Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 28.06.2024 – AN 17 K 24.50259
Titel:

keine drohende Verelendung für anerkannt Schutzberechtigte in Griechenland

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 35
GRCh Art. 4
EMRK Art. 3
Leitsatz:
Anerkannt Schutzberechtigten – jedenfalls nicht vulnerablen Personen – droht im Fall einer Rückkehr nach Griechenland dort nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Verelendung. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Keine beachtliche Gefahr einer unmenschlichen und entwürdigenden Behandlung von anerkannt Schutzberechtigten (männlich, jung, gesund, arbeitsfähig) in Griechenland., Griechenland, Abschiebungsandrohung, anerkannt Schutzberechtigter, Verelendung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 20790

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen eine asylrechtliche Abschiebungsandrohung nach Griechenland.
2
Der 1996 in … (Gaza) geborene Kläger ungeklärter Staatsangehörigkeit, islamischer Religionszugehörigkeit, sunnitischen Bekenntnisses reiste nach eigener Behauptung am 6. Dezember 2023 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wurde jedoch nach Auskunft des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) bereits am 4. Dezember 2023 hier aufgegriffen. Er stellte am 20. Dezember 2023 beim Bundesamt einen Asylantrag. Eine EURODAC-Abfrage vom 5. Dezember 2023 ergab Treffer der Kategorie 1 und 2 für Griechenland. Ihm war laut EURODAC-Auskunft am 28. Juli 2023 dort internationaler Schutz gewährt worden.
3
Bei seiner Befragung durch das Bundesamt am 20. Dezember 2023 gab der Kläger an, er habe in Deutschland keine Angehörigen. In Griechenland sei ihm ein drei Jahre gültiges Visum für die Bundesrepublik Deutschland ausgestellt worden. Sein Heimatland Palästina habe er Ende 2021 verlassen. Von dort sei er zum Teil mit dem Flugzeug, zum Teil mit dem Pkw, zum Teil auch durch Schwimmen über Ägypten, die Türkei (Aufenthalt dort ca. zwei Jahre), Griechenland und Schweden nach Deutschland gekommen, wo er am 6. Dezember 2023 eingereist sei. In die Europäische Union sei er erstmals im August 2023 über Griechenland (Insel Kos) eingereist, wo ihm Fingerabdrücke abgenommen worden seien und wo er auch internationalen Schutz beantragt habe. Neue Gründe, die in dem früheren Asylverfahren nicht berücksichtigt worden seien, könne er nicht vortragen.
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Bei einer Befragung durch das Bundesamt am 6. März 2024 gab er an, er sei Araber. Ausweisdokumente könne er nicht vorlegen, diese seien noch in Schweden, wo er sich einige Zeit aufgehalten habe. Von Griechenland nach Schweden sei er mit einem griechischen Reisepass gereist. Vor der Ausreise aus seinem Heimatland habe er sich in … Gaza aufgehalten, wo er mit seinen Eltern, zwei Brüdern und vier Schwestern gelebt habe. Wegen des Krieges habe er aktuell keinen Kontakt mehr zu ihnen. Er habe sein Heimatland im Oktober 2021 über den Grenzübergang von Gaza nach Ägypten verlassen. Von dort sei er in die Türkei gereist. In der Türkei habe er etwa zwei Jahre gelebt, in Griechenland vier bis fünf Monate, in Schweden habe er sich nur zwölf Tage aufgehalten. Zu seinen persönlichen Verhältnissen befragt, gab er an, er habe die Schule nach der 12. Klasse mit dem Abitur abgeschlossen. Danach habe er meist privat als Elektriker und als Maurer gearbeitet und ca. 30 Schekel (ca. 10 Dollar) am Tag verdient. Von der UNRWA habe er Unterstützung erhalten. Er habe auch eine UNRWA-Karte. Aus Gaza sei er wegen der ständigen Kriege geflohen. Man könne dort nicht leben, es gebe keine Zukunft und man könne sich nichts aufbauen, da es beim nächsten Krieg wieder zerstört werde.
