Titel:
Asylrecht, Tansania, Homosexualität, Glaubhaftigkeit (verneint), Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung (verneint), Abschiebungsverbote (verneint), Diabetes, Diabetische Retinopathie, PTBS, Bezugnahme auf Bescheid
Normenketten:
AsylG § 3
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
AsylG § 77 Abs. 3
Schlagworte:
Asylrecht, Tansania, Homosexualität, Glaubhaftigkeit (verneint), Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung (verneint), Abschiebungsverbote (verneint), Diabetes, Diabetische Retinopathie, PTBS, Bezugnahme auf Bescheid
Fundstelle:
BeckRS 2024, 20770
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
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Der tansanische Kläger wendet sich gegen den ablehnenden Asylbescheid der Beklagten.
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Wegen des Sachverhalts wird zunächst auf die Feststellungen des angefochtenen Bescheids der Beklagten vom 13. Juli 2020, mit dem der Asylantrag des Klägers abgelehnt sowie die Abschiebung nach Tansania angedroht worden ist, Bezug genommen (§ 77 Abs. 3 AsylG). Bei der Anhörung bei der Beklagten am 17. Januar 2020 gab der Kläger im Wesentlichen an, in Tansania wegen seiner Homosexualität verfolgt worden zu sein. Er habe mit seinem Freund J … eine sexuelle Beziehung gehabt. Am 21. Juni 2019 seien sein Freund und er abends in einer Bar am Strand von 5 bis 7 Personen angegriffen und geschlagen worden. Diese hätten gerufen, dass sie wüssten, wer der Kläger und sein Freund seien, dass sie „schwul“ seien und dass sie sie zur Polizei bringen würden. Der Kläger habe entkommen können und sei am 1. Juli 2019 mit dem deutschen Visum, das er wegen eines geplanten Besuchs bei seiner Schwester in Deutschland bereits gehabt habe, ausgereist. Der streitgegenständliche Bescheid ging am 2. August 2020 in der Aufnahmeeinrichtung des Klägers ein und wurde dem Kläger am gleichen Tag ausgehändigt.
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Der Kläger hat mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 11. August 2020, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht München am gleichen Tag, Klage gegen diesen Bescheid erhoben. Er beantragt sinngemäß:
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Unter Aufhebung des Bescheids vom 13. Juli 2020 wird die Beklagte verpflichtet, die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG anzuerkennen, hilfsweise subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zu gewähren, weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Zur Begründung wird vorgetragen, der Kläger sei homosexuell. Ferner leide er an Diabetes mellitus Typ 1 und an psychischen Erkrankungen. Zum Nachweis der Erkrankungen werden ärztliche Bescheinigungen vom 27. Juni 2023, 15. Juli 2024, 19. Juli 2024 und 24. Juli 2024 vorgelegt. Dem Kläger drohe bei einer Rückkehr nach Tansania mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung. Die Argumente, mit denen die Beklagte dies verneine, würden nicht verfangen, was im Einzelnen ausgeführt wird. Es bestehe keine inländische Fluchtalternative. Der Kläger würde auch in Tansania wieder eine homosexuelle Beziehung eingehen und dabei entdeckt werden.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 2. Mai 2024 auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.
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Mit Beschluss vom 10. Juli 2024 hat das Gericht den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
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In der mündlichen Verhandlung vom 29. Juli 2024 ist der Kläger informatorisch gehört worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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1. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
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Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf die beantragten Verwaltungsakte (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Bescheid der Beklagten vom 13. Juli 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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a) Ein Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG sowie ein Anspruch auf die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nach § 4 AsylG wegen der vom Kläger vorgetragenen Homosexualität bestehen nicht.
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Zwar könnte wegen der sexuellen Orientierung des Klägers grundsätzlich eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 AsylG sowie ein ernsthafter Schaden nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG in Tansania in Betracht kommen.
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Aber das Gericht hegt nach der sehr ausführlichen informatorischen Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung Zweifel an der Glaubhaftigkeit des diesbezüglichen klägerischen Sachvortrags. Jedenfalls erscheinen die befürchtete Verfolgung bzw. ein ernsthafter Schaden nicht beachtlich wahrscheinlich.
