Titel:
Erfolglose Nachbarklage gegen Carport-Erhöhung - Notwegerecht
Normenketten:
GG Art. 14 Abs. 1 S. 1
BauGB § 34
BGB § 917 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Bei dem bauplanungsrechtlichen Erschließungserfordernis handelt es sich grundsätzlich nicht um einen Belang im Interesse des Nachbarn, sondern allein um einen objektiven Belang zur Wahrung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Abwehrrecht des Nachbarn im Zusammenhang mit der Erschließung eines Bauvorhabens ergibt sich (nur) für den Fall, dass eine infolge Fehlens der Erschließung rechtswidrige Baugenehmigung für den Nachbarn eine unmittelbare Rechtsverschlechterung in Richtung auf die Duldung eines Notwegerechts, § 917 Abs. 1 BGB, bewirkt. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Welche Art der Benutzung eines Grundstücks iSv § 917 Abs. 1 S. 1 BGB ordnungsmäßig ist, bestimmt sich danach, was nach objektiven Gesichtspunkten diesem Grundstück angemessen ist und den wirtschaftlichen Verhältnissen entspricht. Zu berücksichtigen sind dabei die Benutzungsart und Größe des Grundstücks, seine Umgebung und die sonstigen Umstände des Einzelfalls. Die ordnungsmäßige Benutzung bei einem Wohngrundstück setzt in der Regel die Erreichbarkeit des Grundstücks mit Kraftfahrzeugen voraus. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die gesonderte Betrachtung eines hinterliegenden Grundstücksteils, der durch grundstückseigene Bebauung von der öffentlichen Straße abgeschnitten ist, kommt im Rahmen des § 917 BGB nur bei Gewerbegrundstücken und nur dann infrage, wenn im Einzelfall deren ordnungsgemäße Benutzung erfordert, dass auf dem Grundstücksteil ohne Verbindung zum öffentlichen Weg Kraftfahrzeuge be- und entladen sowie ggf. auch abgestellt werden, so dass eine Zufahrt notwendig ist. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage gegen Baugenehmigung zur Erhöhung eines Carports., Drittschützende Wirkung der „gesichterten Erschließung“., Kein Notwegerecht zur Anfahrt eines Carports auf einem nicht mit dem öffentlichen Weg verbundenen Grundstücksteil., Nachbarklage gegen Baugenehmigung zur Erhöhung eines Carports, Drittschützende Wirkung der „gesichterten Erschließung“, Kein Notwegerecht zur Anfahrt eines Carports auf einem nicht mit dem öffentlichen Weg verbundenen Grundstücksteil, Erreichbarkeit eines Grundstücks mit Kraftfahrzeugen, Wohngrundstück, hinterliegender Grundstücksteil, Gewerbegrundstück
Fundstelle:
BeckRS 2024, 20787
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Erhöhung eines bestehenden Carports.
2
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 887, Gemarkung … (…). Sie ist Mitgesellschafterin und Geschäftsführerin der …, die einen Handwerksbetrieb für sanitär-, heizungs- und klimatechnische Arbeiten, Dachdeckerarbeiten, Spenglerarbeiten, den Einbau genormter Bauteile aller Art, Vermögensverwaltung und den Einzelhandel mit Produkten der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik betreibt. Das Grundstück FlNr. 887 ist Betriebsgelände des Unternehmens. Neben einem auf dem südlichen Grundstücksteil befindlichen Wohngebäude befindet sich auf dem Grundstück nördlich hiervon ein Betriebshof, in dessen Zentrum eine Betriebshalle steht. Weitere Gebäude im Norden des Grundstücks dienen der Lagerung von Material. Die freien Flächen werden von den betrieblichen Fahrzeugen genutzt.
