflichtet gewesen, ihr Arzneimittel „entsprechend“ zu kennzeichnen, was nicht geschehen sei. Dieser pauschalen Behauptung ist aber nicht zu entnehmen, welche konkrete Nebenwirkung zu welchem Zeitpunkt in welchem Informationsmedium – Kennzeichnung, Gebrauchsinformation oder Fachinformation – nicht enthalten gewesen sein soll, obwohl dies den aktuellen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprochen hätte.
142
(3) Soweit der Kläger vorliegend in der Replik vorträgt, dass im geltenden Aufklärungsmerkblatt (Stand 12. Mai 2021) als mögliche Infektion lediglich auf vier Fälle von Gesichtslähmung, auf die Möglichkeit eines anaphylaktischen Schocks sowie auf seltene Fälle von Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen (Myokarditis und Perikarditis) hingewiesen worden sei und er, wenn er um die weiteren möglichen Nebenrisiken der Corona-Schutzimpfung gewusst hätte, sich gegen die Coronaschutzimpfung entschieden hätte, begründet ebenfalls keinen Anspruch aus § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG.
143
Auf die Angaben in dem Aufklärungsmerkblatt kommt es im Rahmen der Prüfung, ob der Tatbestand einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation im Sinne des § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG erfüllt ist, indessen nicht an. Der Kläger trägt nicht vor, dass das von ihm als Anlage K 24 vorgelegte Aufklärungsmerkblatt ebenso wie die weiter als Anlage K106 und K107 vorgelegten Aufklärungsmerkblätter die Fachinformation im Sinne des § 11a AMG oder die Packungsbeilage (Gebrauchsinformation) im Sinne des § 11 AMG darstellt. Davon ist auch nicht auszugehen. Die Fachinformation stellt gemäß § 11a Abs. 1 Satz 1 AMG eine Gebrauchsinformation für Fachkreise dar und ist insbesondere Ärzten und Apothekern zur Verfügung zu stellen. Das vom Kläger jeweils vorgelegte Aufklärungsmerkblatt richtet sich aber an den Impfling, der dieses Merkblatt als Ergänzung zu dem gemäß § 630e Abs. 2 BGB mit dem Arzt zu führenden Aufklärungsgespräch erhalten soll (vgl. S. 5 der vorgelegten Aufklärungsmerkblätter). Folglich stellt es auch nicht eine Packungsbeilage im Sinne des § 11 AMG dar.
144
(4) Auch die weitere klägerische Behauptung, der Beklagten sei „doch von Tag zu Tag immer bekannter [geworden], dass Geimpfte vermehrt über Autoimmunerkrankungen, das Post-Vakzin-Syndrom, Nervenerkrankungen, Thrombosen, koronare Herzkrankheiten, das Fatigue-Syndrom und viele weitere Krankheitsbilder in zeitlichem Zusammenhang mit der Corona-Schutzimpfung berichteten“, woraus eine von der Beklagten vernachlässigte Warnpflicht resultiert habe, begründet keinen Anspruch aus § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG. Zum einen leidet die Klagepartei, vorliegend der Kläger selbst nicht an den zuvor genannten Krankheiten, so dass die angeblich fehlerhaften Produktinformationen nicht kausal für ihre Beschwerden geworden sein können.
145
Darüber hinaus benennt die Klagepartei erneut keinen Zeitpunkt, zu dem die oben genannten Krankheitsbilder Post-Vakzin-Syndrom, Nervenerkrankungen, Thrombosen, koronare Herzkrankheiten, das Fatigue-Syndrom einen auf validen wissenschaftlichen Daten beruhenden, ernst zu nehmenden Verdacht begründet haben sollen, welcher der Beklagten bekannt war, und diese zugleich nicht veranlasst haben soll, dass die Packungsbeilagen oder die Fachinformation entsprechend angepasst werden.
146
cc) Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass die Packungsbeilage oder die Fachinformation für den streitgegenständlichen Impfstoff zum Zeitpunkt seines – hier nicht bekannten – Inverkehrbringens oder im Zeitpunkt der Impfungen des Klägers am 04.2021, 05.2021 und 11.2021 fehlerhaft bzw. unvollständig waren.
