Titel:
Zulässige Vollstreckung einer ungarischen Freiheitsstrafe
Normenketten:
IRG § 49, § 55 Abs. 2 S. 1, § 73 S. 2, § 84a, § 84b Abs. 1, § 84g Abs. 3 S. 3
StGB § 19, § 20
EMRK Art. 6
Leitsatz:
Deutsche Stellen haben als Ausnahme vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung die Grundrechtskonformität einer ausländischen Maßnahme selbst zu prüfen, insbesondere wenn bei der Strafrechtspflege in einem Mitgliedstaat strukturelle Unzulänglichkeiten bestehen, bei Erledigung des Ersuchens neue Umstände eintreten oder offensichtliche und schwerwiegende Fehler im Einzelfall passiert sind (hier verneint für geltend gemachte Verstöße gegen Art. 6 EMRK und gegen das Schuldprinzip bei Verurteilung in Ungarn). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vollstreckung, Freiheitsstrafe, Ungarn, Schuldunfähigkeit, Folter
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 19.12.2023 – II StVK 1122/22
Rechtsmittelinstanzen:
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 06.08.2024 – 2 BvR 920/24
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 22.01.2025 – 2 BvR 920/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 20711
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth – Kleine Strafvollstreckungskammer – vom 19.12.2023 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass das Urteil des Bezirksgerichts Sopron vom 23.11.2021 (Az. B.270/20215) nicht am 23.11.2021, sondern am 26.11.2021 rechtskräftig geworden ist.
2. Der Verurteilte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe
1
Der Beschwerdeführer wurde am 23.11.2021 in Ungarn durch das Amtsgericht Sopron (Az. B.270/2021/5) wegen Menschenschmuggels nach § 353 Abs. 1, Abs. 2 b) des ungarischen Strafgesetzbuchs zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Es wurde festgelegt, dass der Beschuldigte am folgenden Tag nach dem Abbüßen von 2/3 (Zweidrittel) Teilen der Strafe auf freien Fuß zu setzen ist. Das Urteil wurde am 26.11.2021 rechtskräftig (vgl. Klausel auf S. 3 des Urteils, Bl. 40, 43, 132, 135 d.A.).
2
Mit Bescheid vom 19.08.2022 hat die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg die Auslieferung des Verurteilten nach Ungarn zur Strafvollstreckung aufgrund der vorgenannten Verurteilung, die Gegenstand des Europäischen Haftbefehls des Gerichtshofs Györ vom 05.05.2022 (Az. Szv.1119/2021) war, abgelehnt, da der Verurteilte deutscher Staatsangehöriger ist und der Auslieferung nicht zugestimmt hat.
3
Mit Schreiben vom 26.10.2022 haben die ungarischen Behörden um Übernahme der Vollstreckung ersucht und eine Bescheinigung nach dem Formblatt im Anhang I des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI des Rates vom 27.11.2008 (Rahmenbeschluss Freiheitsstrafen) nebst Urteilsabschrift vorgelegt.
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Mit Schreiben vom 21.02.2023 nahm der Verteidiger Rechtsanwalt Dr. R. Stellung. Der Verurteilte sei nicht haftfähig. Das Verfahren in Ungarn habe nach der aktenkundigen Darstellung des Verurteilten nicht den Vorgaben der EMRK entsprochen, das ungarische Gericht sei auch der Frage nicht nachgegangen, ob der Verurteilte bei Tatbegehung schuldfähig gewesen sei. Da das ungarische Urteil bereits im Tenor die Entlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe vorsehe, dürfe keine höhere Strafe als zwei Drittel der in Ungarn ausgeurteilten Strafe festgesetzt werden.
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Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth fragte bei den ungarischen Behörden im Rechtshilfeweg an, ob der Verurteilte gemäß Art. 6 Abs. 3 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte (EMRK) in einer ihm verständlichen Sprache über Art und Umfang der gegen ihn erhobenen Beschuldigung unterrichtet wurde, ausreichend Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung hatte, sich selbst oder durch einen Verteidiger verteidigen konnte und ausreichend unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher hatte sowie ob Einverständnis mit einer Kürzung der Freiheitsstrafe auf zwei Jahre bestehen würde. Dazu nahm der Gerichtshof in Györ mit Schreiben vom 07.06.2023 Stellung.