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aa) Die Ausführungen des Klägers zur befürchteten Verfolgung wegen seiner behaupteten Homosexualität sind nicht glaubhaft.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – juris Rn. 3 m.w.N.; BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – juris Rn. 16) muss auch in Asylstreitigkeiten das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Tatsachenvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne „glaubhaft“ sind, dass sich das Tatsachengericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann. Wenn wegen Fehlens anderer Beweismittel nicht anders möglich, muss die richterliche Überzeugungsbildung vom Vorhandensein des entscheidungserheblichen Sachverhalts in der Weise geschehen, dass sich der Richter schlüssig wird, ob er dem Asylsuchenden glaubt. Daran kann er sich wegen erheblicher Widersprüche im Vorbringen des Asylbewerbers gehindert sehen, es sei denn, die Widersprüche und Unstimmigkeiten können überzeugend aufgelöst werden.
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Dies zugrunde gelegt, erscheint der Tatsachenvortrag des Klägers unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände nicht überzeugend und damit nicht glaubhaft.
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Zwar waren die Angaben des Klägers bezüglich des fluchtauslösenden Vorfalls und seiner sexuellen Orientierung detailliert und emotional. Auch ist in Ansätzen eine Auseinandersetzung des Klägers mit seiner behaupteten homosexuellen Orientierung erkennbar.
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Aber aufgrund von einigen Widersprüchen und zahlreichen Ungereimtheiten, die in der mündlichen Verhandlung nicht überzeugend ausgeräumt worden sind, konnte das Gericht nicht die volle Überzeugung von der Wahrheit des klägerischen Vortrags gewinnen. Die einzige vom Kläger vorgetragene gleichgeschlechtliche Beziehung zu seinem Freund J … in Tansania ist für das Gericht letztlich nicht glaubhaft. Es ist bereits nicht nachvollziehbar, dass nach Angaben des Klägers in der Anhörung (Anhörungsniederschrift, S. 7 f.) J … mit dem Kläger eine (letztlich ca. 4 Jahre andauernde) Beziehung nur einging, um dem Kläger zu „helfen“ herauszufinden, ob der Kläger wirklich homosexuell war. Auch der weitere angegebene Grund, J … sei „neugierig“ gewesen, erscheint nicht plausibel, zumal J … auch eine Freundin hatte. Gleichzeitig gab der Kläger in der Anhörung an (Anhörungsniederschrift, S. 7), er habe nicht geglaubt, dass J … homosexuell gewesen sei, da er auch eine feste Freundin gehabt habe. In der mündlichen Verhandlung mit der sexuellen Orientierung von J … konfrontiert, schilderte er im Widerspruch dazu jedoch, J … sei zunächst ein Freund gewesen, von dessen sexueller Orientierung er erst nichts gewusst habe. Bezüglich der Freundin von J … führte er in der mündlichen Verhandlung aus, er könne sich vorstellen, dass J … die Beziehung zu seiner Freundin möglicherweise zu seinem Schutz gehabt habe, da es in Tansania nicht einfach sei, homosexuell zu sein. Beiden Äußerungen liegt jedoch zugrunde, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung – anders als bei der Anhörung – davon ausging, dass J … homosexuell war.
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Ferner sind die Angaben des Klägers, wann J … feststellte, dass der Kläger homosexuell war, widersprüchlich. In der Anhörung behauptete er, dass J … „es“ im Jahr 2009 oder 2010 herausgefunden habe (Anhörungsniederschrift, S. 7). Er habe es erraten. In der mündlichen Verhandlung dagegen schilderte er im Widerspruch dazu, dass J … erst zu dem Zeitpunkt, als sie im Jahr 2015 eine Beziehung eingegangen seien, gewusst habe, dass der Kläger homosexuell sei. Hinzu kommt, dass der Kläger in diesem Zusammenhang in der mündlichen Verhandlung eine Aussprache mit J … erwähnt. Zu der Aussprache sei es gekommen, da J … ihm irgendwann gesagt habe, dass er in D … eine Freundin habe. Der Kläger sei eifersüchtig gewesen. Sie hätten sich daraufhin ausgesprochen. Sie seien sich dann auch körperlich sehr nah gewesen. Da habe ihre Beziehung angefangen. Diese Aussprache hat er in der Anhörung jedoch nicht angegeben, obwohl sie nach seiner Angabe in der mündlichen Verhandlung den Beginn seiner (sexuellen) Beziehung zu J … markierte und damit ein zentraler erwähnenswerter Moment gewesen sein müsste.