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Bei seiner Befragung durch das Bundesamt am selben Tag zur Zulässigkeit seines Asylantrags wurde dem Kläger der EURODAC-Treffer für Griechenland vorgehalten. Er gab daraufhin an, er wisse es nicht mehr so genau, aber er sei vor ungefähr vier Monaten für die Dauer von vier Monaten in Griechenland gewesen. Er habe dort einen Asylantrag gestellt und die Antwort erhalten, dass er Schutz bekommen habe. Daraufhin habe er die Insel Kos verlassen müssen und sei nach Athen gegangen. Dort habe er beim Vater eines Freundes für zwei Wochen gelebt und dort auch Arbeit als Assistent einer behinderten Person gefunden und 750 Euro im Monat verdient. Nachdem er mitunter schlecht behandelt worden sei, habe er einen Job bei einer Baufirma angenommen und einen knappen Monat dort gearbeitet. Von Griechenland sei er nach Schweden geflogen, dort 15 Tage geblieben und dann mit dem Flugzeug nach Deutschland gekommen. Auf die Frage, was gegen eine Abschiebung nach Griechenland spreche, trug er vor, er lebe dort in Ungewissheit und wisse nicht, wo er schlafen und wo er leben solle. Auch wenn er Arbeit finde, reiche das Geld nicht für die Miete. Griechenland sei nicht sicher. Er leide an keinen Krankheiten oder Behinderungen.
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Ein Registerabgleich vom 6. Dezember 2023 brachte das Ergebnis, dass der Kläger nach der europäischen VIS-Abfrage ein Visum beantragt hat, ihm jedoch keines erteilt worden ist.
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Mit Bescheid vom 18. März 2024 lehnte das Bundesamt seinen Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 2), forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, andernfalls werde er nach Griechenland abgeschoben. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass der Kläger nicht in sein Heimatland abgeschoben werden dürfe (Ziffer 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4).
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Der Bescheid wurde dem Kläger ausweislich Empfangsbestätigung am 27. März 2024 in der …, der er zugewiesen ist, zugestellt.
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Zu Protokoll der Geschäftsstelle des Gerichts erhob der Kläger am 2. April 2024 gegen den Bescheid des Bundesamts Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach und stellte einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO.
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Der Kläger beantragt,
1.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18. März 2024 wird aufgehoben.
2.
Hilfsweise wird beantragt, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen.
11
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
12
Der Eilantrag des Klägers wurde vom Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach mit Beschluss des Einzelrichters vom 30. April 2024 abgelehnt. In der mündlichen Verhandlung am 27. Juni 2024 war der Kläger anwesend und wurde befragt. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Behörden- und die Gerichtsakte sowie auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 27. Juni 2024 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
14
Der angefochtene Bescheid ist zu dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig (Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids) begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Ein Asylantrag ist nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Dies ist hier nach den vom Bundesamt eingeholten und vom Kläger bestätigten Auskünften der Fall. Ihm wurde in Griechenland internationaler Schutz gewährt.
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Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dem die nationale Rechtsprechung folgt, darf der Asylantrag nicht als unzulässig abgelehnt werden, wenn eine Prognose ergibt, dass die Lebensverhältnisse, die den Schutzberechtigten in dem Land, in das er abgeschoben werden soll, erwarten, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK zu erfahren (vgl. BayVGH, U.v. 4.3.2024 – 24 B 22.30376 – mit Verweisen auf: EuGH, U. v. 22.2.2022 – C-483/20 – Rn. 30; EuGH, B. v. 13.11.2019 – C-540/17 und C-541/17 – Rn. 35; EuGH, U. v. 19.3.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17 – und C-438/17 – Rn. 86/101). In einem solchen Fall ist bereits die Unzulässigkeitsentscheidung und nicht erst (aber auch) die Abschiebungsandrohung rechtswidrig (vgl. BVerwG, U. v. 7.9.2021 – 1 C 3.21 – Rn. 17; U. v. 20.5.2020 – 1 C 34.19 – Rn. 15, juris).
