Inhalt

Vergabekammer München, Beschluss v. 23.07.2024 – 3194.Z3-3_01-24-27
Titel:

zu Beschluss 24-27

Normenketten:
GWB § 127 Abs. 1
VgV § 8
VgV § 17
Leitsätze:
1. Lädt der Auftraggeber zu Verhandlungsgesprächen ein, macht er damit aus Sicht eines verständigen Bieters deutlich, dass er von einem in der Bekanntmachung enthaltenen Vorbehalt nach § 17 Abs. 11 VgV keinen Gebrauch macht. Dies führt zu einer Verpflichtung des Auftraggebers zur Durchführung von Verhandlungen nach § 17 Abs. 10 VgV und zur Aufforderung zu einem finalen Angebot nach § 17 Abs. 14 VgV.
2. Ein Bieter ist auch dann in seinen Rechten verletzt, wenn zwar die Bewertung seines eigenen Angebots vom Beurteilungsspielraum des Auftraggebers gedeckt ist, die Bewertung des Angebots des zum Zuschlag vorgesehenen Bieters aber derart fehlerhaft ist, dass sich eine andere Bieterreihenfolge ergeben könnte.
3. Bei der Umrechnung von Preisen in Bewertungspunkte muss der Auftraggeber eine mathematisch nachvollziehbare Methode vor Kenntnis der Angebote festgelegt haben und diese auch anwenden. Eine Preisbewertungsmethode darf wegen der hohen Manipulationsgefahr nicht nachträglich in Kenntnis der Angebote festgelegt werden.
4. Auch bei der Preisbewertung von Honorarangeboten von Architekten und Ingenieuren, die in Anlehnung an die Vorschriften der HOAI erstellt werden, dürfen nur solche Methoden eingesetzt werden, die zum einen rechnerisch nachvollziehbar sind und zum anderen die relativen Preisabstände zwischen den Angeboten wiederspiegeln können.
5. Die Angebotswertung ist ureigene Aufgabe des Antragsgegners und darf nicht vollständig an einen Verfahrensbetreuer delegiert werden. Aus diesem Grund darf der Verfahrensbetreuer auch nicht nach Befassung des zuständigen Gremiums des Auftraggebers die diesem vorgelegte Benotung eines Angebots eigenmächtig ändern.
6. Nimmt der Antragsgegner bei der Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen Formulierungen wie „es werden keine Planungsleistungen erwartet“ in die Vergabeunterlagen auf, die dafür sorgen sollen, dass die Bieter keine Ansprüche auf eine angemessene Vergütung für Lösungsvorschläge nach § 77 Abs. 2 VgV geltend machen können, darf er nicht gleichzeitig für eine gute Bewertung des Angebots voraussetzen, dass die Bieter überobligatorisch und ohne Vergütung fundierte Lösungsvorschläge i.S.d. § 77 Abs. 2 VgV einreichen.
Schlagwort:
zu Beschluss 24-27
Fundstelle:
BeckRS 2024, 20350

Tenor

1. Der Antragsgegner wird bei fortbestehender Beschaffungsabsicht verpflichtet, das Vergabeverfahren in den Stand vor Aufforderungen zur Abgabe der Erstangebote zurückzuversetzen und unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzuführen.
2. Der Antragsgegnerträgt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin.
3. Für das Verfahren wird eine Gebühr in Höhe von…,00 EUR festgesetzt. Auslagen sind nicht angefallen. Der Antragsgegner ist von der Zahlung der Gebühr befreit.
4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.

Gründe

I.
1
Mit Auftragsbekanntmachung vom20.12.2023, veröffentlicht im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union am 21.12.2023 unter Nr. …-2023, schrieb der Antragsgegner einen Dienstleistungsauftrag über die Sanierung der Grund- und Mittelschule „Am L…“ in K… im Wege eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb aus. Ausweislich der Angabe in Ziffer 5.1.10 der Bekanntmachung waren die Zuschlagskriterien in den Vergabeunterlagen aufgeführt. Ziffer 5.1.9 der Bekanntmachung enthielt unterhalb der Angaben zur technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit folgende Festlegung:
„[…] Informationen über die zweite Phase eines zweiphasigen Verfahrens: Der Erwerber behält sich das Recht vor, den Auftrag aufgrund der ursprünglichen Angebote ohne weitere Verhandlungen zu vergeben“
2
Gemäß Ziffer 5.1.11 der Bekanntmachung standen die Auftragsunterlagen unter der dort genannten Internetadresse zum Abruf zur Verfügung. Nach der den Vergabeunterlagen beigefügten Wertungsmatrix Objektplanung waren die Zuschlagskriterien wie folgt festgelegt:
„2. Allgemeine Auskünfte zur Projektdurchführung (20%)
2.1 Methoden zur Qualitätssicherung der Planung, Ausschreibung, Bauüberwachung (5%)
2.2 Methoden zur Kostensicherheit (5%)
2.3 Methoden zur Terminsicherheit (5%)
2.4 Erfahrung bzw. Arbeitsweise bei geförderten Objekten, insbesondere Bildungseinrichtungen (5%)
3. Allgemeine Angaben zur konkreten Projektabwicklung (30%)
3.1 Projektteam – Zusammensetzung, Organisation, Vertretungsregelung, Verfügbarkeit, sofortiger Arbeitsbeginn, Personaleinsatzplan (10%)
3.2 Terminplan zur vorgesehenen Projektabwicklung (5%)
3.3 Organisation der Bauleitung / Präsenz vor Ort (15%)
4. Angaben zur Projekteinschätzung (25%)
4.1 Anmerkungen zur Umsetzbarkeit des vorliegenden Projektes (10%)
4.2Anmerkungen zum vorliegenden Projekt in Bezug auf Funktionalität und Gestaltung (5%)
4.3 Anmerkungen zur Kostenoptimierung, z. B. durch serielles Bauen (5%)
4.4 Anmerkungen zum Kostenrahmen (5%)
5. Honorarangebot (25%)
5.1 Grundhonorar nach HOAI (17%)
5.2 Nachlässe auf das Grundhonorar (5%)
5.3 Nebenkosten (2%)
5.4 Stundensätze/Tagespauschalen (1%)“
3
Die Antragstellerin und die Beigeladene beteiligten sich am Teilnahmewettbewerb und wurden neben weiteren Bietern mit Schreiben vom 05.03.2024 zur Angebotsabgabe aufgefordert. Das Aufforderungsschreiben enthielt u.a. folgende Festlegungen:
„Die Angebotsunterlagen sollen aus folgenden Dokumenten bestehen:
- Schriftliche Ausführungen, geordnet in der aufgeführten Reihenfolge zu den Ziffern 1 bis 3, sowie 4 der beiliegenden Wertungsmatrix, mit nicht mehr als 100 Seiten (ein als Arbeitsprobe beigefügter Plan gilt als 1 Seite). (Anmerkung: Es werden keine Planungsleistungen, sondern vielmehr konzeptionelle, übergeordnete Aussagen auf Grund Ihrer Erfahrungen und Einschätzungen zum Projekt erwartet. Siehe hierzu auch die Anmerkungen im Wertungsbogen.)
