Titel:
Widerruf einer Fachanwaltsbezeichnung wegen der Nichterfüllung der Fortbildungsverpflichtung
Normenketten:
BRAO § 43c Abs. 4 S. 2
FAO § 15
Leitsätze:
1. Die Fortbildungspflicht gemäß § 15 FAO ist in jedem Kalenderjahr aufs Neue zu erfüllen. Mit dessen Ablauf steht die Verletzung der Fortbildungspflicht, die Tatbestandsvoraussetzung für die Befugnis der Rechtsanwaltskammer zum Widerruf ist, unumkehrbar fest; eine die Verletzung der Fortbildungspflicht rückwirkend heilende „Nachholung“ der Fortbildung im Folgejahr kommt deshalb nicht in Betracht. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Rechtsanwalt kommt seiner Fortbildungsverpflichtung nach § 15 FAO nicht nach, wenn er die erforderlichen Fortbildungsstunden über einen Zeitraum von drei aufeinander folgenden Jahren nicht nachweist. Die Vorlage von bloßen Anmeldungen zu Fortbildungsveranstaltungen genügt nicht als entsprechender Teilnahmenachweis. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wurde dem Rechtsanwalt ausreichend Zeit gegeben, etwaige unverschuldete Versäumnisse bei seiner Fortbildungsverpflichtung durch verstärkte Fortbildungen im Folgejahr zu kompensieren und zudem für ihn die Möglichkeit der Teilnahme an Online-Seminaren sowie des Selbststudiums mit Lernerfolgskontrolle bestand, rechtfertigt seine pauschale Bezugnahme auf Erkrankungen die Nichterfüllung der Fortbildungspflicht nicht. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Teilnahme an den entsprechenden Fortbildungsmaßnahmen für den Fachanwalt Steuerrecht kann weder durch eine vertiefte Praxis noch durch eine langjährige Erfahrung auf dem Gebiet des Steuerrechts oder eine Tätigkeit und Fortbildung als Steuerberater ersetzt werden. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwaltsbezeichnung, Widerruf, Nichterfüllung der Fortbildungsverpflichtung, Erkrankung, Materielle Rechtmäßigkeit, Anfechtungsklage, langjährige Erfahrung, Ausgleich der Fortbildungspflicht
Fundstellen:
BRAK-Mitt 2024, 167
BeckRS 2024, 20542
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Der Streitwert wird auf 12.500 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 15.02.2023, mit dem die Befugnis des Klägers zum Führen der Bezeichnung „Fachanwalt für Steuerrecht“ widerrufen wurde.
2
Dem Kläger, der seit 01.10.1984 als Rechtsanwalt Mitglied der Beklagten ist, wurde durch Bescheid der Beklagten vom 20.02.1990 die Befugnis verliehen, die Bezeichnung „Fachanwalt für Steuerrecht“ zu führen. Der Kläger ist außerdem als Steuerberater tätig und führt diese Berufsbezeichnung neben dem Titel „Fachanwalt für Steuerrecht“.
3
Mit Schreiben der Beklagten vom 06.04.2022 wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass er die erforderlichen Fortbildungsnachweise im Umfang von 15 Zeitstunden für das Jahr 2020 nur in Höhe von 7,5 Stunden und für das Jahr 2021 nur in Höhe von 6,5 Stunden erbracht habe, so dass für diese beiden Jahre insgesamt noch 16 Stunden offen seien. Für das Jahr 2022 seien bislang noch keine Nachweise vorgelegt worden. Zugleich wurde dem Kläger Gelegenheit zur Nachreichung der fehlenden Fortbildungsnachweise und zur Stellungnahme bis spätestens 16.05.2022 gegeben. Mit Schreiben vom 03.05.2022 teilte der Kläger mit, dass es ihm 2020 aufgrund einer schweren Coronaerkrankung sowie aus persönlichen Gründen nicht möglich gewesen sei, die erforderlichen Fortbildungen zu absolvieren. Im Jahr 2021 sei er ebenfalls krankheitsbedingt aufgrund eines Meniskusrisses 3 Monate ausgefallen. Er sei bereit, im Jahr 2022 die in diesem Jahr anfallenden 15 Zeitstunden ebenso wie die weiteren Fehlstunden aus der Vergangenheit zu buchen und bat um Einräumung der Möglichkeit, die Fortbildungsnachweise für 2020, 2021 und 2022 bis Ende des Jahres vorzulegen. Mit Schreiben vom 01.06.2022 räumte die Beklagte daraufhin dem Kläger letztmalig die Möglichkeit ein, die in Summe fehlenden 16 Stunden für die Jahre 2020 und 2021 bis spätestens 30.09.2022 nachzuweisen. Zudem müssten die weiteren erforderlichen 15 Zeitstunden für das Jahr 2022 bis spätestens 31.12.2022 absolviert und nachgewiesen werden. Bis Ende September 2022 wies der Kläger weitere 12,75 Fortbildungsstunden nach, bevor er am 30.09.2022 per E-Mail mitteilen ließ, dass weitere gebuchte Seminare aufgrund krankheitsbedingten Ausfalls und Urlaubs nicht mehr bis zum 30.09.2022 wahrgenommen werden könnten.
