Inhalt

VG München, Beschluss v. 07.02.2024 – M 18 S 24.356
Titel:

Erfolgreicher Eilantrag gegen Aufhebung der Erlaubnis zur Kindertagespflege mangels Anhörung und hinreichender Amtsermittlung

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
SGB VIII § 43, § 45 Abs. 4 S. 2
SGB X § 20, § 25 Abs. 1, § 48
GG Art. 12 Abs. 1
Leitsätze:
1. Eine ordnungsgemäße Anhörung setzt voraus, dass für den Betroffenen erkennbar wird, aufgrund welcher Tatsachen die Behörde welchen Verwaltungsakt konkret beabsichtigt; eine erneute Anhörung ist geboten, wenn nach dem Anhörungsschreiben neue und für die Entscheidung erhebliche Tatsachen bekannt wurden, auf die sich die Behörde auch gestützt hat. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch der bei Kindeswohlgefährdungen Anwendung findende Grundsatz „in dubio pro infante“ entbindet das Jugendamt nicht von der Obliegenheit, bei Zweifeln an der Eignung der Tagesmutter den Sachverhalt durch eigene Ermittlungen so weit wie möglich zu klären und auf der Grundlage von Tatsachen zu einer – positiven oder negativen – Einschätzung ihrer Eignung zu gelangen (hier: nicht tragfähige Annahme, dass eine Gewaltanwendung am Kind nur durch die Tagesmutter erfolgt sein könne). (Rn. 61) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorläufiger Rechtsschutz (Stattgabe), Erlaubnis zur Kindertagespflege, Aufhebung, Eignung der Tagespflegeperson, Verdacht der Gewalteinwirkung, Amtsermittlung, Erlaubnis, Kindestagespflege, Eignung, Gewalt, Verdacht, Anhörung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 2061

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt, soweit es übereinstimmend für erledigt erklärt wurde (Ziffer 2 des Bescheids vom 22. Dezember 2023).
II. Im Übrigen wird die aufschiebende Wirkung der am 23. Januar 2024 erhobenen Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 22. Dezember 2023 (M 18 K 24.355) hinsichtlich Ziffer 1 des Bescheids wiederhergestellt.
III. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 22. Dezember 2023, mit dem ihre Erlaubnis zur Kindertagespflege mit sofortiger Wirkung aufgehoben wurde (Ziffer 1).
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Die 1972 geborene Antragstellerin ist seit 2002 als Tagesbetreuungsperson im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin tätig.
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Zuletzt mit Bescheid vom 22. Juli 2021 erteilte ihr die Antragsgegnerin die Erlaubnis zur Tagespflege zum 4. August 2021 bis zum 3. August 2026 für fünf gleichzeitig anwesende fremde Kinder im Alter von null bis vier Jahren.
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Seit September 2022 betreute die Antragstellerin neben vier weiteren Kindern das am... 2021 geborene Kind L.
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Am 11. September 2023 wandte sich die Mutter von L. an die Antragsgegnerin mit der Bitte, ihr einen neuen Betreuungsplatz für L. zu vermitteln, da sie den Vertrag mit der Antragstellerin kündigen möchte. Sie sei mit der Betreuung aufgrund mehrerer Vorfälle unzufrieden. L. habe bereits mehrere Verletzungen in der Tagespflege erfahren, zuletzt am 4. September 2023. In weiteren Telefonaten und einem Schreiben der Kindsmutter vom 20. September 2023 führte diese – neben weiteren Vorwürfen gegenüber der Tagesmutter – aus, dass sie bei der Abholung am ersten Betreuungstag nach einem dreiwöchigen Urlaub L. wimmernd am Boden sitzend angetroffen habe. Die Antragstellerin habe ihr berichtet, L. sei kurz davor vermutlich auf dem „Pikler-Dreieck“ gestürzt. Sie habe L. getröstet und die Verletzung als nicht so schlimm eingeschätzt. L. habe sich an das Bein der Kindsmutter gedrückt und nachdem sie ihn auf den Arm genommen habe, gleich an sie geschmiegt. Erst draußen, als L. im Kinderwagen gesessen sei, habe sie die Verletzung richtig betrachten können. Die erwachsene Tochter der Tagesmutter sei hinzugekommen und habe gemeint, dass „jetzt wohl L. dran sei. Ihre Tochter [Ergänzung des Gerichts: welche ebenfalls von der Antragstellerin betreut wird] sei auch sehr tollpatschig und verletze sich.“ Nachdem sie bei ihrem Kinderarzt keinen Termin erhalten habe, habe sie am Folgetag nach der Betreuungszeit L. in der Kinderklinik H. untersuchen lassen. In dem vorgelegten Durchgangsbericht des behandelnden Arztes wird eine „Rötung auf der rechten Gesichtshälfte mit Abdruck der Brille retroaurikulär sowie am unteren Augenlid und temporal. zusätzlich auslaufendes Hämatom; keine Wunde, keine Schwellung, knöcherner Schädel fest“ als Befund festgehalten. Zudem übermittelte die Kindsmutter der Antragsgegnerin von ihr am 4. und 5. September 2023 aufgenommene Fotografien ihres Sohnes L. Sie teilte mit, dass L. aktuell bei den Großeltern und dem Kindsvater in Thüringen sei. Dort besuche er mit einem Gastantrag eine Kindertageseinrichtung. Eine Aussprache zwischen der Antragstellerin und ihr verweigert die Kindsmutter mehrfach gegenüber der Antragsgegnerin.
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Die Kindsmutter kündigte den Betreuungsvertrag ohne Nennung von Gründen mit der Antragstellerin am 20. September 2023, welche die Antragstellerin zum 30. September 2023 bestätigte. Die Antragstellerin wandte sich auf Grund der Kündigung umgehend an die Antragsgegnerin und teilte ihr Erstaunen über die grundlose Kündigung mit.
