Inhalt

VGH München, Beschluss v. 05.08.2024 – 12 ZB 23.681
Titel:

Anzurechnende Vermögenswerte in der Ausbildungsförderung 

Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2
BGB § 808 Abs. 2 S. 1
BAföG § 27, § 28
Leitsatz:
Als Vermögenswert im Sinne des Ausbildungsförderungsrechts sind nur solche Werte anzurechnen, über die tatsächlich verfügt werden kann (BeckRS 2009, 34639). Dies ist nicht der Fall bei einem Namenspapier mit Inhaberklausel nach § 808 BGB, wie etwa einem sog. Oma-Sparbuch, das auf einen Verwandten ausgestellt ist, aber erst nach dem Tod des Einrichters übergeben wird. Entsprechendes gilt für ein Online-Tagesgeldkonto, bei dem die Zugangsdaten erst nach dem Tod des Einrichtenden übermittelt werden. (Rn. 5 – 10 und 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausbildungsförderung, Vermögensanrechnung, Faktische Verfügungsbefugnis, Rechtliches Verfügungshindernis, Aufklärungsrüge, Oma-Sparbuch, Namenspapier, Online-Tagegeldkonto
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 16.02.2023 – M 15 K 21.1621
Fundstelle:
BeckRS 2024, 20326

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 16. Februar 2023 wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger die Aufhebung der Bescheide des Beklagten vom 2. April 2020 und 22. Dezember 2020, jeweils in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 18. Februar 2021 weiter, mit denen infolge nachträglich angerechneten Vermögens einerseits vorangegangene Bewilligungen von Ausbildungsförderung aufgehoben, andererseits die erneut beantragte Leistung von Ausbildungsförderung abgelehnt wurde.
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Der Zulassungsantrag hat indes keinen Erfolg, weil die vom Kläger vorgetragenen Zulassungsgründe – ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sowie das Vorliegen von Verfahrensfehlern im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO – nicht durchgreifen oder nicht den Erfordernissen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt sind.
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1. Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts München unterliegt keinen Zweifeln an seiner Richtigkeit, die nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Zulassung der Berufung gebieten würden.
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1.1 Soweit der Kläger zunächst geltend machen lässt, mit seiner Auffassung, die Grundsätze des sog. „Oma-Sparbuchs“ seien auf die vorliegende Fallgestaltung nicht anwendbar, setze sich das Verwaltungsgericht in Widerspruch zu seinem eigenen, dem Kläger Prozesskostenhilfe zubilligenden Beschluss, kann er ernstliche Richtigkeitszweifel nicht substantiiert darlegen. Denn aus der zitierten Passage des PKH-Beschlusses, wonach das Verwaltungsgericht davon ausgeht, dass eine abschließende Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage nach dem seinerzeitigen Sach- und Streitstand nicht möglich sei und dass für die Frage der Vermögensanrechnung weitere Sachaufklärung, insbesondere durch die Zeugeneinvernahme der Mutter des Klägers erforderlich sei, lässt sich keine dem streitgegenständlichen Urteil widersprechende Rechtsauffassung ableiten. Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung folgen aus dem PKH-Beschluss daher nicht.
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1.2 Auch soweit der Kläger der Sache nach die Grundsätze der Vermögenszurechnung beim sog. „Oma-Sparbuch“ auf die vorliegende Fallkonstellation für anwendbar erachtet, kann er damit nicht durchdringen.
