Titel:
Unwirksamer Bebauungsplan – Ausschluss von Hauptnutzungsarten durch Festsetzungen zu Geruchsimmissionen
Normenketten:
BauNVO § 1 Abs. 4, § 6 Abs. 1
BauGB § 1 Abs. 3 S. 1
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1
GG Art. 20 Abs. 3
Leitsätze:
1. Einem Normenkontrollantrag fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Antragsteller auch solche ihn nicht berührenden Teile des Bebauungsplans miteinbezieht, die sich schon aufgrund vorläufiger Prüfung offensichtlich und auch für den Antragsteller erkennbar als abtrennbare und selbständig lebensfähige Teile einer unter dem Dach eines einheitlichen Bebauungsplans zusammengefassten Gesamtregelung darstellen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Festsetzungen zum Schutz vor Geruchsimmissionen sind fehlerhaft, wenn sie die Hauptnutzungsarten eines Mischgebiets bzw. eines Gewerbegebiets ausschließen. (Rn. 21 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das im Einzelfall zu fordernde Maß an Konkretisierung eines Bebauungsplans hängt wesentlich von der Art der jeweiligen Festsetzung, den Planungszielen und den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den örtlichen Verhältnissen, ab. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fehlerhafte bzw. widersprüchliche Festsetzungen zu Geruchsimmissionen, Gemengelage, Teilunwirksamkeit eines Bebauungsplans, TA Luft 2021, Lärmschutz, Bestimmtheit und Normenklarheit, Normenkontrolle, Antragsbefugnis, Rechtsschutzbedürfnis
Fundstelle:
BeckRS 2024, 20376
Tenor
I. Der Bebauungsplan Nr. 219 für das Gebiet zwischen der S.-straße, der A.-B.-Straße, der S1. Straße und dem R.-weg, zuletzt bekannt gemacht am 18. April 2024, ist für die Bereiche des Mischgebiets sowie des Gewerbegebiets unwirksam.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Der Antragsteller wendet sich gegen den Bebauungsplan Nr. 219 für das Gebiet zwischen der S.-straße, der A.-B.-Straße, der S1. Straße und dem R.-weg, den die Antragsgegnerin nach Durchführung eines ergänzenden Verfahrens am 10. April 2024 erneut als Satzung beschlossen und am 18. April 2024 rückwirkend zum 12. März 2020 bekannt gemacht hat.
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Das im Nordwesten der Stadt E. gelegene Plangebiet umfasst eine Fläche von ca. 10,28 ha. Der Bebauungsplan ersetzt in seinem Geltungsbereich den aus den 1960er Jahren stammenden, zwischenzeitlich mehrfach geänderten Bebauungsplan Nr. 56, der ein Industriegebiet ausgewiesen hat. Im Osten und Südosten werden die bisher unbeplanten, überwiegend bereits bebauten Grundstücke in den Geltungsbereich des Bebauungsplans einbezogen. Das Planungsgebiet ist überwiegend mit gewerblich und industriell genutzten baulichen Anlagen bebaut, im südöstlichen Bereich entlang des R.-wegs sowie der S1. Straße befindet sich Wohnbebauung.
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Der Bebauungsplan gliedert das Planungsgebiet in ein Industriegebiet (GI) im zentralen bzw. nördlichen Bereich, im Übrigen in ein Gewerbegebiet (Teilbereiche GE1 bis GE6) sowie im südlichen bzw. südöstlichen Bereich in ein Mischgebiet (Teilbereiche MI1 und MI2). In den textlichen Festsetzungen ist zum Schutz vor Geruchsimmissionen (II.9) vorgesehen, dass in Mischgebieten in Bereichen mit einer Geruchsbelastung von mehr als 10% Geruchsstundenhäufigkeit pro Jahr keine neue Wohnbebauung (II.9.2) und in den Gewerbe- und Industriegebieten in den Bereichen mit einer Geruchsbelastung von mehr als 15% Geruchsstundenhäufigkeit pro Jahr keine Neuansiedlung von Gewerbebetrieben möglich ist (II.9.3). Eine Neuansiedlung von Gewerbebetrieben in Bereichen mit einer Geruchsbelastung von 15% bis 25% Geruchsstundenhäufigkeit pro Jahr bedarf einer Prüfung im Einzelfall (II.9.4).