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Am 25. September 2023 nahm der Kinderarzt Dr. W. Kontakt mit der Antragsgegnerin auf und schilderte in einem Telefonat am 27. September 2023, dass er L. seit Geburt betreue. Die Kindesmutter habe am 4. September 2023 bei ihm angerufen, da kein Termin möglich gewesen sei, habe sie sich an die Kinderklinik gewandt. Am 25. September 2023 sei sie dann bei ihm gewesen und habe ihm die Aufnahmen von den von L. gezeigt. Den Fotos nach zu urteilen, würde er sagen, dass es sich bei den streifigen Verletzungsspuren im Gesicht eher um einen Handabdruck handle, der ihm Anlass zur Sorge gebe. Er empfehle eine Begutachtung der Fotos durch die Rechtsmedizin.
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Am 26. September 2023 fand ein Gespräch zwischen der Antragstellerin und Mitarbeiterinnen der Antragsgegnerin statt. Ausweislich eines Aktenvermerks der Antragsgegnerin hierüber vermutete die Antragstellerin, dass die Kindesmutter wegen des Vorfalls am 4. September 2023 gekündigt habe. Passiert sei der Unfall ca. drei Minuten vor der Abholung. Sie sei mit dem Aufräumen der Spielsachen im Spielzimmer beschäftigt gewesen, als sie L.s Weinen aus dem Spielflur, der vom Spielzimmer einsehbar sei, gehört habe. Sie sei sofort zu ihm gegangen, um zu klären was passiert sei und habe festgestellt, dass er rote Stellen im Gesicht gehabt habe. Sie habe vermutet, dass er sich diese beim Sturz auf der Holzrutsche („Pikler-Dreieck“) zugezogen habe. Sie habe L. getröstet, worauf er sich beruhigt habe. Sie habe die Kindsmutter gleich bei Abholung auf seine Verletzung und den vermuteten Unfallgrund hingewiesen. Diese hätte ihren Sohn nur kurz seitlich angeschaut und gesagt, dass so etwas mal passiere. Am nächsten Tag sei L. wieder gebracht worden. Da L.s Verletzungen schlimm ausgesehen hätten, habe sie – wie auch eine weitere anwesende Mutter – der Kindsmutter empfohlen, zur Abklärung zum Arzt zu gehen. Die Mutter von L. habe gemeint, es sei nicht so schlimm, sie glaube nicht, dass dies nötig sei. Auch die folgenden beiden Tage sei L. von der Mutter gebracht worden. Der letzte Kontakt zur Kindsmutter sei am 8. September 2023 erfolgt, als diese L. per E-Mail abgemeldet habe. Auch die weiteren Vorwürfe der Mutter von L. gegenüber der Antragstellerin wurden eingehend erörtert.
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Ausweislich eines in den Akten befindlichen Telefonvermerks vom 27. September 2023 gab die Antragstellerin auf Nachfrage an, Rechtshänderin zu sein.
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In einer E-Mail vom 28. September 2023 teilte der Kinderarzt Dr. W. ergänzend mit, dass er eine „Gefahrenmeldung nach § 8a“ mache. Er habe sich „an die Rechtsmedizin gewandt, die sich eindeutig zu den vorliegenden Bildern geäußert habe“. Er selbst habe L. nicht gesehen. Wohl als Anlage war ein Screenshot eines Textes ohne Erkennbarkeit des Erstellers beigefügt, in welchem ausgeführt wird, dass auf Grund der auf den Lichtbildern erkennbaren Verteilung der Hautunterblutungen „ein Sturzgeschehen von einem Klettergerüst als Ursache nicht plausibel nachvollziehbar“ sei. „Ein Schlag oder Schläge mit der flachen Hand wäre zwanglos geeignet, die gegenständliche Befunde zu erklären.“
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Am 2. Oktober 2023 stellte die Mutter von L. gegen die Antragstellerin eine Strafanzeige bei der Kriminalpolizei und gab an, dass diese L. vielfach schlecht versorgt, nicht ausreichend ernährt und nicht sorgfältig beaufsichtigt habe.
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Am 5. Oktober 2023 fand ein weiteres Gespräch mit der Antragstellerin bei der Antragsgegnerin statt. Die Antragstellerin übergab hierbei ein Schreiben der weiteren Eltern der von ihr betreuten Kinder, in welchen diese ihre Zufriedenheit mit der Antragstellerin, auch hinsichtlich der stets offenen Kommunikation zum Ausdruck bringen und die erhobenen Anschuldigungen als unfair und schlichtweg nicht wahrheitsgemäß zurückwiesen. Die Antragstellerin sowie ihre ebenfalls anwesende Tochter erklärten, dass – entgegen der Aussage der Kindsmutter – bei dem Unfall keine weiteren Personen anwesend gewesen seien, lediglich das Kind S. habe im Wohnzimmer geschlafen. Die Antragstellerin erklärt, das Verhalten von der Mutter von L. nicht nachvollziehen zu können. Weder diese noch der Kindsvater hätten vorher Kritik geäußert. Im Folgenden wurden zwischen den Parteien als präventive Maßnahmen bis zur abschließenden Klärung unangekündigte Hausbesuche, Rückmeldungen der Eltern der betreuten Tageskinder, schriftliche Dokumentationen durch die Antragstellerin, Gespräche mit der mobilen Tagespflege und eine enge Zusammenarbeit vereinbart.
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Ab 9. Oktober 2023 nahm die Antragsgegnerin wöchentlich unangekündigte Hausbesuche bei der Antragsgegnerin vor mit jeweils positivem Eindruck.
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Am 17. Oktober 2023 fand ein Gespräch der Antragsgegnerin mit allen Eltern der von der Antragsgegnerin betreuten Tageskinder statt. Hieraus ergaben sich ausweislich der in den Akten befindlichen Vermerke keine Anhaltspunkte für Betreuungsdefizite oder eine Kindeswohlgefährdung. Die Eltern gaben demnach weitgehend übereinstimmend an, dass die Antragstellerin bei Verletzungen der Kinder in der Vergangenheit transparent gewesen sei. Die Antragstellerin hätten sie als kraftvolle, gelassen handelnde Person und Tagesmutter erlebt, die so schnell nichts aus der Ruhe bringen könne. Der Mutter Frau U. habe die Mutter von L. am 5. September 2023 selbst vom Vorfall am 4. September 2023 erzählt. Diese habe der Mutter von L. daraufhin geraten, zum Arzt zu gehen, woraufhin diese entgegnet habe, dass sie es noch nicht wisse und es nicht so schlimm sei.