147
c) Da bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 AMG nicht erfüllt sind, kann grundsätzlich dahinstehen, ob die Impfung mit Comirnaty kausal für den beim Kläger als behauptet eingetretenen Schaden in Form von Schmerzen, Schwellungen der Extremitäten, Polyarthritis, Tinnitus sowie Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme war.
148
Eine Kausalität der behaupteten Schäden mit der Impfung nach dem Haftungstatbestand des § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG kann jedoch ohnehin nicht festgestellt werden, so dass die geltend gemachten Ansprüche auch daran scheitern. aa) Der Klagepartei kommt die Kausalitätsvermutung des § 84 Abs. 2 AMG nicht zugute.
149
Die Kausalitätsvermutung des § 84 Absatz 2 AMG setzt voraus, dass die Anwendung des Arzneimittels geeignet war, die eingetretene Rechtsgutverletzung zu verursachen. Erforderlich ist dabei nicht lediglich eine abstrakt-generelle, sondern eine konkrete Verletzungseignung des Arzneimittels, für welche die Klagepartei darlegungs- und beweisbelastet ist. Einige der relevanten Kriterien zur Bestimmung dieser Verletzungseignung werden in § 84 Abs. 2 Satz 2 AMG genannt. Eine Verletzungseignung kann angenommen werden, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, dass das Arzneimittel die Rechtsgutverletzung verursacht hat. Es genügt allerdings nicht, wenn nur eine ungesicherte Hypothese für den ursächlichen Zusammenhang spricht (BeckOGK/Franzki, 01.06.2024, AMG § 84 Rn. 110).
150
Letzteres ist vorliegend allerdings der Fall. Abgesehen davon, dass die Klagepartei trotz des Bestreitens der Beklagten, dass der gesundheitliche Zustand des Klägers erstmals nach der Impfung aufgetreten und lediglich die Verschlechterung eines bereits vorbestehenden Gesundheitszustands gewesen ist, nur einen unzureichenden Vortrag zum gesundheitlichen Zustand vor der Impfung im Hinblick auf alle geltend gemachten Beeinträchtigungen gehalten hat, fehlen noch weitere Voraussetzungen für die Annahme der Kausalitätsvermutung. Denn die meisten der von der Partei behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen sind nicht in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung eingetreten. Ferner gibt es für keine der behaupteten Beeinträchtigungen einen objektiven Nachweis und es fehlt zudem an der Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs auch nur eines der behaupteten Leiden mit der Impfung.
151
Fest steht vorliegend, dass der Kläger auch schon vor den Impfungen anGelenkschmerzen, einem Ganglion Knöchel und Fuß, einer Osteochondrose der Wirbelsäule, einer Arthritis, Schwellungen und Schmerzen am Handgelenk rechts, einer Tendinitis calcarea: Unterarm (Radius, Ulna, Handgelenk) gelitten hat.
152
bb) Eine Haftung der Beklagten nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG scheitert zusätzlich daran, dass die Klagepartei das Beruhen ihrer behaupteten Gesundheitsverletzungen auf der angeblich falschen Packungsbeilage oder Fachinformation nicht dargelegt hat.
153
(1) Die Haftung nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG setzt – anders als nach Nr. 1, in dessen Rahmen lediglich zu prüfen ist, ob die Gesundheitsverletzung auf der unvertretbaren Wirkung des Arzneimittels beruht – eine doppelte Kausalität voraus: Die Rechtsgutverletzung muss auf der Anwendung des Arzneimittels beruhen und zugleich infolge der unzureichenden Arzneimittelinformation – Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation, siehe oben – eingetreten sein. Ein Ursachenzusammenhang zwischen der fehlerhaften Information und der Gesundheitsverletzung ist nur zu bejahen, wenn diese bei ordnungsgemäßer Information mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre (BGH, Urteil vom 24.01.1989 – VI ZR 112/88, BGHZ 106, 273, juris Rn. 35; BeckOGK/Franzki, 01.06.2024, AMG § 84 Rn. 106; Kügel/Müller/Hofmann/Brock, 3. Aufl. 2022, AMG § 84 Rn. 110; OLG Stuttgart, Urteil vom 23.02.1989 – 14 U 19/86, BeckRS 1989, 4400 Rn. 147; Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 27 Haftung für Arzneimittelschäden Rn. 69). Die Klagepartei hat darzulegen und zu beweisen, dass der Schaden nicht eingetreten wäre, wenn die Fach- und Gebrauchsinformation erschöpfend und zutreffend gewesen wäre (BGH, Urteil vom 24.01.1989 – VI ZR 112/88, BGHZ 106, 273-284, Rn. 35).