- Schriftliches Honorarangebot …
Der Markt K… wird aufgrund der vorgelegten und eingereichten Angebotsunterlagen die Wertung vornehmen. Gem. VgV § 17 Abs. 11 behält sich der Markt K… vor, den Auftrag, ohne mit allen Bietern in Verhandlung zu treten, an den Bieter mit der höchsten Punktzahl zu vergeben. Hierbei werden aufgrund Einhaltung der Transparenz und der Gleichbehandlung nach Eingang der Angebote keine zusätzlichen Unterlagen nachgefordert, sondern die Bewertung mit den eingereichten Unterlagen vorgenommen.
Nur für den Fall, dass sich auf Grundlage der eingereichten Angebotsunterlagen kein klares Wertungsergebnis ergibt, behält sich der Auftraggeber weiter vor, mit den Bietern in Verhandlungen einzutreten. Dieser Verhandlungstermin wird noch mitgeteilt. Eine mögliche Einladung zu diesem Verhandlungstermin wird Ihnen rechtzeitig zugehen.
Bitte beachten Sie, dass zu diesem Termin der/die Projektleiter*in und der/die Bauleiter*in anwesend sind. Sollten Sie einen Nachunternehmer beauftragen, sollte bitte auch der/die vorgesehene Projektleiter*in des Nachunternehmers bei dem Gespräch anwesend sein.“
4
Sowohl Antragstellerin als auch Beigeladene reichten innerhalb der auf den04.04.2024, 10.00 Uhr festgesetzten Angebotsfrist ein Angebot ein.
5
Mit Schreiben vom 12.04.2024 lud der Antragsgegner die Bieter zu Verhandlungsgesprächen am 08.05.2024 ein. Das Schreiben lautete auszugsweise wie folgt:
„Wir bitten Sie, am Mittwoch, den 08.05.2024 um 20.30 Uhr am Verhandlungsgespräch beim Markt K… – Bauamt Marktplatz 2 85110 K… teilzunehmen.
Im Zuge dieses Verhandlungsgespräches sollen Ihre gesamten Angebotsunterlagen, die Sie anhand der Ihnen zur Verfügung gestellten Wertungsmatrix eingereicht haben, besprochen bzw. präzisiert werden. Wir bitten Sie, sich diesbezüglich entsprechend vorzubereiten. Im Einzelnen betrifft dies: [Zuschlagskriterien gem. Matrix]“
Am 08.05.2024 wurden die Gespräche im Rahmen einer Sondersitzung des Gemeinderats des Antragsgegners durchgeführt. Eine Dokumentation über diese Gespräche wurde im Verfahren nicht vorgelegt. Der Inhalt ist zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner streitig. Ausweislich des Vergabevermerks wurden die eingereichten (Erst-) Angebote jedoch zuvor einer Wertung unterzogen. Eine Aufforderung zur Abgabe eines finalen Angebots erfolgte nicht.
6
Im Nachgang zu den Gesprächen hob der Verfahrensbetreuer des Antragsgegners die Bewertung des Angebots der Beigeladenen in den Unterkriterien 2.3 (Methoden zur Terminsicherheit) und 3.3 (Organisation der Bauleitung / Präsenz vor Ort) um jeweils einen Punkt an, ohne die Begründung für die Bepunktung zu ändern.
7
Mit Informationsschreiben gemäß § 134 GWB vom 04.06.2024 setzte der Antragsgegner die Antragstellerin davon in Kenntnis, dass auf ihr Angebot nicht der Zuschlag erteilt werden könne, da es nicht so viele Wertungspunkte erhalten habe wie das Angebot des erfolgreichen Mitbewerbers. Die vom Angebot der Antragstellerin und der Beigeladenen jeweils erreichten Wertungspunkte wurden mitgeteilt ebenso wie der beabsichtigte früheste Zuschlagstermin auf das Angebotder Beigeladenen. Zudem übermittelte der Antragsgegner der Antragstellerin die Wertungsmatrix für ihr Angebot. Hieraus ergab sich, dass die Antragstellerin das günstigste Honorarangebot abgegeben, aber Punktabzüge in den Kriterien 2.3 und 4 erhalten hatte.
8
Mit Schreiben vom 12.06.2024 beanstandete die Antragstellerin die Vergabeentscheidung des Antragsgegners als vergaberechtswidrig. Die Wertung der Zuschlagskriterien 2 bis 4 sei nicht nachvollziehbar. Weiter seien die Wertungsentscheidungen nicht plausibel begründet und zudem unzureichend dokumentiert. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Darstellungen fehle.