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Am 25. Oktober 2023 erfolgte ein Hausbesuch bei der Antragstellerin durch die Kriminalpolizei.
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Auf die Bitte um Beurteilung des Verletzungsgeschehens der Antragsgegnerin an die Kinderschutzambulanz der Rechtsmedizin der Medizinischen Fakultät der LMU vom 24. Oktober 2023 wurde von dort mit E-Mail vom 27. Oktober 2023 mitgeteilt, dass sich nach Kenntnis der Gestalt des Gerüstes/der Rutsche nichts an der grundsätzlichen Einschätzung ändere. Ein Fallen von diesem Gerüst oder ein Laufen dagegen sei nicht geeignet, die Verletzungen zu erklären. Dagegen spräche, dass sich die Verletzungen um die Kopfrundung erstrecken, sehr großflächig ausgeprägt seien und das Auge mitbetroffen sei. Auch die streifige Gestalt des Hämatoms lasse sich nicht durch die zu weit auseinanderliegenden Stäbe des Gerüsts erklären. Hingegen würden die auf den Lichtbildern ersichtlichen Verletzungen eine „ganz typische Gestalt, Ausprägung und Verteilung zeigen, „wie wir sie nach Schlägen mit der flachen Hand sehen.“
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Bei einem Gespräch der Antragsgegnerin am 7. November 2023 mit der mobilen Tagespflege, gab diese an, die Antragstellerin nie – auch nicht ansatzweise – ungeduldig oder verärgert erlebt zu haben. Sie könne nichts so schnell aus der Ruhe bringen. Sie könne sich nicht vorstellen, dass die Antragstellerin L. geschlagen habe.
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Auf nochmalige Nachfrage der Antragsgegnerin bei der Rechtsmedizin bzgl. eines alternativ möglichen Unfallhergangs, wurde von dort – wohl mit E-Mail vom 13. November 2023 – mitgeteilt, dass hierdurch weiterhin das Verletzungsmuster nicht zu erklären sei. Man sähe dann andere Verletzungen. Es handele sich um das klassische Bild nach einer Ohrfeige.
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Mit E-Mail vom 23. November 2023 wandte sich die Mutter von L. an das Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales und bat darum, sich den Fall anzuschauen, da sie aus Datenschutzgründen keine Auskunft vom Jugendamt erhalte.
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Mit Schreiben vom 24. November 2023 wurde die Antragsgegnerin nach § 24 SGB X unter Fristsetzung bis zum 11. Dezember 2023 zu den Zweifeln an ihrer Eignung zur Kindertagespflege angehört.
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Mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2023 beantragte die Bevollmächtigte der Antragstellerin bei der Antragsgegnerin Akteneinsicht und verwies darauf, dass die Antragstellerin sich bereits mehrfach zu den Vorwürfen geäußert habe. Mit E-Mail vom 13. Dezember 2023 teilte die Antragsgegnerin daraufhin mit, dass über den Antrag auf Akteneinsicht zeitnah entschieden werde.
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Ausweislich eines Telefonvermerks vom 19. Dezember 2023 teilte der leitende Oberarzt des Kinderklinikums H. mit, dass er sich nach Sichtung der Fotos der Einschätzung der Rechtsmedizin anschließe. Der behandelnde Durchgangsarzt vom 5. September 2023 habe nochmals bestätigt, nach seiner Einschätzung keine andere Verletzung als durch einen Sturz wahrgenommen zu haben. Kamerabilder aus der Ambulanz habe er keine gefunden.
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Mit E-Mail vom 20. Dezember 2023 informierte die Antragsgegnerin die Bevollmächtigte der Antragstellerin darüber, dass man sich auf Grund neuer Erkenntnisse, die den Verdacht einer nicht akzidentiellen Verletzung von L. erhärten würden, gezwungen sehe, die Kindertagespflegestelle ab dem 21. Dezember 2023 vorläufig zu schließen. Man könne den Schutz der Kinder auf keinem anderen Wege sicherstellen.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 22. Dezember 2023, zugestellt am 17. Januar 2024, hob die Antragsgegnerin den Bescheid vom 22. Juli 2021 mit Wirkung für die Zukunft auf (Ziffer 1 des Bescheids). Zudem wurde der Antragstellerin untersagt, zukünftig ein Kind oder einen Jugendlichen bzw. eine Jugendliche in ihrer Familie regelmäßig zu betreuen oder ihm oder ihr Unterkunft zu gewähren (Ziffer 2 des Bescheids). Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 wurde angeordnet (Ziffer 4 des Bescheids).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen angeführt, dass nach mehrfacher Überprüfung und Einschätzung der Rechtsmedizin sowie des Kinderklinikums H. (Vorgesetzter des Durchgangsarztes) vom 18. Dezember 2023 auf Grundlage der vorgelegten Fotoaufnahmen von dem Kind L. von einer nicht akzidentiellen Ursache für die am 4. September 2023 erfolgte Verletzung ausgegangen werden müsse. Das Verletzungsbild deute auf einen Schlag/Schläge mit der Hand hin. Die von der Antragstellerin angegebene mögliche Verletzungsursache (Rutsche am Pikler-Dreieck) komme nach übereinstimmender Bewertung nicht als Ursache der Verletzung infrage.
