Titel:
Baugenehmigung für Stahlgittermast, Entgegenstehen öffentlicher Belange, Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens, Zurückstellung von Baugesuchen
Normenketten:
BauGB § 15 Abs. 3
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 3
BauGB § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3
BauGB § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5
BauGB § 36
Schlagworte:
Baugenehmigung für Stahlgittermast, Entgegenstehen öffentlicher Belange, Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens, Zurückstellung von Baugesuchen
Fundstelle:
BeckRS 2024, 2059
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Klägerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen unter Ersetzung des verweigerten Einvernehmens erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Stahlgittermastes.
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Unter dem 15. Februar 2017 beantragte die Beigeladene erstmals die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines ca. 30 m hohen Stahlgittermastes mit Versorgungseinheit auf Betonfundament für eine Mobilfunkbasisstation auf dem südlichen Teil des Grundstücks FlNr. 246 Gem. … (Vorhabensgrundstück). Das Vorhabensgrundstück steht im Eigentum der D B; auf dem schmalen, ca. 3,2 km langen Grundstück verläuft eine zweigleisige Bahnlinie. Der geplante Standort liegt ca. 750 m westlich des …sees und am Rande, jedoch außerhalb des Geltungsbereichs der Verordnung des Bezirks Oberbayern über den Schutz des …sees, seiner Inseln und Ufergebiete als Landschaftsschutzgebiet. Westlich des Vorhabenstandorts in ca. 250 m Entfernung beginnt der bebaute Gemeindebereich der Klägerin. Zu den Bauantragsunterlagen gehört ein landschaftspflegerischer Begleitplan.
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Mit Beschluss vom 4. April 2017 verweigerte die Klägerin ihr Einvernehmen zu dem Vorhaben. Das Vorhabensgrundstück sei als Standort ortsplanerisch nicht vertretbar.
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Am 16. Juli 2018 verweigerte der Beklagte – Untere Naturschutzbehörde – das naturschutzrechtliche Benehmen zu dem Vorhaben. Mit Schreiben vom 26. Juli 2018 teilte der Beklagte der Beigeladenen das Ergebnis der naturschutzrechtlichen Überprüfung mit und wies darauf hin, dass beabsichtigt sei, den Bauantrag abzulehnen.
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Mit Bescheid vom 6. September 2019 lehnte der Beklagte den Bauantrag der Beigeladenen ab. Das Vorhaben sei gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB privilegiert. Ihm stünden jedoch naturschutzrechtliche Belange entgegen. Von dem geplanten Stahlgittermast gehe eine erhebliche Beeinträchtigung des Landschaftsbilds aus. Dagegen hat die Beigeladene Klage erhoben (M 1 K 19.5215); das Verfahren wurde nach übereinstimmender Erledigterklärung mit Beschluss vom 22. November 2021 eingestellt.
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Unter dem 30. November 2020 beantragte die Beigeladene erneut die Erteilung der begehrten Baugenehmigung zur Errichtung eines Stahlgittermastes auf dem Vorhabensgrundstück, nachdem der Beklagte nach erneuter Überprüfung zu dem Ergebnis gekommen war, dass das Vorhaben genehmigungsfähig sei, wenn der landschaftspflegerische Begleitplan vom 28. Juli 2017, der letztmals durch die Untere Naturschutzbehörde des Beklagten am 20. Oktober 2020 geprüft und mit Roteintragungen versehen wurde, Bestandteil der Baugenehmigung würde. Inhalt der Korrekturen ist eine Anmerkung auf Seite 6 des Begleitplans, dass der Wirkbereich des geplanten Masts falsch dargestellt sei, weil die dortige Abbildung einen anderen Standort als den Vorhabenstandort ausweise. Ferner wurde eine Korrektur bzgl. der Höhe der Kompensationsersatzzahlungen für den Eingriff in Natur und Landschaft vorgenommen (Seite 9 f. des Begleitplans). Das Datum des Eingangs der Bauantragsunterlagen machte die Klägerin nicht aktenkundig.