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Die Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 14.11.2022 zum geplanten Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung für Steuerrecht unter Fristsetzung zum 12.12.2022 an. Zur Begründung führte sie aus, dass der Kläger seiner kalenderjährlichen Fortbildungsverpflichtung über 15 Zeitstunden im Jahr 2020 nur in Höhe von 7,5 Stunden, im Jahr 2021 nur in Höhe von 6,5 Stunden und im Jahr 2022 nur in Höhe von 12,75 Stunden nachgekommen sei. Mit Stellungnahme vom 30.11.2022 verwies der Kläger auf Seminaranmeldungen für weitere 9 Fortbildungsstunden, ein am 30.11.2022 absolviertes Seminar über 3 Stunden sowie die Verlegung von Seminaren aufgrund der Erkrankung von Referenten und kündigte eine Nachholung der noch bestehenden Rückstände an. Darüber hinaus nahm er nochmals auf seine krankheitsbedingten Ausfälle Bezug und bat zu berücksichtigen, dass er nunmehr seit 1987 als Steuerberater und als Fachanwalt für Steuerrecht tätig sei und in diesen 35 Jahren die Fortbildungsnachweise erbracht worden seien. Als Steuerberater und insoweit auch Geschäftsführer einer Steuerberatungsgesellschaft falle sein täglicher Anteil an der Bearbeitung steuerlicher Fragen weitaus höher aus als bei anderen Kollegen, die zwar als Fachanwalt für Steuerrecht tätig seien, aber überwiegend Zivilrecht praktizierten.
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Am 14.12.2022 legte der Kläger noch eine Teilnahmebestätigung über 1,5 Fortbildungsstunden vor. Weitere Fortbildungsnachweise gingen bei der Beklagten nicht mehr ein.
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Mit Bescheid vom 15.02.2023, dem Kläger zugestellt am 17.02.2023, widerrief die Beklagte die Befugnis des Klägers zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung für Steuerrecht. Die Beklagte verwies darauf, dass der Kläger seit dem Jahr 2020 die Fortbildung nach § 15 FAO für sein Fachgebiet Steuerrecht nur noch lückenhaft erbracht habe: Er habe 7,5 Fortbildungsstunden für das Jahr 2020, 6,5 Fortbildungsstunden für das Jahr 2021 und 14,25 Fortbildungsstunden für das Jahr 2022 nachgewiesen. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls sowie des Vertrauens der Rechtsuchenden in die Kenntnisse von Fachanwälten einerseits und des Eingriffs in die Berufsfreiheit des Klägers andererseits übe die Beklagte ihr Ermessen dahingehend aus, die Berechtigung zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung zu widerrufen. Weitere Fortbildungsnachweise seien auch bis jetzt nicht vorgelegt worden. Argumente für ein schuldloses Unterbleiben der Fortbildung seien nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich. Soweit sich der Kläger auf das Vorliegen von Erkrankungen berufe, sei die ihm eingeräumte Möglichkeit zu berücksichtigen, fehlende Fortbildungsstunden nachzuholen. Auch seien die Erkrankungen nur temporär gewesen und nicht alle Erkrankungen hätten einer Erfüllung der Fortbildungspflicht entgegengestanden. Fehlende Fortbildungsstunden und Fortbildungsstunden für das laufende Jahr hätten in dieser Zeit erbracht werden können.