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Diese Festsetzungen beruhen auf dem Geruchsimmissionsgutachten des Büros A. vom 27. Oktober 2023. Nach den Ausführungen in dem Gutachten befindet sich im Plangebiet der gummiverarbeitende Betrieb H.T. GmbH & Co. KG. Westlich des Plangebiets grenzt das Gelände der Privatbrauerei E. W. an. Von beiden gingen Geruchsemissionen aus, die im Wege einer Ausbreitungsberechnung unter Berücksichtigung einer Bestandsaufnahme beurteilt würden. Maßgeblich für die Beurteilung sei nunmehr die TA Luft 2021. Als Geruchsstoffkonzentrationen seien Erfahrungswerte aus Berechnungen bzw. Messungen oder einschlägiger Literatur zu vergleichbaren Betrieben herangezogen worden. In den Mischgebieten MI1 und MI2 werde der Immissionswert für ein Wohn- und Mischgebiet (10% der Jahresstunden) flächendeckend und auch der Übergangswert an der Grenze zum Gewerbegebiet in fast allen Bereichen überschritten. Wohnbebauung sei nur in Bereichen möglich, in denen der Immissionswert für ein Wohn- und Mischgebiet eingehalten werde. Auf allen Gewerbe- und Industriegebietsflächen werde der Immissionsrichtwert für ein Gewerbe- und Industriegebiet überschritten, der aufgrund der kürzeren Aufenthaltsdauer höhere zulässige Immissionswert von 25% der Jahresstunden werde teilweise eingehalten. Bestehende Gebäude würden Bestandsschutz genießen, neue gewerblich genutzte Gebäude, in denen sich Beschäftigte tagsüber aufhielten, seien nur in Bereichen möglich, in denen dieser höhere Immissionswert eingehalten werde. Durch zeichnerische Festsetzung wird im Bebauungsplan der Übergang von 25% zu 26% Geruchsstundenhäufigkeit sowie von 15% zu 16% Geruchsstundenhäufigkeit dargestellt. Sowohl die als Mischgebiet als auch die als Gewerbegebiet ausgewiesenen Flächen befinden sich – abgesehen von kleineren Flächen im südöstlichen und südwestlichen Bereich des Planungsgebiets – in Bereichen mit mehr als 15% Geruchsstundenhäufigkeit.
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Weiter erfolgen Festsetzungen zum Lärmschutz (II.8), u.a. ist vorgesehen, dass bei Neuerrichtung von Gebäuden, die in Bereichen mit Überschreitungen der Immissionsgrenzwerte der 16. BImSchV liegen (vgl. Schalltechnische Untersuchung zum Bebauungsplan vom 23.08.2019, Lageplanskizzen Verkehrslärm: Tag und Nacht), die Grundrisse so zu planen sind, dass sich die schutzbedürftigen Aufenthaltsräume auf den von den Lärmquellen (Straßen) abgewandten Fassadenseiten befinden (II.8.2).
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Nach der Begründung zum Bebauungsplan ist Ziel der Planung die städtebauliche Ordnung der sehr heterogenen Bebauung im Planungsgebiet. Das Industriegebiet sei seit 1964 immer stärker mit dem Siedlungskörper verwachsen. Es hätten sich unterschiedlichste Nutzungen angesiedelt, bei deren Betrachtung ersichtlich werde, dass der ausgewiesene Gebietscharakter und die faktisch vorhandene Nutzung und Bebauung nicht mehr im Einklang stünden. So sollten nunmehr die Bereiche entlang des R.-wegs und der S1. Straße mit ihrer von kleineren Betrieben und Wohnbebauung geprägten Struktur als Mischgebiet (MI1 und MI2), andere Bereiche entsprechend ihrer Nutzung als Gewerbegebiet (GE1 bis GE6) und nur die Kernbereiche des produzierenden Industriebetriebs weiterhin als Industriegebiet ausgewiesen werden.
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Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. .../12, auf dem ein Bowlingcenter sowie ein Getränkemarkt betrieben werden. Es befindet sich in dem als Gewerbegebiet (GE1) ausgewiesenen Teil. Im Süden grenzt es unmittelbar an das Baugebiet MI1 an und ist durch die R2. Straße vom westlichen Teil des Baugebiets MI2 getrennt.