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Mit Beschluss vom 9. Februar 2021, eingegangen beim Landratsamt am 16. Februar 2021, verweigerte die Klägerin erneut ihr Einvernehmen und erklärte, am Beschluss vom 4. April 2017 festzuhalten. Ferner beschloss sie die Änderung des für das Vorhabensgrundstück geltenden Flächennutzungsplans zur Ausweisung von Konzentrationszonen für Mobilfunkmasten. Gleichzeitig wurde beschlossen, dass die Klägerin beim zuständigen Landratsamt die Zurückstellung des Baugesuchs beantragt. Nachdem die Klägerin vom Beklagten erneut zur Stellungnahme über das Einvernehmen aufgefordert wurde, wurde das gemeindliche Einvernehmen mit Beschluss vom 16. Juni 2021 erneut verweigert.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 9. Juli 2021 nahm der Beklagte den ablehnenden Bescheid vom 11. September 2019 zurück (A.) und erteilte die begehrte Baugenehmigung (C.) unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens (D.). Dabei wurde der mit Genehmigungsstempel versehene landschaftspflegerische Begleitplan vom 28. Juli 2017 in der geprüften Fassung mit Roteintrag zum Bestandteil der Baugenehmigung gemacht und die Verpflichtung von Ersatzzahlungen für den nicht ausgleich- und ersetzbaren Eingriff in Naturschutz festgelegt. Das Vorhaben beurteile sich nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB. Die Gemeinde habe das Einvernehmen zu Unrecht verweigert. Das Einvernehmen habe daher ersetzt werden können.
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Am 14. Juli 2021 hat die Klägerin Klage erhoben und beantragt,
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den Bescheid des Landratsamts … vom 09.07.2021, Az. … / …, aufzuheben.
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Der Beklagte hätte die Entscheidung über den Bauantrag zurückstellen müssen. Die Klägerin habe mit Beschluss vom 9. Februar 2021 beschlossen, einen Teilflächennutzungsplan aufzustellen, wodurch Konzentrationszonen für Mobilfunkanlagen ausgewiesen werden sollten. Der Antrag sei auch nicht verfristet gewesen. Die Frist habe erneut zu laufen begonnen, weil der Antrag vom 30. November 2020 im Hinblick auf die unter dem 20. Oktober 2020 naturschutzfachlich geprüften Rotkorrekturen des landschaftspflegerischen Begleitplans die Frage der bauplanungsrechtlichen Beurteilung neu aufgeworfen habe. Die untere Naturschutzbehörde habe dem Vorhaben nur mit Auflagen und Rotkorrektur zustimmen können. Die Bauantragsunterlagen seien zudem zum Zeitpunkt des Antrags auf Rückstellung unvollständig und fehlerhaft gewesen. Der landschaftspflegerische Begleitplan stelle den Wirkungsbereich aufgrund falschen Standorts als falsch dar. Ferner werde die Simulation der Sichtwirkung des Mastes von Süden unzutreffend dargestellt, weil die Simulation von einer Masthöhe von 22 m, nicht jedoch den beantragten ca. 30 m ausgehe. Die Baugenehmigung sei auch deshalb rechtswidrig, weil die Beigeladene die Voraussetzungen der Privilegierung nicht hinreichend dargetan habe. Die Ortsgebundenheit i.S.d § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB erfordere, dass ein Ausweichen auf einen nach durchgeführter Standortanalyse ermittelten Alternativstandort nicht zumutbar sei. Eine derartige Standortanalyse habe nicht stattgefunden. In Betracht komme etwa das Grundstück FlNr. 1696/2. Dem sonstigen Vorhaben stünden öffentliche Belange entgegen. Es sei nicht auszuschließen, dass das Vorhaben zu schädlichen Umwelteinwirkungen führe. Eine Standortbescheinigung sei nicht vorgelegt worden. Das Vorhaben verunstalte zudem das Landschaftsbild. Der Mast solle in knapp 700 m Entfernung zur Uferlinie des …sees errichtet werden. Das Vorhabensgrundstück grenze an den Geltungsbereich der …seeSchutzverordnung an. Mangels Ausgleichs- oder Ersetzungsmöglichkeiten stünden dem Vorhaben auch Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege entgegen.