154
Ein solcher substantiierter Vortrag fehlt vorliegend.
155
Allein der Vortrag, dass sich der Kläger, wenn er um die weiteren möglichen Nebenrisiken der Corona-Schutzimpfung gewusst hätte, sich gegen die Coronaschutzimpfung entschieden hätte, reicht nicht aus.
156
Es wird schon nicht vorgetragen, dass die Fach- und Gebrauchsinformation überhaupt zur Kenntnis genommen wurde Unabhängig von dem Umstand, dass die jeweilige Gebrauchsinformation auf der Internetseite des Herstellers sowie der EMA zu finden sein dürfte, hat die Klagepartei nicht dargetan, dass sie nach der Gebrauchsinformation gefragt hat. Darüber hinaus hat die Klagepartei nicht vorgetragen, dass der sie im Impfzentrum impfende Arzt die Fach- und/oder Gebrauchsinformation gelesen hatte und in Kenntnis der dort aufgelisteten Risiken und in Abwägung mit den bei ihr bestehenden gesundheitlichen Gegebenheiten mit ihr das Für und Wider der Impfung erörtert hatte. Zumindest dies wäre aber im Falle einer Impfung, bei der der Patient das Arzneimittel in aller Regel nicht selbst anwendet, sondern von einem Arzt verabreicht bekommt, notwendig gewesen (vgl. zu Injektionen im Krankenhaus BGH, Urteil vom 12.05.2015 – VI ZR 328/11, BGHZ 205, 270-287, juris Rn. 37). Von dem Vorhandensein der Packungsbeilage bei dem impfenden Arzt ist aufgrund des in einem Impfzentrum in großen Mengen vorrätigen Impfstoffs auszugehen. Anderes hätte die Klagepartei darlegen und beweisen müssen, woran es vorliegend fehlt. Aufgrund des fehlenden Vortrags kann mithin nicht festgestellt werden, dass eine Rechtsgutverletzung infolge einer nur unterstellten unzureichenden Arzneimittelinformation – Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation – eingetreten ist.
157
(3) Der Kläger befand sich auch nicht in einem Entscheidungskonflikt vor der jeweiligen Impfung mit Comirnaty.
158
Es erscheint, wie im Parallelverfahren vor dem Landgericht Mainz, unglaubhaft, dass der Kläger, wie von ihm geltend gemacht, von der Impfung Abstand genommen hätte, wenn er im Rahmen der Aufklärung auf unbestätigte Berichte über Autoimmunerkrankungen, das Post-Vakzin-Syndrom, Nervenerkrankungen, Thrombosen oder das Fatigue-Syndrom hingewiesen worden wäre. Denn in den von ihm vorgelegten Aufklärungsmerkblättern ist auf erhebliche Risiken wie Gesichtslähmung, mögliche allergische Reaktionen bis hin zum – potentiell tödlich endenden – anaphylaktischen Schock, auf Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen sowie das Risiko bisher unbekannter Komplikationen hingewiesen worden, ohne dass dies den Kläger von der Impfung abgehalten habe. Vielmehr trägt der Kläger selbst vor, dass seine Eltern ein hohes Alter haben und seine Ziehtochter zudem an einem Down-Syndrom leide und der Risikogruppe angehörten. Die Hoffnung, diese vor einer entsprechenden Corona-Infektion zu schützen, habe seinen Entschluss in erheblicher Weise verstärkt.
159
Die weitere Behauptung, dass ursächlich für seinen Entschluss, sich impfen zu lassen, vor allem der seitens Regierung und Medien verübte Druck und die damit einhergehende Furchterregung gewesen seien, überzeugt nicht.
160
cc) Vorliegend kommt auch ein Anscheinsbeweis hier in Betracht. Zwar ist die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil ein anderer als der typische Geschehensablauf ernsthaft in Betracht kommt. Denn ein solcher ist nicht unstreitig und steht nicht erwiesenermaßen fest (vgl. BGH, Urteil vom 26.03.2013 – VI ZR 109/12, juris, Rn. 27).