9
Bei der Bewertung des Kriteriums 4.1 seien offenbar nicht sämtliche einschlägigen Folien berücksichtigt worden. Zudem seien weitere Erläuterungen im Rahmen der mündlichen Präsentation geliefert worden. Diese seien vollständig unberücksichtigt geblieben. Die Bewertung zum Kriterium 4.2 löse sich vom selbst gesetzten Bewertungsmaßstab. Es sei verlangt worden, anhand von Fotos Anregungen in Bezug auf Funktionalität und Gestaltung darzustellen. Dies sei mittels des Referenzprojektes anschaulich erfolgt. Hinsichtlich des Kriteriums 4.3 seien verschiedene Optimierungsmöglichkeiten dargestellt und serielles Bauen ausdrücklich erwähnt worden. Ein weiterer Projektbezug, den die Bewertung vermisse, hätte nur durch konkrete planerische Überlegungen hergestellt werden können. Eine Planung sei aber ausdrücklich nicht verlangt worden. Unklar sei außerdem, ob das Konzept allein auf Grundlage der eingereichten Unterlage bewertet oder ob auch die mündliche Präsentation im Verhandlungsgespräch bewertet worden sei. Die Wertungsbegründung in der Wertungsmatrix, in der an keiner Stelle auf die mündliche Präsentation Bezug genommen werde und die keine Informationen aus dem mündlichen Vortrag enthalte, spreche dafür, dass allein die Unterlage gewertet worden sei. Weiterhin sei keine Einholung finaler Angebote erfolgt, wie es nach § 17 Abs. 14 VgV erforderlich sei.
10
Mit Schreiben vom 13.06.2024 antwortete der Antragsgegnerder Antragstellerin, dass ihren Rügen nicht abgeholfen werde. Die Beurteilung der Angebote sei sowohl im direkten Vergleich mit den Angeboten der Mitbewerber, als auch im Hinblick auf den objektiven Erfüllungsgrad der Kriterien erfolgt, um den objektiven Bewertungsmaßstab insgesamt korrekt anzusetzen. In den Angebotsunterlagen habe die Antragstellerin den erläuternden Text tendenziell kurzgehalten und die eingefügten Stichpunkte seien ohne weitere Erläuterungen nicht nachvollziehbar. Die Ausführungen des Angebotes zu den Zuschlagskriterien der Ziffer 4 ließen zwar durchaus eine Befassung mit dem Projekt erkennen, allerdings seien diese sehr abstrakt und allgemein gehalten. Im Rahmen des gegenständlichen Vergabeverfahrens sei ausschließlich die Bewertung bzw. Bepunktung des schriftlichen Angebotes erfolgt. Es sei festgelegt worden, dass die Verhandlungsgespräche zur Klarstellung und Verdeutlichung der im schriftlichen Angebot vorgebrachten Aspekte dienen, zusätzliche Informationen aber nicht in die Bepunktung einfließen. Dies sei bei der Einführung zum Verhandlungsgespräch mitgeteilt worden. Weiter sei klargestellt worden, dass keine Verhandlung der schriftlich eingereichten Angebote erfolge. Da weder eine Änderung der Vergabeunterlagen erfolgt sei und keine Verhandlungen stattgefunden haben, sei eine Einreichung „neuer oder überarbeiteter“ Angebote nicht erforderlich gewesen. Eine Pflicht zur Einforderung finaler bzw. „neuer oder überarbeiteter“ Angebote bestehe nicht.
11
Nachdem ihren Rügen nicht abgeholfen wurde, stellte die Antragstellerin mit Schreiben vom 14.06.2024 einen Nachprüfungsantrag gem. § 160 Abs. 1 GWB.
12
Zur Begründung wiederholt und vertieft die Antragstellerin ihren Vortrag aus der Rüge. Die Wertung des Konzepts zu den Zuschlagskriterien 2 bis 4 sei vergaberechtswidrig. Nach der Wertungsmatrix seien bei den Unterkriterien zum Teil erhebliche Punkteabschläge vorgenommen worden. Diese Abschläge seien zu Unrecht erfolgt. Die Wertungsentscheidungen seien nicht plausibel begründet und zudem unzureichend dokumentiert. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Darstellungen der Antragstellerin fehle.
13
Zudem sei der Wertungsprozess intransparent. Unklar sei angesichts der Wertungsbegründung, ob das Konzept allein auf Grundlage der eingereichten Unterlage bewertet oder ob auch die mündliche Präsentation im Verhandlungsgespräch bewertet worden sei. Die Wertungsbegründung in der Wertungsmatrix nehme an keiner Stelle auf die mündliche Präsentation im Verhandlungsgespräch Bezug und enthalte auch keine Informationen zum mündlichen Vortrag.
14
Weiter sei zu beanstanden, dass vom Antragsgegner nach Durchführung der Verhandlungen keine endgültigen Angebote im Rahmen einer finalen Angebotsrunde eingeholt wurden, wie es nach Vergaberecht erforderlich gewesen wäre.
15
Die Antragstellerin beantragt
1. Es wird ein Nachprüfungsverfahren gem. § 160 Abs. 1 GWB wegen Verstoßes gegen Vergabevorschriften bei dem Verfahren des Antragsgegners zur Vergabe des Auftrags über Objektplanungsleistungen zur Sanierung der Grund- und Mittelschule „Am L…“ in K… eingeleitet.
2. Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Entscheidung über die Nichtberücksichtigung des Angebots der Antragstellerin rückgängig zu machen und das Angebot der Antragstellerin unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu bewerten, hilfsweise eine finale Angebotsrunde unter Beteiligung auch der Antragstellerin durchzuführen und die Entscheidung über die Zuschlagserteilung bei fortbestehender Beschaffungsabsicht auf Grundlage der einzuholenden endgültigen Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu treffen, höchst hilfsweise das Verfahren nur unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzusetzen.
3. Der Antragstellerin wird Akteneinsicht gewährt.
4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
5. Dem Antragsgegner werden die Kosten des Nachprüfungsverfahrens sowie die Kosten für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung auferlegt.
16
Der Antragsgegner beantragt
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners.
3. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner war notwendig
17
Zur Begründung trägt der Antragsgegner vor, dass die Bewertung des Angebots der Antragstellerin anhand der bekanntgegebenen Zuschlagskriterien und in Relation zum Zuschlagsbieter nicht zu beanstanden sei. Insbesondere wäre bei den Kriterien 4.1. bis 4.4. eine bessere Bewertung des Angebots der Antragstellerin nicht gerechtfertigt gewesen. Bei den weiteren qualitativen Zuschlagskriterien hätten sich keine wesentlichen Unterschiede in den Bewertungen der beiden Bieter ergeben. Weder in der Rüge noch im Nachprüfungsantrag der Antragstellerin sei ein substantiierter Vortrag dazu enthalten, warum ihr bei den einzelnen Unterkriterien zu den Kriterien 2 und 3 eine bessere Bewertung zugestanden haben solle. Insbesondere habe sie keine konkreten Einwände gegen die ihr bekannte Bewertung bei diesen Kriterien erhoben. Mithin sei sie damit nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB präkludiert.
18
Der Antragsgegner habe sich gemäß § 17 Abs. 11 VgV in der Bekanntmachung vorbehalten, den Auftrag auf der Grundlage der Erstangebote zu vergeben, ohne in Verhandlungen einzutreten. Er sei damit berechtigt, den Zuschlag auf der Grundlage der Erstangebote zu erteilen; einer weiteren/finalen Angebotsrunde habe es nicht bedurft.
19
Mit Beschluss vom 18.06.2024 wurde die Beigeladene zum Verfahren beigeladen. Die Beigeladene beantragt Akteneinsicht stellt aber keine Anträge in der Sache und äußert sich auch nicht hierzu.
20
Mit Schriftsatz vom 01.07.2024 wies die Vergabekammer den Antragsgegner darauf hin, dass sie die Wertung der Angebote im Wertungskriterium 5 (Honorarangebot) nicht nachvollziehen könne. Der Antragsgegner werde aufgefordert mitzuteilen, wo die Dokumentation der Berechnung der Punkte im Unterkriterium 5.1 (Grundhonorar nach HOAI) zu finden ist und welche Wertungsformel hierbei zum Einsatz kam. Weiterhin bat die Vergabekammer um Mitteilung, wie die Punktbewertung im Unterkriterium 5.2. (Nachlässe auf das Grundhonorar) erfolgt ist. Auch die Wertung im Unterkriterium 5.4. (Stundensätze/Tagespauschalen) sei nicht nachvollziehbar. Es werde um Angabe gebeten, wo die Dokumentation der Berechnung der Punkte zu finden ist und welche Wertungsformel hierbei zum Einsatz kam. Außerdem werde auch um Übermittlung einer Dokumentation über die Verhandlungsgespräche gebeten.
21
Mit Schriftsatz vom 04.07.2024 teilte der Antragsgegner mit, dass die vorhandene Dokumentation des Vergabeverfahrens vollständig zur Verfügung gestellt worden sei. Es hätten tatsächlich keine Verhandlungsgespräche stattgefunden. Es habe sich um Bieterpräsentationen gehandelt, die nur der Vorstellung der Büros und der mit dem Angebot eingereichten Leistungskonzepte zu den Kriterien 1 bis 4 dienten. Es hätten keine Verhandlungen stattgefunden. Die Präsentationen seien auch nicht Grundlage der Angebotsbewertung. Die Bewertung sei ausschließlich auf der Grundlage der über die Vergabeplattform eingereichten Angebote erfolgt. Die Bieterpräsentationen seien somit für das Ergebnis des Vergabeverfahrens ohne Relevanz.
22
Die Begründung der Punktevergabe bei den Kriterien 5.1., 5.2. und 5.4. sei in der jeweiligen Wertungsmatrix in der letzten Spalte enthalten. Weiter werde vorsorglich darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin hinsichtlich der Bewertung der Honorarkriterien 5.1. bis 5.4. keine Rüge erhoben und diese auch nicht zum Gegenstand ihres Nachprüfungsantrags gemacht habe. Da die Antragstellerin beim Kriterium Honorarangebot die volle Punktzahl und mit Abstand die meisten Punkte erhalten habe, sei eine subjektive Rechtsverletzung nicht ersichtlich und von der Antragstellerin deshalb bewusst nicht geltend gemacht worden. Die Bewertung der Honorarkriterien 5.1. bis 5.4. sei damit kein Gegenstand dieses Nachprüfungsverfahrens.
23
Mit Schriftsatz vom 04.07.2024 nahm die Antragstellerin zum Schriftsatz des Antragsgegners vom 24.06.2024 Stellung. Der Vergabevorschlag vom 29.05.2024 zeige, dass das Verhandlungsgespräch Wertungsrelevanz gehabt habe. Im Vergabevorschlag sei davon die Rede, dass das Angebot eines Bieters, der nicht am Verhandlungsgespräch teilgenommen habe, allein auf Basis der schriftlich vorliegenden Ausfertigung bewertet worden sei. Aus dieser Aussage sei zu schließen, dass Angebote von Bietern, die am Verhandlungsgespräch teilgenommen haben, nicht nur auf Basis schriftlich vorliegender Ausfertigungen, sondern auch auf Basis des Gesprächs bewertet worden seien. Dass dieser Schluss richtig sei, würden die Ausführungen, die im Vergabevorschlag nachfolgen zeigen. Es werde dort ausgeführt, dass die Bewertung der Angebote unter Berücksichtigung der Verhandlungsgespräche fortgeschrieben worden sei. Damit sei nachgewiesen, dass die Verhandlungsgespräche für den Antragsgegner wertungsrelevant waren. Da der Antragsgegner zu Verhandlungen geladen habe und auch Verhandlungen geführt habe, hätte eine finale Angebotsrunde durchgeführt werden müssen. Daran ändere die Formulierung des in der Auftragsbekanntmachung enthaltenen Vorbehalts entgegen der Auffassung des Antragsgegners nichts.
