Inhalt

Anwaltsgerichtshof München, Beschluss v. 19.06.2024 – BayAGH I - 1 - 6/21
Titel:

Sofortvollzug des Widerrufs zur Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bei fehlender Berufshaftpflichtversicherung

Normenketten:
BRAO § 14 Abs. 2 Nr. 9, Abs. 4 S. 2, § 112c Abs. 1 S. 1
VwGO § 161 Abs. 2
Leitsatz:
Unterhält ein Rechtsanwalt keine Berufshaftpflichtversicherung, so ist auch dann die sofortige Vollziehung des Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft anzuordnen, wenn der Rechtsanwalt seinen Beruf ohnehin nur in einem geringen Umfang ausübt (Anschluss AGH Sachsen BeckRS 2011, 23734). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erledigung, Kosten, Erfolgsaussichten, Widerruf, Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, Berufshaftpflichtversicherung, sofortige Vollziehung
Fundstellen:
AnwBl 2024, 237
NWB 2024, 2829
BRAK-Mitt 2024, 322
BeckRS 2024, 20455
LSK 2024, 20455

Tenor

1. Das Verfahren wird eingestellt.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Prozesskostenhilfeantrag des Klägers wird zurückgewiesen.
4. Der Streitwert wird auf 25.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Gegenstand des Rechtsstreits war der Widerruf der Zulassung des Klägers als Rechtsanwalt.
2
Der am 28.10.1951 geborene Kläger wurde mit Zulassungsverfügung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 06.07.1982 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Die Zulassungsurkunde wurde ihm am 23.07.1982 ausgehändigt.
3
Die ... hatte mit Schreiben vom 15.12.2020, eingegangen bei der Rechtsanwaltskammer Nürnberg am 17.12.2020, mitgeteilt, dass der Versicherungsschutz des Klägers aus seiner Vermögensschadens Haftpflichtversicherung nicht mehr bestehe und am 15.12.2020 geendet habe.
4
Nach Anhörung des Klägers zur Frage des Widerrufs wegen Aufgabe der Berufshaftpflichtversicherung gem. § 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO hatte die Beklagte mit Bescheid vom 12.01.2021 die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft widerrufen und die sofortige Vollziehung des Bescheids angeordnet. Der Bescheid vom 12.01.2021 war dem Kläger am 14.01.2021 zugestellt worden.
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Der Kläger hatte mit seiner Klage vom 11.02.2021, beim Anwaltsgerichtshof eingegangen am 12.02.2021, beantragt, den Bescheid der Rechtsanwaltskammer Nürnberg vom 12.01.2021 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO wiederherzustellen.
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Er trug vor, dass zwar tatsächlich zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids kein Haftpflichtvertrag bestanden habe, dass aber keine Mandantengefährdung bestehe und eine solche auch nicht zu besorgen sei. Er führe seit 2019 keine Fremdmandate mehr aus, beschäftige sich vielmehr in der Schlussphase seines beruflichen Lebens nur noch mit verfassungsrechtlichen Fragen und Eigenverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Er habe weder im Jahr 2019 noch im Jahr 2020 Fremdmandate geführt und für diese Jahre auch keine Einkünfte aus anwaltlicher Tätigkeit gehabt. Um eine Anpassung des Versicherungsvertrags im Hinblick auf die versicherten nicht existenten Gefahren in Millionenhöhe habe er sich vergeblich bemüht. Der Bescheid greife in unverhältnismäßiger Weise in seine Freiheit der Berufsausübung ein.
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Die Beklagte hatte beantragt, die Klage zurückzuweisen und den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage abzuweisen.
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Die Beklagte legte dar, dass die Klage unbegründet sei. Der Widerruf der Zulassung wegen Nichtunterhaltens einer Berufshaftpflichtversicherung und die Anordnung der sofortigen Vollziehung seien rechtmäßig. Der Widerruf sei zwingende Folge, ein Ermessensspielraum bestehe nicht. Der Kläger habe bis dato nicht nachgewiesen, dass er eine den Anforderungen des § 51 BRAO entsprechende Berufshaftpflichtversicherung unterhalte. Die Prämienzahlung sei nach telefonischer Nachfrage bei der Allianzversicherung nach wie vor offen. Dass der Kläger nach eigenem Vortrag seit 2019 keine Fremdmandate mehr führe, trage dazu bei, dass der Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft auch aus anderen Gründen gerechtfertigt wäre (§ 14 Abs. 3 Nr. 4 BRAO).
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Mit Schreiben vom 02.06.2023 hat der Kläger die Hauptsache für erledigt erklärt, da die Zeit „über das Verfahren hinausgegangen“ sei. Er legte dem Schreiben eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei und beantragte Terminsaufhebung sowie Entscheidung im Beschlusswege über die Kosten und seinen Prozesskostenhilfeantrag.
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Die Beklagte hat der Erledigterklärung mit Schreiben vom 05.06.2024 zugestimmt. Sie beantragt, dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.
II.
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1. Die Entscheidungen im vorbereitenden Verfahren zur Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, zum Prozesskostenhilfeantrag des Klägers, zum Streitwert und den Kosten des Verfahrens trifft der Berichterstatter (§ 112 c Abs. 1 S. 1 BRAO, § 87a Abs. 1 Nr. 3, 4 und 5 VwGO).
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2. Durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Parteien endet die Rechtshängigkeit. Das Gericht stellt den Rechtsstreit entsprechend § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO, 92 Abs. 3 VwGO deklaratorisch ein (BeckOK VwGO/Zimmermann-Kreher, 69. Ed. 1.4.2024, VwGO § 161 Rn. 12).