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Eine Eignung der Antragstellerin i.S.d. § 43 SGB VIII sei auf Grund des Verdachts der Gewalteinwirkung jedenfalls für die Dauer des Ermittlungsverfahrens nicht mehr gegeben. Die Antragstellerin habe im Verlauf der Abklärung mitgewirkt, sei jedoch trotz Offenlegung der rechtsmedizinischen Erkenntnisse nicht von ihrer Darstellung abgewichen. Der Verletzungszeitpunkt habe vor dem Ende der Betreuungszeit gelegen. Somit könne die Verletzung nur in der Zeit der Verantwortung der Antragstellerin erfolgt sein. Nach Würdigung der Gesamtsituation und dem derzeitigen Sachstand könne nicht mit der erforderlichen Gewissheit davon ausgegangen werden, dass die Tätigkeit der Antragstellerin dem Anspruch auf gewaltfreie Erziehung genüge. Es gebe keinen Grund, anzunehmen, dass die Gefährdung durch eine andere Person hätte erfolgen können. Man habe im Rahmen der Amtsermittlung alle erforderlichen Schritte unternommen, um eine vollständige Sachverhaltsaufklärung vorzunehmen. Der Sachverhalt sei nunmehr von allen ärztlichen Personen bestätigt worden.
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Zur Begründung des Sofortvollzugs wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Schutz des Kindeswohls im besonderen öffentlichen Interesse liege. Sollten die vorgebrachten Anschuldigungen betreffend das betreute Kind zutreffen, könne angesichts der Gefährdungslage eine fortlaufende Kindertagesbetreuung durch die Antragstellerin nicht verantwortet werden. Ansonsten stünde zu besorgen, dass Schädigungen an Gesundheit, Leben und Leib der Tagespflegekinder auftreten würden. Nur durch die sofortige Vollziehung des Entzugs der Erlaubnis zur Kindertagespflege könne eine Kindeswohlgefährdung mit sofortiger Wirkung ausgeschlossen werden.
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Die Kriminalpolizei übermittelte der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 11. Januar 2024 das auf den 8. Januar 2024 datierte, im Auftrag der Staatsanwaltschaft erstellte Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin. Zusammengefasst wurde darin festgestellt, dass sich aus den vorgelegten Lichtbildern lediglich bei dem Befund an der rechten Gesichtshälfte vom 4. September 2023 der hochgradige Verdacht auf eine Kindesmisshandlung durch zumindest einen Schlag mit der flachen Hand ergäbe. Ein Sturz vom oder gegen das Klettergerüst sei alleine nicht geeignet, die Verletzung zu erklären, lasse sich als stattgehabtes zusätzliches Ereignis jedoch auch nicht ausschließen.
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Mit Schriftsatz vom 23. Januar 2024 ließ die Antragstellerin durch ihre Bevollmächtigte Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben und beantragen, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 22. Dezember 2023 aufzuheben sowie festzustellen, dass die Aufhebung der Kindertagespflegeerlaubnis gem. § 43 SGB VIII rechtswidrig war (M 18 K 24.355). Mit weiterem Schriftsatz vom selben Tag beantragte sie,
30
die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
31
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Kind L. nach Kenntnis der Antragstellerin unter dem „Kawasaki-Syndrom“ leide, was ihr die Mutter von L. selbst mitgeteilt habe. Dabei handele es sich um eine Erkrankung, welche auch Gefäße erfasse und deren Behandlung zu einer gesteigerten Hämatomneigung führen könne. Der Antragstellerin sei zwar nichts über die Auswirkungen auf das Kind oder die Medikation mitgeteilt worden, sie habe aber erfahren, dass L. in einer Akutphase klinisch behandelt worden und Nachfolgeuntersuchungen erforderlich gewesen seien.
32
Unmittelbar nach dem Vorfall am 4. September 2023 habe die Antragstellerin der Kindsmutter aufgrund ihrer persönlichen Vermutung mitgeteilt, dass L. von der Rutsche gestürzt sei. Die Antragstellerin habe dann bemerkt, dass sich ein Hämatom an Stirn und Schläfe des Kindes L. gebildet habe. Dieses sei dunkelblau gewesen und angeschwollen. Sie habe die Kindsmutter darauf hingewiesen, diese habe entgegnet „das passiert ja mal“. Es sei nicht bekannt, ob dieses für die zeitliche Einordnung der Fotografien wichtige Detail den Ärzten überhaupt genannt worden sei. Der Antragstellerin seien die Fotografien zu keinem Zeitpunkt gezeigt worden.
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Abgesehen vom Durchgangsarzt, der aber einen Sturz feststellte, habe keiner der Ärzte das Kind selbst gesehen. Ein strukturiertes Gutachten liege nicht vor; es gäbe nur Mails oder Mailauszüge bzw. Zusammenfassungen von Telefonaten. Genaue Fotos zur genauen Erhebung des Umfangs des Hämatoms in cm seien nicht vorhanden. Ein Hand- oder Schlagvergleich sie nie durchgeführt worden.
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Zudem erfolgten Ausführungen zur Untersagung von Betreuung und Unterkunftsgewährung. Auch hinsichtlich der weiteren Vorwürfe und Darstellungen der Mutter von L. erfolgten umfangreiche Gegendarstellungen.
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Hinsichtlich des Anordnungsanspruchs wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass der „in dubio pro infante“- Grundsatz bei der Aufhebung einer bestandskräftigen Erlaubnis keine Rolle spiele. Es bestünden vorliegend keine objektiven Tatsachen, sondern „diffuse Vermutungen.“ Weder die acht Hausbesuche noch die 25-jährige Tätigkeit als Tagespflegeperson hätten eine Gewaltneigung der Antragstellerin offenbart. Die Vermutung, dass die Verletzungen Folgen eines Sturzes sind, sei nicht zweifelsfrei widerlegt. Außerdem fehle die Ermittlung anderer Ursachen. Auch das Verhalten der Mutter von L. sei fragwürdig.
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Hinsichtlich des Anordnungsgrundes führte die Bevollmächtigte der Antragstellerin im Wesentlichen aus, dass die Antragstellerin ohne die Einnahmen aus der Tagespflege kein Geld habe, um ihre Miete zu bezahlen. Die Antragstellerin lebe ausschließlich von ihren Einnahmen aus der Kindertagespflege. Hieraus ergebe sich frei verfügbares Einkommen i.H.v. 1.378,00 EUR, mit dem sie auch Tochter und Enkelin unterstütze. Es gebe nur wenige vorhandene Rücklagen. Zusätzlich müsse sie derzeit eine Nebenkostennachforderung i.H.v. 992,54 EUR bewältigen. Auch drohe der endgültige Verlust der Kunden der Antragstellerin.