3
Die Beigeladene ist Eigentümerin des unmittelbar östlich angrenzenden schmalen Grundstücks FlNr. 887/2, auf dem sich die Gebäude mit den Hausnummern … (vorderliegendes Gebäude) und … (hinterliegendes Gebäude) befinden. Die beiden Gebäude auf dem Grundstück der Beigeladenen sind von der … aus gesehen hintereinander angeordnet und befinden sich im südlichen Teil des Grundstücks. Auf Nachfrage des Gerichts hinsichtlich der baurechtlich genehmigten Hauptnutzung der beiden Gebäude, teilte die Beklagte mit, dass es sich um Wohnnutzung handele. Aus den vorgelegten Behördenakten ergibt sich, dass mit Bescheid vom 31. Mai 2001 die Erweiterung der bis dahin bestehenden Hausnummer … um einen „Wohnhaus-Anbau“ genehmigt wurde. Aus den mit einem Stempel („Nach Art. 73 BayBO geprüft“) versehenen Bauunterlagen ergibt sich, dass sich beim Anbau und dem Bestandteil des Gebäudes um ein gemeinsames Wohngebäude handelt. In den Behördenakten befinden sich außerdem mit „Technisch geprüft“-Stempeln vom 1. Oktober 1938 und 15. April 1971 versehene Pläne des Gebäudes Hausnummer …, aus denen sich die Nutzung auch dieses Gebäudes als Wohngebäude ergibt.
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Die Beigeladene bietet im Internet Handwerkern zur Übernachtung Monteurzimmer in diesen beiden Gebäuden an. In dem Gebäude Hausnummer … wird eine Wohnung für bis zu sieben Personen angeboten. Das Gebäude Hausnummer … ist vollständig für Monteure freigegeben und kann von bis zu zehn Personen bewohnt werden. In der Beschreibung gibt die Klägerin u.a. an: „Autostellplätze sind umsonst an der Straße (…)“.
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Einige Meter nördlich der beiden Gebäude befindet sich auf dem Grundstück der Beigeladenen ein Carport, welches ursprünglich mit Bescheid vom 20. September 2012 genehmigt wurde. Nördlich an den Carport grenzt ein weiteres Nebengebäude an. Aufgrund der beiden Gebäude im Süden des Grundstücks, ist das Carport nicht über das Grundstück der Beigeladenen mit Kraftfahrzeugen erreichbar.
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Die Umgebungsbebauung stellt sich somit wie folgt dar:
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Im Grundbuch ist zu Lasten des klägerischen Grundstücks FlNr. 887 ein Fahrtrecht für den jeweiligen Eigentümer des Grundstücks der Beigeladenen eingetragen. Im Grundbuch wird dabei auf Bewilligungen vom 25. Juni 1942 und 21. August 1942 Bezug genommen. Inhalt des Kauf- und Auflassungsvertrags vom 25. Juni 1942 zwischen den Rechtsvorgängern der Klägerin und den Rechtsvorgängern der Beigeladenen ist es, dem jeweiligen Eigentümer des Grundstücks der Beigeladenen das „unentgeltliche Recht ein(zuräumen), über den Hofraum von Plan Nr. 887 zur wirtschaftlichen Versorgung des gekauften Grundstücksteiles, jedoch nicht zu gewerblichen und industriellen Zwecken, jederzeit zu fahren“. Am 21. August 1942 wurde notariell die Eintragung der Grunddienstbarkeit für das Fahrtrecht bewilligt. Eine Klage der Klägerin gegen die Beigeladene, um letztere zur Zustimmung zur Löschung des Fahrtrechts zu verpflichten, wurde im Zivilrechtswege vom Amtsgericht … (U.v. 27.11.2020 – 1 C 285/20) in erster Instanz abgewiesen. Das Landgericht … wies die Berufung der Klägerin hiergegen zurück (B.v. 31.3.2021 – 1 S 1520/20).
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Mit bei der Beklagten am 24. März 2023 eingegangenem Bauantrag begehrte die Beigeladene die Erhöhung des bestehenden Carports. Der Carport besteht im Wesentlichen aus sechs senkrechten Pfosten, die ein auf ihnen liegendes Flachdach tragen. Der Carport hat laut Plänen eine Grundfläche von 23,55 m² (mit Seitenlängen von 5,17 m und 4,555 m). Es soll im Vergleich zum Bestand um 1,24 m erhöht werden, sodass das von Westen nach Osten leicht abfallende Dach an seiner höchsten Stelle 4,03 m und an seiner niedrigsten Stelle 3,805 m hoch ist. Die Außenwand des Carports befindet sich 4,73 m vom klägerischen Grundstück entfernt und hat eine Höhe von 3,85 m. Die Beigeladene beantragte außerdem eine Abweichung von den Vorschriften der Abstandsflächen hinsichtlich ihrer östlichen Grundstücksnachbarn. Der Abweichungsantrag wird damit begründet, dass der erhöhte Carport der Unterbringung eines Wohnmobils diene.