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Mit seiner hiergegen gerichteten Klage vom 17.03.2023, bei Gericht eingegangen am selben Tag, begehrt der Kläger die Aufhebung des Bescheides vom 15.02.2023. Er macht geltend, dass der Widerruf offensichtlich unverhältnismäßig und damit rechtswidrig sei. In dem Bescheid werde nicht berücksichtigt, dass er als Steuerberater ständig umfassend im Bereich des Steuerrechts tätig sei, als solcher eine Steuerberatungsgesellschaft als Geschäftsführer leite und im Gegensatz zu anderen Fachanwälten für Steuerrecht daher in erster Linie auf dem Gebiet des Steuerrechts tätig sei. Zudem sei entscheidend auf die Betrachtung des letzten, dem Widerruf vorausgehenden Jahres und damit auf das Jahr 2022 abzustellen. In diesem habe er 14,25 Fortbildungsstunden nachgewiesen, so dass von den erforderlichen 15 Stunden lediglich 0,75 Stunden fehlten. Eine Unterschreitung von (nur) 5% rechtfertige den Widerruf nicht. Auch sei er 30 Jahre lang den Anforderungen an die Erbringung aller Fortbildungsnachweise nachgekommen. Im Jahr 2020 sei er am 08.03.2020 an einer Corona-Infektion erkrankt, die sich im April zu einer Lungenentzündung ausgedehnt habe, weshalb ihm der Arzt für zwei Monate zunächst absolute Ruhe verordnet habe. Im Juni sei sodann ein Meniskusriss im linken Knie festgestellt und im Juli eine Knieoperation durchgeführt worden. Erst ab September sei er wieder arbeitsfähig, allerdings mit den Folgen seiner Erkrankung noch lange belastet gewesen. Aufgrund seines langen Ausfalls im Jahr 2020 sei es im Jahr 2021 zu einem vermehrten Arbeitsanfall gekommen, so dass er – trotz Bemühungen – die erforderlichen Fortbildungsnachweise nicht ausreichend erbracht habe. Allerdings habe er in den letzten Jahren, insbesondere im Jahr 2021 steuerlich äußerst komplexe und umfassende Betriebsprüfungen bei Unternehmen begleitet, die zwar aus Sicht der Fachanwaltsordnung nicht die Fortbildungsnachweise ersetzen, aber belegen könnten, dass er „auf Höhe“ der aktuellen Gesetzeslage, der Rechtsprechung der Finanzgerichte und der Erlasse der Finanzverwaltung sei.
Der Bescheid der Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesbezirk M. vom 15.02.2023, durch welchen die Befugnis zur Führung der Fachanwaltsbezeichnung für Steuerrecht widerrufen wird, wird aufgehoben.
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Die Beklagte beantragt,
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Sie vertritt die Ansicht, dass der ergangene Bescheid rechtmäßig und somit aufrechtzuerhalten sei. Der Kläger sei trotz mehrfacher Hinweise und Aufforderungen der ihm obliegenden Fortbildungsverpflichtung gemäß § 15 FAO nicht nachgekommen und habe seit dem Jahr 2020 keine ausreichenden Fortbildungsnachweise vorgelegt. Die Fortbildungsverpflichtung könne nicht dadurch entfallen oder ersetzt werden, dass der Kläger auch als Steuerberater tätig sei oder sich als Steuerberater fortbilde.
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Der Überprüfung durch die Rechtsanwaltskammer oblägen nicht nur die fehlenden Fortbildungen aus 2022, sondern auch die der vorangegangenen Jahre. Bei der Frist des § 25 Abs. 2 FAO, wonach ein Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung lediglich innerhalb eines Jahres seit Kenntnis des Vorstands von den sie rechtfertigenden Tatsachen zulässig sei, handele es sich um eine sog. Entscheidungsfrist. Der Lauf der Frist beginne daher grundsätzlich nicht vor Abschluss der Anhörung. Vorliegend habe der Kläger vielfach um Fristverlängerung gebeten und das Hereinreichen weiterer Unterlagen in Aussicht gestellt. Dies könne nicht zu Lasten der Beklagten ausgelegt werden. Die Entscheidungsfrist habe ihren Beginn daher erst mit Verstreichen der letztmaligen Frist nach Anhörung zum Widerruf der Fachanwaltsbezeichnung. Damit sei nicht nur das Jahr 2022, sondern auch die vorangegangenen Jahre zu beurteilen.