24
Mit Schriftsatz vom 12.07.2024 teilte der Antragsgegner mit, dass sich die durchgeführten „Verhandlungsgespräche“ auf eine reine Präsentation der Erstangebote beschränkt hätten. Es seien von den Bietern die mit dem Angebot vorgelegten Präsentationen vor den Mitgliedern des Gemeinderats vorgestellt worden. Über die Angebotsinhalte hinaus seien die Präsentationen nicht gegangen. Insbesondere seien hierüber keine Verhandlungen geführt worden. Dafür sei der Präsentationstermin vor dem Gemeinderat auch kein passender Rahmen gewesen.
25
Der Antragsgegner sei in keine Verhandlungen eingetreten, somit sei eine finale Angebotsrunde nicht veranlasst. Die Vergabeentscheidung sei auf der Grundlage der Erstangebote getroffen worden. Aufgrund des entsprechenden Vorbehalts in der Bekanntmachung sei dies nach § 17 Abs. 11 VgV nicht zu beanstanden.
26
In der mündlichen Verhandlung vom 18.07.2024 wurde die Sach- und Rechtslage erörtert. Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zum Vortrag und zur Stellungnahme.
27
Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, das Protokoll der mündlichen Verhandlung, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
28
Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig.
29
Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i. V. m. §§ 1 und 2 BayNpV. Gegenstand der Vergabe ist ein Dienstleistungsauftrag i. S. d. § 103 Abs. 4GWB. Der Antragsgegnerist Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 1 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert überschreitet den gemäß § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert.
30
Eine Ausnahmebestimmung der §§ 107 – 109 GWB liegt nicht vor.
31
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
32
Gemäß § 160 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen antragsbefugt, wenn es sein Interesse am Auftrag, eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB und zumindest einen drohenden Schaden darlegt.
33
Die Antragstellerinhat ihr Interesse am Auftrag durch die Abgabe eines Teilnahmeantrags, eines Angebots und die Teilnahme am Termin am 08.05.2024 nachgewiesen. Es ist nicht erkennbar, dass sie mit diesem Nachprüfungsantrag einen anderen Zweck verfolgt, als den, den strittigen Auftrag zu erhalten. Die Antragstellerinhat eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB insbesondere durch die ihrer Ansicht nach vergaberechtswidrige Wertung ihres Angebots und die nicht erfolgte Aufforderung zu einem finalen Angebot geltend gemacht.
34
Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht auch keine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1GWB entgegen, dadie Antragstellerin die o.g. Rügen bereits in ihrem Rügeschreiben vom 12.06.2024 erhoben hat, nachdem sie mit Informationsschreiben nach § 134 GWB am 04.06.2024 über die beabsichtigte Nichtberücksichtigung ihres Angebots in Kenntnis gesetzt worden war.
35
Die Antragstellerin hatte keine Kenntnis von der Wertung des Angebots der Beigeladenen, weder hinsichtlich der nichtpreislichen Zuschlagskriterien noch hinsichtlich des Honorarangebots. Die hierin liegenden Verstöße waren für sie deshalb bereits in tatsächlicher Hinsicht nicht erkennbar und konnten daher auch keiner Rügepräklusion unterliegen.
36
2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet.
37
Die Antragstellerin ist sowohl durch die fehlende Nachvollziehbarkeit des Termins am 08.05.2024 und die fehlende Aufforderung zu einem finalen Angebot als auch durch die fehlende nachvollziehbare Bewertungsmethode der Preispositionen 5.1, 5.2 und 5.4 sowie durch die Wertung des Angebots der Beigeladenen in mehreren Unterkriterien in ihren Rechten verletzt. Die Rechtsverstöße erfordern eine Rückversetzung des Verfahrens in den Stand vor Aufforderung zur Abgabe der Erstangebote.
38
2.1 Der Antragsgegner hat zu Unrecht davon abgesehen, die Bieter nach § 17 Abs. 14 VgV zur Abgabe eines finalen Angebots aufzufordern. Zudem wäre der Antragsgegner auch verpflichtet gewesen, mit den Bietern in Verhandlungen i.S.d. § 17 Abs. 10 Satz 1 VgV einzutreten, falls der Termin in der Gemeinderatssitzung am Abend des 08.05.2024 nicht als Verhandlung im Rechtssinne qualifiziert werden kann. Aufgrund der vollständig fehlenden Dokumentation dieses Termins kann die Frage allerdings nicht mehr geklärt werden.
39
Das Einladungsschreiben zu Verhandlungsgesprächen vom 12.04.2024 war nach dem objektiven Empfängerhorizont eines verständigen Bieters nur so zu verstehen, dass der Antragsgegner von seinem Vorbehalt nach § 17 Abs. 11 VgV in der Bekanntmachung keinen Gebrauch machen und in Verhandlungen eintreten würde. Insbesondere im Zusammenhang mit den Regelungen in der Aufforderung zur Angebotsabgabe, wo der Auftraggeber noch erklärt hatte, er werde nur in dem Fall in Verhandlungen eintreten und den Termin dann mitteilen, wenn sich auf Grundlage der eingereichten Angebotsunterlagen kein klares Wertungsergebnis ergibt, kann das Einladungsschreiben vom 12.04.2024 mit den mehrmalig genutzten Formulierungen „Verhandlungsgespräch“ und der Formulierung „die gesamten Angebotsunterlagen […] sollen besprochen und präzisiert werden“, nur so verstanden werden, dass der Antragsgegner jetzt doch in Verhandlungen eintreten wolle. Auch wenn der Antragsgegner dies nach seinen Einlassungen in der mündlichen Verhandlung gar nicht beabsichtigte, führt das Einladungsschreiben im vorliegenden Fall wegen der Verpflichtung zu einer transparenten Verfahrensführung zu einer Selbstbindung des Antragsgegners zur Durchführung einer Verhandlung nach § 17 Abs. 10 Satz 1 VgV und daraus folgend nach § 17 Abs. 14 VgV zur Verpflichtung des Antragsgegners, den Bietern die Möglichkeit der Abgabe eines finalen Angebots einzuräumen. Aufgrund der völlig fehlenden Dokumentation der Gespräche vom 08.05.2024 kann nicht geklärt werden, ob eine Verhandlung i.S.d. § 17 Abs. 10 Satz 1 VgV stattgefunden hat. Dagegen spricht insbesondere, dass es kaum vorstellbar ist, dass inhaltliche Verhandlungsgespräche i.S.d. § 17 Abs. 10 Satz 1 VgV in den kurzen vorgesehenen Zeiträumen im Rahmen einer Sitzung des Plenums des Gemeinderats geführt wurden. Andererseits kann es für die Annahme einer Verhandlung im Sinne des § 17 Abs. 10 Satz 1 VgV genügen, dass Bieter im Rahmen ihrer Präsentation eine inhaltliche Verbesserung ihres Angebots in Aussicht stellen. Die Frage muss aber nicht abschließend geklärt werden, weil die Antragstellerin jedenfalls dadurch in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt ist, dass sie unstreitig nicht zur Abgabe eines finalen Angebots aufgefordert wurde.