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Mit Bescheid vom 9. Mai 2023 genehmigte die Beklagte die Erhöhung des Carports und ließ die Abweichung von den Abstandsflächen nach Osten zu. In den Auflagen wurden ein im Baugenehmigungsverfahren vorgelegter Grundbuchauszug und eine vorgelegte Kopie der Urkunde vom 21. August 1942 zu Bestandteilen des Bescheids erklärt. In der Bescheidsbegründung führt die Beklagte insbesondere aus, dass die Erschließung des Carports über das Grundstück der Klägerin gesichert sei.
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Hiergegen erhob die Klägerin mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten am 23. Mai 2023 Klage. Sie ist der Ansicht, die Erschließung des Vorhabens sei nicht gesichert und die Klägerin sei hierdurch in ihren Rechten verletzt. Zweck des erhöhten Carports sei die Unterbringung eines Wohnmobils. Ein Wohnmobil diene nicht der wirtschaftlichen Versorgung des Grundstücks, es sei vielmehr ein „fahrendes Haus“ und sei daher nicht von dem im Grundbuch eingetragenen Fahrtrecht umfasst. Der Carport sei außerdem geeignet, Baufahrzeuge (Transporter) aufzunehmen, das Fahrtrecht gestatte der Beigeladenen jedoch nicht, ihre Übernachtungsgäste über das Grundstück der Klägerin zu dem Carport fahren zu lassen. Außerdem beeinträchtige das Carport das Ortsbild.
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Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 9. Mai 2023 aufzuheben.
12
Die Beklagte beantragt,
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Die Klage sei bereits unzulässig. Es gehe der Klägerin um die Frage, ob die Beigeladene ein Fahrtrecht auf dem klägerischen Grundstück in Anspruch nehmen dürfe. Diese Frage müsse zivilrechtlich geklärt werden. Der Zivilrechtsweg sei bereits erfolglos beschritten worden, im Sinne der Rechtseinheit sei geboten, die Entscheidung der Zivilgerichte auch im baurechtlichen Verfahren anzuerkennen. Die Klage stelle eine missbräuchliche Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes dar.
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Der Bevollmächtigte der Beigeladenen erklärte mit Schriftsatz vom 10. März 2024, dass hinsichtlich der Klage „um Abweisung nachgesucht“ werde. Die Beigeladene schließt sich der Rechtsauffassung der Beklagten an und meint, es gehe der Klägerin nicht um die Vergrößerung der Carports, sondern um die Löschung des im Grundbuch eingetragenen Fahrtrechts.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Behördenakten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19. März 2024 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin wird durch die streitgegenständliche Baugenehmigung nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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1. Die Klage ist zulässig, insbesondere fehlt es der Klägerin nicht an der notwendigen Klagebefugnis. Die Klägerin beruft sich darauf, dass das Vorhaben zu einem Notwegerecht zu ihren Lasten führe. Auf die Möglichkeit des Bestehens eines solchen Rechts – was für die Zulässigkeit der Klage ausreicht – kann sich die Klägerin hier berufen, weil es sich um ein subjektiv-öffentliches Abwehrrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG handelt und dies unter dem Aspekt der hinreichenden Erschließung im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens zu prüfen ist (VG München, U.v. 9.2.2024 – M 1 K 20.4159 – juris). Dass die Klägerin bereits (erfolglos) den Zivilrechtsweg bestritten hat, um die Löschung des bestehenden Fahrtrechts zu erreichen, steht der Zulässigkeit des verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreits hinsichtlich der Aufhebung des Baugenehmigungsbescheids nicht entgegen.