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Mit Schreiben vom 03.10.2023 übersandte das ungarische Justizministerium nochmals das Urteil mit deutscher Übersetzung.
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Mit Schreiben vom 23.10.2023 beantragte die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, die Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Sopron vom 23.11.2021 für in der Bundesrepublik Deutschland vollstreckbar zu erklären und in eine Freiheitsstrafe nach deutschem Recht umzuwandeln sowie zu beschließen, dass auf die festzusetzende Sanktion der Teil der Sanktion, der in Ungarn bereits vollstreckt worden ist, anzurechnen ist.
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Der Verteidiger Rechtsanwalt Dr. R. nahm mit Schriftsatz vom 20.11.2023, die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth hierauf mit Verfügung vom 01.12.2023 Stellung.
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Mit Beschluss vom 19.12.2023 hat das Landgericht Nürnberg-Fürth – Kleine Strafvollstreckungskammer – die Vollstreckung aus dem rechtskräftigen Urteil des Bezirksgerichts Sopron vom 23.11.2021, Az. B.270/2021/5., rechtskräftig seit 23.11.2021, für zulässig erklärt, eine Freiheitsstrafe von drei Jahren festgesetzt und angeordnet, dass auf die Freiheitsstrafe von drei Jahren bereits in Ungarn gegen den Verurteilten vollzogene Untersuchungshaft von zwei Tagen anzurechnen ist.
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Gegen den dem Verurteilten am 12.01.2024, seinem Verteidiger Rechtsanwalt K. am 09.01.2024 sowie seinem Verteidiger Dr. R. am 12.01.2024 ohne Rechtsmittelbelehrungund dem Verurteilten erneut am 18.01.2024 mit Rechtsmittelbelehrungzugestellten Beschluss vom 19.12.2023 hat der Verteidiger Dr. R. mit Schreiben vom 18.01.2024, eingegangen beim Landgericht Nürnberg-Fürth am 19.01.2024 sofortige Beschwerde eingelegt. Er trägt vor, der Beschluss sei nicht tragfähig begründet. Das Landgericht habe sich mit den Einwendungen des Verfolgten nicht ausreichend auseinandergesetzt und die Aufklärung des Sachverhalts unvollendet abgebrochen. Im ungarischen Verfahren könne ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK positiv festgestellt werden. Außerdem werde ein Sachverständigengutachten ergeben, dass der Verurteilte jetzt und auf absehbare Zeit nicht haftfähig sei.
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Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt in ihrer Stellungnahme vom 25.01.2024, die sofortige Beschwerde als unbegründet kostenfällig zu verwerfen.
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Der Verteidiger Dr. R. nahm mit Schriftsatz vom 05.02.2023 Stellung.
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Der Senat hat mit Verfügung vom 12.02.2024 die Generalstaatsanwaltschaft gebeten, festzustellen, ob sich aus einem möglicherweise eingeleiteten Strafverfahren weitere Erkenntnisse zu den vom Verurteilten gegen die ungarischen Behörden erhobenen Vorwürfe betreffend seine Behandlung ergeben, anderenfalls eine ergänzende Stellungnahme der ungarischen Behörden einzuholen. Die Leitende Oberstaatsanwältin in Nürnberg-Fürth teilte mit Schreiben vom 21.02.2024 mit, dass keine Ermittlungsverfahren bezüglich Misshandlungen des Verurteilten im ungarischen Strafvollzug anhängig sind oder waren, und erbat mit Schreiben vom 08.03.2024 bei den ungarischen Behörden eine ergänzende Stellungnahme.
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Mit Schriftsatz vom 02.04.2024 legte der Verteidiger Dr. R. ein im Betreuungsverfahren vor dem Amtsgericht Nürnberg erstelltes Gutachten vom 14.04.2023 vor und machte geltend, dass sich der Verurteilte vor dem Kreisgericht in Sopron/Ungarn im Zustand der Schuldunfähigkeit im Sinne des § 20 StGB befunden habe und er auch im Zeitpunkt der Tat vom 20.11.2021 schuldunfähig gewesen sei.
15
Das Justizministerium von Ungarn beantwortete die Nachfrage der Leitenden Oberstaatsanwältin in Nürnberg-Fürth mit Schreiben vom 29.04.2024.