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Mit Schreiben vom 26. Januar 2024 teilte die Antragsgegnerin gegenüber der Bevollmächtigten der Antragstellerin mit, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffer 2 des Bescheids vom 22. Dezember 2023 zurückgenommen werde.
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Die Bevollmächtigte der Antragstellerin erklärte daraufhin mit Schriftsatz vom 26. Januar 2024 den Antrag insoweit für erledigt.
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Mit Schriftsatz vom 29. Januar 2024 beantragte die Antragsgegnerin,
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den Antrag abzulehnen.
41
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Vorerkrankungen des Kindes L. bei Bescheidserlass nicht bekannt gewesen seien und auch der zwischen der Antragsgegnerin und den Eltern von L. geschlossenen Betreuungsvereinbarung nicht zu entnehmen seien.
42
Der Bescheid sei formell rechtmäßig, insbesondere bestünden keine Anhörungsfehler, da die Bevollmächtigte der Antragstellerin am 12. Dezember 2023 auf weitere Anhörungen verzichtet habe. Zudem habe es keiner nochmaligen Anhörung bedurft, da gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 1 SGB X eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr in Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erschienen sei. Nachdem auch von der Kinderklinik H. die Rückmeldung vorgelegen habe, dass auch ihrer Ansicht nach ein hochgradiger Verdacht für eine Gewalteinwirkung vorliege, sei von einem neuen Sachverhalt auszugehen gewesen, welcher sofortiger Maßnahmen bedurft habe.
43
Der Bescheid sei auch materiell rechtmäßig. Rechtsgrundlage sei § 48 SGB X. Voraussetzung hierfür sei eine wesentliche Änderung. Eine solche liege vor, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII wegfallen. Aufgrund der Erkenntnisse der Rechtsmedizinerin, des Chefarztes der Kinderklinik H. sowie der Aussage der Kindsmutter habe die Antragsgegnerin zu der Auffassung gelangen müssen, dass die Eignung der Antragstellerin nicht mehr vorliege. Der Antragsgegnerin hätten keine Hinweise auf eine Veränderung der Hautauffälligkeiten aufgrund einer Vorerkrankung vorgelegen. Es sei ihr daher nicht vorzuwerfen, dass sie Ermittlungen hierzu nicht durchgeführt habe. Auch sei der Antragsgegnerin nicht bekannt, dass anhand eines Fotos der Hände zweifelsfrei entschieden werden könne, ob die Verletzung von einer bestimmten Person oder Hand stamme, so dass auch hierzu Nachforschungen angestellt werden müssten. Hinsichtlich der Mutter hätte es keine Anhaltspunkte gegeben, an deren Aussage zu zweifeln.
44
Mit Schriftsatz vom 1. Februar 2024 stimmte die Antragsgegnerin der Teilerledigungserklärung zu.
45
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren sowie im Klageverfahren M 18 K 24.355 sowie den Inhalt der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
46
Soweit die Parteien das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war es einzustellen.
47
Im Übrigen hat der zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage Erfolg.
48
Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO entfällt die grundsätzlich nach § 80 Abs. 1 VwGO bestehende aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage, wenn die Behörde die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten – wie im vorliegenden Fall – besonders anordnet. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der Bescheid bei dieser Prüfung dagegen als rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessensabwägung.
49
Unter Anwendung dieser Grundsätze war dem Antrag stattzugeben, da der Bescheid der Antragsgegnerin vom 22. Dezember 2023 voraussichtlich rechtswidrig ist und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) (1.). Auch eine Interessenabwägung (2.) fiele zugunsten der Antragstellerin aus.
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1. Nach summarischer Prüfung dürfte der Bescheid der Antragsgegnerin vom 22. Dezember 2023 rechtswidrig sein.
51
Insoweit erscheint bereits zweifelhaft, ob eine ausreichende Anhörung der Antragstellerin vor Bescheidserlass erfolgte. Denn der Antragstellerin bzw. ihrer Bevollmächtigten wurde trotz entsprechendem umgehenden Antrag keine (vollständige) Akteneinsicht gewährt, die vorliegend insbesondere zur Kenntnisnahme der Fotografien und der Stellungnahmen der beteiligten Ärzte erforderlich und wesentlich für eine Äußerung in der Sache erscheinen, vgl. § 25 Abs. 1 SGB X.
52
Zudem setzt eine ordnungsgemäße Anhörung schon zur Wahrung ihrer systematischen Funktion voraus, dass für den Betroffenen erkennbar wird, aufgrund welcher Tatsachen die Behörde welchen Verwaltungsakt konkret beabsichtigt. Andernfalls wäre dem Ziel der Anhörung, eine Überraschungsentscheidung zu vermeiden, nicht genüge getan (vgl. Apel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., § 24 SGB X, Stand: 15.11.2023, Rn. 30). Hinter diesen Anforderungen dürfte das Anhörungsschreiben vom 24. November 2023 schon deshalb zurückbleiben, weil es schon nicht deutlich zum Ausdruck bringt, welche Art Verwaltungsakt die Antragsgegnerin beabsichtigte. Ohnehin dürfte nach summarischer Prüfung auch eine erneute Anhörung geboten gewesen sein, weil nach dem Anhörungsschreiben vom 24. November 2023 der Antragsgegnerin neue und für ihre Entscheidung erhebliche Tatsachen bekannt wurden, auf die sich auch gestützt hat (vgl. Apel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., § 24 SGB X, Stand: 15.11.2023, Rn. 32). Denn die Antragsgegnerin argumentiert im Schreiben vom 20. Dezember 2023 selbst damit, dass die (nach dem Anhörungsschreiben vom 24. November 2023) weitere Bestätigung des Chefarztes der Kinderklinik H. dass er sich auf Grund der Fotografien der Beurteilung der Rechtsmedizin anschließe, nunmehr eine sofortige Aufhebung der Erlaubnis unumgänglich mache.
