Inhalt

VGH München, Urteil v. 05.06.2024 – 8 BV 24.159
Titel:

Festsetzung von Sondernutzungsgebühren 

Normenketten:
BayStrWG Art. 18 Abs. 1 S. 1, Abs. 2a S. 4
kommunale SoNuGebS § 4 Abs. 4 S. 1
Leitsatz:
Es ist nicht zu beanstanden, wenn eine Sondernutzungsgebührensatzung für die Bemessung der Gebühren auf die örtliche Lage mithilfe eines Straßengruppenverzeichnisses als Orientierungspunkt für die Gebührenstaffelung abstellt. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sondernutzungsgebühr, Abstellen eines nicht zugelassenen Pkw, Straßengruppenverzeichnis, Nachweis der Dauer der Sondernutzung, unerlaubtes Abstellen eines Kraftfahrzeugs, öffentlicher Straßengrund, Differenzierung nach Straßengruppen, Sondernutzungsgebührensatzung – SoNuGebS
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 23.06.2022 – M 10 K 20.6416
Fundstelle:
BeckRS 2024, 20344

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 23. Juni 2022 wird geändert. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt der Kläger.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.  

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung von Sondernutzungsgebühren für das unerlaubte Abstellen eines Kraftfahrzeugs auf öffentlichem Straßengrund.
2
Der Kläger hatte seinen Pkw Toyota Yaris mit entstempelten Kennzeichen (Außerbetriebnahme am 3.3.2020) in der H.straße in München abgestellt. Am 16. März 2020 wurde er mit einer am Fahrzeug angebrachten Klebeplakette („Roter Punkt“) aufgefordert, das Fahrzeug sofort zu entfernen und nicht mehr auf öffentlichen Verkehrsflächen abzustellen. Eine Nachschau am 28. April 2020 ergab, dass das Fahrzeug unverändert abgestellt war. Die Beklagte ließ daraufhin das Fahrzeug am 6. Mai 2020 von einer Privatfirma abtransportieren und anschließend verschrotten, nachdem der Zeitwert von einem Kfz-Sachverständigen mit „Schrott“ bewertet worden war.
3
Mit Bescheid vom 4. November 2020 setzte die Beklagte gegenüber dem Kläger Sondernutzungsgebühren in Höhe von 560 € fest (entspricht 8 Wochen x 70 €).
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Gegen diesen Gebührenbescheid erhob der Kläger am 4. Dezember 2020 Klage zum Verwaltungsgericht München. Er bestritt, dass sein Fahrzeug durchgehend an der gleichen Stelle abgestellt worden sei; mehrere Tage sei es für Reparaturen auf einem privaten Parkplatz in der S. straße 3 abgestellt gewesen. Auf die gerichtliche Aufforderung, genauer aufzuschlüsseln, an welchen Tagen im fraglichen Zeitraum sein Fahrzeug wo abgestellt gewesen sei, erwiderte er, dass ihm genauere Daten nicht vorlägen und forderte die Beklagte auf, nachzuweisen, dass der Pkw vom 16. März bis 6. Mai 2020 in der H.straße an derselben Stelle abgestellt war.
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Das Verwaltungsgericht hat den Sondernutzungsgebührenbescheid der Beklagten vom 4. November 2020 mit Urteil vom 23. Juni 2022 aufgehoben. Es fehle an einer wirksamen Rechtsgrundlage. Die zugrundeliegende Sondernutzungsgebührensatzung sei insoweit nichtig, als sie für die Bemessung der Sondernutzungsgebühren nach verschiedenen Straßengruppen differenziere. Es fehle eine Begründung der Beklagten, an welchen Kriterien sie sich bei der Einteilung der Straßengruppen in ihr Straßengruppenverzeichnis orientiert habe. Damit habe sie nicht nachgewiesen, dass dem Äquivalenzprinzip und dem Gleichbehandlungsgrundsatz genügt worden sei.
6
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Sie trägt im Wesentlichen vor: Das Fehlen einer Begründung für die Einteilung der Straßengruppen führe nicht per se zu einem Satzungsmangel; im Übrigen sei die H.straße beim Neuerlass im Jahr 2014 weder auf- noch abgestuft worden. Ihre Zuordnung zur Straßengruppe III entspreche den für die Einteilung herangezogenen Kriterien (Verkehrsbedeutung und Frequentierung der Straße, Attraktivität der Straße/des Viertels, wirtschaftlicher Wert). Der Zeitraum der Sondernutzung vom 16. März bis 6. Mai 2020 treffe zu. Das Fahrzeug sei an drei Terminen (16.3., 28.4. und 6.5.2020) an der identischen Örtlichkeit festgestellt worden. Bei dem Vortrag des Klägers, das Fahrzeug sei nicht durchgehend auf öffentlichem Grund abgestellt gewesen, handle es sich um eine nicht glaubhafte Schutzbehauptung.
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Die Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 23. Juni 2022, Az. M 10 K 20.6416, die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er schließt sich der Urteilsbegründung des Erstgerichts an. Im Übrigen habe das Fahrzeug nicht durchgehend vom 16. März bis 6. Mai 2020 auf der öffentlichen Straße gestanden. Die Beklagte sei verpflichtet, dies nachzuweisen. Seiner Aufforderung, durch ein tabellarisches Verzeichnis darzulegen, an welchen Tagen das Fahrzeug unrechtmäßig auf öffentlichem Straßengrund abgestellt war, sei sie nicht nachgekommen.
12
Der Senat hat sein Urteil vom 14. März 2023 (Az. 8 BV 21.1145) in das Verfahren eingeführt. Mit dieser Entscheidung wurde das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 25. Februar 2021 (Az. M 10 K 18.3440), auf die das angefochtene Ersturteil umfassend Bezug nimmt, abgeändert. Bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Parallelverfahrens wurde das Verfahren ausgesetzt. Nach Fortführung wurde den Beteiligten der hierzu ergangene Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Dezember 2023 (Az. 9 B 15.23) zur Kenntnis gegeben.
13
Die Beteiligten haben auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakten und der Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung, über die gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist begründet.
16
Die zulässige Klage gegen den Sondernutzungsgebührenbescheid vom 4. November 2020 erweist sich als unbegründet (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
17
1. Das Abstellen eines nicht zum öffentlichen Verkehr zugelassenen Kraftfahrzeugs auf öffentlichem Straßengrund stellt eine über den Gemeingebrauch hinausgehende Sondernutzung nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG dar, für die gemäß Art. 18 Abs. 2a Satz 1 BayStrWG i.V.m. der Sondernutzungsgebührensatzung der Beklagten vom 25. Juni 2014 – hier maßgeblich ist die Fassung vom 6. August 2020 – Sondernutzungsgebühren erhoben werden können (vgl. BayVGH, B.v. 17.2.2017 – 8 ZB 15.2237 – BayVBl 2018, 31 = juris Rn. 13). Die amtlichen Kennzeichen des Kraftfahrzeugs des Klägers waren im maßgeblichen Zeitraum ab 16. März 2020 entstempelt (vgl. Behördenakte [BA] S. 2 f., 5 und 8).
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2. Der Gebührenfestsetzung lag eine wirksame Rechtsgrundlage zugrunde. Die Beklagte hat von der Ermächtigung des Art. 18 Abs. 2a Satz 4 BayStrWG Gebrauch gemacht und eine Satzung über die Gebühren für Sondernutzungen auf öffentlichen Straßen in der Landeshauptstadt München (Sondernutzungsgebührensatzung – SoNuGebS) erlassen. Für das Abstellen nicht zugelassener Pkw richten sich die Gebühren nach § 4 Abs. 4 Satz 1 SoNuGebS i.V.m. Nr. 49 des Gebührenverzeichnisses (Anlage I zur SoNuGebS); hinsichtlich der Höhe wird nach Straßengruppen differenziert, die stadtbezirksbezogen im Straßengruppenverzeichnis in Anlage II aufgelistet sind (§ 4 Abs. 2, Abs. 4 Satz 2 SoNuGebS).
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Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Gebührenbemessung anhand des Straßengruppenverzeichnisses sei schon deshalb rechtswidrig, weil dieses – wegen des Fehlens eines belastbaren Konzepts für die Straßeneinteilung – mit dem Äquivalenzprinzip und dem Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sei, trifft nicht zu. Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf das Senatsurteil vom 14. März 2023 (Az. 8 BV 21.1145, vgl. dort insbesondere Rn. 32 ff.) Bezug genommen, das mit Schreiben des Gerichts vom 25. April 2023 in das Verfahren eingeführt wurde (vgl. Gerichtsakte [GA] Az. 8 BV 22.1867 S. 134). Das Urteil ist rechtskräftig (vgl. BVerwG, B.v. 1.12.2023 – 9 B 15.23).
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3. Die Gebührenfestsetzung entspricht § 4 Abs. 4 Satz 1 SoNuGebS i.V.m. Nr. 49 des Gebührenverzeichnisses (Anlage I zur SoNuGebS) in der Straßengruppe III, der die H.straße zugeordnet war (vgl. Straßengruppenverzeichnis, Anlage II zur SoNuGebS). Dort ist für das Abstellen des nicht zugelassenen Pkws eine Gebühr pro angefangener Woche von 70 € vorgesehen. Der Zeitraum vom 16. März 2020 bis 6. Mai 2020 umfasste sieben Wochen und zwei Tage. Dies ergibt vorliegend eine Sondernutzungsgebühr in Höhe von 560 €.
21
Der Senat ist überzeugt, dass der Pkw des Klägers durchgehend vom 16. März 2020 bis 6. Mai 2020 auf öffentlichem Straßengrund abgestellt war. Die Beklagte hat den Standort des Fahrzeugs am 16. März, 28. April und 6. Mai 2020 ermitteln lassen. Der Vorhalt des Klägers, sein Fahrzeug sei im fraglichen Zeitraum für „längere Zeit“ auf einem privaten Parkplatz in der S. straße 3 in München abgestellt gewesen, ist unsubstanziiert. Der Aufforderung des Verwaltungsgerichts, genauer aufzuschlüsseln, an welchen Tagen sein Kfz wo abgestellt war (vgl. unpaginierte VG-Akte Bl. 5 und 10), ist er nicht nachgekommen. Stattdessen hat er behauptet, ihm lägen keine genauen Daten vor; zudem hat er auf die Nachweispflicht der Beklagten verwiesen und von ihr eine tägliche Registrierung verlangt. Dies überspannt die Anforderungen, die im Rahmen solcher „Massenverfahren“ in größeren Städten – die Beklagte erfasst jährlich ca. 5.000 „Rote Punkte“ (vgl. elektronische Gerichtsakte [eGA] S. 24) – an die behördliche Sachverhaltsklärung zu stellen sind. Im Übrigen korreliert die behördliche Aufklärungspflicht nach Art. 24 BayVwVfG mit der Mitwirkungsobliegenheit der Beteiligten hinsichtlich der Tatsachen, die ihrer Sphäre zuzuordnen sind (vgl. BayVGH, B.v. 9.1.2018 – 8 ZB 16.2496 – juris Rn. 11; Kallerhoff/Fellenberg in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 24 Rn. 28). Der Kläger hat im Verwaltungsverfahren nicht vorgetragen, dass sein Fahrzeug nicht durchgehend auf öffentlichem Straßengrund abgestellt gewesen sei. Die Beklagte war deshalb nicht gehalten, vor Erlass des angegriffenen Bescheids weitere Sachverhaltsermittlungen hierzu anzustellen.
22
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
23
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.
24
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.