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VG München, Urteil v. 23.04.2024 – M 1 K 20.3845
Titel:

Abbruchverpflichtung, Erledigung, Ersatzvornahme, Vollzug

Normenketten:
BayBO Art. 54 Abs. 4
BayVwVfG Art. 43 Abs. 2
Schlagworte:
Abbruchverpflichtung, Erledigung, Ersatzvornahme, Vollzug
Fundstelle:
BeckRS 2024, 20764

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten über eine der Klägerin gegenüber verfügte Anordnung des Abbruchs eines Gebäudeteils.
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Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 15 Gem. …, das mit einem Gebäude bebaut ist. Der östliche Teil des Gebäudes ist für Wohnnutzung vorgesehen, im westseitigen Bereich befindet sich ein alter Wirtschaftsteil. Der Wirtschaftsteil besteht weitestgehend aus einer auf Beton befindlichen Holzkonstruktion; im rückwärtigen Bereich wurde ein Anbau aus Beton errichtet.
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Bereits 2014 teilte das Landratsamt der Klägerin mit, dass aufgrund einer Ortseinsicht festgestellt worden war, dass sich das gesamte Gebäude äußerlich zum Teil in einem schlechten Zustand befinde. Die Klägerin wurde aufgefordert, umgehend Sicherungsmaßnahmen zu treffen.
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Im Jahr 2016 fanden erneut Ortseinsichten statt. Weitere Schäden wurden festgestellt und aufgezählt; es wurde festgestellt, dass die geforderten Maßnahmen nicht ausgeführt worden seien.
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Unter dem 21. Februar 2018 fand erneut eine Ortseinsicht statt. Im Vergleich zu den vorherigen Ortseinsichten hätten sich keine wesentlichen Änderungen ergeben, auf die geforderten Absperrungsmaßnahmen sei nicht reagiert worden. Es bestehe weiterhin Gefahr für Leib und Leben durch herabstürzende Gebäudeteile. Mit Bescheid vom 20. März 2018 verpflichtete das Landratsamt die Klägerin, das Hauptgebäude gegen unbefugtes Betreten abzusichern.
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Nach weiteren Ortseinsichten und erfolglosen Zwangsgeldfälligstellungen und weiteren -androhungen verpflichtete das Landratsamt die Klägerin mit Bescheid vom 11. Februar 2019, unverzüglich eine näher bezeichnete Absperrung zu errichten. Im Rahmen einer Ortseinsicht am 11. März 2019 wurde festgestellt, dass die geforderten Absperrungsmaßnahmen am Hauptgebäude FlNr. 15 Gem. … im Wege der Ersatzvornahme durch einen Unternehmer ausgeführt worden waren.
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Bei einer Ortseinsicht am 2. Juli 2020 stellte das Landratsamt weitere Gebäudeschäden am Haus fest. Der Verfall des Gebäudes sei weiter fortgeschritten.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 7. Juli 2020, der Klägerin zugestellt am 17. Juli 2020, verpflichtete das Landratsamt die Klägerin dazu, unverzüglich, jedoch spätestens acht Wochen nach Zustellung des Bescheids, den Wirtschaftsteil des westseitigen Gebäudes mit der Hausnummer 20 auf FlNr. … gem. den Roteintragungen im beiliegenden Luftbild abzubrechen (Nr. 1) und drohte die Ersatzvornahme an (Nr. 2). Die Kosten für die Ersatzvornahme wurden auf 31.855,23 EUR veranschlagt (Nr. 3), die sofortige Vollziehbarkeit der Nr. 1 des Bescheids angeordnet (Nr. 4). Die Anordnung erfolge gem. Art. 54 Abs. 4 BayBO. Aufgrund der festgestellten Einsturzgefahr bestehe eine begründete Gefahr für Leben und Gesundheit durch herabstürzende Bauteile bzw. den Einsturz des Gebäudes. Sie sei in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens erfolgt. De Anordnung sei für die Einhaltung der Anforderungen aus Art. 3 Abs. 1 BayBO geeignet, erforderlich und stehe zum erwartenden Erfolg nicht außer Verhältnis. Mildere Mittel seien nicht ersichtlich. Die aufgestellten Bauzäune könnten teilweise vor herabfallenden Bauteilen schützen. Da sich das Gebäude jedoch unmittelbar an der Straße befinde und sich dort regelmäßig Personen an einer Bushaltestelle aufhielten, könne die Sicherung aufgrund des fortgeschrittenen Verfalls als nicht mehr ausreichend betrachtet werden.
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Mit am 14. August 2020 bei Gericht eingegangenem Schreiben hat die Klägerin zunächst „Widerspruch“ gegen den Bescheid erhoben. Sie sei 74 Jahre alt und lebe allein. Seit fast fünf Jahren sei sie schwer krank. Es bestehe kein Grund, das Gebäude abzureißen. Sie lasse ein neues Dach machen. Mit Schreiben vom 20. August 2020 erklärte die Klägerin, dass sie gegen den Bescheid Klage erheben wolle.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das Landratsamt habe die Teilabbruchverfügung in zulässiger Weise auf Grundlage von Art. 54 Abs. 4 BayBO erlassen. Mit Blick auf den baulichen Zustand des betreffenden Gebäudeteils und den damit verbundenen Gefahren insbesondere für die körperliche Integrität der Klägerin und unbeteiligter Dritter bestehe keinerlei Zweifel an der Notwendigkeit der Maßnahme.