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Der Beklagte beantragt,
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Eine Zurückstellung sei nicht erfolgt, weil der Antrag der Klägerin verfristet gewesen sei. Es hätten sich keine inhaltlichen Änderungen am Bauvorhaben ergeben, die einen erneuten Fristbeginn ausgelöst hätten. Die Klägerin habe die Beteiligung an der Standortsuche abgelehnt. Das Grundstück FlNr. 246/63 sei wegen dessen Hanglage und des Bewuchses abgelehnt worden. Die Vorlage einer Standortbescheinigung sei kein Teil des Prüfprogramms des Baugenehmigungsverfahrens. Eine Beeinträchtigung von Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege sowie der natürlichen Eigenart der Landschaft sei unstrittig gegeben, diese stünden jedoch nicht entgegen. Durch die Lage des Vorhabenstandorts unmittelbar an der Bahnlinie sei eine bauliche Vorbelastung gegeben. Es handle sich daher nicht um eine Landschaft von einzigartiger Schönheit; eine weite Einsehbarkeit und gravierende Fernwirkung des geplanten Mastes sei schwer zu belegen.
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Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
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Der Antrag der Klägerin auf Zurückstellung vom 9. Februar 2021 sei verfristet gewesen. Die Klägerin habe bereits durch Eingang des Bauantrags vom 20. Februar 2017 Kenntnis von dem Vorhaben erlangt. Die Frist habe auch nicht durch den Antrag vom 30. November 2020 erneut zu laufen begonnen. Der Antrag enthalte keine inhaltlichen Änderungen gegenüber dem Antrag aus 2017. Die erneute Antragstellung durch die Beigeladene sei alleine dadurch veranlasst gewesen, dass der Beklagte seine Rechtsauffassung geändert habe. Die vorgenommenen Roteintragungen stellten keine inhaltlichen Änderungen von baurechtlicher Relevanz dar. Die Eintragung auf S. 6 beziehe sich lediglich auf die falsche Standortdarstellung in Abb. 3. Die Korrekturen auf S. 9 und S. 10 bezögen sich auf einen Schreibfehler und die Höhe der Ersatzzahlungen. Der Antrag genüge auch nicht den inhaltlichen Anforderungen. Die planerischen Vorstellungen der Klägerin seien noch völlig offen gewesen. Das Vorhaben sei privilegiert. Ihm stünden keine öffentlichen Belange entgegen. Von der Anlage gingen keine schädlichen Umwelteinwirkungen aus. Dem Vorhaben stünden auch keine Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege entgegen.
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Mit Schriftsatz vom 25. Mai 2022 suchte die Klägerin zudem Eilrechtsschutz (M 1 SN 22.2804). Den gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage lehnte das Gericht mit Beschluss vom 24. August 2022 ab.
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Mit Schreiben vom 16. November 2023, vom 15. Januar 2024 und vom 26. Januar 2024 verzichteten die Beteiligten auf mündliche Verhandlung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten, auch im zugehörigen Eilverfahren M 1 SN 22.2804, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten hierzu gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ihr Einverständnis erklärt haben.
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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid vom 9. Juli 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Eine Rechtsverletzung ergibt sich weder aus einem Anspruch auf Zurückstellung des Baugesuches (a)), noch hat der Beklagte die gemeindliche Planungshoheit der Klägerin verletzt, indem er das Einvernehmen ersetzt hat (b)).
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a) Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zurückstellung nach § 15 Abs. 3 Satz 1 BauGB aufgrund des Antrags vom 12. Februar 2021.
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Gemäß § 15 Abs. 3 Satz 1 BauGB hat die Baugenehmigungsbehörde auf Antrag der Gemeinde die Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB für einen Zeitraum bis zu längstens einem Jahr nach Zustellung der Zurückstellung des Baugesuchs auszusetzen, wenn die Gemeinde beschlossen hat, einen Flächennutzungsplan aufzustellen, zu ändern oder zu ergänzen, mit dem die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB erreicht werden sollen, und zu befürchten ist, dass die Durchführung der Planung durch das Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden würde.
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aa) Dass der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Zurückstellung nicht durch gesonderten Bescheid abgelehnt hat, ist unerheblich. Die Erteilung der Genehmigung enthält zugleich die Ablehnung des Zurückstellungsantrags. Dagegen kann die Gemeinde Anfechtungsklage wegen der Verletzung ihrer Planungshoheit erheben (Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 144. EL 2021, § 15 Rn. 104 m.w.N.).