161
Allerdings scheitert die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises daran, dass vorliegend kein Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs hinweist. Es gibt keine allgemeine Lebenserfahrung, dass die Impfung mit dem von der Beklagten hergestellten Impfstoff zu den vom Kläger geklagten Leiden führt – unabhängig davon stehen die Leiden der Klagepartei nicht sämtlich anhand einer objektiv gestellten ärztlichen Diagnose fest, sondern beruhen weit überwiegend auf ihren subjektiven Angaben. Darüber hinaus entspricht es nicht der Lebenserfahrung, dass der Impfstoff der Beklagten die geklagten Leiden verursachen kann; vielmehr entspricht es im Gegenteil der Lebenserfahrung, dass ein Großteil der geklagten Leiden auch eine Vielzahl anderer Ursachen haben kann, insbesondere auf Vorerkrankungen des Klägers beruht.
162
d) Da bereits nach dem uneingeschränkten § 84 Abs. 1 Satz 2 AMG eine Haftung der Beklagten nicht in Betracht kommt, kommt es auf die Frage der Verfassungs- und Europarechtmäßigkeit der Haftungsbegrenzung für den pharmazeutischen Hersteller auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit durch § 3 Abs. 4 Satz 2 MedBVSV (Verordnung zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs bei der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie vom 20.05.2020 = Medizinischer Bedarf Versorgungssicherstellungsverordnung = MedBVSV) nicht an.
163
II. Ein Anspruch des Klägers auf Schmerzensgeld ergibt sich auch nicht aus dem Produkthaftungsgesetz.
164
§ 15 ProdHaftG sieht vor, dass die Vorschriften des Produkthaftungsgesetzes nicht anzuwenden sind, wenn infolge der Anwendung eines zum Gebrauch bei Menschen bestimmten Arzneimittels, das im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes an den Verbraucher abgegeben wurde und der Pflicht zur Zulassung unterliegt oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung befreit worden ist, jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt wird.
165
Bei dem von der Beklagten hergestellten Impfstoff handelt es sich – was zwischen den Parteien unstreitig ist – um ein zum Gebrauch beim Menschen bestimmtes zulassungspflichtiges Arzneimittel, das in Deutschland, also im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes (AMG) an den Kläger als Verbraucher abgegeben wurde. Dieser behauptet auch eine Verletzung seiner Gesundheit, so dass grundsätzlich die Regelungen des AMG vor denjenigen des ProdHaftG vorrangig sind.
166
Vor dem Hintergrund des eindeutigen Votums des Generalanwalts beim EuGH vom 11.06.2014 (Rechtssache C-310/13, in BeckRS 2014, 80985, Rn. 28 ff, 34), dem der Gerichtshof selbst nicht widersprochen hat, geht das OLG Koblenz auch von einer Richtlinienkonformität des § 15 Abs. 1 ProdHaftG aus.
167
III. Ein Anspruch des Klägers besteht auch nicht aus einer deliktischen Haftung gemäß § 823 Abs. 1 BGB (Produkthaftung), die als solche grundsätzlich neben den Regelungen des Produkthaftungsgesetzes bestehen kann (§ 15 Abs. 2 ProdHaftG) und auch neben einem etwaigen Anspruch aus § 84 AMG (MüKoBGB/Wagner, 9. Aufl. 2024, § 823, Rn. 1037 f.).
168
Im Rahmen der Produkthaftung trifft den Hersteller des Produkts u.a. die Pflicht, über sicherheitsrelevante Eigenschaften zu informieren (Instruktionspflicht) und seine Produkte zu beobachten und ggf. die Nutzer zu warnen oder gar das Produkt zurückzurufen. Wann etwa eine Verpflichtung zur Warnung der Nutzer besteht, ist abhängig von der Höhe des drohenden Schadens und der Wahrscheinlichkeit, mit der das Produkt dafür ursächlich ist (MüKoBGB/Wagner, 9. Aufl. 2024, § 823, Rn. 1119).