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2. Die Klage hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die objektive Verletzung einer Rechtsnorm allein genügt für den Erfolg einer Nachbarklage nicht. Im gerichtlichen Verfahren findet keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt, die Prüfung hat sich im Falle von Drittanfechtungsklagen vielmehr darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln, verletzt sind (Schutznormtheorie, vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris). Weiterhin ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung nur dann erfolgreich angreifen kann, wenn die Rechtswidrigkeit der Genehmigung sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die Gegenstand der Prüfung im Baugenehmigungsverfahren waren. Die Erhöhung des Carports war im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO zu prüfen. Die Erhöhung ist insbesondere nicht nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a oder b BayBO verfahrensfrei, denn der Carport hat einen Rauminhalt von über 75 m³ und seine mittlere Wandhöhe beträgt über 3 m. Es handelt sich bei dem Carport außerdem um keinen Sonderbau i.S.d. Art. 2 Abs. 4 BayBO.
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Die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Vorschriften verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
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a) Das Vorhaben verletzt keine im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden bauordnungsrechtlichen Vorschriften. Insbesondere hält der Carport die notwendigen Abstandsflächen ein. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind von den Außenwänden von oberirdischen Gebäuden Abstandsflächen einzuhalten. Die Tiefe der Abstandsflächen beträgt dabei 0,4 H, mindestens jedoch 3 m. Der 3,805 m hohe Carport befindet sich 4,73 m von der Grundstücksgrenze der Klägerin entfernt und hält die notwendige Abstandsfläche von 3 m daher ein.
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b) Es liegt auch kein Verstoß gegen bauplanungsrechtliche Vorschriften gemäß §§ 29 ff. BauGB vor, auf den sich die Klägerin berufen könnte. Das geplante Bauvorhaben liegt außerhalb eines Bebauungsplans in einem in Zusammenhang bebauten Ortsteil und beurteilt sich daher nach § 34 BauGB. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Bauvorhaben bauplanungsrechtlich zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, was hier der Fall ist.
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Ob das Vorhaben das Ortsbild beeinträchtigt (§ 34 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BauGB), kann offenbleiben, denn hierauf kann sich die Klägerin nicht berufen. Es handelt sich hierbei nicht um einen nachbarschützenden Belang (BVerwG, B.v. 13.11.1997 – 4 B 195/97 – juris Rn. 3), vielmehr schützt die Norm insoweit nur die Interessen der Allgemeinheit.
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c) Auch soweit die Klägerin geltend macht, das Vorhaben sei verkehrlich unzureichend erschlossen, dringt sie damit nicht durch.
24
Bei dem bauplanungsrechtlichen Erschließungserfordernis handelt es sich grundsätzlich nicht um einen Belang im Interesse des Nachbarn, sondern allein um einen objektiven Belang zur Wahrung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung (vgl. VGH BW, U.v. 18.10.1993 – 8 S 1739/93 – juris, BayVGH, B.v. 22.2.2017 – 15 CS 16.1883 – juris Rn. 19, B.v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris Rn. 17 m.w.N., U.v. 22.3.1999 – 15 B 98.207 – juris Rn. 17). In der Rechtsprechung ist allerdings anerkannt, dass sich unmittelbar aus der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) ein Abwehrrecht des Nachbarn im Zusammenhang mit der Erschließung eines Bauvorhabens (nur) für den Fall ergibt, dass eine infolge Fehlens der Erschließung rechtswidrige Baugenehmigung für den Nachbarn eine unmittelbare Rechtsverschlechterung in Richtung auf die Duldung eines Notwegerechts, § 917 Abs. 1 BGB, bewirkt (vgl. BVerwG, B.v. 11.5.1998 – 4 B 45.98 – juris, U.v. 26.3.1976 – IV C 7/74 – juris; BayVGH, B.v. 27.7.2018 – 1 CS 18.1265 – juris, B.v. 1.3.2016 – 15 CS 16.244 – juris). Die Bejahung der gesicherten Erschließung hätte nämlich privatrechtsgestaltende Wirkung, wenn sie ein Notwegerecht zu Lasten des Grundstücks der Klägerin entstehen ließe und damit die „ordnungsgemäße Benutzung“ der Vorhabengrundstücke im Sinne von § 917 Abs. 1 Satz BGB feststünde. Einem Eigentümer wäre in einem Zivilprozess das Berufen auf die damit einhergehende Eigentumsverletzung abgeschnitten. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist daher zu prüfen, ob die Beigeladene auf ein Notwegerecht angewiesen ist (VG München, U.v. 9.2.2024 – M 1 K 20.4159 – juris).