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Innerhalb des Asylsystems gilt zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens dahingehend, dass jeder Mitgliedstaat das Unionsrecht und insbesondere die gemeinsamen Grundrechte einhält und gewährleistet. Als Regelfall ist zu vermuten, dass die Behandlung von Drittstaatsangehörigen, die bereits durch einen Mitgliedstaat internationalen Schutz erhalten haben, in jedem Mitgliedstaat den Erfordernissen der EU-Grundrechtscharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention entsprechen (vgl. BayVGH, U. v. 4.3.2024 – 24 B 22.30376 – Rn. 20 mit Verweis auf EuGH, U. v. 22.2.2022 – C-483/20 – Rn. 28 f. u.a.). Daher ist die Schwelle für eine entsprechende Gefahrenprognose für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, bzw. die Annahme einer in einem Mitgliedstaat gegebenenfalls existierenden Funktionsstörung nach der Rechtsprechung sehr hoch. Sie ist erst erreicht, wenn eine solche Funktionsstörung erstens systemischer oder allgemeiner Art ist oder aber bestimmte Personengruppen trifft, sie zweitens eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht und drittens anzunehmen ist, dass die Gefahr, dieser unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden, für den Drittstaatsangehörigen beachtlich wahrscheinlich ist (vgl. EuGH, U. v. 22.2.2022 – C-483/20 – Rn. 31 m.w.N.). Die Schwelle für derartige systemische Mängel ist im Falle von prekären Lebensverhältnissen erst dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem eigenen Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, insbesondere sich zu ernähren, ein Mindestmaß an körperlicher Hygiene zu erfahren und eine Unterkunft zu finden („Bett, Brot und Seife“, vgl. VGH BW, B. v. 27.5.2019 – A 4 S 1329/19 – Rn. 5), und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. EuGH, U. v. 19.3.2019 – C-163/17 – Rn. 91 f. m.w.N.; BVerwG, B. v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – Rn. 12; B. v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – Rn. 18). Die Erheblichkeitsschwelle wird nicht schon dann erreicht, wenn den Betroffenen eine Situation erwartet, die durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse bei stark reduziertem Umfang von existenzsichernden Leistungen gekennzeichnet ist. Auch die Tatsache, dass die betroffene Person in dem Mitgliedstaat keine existenzsichernden Leistungen erhält, dabei aber nicht anders behandelt wird als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats, begründet in der Regel nicht das Erreichen dieser Erheblichkeitsschwelle. Zu einer anderen Bewertung könnte man nur bei einer schwerwiegenden Situation extremer materieller Not kommen, die einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. EuGH, U. v. 19.3.2019 - C-163/17 – Rn. 93; BVerwG, B. v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – Rn. 12; B. v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – Rn. 18; BayVGH, U. v. 4.3.2024 – 24 B 22.30376 – Rn. 22 f.).
18
Bei der Bewertung der Lebensumstände, die den Betroffenen bei seiner Rückkehr in dem Mitgliedstaat erwarten, ist zunächst zu prüfen, inwieweit er die Möglichkeit hat, seinen Lebensunterhalt auf einem Mindestniveau durch eigene Erwerbstätigkeit zu sichern. Ihm ist grundsätzlich auch zumutbar, wenig attraktive und nicht seiner Vorbildung entsprechende Tätigkeiten auszuüben, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen oder die nur zeitweise (etwa während der Touristensaison) ausgeübt werden können. Auch eine – wenigstens vorübergehende – Betätigung in der „Schatten“- oder „Nischenwirtschaft“ mutet ihm die Rechtsprechung zu (vgl. BVerwG, B. v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – Rn. 29; BayVGH, U. v. 28.3.2024 – 24 B 22.31136 – Rn. 29). Als zumutbar wird überdies angesehen, in dem Land übliche und geduldete „krumme“ Wege anzuwenden, wie zum Beispiel den Erwerb und die Angabe von (Schein-)Meldeadressen, um die bürokratischen Voraussetzungen für ein Fortkommen in Sachen Arbeit oder Wohnung zu schaffen. Vor dem Hintergrund des sehr strengen Maßstabs des Art. 4 GRCh erscheinen derartige Herausforderungen noch als vertretbar (vgl. zuletzt BayVGH, U. v. 28.3.2024 – 24 B 22.31136 – Rn. 39). Zu beachten sind auch Unterstützungsleistungen von nichtstaatlichen Organisationen, Kirchen oder Privatpersonen (vgl. BVerwG, U. v. 7.9.2021 – 1 C 3.21 – Rn. 22 ff.; B. v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – Rn. 14; B. v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – Rn. 20).