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bb) Die Klägerin hat am 9. Februar 2021 beschlossen, einen Teilflächennutzungsplan mit Mobilfunkkonzept für den dem Bauantrag zugrundeliegenden erweiterten Suchkreis aufzustellen. Damit sollen die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB erreicht werden.
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cc) Der Antrag auf Zurückstellung vom 12. Februar 2021 war jedoch verfristet. Gemäß § 15 Abs. 3 Satz 3 BauGB ist der Antrag auf Zurückstellung des Baugesuchs nur innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Gemeinde in einem Verwaltungsverfahren von dem Bauvorhaben förmlich Kenntnis erhalten hat, zulässig. Diese förmliche Kenntnisnahme erfolgt regelmäßig durch die Beteiligung der Gemeinde nach § 36 BauGB im Baugenehmigungsverfahren (Hornmann in BeckOK BauGB, Spannowsky/Uechtritz, 55. Edition 2022, § 15 Rn. 47). Gegenstand der Kenntniserlangung ist das konkrete Bauvorhaben.
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Ausgehend davon hat die Klägerin den Antrag auf Zurückstellung des Baugesuchs der Beigeladenen nicht innerhalb der vorgesehenen Frist gestellt. Der Bauantrag der Beigeladenen vom 15. Februar 2017 ist ausweislich des Eingangsstempels (Bl. 6 der Behördenakten – BA) am 20. Februar 2017 bei der Klägerin eingegangen. Die Klägerin hat somit zu diesem Zeitpunkt förmlich innerhalb des Verwaltungsverfahrens Kenntnis von dem Bauvorhaben erlangt.
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Die Frist begann auch nicht mit dem (erneuten) Bauantrag der Beigeladenen vom 30. November 2020 nochmals zu laufen. Die Sechsmonatsfrist in § 15 Abs. 3 Satz 3 BauGB beginnt nur dann erneut zu laufen, wenn ein Genehmigungsantrag aufgrund seines geänderten Inhalts die Frage der planungsrechtlichen Beurteilung neu aufwirft und deshalb der Gemeinde erneut Gelegenheit zu geben ist, ihre Bauleitplanung zu überdenken (Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 144. EL 2021, § 15 Rn. 88 f.; BayVGH, B.v. 24.8.2006 – 22 ZB 06.1091 – juris Rn. 3). Danach begann die Frist durch den Bauantrag der Beigeladenen vom 30. November 2020 nicht neu zu laufen. Zwar handelt es sich formal um einen neuen Bauantrag. Eine grundlegende inhaltliche Änderung erfolgte jedoch nicht. Hintergrund der erneuten Antragstellung war lediglich eine abweichende rechtliche Beurteilung durch den Beklagten, nachdem dieser den Bauantrag einer weiteren Prüfung unterzogen hatte. Die untere Naturschutzbehörde kam nunmehr zu dem Ergebnis, dass dem Vorhaben doch – unter Auflagen und Rotkorrekturen des landschaftspflegerischen Begleitplans – zugestimmt werden könne. Dies stellt lediglich eine abweichende rechtliche Beurteilung durch den Beklagten nach erneuter Überprüfung des inhaltlich gleichen Genehmigungsantrags dar. Die bauplanungsrechtliche Situation wurde gerade nicht durch den Bauantrag neu aufgeworfen. Damit bestand kein Anlass, dass der Klägerin die Frist erneut eröffnet wird, weil sie bereits 2017 Kenntnis vom Vorhaben erlangte und damals davon absah, bauleitplanerisch tätig zu werden. Daran ändern auch die vorgenommenen Rotkorrekturen des landschaftpflegerischen Begleitplans nichts. Sie beschränken sich auf die Anmerkung, dass der Wirkbereich des geplanten Masts falsch dargestellt sei, weil die Abbildung auf Seite 6 des Plans einen anderen Standort als den Vorhabenstandort darstellt. Der Vorhabenstandort ist indes unzweifelhaft auf Seite 3 des Plans mitsamt Abbildung und unter Angabe der zutreffenden Flurnummer dargestellt. Ferner findet sich auch auf Seite 5 des Plans eine Abbildung mit dem Vorhabenstandort. Auch die Korrektur bzgl. der Höhe der Kompensationsersatzzahlungen für den Eingriff in Natur und Landschaft (Seite 9 f. des Begleitplans) warf die bauplanungsrechtliche Situation nicht neu auf.