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Darüber hinaus erschließt es sich dem Gericht nicht, warum J … dem Kläger immer wieder Frauen „zuführte“, damit der Kläger testen konnte, ob es für ihn nicht doch mit Frauen funktionierte (Anhörungsniederschrift, S. 8). Es erscheint lebensfremd, dass jemand im Rahmen einer von gegenseitiger Zuneigung oder gar Liebe getragenen (sexuellen) Beziehung den Partner mit anderen Partnern zu Testzwecken zusammenbringen möchte. Im Übrigen sind die Angaben des Klägers diesbezüglich widersprüchlich, da die Angabe in der Anhörung, dass J … den Kläger mit anderen Frauen in Kontakt brachte, eindeutig im Kontext der damals bereits bestehenden sexuellen Beziehung zu J … erfolgte. In der mündlichen Verhandlung dazu befragt, behauptete der Kläger jedoch, dass J … ihn lediglich während der Schulzeit, als sie noch nicht in einer Beziehung gewesen seien, mit Frauen bekannt gemacht habe.
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Des Weiteren ist es jedenfalls merkwürdig, dass der Kläger bei der Anhörung am 17. Januar 2020 auf Frage, ob sein Freund J … F.benutze, antwortete, er wisse dies nicht, da er selbst kein F.benutze. Auf Frage nach einem F.Account in der mündlichen Verhandlung gab der Kläger an, er habe bei der Anhörung noch keinen F.Account gehabt, jetzt habe er aber schon einen. Erst als der Beklagtenvertreter den (alten) F.Account des Klägers, der zuletzt am 14. August 2018 aktualisiert worden war, in der mündlichen Verhandlung auf dem Handy vorzeigte, gab der Kläger zu, früher einen F.Account gehabt zu haben, auf den er jedoch im Zeitpunkt der Anhörung keinen Zugriff mehr gehabt habe. Nachdem die Beziehung zu J … von 2015 bis 2019 andauerte und der Kläger jedenfalls bis 14. August 2018 auf seinen alten F.Account Zugriff hatte, mutet die Antwort, der Kläger wisse nicht, ob J … F.benutze, da er es selbst nicht nutze, jedenfalls fragwürdig an.
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Überdies sind die gemachten zeitlichen Angaben bezüglich des Studiums, während dessen er eine Beziehung mit J … gehabt haben soll, nicht stimmig. Wenn man zugrunde legt, dass der Kläger, wie in der mündlichen Verhandlung angegeben, mit 6 Jahren, d.h. ca. 1995/1996, in die Schule gekommen ist, und dann die in der Anhörung (Anhörungsniederschrift, S. 3) angegebenen 16 Jahre Schule und Studium hinzuaddiert, müsste der Kläger sein Studium ca. 2011/2012 abgeschlossen haben. Damit passt es nicht zusammen, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung behauptete und auch auf diesbezüglichen Vorhalt dabeiblieb, dass er sein Studium im Jahr 2014 begonnen habe. Abgesehen von dieser Unstimmigkeit erscheint es eher ungewöhnlich, dass der im Jahr 1989 geborene Kläger erst mit ca. 25 Jahren sein Studium begonnen haben will.
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Auch die Schilderung des Übergriffs auf den Kläger und seinen Freund am 21. Juni 2019 in der Bar „C … B …“ überzeugt nicht. Abgesehen davon, dass der Kläger sowohl in der Anhörung als auch in der mündlichen Verhandlung erst auf Nachfrage nachschob, dass die Angreifer J … und ihn als „Schwule“ bezeichnet hätten und er deswegen den Angriff auf ihre sexuelle Orientierung zurückgeführt habe, ist es für das Gericht nicht nachvollziehbar, wie es zu dem Angriff kam. Der Kläger gab in seiner Anhörung an, lediglich mit J … einen homosexuellen Kontakt gehabt zu haben und mit niemanden über seine Beziehung gesprochen zu haben (Anhörungsniederschrift, S. 8). Selbst wenn, wie der Kläger vermutet, seine Nachbarn die Besuche von J … in seiner Wohnung bemerkt haben sollten, ist nicht nachvollziehbar, warum diese den Kläger an einem öffentlichen Ort, in einer Bar am Strand, angreifen sollten und nicht an einem weniger gut besuchten Ort. Überdies erscheint es wenig plausibel, dass Privatleute, die – wie auch immer – von der sexuellen Orientierung des Klägers erfahren haben, den Kläger und seinen Freund selbst angreifen und nur damit drohen, die beiden der Polizei zu melden, anstatt den Kläger und seinen Freund direkt bei der Polizei anzuzeigen. Letzteres wäre durch die damalige Politik Paul Makondas vorgesehen gewesen, worauf der Kläger auch selbst verweist.
