Inhalt

VG München, Beschluss v. 08.08.2024 – M 3 S 24.4400
Titel:

Kein Rechtsschutzbedürfnis im einstweiligen Rechtsschutz gegen die Androhung der Entlassung, Bestätigung der bisherigen Rspr. der Kammer (VG München, B.v. 2.2.2015 – M 3 S 14.3418 – juris);, Auslegung von Art. 88 Abs. 8 BayEUG

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
BayEUG Art. 86 Abs. 2 Nr. 9
BayEUG Art. 88 Abs. 8
Schlagworte:
Kein Rechtsschutzbedürfnis im einstweiligen Rechtsschutz gegen die Androhung der Entlassung, Bestätigung der bisherigen Rspr. der Kammer (VG München, B.v. 2.2.2015 – M 3 S 14.3418 – juris);, Auslegung von Art. 88 Abs. 8 BayEUG
Fundstelle:
BeckRS 2024, 20765

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die schulische Ordnungsmaßnahme der Androhung der Entlassung.
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Der 2012 geborene Antragsteller besuchte im Schuljahr 2023/2024 die 5. Jahrgangsstufe einer städtischen Realschule in M. (im Folgenden: die Schule).
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Mit Anhörungsschreiben vom 4. März 2024 wurden die Eltern des Antragstellers zu einer Sitzung des Disziplinarausschusses am 20. März 2024 geladen. Als vorläufiges Ergebnis der Untersuchung wurden vier Vorfällen (11. Januar 2024, zwei am 24. Januar 2024, 22. Februar 2024) aufgeführt. Die beiden Vorfälle, aufgrund derer jeweils Verweise erteilt wurden und die noch Gegenstand zweier anhängiger Feststellungsklagen sind (M 3 K 24.1341 und M 3 K 24.1394), sind nicht als Gegenstand des Disziplinarausschusses aufgeführt gewesen und wurden auch im Folgenden entsprechend der Einigung in den Verfahren M 3 E 14.1343 und M 3 E 24.1393 nicht aufgegriffen.
4
Den Eltern des Antragstellers wurde nach Belehrung über ihre Rechte nach Art. 88 Abs. 3 BayEUG Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 15. März 2024 gegeben.
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Am 20. März 2024 fand die Sitzung des Disziplinarausschusses statt. Auf das Protokoll dieser Sitzung wird vollumfänglich Bezug genommen, insbesondere hinsichtlich der Details der Vorfälle, die Anlass der Ordnungsmaßnahme waren (Bl. 21-23 BA).
6
Mit Bescheid der Schule vom 15. April 2024 wurde gegenüber dem Antragsteller die Androhung der Entlassung ausgesprochen. Der dagegen am 1. Mai 2024 erhobene Widerspruch des Bevollmächtigten des Antragsstellers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 2024 zurückgewiesen.
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Am 23. Juli 2024 hat der Bevollmächtigte des Antragstellers Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München (Verfahren M 3 K 24.4399) erhoben. Gleichzeitig hat er beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Schule vom 15. April 2024 in Gestalt des Widerspruchsbescheids anzuordnen.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, es sei schon fraglich, ob der vom Antragsteller bestrittene Sachverhalt korrekt ermittelt wurde. Eine nachhaltige schulische Gefährdung liege nicht vor. Die Schule habe von vorrangigen milderen Maßnahmen – etwa des Unterrichtsausschlusses – keinen Gebrauch gemacht, sondern eine ultima ratio-Maßnahme am Ende des Katalogs des Art. 86 Abs. 2 BayEUG verhängt.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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Antragsablehnung.
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Es wird vorgetragen, die Schule sei von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Dieser stelle auch eine schulische Gefährdung dar und die Androhung der Entlassung von der Schule sei auch angesichts wiederholter Störungen des Unterrichts und Widersetzens gegen Anweisungen verschiedener Lehrkräfte verhältnismäßig.
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Wegen der weiteren Einzelheiten – insbesondere hinsichtlich der vorgeworfenen Vorfälle – wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Schule vom 15. April 2024 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Juni 2024 hinsichtlich der Androhung der Entlassung ist bereits mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig.
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Die aufgrund summarischer Prüfung ergehende Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO dient der Sicherung eines Rechts oder der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses; sie führt jedoch nicht zu einer rechtskräftigen Klärung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts. Eine verbindliche Entscheidung darüber kann nur in einem Hauptsacheverfahren herbeigeführt werden. Daher ergibt sich das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage nicht aus dem sinngemäß geltend gemachten Anliegen einer möglichst zeitnahen gerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Androhung der Entlassung, zumal die Anordnung der aufschiebenden Wirkung den Antragsteller auch nicht (wenigstens vorübergehend) vor dem Erlass der sofortigen Entlassung oder weiteren Ordnungsmaßnahmen bei einem schwerwiegenden künftigen Fehlverhalten schützen könnte, weil eine vorangegangene Androhung der Entlassung nicht zwingende Voraussetzung für eine Entlassung ist. Selbst die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen eine Androhung der Entlassung würde somit die Befugnis der Schule zum Erlass ggf. weiterer nachträglich erforderlich werdender Ordnungsmaßnahmen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache über die Androhung der Entlassung nicht suspendieren. Der Sinn und Zweck eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO besteht gerade nicht in einer vorläufigen Klärung der Frage, ob und in welchem Umfang eine Schülerin oder ein Schüler in Zukunft die Erfüllung der Aufgaben der Schule oder die Rechte anderer gefährden darf, ohne Gefahr zu laufen, von der Schule entlassen zu werden (vgl. zum Ganzen die stRspr. der Kammer, etwa: VG München, B.v. 2.2.2015 – M 3 S 14.3418 – juris Rn. 15).