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Gemessen an den oben genannten Anforderungen geht das Gericht auf Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel nicht davon aus, dass anerkannt Schutzberechtigten – jedenfalls nicht vulnerablen Personen – im Fall einer Rückkehr nach Griechenland dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Verelendung droht. Für die Einschätzung der derzeitigen Situation in Griechenland für anerkannt Schutzberechtigte wird auf die Rechtsprechung der Kammer verwiesen (vgl. zuletzt VG Ansbach, B. v. 11.4.2024 – AN 17 S 24.50251).
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Diese stellt sich nach Überzeugung des Gerichts zwar als durchaus hart und die Eigeninitiative des Einzelnen fordernd dar und ist auch geprägt von großen bürokratischen Hürden, überschreitet aber nicht die dargestellte Schwelle, sodass sie pauschal für jeden Personenkreis von Schutzberechtigten als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 ENRK und Art. 4 GRCh angesehen werden könnte. Das Gericht hält insofern unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnismittel an seiner bisherigen Rechtsprechung fest und teilt nicht die Auffassung zahlreicher Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe anderer Bundesländer (vgl. OVG Saarl., U. v. 15.11.2022 – 2 A 81/22; OVG Sachsen, U. v. 27.4.2022 – 5 A 492.21 A; VGH BW, U. v. 27.1.2022 – A 4 S 2443/21; OVG Berlin-Brandenburg, U. v. 23.11.2021 – OVG 3 B 53.19; OVG Bremen, U. v. 5.4.2022 – 11 A 314/22.A; NdsOVG, U. v. 19.4.2021 – 10 LB 244/20; OVG NRW, U. v. 21.1.2021 – 11 A 1564/20.A), die die Auffassung vertreten, dass anerkannten Schutzberechtigten im Falle ihrer Rückkehr in Griechenland unmenschliche Lebensverhältnisse drohen. Die zitierte obergerichtliche Rechtsprechung beruht auf mittlerweile älteren Erkenntnismitteln und berücksichtigt nach Auffassung des Gerichts nicht die in der vorliegenden Entscheidung zugrunde gelegten Erkenntnisse über die aktuelle Lage in Griechenland.
21
Zwar haben rückkehrende Schutzberechtigte nach der Ankunft in Griechenland möglicherweise über einen längeren Zeitraum keinen effektiv gesicherten Zugang insbesondere zu Obdach und sanitären Einrichtungen. Zudem ist es für sie anfangs für einen nicht unerheblichen Zeitraum teilweise praktisch unmöglich, die Voraussetzungen für den Erhalt des garantierten Mindesteinkommens EEE zu erfüllen. Bei dieser Sachlage ist nach Überzeugung des Gerichts die Abdeckung der Grundbedürfnisse „Bett, Brot und Seife“ für eine Übergangszeit nach der Rückkehr nach Griechenland durch das eigenverantwortliche Handeln des Einzelnen und auch die Hilfestellung von NGOs geprägt. Diese Situation trifft aber in gleicher Weise auf mittel-, obdach- und arbeitslose Einheimische zu. Zu betonen ist insbesondere, dass es nicht unzumutbar, sondern vielmehr selbstverständlich ist, für das eigene Fortkommen zu allererst auf sich selbst angewiesen zu sein. Vor diesem Hintergrund muss der jeweilige Schutzberechtigte, damit ihm keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bei einer Rückkehr droht, nach Überzeugung des Gerichts grundsätzlich in der Lage sein, sich den schwierigen Bedingungen zu stellen und durch eine hohe Eigeninitiative und unter Inanspruchnahme von Hilfsangeboten selbst für seine Unterbringung und seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Ist davon auszugehen, dass er diese Schwierigkeiten bewältigen kann, fehlt es an der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in Griechenland.
