Inhalt

VGH München, Beschluss v. 24.07.2024 – 13a ZB 24.30535
Titel:

Asylrecht, Zulässigkeit eines Folgeantrags, erhebliche Wahrscheinlichkeit

Normenketten:
RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Asylverfahrensrichtlinie) Art. 40
AsylG § 71 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Für eine „erhebliche Wahrscheinlichkeit“ im Sinn des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG n.F. reicht aus, dass die neuen Elemente und Erkenntnisse für die Beurteilung der Begründetheit eines Folgeantrags relevant sind bzw. maßgeblich erscheinen und deshalb die Möglichkeit einer für den Ausländer günstigeren Entscheidung besteht. Hingegen ist nicht erforderlich, dass vieles oder eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine günstigere Entscheidung spricht.
Schlagworte:
Asylrecht, Zulässigkeit eines Folgeantrags, erhebliche Wahrscheinlichkeit
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 14.05.2024 – Au 7 K 23.30136
Fundstelle:
BeckRS 2024, 20327

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 14. Mai 2024 – Au 7 K 23.30136 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

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Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 14. Mai 2024 hat keinen Erfolg. Zulassungsgründe nach § 78 Abs. 3 AsylG sind nicht gegeben.
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1. Der Kläger hat seinen Zulassungsantrag zum einen damit begründet, dass ihm das rechtliche Gehör versagt worden sei (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO). Es handele sich um eine unzulässige Überraschungsentscheidung. Das Verwaltungsgericht sei von rechtlichen und tatsächlichen Einschätzungen im Beschluss nach § 123 VwGO vom 8. März 2023 abgewichen. Bisher habe das Gericht die Tatsache, dass die Anklageschrift in e-Devlet zu sehen sei, nur unter dem Gesichtspunkt der Echtheit der vorgelegten Unterlagen betrachtet gehabt. Noch in der Hauptverhandlung – gemeint ist die mündliche Verhandlung am 6. Mai 2024 – sei die Möglichkeit, dass das Gericht die Sichtbarkeit der Anklageschrift in e-Devlet gegen ihn werten würde, nicht ersichtlich gewesen. Im Gegensatz dazu habe das Verwaltungsgericht im Urteil die Tatsache, dass die Anklage sichtbar gewesen sei und kein Sperrvermerk vorgelegen habe, als Indiz gegen die politische Verfolgung gewertet. Hätte das Gericht auf diesen Umstand hingewiesen, hätte er vortragen können, dass nach den Erkenntnismitteln die Freigabe von Dokumenten im Ermessen des jeweils zuständigen Staatsanwalts stehe, und dass der Politmalus nicht aus dem formellen Ablauf des Strafverfahrens folge. Ferner liege eine Überraschungsentscheidung auch hinsichtlich des vermeintlich veränderten Entscheidungsmaßstabs vor. Das Verwaltungsgericht hätte darauf hinweisen müssen, dass es davon ausgehe, dass sich der Maßstab für eine positive Entscheidung geändert habe. Zwar sei die Veränderung des § 71 AsylG eine gesetzliche Entscheidung gewesen, es sei jedoch nicht davon auszugehen, dass mit der Anpassung der Formulierung auch eine Veränderung des Entscheidungsmaßstabs einhergehe, wie sich aus dem Gesetzentwurf und der Kommentarliteratur ergebe. Hätte das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass es einen anderen Entscheidungsmaßstab annimmt und welchen, dann hätte dem entgegengetreten werden können. Ferner sei das rechtliche Gehör auch durch die Weigerung der Terminverlegung verletzt worden. Zuletzt sei das rechtliche Gehör verletzt worden, da das Verwaltungsgericht zentrales Vorbringen nicht berücksichtigt habe. Zwar sei sein Vorbringen zitiert worden, dass gerade die weitere Auslegung des Terrorbegriffs das Einfallstor für politische Verfolgung darstelle (UA S. 10). In den Urteilsgründen gehe das Gericht dagegen nicht mehr darauf ein, wie der extensive Terrorbegriff Einfallstor gerade für politische Verfolgung sei. Hätte das Gericht diesen Vortrag zur Kenntnis genommen, hätte es angenommen, dass unabhängig von den konkreten Modalitäten des Verfahrens eine verfolgungsrelevante Gefahr für alle Personen bestehe, gegen die ein Ermittlungsverfahren mit Bezug zur PKK bestehe.
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Dieses Vorbringen rechtfertigt es nicht, die Berufung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
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Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Es gewährleistet im Sinn der Wahrung eines verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaßes, dass ein Kläger die Möglichkeit haben muss, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (BVerfG, B.v. 21.4.1982 – 2 BvR 810/81 – BVerfGE 60, 305/310). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wonach vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör hat, kann allerdings nur dann festgestellt werden, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist.
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a) Beim Urteil des Verwaltungsgerichts handelt es sich nicht um eine Überraschungsentscheidung: Eine gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör verstoßende unzulässige Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht in seiner Entscheidung auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt abstellt, der weder im Verwaltungsverfahren noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erörtert wurde, auch unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen als fernliegend anzusehen war und damit dem Rechtsstreit eine unerwartete Wendung gab, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (BVerwG, B.v. 15.7.2016 – 5 P 4.16 – juris Rn. 3 m.w.N.; B.v. 27.7.2015 – 9 B 33.15 – NJW 2015, 3386; B.v. 19.7.2010 – 6 B 20.10 – NVwZ 2011, 372). Aus dem Prozessgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG folgt allerdings keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts (vgl. BVerwG, B.v. 15.7.2016 a.a.O. Rn. 3 m.w.N.; B.v. 16.8.2011 – 6 B 18.11 – juris Rn. 9). Insbesondere muss ein Gericht die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung bzw. Entscheidungsfindung ergibt (BVerwG, B.v. 15.7.2016 a.a.O. Rn. 3 m.w.N.). Dies gilt auch für den Tatsachenvortrag des Asylbewerbers, der selbst für die Darlegung seiner Asylgründe verantwortlich ist (BVerwG, B.v. 9.3.2007 – 1 B 171.06 – juris Rn. 6; BayVGH, B. v. 16.10.2018 – 1 ZB 18.32333 – juris Rn. 3). Gemessen an diesen Grundsätzen lag vorliegend keine Überraschungsentscheidung vor. Das Prozessgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG erforderte insbesondere keinen Hinweis des Gerichts, zu welchen konkreten Ergebnissen es bei der Würdigung der in e-Devlet zu sehenden Anklageschrift kommen wird. Auch musste es nicht darauf hinweisen, welche rechtlichen Schlüsse es aus der Änderung des § 71 Abs. 1 AsylG durch das Gesetz zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) vom 21. Februar 2024 (BGBl. I Nr. 54 S. 1) ziehen wird. Dass sich bei der Änderung von Gesetzen die Frage stellt, wie das geänderte Gesetz rechtlich zu würdigen ist, versteht sich von selbst.
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b) Es ist auch nicht hinreichend dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG), dass das rechtliche Gehör des Klägers durch die Ablehnung der Terminverlegung verletzt worden wäre. Zwar kann eine nicht von § 173 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO gedeckte Ablehnung eines Antrags auf Terminverlegung eine Verkürzung des rechtlichen Gehörs zur Folge haben, wenn dem Kläger dadurch die Möglichkeit entzogen wird, sich sachgemäß und erschöpfend zu äußern (vgl. BVerwG, U.v. 30.8.1982 – 9 C 1.81 – DÖV 1983, 247 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 22.7.2019 – 14 ZB 18.33117 – juris Rn. 6). Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs muss allerdings anhand der aus dem Prozessstoff herausgearbeiteten Tatsachen und Umstände hinreichend deutlich zum Ausdruck bringen, durch welche Verfahrensweisen des Gerichts im Einzelnen der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden ist (BayVGH, B.v. 29.5.2024 – 13a ZB 24.30413 – juris Rn. 5 m.w.N.). Daran fehlt es vorliegend, weil sich der Kläger im Zulassungsantrag nicht hinreichend mit der ausführlichen und fundierten Begründung des Verwaltungsgerichts zur Ablehnung des Antrags auf Terminverlegung im Beschluss vom 8. April 2024 (VG-Akte Bl. 160 ff.) auseinandersetzt (auch nicht in Rahmen der Schilderung der Prozessgeschichte unter A. des Zulassungsantrags). Es fehlt an einer hinreichend nachvollziehbaren Schilderung des prozessualen Vorgangs, der zu einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geführt haben soll. Unabhängig davon sei auf Folgendes hingewiesen: Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt auch deshalb nicht vor, weil das Verwaltungsgericht den Antrag auf Terminverlegung im Beschluss vom 8. April 2024 mit überzeugenden Gründen abgelehnt hat.
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c) Ferner ist das rechtliche Gehör des Klägers auch nicht dadurch verletzt, dass dessen Vorbringen hinsichtlich einer sehr weiten Auslegung des Terrorbegriffs nicht berücksichtigt worden wäre. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte von ihnen entgegengenommenes Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen, damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG festgestellt werden kann, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Wird die Gehörsrüge hierauf gestützt, bedarf es der Darlegung, welches Vorbringen das Gericht nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat und unter welchem denkbaren Gesichtspunkt das nicht zur Kenntnis genommene oder nicht erwogene Vorbringen für die Entscheidung hätte von Bedeutung sein können (BVerfG, B.v. 25.9.2020 – 2 BvR 854/20 – juris Rn. 26 m.w.N.; BVerwG, B.v. 2.5.2017 – 5 B 75.15 D – juris Rn. 11; B.v. 24.2.2016 – 3 B 57/15 u.a. – juris Rn. 2; U.v. 18.12.2014 – 4 C 35.13 – NVwZ 2015, 656, juris Rn. 42; BayVGH, B.v. 8.10.2018 – 15 ZB 18.31366 – juris Rn. 3 m.w.N.; B.v. 30.10.2018 – 13a ZB 17.31034 – juris Rn. 15 m.w.N.). Daran gemessen ist vorliegend kein diesbezüglicher Gehörsverstoß erkennbar: Dass das Verwaltungsgericht das klägerseitige Vorbringen hinsichtlich einer sehr weiten Auslegung des Terrorbegriffs zur Kenntnis genommen hat, ergibt sich schon daraus, dass es dieses im Tatbestand des Urteils erwähnt (UA Rn. 17), worauf auch der Kläger im Zulassungsantrag hinweist. In den Entscheidungsgründen befasst sich das Verwaltungsgericht dann ausführlich mit der Frage, ob der Kläger im Zusammenhang mit dem in der Türkei gegen ihn anhängigen Strafverfahrens wegen Propaganda für eine Terrororganisation eine flüchtlingsrelevante Verfolgung zu befürchten hätte (UA Rn. 33 ff.). Dabei stellt es unter anderem fest, dass der Anklageschrift zwar „der Verdacht einer seitens des türkischen Staats als ‚Terrorismus‘ bezeichneten Handlung bzw. Haltung zu entnehmen“ sei und die Strafverfolgung wegen Propaganda für eine Terrororganisation „ersichtlich einen unterstellten prokurdischen und separatistischen Bezug“ aufweist (UA Rn. 37 f.). Damit bringt das Verwaltungsgericht hinreichend zum Ausdruck, dass es die Thematik der weiten Auslegung des Terrorbegriffs durch den türkischen Staat bei seiner Bewertung einbezogen hat. Gleichwohl – so das Verwaltungsgericht – gebe es keine Anhaltspunkte für einen sog. Politmalus. Auf jedes Detail des klägerseitigen Vorbringens musste es dabei nicht eingehen. Daran gemessen kann keine Rede davon sein, das Verwaltungsgericht habe das entsprechende Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen.
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d) Soweit der Kläger im Zusammenhang mit seiner Gehörsrüge die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Frage stellt, ist darauf hinzuweisen, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Asylprozess gemäß § 78 Abs. 3 AsylG keinen Berufungszulassungsgrund darstellen.
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2. Zum anderen hat der Kläger zur Begründung seines Zulassungsantrags vorgebracht, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) hinsichtlich der Frage,
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„ob sich durch das Gesetz vom 21.02.2024 – BGBl. I 2024, Nr. 54 vom 26.02.2024 der Maßstab für die Zulässigkeit von Folgeanträgen dahingehend geändert hätte, dass nunmehr vieles dafür sprechen müsse, dass auf Begründetheitsebene eine Schutzgewährung zu erfolgen hat.“
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Die Rechtsfrage sei für das Verfahren entscheidungserheblich. Das Verwaltungsgericht habe im Urteil ausgeführt, nach dem nunmehr geltenden § 71 Abs. 1 AsylG n.F., dessen Wortlaut Art. 40 Abs. 3 der RL 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) entspreche, gelte ein anderer rechtlicher Maßstab. Es reiche für einen zulässigen Asylfolgeantrag nicht länger aus, dass die geltend gemachten Wiederaufnahmegründe eine Schutzgewährung grundsätzlich möglich erscheinen lassen. Es sei nunmehr vielmehr erforderlich, dass eine Schutzgewährung erheblich wahrscheinlich erscheine, das heißt vieles dafür spreche, dass auf Begründetheitsebene eine Schutzgewährung zu erfolgen habe (UA Rn. 63). Mit der Gegenmeinung, dass sich der Maßstab nicht geändert habe (Kommentarliteratur und Gesetzesbegründung) habe sich das Verwaltungsgericht nicht auseinandergesetzt.
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Dieses Vorbringen führt nicht zur Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung.