53
Diese Aussage des Chefarztes dürfte schließlich entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin auch keinen neuen Sachverhalt darstellen, der es rechtfertigt, nunmehr – nach dreieinhalbmonatiger Ermittlungszeit – von einer Gefahr in Verzug auszugehen, die eine zwingend durchzuführende Anhörung entbehrlich machen könnte, § 24 Abs. 2 SGB X. Zudem dürfte die Anhörung durch die Antragsgegnerin bisher auch nicht wirksam nachgeholt worden sein, da die Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung gerade nicht inhaltlich auf die Einwände der Antragstellerin reagiert, sondern vielmehr argumentiert, dass ihre diese (Erkrankung von L., Anregung eines Schlagbildvergleichs) im Zeitpunkt des Bescheidserlasses nicht bekannt gewesen seien, so dass keine Anhaltspunkte für eine weitere Amtsermittlung bestanden hätten.
54
Des Weiteren dürfte sich der Bescheid – im vorliegenden Verfahren ausschließlich relevant in Bezug auf die Anordnung in Ziffer 1 – nach summarischer Prüfung auch als materiell rechtswidrig erweisen.
55
Rechtsgrundlage des Bescheids vom 22. Dezember 2023 ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Demnach kann ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung – wie vorliegend die zuletzt mit Bescheid vom 22. Juli 2021 erteilte Tagespflegeerlaubnis nach § 43 SGB VIII – mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsakts vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
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Nach § 43 Abs. 1 SGB VIII bedarf eine Person, die ein Kind oder mehrere Kinder außerhalb des Haushalts des Erziehungsberechtigten während eines Teils des Tages und mehr als fünf Stunden wöchentlich gegen Entgelt länger als drei Monate betreuen will, der Erlaubnis. Die Erlaubnis ist zu erteilen, wenn die Person für die Kindertagespflege geeignet ist. Geeignet in diesem Sinne sind Personen, die sich durch ihre Persönlichkeit, Sachkompetenz und Kooperationsbereitschaft mit Erziehungsberechtigten und anderen Tagespflegepersonen auszeichnen (§ 43 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB VIII) und über kindgerechte Räumlichkeiten verfügen (§ 43 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VIII). Sie sollen zudem über vertiefte Kenntnisse hinsichtlich der Anforderungen der Tagespflege verfügen, die sie in qualifizierten Lehrgängen erworben oder in anderer Weise nachgewiesen haben (§ 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VIII). Der Begriff der Eignung der Tagespflegeperson ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Auslegung und Anwendung der vollen gerichtlichen Prüfung unterliegt (vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2015 – 12 C 14.2846 – juris Rn. 15 m.w.N.).
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Danach gehören zu den erforderlichen charakterlichen Eigenschaften einer Pflegeperson, die diese befähigen, die in § 22 Abs. 2 und 3 SGB VIII normierten Ziele der Tagespflege erfüllen zu können, eine ausreichende psychische Belastbarkeit und Zuverlässigkeit, um in der Bewältigung auch unerwarteter Situationen flexibel reagieren zu können, sowie ausreichendes Verantwortungsbewusstsein und hinreichende emotionale Stabilität, damit das Kind und seine Rechte unter allen Umständen geachtet werden. Ferner muss eine geeignete Tagespflegeperson ihr Handeln begründen und reflektieren können und fähig zum konstruktiven Umgang mit Konflikten und Kritik sein (BayVGH, B.v. 16.1.2015 – 12 C 14.2846 – juris Rn. 17 m.w.N.).
58
Diesen Anforderungen muss eine Tagesmutter insbesondere auch im Hinblick auf den vom Kindeswohl umfassten Anspruch auf gewaltfreie Erziehung (siehe § 1631 Abs. 2 BGB) genügen (BayVGH, B.v. 16.1.2015 – 12 C 14.2846 – juris Rn. 18). In Tagespflege aufgenommene Kinder dürfen keinen vermeidbaren, für ihre Entwicklung schädlichen Risiken oder Gefährdungen ausgesetzt werden. Die persönliche Eignung für die Kindertagespflege fehlt, wenn ein festgestellter Mangel an persönlicher Integrität und Zuverlässigkeit negative Auswirkungen von nicht unerheblichem Gewicht auf die betreuten Kinder hinreichend konkret befürchten lässt und die Pflegeperson nicht bereit oder in der Lage ist, die daraus resultierende Gefährdung abzuwenden (vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2015 – 12 C 14.2846 – juris Rn. 18 m.w.N; VG München, B.v. 15.5.2020 – M 18 S 20.732, juris Rn. 44). Die Eignung fehlt dabei nicht erst dann, wenn das Wohl der zu betreuenden Kinder gefährdet ist, sondern bereits dann, wenn dies aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu befürchten ist (vgl. VG Bremen, B.v. 13.7.2023 – 3 V 649/23 – juris Rn. 16; BeckOGK/Janda, Stand: 1.6.2023, SGB VIII, § 43 Rn. 45).
59
Ist die Erlaubnis zur Kindertagespflege allerdings einmal erteilt, so ist die Hürde für den Entzug entsprechend hoch, weil bei Erteilung der Erlaubnis die Eignung ausdrücklich festgestellt wurde (vgl. VG München, B.v. 15.5.2020 – M 18 S 20.732, juris Rn. 45). Eine Aufhebung ist nur unter den Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X möglich. Zudem muss der Entzug der Erlaubnis zur Kindertagespflege im Lichte des damit verbundenen erheblichen Eingriffs in die grundrechtlich geschützte Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) stets das letzte Mittel bleiben. Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist deshalb zunächst zu prüfen, ob nicht andere (etwa Beratungs- und Unterstützungs-) Maßnahmen oder die Erteilung nachträglicher Auflagen analog § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII ausreichen, um der befürchteten Gefahrenlage wirksam zu begegnen. In jedem Fall muss die Nichteignung positiv feststehen und durch konkret nachweisbare Tatsachen begründet werden. Bloße Zweifel genügen nicht (stRspr., vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2015 – 12 C 14.2846 – juris Rn. 19f. m.w.N.). Ebenso wenig ein bloßer Verdacht, sofern nicht gewichtige Anhaltspunkte gegeben sind (vgl. VG Ansbach, U.v. 17. Juli 2014 – AN 6 K 13.01950 – juris Rn. 30).