16
Die Verteidiger hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Rechtsanwalt Dr. R. nahm mit Schreiben vom 28.05.2024 Stellung.
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Die sofortige Beschwerde ist nach §§ 84g Abs. 3 S. 3, 55 Abs. 2 S. 1 IRG statthaft und auch zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2, 37 Abs. 2 StPO). Sie bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts Nürnberg-Fürth ist in der Sache nicht zu beanstanden. Es ist lediglich eine offensichtliche Unrichtigkeit im Hinblick auf den Eintritt der Rechtskraft des ungarischen Urteils zu korrigieren.
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1. Die Vollstreckung ausländischer Erkenntnisse über freiheitsentziehende Sanktionen in der Bundesrepublik Deutschland richtet sich im Bereich des hier in Rede stehenden Vollstreckungshilfeverkehrs mit einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nach §§ 84 ff IRG, durch die der Rahmenbeschluss 2008/909/JI des Rates vom 27.11.2008 (Rahmenbeschluss Freiheitsstrafen, Abl. L 327 vom 05.12.2008, S. 27) in der Fassung des Rahmenbeschlusses 2009/299/JI des Rates vom 26.02.2009 (ABl. L 81 vom 27.03.2009, S. 24) umgesetzt worden ist.
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2. Die Vollstreckung des Urteils des Bezirksgerichts Sopron vom 23.11.2021 in der Bundesrepublik Deutschland ist zulässig.
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a) Das Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 84a IRG hat die Strafvollstreckungskammer zu Recht angenommen. Hierzu wird auf die Ausführungen unter Ziffern III. 1 bis 3 des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.
21
b) Auch liegen keine Zulässigkeitshindernisse nach § 84b Abs. 1 IRG vor, wie die Strafvollstreckungskammer in den ersten beiden Absätzen unter Ziffer III. 4 ihrer Entscheidung zutreffend dargelegt hat.
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Insbesondere hat die Strafvollstreckungskammer dabei zu Recht darauf hingewiesen, dass nur die Schuldunfähigkeit wegen Strafunmündigkeit nach § 19 StGB ein Zulässigkeitshindernis nach § 84b Abs. 1 Nr. 1 IRG darstellt. Zuzustimmen ist der Strafvollstreckungskammer und der Generalstaatsanwaltschaft auch dahingehend, dass § 49 IRG vorliegend nicht heranzuziehen ist, da die Vorschriften zu den formellen und materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Rechtshilfe durch Vollstreckung in den §§ 48 ff IRG nach § 84 Abs. 2 Nr. 1 IRG durch die Sonderregelungen der §§ 84 ff IRG verdrängt werden. Dies wird auch aus der Gesetzesbegründung zu §§ 84 ff IRG BT Drs. 18/4347 S. 106ff) deutlich, welche für die §§ 84a und 84b IRG insbesondere auch die Übereinstimmungen und Abweichungen zu § 49 IRG darlegt und zu § 84a Abs. 1 IRG ausführt, dass die Voraussetzungen modifizierend an die Stelle der Voraussetzungen des § 49 IRG treten (BT Drs. 18/4347 S. 107). Das entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelungen zum Vollstreckungsübernahmeverfahren im Vollstreckungshilfeverkehr mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, das, wie in dem Rahmenbeschluss Freiheitsstrafen und dem dahinter stehenden Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung vorgesehen, auf einfache und schnelle Abläufe ausgerichtet ist (Hackner in Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl. 2020, vor § 84 Rn. 17).
23
c) Die notwendigen Unterlagen nach § 84c IRG liegen vor.
24
d) Es gibt keine Anhaltspunkte, dass die Staatsanwaltschaft, ihr Ermessen, Bewilligungshindernisse nach § 84d Nr. 1 bis 6 IRG geltend zu machen, nicht fehlerfrei ausgeübt hat, § 84g Abs. 3 IRG.
e) § 73 S. 2 IRG steht der Vollstreckungsübernahme nicht entgegen.