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Wie der Senat bereits entschieden hat (vgl. BayVGH, B.v. 17.10.2012 – 12 ZB 12.184 – BeckRS 2012, 58883 Rn. 13 f.; hierzu aus jüngerer Zeit OVG Lüneburg, B.v. 12.3.2024 – 14 LA 136/23 – BeckRS 2024, 4468 Rn. 9 ff.), ist nach der für das Ausbildungsförderungsrecht im Hinblick auf die Vermögenszuordnung maßgeblichen Zivilrechtsordnung Inhaber eines Sparkontos grundsätzlich derjenige, der gemäß der Vereinbarung mit der Bank oder Sparkasse Kontoinhaber werden sollte. Legt daher ein naher Angehöriger ein Sparbuch auf den Namen eines Kindes an, ohne zugleich das Sparbuch selbst aus der Hand zu geben, lässt sich aus diesem Verhalten in der Regel schließen, dass der Zuwendende sich die Verfügung über das Sparguthaben bis zu seinem Tode vorbehalten will. Da es sich ferner bei einem derartigen Sparbuch um ein Namenspapier mit Inhaberklausel nach § 808 BGB handelt, darf der Schuldner der im Sparbruch verbrieften Forderung gem. § 808 Abs. 2 Satz 1 BGB nur gegen Aushändigung der Urkunde an den Gläubiger leisten. Das Behalten des Sparbuchs durch den Schenker hat daher zur Folge, dass der darin bezeichnete Inhaber faktisch nicht über die Forderung verfügen kann. Da folglich der auf einem derartigen Sparbuch verbrieften Geldbetrag einem Auszubildenden mangels Besitzes des Buches nicht zur Verfügung steht, fehlt die Rechtfertigung, es seinem Vermögen zuzurechnen. Gerade die tatsächliche Verfügungsbefugnis stellt daher das maßgebliche Kriterium auch für die ausbildungsförderungsrechtliche Vermögenszurechnung dar (vgl. hierzu VGH Mannheim, U.v. 29.4.2009 – 12 S 2493/06 – BeckRS 2009, 34639). Besteht indes – trotz möglicher Unkenntnis über die Zuwendung von Vermögenswerten – bei einem Auszubildenden die tatsächliche Verfügungsbefugnis über die Forderung gegenüber einer Bank aus einem dort eingerichteten Depot oder Tagesgeldkonto, ist ihm dieser Vermögenswert ausbildungsförderungsrechtlich zuzurechnen.
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Dass der Kläger im vorliegenden Fall in gleicher Weise wie in der Fallkonstellation des „Oma-Sparbuchs“ an der tatsächlichen Verfügungsbefugnis über das auf dem auf seinen Namen lautenden Tagesgeldkonto befindliche Guthaben gehindert gewesen wäre, legt er mit seiner Zulassungsbegründung nicht durchgreifend dar. Denn entgegen seiner Auffassung verweist das Verwaltungsgericht zunächst zutreffend auf die Besonderheiten des Sparbuchs als Namenspapier mit Inhaberklausel („haptisches“ Sparbuch), die auf ein Tagesgeldkonto gerade nicht übertragbar sind. Mag der Kläger auch nicht über die für das Online-Banking erforderlichen Kontodaten verfügt haben, was das Verwaltungsgericht zu Recht bereits als nicht hinreichend belegt erachtet, hätte er jedenfalls, wie die Landesanwaltschaft zutreffend vorträgt, die Möglichkeit besessen, das Tagesgeldkonto zu kündigen und so über das Guthaben zu verfügen. Dass dem Kläger vor oder zum Zeitpunkt der Antragstellung die genauen Kontodaten des Tagesgeldkontos nicht bekannt gewesen sein sollen, was die tatsächliche Verfügungsbefugnis über das Kontoguthaben ausschließt, ist ungeachtet der Frage, ob sich diese Unkenntnis als rechtlich beachtlich erweist, jedenfalls nicht hinreichend dargetan. Denn bereits nach dem eigenen Vortrag gegenüber dem Beklagten ist das von der Mutter des Klägers stammende und vorliegend streitgegenständliche Guthaben am 10. November 2017, d.h. vor Stellung des Antrags auf Ausbildungsförderung, zunächst auf ein (weiteres) Konto des Klägers und von dort am gleichen Tag auf das Tagesgeldkonto bei der R.-Bank überwiesen worden. Dass dem Kläger angesichts dieses Zahlungsflusses zum Zeitpunkt der erstmaligen Beantragung von Ausbildungsförderungsleistungen im Jahr 2018 weder die kontoführende Bank noch die Kontonummer des Tagesgeldkontos bekannt gewesen sein sollen, erweist sich als nicht nachvollziehbar. Hinreichende rechtliche wie tatsächliche Anhaltspunkte für die fehlende tatsächliche Verfügungsbefugnis über das Bankguthaben, die gegen eine Vermögenzurechnung an den Kläger sprechen, sind demzufolge mit der Zulassungsbegründung nicht substantiiert dargetan.
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1.3 Auch soweit der Kläger vortragen lässt, das Verwaltungsgericht habe zivilrechtlich „nicht die gebotenen Schlüsse gezogen“ und einen möglicherweise ihm gegenüber bestehenden Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812 BGB nicht als zum Zeitpunkt der Antragstellung bestehende Schuld nach § 28 Abs. 3 Satz 1 BGB von seinem Vermögen in Abzug gebracht, kann er damit ernstliche Richtigkeitszweifel an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht substantiiert darlegen. Anders als der Kläger meint, folgt allein aus dem Umstand, dass das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Treuhand- bzw. Darlehensverhältnisses zwischen dem Kläger und seiner Mutter nicht für gegeben erachtet hat, nicht automatisch, dass es für die Vermögensverfügung an einem Rechtsgrund fehlt, der seinerseits den bereicherungsrechtlichen Herausgabeanspruch auslöst. Denn zunächst wurde der Kläger mit der Überweisung des Geldbetrags auf das Tagesgeldkonto rechtswirksam Inhaber der Forderung gegen die Bank, sodass im Zweifel von einer ihm gegenüber erfolgten Schenkung oder verdeckten Unterhaltsgewährung auszugehen ist (vgl. Hartmann in Rothe/Blanke, BAföG, Stand Mai 2014, § 28 Rn. 10.2). Es obliegt insoweit dem Kläger, den fehlenden Rechtsgrund substantiiert darzulegen, woran es jedoch in der Zulassungsbegründung fehlt. Was den Vortrag zur vermeintlichen Ausnutzung des Steuerfreibetrags anbetrifft, berücksichtigt der Kläger überdies die Regelung des § 817 Satz 2 BGB nicht, der möglicherweise einem bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch seiner Mutter entgegensteht (vgl. hierzu Knopp in jurisPK-SGB-Sozialrecht Besonderer Teil, Stand 15.4.2023, § 28 BAföG Rn. 23; VG München, U.v. 24.11.2011 – M 15 K 11.4253 – BeckRS 2012, 46660).
9
1.4 Soweit der Kläger im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Bestehen eines Treuhandverhältnisses dahingehend argumentiert, dass ihm mangels Kenntnis der Kontoverbindungsdaten die Verfügungsbefugnis über das Tagesgeldkonto gefehlt habe, kann auf das vorstehend Ausgeführte verwiesen werden. Der Kläger hat den Geldtransfer über sein (Spar-)Konto auf das Tagesgeldkonto selbst gegenüber dem Beklagten vorgetragen (vgl. hierzu explizit Urteilsabdruck Rn. 33).
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2. Auch soweit der Kläger im Hinblick auf vom Verwaltungsgericht unterlassene Sachverhaltsermittlungen im Zusammenhang mit seiner Verfügungsbefugnis über das Tagesgeldkonto bzw. das „Parken“ des Geldes auf seinem Konto eine Aufklärungsrüge erhebt und damit sinngemäß einen Verfahrensfehler im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO geltend macht, kann er mit diesem Vorbringen die Zulassung der Berufung nicht bewirken. Ausweislich der Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung des Verwaltungsgerichts vom 16. Februar 2023 haben der Kläger bzw. sein Bevollmächtigter keinerlei Beweisanträge gestellt und damit auch nicht auf weitere Beweiserhebungen durch das Gericht hingewirkt. Angesichts dessen liegt eine mögliche Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur dann vor, wenn sich die nunmehr als fehlend gerügten Beweiserhebungen dem Gericht gemessen an seiner Rechtsauffassung hätten aufdrängen müssen. Der Kläger hätte daher im Rahmen seines Zulassungsbegehrens darlegen müssen, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zur Verfügung gestanden hätten, weshalb sich die unterbliebene Beweisaufnahme dem Gericht hätte aufdrängen müssen und womit insbesondere in der mündlichen Verhandlung auf die Aufklärungsmaßnahme hingewirkt worden ist, welches Ergebnis die Beweisaufnahme voraussichtlich erbracht hätte und inwiefern das angefochtene Urteil hierauf beruhen kann. An entsprechenden Darlegungen im Zulassungsvorbringen fehlt es. Die Aufklärungsrüge stellt insoweit kein Mittel dar, Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten, vor allem das Stellen von Beweisanträgen in der mündlichen Verhandlung, im Rahmen des Berufungszulassungsverfahrens zu kompensieren (vgl. hierzu etwa Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 75).
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3. Der Kläger trägt nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden in Angelegenheiten der Ausbildungsförderung nach § 188 Satz 2, 1 VwGO nicht erhoben. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das verwaltungsgerichtliche Urteil nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig.
12
Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.