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aa) Die Klägerin kann sich bereits deshalb nicht auf ein Notwegerecht berufen, weil der Beigeladenen mit dem klagegegenständlichen Bescheid nur die Erhöhung eines bereits bestehenden Carports genehmigt wurde und ein Notwegerecht allenfalls bereits mit der erstmaligen Errichtung des Carports entstanden ist. Die Erhöhung des Carports weitet das (ggf. bestehende) Notwegerecht zu Lasten der Klägerin jedenfalls nicht aus und die Klägerin hat somit keine Rechtsverschlechterung durch ein Notwegerecht zu befürchten.
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Ein Abwehrrecht gegen eine rechtswidrige Baugenehmigung steht einem Nachbarn aus seinem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentumsrecht nämlich nur dann zu, wenn die rechtswidrige Baugenehmigung dadurch in sein Eigentumsgrundrecht eingreift, dass in Folge des Fehlens der wegemäßigen Erschließung ein Notwegerecht nach § 917 Abs. 1 BGB an seinem Grundstück begründet oder ausgeweitet wird (BayVGH, B.v. 1.3.2016 – 15 CS 16.244 – juris Rn. 25). Ausgeschlossen ist das Abwehrrecht des Nachbarn daher dann, wenn bereits vor Erlass der nunmehr angegriffenen Baugenehmigung ein Notwegerecht zu seinen Lasten bestand und dieses durch die nun neue Baugenehmigung nicht ausgeweitet wird.
27
So liegt der Fall hier. Der Beigeladenen wurde bereits mit Bescheid vom 20. September 2012 die Errichtung eines Carports genehmigt. Mit dem klagegegenständlichen Bescheid vom 9. Mai 2023 wurde lediglich die Erhöhung des inzwischen errichteten Carports genehmigt. Es wurde insbesondere auch keine Änderung der Nutzung des Carports genehmigt. Der Carport wurde mit dem Bescheid vom 9. Mai 2023, anders als die Klägerin meint, nicht als Abstellplatz für ein Wohnmobil oder als Parkplatz für Gäste des Beherbergungsgewerbes genehmigt. Zwar hat die Beigeladene die Erhöhung des Carports aus dem Grund beantragt, um Platz zum Abstellen eines Wohnmobils zu haben, wie sich zwar nicht aus der Baubeschreibung an sich, aber jedenfalls aus dem Antrag auf Abweichung von den abstandsrechtlichen Vorschriften hinsichtlich der im Osten gelegenen Grundstücke ergibt. Der Carport wurde hinsichtlich seiner Nutzung in der Baugenehmigung aber nicht auf das Abstellen eines bestimmten Fahrzeugtyps beschränkt. Der Bescheid lässt hierauf weder in seiner Überschrift („Erhöhung des bestehenden Carports“), noch in seinem Tenor oder in den festgesetzten Auflagen erkennen, dass es sich bei dem genehmigten Vorhaben um ein „Wohnmobilcarport“ handeln soll. Die Baugenehmigung ist vielmehr so auszulegen, dass ein – zwar relativ hohes – Carport genehmigt wurde, allerdings keine Einschränkungen bestehen, welche Fahrzeuge dort abgestellt werden dürfen. Lediglich in der Begründung des Bescheids wird darauf verwiesen, dass die Beigeladene die Nutzung des Carports für ein Wohnmobil als Grund für den Bauantrag angegeben habe, woraus sich allerdings keine andere Auslegung der Baugenehmigung ergibt. Der angegriffene Bescheid ist auch nicht so auszulegen, dass eine gewerbliche Nutzung des Carports, etwa als Parkplatz für Besucher des Beherbergungsgewerbes, zugelassen werden soll. Dahingehend finden sich weder im Bescheid noch in den Antragsunterlagen Anhaltspunkte.