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Am 2. Juni 2020 stellte er einen Normenkontrollantrag gegen den Bebauungsplan und beantragte zuletzt,
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Der Bebauungsplan Nr. 219 für das Gebiet zwischen der S.-straße, der A.-B.-Straße, der S1. Straße und dem R.-weg der Antragsgegnerin in dessen Fassungen vom 3. März 2020 und 10. April 2024 (Satzungsbeschlüsse vom 3.3.2020 und 10.4.2024), bekannt gemacht am 12. März 2020 sowie am 18. April 2024, ist unwirksam, ausgenommen die die Industriegebiete betreffenden Festsetzungen.
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Der Bebauungsplan sei auch nach Durchführung des ergänzenden Verfahrens unwirksam. Dem Plan fehle es insbesondere hinsichtlich der Mischgebietsfestsetzungen an der städtebaulichen Erforderlichkeit. Die Bestandssituation im Mischgebiet MI1 und im südwestlichen Bereich des Mischgebiets MI2 habe keinen Anlass oder eine Vorprägung für die Festsetzung eines Mischgebiets gegeben. Der Bebauungsplan leide an Ermittlungs- und Bewertungsdefiziten und sei abwägungsfehlerhaft. Die Festsetzungen zum Schutz vor Geruchs- und Lärmimmissionen seien weder ausreichend noch geeignet, planbedingte Nutzungskonflikte zu bewältigen. Weiter seien die Festsetzungen zu den Stellplätzen, der Grundflächenzahl, der Wandhöhen, der Nutzungseinschränkungen und der Werbebeschränkungen abwägungsfehlerhaft.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Der im Bebauungsplan Nr. 56 ausgewiesene Gebietscharakter eines Industriegebiets und die vorhandene Nutzung und Bebauung ständen nicht mehr im Einklang. Es sei ihr planerischen Ziel, das Planungsgebiet städtebaulich zu ordnen und entsprechend der im Laufe der Jahre in dem Gebiet gewachsenen Nutzung differenzierte Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung zu treffen. Die Bereiche entlang des R.-wegs und der S1. Straße mit ihrer von kleineren Betrieben und Wohnbebauung geprägten Struktur sollten nunmehr entsprechend ihrer Struktur als Mischgebiet ausgewiesen werden, während die übrigen Bereiche aufgrund ihrer Nutzungsstruktur als Gewerbe- und Industriegebiete festgesetzt werden sollten. Dabei habe sie versucht, die Lärm- und Geruchskonflikte zu bewältigen und hierzu entsprechende Gutachten eingeholt. Auf deren Grundlage seien Festsetzungen zum Immissionsschutz erfolgt, durch die die Immissionskonflikte bewältigt würden. Die weiteren Festsetzungen im Bebauungsplan begegneten keinen rechtlichen Bedenken.
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Der Senat hat mit Beschluss vom 15. Februar 2021 den Antrag auf vorläufige Außervollzugsetzung des Bebauungsplans abgelehnt (1 NE 20.1813). Der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung sei weder zur Abwehr schwerer Nachteile noch aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten.
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Für den Verlauf der mündlichen Verhandlung am 23. Juli 2024 wird auf das Protokoll verwiesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Normaufstellungsakte sowie auf die Gerichtsakten in den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und des Hauptsacheverfahrens Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Der zulässige Normenkontrollantrag hat Erfolg. Der zuletzt am 10. April 2024 beschlossene und am 18. April 2024 erneut bekannt gemachte Bebauungsplan ist für die Teilbereiche des Mischgebiets und des Gewerbegebiets unwirksam.
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1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist der Antragsteller antragsbefugt. Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Der Antragsteller muss hinreichend substantiiert Tatsachen vortragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem Recht verletzt wird. Eine solche Rechtsverletzung kommt regelmäßig in Betracht, wenn sich der Eigentümer eines im Plangebiet liegenden Grundstücks gegen bauplanerische Festsetzungen wendet, die unmittelbar sein Grundstück betreffen. Denn bei den Festsetzungen eines Bebauungsplans handelt es sich um Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinn des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Diese muss der Eigentümer nur hinnehmen, wenn der Bebauungsplan rechtmäßig ist (vgl. BVerwG, B.v. 31.1.2018 – 4 BN 17.17 u.a. – BauR 2018, 814).
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Damit ist die Antragsbefugnis des Antragstellers als Eigentümer eines Grundstücks, für das der Bebauungsplan Festsetzungen trifft, gegeben.