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So liegt es im Fall des Klägers. Nach Überzeugung des Gerichts ist nicht ausreichend wahrscheinlich, dass er nach seiner Rückkehr nach Griechenland nicht in der Lage sein wird, seine grundlegenden Bedürfnisse nah „Bett, Brot und Seife“ zu befriedigen. Er ist jung und arbeitsfähig. Als allein reisender Mann ist er zudem unabhängig von familiären Verpflichtungen und kann sich vollständig der Suche nach Arbeit und einer Wohnung und dem Erwerb von Nahrung, mithin der Deckung seines Lebensunterhalts widmen. Dabei ist es ihm nach den dargestellten Erwägungen auch zumutbar, zunächst schwierige Verhältnisse auf sich zu nehmen und für einen Übergangszeitraum auf sich selbst und auf die Angebote von Hilfsorganisationen angewiesen zu sein, bis er die bürokratischen Hürden für staatliche Hilfe überwunden hat. Eine besondere Schutzbedürftigkeit hat der Kläger nicht vorgetragen, sondern vielmehr angegeben, dass er gesund sei und an keinen Behinderungen leide. Hinzu kommt, dass er bereits für die Dauer von vier bis fünf Monaten in Griechenland gelebt hat und dort eine Wohnung gefunden hat. Auch hatte er zwei Jobs, zuerst als Behindertenpfleger, danach in der Baubranche. Er hat zudem einen höheren Schulabschluss und war in seiner Heimat als Maurer und Elektriker tätig. Auch war es ihm offenbar möglich, die bestehende Sprachbarriere zu überwinden. All dies belegt, dass er über die erforderliche Flexibilität verfügt, sich in den Arbeitsmarkt einzufügen. Gerade die jetzt anstehende Sommersaison eröffnet ihm die Möglichkeit, Hilfstätigkeiten in der Baubranche, der Landwirtschaft, der Gastronomie oder im Tourismus zu übernehmen. Auch ist zu erwarten, dass es ihm möglich sein wird, die griechische Sprache zu erlernen und so seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt noch zu erhöhen. Zur Integration und Arbeitssuche kann er sich zudem an Hilfsorganisationen und an diverse staatliche Stellen wenden. Das legt die Vermutung nahe, dass er auch wieder in der Lage sein wird, eine Unterkunft zu finden. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger als Alleinstehender im Bedarfsfall eine Bleibe in einer Obdachlosenunterkunft findet, ist gegenüber einer Personenmehrheit (Familie) auch deutlich höher, zumal nicht alle Obdachlosenunterkünfte die anfangs kaum zu erfüllende Voraussetzung wie die Vorlage einer Sozialversicherungsnummer verlangen (es wird auf die Einschätzung der Lage in Griechenland durch das Gericht verwiesen, vgl. VG Ansbach, B. v. 11.4.2024 – AN 17 S 24.50251). Die Prognose einer Verelendung kann für den Kläger nicht gestellt werden. Es ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) von einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Klägers bei einer Rückkehr nach Griechenland auszugehen.
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Ergänzend wird ausgeführt, dass selbst unter Zugrundelegung der oben genannten außerbayerischen obergerichtlichen Rechtsprechung, die vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls pauschal von unmenschlichen Lebensverhältnissen für anerkannt Schutzberechtigte ausgeht, sich der vorliegende Fall im Ergebnis nicht anders darstellen würde, da in der Person des Klägers gerade solche besonderen Umstände vorliegen. Er ist – wie dargestellt – jung, gesund und arbeitsfähig. Durch seinen Voraufenthalt in Griechenland hat er gezeigt, dass es gerade die Energie, Eigenständigkeit und Organisationstalent besitzt, um sich auch die schwierigen Umstände in Griechenland einzustellen und mit ihnen zurecht zu kommen. Die genannte außerbayerische Rechtsprechung stellt keine Beweislastumkehr dahingehend dar, dass bei jedem Asylantragsteller die Unzulässigkeitsentscheidung rechtswidrig wäre, wenn nicht das Bundesamt darlegt und nötigenfalls beweist, dass im Einzelfall (ausnahmsweise) Obdach und Existenzminimum gesichert sind (vgl. VG Bremen, U. v. 23.2.2023 – 5 K 1434/22; VG Bayreuth, B.v. 27.9.2023 – B 7 S 23.30770 – Rn. 25; VG Würzburg, U. v. 19.7.2023 – W 1 K 23.30227). Es bleibt Sache des Schutzsuchenden, die Gründe für seine Furcht vor Verelendung schlüssig darzulegen, was insbesondere für in seine eigene Sphäre fallende Ereignisse und Umstände zutrifft (VGH BW, U.v. 22.2.2023 – A 11 S 1329/20 – juris Rn. 200 vgl. auch BayVGH, U.v. 28.3.2024-24B22.31136 – juris, Rn. 23).