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Besteht der Verdacht, dass die Tagespflegeperson eine ihre Eignung ausschließende Straftat begangen, d.h. etwa wie hier, Gewalt gegen ein Tagespflegekind angewendet hat, kann dies grundsätzlich zur Versagung der Tagespflegeerlaubnis führen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die zuständige Behörde nach § 20 SGB X sämtliche Umstände ermittelt und gewürdigt hat, die für die Entscheidung über die Erlaubniserteilung relevant sind (vgl. BeckOGK/Janda, 1.11.2023, SGB VIII § 43 Rn. 52), mithin den den Verdacht begründenden Sachverhalt im Rahmen des ihr obliegenden Amtsermittlungsgrundsatzes unter Ausschöpfung aller ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten hinreichend aufgeklärt hat. Denn die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn die Tagespflegeperson aufgrund eines bloßen Verdachts an seinem beruflichen Fortkommen gehindert wird (vgl. BeckOGK/Janda, 1.11.2023, SGB VIII § 43 Rn. 5).
61
Auch der bei Kindeswohlgefährdungen Anwendung findende Grundsatz „in dubio pro infante“ (vgl. dazu VG München, B.v. 15. Mai 2020 – M 18 S 20.732 – juris Rn. 46; VGH BW, B.v. 23. April 2019 – 12 S 675/19, juris Rn. 21; Busse in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl., § 43 SGB VIII, Stand: 13.07.2023, Rn. 46; Nonninger/Kepert, LPK-SGB VIII, 8. Aufl. 2022, SGB VIII § 43 Rn. 13) entbindet das Jugendamt nicht von der Obliegenheit, bei Zweifeln an der Eignung der Tagesmutter den Sachverhalt durch eigene Ermittlungen so weit wie möglich zu klären und auf der Grundlage von Tatsachen zu einer – positiven oder negativen – Einschätzung ihrer Eignung zu gelangen (VG München, B.v. 15.5.2020 – M 18 S 20.732 – juris Rn. 46).
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Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Aufhebung ist dabei nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung; eine evidente Wiederherstellung der Zuverlässigkeit der Pflegeperson während eines laufenden Gerichtsverfahrens ist indes gleichwohl zu beachten (BayVGH, B.v. 18.10.2012 – 12 B 12.1048 – juris Rn. 35).
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Hiervon ausgehend dürfte sich nach summarischer Prüfung der Bescheid der Antragsgegnerin in Ziffer 1 als rechtswidrig erweisen.
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Die fehlende Eignung der Antragstellerin als Tagespflegeperson wird von der Antragsgegnerin ausschließlich mit dem Vorfall am 4. September 2023 begründet. An diesem Tag befand sich das Kind L. unstreitig zur Betreuung in der Wohnung der Antragstellerin. Unstreitig zwischen den Parteien ist auch, dass sich das Kind L. eben während dieser Betreuungszeit, nach Erinnerung der Antragstellerin ca. um 15:50 Uhr, Verletzungen bzw. Blessuren zugezogen hat. Die Antragstellerin, die das Unfallgeschehen nicht gesehen haben will, vermutet die Ursache der Verletzungen in einem Sturz am oder auf dem sog. „Pikler-Dreieck“ bzw. dem dort eingehängten Rutschbrett. Die Antragsgegnerin geht hingegen von einer Gewalteinwirkung der Antragstellerin gegen das Kind L. als Ursache der Verletzungen aus. Den Verdacht der Gewaltausübung der Antragstellerin gegen das Kind L. stützt die Antragstellerin auf die ärztlichen Stellungnahmen in Bezug auf die vorliegenden Fotografien. Diese Stellungnahmen stimmen darin überein, dass ein Sturzgeschehen, wie es von der Antragstellerin vermutet wird, die sich auf den Fotoaufnahmen zeigenden Verletzungen des Kindes L. nicht plausibel begründen können, das Verletzungsbild hingegen mit dem typischen Bild nach einer Ohrfeige bzw. einem Schlag mit der flachen Hand übereinstimme. Grundlage der rechtsmedizinischen Stellungnahmen sind dabei jedoch ausschließlich die (wohl) von der Mutter von L. aufgenommenen Fotoaufnahmen, die starke, bläulich gefärbte Hämatome an der rechten Gesichtshälfte zeigen. Entsprechend der zum Teil digitalen, zum Teil handschriftlichen Angaben auf den Fotografien wurden diese zum Teil am 4. September 2023 und zum Teil am 5. September 2023 aufgenommen.
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Der hieraus erfolgte Schluss der Antragsgegnerin, die Antragstellerin käme als alleinige Verursacherin der Gewaltanwendung in Frage erscheint jedoch nach summarischer Prüfung nicht als zwingend. Die Antragsgegnerin dürfte vielmehr insoweit ihrer Amtsermittlungspflicht nicht hinreichend nachgekommen sein.
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Denn auch wenn das Gericht die ärztlichen Stellungnahmen zu Grunde legt, wonach die Verletzungen von einem Schlag ins Gesicht herrühren, ergibt sich hieraus nicht zwingend, dass dieser Schlag durch die Antragstellerin ausgeführt wurde. Vielmehr erscheint zunächst insbesondere aufklärungsbedürftig, ob die Antragstellerin als Rechtshänderin (wie die Antragsgegnerin selbst bereits am 27. September 2023 erfragte) den Schlag auf die verletzte rechte Gesichtshälfte von L. überhaupt ausgeführt haben kann. Hierzu geben auch die medizinischen Stellungnahmen keinerlei Auskunft. Zudem erscheint auch eine Aufklärung hinsichtlich eines möglichen Einflusses der Erkrankung des L. auf die Art und Weise der Hämatombildung erforderlich.