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Die Klägerin beschloss erst am 9. Februar 2021, die Zurückstellung zu beantragen. Der Antrag gegenüber dem Landratsamt vom 12. Februar 2021 war somit verfristet, weil die Klägerin bereits seit dem 20. Februar 2017 Kenntnis über das Vorhaben hatte.
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dd) Auf die übrigen Voraussetzungen, insbesondere ob die Konzentrationszonenplanung der Klägerin bereits hinreichend konkretisiert war, kommt es deshalb nicht an.
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b) Der Beklagte hat das gemeindliche Einvernehmen der Klägerin i.S.d. § 36 Abs. 1 BauGB zu Recht gemäß Art. 67 BayBO ersetzt, denn die Klägerin hat das Einvernehmen zu Unrecht verweigert.
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Die bereits im zugehörigen Beschluss im Eilverfahren aufgeworfene Frage, ob das gemeindliche Einvernehmen gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB als erteilt gilt, konnte auch im Hauptsacheverfahren nicht abschließend geklärt werden. Insoweit spricht weiterhin einiges dafür, dass das Einvernehmen nicht innerhalb von zwei Monaten nach maßgeblicher Einreichung des Bauantrags bei der Klägerin verweigert wurde. Der Bauantrag datiert auf den 30. November 2021, die Klägerin verweigerte das Einvernehmen erst mit Beschluss vom 9. Februar 2021, der am 16. Februar 2021 beim Landratsamt einging. Mangels in den Akten befindlichen Informationen über den maßgeblichen Zeitpunkt des Eingangs des Bauantrags bei der Klägerin – etwa aufgrund einer Eingangsstempelung – kann diese Frage nicht abschließend geklärt werden, obgleich die vorhandenen Daten eine Einvernehmensfiktion nahelegen. Tatsachen hierzu wurden auch nach der Entscheidung im Eilverfahren nicht vorgebracht. Ob die Klägerin insoweit ihrer Darlegungspflicht nachgekommen ist, kann offengelassen werden. Denn das Einvernehmen wurde jedenfalls zu Unrecht verweigert. Nach § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB darf das Einvernehmen der Gemeinde nur aus den sich aus den §§ 31, 33, 34 und 35 BauGB ergebenden Gründen versagt werden. Das Vorhaben liegt unstreitig im bauplanungsrechtlichen Außenbereich, sodass das Einvernehmen nur aus den sich aus § 35 BauGB ergebenden Gründen versagt werden dürfte. Gemäß § 35 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben im Außenbereich nur zulässig, wenn ihm als privilegiertem Vorhaben öffentliche Belange nicht entgegenstehen oder es nach § 35 Abs. 2 BauGB als sonstiges Vorhaben keine öffentlichen Belange beeinträchtigt.
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aa) Das Vorhaben ist gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB privilegiert. Danach sind u.a. solche Vorhaben privilegiert, die der öffentlichen Versorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen dienen.
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Das Vorhaben dient als Mobilfunksendeanlage der öffentlichen Versorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen, insbesondere der besseren mobilen Versorgung der durch das Vorhabensgrundstück verlaufenden Bahnstrecke.