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Der Zulässigkeit des Antrags steht nicht entgegen, dass mit dem Normenkontrollantrag zuletzt nur die Teilbereiche des Misch- und des Gewerbegebiets angegriffen werden. Die Beschränkung des Antrags auf die als Misch- und Gewerbegebiet ausgewiesenen Bereiche erfolgt in Einklang mit der Rechtsprechung, wonach einem Normenkontrollantrag das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn der Antragsteller auch solche ihn nicht berührende Teile des Bebauungsplans miteinbezieht, die sich schon aufgrund vorläufiger Prüfung offensichtlich und auch für den Antragsteller erkennbar als abtrennbare und selbständig lebensfähige Teile einer unter dem Dach eines einheitlichen Bebauungsplans zusammengefassten Gesamtregelung darstellen (vgl. BVerwG, U.v. 9.4.2008 – 4 CN 1.07 – BVerwGE 131, 100 m.w.N.). Ein Bebauungsplan, in dem die Gemeinde unterschiedliche Baugebiete bzw. Regelungsbereiche festgesetzt hat, ist an den Gebietsgrenzen teilbar, wenn das jeweilige Gebiet mit den hierfür geltenden Regelungen für sich betrachtet eine sinnvolle städtebauliche Ordnung bewirken kann und mit der gebotenen Sicherheit anzunehmen ist, dass die Gemeinde auch einen Bebauungsplan für nur eines der Baugebiete beschlossen hätte (vgl. BVerwG, U.v. 9.4.2008 a.a.O.). Hier sind die Bereiche Mischgebiet und Gewerbegebiet einerseits und Industriegebiet andererseits gebietsmäßig getrennt, es werden jeweils eigenständige städtebauliche Zielsetzungen verfolgt, insbesondere stand für die Antragsgegnerin bei der Ausweisung des Industriegebiets die Sicherung des bisherigen Produktionsstandorts im Vordergrund, sodass davon ausgegangen werden kann, dass sie auch bei Kenntnis der Unwirksamkeit der übrigen Bereiche die Festsetzungen für den als Industriegebiet ausgewiesenen Bereich getroffen hätte.
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2. Der Normenkontrollantrag ist begründet. Die Festsetzungen zum Schutz vor Geruchsimmissionen sind fehlerhaft. Die gilt auch für Festsetzungen zum Lärmschutz (2.1). Diese Mängel führen zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans in den Bereichen des Misch- und Gewerbegebiets (2.2).
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2.1 Die Festsetzungen zum Schutz vor Geruchsimmissionen sind fehlerhaft, da sie die Hauptnutzungsarten eines Mischgebiets bzw. eines Gewerbegebiets ausschließen.
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Nach II.9.2 der textlichen Festsetzungen ist im Mischgebiet in Bereichen mit einer Geruchsbelastung von mehr als 10% Geruchsstundenhäufigkeit pro Jahr keine neue Wohnbebauung zulässig. Dieser Wert wird nach der von der Antragsgegnerin eingeholten Geruchsprognose im gesamten Bereich des ausgewiesenen Mischgebiets nicht eingehalten. Die Festsetzung II.9.2 führt im Ergebnis dazu, dass im Mischgebiet keine neue Wohnbebauung zugelassen wird. Damit wird zum Schutz vor Geruchsimmissionen eine der beiden Hauptnutzungsarten eines Mischgebiets über den Bestand hinaus vollständig ausgeschlossen. Nach § 6 Abs. 1 BauNVO dienen Mischgebiete dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. In einem Mischgebiet soll den Belangen der gewerblichen Wirtschaft in gleicher Weise Rechnung getragen werden wie den Wohnbedürfnissen der Bevölkerung (vgl. BVerwG, B.v. 11.4.1996 – 4 B 51.96 – NVwZ-RR 1997, 463; U.v. 4.5.1988 – 4 C 34.86 – BVerwGE 79, 309). Die allgemeine Zweckbestimmung eines Mischgebiets ist hier durch den vollständigen Ausschluss der Wohnnutzung somit nicht gewahrt (§ 1 Abs. 5 BauNVO) bzw. es fehlt insoweit an der städtebaulichen Erforderlichkeit (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB) der Mischgebietsfestsetzung.