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Schließlich ist es zwar unstreitig am 4. September 2023 während der Betreuung bei der Antragstellerin zu Verletzungen von L. gekommen. Diese wurden jedoch nicht umgehend dokumentiert, so dass zumindest denkbar erscheint, dass L. im Anschluss an die Betreuung weitere Verletzungen erlitt, welche auf den Fotografien dokumentiert sind. Dies insbesondere, da der L. am 5. September 2023 untersuchende Arzt keine Verletzungen an diesem erkannte, die zu einem Verdacht der Gewaltanwendung führten. Auch die Hintergründe für die Fotoaufnahmen durch die Kindsmutter angeblich bereits am 4. September 2023, obwohl sie noch am 5. September 2023 einen Arztbesuch nach mehreren Aussagen eher nicht für nötig befand und L. noch bis zum 7. September 2023 zur Betreuung brachte, irritiert und erscheint zumindest weiter aufklärungsbedürftig.
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Insoweit zeigt insbesondere das Verhalten der Mutter des Kindes auch im übrigen Aufklärungsbedarf. Zum einen erscheint es widersprüchlich, dass die Kindsmutter zunächst L. weiter von der Antragstellerin betreuen ließ und auch von der Antragsgegnerin lediglich einen anderen Betreuungsplatz vermittelt haben wollte, im späteren Verlauf jedoch erhebliches Engagement gegen die Antragstellerin in Form einer Strafanzeige, einer Eingabe ans Ministerium sowie in sozialen Foren unternahm, um deren weitere Tätigkeit zu unterbinden. Auch die weiteren, umfangreichen gegen die Antragstellerin von der Kindsmutter erhobenen Vorwürfe irritieren vor dem Hintergrund, dass diese ihre Bedenken im Vorfeld offenbar nie gegenüber der Antragstellerin geäußert hat und sämtliche weitere Eltern von von der Antragstellerin betreuten Kindern dieser einen hervorragenden Leumund ausstellen. Zudem kam auch die Antragsgegnerin regelmäßig seit Jahren zu einer tadellosen Beurteilung der Antragstellerin.
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Die Beurteilung der Antragsgegnerin, dass es keinen Grund gäbe, anzunehmen, dass die Gewaltanwendung durch eine andere Person erfolgt sein könnte, erscheint daher nach summarischer Prüfung nicht tragfähig, so dass durch diese wohl weitere Ermittlungen hätten erfolgen müssen. Dass der Antragstellerin die erforderliche Eignung fehlt, dürfte somit im Zeitpunkt des Bescheidserlasses nicht positiv festgestellt, sondern lediglich zweifelhaft und einer weiteren Aufklärung zugänglich gewesen sein. Dementsprechend dürfte vorliegend auch eine Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro infante“ – unabhängig von der Frage, ob es einen solchen tatsächlich gibt – ausscheiden. Denn eine solche „Beweislastregelung“ kann allenfalls für den Fall gelten, dass trotz umfassender Aufklärung letzte Zweifel bestehen.
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2. Auch bei Vornahme einer Interessensabwägung überwiegen die Interessen der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage.
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Abzuwägen wären hierbei die Interessen der Antragstellerin an der Fortführung ihrer beruflichen Tätigkeit mit dem öffentlichen Interesse am Schutz des Kindeswohls der von der Antragstellerin betreuten Kinder.
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Hierbei gilt es auf Seiten der Antragstellerin zu berücksichtigen, dass die Tätigkeit als Tagesmutter für diese existenzsichernd ist. Es handelt sich um deren einzige Einnahmequelle, mit der sie zudem ihre in Ausbildung befindliche Tochter P. und deren knapp dreijährige Tochter M. unterstützt. Der Entzug der Erlaubnis zur Tagespflege kommt einem sofortigen Berufsverbot gleich und begründet damit einen besonders schwerwiegenden Eingriff in die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG. Dies wiederum gebietet strenge Anforderungen an die als Rechtfertigungsgründe herangezogenen öffentlichen Interessen sowie den Wahrscheinlichkeitsgrad deren Gefährdung.
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Das Gericht verkennt hierbei nicht, dass das vorliegend in Rede stehende Wohl der von der Antragstellerin betreuten Kinder als hohes Gut einzuordnen und in die Abwägung entsprechend einzubeziehen ist. Allerdings rechtfertigt nicht jeder Verdacht auf Kindeswohlgefährdung, die gegenüberstehenden Interessen zurücktreten zu lassen. Vielmehr müssen negative Auswirkungen von nicht unerheblichem Gewicht auf die betreuten Kinder hinreichend konkret zu befürchten sein, wobei insbesondere auch auf die Schwere des Vorwurfs abzustellen ist. Die Antragstellerin verhielt sich über 24 Jahre hinweg einwandfrei und hat sich keinerlei Verfehlung zu Schulden kommen lassen. Eine hinreichende Gefahr einer – möglicherweise weiteren – Gewaltanwendung durch die Antragstellerin erscheint daher äußerst gering, wovon offenbar auch die Eltern der weiteren von der Antragstellerin betreuten Kinder ausgehen und die Betreuungsverhältnisse fortsetzen möchten. Schließlich wurde die Antragstellerin während ihrer gesamten Tätigkeit als kraftvolle, gelassen handelnde Person und Tagesmutter beschrieben, die so schnell nichts aus der Ruhe bringen könne. Ein (ggf. erneuter) Gewaltausbruch durch die, derzeit extrem unter Beobachtung stehende und um ihre berufliche Existenz kämpfende, Antragstellerin erscheint daher nahezu als ausgeschlossen. Zudem kann die Antragsgegnerin als milderes Mittel bis zu einer abschließenden Aufklärung die bereits bisher praktizierten Sicherungsmaßnahmen durchführen, zu denen sich die Antragstellerin von Beginn an bereit erklärt hat.
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Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 1 des Bescheids vom 22. Dezember 2023 war daher wiederherzustellen.
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Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des eingestellten Teils auf § 161 Abs. 2 VwGO, wonach unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden ist. Billigem Ermessen entspricht es hier, die Kosten der Antragsgegnerin aufzuerlegen, da diese das erledigende Ereignis zum einen herbeigeführt hat und es zum anderen hinsichtlich der Anordnung unter Ziffer 2 des Bescheids bereits an einer Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs fehlt. Zudem bestehen auch an der Rechtmäßigkeit dieser Anordnung erhebliche Zweifel. Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 Satz 2 VwGO).