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Die vorgetragene Krankheit des Klägers könne ebenfalls nicht als Begründung für ein Absehen von der Fortbildungsverpflichtung herangezogen werden. Die Fortbildungsverpflichtung nach § 15 FAO gelte ausnahmslos; lediglich die Frist zur Erbringung von Fortbildungsnachweisen könne aufgrund von Härtefällen verlängert werden. Der mehrfachen Bitte der Beklagten, die vorgetragene Krankheit anhand entsprechender Nachweise zu dokumentieren, sei der Kläger bis heute nicht nachgekommen. Zudem hätten Art und Dauer der behaupteten Erkrankungen der Erfüllung der Fortbildungspflichten nicht ganzjährig entgegengestanden, zumal § 15 FAO verschiedene Möglichkeiten der Fortbildung erlaube. Die Beklagte habe vorliegend ihr Ermessen in Form von zahlreichen Fristverlängerungen gegenüber dem Kläger zur Erbringung der Fortbildungsnachweise fehlerfrei ausgeübt. Der Kläger habe zu keiner Zeit nachvollziehbare schriftliche Nachweise für etwaige Verhinderungen vorgelegt, sondern die Beklagte nur mehrfach vertröstet. Er sei nunmehr bereits drei Jahre in Folge seiner Fortbildungsverpflichtung nicht ausreichend nachgekommen.
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Ergänzend wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen, die beigezogene Personalakte (Teil „Fachanwaltschaften“) und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25.01.2024 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
15
Die sachliche und örtliche Zuständigkeit des BayAGH München folgt aus § 112a Abs. 1, § 112b BRAO.
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Die Klage ist zutreffend gegen die Beklagte als diejenige Rechtsanwaltskammer gerichtet, die den Bescheid erlassen hat (§ 112d Abs. 1 Nr. 1 BRAO).
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Die erhobene Klage ist als Anfechtungsklage nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 42 VwGO statthaft und form- und fristgerecht erhoben worden (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 74 Abs. 1 VwGO). Ein Vorverfahren ist gemäß Art. 15 Abs. 2 BayAGVwGO entbehrlich.
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Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 15.02.2023, mit dem die Befugnis des Klägers zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung für Steuerrecht widerrufen wurde, ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 113 Abs. 1 VwGO).
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1) Der Bescheid ist formell rechtmäßig.
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Gemäß § 33 Abs. 3 Nr. 1, § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO, § 25 Abs. 1 FAO ist die Beklagte örtlich und sachlich für die Durchführung des Widerrufsverfahrens zuständig.
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Der Kläger wurde gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 FAO nach vorausgegangener Korrespondenz mit Schreiben der Beklagten vom 14.11.2023 zum geplanten Widerruf angehört.
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Durch begründeten Bescheid vom 15.02.2023, dem Kläger zugestellt am 17.02.2023, wurde die Befugnis des Klägers zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung widerrufen (§ 25 Abs. 3 Satz 2 und 3 FAO).
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2) Der Bescheid ist materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO i.V.m. § 15 FAO sind erfüllt. Zudem hat die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen zutreffend ausgeübt.
24
a) Gemäß § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO kann einem Rechtsanwalt die Befugnis, die Bezeichnung als Fachanwalt für Steuerrecht zu führen, entzogen werden, wenn er die gemäß § 15 FAO vorgeschriebenen Fortbildungen nicht wahrnimmt. Gemäß § 15 FAO hat der Anwalt pro Jahr Fortbildungsmaßnahmen im Umfang von 15 Zeitstunden unaufgefordert nachzuweisen, wobei 5 Zeitstunden durch die Lektüre von Fachzeitschriften nebst Leistungsnachweis abgedeckt werden können.