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung. Zum einen ist seine Schilderung, er sei in Griechenland in einem Park überfallen worden, ihm seien Handy und Bankkarte gestohlen worden und die Polizei habe ihm nicht geholfen, sondern ihn vielmehr verspottet, nicht glaubhaft. Er wurde beim Bundesamt bereits umfangreich befragt und gab diesen Vorfall damals nicht an. Eine glaubhafte Erklärung konnte er hierfür auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung nicht geben. Er trug vor, er habe unter Zahnschmerzen gelitten und sein Mund sei aufgrund eines Zahnarztbesuchs am Vortag angeschwollen gewesen. Er könne das mit einem Attest belegen. Selbst wenn dies der Wahrheit entsprechen sollte, ist nicht nachvollziehbar, warum der Kläger dann nicht um eine Verschiebung der Anhörung gebeten hat. Er gab in der mündlichen Verhandlung an, er hätte nicht gewusst, dass eine Verschiebung möglich gewesen sei. Auch das ist realitätsfern. Es wäre ihm aber in jedem Fall möglich gewesen, den Entscheider vor Ort auf den geschwollenen Mund hinzuweisen. Laut Anhörungsprotokoll beantwortete er vielmehr die Fragen, ob er gesundheitlich in der Lage sei, die Anhörung durchzuführen, mit ja. Der Kläger vermochte es im Übrigen, alle anderen Fragen bei der Anhörung zu beantworten, es erschließt sich also nicht, warum er gerade nicht in der Lage gewesen sein soll, diesen gravierenden Vorfall zu schildern. Auch finden sich im Anhörungsprotokoll keinerlei Vermerke über Sprechschwierigkeiten. Vielmehr ist das Gericht davon überzeugt, dass der Vorfall frei erfunden ist, da der vorangegangene pauschale Vortrag beim Bundesamt über die schwierige Lebenssituation in Griechenland nicht erfolgreich war. Selbst wenn man den Vortrag über den Überfall in Griechenland als wahr ansehen würde, würde das im Ergebnis zu keiner anderen Bewertung der Lage in Griechenland führen. Es würde sich bei dem Überfall um einen kriminellen Übergriff handeln, wie er in jedem Land vorkommen kann. Was die Reaktion der griechischen Polizei anbelangt, ist diese viel zu oberflächlich geschildert. Eine generelle Hilfsunwilligkeit der Polizei gegenüber anerkannt Schutzberechtigten, geschweige denn ein systemischer Mangel lässt sich daraus nicht herleiten.
25
2. Die Entscheidung in Ziffer 2 des angegriffenen Bescheids, wonach keine nationalen Abschiebungsverbote vorlägen, ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Hinsichtlich der Frage, ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK vorliegt, stellen sich materiell keine anderen Fragen als die unter 1. erörterten und entschiedenen. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, der eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit, mithin die hohe Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage (vgl. BVerwG, B. v. 23.8.2018 – 1 B 42/18 – Rn. 13) verlangt, sind in Griechenland erst recht nicht erfüllt. Auch in der Person des Klägers liegende gesundheitliche Gründe für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wurden von ihm nicht vorgetragen und sind nicht ersichtlich.
26
3. Auch die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des angegriffenen Bescheids ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 35 AsylG. Hiernach ist in dem (hier vorliegenden) Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG die Abschiebung in den Staat anzudrohen, in dem der Ausländer sicher ist. Das ist in Griechenland der Fall. Zusätzlich ist nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG erforderlich, dass der Abschiebung weder das Kindeswohl noch familiäre Bindungen noch der Gesundheitszustand des Ausländers entgegenstehen. Auch dies ist zu dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der Person des Antragstellers nicht gegeben.
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4. Der hilfsweise gestellte Klageantrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG bleibt ohne Erfolg, da solche Abschiebeverbote nicht bestehen (siehe oben 2.).
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Nach alledem war die Klage abzuweisen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.