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Es ist zudem ortsgebunden. Zusätzlich zu den in § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB bezeichneten Merkmalen von Einrichtungen der öffentlichen Versorgung verlangt das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung, dass die ihnen dienenden Vorhaben ähnlich wie die in Nr. 3 genannten Vorhaben, die „ortsgebundenen Betrieben“ dienen, ortsgebunden sind (BVerwG, U.v. 12.1.1977 – 4 C 28/75 – juris Rn. 23). Mit Urteil vom 20. Juni 2013 (Az. 4 C 2/12) hat das Bundesverwaltungsgericht das Merkmal der Ortsgebundenheit im Hinblick auf die Besonderheiten der Mobilfunktechnologie für Mobilfunksendeanlagen modifiziert. Danach genügt zur Inanspruchnahme der Privilegierung als öffentliche Versorgungsanlage nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB bei Mobilfunksendeanlagen anstelle der Ortsgebundenheit ihre Raum- bzw. Gebietsgebundenheit (BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 4 C 2/12 – juris Rn. 13). Hieraus ergibt sich grundsätzlich die Verpflichtung des Mobilfunkunternehmens, die Vergeblichkeit seiner Bemühungen um einen Standort im Innenbereich nachvollziehbar zu belegen. Das kann beispielsweise durch die Vorlage einer der Entscheidung für einen Außenbereichsstandort vorangegangenen Standortuntersuchung geschehen (BayVGH, B.v. 26.5.2014 – 2 ZB 12.2319 – juris Rn. 4).
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Gleichwohl ist die Vorlage einer Standortanalyse nach dem Willen des Gesetzgebers dann nicht erforderlich, wenn die Mobilfunkanlage gerade der Versorgung des Außenbereichs oder der Herstellung eines stabilen Mobilfunknetzes auch im Außenbereich, auch mit Blick auf die Versorgung von Straßen und Feldern, dienen soll und insoweit schon aus technischen Gründen ein geeigneter Standort im Innenbereich nicht in Betracht kommt (BT-Drs. 19/24838 zum Entwurf eines Gesetzes zur Mobilisierung von Bauland (Baulandmobilisierungsgesetz), Seite 20 Punkt 7). So liegt es hier. Nach der in den Behördenakten befindlichen Darstellung (Bl. 130 d. BA) dient der geplante Mast der Versorgung der Bahnstrecke bis hin zum Ufer des …sees sowie in westlicher Richtung der Versorgung des angrenzenden Innenbereichs. Ferner ist aus den Behördenakten ersichtlich, dass der Erteilung der Baugenehmigung eine Alternativstandortsuche vorausgegangen ist und die vorgeschlagenen Alternativgrundstücke aus unterschiedlichen Gründen (unzureichende Versorgung, fehlende Bereitschaft der jeweiligen Eigentümer zur Vermietung etc.) nicht in Betracht kamen. Schließlich sind sämtliche in den Behördenakten genannten Alternativstandorte (FlNr. 1694 Gem. …, FlNr. 246/70 Gem. …, FlNr. 246/63 Gem. … sowie FlNr. 3343 Gem. … … …*) ebenfalls im Außenbereich gelegen. Eine Standortalternativenprüfung für den Außenbereich findet im Baugenehmigungsverfahren gerade nicht statt (BayVGH, B.v. 22.3.2022 – 1 CS 22.56 – juris Rn. 11).
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bb) Dem privilegierten Vorhaben stehen keine öffentlichen Belange gemäß § 35 Abs. 3 BauGB entgegen.
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(1) Das Vorhaben ruft keine schädlichen Umwelteinwirkungen gemäß § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB hervor.
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Soweit die Klägerin auf schädliche Umwelteinwirkungen in Form von Immissionen und die fehlende Vorlage einer Standortbescheinigung gemäß § 4 der Verordnung über das Nachweisverfahren zur Begrenzung elektromagnetischer Felder (BEMFV) hinweist, führt dies nicht zum Entgegenstehen öffentlicher Belange. Denn die von der Funkstrahlung des Mobilfunkmasts ausgehenden schädlichen Einwirkungen auf die menschliche Gesundheit sind aufgrund der Spezialität des Standortbescheinigungsverfahrens von der Baugenehmigungsbehörde nicht zu prüfen. Das Immissionsschutzrecht ordnet eine Konzentrationswirkung zugunsten der Baugenehmigung nicht an. Die von der Klägerin angenommene Gefahrensituation hat demnach nicht die Bauaufsichtsbehörde, sondern die hierfür ausschließlich zuständige Bundesnetzagentur zu prüfen. Die Standortbescheinigung stellt der Sache nach eine Bescheinigung über die Zulässigkeit des Betriebs einer bestimmten Funkanlage an einem bestimmten Standort dar und hat die Funktion einer Freigabe des Betriebs; sie darf nur unter den Voraussetzungen des § 5 BEMFV erteilt werden (BayVGH, B.v. 18.1.2022 – 1 CS 21.2386 – juris Rn. 16). Durch das Nebeneinander von Baugenehmigung und Standortbescheinigung entsteht auch keine Rechtsschutzlücke für betroffene Dritte, weil die Standortbescheinigung einen im Wege der Nachbarklage anfechtbaren Verwaltungsakt mit Doppelwirkung darstellt (BayVGH, B.v. 30.3.2004 – 21 CS 03.1053 – juris).