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Außerdem erscheint es jedenfalls seltsam, dass der angeblich fluchtauslösende Angriff auf den Kläger am 21. Juni 2019 nur wenige Tage vor der bereits geplanten Abreise des Klägers zu seiner in Deutschland lebenden Schwester passierte. Der Kläger hatte bereits einen Besuch bei seiner Schwester in Deutschland ab 1. Juli 2019 geplant und deswegen ein deutsches Visum mit einem Gültigkeitszeitraum vom 1. Juli bis 12. Oktober 2019 erhalten. Er hatte sich auch bereits eine andere Arbeitsstelle gesucht, um für den Zeitraum des Besuchs bei seiner Schwester von Deutschland aus online arbeiten zu können. Zudem hatte der Kläger bei dem vorigen Besuch bei seiner Schwester im Jahr 2018 bereits einen zweimonatigen Intensivkurs in Deutsch und im Anschluss noch weitere Sprachkurse in Deutsch gemacht (vgl. Anhörungsniederschrift, S. 11). Diese Aspekte legen nahe, dass der Kläger möglicherweise schon längerfristig geplant hatte, sich in Deutschland niederzulassen.
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Hinzu kommt, dass nicht erkennbar ist, dass der Kläger, seit er in Deutschland ist, also seit über 5 Jahren, nennenswerte Kontakte zu Homosexuellen hat. Der Kläger gab in der mündlichen Verhandlung an, schon versucht zu haben, andere Homosexuelle kennen zu lernen. Er habe auch lockere Kontakte gehabt. Einmal habe er jemanden aus M … kennengelernt. Es habe aber nicht gepasst. Der Kläger geht auch nicht mehr zum S ( … … … … … … ), wie zu Beginn seiner Zeit in Deutschland, vgl. die kurze und wenig aussagekräftige Bescheinigung des S vom 9. Januar 2020. Als Grund hierfür gab er an, dass ihm das Geld für die Fahrtickets nach M … gefehlt habe. Dies mag zwar für seine erste Zeit in Deutschland nachvollziehbar sein. Aber seit über einem Jahr hat der Kläger eine Arbeit, so dass es ihm finanziell möglich sein müsste, jedenfalls an Urlaubstagen zum S nach M … zu fahren, wenn ein entsprechendes Interesse bestünde. Ferner ist der Kläger nicht im Internet, beispielsweise auf Dating-Seiten, auf der Suche nach Kontakten zu Homosexuellen, was zu einem jungen Mann, der grundsätzlich das Internet nutzt (vgl. F.Account und Deutschkurse über YouTube), nicht recht zu passen scheint.
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bb) Jedenfalls erscheinen die befürchtete Verfolgung bzw. ein ernsthafter Schaden nicht beachtlich wahrscheinlich.
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Verfolgungsmaßnahmen sind beachtlich wahrscheinlich, wenn bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtung im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32 m.w.N.).
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Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist vorliegend eine Verfolgung bzw. ein ernsthafter Schaden wegen der behaupteten Homosexualität des Klägers nicht beachtlich wahrscheinlich. Bezüglich der allein geltend gemachten Verfolgung durch die privaten Angreifer ist der Kläger darauf zu verweisen, in einen anderen Landesteil Tansanias auszuweichen (§ 3e, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Es ist auch davon auszugehen, dass sich der Kläger an einem anderen Ort in Tansania zurechtfinden würde. Er ist ein junger und erwerbsfähiger Mann. Er verfügt über eine überdurchschnittliche Schulbildung und hat studiert. Es ist daher anzunehmen, dass er – wie in der Vergangenheit auch – in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt zu sichern, zumal der Kläger auf ein unterstützendes familiäres Netzwerk zurückgreifen kann.
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Eine staatliche Verfolgung hat der Kläger bereits nicht substantiiert vorgetragen. Sie erscheint auch nicht beachtlich wahrscheinlich. Denn der Kläger gab in der Anhörung an, nicht zu wissen, ob die Angreifer die Polizei gerufen hätten. Er wisse auch nicht, ob polizeiliche Ermittlungen gegen ihn laufen würden. Zudem habe er nach dem Vorfall seine Mutter gefragt, ob jemand nach ihm suche, sie habe dies aber verneint.
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b) Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid gemäß § 77 Abs. 3 AsylG Bezug genommen. Etwas anderes ergibt sich nicht aufgrund der zuletzt vorgetragenen Erkrankungen des Klägers. Sie rechtfertigen es nicht, ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG anzunehmen.
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Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden.