40
Aufgrund der weiteren Vergabeverstöße, die jedenfalls eine weitergehende Rückversetzung erfordern, muss nicht über die Frage entschieden werden, ob der Antragsgegner die entstandene Selbstbindung durch eine Rückversetzung des Verfahrens in den Stand vor dem Versand des Einladungsschreibens beseitigen könnte. Die Antragstellerin hat allerdings nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass es insoweit an einem sachlichen Grund für eine derartige Rückversetzung fehlen könnte, weil in der Selbstbindung zur Durchführung von Verhandlungen an sich kein Vergabeverstoß liegt, der zu korrigieren wäre. Zudem würden die eingereichten Erstangebote mit der Einladung zu Verhandlungsgesprächen nach § 150 Abs. 2 BGB zivilrechtlich wohl als abgelehnt gelten, so dass auch keine Bindung der Bieter an ihre Angebote mehr bestünde. Im Übrigen wäre es auch kaum vorstellbar die Angebote unbeeinflusst von den Präsentationen, die am 08.05.2024 unstreitig gehalten wurden, neu zu werten.
41
2.2 Die Antragstellerin ist weiterhin dadurch in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt, dass der Antragsgegner – auch nach ausdrücklicher Aufforderung durch die Vergabekammer mit Schreiben vom 01.07.2024 – keine nachvollziehbare Bewertungsmethode mit Berechnungsformeln für die Wertung der Honorarangebote in den Unterkriterien 5.1, 5.2 und 5.4 vorlegen konnte.
42
Der Auftraggeber verstößt damit nicht nur gegen die Verpflichtung aus § 127 Abs. 1 GWB, den Zuschlag auf das Angebot mit dem besten Preis-Leistungsverhältnis zu erteilen, weil er ein solches überhaupt nicht ermittelt hat, sondern auch gegen die Verpflichtung die Wertungsmethode vor Öffnung der Angebote festzulegen und dies zu dokumentieren (vgl. (EuGH, Urteil vom 14.07.2016 – C – 6/15; KG, Beschluss vom 27.06.2022 – Verg 4/22).
43
Aufgrund der nicht vorgelegten – möglicherweise nicht einmal vorhandenen – Bewertungsmethode ist die Bepunktung der Honorarangebote aller Bieter außer dem der Antragstellerin, die als preisgünstigste Bieterin zu Recht volle Punktzahl erhalten hat, nicht im Ansatz nachvollziehbar. Im Unterkriterium 5.4 ist die Bepunktung auch offensichtlich willkürlich erfolgt, denn die Beigeladene hat dort ebenso wie die Antragstellerin volle Punktzahl erhalten, obwohl sie erhebliche höhere Stundensätze angeboten hat, während weitere Bieter, die niedrigere Stundensätze als die Beigeladene angeboten haben, Punktabzüge erhalten haben.
44
Obwohl das Angebot der Antragstellerin in den Unterkriterien 5.1, 5.2 und 5.4 an sich korrekt bewertet wurde, ist die Antragstellerin durch die Bewertung dieser Unterkriterien zweifellos in ihren Rechten verletzt, weil die Punktabstände zu den weiteren Bietern und damit die Ermittlung der Bieterreihenfolge nicht nachvollziehbar sind. Dieser Vergabeverstoß erfordert die Rückversetzung des Verfahrens in den Stand vor Aufforderung zur Abgabe der Erstangebote, da eine nachträgliche Festsetzung der Bewertungsmethoden für die Unterkriterien 5.1, 5.2 und 5.4 in Kenntnis der Angebotsinhalte wegen der dadurch eröffneten Manipulationsmöglichkeiten nicht zugelassen werden kann (vgl. (EuGH, Urteil vom 14.07.2016 C – 6/15; KG, Beschluss vom 27.06.2022 – Verg 4/22). Dies gilt umso mehr, weil es bereits zu einer willkürlichen Angebotswertung mindestens im Kriterium 5.4 gekommen ist.
45
Die Vergabekammer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass auch bei der Preisbewertung von Honorarangeboten von Architekten und Ingenieuren, die in Anlehnung an die Vorschriften der HOAI erstellt werden, nur solche Methoden eingesetzt werden dürfen, die zum einen rechnerisch nachvollziehbar sind und zum anderen die relativen Preisabstände zwischen den Angeboten wiederspiegeln können (vgl. VK Bund, Beschluss vom 24.10.2014 – VK 2-85/14; VK Lüneburg, Beschluss vom 07.02.2014 – VgK 51/2013 sowie jüngst VK Lüneburg, Beschluss vom 14.11.2023 – VgK-31/2023).