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Mit Bescheid vom 27. November 2020 untersagte der Beklagte der Klägerin sofort vollziehbar die Wohnnutzung in dem bestehenden Gebäude auf dem Grundstück FlNr. 15 Gem. … ab 9. Dezember 2020. In diesem Bescheid wird Bezug genommen auf ein Gutachten eines Statikers vom 26. November 2020, wonach die bestehende Gefahr für den öffentlichen Raum entlang des Wirtschaftsteils des Gebäudes nur behoben werden könne, indem die Holztragkonstruktion des Wirtschaftsteils abgebrochen werde. Nach den Ausführungen des Statikers könne nach einem Abbruch der Holzkonstruktion davon ausgegangen werden, dass eine ausreichende Standsicherheit der Mauerwerkswände ohne weitere Maßnahmen gegeben sei.
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Mit Schreiben vom selben Tag teilte das Landratsamt der Klägerin mit, dass die sofortige Vollziehung der Abbruchverpflichtung angeordnet worden war und lediglich Anfechtungsklage erhoben worden sei, welche keine aufschiebende Wirkung habe. Die Ersatzvornahme könne deshalb trotzdem durchgeführt werden. Es werde mitgeteilt, dass am 15. und 16. Dezember 2020 ein Bauunternehmen die einsturzgefährdeten Gebäudeteile, insbesondere die westseitige Holzwand und die Dachkonstruktion entfernen werde.
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In der Folge wurde im Dezember 2020 die Holzkonstruktion des Wirtschaftsteils im Wege der Ersatzvornahme durch das Landratsamt abgebrochen. Unter dem 11. Mai 2021 erhielt die Klägerin die diesbezügliche Kostenrechnung.
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Am 23. April 2024 fand die mündliche Verhandlung statt, zu der von Klagepartei niemand erschien. Der Beklagtenvertreter erklärte die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids, soweit die Verpflichtung zum Abbruch des Wirtschaftsteils nicht vollzogen worden ist.
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Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Niederschrift, wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
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Über den Rechtsstreit konnte trotz Ausbleibens der Klagepartei aufgrund der mündlichen Verhandlung entschieden werden, weil sie in der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Falle des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
II.
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Die Klage hat keinen Erfolg, weil sie unzulässig ist.
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Der Klägerin fehlt es im entscheidungserheblichen Zeitpunkt am Rechtschutzbedürfnis für eine Sachentscheidung über die Abbruchverpflichtung, weil sich der angefochtene Verwaltungsakt sowohl in Nr. 1 (1.) als auch in Nr. 2 (2.) erledigt hat.
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1. Im Hinblick auf Nr. 1 des Bescheids, wonach die Klägerin zum Abbruch des Wirtschaftsteils des westseitigen Gebäudes verpflichtet wurde, ist Erledigung durch Vollzug (a)) bzw. Aufhebung der Verpflichtung (b)) eingetreten.
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a) Soweit die Holzkonstruktion des Wirtschaftsteils Gegenstand der Abbruchverpflichtung war, hat sich die diesbezügliche Verpflichtung durch Vollzug der Ersatzvornahme auf andere Weise, Art. 43 Abs. 2 Alt. 5 BayVwVfG, erledigt. Der Beklagte hat den Abbruch ausweislich der vorgelegten Behördenakten insoweit im Dezember 2020 vorgenommen und die Klägerin zur Begleichung der entstandenen Kosten aufgefordert. Eine Rückgängigmachung der Vollziehung kommt nicht in Betracht.
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b) Soweit auch der Betonunter- bzw. anbau des Wirtschaftsteils Gegenstand der Abbruchverpflichtung war, ist ebenfalls Erledigung eingetreten. Der Beklagtenvertreter erklärte in der mündlichen Verhandlung diesbezüglich die „Aufhebung“ des Bescheids. Auch im Hinblick darauf ist folglich Erledigung eingetreten, Art. 43 Abs. 2 Alt. 1 BayVwVfG.
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2. Die Anordnung in Nr. 2 des Bescheids hat sich ebenfalls mit ihrem Vollzug erledigt. Mit der Durchführung der angedrohten Ersatzvornahme wurde die Verpflichtung der Klägerin zum Abbruch erfüllt (Art. 37 Abs. 1 Satz 1 VwZVG). Die Zwangsvollstreckung ist damit abgeschlossen, die Aufhebung der Androhung der Ersatzvornahme kann der Klägerin keinen Vorteil mehr bringen.
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3. Demnach ist insgesamt Erledigung der im streitgegenständlichen Bescheid verfügten Verpflichtungen eingetreten. Mangels Abgabe einer verfahrensbeenden Erklärung durch die Klagepartei war das Verfahren dennoch nicht in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen, sondern über die erhobene Anfechtungsklage zu entscheiden. Eine Klageänderung in eine Fortsetzungsfeststellungsklage hat ebensowenig stattgefunden, die Klage war folglich abzuweisen.
III.
26
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
IV.
27
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.