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Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Diese gesetzliche Vermutung kann der Ausländer durch Vorlage einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung betreffend seine Erkrankung widerlegen (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Diese ärztliche Bescheinigung soll gemäß § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
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aa) Aufgrund der geltend gemachten psychischen Erkrankungen des Klägers, insbesondere der PTBS und der Depression, ergibt sich kein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Das einzige diesbezüglich vorgelegte aktuelle Attest vom 19. Juli 2024 genügt nicht den Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. In der Bescheinigung fehlt es jedenfalls an einer fundierten Anamnese sowie an einer Darstellung der Methodik der Befunderhebung und des Schweregrads der Erkrankung. Zudem werden die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben (vgl. § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG), nur vage und pauschal und damit nicht ausreichend beschrieben.
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bb) Auch aus der Erkrankung des Klägers an Diabetes, der zu Augenkomplikationen geführt hat, lässt sich kein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot herleiten.
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Im Hinblick auf den Diabetes des Klägers, der durch die vorgelegten aktuellen Atteste vom 27. Juni 2023 und 15. Juli 2024 belegt wird, ist keine alsbaldige wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG anzunehmen, da Diabetes in Tansania nach der Erkenntnislage behandelbar und diese Behandlung für den Kläger auch finanzierbar ist. Es gibt in Tansania 6 Diabetologen; auch Allgemeinärzte bieten Diabetesbehandlung an. Die „Tanzania Diabetes Association“ konnte in allen Regionen Tansanias Kliniken einrichten. Diese bieten kostenlose Behandlungen an. Medikamente gegen Diabetes einschließlich Insulin sind erhältlich und werden subventioniert. Bedürftige erhalten die medizinische Behandlung kostenlos (vgl. hierzu: Medical Country of Origin Information – MedCOI, 24.5.2021, Diabetes, Multiple Sklerose, Eisenmangel; US Social Security Administration, Social Security Programs Throughout the World – Africa 2019 – Tansania, 1.9.2019, S. 250; UK Border Agency, Home Office, Tanzania, Country of Origin Information (COI) Report, 3.9.2010, S. 47, Nr. 25.05).
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Dies zugrunde gelegt, ist davon auszugehen, dass der Diabetes des Klägers auch weiterhin in Tansania behandelbar und die Behandlung für den Kläger finanzierbar ist. Dies hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung auch bestätigt. Er gab an, in Tansania Medikamente erhalten zu haben. Diese seien zwar teuer gewesen, aber mithilfe der finanziellen Unterstützung durch seine Eltern sei es ihm möglich gewesen, diese zu kaufen. Angesichts dessen ist anzunehmen, dass der Kläger auch bei einer Rückkehr nach Tansania wieder in der Lage sein wird, seine medizinische Behandlung zu bezahlen. Der Kläger hat eine überdurchschnittliche Schulbildung und studiert. Er hat in Tansania in der Vergangenheit bei verschiedenen Arbeitgebern gearbeitet und durchschnittlich verdient. Zudem ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass er bei einer Rückkehr nicht wieder auf eine finanzielle Unterstützung durch seine Eltern zurückgreifen könnte. Jedenfalls ist die Diabetesbehandlung in Tansania für Bedürftige kostenlos.
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Soweit sich aus den vorgelegten Attesten, insbesondere demjenigen der Augenärztin vom 24. Juli 2024, Augenkomplikationen ergeben, folgt hieraus auch kein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot. Bei der Bescheinigung vom 24. Juli 2024 dürfte es sich bereits nicht um eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG handeln, da die Methodik der Befunderhebung nicht beschrieben wird. Jedenfalls ist auch insoweit keine alsbaldige wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG erkennbar. Zwar ist in der Bescheinigung angegeben, dass bei einem Abbruch der Therapie gegen die diabetische Retinopathie mit Blindheit zu rechnen sei. Aber insoweit wird durch den Bericht eine konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nicht belegt. Denn nach dem Bericht ist der Visus des Klägers derzeit noch stabil. Konkret notwendige weitere Therapieschritte, deren Abbruch zur Blindheit führen könnte, werden nicht aufgezeigt. Es sei lediglich eine Vorstellung in der Universitätsklinik in M … geplant, bei der dann über die weitere Therapie, „vermutlich weitere Laserbehandlungen“ und „eventuell“ auch eine „IVOM-Therapie“ entschieden werde. Eine konkrete alsbaldige Verschlechterung der Sicht des Klägers ist hierbei nicht erkennbar. Soweit sich aus dem Attest des Diabetologen vom 15. Juli 2024 ergibt, dass regelmäßige Kontrollen bei einem Augenarzt erforderlich seien, so können diese auch in Tansania durchgeführt werden.
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c) Ferner sind die Abschiebungsandrohung und die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtlich nicht zu beanstanden. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid gemäß § 77 Abs. 3 AsylG Bezug genommen.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).