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2.3 Zu beanstanden ist weiterhin die konkrete Bewertung des Angebots der Beigeladenen in den Unterkriterien 2.3 Methoden zur Terminsicherheit, 3.3 Organisation der Bauleitung/ Präsenz vor Ort, 2.4 Erfahrung bzw. Arbeitsweise bei geförderten Objekten, insbesondere Bildungseinrichtungen, sowie 4.1 Anmerkungen zur Umsetzbarkeit des vorliegenden Projektes, 4.2 Anmerkungen zum vorliegenden Projekt in Bezug auf Funktionalität und Gestaltung und 4.3 Anmerkungen zur Kostenoptimierung, z. B. durch serielles Bauen. Hierdurch ist die Antragstellerin – obwohl ihr eigenes Angebot vertretbar bewertet wurde – in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt, weil jeweils nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Angebot der Beigeladenen zu gut bewertet wurde und zusammen mit der rechtswidrigen Bewertung des Honorarangebots die Ermittlung der Bieterreihenfolge nicht nachvollziehbar ist.
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2.3.1 Die nachträgliche – nach den Einlassungen des Antragsgegners in der mündlichen Verhandlung zeitlich nach der Gemeinderatssitzung vom 08.05.2024 – erfolgte Höherbewertung des Angebots der Beigeladenen in den Unterkriterien 2.3 Methoden zur Terminsicherheit und 3.3 Organisation der Bauleitung/ Präsenz vor Ort durch den Verfahrensbetreuer des Antragsgegners kann keinen Bestand haben. Sie ist auch nicht mit den nicht weiter begründeten Ausführungen des Antragsgegners zum Quervergleich der Angebote zu rechtfertigen. Die in der Dokumentation niedergelegte verbale Begründung der Benotung trägt nur die ursprüngliche Bewertung, nicht die Höherbewertung um einen Bewertungspunkt. Eine nachvollziehbare Begründung für die Besserbewertung hat der Antragsgegner nicht dokumentiert, sondern die Begründung unverändert gelassen. Sollten hier die Eindrücke aus der Präsentation der Beigeladenen im ebenfalls nicht dokumentierten Termin vom 08.05.2024 eine Rolle gespielt haben, läge eine Ungleichbehandlung zugunsten der Beigeladenen vor, da der Antragsgegner im gesamten Verfahren behauptet hat, nur die schriftlichen Ausarbeitungen gewertet zu haben. Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass die Angebotswertung ureigene Aufgabe des Antragsgegners ist und nicht vollständig an einen Verfahrensbetreuer delegiert werden darf (so schon OLG München, Beschluss vom 15.07.2005 – Verg 14/05; OLG München, Beschluss vom 29.09.2009 – Verg 12/09). Im vorliegenden Fall ist nach den Einlassungen des Antragsgegners in der mündlichen Verhandlung die Höherbewertung des Angebots der Beigeladenen in den Positionen 2.3 und 3.3 nach dem Gemeinderatsbeschluss des Antragsgegners über die Auftragsvergabe durch den Verfahrensbetreuer erfolgt. In den Vergabeunterlagen ist nicht ersichtlich, dass sich der Auftraggeber mit der Höherbewertung inhaltlich auseinandergesetzt oder diese überhaupt gebilligt hätte.
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2.3.2 Im Unterkriterium 2.4 Erfahrung bzw. Arbeitsweise bei geförderten Objekten, insbesondere Bildungseinrichtungen ist die dokumentierte Bewertung des Angebots der Beigeladenen weder nach den bekanntgemachten Bewertungsmaßstäben des Antragsgegners noch im Quervergleich mit dem Angebot der Antragstellerin vertretbar. Als Bewertungsmaßstab hat der Antragsgegner folgendes bekanntgemacht:
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Vom Bewerber ist darzustellen, ob und in welchem Umfang Erfahrungen mit geförderten Objekten (FAG, energetische Förderungen o.ä.) vorliegen und die diesbezügliche Arbeitsweise darzulegen. Hier ist insbesondere auf die Arbeitsmethodik, sowie die Abstimmung mit Fördergebern, aber auch auf die Erfahrungen und die Arbeitsmethodik bei öffentlichen Ausschreibungsverfahren einzugehen. Dies ist anhand konkreter Referenzobjekte zu belegen.
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Die Ausführungen der Beigeladenen, deren Angebot in diesem Unterkriterium dieselbe Punktzahl wie das Angebot der Antragstellerin erhalten hat, enthalten lediglich die nicht weiter erläuterte Auflistung von zahlreichen Referenzprojekten, sowie zwei Stichpunkte zur Vorgehensweise, aus denen diese kaum ersichtlich wird. Ausführungen zur Arbeitsmethodik und zur Abstimmung mit den Fördergebern fehlen völlig. Damit enthält das Angebot der Beigeladenen insoweit nur wenige wertungsfähige Aussagen und dürfte nach den bekanntgemachten Bewertungsmaßstäben des Antragsgegners höchstens mit 2 Punkten bewertet werden. In den Unterlagen der Antragstellerin nimmt diese hingegen sowohl zur Arbeitsmethode als auch zur Abstimmung mit den Fördergebern Stellung und zeigt auch ihre Erfahrungen mit geförderten Projekten auf. Sie lässt lediglich die geforderte Darstellung anhand konkreter Referenzen vermissen, was der Antragsgegner auch zutreffend bewertet hat. Es entspricht aber keinem vertretbaren Quervergleich, die Angebote der Antragstellerin und der Beigeladenen hier gleich zu bewerten.
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2.3.3 Auch die Bewertung des Angebots der Beigeladenen in den Unterkriterien 4.1 Anmerkungen zur Umsetzbarkeit des vorliegenden Projektes, 4.2 Anmerkungen zum vorliegenden Projekt in Bezug auf Funktionalität und Gestaltung und 4.3 Anmerkungen zur Kostenoptimierung, z. B. durch serielles Bauen verstößt gegen den vom Antragsgegner selbst aufgestellten und bekanntgemachten Erwartungshorizont.