169
Vorliegend kann aber nicht festgestellt werden, dass die Beklagte ihre Instruktionspflicht verletzt hat, indem sie zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens eine fehlerhafte Information über den Impfstoff erteilt hat, da der Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Impfstoffs nicht feststeht. Dass die Beklagte ihre Produktbeobachtungspflicht oder die Pflicht zum Produktrückruf verletzt haben könnte, kann ebenfalls nicht festgestellt werden. Insoweit kann auf die Ausführungen zu § 84 AMG verwiesen werden, da nicht ersichtlich ist – und von der Klagepartei auch nicht vorgetragen wurde –, dass ein Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB strengeren Voraussetzungen unterliegt als ein solcher nach § 84 Abs. 1 AMG.
170
Jedenfalls aber scheitert ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB am fehlenden Nachweis der Kausalität durch die beweisbelastete Klagepartei. Bei Instruktionsfehlern wie auch bei der Verletzung von Produktbeobachtungs- und daran geknüpften Warnpflichten hängt die Haftung davon ab, ob der Schaden bei pflichtgemäßem Handeln „mit Sicherheit“ vermieden worden wäre; die bloße Wahrscheinlichkeit, dass der Geschädigte die Warnung befolgt hätte, genügt nicht (MüKoBGB/Wagner, 9. Aufl. 2024, § 823 Rn. 1146 unter Verweis auf BGH, Urteil vom 19.02.1975 – VIII ZR 144/73, BGHZ 64, 46-52, juris Rn. 14). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, da die Klagepartei nicht dargelegt hat, dass der sie impfende Arzt die Fachinformationen zur Kenntnis genommen oder sie selbst die Packungsbeilage vor der Impfung gelesen hatte. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
171
IV. Dem Kläger steht auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 5 AMG zu.
172
Voraussetzung hierfür wäre das Vorliegen eines bedenklichen Arzneimittels. Bedenklich sind nach der Legaldefinition des § 5 Abs. 2 AMG diejenigen Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen.
173
Wie bereits oben ausgeführt, ist für die Annahme einer Bedenklichkeit im Sinne von § 5 AMG – ähnlich wie bei § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG – die wissenschaftliche Unvertretbarkeit der schädlichen Wirkungen des Arzneimittels maßgeblich. Die (Un-)Vertretbarkeit der schädlichen Wirkungen eines Arzneimittels ist durch eine auf die jeweilige Indikation des Medikaments bezogene Nutzen-Risiko-Abwägung zu ermitteln (vgl. nur Rehmann, 5. Aufl. 2020, AMG § 5 Rn. 2 und § 84 Rn. 5). Diese Abwägung fällt im vorliegenden Fall – bei ausreichender Datenlage – zugunsten der Nutzen des Impfstoffs aus. Auf die obigen Ausführungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
174
Dass vor der Zulassung des Impfstoffs durch die EU-Kommission keine Langzeitstudien vorhanden waren, ist auch im Rahmen dieses Haftungstatbestands unerheblich, wie bereits oben im Rahmen der Prüfung von § 84 AMG dargelegt wurde und worauf erneut verwiesen wird.
175
Wegen des durchgehend positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses des streitgegenständlichen Impfstoffs muss das OLG Koblenz mit diesem das erkennende Gericht auf die von der Klagepartei weiter aufgeworfenen Fragen zu einem Verschulden der Beklagten – teilweise in Form von bloßen Vermutungen oder gar Hypothesen („für den Fall, dass“, vgl. S. 2 des Schriftsatzes vom 14.02.2024) – nicht mehr eingehen. Nur ergänzend wird angemerkt, dass der Vortrag der Klagepartei eine weitere Überprüfung des Verschuldens der Beklagten nicht zulässt, weil er nicht erkennen lässt, welche Nebenwirkung der Beklagten zu welchem Zeitpunkt bekannt gewesen sein soll, über die sie aber zu diesem Zeitpunkt – angeblich fehlerhaft – nicht informiert hat.
176
Der Impfstoff der Beklagten ist demnach als unbedenklich einzustufen, so dass ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 5 AMG ohne Erfolg bleibt.
177
V. Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nach § 826 BGB liegen ebenfalls nicht vor.
178
Es fehlt bereits an einem ausreichenden Sachvortrag des Klägers zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 826 BGB, insbesondere auch, welche auf Seiten der Beklagten handelnde Person vorsätzlich gehandelt haben soll.
179
Wie unter B. I. oben ausgeführt, ist der Beklagten schon kein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen.
180
Ein vorsätzliches Handeln ist daher erst recht nicht erkennbar.