25
Die Fortbildungspflicht ist in jedem Kalenderjahr aufs Neue zu erfüllen. Mit dessen Ablauf steht die Verletzung der Fortbildungspflicht, die Tatbestandsvoraussetzung für die Befugnis der Rechtsanwaltskammer zum Widerruf ist, unumkehrbar fest; eine die Verletzung der Fortbildungspflicht rückwirkend heilende „Nachholung“ der Fortbildung im Folgejahr kommt deshalb nicht in Betracht (BGH, Urteil vom 05.05.2014 – AnwZ (Brfg) 76/13, NJW-RR 2014, 1083, juris Rn. 9). Eine einmalige Verletzung der Fortbildungspflicht führt allerdings nicht zwingend zum Widerruf. Vielmehr entscheidet der Vorstand der Rechtsanwaltskammer nach pflichtgemäßem Ermessen über den Widerruf. Hierbei sind alle Umstände des Einzelfalls – so z.B. eine aufgrund Erkrankung unverschuldete Versäumung der Fortbildung – zu berücksichtigen. Insoweit liegt es durchaus auch im Rahmen der pflichtgemäßen Entscheidung der Kammer, wenn sie – wie hier anfangs die Beklagte – bei der erstmaligen Verletzung der Fortbildungspflicht vom Widerruf zunächst absieht und dem Anwalt die Möglichkeit gibt, durch verstärkte Fortbildung im laufenden Jahr eine Sanktionierung der einmaligen Pflichtverletzung im zurückliegenden Jahr zu vermeiden (vgl. BGH a.a.O., juris Rn. 10 m.w.N.).
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b) Der Kläger hat vorliegend seine Fortbildungspflicht nicht nur im Jahr 2020, sondern auch in den Jahren 2021 und 2022 und damit in drei aufeinander folgenden Jahren nicht erfüllt. Die ihm von der Beklagten mit Schreiben vom 01.06.2022 eingeräumte Möglichkeit einer verstärkten Fortbildung dergestalt, die 16 Fehlstunden aus der Vergangenheit bis 30.09.2022 nachzuweisen, wobei die weiteren 15 Fortbildungsstunden für das Jahr 2022 entsprechend der gesetzlichen Regelung bis 31.12.2022 zu absolvieren und nachzuweisen waren, hat der Kläger nicht ergriffen. Ebenso wenig ist er seiner eigenen Ankündigung im Schreiben vom 03.05.2022 nachgekommen, wonach er die 16 Fehlstunden der beiden vorangegangenen Jahre zusammen mit den 15 Fortbildungsstunden für das Jahr 2022 bis zum Jahresende ableisten werde, sondern hat im Jahr 2022 insgesamt lediglich 14,25 Stunden nachgewiesen. Damit hat er seine Fortbildungspflicht nicht einmal im Jahr 2022 vollständig erfüllt. Darüber hinausgehende Nachweise wurden von ihm nicht mehr vorgelegt. Die Vorlage von bloßen Anmeldungen zu Fortbildungsveranstaltungen genügt als Teilnahmenachweis nicht (BGH BRAKMitt. 2001,188).
27
Soweit sich der Kläger auf Erkrankungen berufen hat, ist – unabhängig vom Fehlen diesbezüglicher Belege und Nachweise – zum einen festzuhalten, dass ihm von der Beklagten insoweit ausreichend Zeit gegeben wurde, etwaige unverschuldete Versäumnisse durch verstärkte Fortbildungen im Jahr 2022 zu kompensieren. Zum anderen verweist die Beklagte zu Recht darauf, dass die vorgetragenen Erkrankungen letztlich temporär waren und nicht alle Erkrankungen einer Erfüllung der Fortbildungspflicht entgegengestanden hätten, insbesondere wenn man die Möglichkeit der Teilnahme an Online-Seminaren und des Selbststudiums mit Lernerfolgskontrolle berücksichtigt. Dies gilt umso mehr bei Einbeziehung auch des Zeitraums 2022. Insoweit wurden triftige Hinderungsgründe, die einer (verstärkten) Fortbildung seitens des Klägers entgegengestanden hätten, weder im Einzelnen dargelegt noch sind solche ersichtlich. Die pauschale Bezugnahme auf nicht näher spezifizierte krankheitsbedingte Ausfälle des Klägers, Urlaub oder die Erkrankung von Referenten genügt nicht.