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Sowohl in der Aufforderung zur Angebotsabgabe als auch im bekanntgemachten Erwartungshorizont zu den o.g. Kriterien hat der Antragsgegner ausdrücklich geregelt, dass von den Bietern ausdrücklich „keine Planung“ gefordert ist. Hintergrund dieser Formulierungen dürfte sein, dass der Antragsgegner von vorneherein in keine Vergütungspflicht für Lösungsvorschläge für die gestellte Planungsaufgabe nach § 77 Abs. 2 VgV geraten wollte. Erwartet wurden vom Auftraggeber nach der Formulierung in der Aufforderung zur Angebotsabgabe keine Planungsleistungen, sondern vielmehr konzeptionelle, übergeordnete Aussagen auf Grund Ihrer Erfahrungen und Einschätzungen zum Projekt.
53
Die Beigeladene hat aber insbesondere in den Unterkriterien 4.1 und 4.2 umfassende planerische Überlegungen vorgenommen und konkrete Vorschläge für Grundrisse sowie für die Konstruktion und Materialität gemacht. Im Unterkriterium 4.3 hat sie einen konkreten Vorschlag zur Tragstruktur unterbreitet. Mit diesen konkreten, auftragsbezogenen und teilweise erheblich in die Tiefe gehenden Lösungsvorschlägen setzt sich die Beigeladene qualitativ deutlich vom Angebot der Antragstellerin ab, das in diesen Punkten recht allgemein bleibt und deshalb auch vertretbar vom Antragsgegner mit deutlichen Punktabzügen bewertet wurde.
54
Allerdings sind die planerischen Leistungen im Angebot der Beigeladenen als vom Auftraggeber ausdrücklich nicht verlangte „Planung“ anzusehen, da sie die Qualität von Lösungsvorschlägen für die gestellte Planungsaufgabe gem. § 77 Abs. 2 VgV erreichen und Teile der Leistungsphasen 1 und 2 nach § 34 Abs. 3 HOAI umfassen. Aus der dokumentierten Begründung des Antragsgegners für die gute Bewertung des Angebots der Beigeladenen geht hervor, dass gerade die konkreten Lösungsvorschläge für die gestellte Planungsleistung positiv aufgenommen wurden. Damit verstößt der Antragsgegner aber gegen seinen selbst aufgestellten und bekanntgemachten Erwartungshorizont für eine gute Bewertung des Angebots. Es ist nicht mehr von Ermessensspielraum des Auftraggebers bei der Bewertung der Angebote gedeckt, für eine gute Bewertung des Angebots Leistungen zu erwarten, die in den Vergabeunterlagen ausdrücklich und mehrfach als nicht gefordert dargestellt wurden. Es kann insbesondere bei der Vergabe von Architekten- und Ingenieursleistungen nicht angehen, dass der Antragsgegner – wie im vorliegenden Fall – Formulierungen in die Vergabeunterlagen aufnimmt, die dafür sorgen sollen, dass die Bieter keine Ansprüche auf eine angemessene Vergütung für Lösungsvorschläge nach § 77 Abs. 2 VgV geltend machen können, aber gleichzeitig für eine gute Bewertung des Angebots voraussetzt, dass die Bieter überobligatorisch und ohne Vergütung fundierte Lösungsvorschläge einreichen.
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Die Bewertung des Angebots der Beigeladenen in den Unterkriterien 4.1 bis 4.3 verletzt daher ebenfalls die Antragstellerin in ihren Rechten.
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Der Antragsgegner hat eigenverantwortlich zu entscheiden, ob er im Falle der Fortsetzung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens nach der angeordneten Rückversetzung die Unterkriterien 4.1 bis 4.3 ohne Berücksichtigung ausdrücklich nicht geforderter Lösungsvorschläge sinnvoll bewerten kann.
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3. Kosten des Verfahrens
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Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegendder Antragsgegner.
59
Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag vom 100.000 Euro erhöht werden kann.
60
Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens.
61
Der Antragsgegnerist als Gemeinde von der Zahlung der Gebühr nach § 182 Abs. 1 S. 2 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG (Bund) vom 23. Juni 1970 (BGBl. I S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung befreit.
62
Von der Antragstellerinwurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskrafterstattet.
63
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin beruht auf § 182 Abs. 4 S. 1 GWB. Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird als notwendig i. S. v. § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Die anwaltliche Vertretung war erforderlich, da die zweckentsprechende Führung eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens die rechtlichen Kenntnisse eines durchschnittlichen mittelständischen Architekturbüros regelmäßig weit überschreitet. Für Bieter ist im Vergabenachprüfungsverfahren die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters regelmäßig erforderlich, da die Einhaltung des Vergaberechts nicht in ihrem Aufgabenbereich fällt und sie deshalb – anders als öffentliche Auftraggeber – hierfür auch kein geschultes Personal vorhalten müssen (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 29.01.2021 – 7 Verg 4/20). Im Übrigen waren komplexe Rechtsfragen zu beantworten, beispielsweise ob eine Verpflichtung des Auftraggebers zu einer mündlichen Verhandlung aufgrund von Selbstbindung bestand. Daneben war die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters seitens der Antragstellerin notwendig, um die erforderliche „Waffengleichheit“ gegenüber dem anwaltlich vertretenen Antragsgegner zu erhalten.
64
Auch wenn die Beigeladene keine Anträge gestellt hat, muss die Vergabekammer von Amts wegen über ihre Aufwendungen entscheiden.
65
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen beruht auf § 182 Abs. 4 S. 3, S. 2 GWB. Danach sind Aufwendungen der Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn die Vergabekammer sie als billig erachtet. Dabei setzt die Erstattungsfähigkeit jedenfalls voraus, dass die Beigeladene sich mit demselben Rechtsschutzziel wie der obsiegende Verfahrensbeteiligte aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat (OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2010, Az.: Verg W 10/09).
66
Die Beigeladenehat sich durch nicht schriftsätzlichen und mündlichen Vortrag und die Stellung von Sachanträgen aktiv am Verfahren beteiligt. Hierdurch hat sie das gegenständliche Verfahren nicht wesentlich gefördert und kein Kostenrisiko auf sich genommen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.06.2014, VII-Verg 12/03). Sie trägt ihre Aufwendung daher selbst.