181
VI. Sonstige Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich und werden vom Kläger auch nicht geltend gemacht.
182
VII. Dem Kläger steht auch kein Auskunftsanspruch gemäß § 84a AMG zu.
183
a) Voraussetzung des Auskunftsanspruchs ist, dass der Arzneimittelanwender Tatsachen darlegt und gegebenenfalls beweist, die die Annahme begründen, dass ein konkretes Arzneimittel den Schaden verursacht hat (BGH, Urteil vom 12.05.2015 – VI ZR 328/11, BGHZ 205, 270-287, juris, Rn. 12; BeckOGK/Franzki, 01.06.2024, AMG, § 84a, Rn. 10). Derartige Indiztatsachen können beispielsweise sein ein (enger) zeitlicher Zusammenhang zwischen der Arzneimittelverwendung und dem Auftreten der Rechtsgutverletzung, ein vergleichbarer Schadenseintritt bei anderen Personen, das Abklingen bzw. Wiederauftreten der Symptome bei Absetzen bzw. Wiederanwenden des Medikaments, die Einnahme eines kontaminierten Arzneimittels und der Ausschluss anderer schadensgeeigneter Faktoren. Diese Tatsachen müssen sodann in einem zweiten Schritt die Ursächlichkeit des Arzneimittels für den Schaden des Anwenders plausibel erscheinen lassen. Das Erfordernis, dass die (Mit-)Verursachung des Schadens durch das Arzneimittel plausibel sein muss, stellt geringere Anforderungen an das Maß der Überzeugung des Tatrichters als der Vollbeweis (BGH, Urteil vom 12.05.2015 – VI ZR 328/11, BGHZ 205, 270-287, juris, Rn. 12, mwN). So wird die begründete Annahme im Sinne des § 84a Abs. 1 AMG in der Rechtsprechung jedenfalls dann bejaht, wenn mehr für eine Verursachung der Rechtsgutverletzung durch das Arzneimittel spricht als dagegen (überwiegende Wahrscheinlichkeit), und entsprechend verneint, wenn mehr gegen das Arzneimittel als Schadensursache spricht als dafür (OLG Frankfurt a. M., Teilurteil vom 19.08.2021 – 26 U 62/19, juris, Rn. 67; so auch Kügel/Müller/Hofmann/Brock, 3. Aufl. 2022, AMG, § 84a, Rn. 14).
184
Gegen die begründete Annahme der Schadensverursachung durch ein Arzneimittel kann der pharmazeutische Unternehmer einwenden, die Auskunft sei nicht erforderlich, § 84a Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AMG. Erforderlich ist die Auskunft im Sinne des § 84a Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AMG bereits dann, wenn die Möglichkeit besteht, dass die begehrten Auskünfte der Feststellung eines Schadensersatzanspruchs dienen können; vermag hingegen die begehrte Auskunft die beweisrechtliche Situation des die Auskunft Begehrenden in Bezug auf einen solchen Schadensersatzanspruch offensichtlich nicht zu stärken, fehlt die Erforderlichkeit (vgl. BGH, Urteil vom 12.05.2015 – VI ZR 328/11, BGHZ 205, 270-287, juris, Rn. 21 mwN). Außerdem ist der Einwand der Nichterforderlichkeit nur dann erheblich, wenn er gegen die Ansprüche nach beiden Alternativen des § 84 Abs. 1 Satz 2 AMG durchgreift (BGH, Urteil vom 12.05.2015 – VI ZR 328/11, BGHZ 205, 270-287, juris Rn. 22). Der Auskunftsanspruch ist unter anderem dann nicht erforderlich, wenn offensichtlich ist, dass der Geschädigte keinen Anspruch aus § 84 Abs. 1 AMG hat, etwa die erlittene Rechtsgutverletzung unerheblich ist, der Geschädigte lediglich einen Vermögensschaden erlitten hat oder der Anspruch aus § 84 Abs. 1 AMG bereits verjährt (BGH, Urteil vom 26.03.2013 – VI ZR 109/12, juris, Rn. 42) oder erfüllt ist (OLG Bamberg, Teilurteil vom 08.04.2024 – 4 U 15/23 e, juris, Rn. 77 ff.). Gleiches gilt, wenn der pharmazeutische Unternehmer bereits im Rahmen der Geltendmachung des Auskunftsanspruchs andere schadensgeeignete Umstände iSd § 84 Abs. 2 Satz 3 AMG darlegen und beweisen kann (BeckOGK/Franzki, 01.06.2024, AMG § 84a Rn. 16; BGH, Urteil vom 26.03.2013 – VI ZR 109/12, juris Rn. 43), weil dann ein Anspruch aus § 84 AMG eindeutig ausscheidet.