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aa) Nach § 73 S. 2 IRG ist die Leistung von Vollstreckungshilfe nach §§ 84 ff IRG unzulässig, wenn die Erledigung zu den in Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Grundsätzen (Rechte, Freiheiten und Grundsätze in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union) in Widerspruch stünde. Seinen wichtigsten praktischen Anwendungsbereich hat § 73 S. 2 IRG zwar bei Auslieferungen auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls. Die Vorschrift erfasst aber allgemein sämtliche Fälle, in denen auf der Grundlage des Achten, Neunten und Zehnten Teils des IRG – das heißt in Umsetzung von EU-Rahmenbeschlüssen und Richtlinien – Rechtshilfe geleistet wird, also zum Beispiel auch für die Vollstreckungsübernahme (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 31.1.2017 – 1 Ws 235/16, juris Rn. 19; Schomburg/Lagodny/Gleß/Wahl/Zimmermann, 6. Aufl. 2020, IRG § 73 Rn. 108). Es sind, wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend ausgeführt hat, verschiedene Konstellationen denkbar, in denen deutsche Stellen als Ausnahme vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung die Grundrechtskonformität der Maßnahme selbst zu prüfen haben. Dies sind insbesondere strukturelle Unzulänglichkeiten bei der Strafrechtspflege in einem Mitgliedstaat, bei Erledigung des Ersuchens neu eintretende Umstände oder offensichtliche und schwerwiegende Fehler im Einzelfall (Schomburg/Lagodny/Gleß/Wahl/Zimmermann, 6. Aufl. 2020, IRG § 73 Rn. 139-156). Insoweit verfügt der ersuchende Staat über die größere Sachnähe. Ihm steht deshalb eine Einschätzungsprärogative zu. Primär trägt deshalb er die Verantwortung dafür, dass zum Beispiel der Erlass eines Europäischen Haftbefehls den europäischen Grundrechtsgarantien genügt. Besonders schwere Fehler aus dem Verantwortungsbereich des ersuchenden Staats schlagen jedoch auf den Akt der Vollstreckung durch und machen diesen selbst grundrechtswidrig. Hiervor darf der ersuchte Staat nicht die Augen verschließen, wenn er dem Ersuchen nachkommt, weil er dabei Unionsrecht durchführt und deshalb gemäß Art. 51 Abs. 1 EUGrCh direkt an die europäischen Grundrechte gebunden ist (Schomburg/Lagodny/Gleß/Wahl/Zimmermann, 6. Aufl. 2020, IRG § 73 Rn. 146, 147).
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bb) Vorliegend stehen keine systemischen Defizite der ungarischen Strafrechtspflege oder erst im Rahmen der Erledigung des Ersuchens neu eintretende Umstände in Rede. Auch offensichtliche und schwerwiegende Fehler im Einzelfall sind nicht festgestellt. Soweit der Verurteilte seine Behandlung im Strafverfahren bemängelt und Misshandlung und entwürdigende Behandlung durch die Polizei und in der Untersuchungshaft sowie eine Verletzung seiner Rechte im Strafverfahren behauptet, haben sich diese Behauptungen nicht objektivierbar erhärten lassen oder gar bestätigt. Die in die in der Akte enthaltene E-Mail des Verurteilten vom 15.09.2022 eingefügten Bilder von behaupteten Brandwunden und Verletzungen an Händen beziehungsweise Armen sind dabei nicht zu einer Bestätigung der erhobenen Vorwürfe geeignet. Sie dokumentieren Verletzungen, nicht aber den behaupteten Tathergang und lassen weder Aufnahmedatum noch die konkret betroffene Person erkennen. Die in der ersten Anfrage gestellten Fragen der Staatsanwaltschaft, die mit der Stellungnahme des Gerichtshofs in Györ vom 07.06.2023 beantwortet werden, beziehen sich auf die Wahrung der Verfahrensrechte, nicht auf die in der Anfrage der Staatsanwaltschaft zusammengefassten, vom Verurteilten behaupteten Misshandlungen. Gefragt wurde konkret, ob der Verurteilte gemäß Art. 6 Abs. 3 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte in einer ihm verständlichen Sprache über Art und Umgang der gegen ihn erhobenen Beschuldigung unterrichtet wurde, ausreichend Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung hatte sich selbst oder durch einen Verteidiger