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Die Festsetzung II.9.3 lässt eine Neuansiedlung von Gewerbebetrieben im Gewerbegebiet in den Bereichen mit einer Geruchsbelastung von mehr als 15% Geruchsstundenhäufigkeit pro Jahr nicht zu. Die im Bebauungsplan als Gewerbegebiet ausgewiesenen Flächen liegen – abgesehen von einer kleinen Fläche im südwestlichen Bereich sowie einer Fläche auf dem Grundstück FlNr. .../2 – in Bereichen mit einer Geruchsbelastung von mehr als 15% Geruchsstundenhäufigkeit pro Jahr. Die Festsetzung hat den weitgehenden Ausschluss der Hauptnutzungsart eines Gewerbegebiets zur Folge. Dies ist mit der Gebietsart eines Gewerbegebiets, das vorwiegend der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben dient (§ 8 BauNVO), nicht vereinbar.
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Die Festsetzung II.9.4, nach der die Neuansiedlung von Gewerbebetrieben in Bereichen mit einer Geruchsbelastung von 15% bis 25% Geruchsstundenhäufigkeit pro Jahr einer Prüfung im Einzelfall benötigt, steht im Widerspruch zu der Festsetzung II.9.3 und ist zudem nicht hinreichend bestimmt.
25
Festsetzungen eines Bebauungsplans als Rechtsnorm im materiellen Sinn müssen den aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden Geboten der Bestimmtheit und Normenklarheit entsprechen. Ein Verstoß gegen das Gebot der Normenklarheit begründet die Unwirksamkeit der Festsetzung, ohne dass es auf §§ 214, 215 BauGB ankommt. Speziell für Bebauungspläne folgt die Notwendigkeit hinreichender Bestimmtheit sowohl für zeichnerische als auch für textliche Festsetzungen daraus, dass die Festsetzungen gem. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Inhalt und Schranken des grundrechtlich geschützten Eigentums unmittelbar berühren und ausgestalten. Die von den Festsetzungen des Bebauungsplanes Betroffenen müssen deshalb wissen, welche Nutzungen auf den Grundstücken zulässig sind. Das im Einzelfall zu fordernde Maß an Konkretisierung hängt wesentlich von der Art der jeweiligen Festsetzung, den Planungszielen und den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den örtlichen Verhältnissen, ab (vgl. BayVGH, U.v. 15.6.2021 – 15 N 20.1650 – juris Rn. 36). Die zeichnerischen Darstellungen sowie die textlichen Festsetzungen müssen aus sich heraus bestimmt, eindeutig und verständlich sein.
26
Diesen Maßstäben wird die Festsetzung II.9.4 nicht gerecht. Während nach II.9.3 in den festgesetzten Gewerbe- und Industriegebieten in den Bereichen mit einer Geruchsbelastung von mehr als 15% Geruchsstundenhäufigkeit pro Jahr keine Neuansiedlung von Gewerbebetrieben möglich ist, soll nach der Festsetzung II.9.4 eine Neuansiedlung von Gewerbebetrieben in Bereichen mit einer Geruchsbelastung von 15% bis 25% Geruchsstundenhäufigkeit pro Jahr im Einzelfall möglich sein. Die Festsetzungen II.9.3 und II.9.4 stehen zueinander im Widerspruch, der sich auch im Wege der Auslegung nicht auflösen lässt. Die Antragsgegnerin hat die Festsetzung in II.9.3 mit einer Obergrenze von 15% Geruchsstundenhäufigkeit bewusst getroffen. Das Landratsamt hat im Rahmen der Behördenbeteiligung auf den Widerspruch hingewiesen und vorgeschlagen, bei der Festsetzung II.9.3 gegebenenfalls die Geruchsstundenhäufigkeit auf 25% festzulegen. Dem ist die Antragsgegnerin aber nicht nachgekommen. Weiter ist die Festsetzung II.9.4 auch nicht hinreichend bestimmt. Unabhängig davon, ob diese Festsetzung überhaupt von der Möglichkeit des § 1 Abs. 5 BauNVO, bestimmte Arten der Nutzungen auszuschließen, gedeckt ist, lässt sich mit ihr nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit die bestimmte Art der zulässigen Nutzung ermitteln. Die Festsetzung verweist hierzu auf eine Einzelfallprüfung, ohne dass sich hieraus Rückschlüsse auf die Art der zulässigen Nutzung ziehen lassen. Die Formulierung nimmt erkennbar die in Nrn. 3.1 und 5 des Anhangs 7 zur TA Luft 2021 vorgesehene Beurteilung im Einzelfall in den Blick. Dieser Wortlaut kann aber nicht Gegenstand einer rechtsverbindlichen Festsetzung zur Beschränkung der Nutzungsart sein. Denn es ist Aufgabe der Bauleitplanung, selbst die zulässigen Nutzungen bzw. bestimmte Arten der baulichen Nutzung dem Grunde nach zu bestimmen.