185
b) Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
186
aa) Der Klagepartei steht der geltend gemachte Auskunftsanspruch nicht zu, weil sie nicht ausreichend Indiztatsachen dargelegt hat, welche die Annahme begründen, dass der Impfstoff der Beklagten ihre Beschwerden verursacht hat.
187
(1) Dabei kann noch davon ausgegangen werden, dass die von der Klagepartei geklagten Beschwerden nicht als Bagatellverletzungen von vorneherein aus dem Tatbestand ausscheiden.
188
(2) Die Klagepartei hat jedoch im oben genannten Sinne ausreichende Indiztatsachen, welche bei ihr die Annahme einer Schadensverursachung durch den Impfstoff plausibel erscheinen ließen, nicht bzw. nicht ausreichend dargelegt.
189
Der Klägervortrag zu den durch die Impfungen eingetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ist bereits widersprüchlich. In der Klage wurde insoweit nur knapp nach der Darlegung wann der Kläger seine 3 Impfungen mit dem Impfstoff der Beklagten erhalten hat, vorgetragen, dass unmittelbar nach Erhalt der 2. Corona-Schutzimpfung der Kläger eine die Knie, Füße, Ellenbogen und Finger betreffende Schwellung wahrgenommen habe, die mit Flüssigkeitseinlagerungen und Einblutungen einhergegangen sei.
190
Weiter wird vorgetragen, dass nach Erhalt der 3. Corona-Schutzimpfung, die am .11.2021 erfolgte, eine Zunahme dieser Beschwerdesymptomatik habe verzeichnet werden können. Von weiteren Beschwerden in engerem zeitlichen Zusammenhang mit den 3 Impfungen wird in der Klage nicht – auch nicht in der Replik vom 02.02.2024 – berichtet.
191
Nach dem Vortrag im Schriftsatz vom 07.05.2024 auf den gerichtlichen Hinweis in der Verfügung vom 23.04.2024 sollen beim Kläger nun schon nach der 1. Impfung vom .04.2021 erste Gelenkschmerzen aufgetreten sein. Nach der zweiten Impfung, die am .05.2021 erfolgte, seien dann ab Anfang Juni 2021 starke Schwellungen und Schmerzen an Fuß und Handgelenken aufgetreten. Dieser Vortrag steht im Widerspruch zu dem Vortrag in der Klage, dass der Kläger unmittelbar nach Erhalt der zweiten Corona-Schutzimpfung, also nicht ein paar Tage später, wie nunmehr mit Anfang Juni behauptet wird, eine die Knie, Füße, Ellenbogen und Finger betreffende Schwellung wahrgenommen habe.
192
Auch die Ausführung des Klägers im Rahmen seiner informatorischen Anhörung im Termin vom 13.05.2024 haben zu keiner Klärung beigetragen. Vielmehr haben sich weitere Widersprüche ergeben.
193
So will der Kläger nunmehr schon nach der 1. Impfung die 1. Schwellungen und Schmerzen gehabt haben. Es seien Schwellungen an beiden Fußgelenken nach der 1. Impfung aufgetreten. Es auch eine Schwellung am Knie rechts, am Ellbogen rechts, der Schulter rechts sowie dem Handgelenk rechts aufgetreten.
194
Auf Nachfrage hat angegeben, dass diese Schwellungen erinnerungsmäßig 1 bis 2 Wochen nach der 1. Impfung aufgetreten seien, wobei 1 bis 2 Wochen keinen unmittelbaren Zusammenhang mehr begründen können.
195
Auf Frage, wie man sich die Schwellungen jeweils vorstellen muss, hat der Kläger angegeben, dass es jeweils wie ein Erguss gewesen sei. Es habe auch eine Flüssigkeitsansammlung gegeben, die auch in den Gelenken zu Blutungen geführt habe.
196
Auf Nachfrage, ob dies auch bereits nach der 1. Impfung gewesen sei, hat der Kläger angegeben, dass es schlimm erst nach der 2. gewesen sei.