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(2) Dem Vorhaben stehen keine Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege sowie die natürliche Eigenart der Landschaft und deren Erholungswert entgegen. Es verunstaltet auch nicht das Orts- und Landschaftsbild, § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB.
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(a) Dem Vorhaben stehen keine Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege entgegen, auf die sich die Klägerin berufen könnte.
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Dabei ist der jeweils eigenständige Charakter der bauplanungsrechtlichen und der naturschutzrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Außenbereichsvorhabens zu beachten; die Anforderungen des § 35 BauGB stehen, auch soweit sie „naturschutzbezogen“ i.S.v. Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 sind, unabhängig neben den Anforderungen des Naturschutzrechts (BVerwG, U.v. 13.12.2001 – 4 C 3/01 – juris). In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass es einer Gemeinde grundsätzlich verwehrt ist, sich zum „gesamtverantwortlichen Wächter des Natur- und Umweltschutzes“ aufzuschwingen und als solcher Belange der Allgemeinheit zu wahren, die keinen speziellen Bezug zu ihrem Selbstverwaltungsrecht, insbesondere zu ihrer Planungshoheit, aufweisen. Ebenso wenig darf sie sich als Kontrolleur der zur Wahrung öffentlicher Belange jeweils berufenen staatlichen Behörden oder als Sachwalter privater Interessen betätigen. Dass die Gemeinde im Rahmen der Einvernehmensregelung nicht berechtigt ist, fachbehördlich geregelte öffentliche Interessen geltend zu machen, wird nicht zuletzt auch dadurch belegt, dass weder das Baugesetzbuch noch die Fachgesetze ein besonderes Verfahren zur Konfliktregelung für den Fall vorsehen, dass eine Divergenz zwischen Fachbehörde und Gemeinde besteht (BayVGH, B.v. 19.7.2010 – 9 CE 10.983 – juris Rn. 9).
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Die Klägerin war demnach nicht befugt, dem Vorhaben das Einvernehmen allein aus Gründen des Naturschutzes zu versagen. Ferner ist nicht ersichtlich, dass Gründe des Landschaftsschutzes derart inmitten stehen, dass sie einen Bezug zur Planungshoheit der Klägerin haben können. So liegt das Vorhabengrundstück zwar an der Grenze zu einem Landschaftsschutzgebiet, jedoch nicht innerhalb.
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(b) Das Vorhaben verunstaltet nicht das Orts- und Landschaftsbild.
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Das Landschaftsbild wäre dann verunstaltet, wenn mit der Errichtung des Vorhabens der städtebauliche und landschaftliche Gesamteindruck erheblich gestört würde, mit anderen Worten, wenn das Bauvorhaben dem Orts- oder Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen ist und auch von einem für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter als belastend empfunden wird. Ob diese Schwelle überschritten ist, hängt von den konkreten Umständen der jeweiligen Situation und einer wertenden Betrachtung des jeweiligen Gebiets ab (BayVGH, U.v. 9.8.2007 – 25 B 05.1341 – juris Rn. 27 m.w.N.).