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3. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger
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a) Die Kostenentscheidung erfolgt gemäß § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO, § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes. Zwar ist durch das Gericht nicht abschließend über den Streitstoff zu entscheiden, sondern nur eine summarische Prüfung vorzunehmen (BeckOK VwGO/Zimmermann-Kreher, 69. Ed. 1.4.2024, VwGO § 161 Rn. 13). Dennoch entspricht es in der Regel billigem Ermessen, demjenigen Beteiligten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der ohne die Erledigung voraussichtlich unterlegen wäre (BeckOK VwGO/Zimmermann-Kreher, 69. Ed. 1.4.2024, VwGO § 161 Rn. 14 m.w.Nw.).
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b) Dem Kläger sind die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, da seine Klage erfolglos gewesen wäre.
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Der angegriffene Widerrufsbescheid war formell und materiell rechtmäßig. Rechtsgrundlage des Widerrufs der Anwaltszulassung war im vorliegenden Fall § 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO. Nach dieser Vorschrift ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt nicht die vorgeschriebene Berufshaftpflichtversicherung (§ 51 BRAO) unterhält.Die Berufshaftpflichtversicherung des Klägers endete am 15.12.2020. Die Regelung des § 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO ist zwingend und enthält keinen Ermessensspielraum. Die Rechtsfolge des Ausschlusses aus dem Rechtsanwaltsberuf für den Fall, dass die Berufshaftpflichtversicherung in dem in § 51 BRAO vorgesehenen Umfang nicht unterhalten wird, ist nicht unangemessen und ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (Weyland/Vossebürger, 11. Aufl. 2024, BRAO § 14 Rn. 76). Die Pflicht zur dauernden Unterhaltung einer Haftpflichtversicherung besteht unabhängig davon, ob und in welchem Umfang der Rechtsanwalt seinen Beruf tatsächlich ausübt; es genügt, dass er berechtigt ist, den Rechtsanwaltsberuf auszuüben (BGH, Beschluss vom 01.02.2006, AnwZ (B) 71/05 m.w.Nw.).
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Auch eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kam nicht in Betracht. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung hatte das Interesse des Klägers am Suspensiveffekt der Klage überwogen. Die Klage hatte in der Hauptsache keine Erfolgsaussichten. Ein Fall, in dem eine Ausnahme von der Regel des § 14 Abs. 4 S. 2 BRAO in Betracht kommt, war vorliegend nicht gegeben, wie die Beklagte in ihrem Bescheid nachvollziehbar festgestellt hat, da ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die fehlende Berufshaftpflichtversicherung ausnahmsweise keine Gefährdung der Mandanten bedeutet, nicht ersichtlich waren (vgl. Weyland/Vossebürger, 10. Aufl. 2020, BRAO § 14 Rn. 110; Anwaltsgerichtshof München, Beschluss vom 26.02.1996, BayAGH I – 17/95). Insbesondere ist unerheblich, ob und in welchem Umfang der Kläger seinen Beruf als Rechtsanwalt tatsächlich ausübt (Anwaltsgerichtshof Dresden, Beschluss vom 15.08.2011, AGH 12/11 (I), juris Rn. 15). Die bloße Behauptung des Klägers, dass er schon seit 2019 keine Fremdmandate mehr betreue, reichte nicht aus, zumal dies nicht ausschloss, dass er die Annahme von Fremdmandaten jederzeit wieder aufnehmen konnte. Besonders schwerwiegende Folgen der sofortigen Vollziehung waren vom Kläger nicht dargetan.
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4. Der Prozesskostenhilfeantrag des Klägers, der er erst mit Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen entscheidungsreif wurde (vgl. BeckOK VwGO/Zimmermann-Kreher, 69. Ed. 1.4.2024, VwGO § 166 Rn. 45, 46 m.w.Nw.), ist zurückzuweisen, da seine Klage nicht die von § 112 c Abs. 1 S. 1 BRAO, § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorausgesetzte hinreichende Erfolgsaussicht geboten hat. Auf die vorstehenden Ausführungen unter 3. wird Bezug genommen. Die mangelnde Erfolgsaussicht war dabei auch unter Berücksichtigung der für die im Prozesskostenhilfeverfahren anzulegenden ex-ante-Perspektive gegeben, ohne dass es im Verfahren auf die Entscheidung höchst streitiger Fragen rechtlicher oder tatsächlicher Art angekommen wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.12.2018, 2 BvR 2257/17), die es nahegelegt hätten, den Ausgang des Rechtsstreits aus der ex-ante-Sicht als offen anzusehen.
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5. Die Streitwertfestsetzung erfolgte abweichend vom Regelstreitwert von 50.000,00 € in Streitigkeiten über den Zulassungswiderruf (§ 194 Abs. 2 S. 1 BRAO) unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vom Kläger dargelegten Vermögens- und Einkommensverhältnisse, § 194 Abs. 2 S. 2 BRAO.
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6. Diese Entscheidung ist unanfechtbar. Dies ergibt sich aus § 194 Abs. 3 S. 1 BRAO für die Streitwertentscheidung, § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO, § 92 Abs. 3 S. 2 VwGO entspr. für die Einstellung, § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO, § 158 Abs. 2 VwGO für die Kostenentscheidung und § 112c Abs. 1 S. 1 und 2 BRAO, 152 Abs. 1 VwGO für die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag.