Titel:
Baueinstellungsverfügung für ein teilweise bereits errichtetes Gebäude im Außenbereich
Normenketten:
BayBO Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 lit. c, Art. 75
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 1
Leitsätze:
1. Für eine auf Art. 75 Abs. 1 S. 1 BayBO gestützte Anordnung einer Baueinstellung muss kein Verstoß gegen formelles (oder auch materielles) Baurecht verwirklicht sein; vielmehr reichen schon objektive, konkrete Anhaltspunkte aus, die es wahrscheinlich machen, dass ein dem öffentlichen Recht widersprechender Zustand geschaffen wird. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Fehlen einer Baugenehmigung (formelle Illegalität) genügt für die Anordnung der Einstellung von Arbeiten nach Art. 75 Abs. 1 S. 1 BayBO. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ferienwohnungen auf einer Hofstelle als sog. mitgezogener Betriebsteil rechtfertigen nicht die Verlagerung von lärmenden und staubenden Tätigkeiten; insoweit ist in der Rechtsprechung geklärt, dass dieser Betriebsteil dem landwirtschaftlichen Betrieb als Nebensache zuzuordnen ist. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Baueinstellung, Baumaßnahme im Außenbereich, Keine Verfahrensfreiheit, formelle Illegalität, Gebäude, Außenbereich, Ferienwohnung, Hofstelle, mitgezogener Betriebsteil, landwirtschaftlicher Betrieb
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 27.06.2023 – M 1 K 20.4551
Fundstelle:
BeckRS 2024, 20338
Tenor
I. Die Verfahren 1 ZB 23.1821 und 1 ZB 23.1823 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Anträge auf Zulassung der Berufung werden abgelehnt.
III. Die Kläger tragen die Kosten der Zulassungsverfahren je zur Hälfte.
III. Der Streitwert für die Zulassungsverfahren wird auf insgesamt 10.000 Euro festgesetzt.
Gründe
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Die Kläger wenden sich gegen eine Baueinstellungsverfügung bzw. eine Duldungsanordnung für ein teilweise bereits errichtetes Gebäude im Außenbereich.
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Der Kläger zu 1 ist Eigentümer des im Außenbereich liegenden Grundstücks FlNr. … der Gemarkung G. …, der Kläger zu 2 ist Pächter des Grundstücks. Bei einer Baukontrolle im Juli 2020 verwies der anwesende Kläger zu 1 auf den Pächter der Fläche, der Landwirt und Bauherr der baulichen Maßnahmen sei. Nach einer weiteren Baukontrolle im August 2020 teilte das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (nachfolgend „AELF“) mit, dass eine Privilegierung der Maßnahme weder für den Grundstückseigentümer noch für den Pächter bestätigt werden könne. Mit Bescheid vom 26. August 2020 stellte das Landratsamt die zuvor mündlich eingestellten Bauarbeiten gegenüber dem Kläger zu 1 ein und ordnete gegenüber dem Kläger zu 2 die Duldung der Baueinstellung an.
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Die Anträge auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klagen lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschlüssen vom 30. Juni 2021 (M 1 S 21.1850 und M 1 S 21.1851) ab; die dagegen erhobenen Beschwerden wies der Senat mit Beschluss vom 14. Oktober 2021 (1 CS 21.1974 und 1 CS 21.1976) zurück. Die gegen die streitgegenständliche Baueinstellungsverfügung gerichteten Klagen hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Das Vorhaben sei formell rechtswidrig, weil für die Errichtung des Gebäudes eine Baugenehmigung erforderlich gewesen wäre. Eine Verfahrensfreiheit nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BayBO komme nicht in Betracht. Das Vorhaben in seiner konkreten Ausgestaltung diene nicht dem (unterstellten) landwirtschaftlichen Betrieb des Pächters. Einer konkreten und belastbaren Wirtschaftlichkeitsberechnung in Bezug auf die Betriebsabläufe wolle sich der Pächter zuletzt durch Angabe multipler Nutzungszwecke der Halle nicht stellen. Für den Nutzer des auf Pachtgrund errichteten Gebäudes ergebe sich (ungeachtet etwaiger vorzeitiger Kündigungsrechte) lediglich eine wirtschaftlich belastbare Planungs- und Investitionssicherheit für ca. 20 Jahre. Der Kläger als Grundstückseigentümer habe als Störer in Anspruch genommen und der Pächter zur Duldung der Baueinstellung verpflichtet werden können. Die (knappe) Ermessensausübung und -begründung sei nicht zu beanstanden.
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Mit dem Zulassungsantrag verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie machen einen Begründungsmangel und eine fehlerhafte Ermessensausübung geltend. Das Vorhabengebäude, das multifunktional als Zwischenlager für Hackschnitzel und Heu, als Weideunterstand und als Maschinenunterstand genutzt werden solle, diene dem landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers zu 2. Nach den eingeholten gutachterlichen Stellungnahmen des landwirtschaftlichen Sachverständigen sei das Gebäude weder überdimensioniert noch überteuert. Die massive Bauweise führe zu einem verminderten Gebäudeunterhalt.
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Der Beklagte tritt dem Zulassungsvorbringen entgegen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakte Bezug genommen.
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Die Verbindung der Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung beruht auf § 93 Satz 1 VwGO.
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Die Anträge auf Zulassung der Berufung haben keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Urteile (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Urteile, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall. Die Zulassungsbegründung zeigt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts auf, dass die auf der Grundlage von Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO erlassene Baueinstellung bzw. die Duldung der Baueinstellung rechtmäßig sind.
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1.1 Der in der Zulassungsbegründung behauptete Begründungsmangel des angefochtenen Bescheids liegt nicht vor. Für eine auf Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO gestützte Anordnung einer Baueinstellung muss kein Verstoß gegen formelles (oder auch materielles) Baurecht verwirklicht sein. Vielmehr reichen schon objektive, konkrete Anhaltspunkte aus, die es wahrscheinlich machen, dass ein dem öffentlichen Recht widersprechender Zustand geschaffen wird (vgl. BayVGH, B.v. 16.6.2020 – 1 CS 20.396 – juris Rn. 3; B.v. 12.12.2018 – 1 ZB 17.936 – juris Rn. 3). Das Landratsamtsamt ist im Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung – nach Rücksprache mit dem AELF – davon ausgegangen, dass eine Privilegierung der Maßnahme nicht vorliegt und das Vorhaben nach Art. 55 Abs. 2 BayBO genehmigungspflichtig ist, weil eine Genehmigungsfreiheit nach Art. 57 oder Art. 58 BayBO nicht vorliegt. Aufgrund der Rückmeldung des AELF bestand auch kein Anlass, sich näher mit den Voraussetzungen des Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BayBO auseinanderzusetzen. Die Behörde hat weiter darauf abgestellt, dass von der formellen Illegalität des Vorhabens auszugehen ist, weil das Bauen ohne die erforderliche Baugenehmigung einen Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften darstellt. Dies genügt für die Einstellung von Arbeiten nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.672 – juris Rn. 8 m.w.N.). Da maßgeblicher Zeitpunkt für die Rechtmäßigkeit der Baueinstellung der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist, hat sie sich auch mit den Einwendungen im Klageverfahren auseinandergesetzt (vgl. BayVGH, B.v. 14.4.2020 – 1 CS 20.143 – juris Rn. 9) und ihr Festhalten an der Anordnung begründet.
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1.2 Auch soweit in der Zulassungsbegründung eingewendet wird, dass das Vorhaben dem landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers zu 2 diene, werden keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung aufgezeigt. Das Verwaltungsgericht hat – gestützt auf die fachlichen Stellungnahmen des AELF vom 22. Dezember 2020 und 30. März 2023 – nur einen weiteren Platzbedarf auf der Hofstelle von ca. 15 m² angenommen. Die Fachbehörde hat in die Lagerflächenberechnung eine geplante Nutzung des Gebäudes als Zwischenlager für Hackschnitzel und Heu sowie als Weide- und Maschinenunterstand eingestellt und einen nur geringfügig über der an der Hofstelle verfügbaren Fläche erforderlichen Gesamtbedarf errechnet, den ein vernünftiger Landwirt nicht in 1,2 km Entfernung von der Hofstelle decken würde. Mit diesen Erwägungen des Verwaltungsgerichts unter Heranziehung der fundierten Stellungnahmen des AELF zum Platzbedarf des fraglichen Betriebs setzen sich die Kläger nicht substantiiert auseinander. Sie behaupten lediglich unter Verweis auf die Stellungnahmen des klägerischen Sachverständigen, dass an der Hofstelle zu wenig Unterstellraum zur Verfügung stehe, es infolge der geringen Zeitfenster für die Heubereitung durchaus sinnvoll sei, das Heu vor Ort einzulagern und weisen auf etwaige künftige Betriebsabläufe mit erhöhten Lagerkapazitäten hin. Damit wird dem Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO nicht genügt. Die Frage, ob bei einer Größe von 250 m² von einem Investitionsbedarf in Höhe von 290 Euro/m² auszugehen ist, stellt sich daher ebenso wenig wie die Berücksichtigung einer Eigenleistung des Pächters. Im Übrigen sind die Anforderungen an ein Vorhaben im Außenbereich aufgrund des Schutzes des Außenbereichs an den Erfordernissen eines privilegierten Betriebs zu messen. Das Verwaltungsgericht hat für die gebotene objektive Gesamtbetrachtung weiter zu Recht ausgeführt, dass mit der Behauptung multipler Nutzungszwecke eine Bewertung der einzelnen angegebenen Nutzungszwecke nicht obsolet wird. Der Einwand in der Zulassungsbegründung, eine solche Berechnung sei weder sinnvoll noch möglich, zeigt lediglich die abweichende Auffassung der Kläger auf und ist nicht geeignet, die Erstellung einer detaillierten Kalkulation in Frage zu stellen. Hinzu kommt, dass nach den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts einige Nutzungszwecke wie beispielsweise das Häckseln und Lagern von Hackschnitzel nicht auf einen entfernten Standort angewiesen sind. Die vorhandenen Ferienwohnungen auf der Hofstelle als sogenannter mitgezogener Betriebsteil rechtfertigen nicht die Verlagerung von lärmenden und staubenden Tätigkeiten. Insoweit ist in der Rechtsprechung geklärt, dass dieser Betriebsteil dem landwirtschaftlichen Betrieb als Nebensache zuzuordnen ist (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.1998 – 4 B 66.98 – BauR 1999, 33). Das Verwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung zudem die Verlängerung des Pachtvertrags bis 2040 berücksichtigt und ergänzend zu Recht darauf abgestellt, dass – ungeachtet von vorzeitigen Kündigungsrechten – eine wirtschaftlich belastbare Planungs- und Investitionssicherheit nur noch für ca. 20 Jahre besteht. Diese verhältnismäßig kurze Nutzungsdauer steht angesichts der Massivität des in Betonbauweise in den Hang gebauten Vorhabens in keinem Verhältnis zu den angegebenen Kosten für das Gebäude.
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Dazu, dass das geplante Vorhaben als sonstiges Bauvorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB im Außenbereich nicht zulässig ist, weil öffentliche Belange beeinträchtigt werden können, verhält sich die Zulassungsbegründung nicht.
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1.3 Die geltend gemachten Ermessensfehler liegen nicht vor. Liegen – wie hier – die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Baueinstellung vor, muss im Regelfall nicht näher begründet werden weshalb von der Eingriffsbefugnis Gebrauch gemacht wird (sog. intendiertes oder Regelermessen). Das Bauvorhaben ist, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, auch nicht (offensichtlich) genehmigungsfähig.
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1.4 Ohne Erfolg führt die Zulassungsbegründung aus, dass das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung davon ausgegangen sei, dass der Kläger zu 1 in dem angegriffenen Bescheid als „Handlungsstörer“ verpflichtet wurde. Es handelt sich hierbei um einen offensichtlichen Schreibfehler. Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich zweifelsfrei, dass das Verwaltungsgericht mit der Verweisung auf seine Entscheidungen bzw. die Entscheidung des Senats im Eilverfahren davon ausgeht, dass der Kläger zu 1 als Zustandsstörer in Anspruch genommen wird. Zur Rechtmäßigkeit der Störerauswahl in der vorliegenden Fallkonstruktion wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen im Beschluss des Senats vom 14. Oktober 2021 (1 CS 21.1974 und 1 CS 21.1976, BA Rn. 12) verwiesen.
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2. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die Streitsache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO aufweist, die eine Zulassung der Berufung erforderlich machen würden. Die von den Klägern aufgeworfene Frage der Dienlichkeit eines privilegierten Bauvorhabens kann auch im Hinblick auf die divergierenden Auffassungen der Parteien ohne Weiteres anhand der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und der Rechtsprechung bereits im Zulassungsverfahren geklärt werden. Gleiches gilt für geltend gemachten rechtlichen Schwierigkeiten.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 47 Abs. 1 und 3‚ § 52 Abs. 1 GKG und entspricht der Addition der jeweils vom Verwaltungsgericht festgesetzten Beträge.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).