verteidigen konnte und ausreichend unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher hatte. In der Antwort der ungarischen Behörden wurde die Wahrung dieser Verfahrensrechte des Verurteilten bestätigt. Mitgeteilt wurde, dass der Verurteilte in einer ihm verständlichen Sprache über den Tatvorwurf informiert wurde und während der Ermittlungen vorab von der Polizei über die Straftat informiert wurde. Vor Gericht habe er gesagt, er habe verstanden, was ihm vorgeworfen werde und fühle sich verantwortlich. Während der Gerichtsverhandlung sei sein Verteidiger die ganze Zeit anwesend gewesen und er habe Gelegenheit gehabt, sich mit ihm zu beraten. Bei der Gerichtsverhandlung sei ein Dolmetscher anwesend gewesen, dessen Honorar vom ungarischen Staat übernommen worden sei. In der Antwort der ungarischen Behörden auf die ergänzende Nachfrage der Leitenden Oberstaatsanwältin in Nürnberg-Fürth wird mitgeteilt, dass der Verurteilte nach seiner Festnahme in unmittelbarer Nähe der ungarisch-österreichischen Grenze am 22.11.2021 um 0:01 Uhr von 5:33 Uhr bis 5:50 Uhr im Beisein eines Verteidigers und eines deutschsprachigen Dolmetschers in Györ als Tatverdächtiger vernommen worden sei. Er habe mitgeteilt, dass er Schwierigkeiten mit der ungarischen Sprache habe, die Identität des Dolmetschers und Verteidigers akzeptiert und dann aber wegen Müdigkeit nicht ausgesagt. Während des Prozesses am 23.11.2021, der im Beisein desselben Verteidigers und Dolmetschers stattgefunden habe, habe der Verurteilte seine Schuld zugegeben und nicht dieselben Aussagen wie vor den deutschen Behörden im Prozess gemacht. Daraus ergibt sich, dass der Verurteilte offenbar im Rahmen der Gerichtsverhandlung in Ungarn die nunmehr behauptete Misshandlung und Folter während der Haft trotz Anwesenheit eines Verteidigers und der Möglichkeit, sich mit Hilfe des deutschsprachigen Dolmetschers zu verständigen, nicht vorgebracht hat, eine solche Behandlung daher vom ungarischen Gericht weder festgestellt wurde noch bestätigt werden kann.
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3. Die Festsetzung einer Freiheitsstrafe von drei Jahren durch die Strafvollstreckungskammer ist nicht zu beanstanden. Für die Höhe der umgewandelten Sanktion ist nach § 84g Abs. 5 S. 2 IRG das ausländische Erkenntnis maßgebend. Die bereits in Ungarn erlittene Untersuchungshaft war gemäß § 84g Abs. 3 S. 2, 54 Abs. 4 IRG anzurechnen. Die Strafe musste auch nicht auf zwei Jahre reduziert werden, da die Festsetzung der Entlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe im ungarischen Urteil nichts daran ändert, dass eine Freiheitsstrafe von drei Jahren verhängt wurde und auch nach deutschem Recht eine Reststrafenaussetzung zur Bewährung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe möglich ist. Die insoweit maßgeblichen Regelungen des Strafgesetzbuchs gelten nach § 84k Abs. 1 S. 1 und 2 IRG entsprechend.
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Für die Vollstreckung ist auf § 84k Abs. 1 S. 3 IRG hinzuweisen, wonach die Entscheidung über eine Aussetzung zur Bewährung bereits zu dem Zeitpunkt zu treffen ist, zu dem die verurteilte Person bei einer fortwährenden Vollstreckung in dem anderen Mitgliedstaat nach dessen Recht einen Anspruch auf Prüfung der Aussetzung zur Bewährung hätte. Die Aussetzungsentscheidung hat das ungarische Gericht vorliegend bereits in seinem Urteil getroffen. Bei der Entscheidung zur Reststrafenaussetzung wird auch die im ungarischen Urteil bereits getroffene Entscheidung für eine vorzeitige Entlassung zu berücksichtigen und in die zu treffende Abwägung maßgeblich mit einzubeziehen sein.
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4. Die Frage der Haftfähigkeit ist im Verfahren über die Zulässigkeit der Vollstreckungsübernahme nicht zu prüfen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 84 Abs. 2 Nr. 1, 77 Abs. 1 IRG i.V.m. § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.