28
Die Nichterfüllung der Fortbildungspflicht kann nicht dadurch ausgeglichen werden, dass der Kläger – seinen Angaben zufolge – als Steuerberater und insoweit auch als Geschäftsführer einer Steuerberatungsgesellschaft im Gegensatz zu anderen Fachanwälten für Steuerrecht in erster Linie auf dem Gebiet des Steuerrechts tätig und durchgehend mit komplexen steuerrechtlichen Fragen befasst gewesen wäre. Mit der Verleihung und Führung der Fachanwaltsbezeichnung nimmt der Rechtsanwalt gegenüber dem rechtsuchenden Publikum eine im Vergleich zu anderen Anwälten besondere Qualifikation auf diesem Gebiet in Anspruch. Es entspricht der verständigen Erwartung der Rechtsuchenden und damit vernünftigen Gründen des Gemeinwohls, dass er seine spezifischen Kenntnisse jeweils auf dem neuesten Stand hält. Lediglich durch ständige fortlaufende Fortbildungen kann auch gewährleistet werden, dass Änderungen der Gesetzeslage und Rechtsprechung sowie neuere Literatur Einzug in die Beratung der Fachanwälte finden. Die Fortbildungspflicht dient insoweit der Sicherung eines einheitlichen Qualitätsstandards (BGH, Urteil vom 05.05.2014 – AnwZ (Brfg) 76/13, NJW-RR 2014, 1083, juris Rn. 8). Zu diesem Zweck sieht § 15 FAO ein formalisiertes Verfahren der Fortbildung und des Nachweises vor. Die Rechtsuchenden dürfen darauf vertrauen, dass ein Berufsträger, der die Bezeichnung „Fachanwalt für Steuerrecht“ führt, auch an den entsprechenden Fortbildungsmaßnahmen teilgenommen hat. Dies kann weder durch eine vertiefte Praxis noch durch eine langjährige Erfahrung auf dem Gebiet des Steuerrechts oder eine Tätigkeit und Fortbildung als Steuerberater ersetzt werden.
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Entgegen der Ansicht des Klägers ist auch nicht allein die Betrachtung des letzten, dem Widerruf vorausgehenden Jahres maßgeblich. Insbesondere hindert die Jahresfrist gemäß § 25 Abs. 2 FAO die Einbeziehung der Jahre 2020 und 2021 nicht. Bei der Jahresfrist handelt es sich um eine Entscheidungsfrist (BGH a.a.O., juris Rn. 14). Sie beginnt erst zu laufen, wenn dem Vorstand sämtliche – auch für die Ermessensausübung – relevanten Tatsachen bekannt sind, mithin Entscheidungsreife eingetreten ist. Auch eine notwendige Anhörung zum Widerruf muss grundsätzlich bereits erfolgt sein (BGH a.a.O.). Diese war vorliegend erst mit Schreiben vom 14.11.2022 unter Fristsetzung zum 12.12.2022 abgeschlossen und bezog sich – insbesondere im Hinblick auf die zuvor eingeräumte Möglichkeit zur verstärkten Fortbildung im Jahr 2022 – gerade auf die Jahre 2020 und 2021. Der Widerruf vom 15.02.2023 unter Betrachtung auch der Jahre 2020 und 2021 war damit nicht verfristet.
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c) Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen hat die Beklagte im vorliegenden Fall das ihr eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Sie hat insbesondere zunächst von einem Widerruf wegen Verletzung der Fortbildungspflicht abgesehen und dem Kläger ausreichend Möglichkeit gegeben, durch verstärkte Fortbildung im laufenden Jahr 2022 eine Sanktionierung der Pflichtverletzungen in den beiden vorangegangenen Jahren zu vermeiden. Dies ist erfolglos geblieben. Der Kläger hat vielmehr auch für das Jahr 2022 – wenn auch in geringerem Maße als in den Vorjahren – seine Fortbildungspflicht nicht erfüllt, geschweige denn nachträgliche überobligationsmäßige Fortbildungsanstrengungen unternommen, um den drohenden Widerruf abzuwenden.
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Das Vertrauen der Rechtsuchenden, dass ein Fachanwalt seine Kenntnisse im Rahmen der Fortbildung gemäß § 15 FAO aktualisiert, geht daher der Einschränkung der Berufsfreiheit des Klägers durch den Widerruf der Befugnis, die Berufsbezeichnung „Fachanwalt für Steuerrecht“ zu führen, vor.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, 154 Abs. 1 VwGO.
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Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 194 Abs. 1 BRAO, § 52 Abs. 2 GKG.
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Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen gemäß § 112e BRAO, § 124 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.