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Die Festsetzung II.9.2 erweist sich zudem insoweit als abwägungsfehlerhaft, als die Antragsgegnerin den in der Tabelle 22 des Anhangs 7 der TA Luft 2021 vorgesehenen Wert von 0,10 bzw. 10% Geruchsstundenhäufigkeit pro Jahr für neue Wohnbebauungen festgesetzt hat. Es besteht jedenfalls im Bereich des MI2 aufgrund der vorhandenen – von der Antragsgegnerin selbst als bestandsgeschützt angesehenen – Wohnnutzung und der unmittelbar angrenzenden industriellen bzw. gewerblichen Nutzung eine Gemengelage. Die Beschränkung neuer Wohnbebauung auf Bereiche mit nicht mehr als 10% Geruchsstundenhäufigkeit pro Jahr ist im Hinblick auf die Möglichkeit der Bildung eines Zwischenwerts nach Nr. 3.1 des Anhangs 7 zur TA Luft 2021 bzw. in Bezug auf die nach Nr. 5 Buchst. a des Anhangs 7 zur TA Luft 2021 angezeigte Einzelfallprüfung unverhältnismäßig, zumal das Landratsamt im Rahmen der Behördenbeteiligung ausgeführt hat, dass die Geruchsimmissionen bislang zu keinen Beanstandungen geführt haben.
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Auch die Festsetzung zum Lärmschutz erweist sich als fehlerhaft. Die textliche Festsetzung II.8.2 verweist auf die „Schalltechnische Untersuchung zum Bebauungsplan vom 23.8.2019, Lageplanskizze Verkehrslärm: Tag und Nacht“, ohne dass diese zum Bestandteil des Bebauungsplans erklärt worden ist und an der Publizitätswirkung der Bekanntmachung teilgenommen hätte. Damit ist der räumliche Geltungsbereich dieser Festsetzung nicht hinreichend bestimmt.
29
2.2 Die vorstehenden Mängel führen zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans im Bereich des Mischgebiets sowie des Gewerbegebiets. Mängel, die einzelnen Festsetzungen eines Bebauungsplans anhaften, führen nur dann nicht zur Gesamtunwirksamkeit, wenn die übrigen Festsetzungen für sich betrachtet noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung im Sinn von § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB bewirken können und die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch eine Satzung dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (vgl. BVerwG, U.v. 14.9.2017 – 4 CN 6.16 – BVerwGE 159, 356; B.v. 11.9.2014 – 4 CN 3.14 – BayVBl 2015, 203; U.v. 19.9.2002 – 4 CN 1.02 – BVerwGE 117, 58). Ob einzelne fehlerhafte Festsetzungen zur Gesamt- oder Teilunwirksamkeit des Bebauungsplans führen, ist letztlich eine Frage des Einzelfalls.
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Die unwirksamen Festsetzungen zum Schutz vor Geruchs- und Lärmimmissionen stellen eine zentrale Frage der Planung und der Ausweisung des Misch- und des Gewerbegebiets dar und stehen in einem untrennbaren Zusammenhang mit der festgesetzten Gebietsart. Es ist nicht anzunehmen, dass die Antragsgegnerin nach ihrem im Aufstellungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzungen sowie weitere Festsetzungen auch ohne Festlegung einer Gebietsart getroffen hätte. Hingegen vermag der Bebauungsplan im Hinblick auf das festgesetzte Industriegebiet weiter zu bestehen, da die Antragsgegnerin dort eine eigenständige städtebauliche Zielsetzung in Form des Erhalts eines Standorts für industrielle Produktion verfolgt.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
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Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO muss die Antragsgegnerin die Ziffer I der Entscheidungsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise veröffentlichen wie die angefochtene Satzung (§ 10 Abs. 3 BauGB).