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Sollte der Carport der Beigeladenen ein Notwegerecht auslösen (dazu bb)), wäre ein solches bereits mit der Baugenehmigung vom 20. September 2012 bzw. mit der erstmaligen Errichtung des Carports begründet worden. Die hier klagegegenständliche bloße Erhöhung des Carports um 1,24 m führt nicht dazu, dass das (dann bereits bestehende) Notwegerecht ausgeweitet wird, zumal mit der Erhöhung auch keine neue Nutzung des Carports genehmigt wurde. Aufgrund der gleichbleibenden Grundfläche des Carports können dort auch nach seiner Erhöhung nur eine gleichbleibende Zahl von Kraftfahrzeugen abgestellt werden, sodass sich die Qualität und Quantität des Zufahrtsverkehrs zum Carport nicht wesentlich verändert. Die Klägerin wird also in Bezug auf ein Notwegerecht durch die Erhöhung nicht stärker belastet und wird insoweit daher nicht in ihren Rechten verletzt.
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bb) Abgesehen davon kann im Hinblick auf den Carport grundsätzlich kein Notwegerecht zulasten der Klägerin entstehen, da die Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung eines Notwegerechts nicht vorliegen.
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Die Voraussetzungen der Entstehung eines Notwegerechts sind in § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB geregelt. Fehlt einem Grundstück hiernach die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg, kann der Eigentümer von den Nachbarn verlangen, dass sie bis zur Behebung des Mangels die Benutzung ihrer Grundstücke zur Herstellung der erforderlichen Verbindung dulden. Vorliegend ist keine Verbindung des Carports mit dem öffentlichen Weg zur ordnungsgemäßen Nutzung des Grundstücks notwendig, sodass die Entstehung eines Notwegerechts ausgeschlossen ist.
31
Welche Art der Benutzung eines Grundstücks i.S.v. § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB ordnungsmäßig ist, bestimmt sich danach, was nach objektiven Gesichtspunkten diesem Grundstück angemessen ist und den wirtschaftlichen Verhältnissen entspricht. Zu berücksichtigen sind dabei die Benutzungsart und Größe des Grundstücks, seine Umgebung und die sonstigen Umstände des Einzelfalls (BGH, U.v. 24.1.2020 – V ZR 155/18 – juris). Die ordnungsmäßige Benutzung bei einem Wohngrundstück setzt in der Regel die Erreichbarkeit des Grundstücks mit Kraftfahrzeugen voraus (BGH, Teilurteil v. 12.12.2008 – V ZR 106/07 – juris). Der Umstand, dass aufgrund der vorhandenen Wohnbebauung nur der an der öffentlichen Straße angrenzende Grundstücksteil mit Kraftfahrzeugen erreichbar ist, steht einer ordnungsgemäßen Nutzung nicht entgegen. Die gesonderte Betrachtung eines hinterliegenden Grundstücksteils, der wie hier durch grundstückseigene Bebauung von der öffentlichen Straße abgeschnitten ist, kommt im Rahmen des § 917 BGB nur bei Gewerbegrundstücken und nur dann infrage, wenn im Einzelfall deren ordnungsgemäße Benutzung erfordert, dass auf dem Grundstücksteil ohne Verbindung zum öffentlichen Weg Kraftfahrzeuge be- und entladen sowie ggf. auch abgestellt werden, so dass eine Zufahrt notwendig ist. Dies setzt voraus, dass das Grundstück nach seinen konkreten Verhältnissen eine gewerbliche Nutzung größeren Umfangs erlaubt, etwa Waren eingelagert werden müssen, die aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Gewichts nicht auf dem mit dem öffentlichen Weg verbundenen Grundstücksteil gelagert oder über diesen hinweg auf den verbindungslosen Grundstücksteil verbracht werden können (BGH, U.v. 19.11.2021 – V ZR 262/20 – juris).