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Das VG Ansbach (B.v. 21.7.2017 – AN 2 S 17.751 – BeckRS 2017, 126551 Rn. 28) geht zwar stillschweigend von einem zulässigen Antrag aus, trifft jedoch am Ende folgende Feststellungen: „Zum einen hat die Maßnahme der Androhung der Entlassung keinen unmittelbar vollziehbaren Inhalt, sondern entfaltet tatsächlich spürbare Konsequenzen für den Antragsteller erst bei einer Fortsetzung seines Verhaltens, weil ihm dann (schneller) die Entlassung aus der Schule droht. Ein ordnungsgemäßes schulisches Verhalten hat der Antragsteller aber ohnehin an den Tag zu legen und ein Bedürfnis, sich sofort – schon im Eilrechtschutz – eines „Sicherheitspolsters“ für weiteres Fehlverhalten zu versichern, kann nicht anerkannt werden.“
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Die Kammer verkennt nicht, dass Art. 88 Abs. 8 BayEUG vorsieht, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Ordnungs- und Sicherungsmaßnahmen nach den Art. 86 Abs. 2 BayEUG sowie Art. 87 BayEUG keine aufschiebende Wirkung haben und der Wortlaut somit die Statthaftigkeit einstweiligen Rechtsschutz auch im Fall der Androhung der Entlassung nahezulegen scheint. Es bestehen jedoch Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber sich bei der Einführung des Sofortvollzugs nach Art. 88 Abs. 8 BayEUG nicht bewusst war, dass sein Regelungsziel nicht bei allen Maßnahmen des Katalogs nach Art. 86 Abs. 2 BayEUG im systematischen Regelungskontext angezeigt ist und die Vorschrift deshalb teleologisch zu reduzieren ist.
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In der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 15/3612 S.12) wird diesbezüglich hinsichtlich des Grundes für die Änderung Folgendes angeführt: „Nach bisheriger Rechtslage haben Widerspruch und Klage gegen Ordnungsmaßnahmen im Sinn des Art. 86 BayEUG aufschiebende Wirkung. Damit ist die jeweilige Ordnungsmaßnahme nach Einlegung eines Rechtsbehelfs vorläufig nicht mehr vollziehbar. In der Praxis ergibt sich das Bedürfnis, Ordnungsmaßnahmen nicht erst nach Abschluss eines unter Umständen langwierigen Widerspruchs- oder Gerichtsverfahrens zu verwirklichen. Die theoretische Möglichkeit, die sofortige Vollziehbarkeit einer Ordnungsmaßnahme anzuordnen, ist mit Unsicherheiten behaftet, da im Schulbereich häufig nicht juristisch Vorgebildete einen solchen Sofortvollzug anordnen und begründen müssen und fehlerhafte Begründungen zur Aufhebung des Sofortvollzugs führen. Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage gegen Ordnungsmaßnahmen entspricht einem zwingenden praktischen Bedürfnis der Schulverwaltungspraxis“.
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Die Androhung der Entlassung stellt jedoch gerade keine Maßnahme dar, die einen unmittelbar vollziehbaren Inhalt hat oder in den Worten der Gesetzesbegründung einer „Verwirklichung“ bedarf. Damit unterscheidet sie sich signifikant beispielsweise von der Versetzung in die Parallelklasse, vom Ausschluss vom Unterricht und sonstigen Schulveranstaltungen sowie der Entlassung von der Schule (Art. 86 Abs. 2 Nr. 3-8 und Nr. 10 BayEUG). Auch erstreckt sich der Wortlaut des Art. 88 Abs. 8 BayEUG hinsichtlich der aufschiebenden Wirkung auch auf Art. 86 Abs. 2 Nr.1 und 2 BayEUG, also die beiden Formen des Verweises. Dabei handelt es sich jedoch nach einhelliger Auffassung bereits nicht um Verwaltungsakte, sodass insoweit der Hinweis auf die aufschiebende Wirkung einer bereits schon nicht statthaften Anfechtungsklage gänzlich ins Leere geht. Dass der Gesetzgeber dies bei der Regelung in Abkehr zur bisherigen Rechtsprechung regeln wollte, hat er gerade nicht deutlich gemacht. Dies zeigt, dass der Gesetzgeber bei der Regelung mit dem Ziel eines raschen Vollzugs der Ordnungsmaßnahmen unbewusst überschießend tätig geworden ist. Der Wortlaut widerspricht dem gesetzgeberischen Ziel. Ähnlich wie ein Verweis stellt auch die Androhung der Entlassung „nur“ die eindringliche Missbilligung des eine schulische Gefährdung darstellenden Verhaltens der Schülerin oder des Schülers dar. Diese Mahnung wirkt bereits ohne weiteren Vollzug und hat auch keine Abkehr oder Beschränkung von anderen Grundprinzipien des Schulrechts zur Folge, sondern erinnert an die Einhaltung der bereits aus den allgemeinen schulischen Rechtsgrundlagen resultierenden Pflichten einer jeden Schülerin und eines jeden Schülers. Dies stellt einen weiteren Unterschied etwa zum Unterrichtsausschluss dar, der sich gegenläufig zur grundsätzlich bestehenden Schulpflicht verhält.
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Der Antrag war daher bereits als unzulässig abzulehnen. Zur Klarstellung wird darauf hingewiesen, dass aus dieser Entscheidung – wie bereits oben dargestellt – keine Einschätzung über die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Ordnungsmaßnahme abgeleitet werden kann.
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Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.