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Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 36). Die Grundsatzfrage muss nach Maßgabe des Verwaltungsgerichtsurteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig eine Durchdringung der Materie und eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts (vgl. BayVGH, B.v. 11.9.2023 – 13a ZB 23.30618 – juris Rn. 5; B.v. 24.1.2019 – 13a ZB 19.30070 – juris Rn. 5; B.v. 21.12.2018 – 13a ZB 17.31203 – juris Rn. 4).
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Es nicht klärungsbedürftig und bedarf keiner Durchführung eines Berufungsverfahrens, dass die klägerseitig aufgeworfene Frage, ob sich infolge der Änderung des § 71 Abs. 1 AsylG durch das Gesetz zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) vom 21. Februar 2024 (BGBl. I Nr. 54 S. 1) der Maßstab für die Zulässigkeit von Folgeanträgen dahingehend geändert habe, dass nunmehr vieles dafür sprechen müsse, dass auf Begründetheitsebene eine Schutzgewährung zu erfolgen habe, zu verneinen ist. Dies lässt sich bei Auslegung des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG n.F. insbesondere unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung sowie der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 40 der RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Asylverfahrensrichtlinie; Abl EG Nr. L 180 S. 60 ff.) auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens ohne Weiteres feststellen:
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Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG n.F. ist bei einem Folgeantrag ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Ausländer vorgebracht worden sind, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer für den Ausländer günstigeren Entscheidung beitragen, oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind und der Ausländer ohne eigenes Verschulden außerstande war, die Gründe für den Folgeantrag im früheren Asylverfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt. Diese Änderung dient laut der Gesetzbegründung der Umsetzung der unionsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Folgeantrag gemäß Art. 40 der Asylverfahrensrichtlinie. Diese Regelungen in Art. 40 hätten sich bislang „im Wortlaut“ von den Regelungen zum Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG unterschieden, auf die § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG a.F. verwiesen habe (vgl. BR-Drs. 563/23 S. 64; BT-Drs. 20/9463 S. 58 f.). Nunmehr greift § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG n.F. den Wortlaut des Art. 40 Asylverfahrensrichtlinie auf. Insbesondere die Begrifflichkeiten in Art. 40 Abs. 2 und 3 Asylverfahrensrichtlinie, wonach bei einem Folgeantrag ein weiteres Asylverfahren nur durzuführen ist, wenn „neue Elemente oder Erkenntnisse (…) zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind“, „die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen“, dass dieser anzuerkennen ist, finden sich sprachlich leicht angepasst nun auch in § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG n.F.
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Nach welchem Maßstab zu beurteilen ist, ob neue Elemente oder Erkenntnisse „erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen“, ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt: Hierfür genügt es, dass die neuen Elemente und Erkenntnisse von „Relevanz“ hinsichtlich der Voraussetzungen des Anspruchs auf internationalen Schutz sind bzw. für die Beurteilung der Begründetheit des Antrags „maßgeblich erscheinen“ (EuGH, U.v. 8.2.2024 – C-216/22 – Asylmagazin 2024, 121 – BayVBl 2024, 300 – juris Rn. 50 f.). „Erheblich“ meint mithin nur, dass die neuen Elemente oder Erkenntnisse relevant sind und die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung eröffnen. Nicht gefordert ist hingegen eine besondere Gewichtigkeit der neuen Elemente und Erkenntnisse dergestalt, dass vieles oder gar eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Schutzgewährung sprechen müsste (s. dazu a. Marx, AsylG, 11. Auflage 2022, § 71 Rn. 48).
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Soweit § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG n.F. von „erheblicher Wahrscheinlichkeit“ spricht und damit an die Formulierung in Art. 40 Abs. 3 Asylverfahrensrichtlinie „die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen“ anknüpft, kann der Begriff „erheblich“ nicht anders verstanden werden: Für eine „erhebliche Wahrscheinlichkeit“ im Sinn des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG n.F. reicht deshalb aus, dass die neuen Elemente und Erkenntnisse für die Beurteilung der Begründetheit eines Folgeantrags relevant sind bzw. maßgeblich erscheinen und deshalb die Möglichkeit einer für den Ausländer günstigeren Entscheidung besteht. Hingegen ist nicht erforderlich, dass vieles oder gar eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine günstigere Entscheidung spricht (vgl. dazu a. Dickten in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 41. Edition Stand: 1.4.2024, Rn. 23).
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Soweit der Antragsteller an der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts (zu Recht) Kritik übt, ist erneut darauf hinzuweisen, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Asylprozess gemäß § 78 Abs. 3 AsylG keinen Zulassungsgrund darstellen. Eine Umdeutung der Grundsatzrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) in eine Divergenzrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Europäische Gerichtshof kein Divergenzgericht im Sinn des § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG ist (vgl. Marx, a.a.O., § 78 Rn. 71 m.w.N.).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.