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Danach verunstaltet der geplante Mobilfunkmast nicht das Orts- und Landschaftsbild. Das Fachgebiet Naturschutz des Landratsamts stellte in seiner naturschutzfachlichen Stellungnahme vom 14. Juni 2021 zwar fest, dass der Mobilfunkmast optisch in das angrenzende Landschaftsschutzgebiet wirke und die natürliche Eigenart der Landschaft erheblich und nachhaltig beeinträchtige. Gleichwohl geht auch die Behörde davon aus, dass dem Vorhaben dann keine öffentlichen Belange entgegenstünden, wenn der landschaftspflegerische Begleitplan vom 28. Juli 2017 mit Rotkorrektur zum Bestandteil der Baugenehmigung gemacht werde und eine Ersatzzahlung für den nicht ausgleich- und ersetzbaren Eingriff zu leisten sei. Dies setzt in der Sache voraus, dass der Mobilfunkmast genehmigungsfähig ist, also am konkreten Standort auch nicht verunstaltend wirkt. Das Gericht hält diese Einschätzung, dass das Vorhaben keine verunstaltende Wirkung hat, für zutreffend. Maßgeblich hierfür und für die Beurteilung ausreichend sind die in den Akten befindlichen Lichtbilder (Bl. 49 ff. d. BA). Das landschaftliche Umfeld des geplanten Mobilfunkstandorts ist bereits durch technische Einrichtungen und Bauten in erheblicher Weise vorbelastet. So befinden sich unmittelbar westlich des geplanten Standorts entlang der Bahnlinie Leitungen einschließlich dazugehöriger Masten (Bl. 49 d. BA). Zudem ist das Gebiet ca. 400 m östlich des Vorhabensstandorts – und damit deutlich näher am Ufer des …sees und im Landschaftsschutzgebiet gelegen – geprägt von Infrastruktureinrichtungen wie Sportplätzen sowie Flutlicht- und Strommasten (Bl. 51 d. BA). Darüber hinaus ist hinsichtlich privilegierter Vorhaben im Außenbereich wie dem streitgegenständlichen zu beachten, dass diese nach der Entscheidung des Gesetzgebers quasi planartig grundsätzlich dem Außenbereich zugewiesen sind. (BVerwG, U.v. 25.10.1967 – IV C 86/66 – juris Rn. 11). Dabei sind die nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB privilegierte Mobilfunkmasten wesensgemäß von weither sichtbar. Schließlich ist die landwirtschaftlich genutzte Kulturlandschaft in besiedelten Gebieten seit der flächendeckenden Nutzung der Elektrizität durch Masten aller Art mitgeprägt. Gittermasten gehören seitdem jedenfalls in Ortsnähe zum Landschaftsbild, sodass bereits kein von diesem Anblick zu bewahrendes und schützendes Landschaftsbild vorliegt. Für den aufgeschlossenen Durchschnittsbeobachter ist er heutzutage eher üblich und umgebungstypisch (VG München, B.v. 10.11.2021 – M 9 SN 21.5136 – juris Rn. 33 ff.; BayVGH, B.v. 22.3.2022 – 1 CS 22.56 – juris Rn. 9). Für eine grobe Unangemessenheit des zu errichtenden Mobilfunkmastes am geplanten Standort ist daher nichts ersichtlich.
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(c) Dem Vorhaben stehen nicht die natürliche Eigenart der Landschaft und ihr Erholungswert entgegen.
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Die natürliche Eigenart der Landschaft wird geprägt durch die naturgegebene Art der Bodennutzung, einschließlich der Eigentümlichkeiten der Bodenformation und ihrer Bewachsung (BayVGH, U.v. 15.7.2016 – 22 BV 15.2169 – juris Rn. 37) und durch die bereits vorhandenen Anlagen. Zwar kann grundsätzlich auch ein privilegiertes Vorhaben die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen, allerdings ist auch hier der gesetzgeberischen Zuweisung der privilegierten Vorhaben an den Außenbereich angemessen Rechnung zu tragen, weil sie sonst bedeutungslos wäre (BayVGH, B.v. 22.3.2022 – 1 CS 22.56 – juris Rn. 12). Unter Berücksichtigung der Privilegierung des Mobilfunkmastes gem. § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB lässt sich keine Beeinträchtigung einer schützenswerten natürlichen Eigenart der Landschaft feststellen. Ferner kann insoweit auf die obigen Ausführungen hinsichtlich des Eingriffs in das Orts- und Landschaftsbild Bezug genommen werden.
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Nach alledem war die Klage abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entsprach der Billigkeit, dass die Klägerin die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt, weil diese einen Antrag gestellt und sich somit einem Prozessrisiko ausgesetzt hat.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.