197
Nach der 1. Impfung seien es leichte Schwellungen gewesen. Ein Bewegen des rechten Handgelenks sei schmerzhaft gewesen. Auch das Bewegen des Knies und der Fußgelenke sei schmerzhaft gewesen.
198
Die Schmerzen hat der Kläger auf Nachfrage auf einer Skala von 1 bis 10 auf 5 bis 6 eingestuft.
199
Der Kläger hat weiter angegeben, dass er nicht mehr genau wisse, wann Beschwerden nach der 2. Impfung am .05.2021 aufgetreten seien. Es sei immer schlimmer geworden.
200
Nach der 2. Impfung seien die Schwellungen am rechten Knie auf beide Knie gewandert. Ebenso habe Schwellungen an beiden unteren Fußgelenk gegeben. Die Schwellungen seien noch viel stärker geworden.
201
Auf Nachfrage, wann nach der 2. Impfung die Schwellungen stärker geworden sind, hat der Kläger angegeben, dass es ziemlich drauf richtig schlimm geworden sei.
202
Auf nochmalige Nachfrage, wie viel Tage nach der 2. Impfung es schlimmer geworden ist als nach der 1. Impfung, hat der Kläger geantwortet, es seien ein paar Tage gewesen. Er könne es jetzt nicht mehr genau sagen.
203
Letztlich ist die Schilderung des Klägers ziemlich ungenau.
204
Auffallend ist, dass der Kläger nach als Anlage K65 vorgelegten Übersicht der hausärztlichen Arztbefunde bereits am .04.2021, also 4 Tage vor der 1. Impfung, wegen einer Tendinitis calcarea: Unterarm (Radius, Ulna, Handgelenk), rechts (M65.23GR) hausärztlich behandelt wurde.
205
Er hatte eine Schwellung des Handgelenks.
206
Am .04.2021 wird von einer rückläufigen Schwellung berichtet.
207
Erst am .04.2021, also 10 Tage nach der 1. Impfung war der Kläger wieder in hausärztlicher Behandlung wegen Arthralgie (M25.59G) sowie Zahnschmerzen. Es wird von Zahnschmerzen seit dem Wochenende, einer Antibiose, Übelkeit sowie Gelenkschmerzen berichtet, jedoch keinen – neuen – Schwellungen.
208
Die nächste hausärztliche Behandlung fand am .06.2021, also 13 Tage nach der 2. Impfung statt. Hier wurde vom Kläger berichtet, dass er seit 4 Tagen, also 9 Tage nach der 2. Impfung, Schmerzen im Fuß gehabt habe und kaum auftreten können. Er habe auch Schmerzen im Handgelenk. Von Schwellungen im Knie oder an sonstigen Körperteilen wird hier nach der 2. Impfung nichts berichtet.
209
Eine plausible Darstellung, dass die geklagten Beschwerden tatsächlich in unmittelbar zeitlichem Zusammenhang mit den Impfungen stehen, ist somit nicht erfolgt. Die Darstellung des Klägers ist äußerst widersprüchlich.
210
Gegen die Plausibilität einer Ursächlichkeit des verabreichten Impfstoffs für die Beeinträchtigungen des Klägers spricht des Weiteren, dass alle angeblichen Beschwerden noch eine Vielzahl anderer Ursachen haben können und nach allgemeiner Lebenserfahrung auch ohne die Einnahme von Arzneimitteln oder durch die Einnahme anderer Arzneimittel auftreten können.
211
Beim Kläger waren bereits vor den Impfungen entsprechende Vorerkrankungen vorhanden.
212
Eine Verursachung der behaupteten Gesundheitsschäden durch die Impfungen erscheint nicht wahrscheinlicher als eine andere Ursache.
213
Vorliegend fehlt es zudem bereits an der Erforderlichkeit der begehrten Auskunft, weil ein Anspruch gemäß § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG nicht besteht, da der verwendete Impfstoff keine negative Nutzen-Risiko-Bilanz aufweist. Insofern wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die obigen Ausführungen verwiesen.
214
VIII. Mangels eines Hauptanspruchs besteht auch kein Anspruch auf Verzugszinsen.
C.
215
I. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
216
II. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1, 2 ZPO.