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Auch die Errichtung eines Carports zum Abstellen von Fahrzeugen auf einem hinterliegenden Grundstücksteil ohne Verbindung zum öffentlichen Weg führt nicht zur Entstehung eines Notwegerechts. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGH, U.v. 19.11.2021 – V ZR 262/20 – juris), dem sich die Kammer anschließt, ist das Interesse eines Eigentümers, auf sein Grundstück zu fahren und ein Kraftfahrzeug dort abzustellen, von der Erreichbarkeit des Grundstücks zu unterscheiden. Grenzt das Grundstück, für das ein Notweg beansprucht wird, an eine öffentliche Straße, kann es mit Kraftfahrzeugen angefahren werden, wodurch jedenfalls die (ordnungsmäßige) Nutzung zu Wohnzwecken gewährleistet ist. Dies gilt selbst dann, wenn auf dem von der öffentlichen Straße aus erreichbaren Teil des Grundstücks kein Fahrzeug abgestellt werden kann. Ein aus § 917 BGB entstehendes Notwegerecht stellt einen schweren Eingriff in das Eigentumsrecht des belasteten Nachbarn dar, weshalb an die Tatbestandsvoraussetzungen wie das Fehlen einer für die ordnungsmäßige Benutzung notwendigen Verbindung strenge Anforderungen zu stellen sind. Gesichtspunkte der Bequemlichkeit und auch Zweckmäßigkeit sind nicht dazu geeignet, die Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks zu rechtfertigen. Folglich kommt ein Notwegerecht regelmäßig nicht in Betracht, um eine Zufahrt zu einem Carport zu schaffen, der über die bestehende Verbindung zu einem öffentlichen Weg nicht erreichbar ist.
33
Gemessen hieran liegen die Voraussetzungen für das Entstehen eines Notwegerechts nicht vor, da keine Notwendigkeit für die Verbindung des Carports mit dem öffentlichen Weg zur ordnungsgemäßen Nutzung des Grundstücks i.S.d. § 917 BGB besteht. Der vordere Grundstücksteil liegt direkt an der … Damit ist die ordnungsgemäße Nutzung des Grundstücks gesichert, da die beiden zu Wohnzwecken genehmigten Hauptgebäude im vorderen Bereich des Grundstücks vom öffentlichen Weg aus erreichbar sind. Die (baurechtlich genehmigte) Wohnnutzung des Grundstücks der Beigeladenen erfordert aber nicht, dass der nicht mit der Straße verbundene Carport im hinteren Bereich des Grundstücks mit einem Kraftfahrzeug angefahren werden kann, weil Gesichtspunkte der Bequemlichkeit und Zweckmäßigkeit nicht die Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks rechtfertigen, auch wenn es sich hierbei um ein nachvollziehbares Interesse der Beigeladenen handelt.
34
Selbst wenn man die tatsächliche – aber baurechtlich nicht genehmigte – Nutzung des Grundstücks als Friseursalon und Beherbergungsmöglichkeit für Handwerker heranziehen würde, ergäbe sich kein anderes Ergebnis. Nach lebensnaher Auslegung ist für derartige gewerbliche Nutzungen zwar die gelegentliche Anlieferung von Waren notwendig, allerdings nur in einem sehr geringen Umfang, sodass der Beigeladenen zugemutet werden kann, diese zu Fuß von der Straße über das Grundstück zu ihrem jeweiligen Bestimmungsort zu tragen. Der Umfang solcher Gewerbe erfordert nicht notwendigerweise, dass auf dem Grundstück eine Parkfläche bzw. ein Carport zum Be- und Entladen besteht und mit dem öffentlichen Weg verbunden ist. Die Entstehung eines Notwegerechts ist daher vorliegend ausgeschlossen.
35
cc) Darauf, ob das zugunsten des Vorhabengrundstücks eingetragene Geh- und Fahrtrecht vom 4. Dezember 1942 auch die Nutzung eines Carports umfasst, kommt es nicht an. Soweit die Klägerin die Ansicht vertritt, die Nutzung des Carports bzw. das Befahren ihres Grundstücks mit einem Wohnmobil oder anderen großen Kraftfahrzeugen sei von dem eingetragenen Geh- und Fahrtrecht nicht umfasst, ist sie auf die Zivilgerichtsbarkeit zu verweisen.
36
d) Eine Verletzung anderer nachbarschützender öffentlich-rechtlicher Verstöße ist nicht gerügt und auch nicht erkennbar.
37
3. Die Kostenentscheidung der damit erfolglosen Klage beruht auf §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1 VwGO. Der Schriftsatz des Bevollmächtigten des Beigeladenen vom 10. März 2024, mit dem „um Abweisung nachgesucht“ wurde, wird als Antrag auf Abweisung der Klage ausgelegt. Da sich die Beigeladene durch diese Antragstellung am Verfahren beteiligt und auch dem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten ersetzt bekommt, §§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.