Inhalt

VGH München, Beschluss v. 29.07.2024 – 11 CS 24.1238
Titel:

Entziehung der Fahrerlaubnis nach negativem Fahreignungsgutachten (wiederholte Trunkenheitsfahrten) - einstweiliger Rechtsschutz/Beschwerdeverfahren

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 152a
StVG § 2 Abs. 8, § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 13 S. 1 Nr. 2 lit. b, § 46 Abs. 1, Abs. 3
FeV Anl. 4 Nr. 8.1
Leitsätze:
Nicht überzeugende Angaben und pauschale Behauptungen im Rahmen der medizinisch-psychologischen Begutachtung, welche die durch das vorangegangene Verhalten des Fahrerlaubnisinhabers begründeten erheblichen Zweifel an seiner Fahreignung nicht auszuräumen vermögen, dürfen nicht zu Lasten der Verkehrssicherheit bzw. der Allgemeinheit gehen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine positive Verhaltensprognose in einem Fahreignungsgutachten muss auf verwertbaren Befunden beruhen und kann nicht etwa entsprechend dem Grundsatz „in dubio reo“ zu Gunsten des Betroffenen verfahren. Es ist erforderlich, dass er sich im Gespräch so weit offen zeigt, dass die für die Problem- und Verhaltensanalyse notwendigen Hintergrundinformationen zu erhalten sind, und dass seine Angaben in sich stimmig sind und nicht dem gesicherten Erfahrungswissen, den wissenschaftlichen Erkenntnissen und/oder der Aktenlage widersprechen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Fehlen körperlicher Befunde, die auf einen missbräuchlichen Alkoholkonsum hindeuten, lässt noch keine Schlussfolgerung hinsichtlich einer stabilen und motivational gefestigten Änderung des Umgangs mit Alkohol zu. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anhörungsrüge, Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage, Entziehung der Fahrerlaubnis wiederholte Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss, negatives Fahreignungsgutachten, Verhaltensprognose, verwertbare Befunde, nicht überzeugende Angaben, pauschale Behauptungen, unauffälliger medizinischer Befund, Aufarbeitung einer Alkoholproblematik
Fundstelle:
BeckRS 2024, 20321

Tenor

I. Auf die Anhörungsrüge des Antragstellers wird das Beschwerdeverfahren 11 CS 24.995 fortgesetzt.
II. Der Beschluss des Senats vom 11. Juli 2024 – 11 CS 24.995 – wird mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 27. Mai 2024 nicht verworfen, sondern zurückgewiesen wird.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, A2, AM, B, BE, C1, C1E, C, CE, L und T.
2
Nachdem der Antragsteller am 21. Januar 2016 und am 8. Juni 2022 mit Blutalkoholkonzentrationen von 1,37 ‰ bzw. 0,84 ‰ ein Kraftfahrzeug geführt hatte, forderte ihn das Landratsamt Cham mit Schreiben vom 10. November 2022 zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu seinem Trennungsvermögen auf und entzog ihm nach Vorlage eines negativen Gutachtens mit Bescheid vom 6. Februar 2023 die Fahrerlaubnis aller Klassen.
3
Am 3. März 2023 ließ der Antragsteller Klage beim Verwaltungsgericht Regensburg erheben und zugleich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragen, was das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. Mai 2023 ablehnte. Der hiergegen gerichteten Beschwerde gab der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 23. August 2023 statt, weil das vorgelegte Fahreignungsgutachten nicht nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen war, dass dem Antragsteller das Trennungsvermögen fehlte. Nach Rücknahme des Entziehungsbescheids durch das Landratsamt und übereinstimmend erklärter Erledigung der Hauptsache durch die Beteiligten stellte das Verwaltungsgericht das Klageverfahren ein.
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Am 14. September 2023 forderte das Landratsamt den Antragsteller erneut zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auf. Die am 15. November 2023 durchgeführte Begutachtung führte erneut zu einem negativen Ergebnis. In dem Gutachten vom 4. Dezember 2023 ist insbesondere ausgeführt, die Bedenken hinsichtlich der Fahreignung des Antragstellers ließen sich nicht entkräften; ihm könne noch keine angemessene Aufarbeitung der Alkoholproblematik und kein angemessenes Problembewusstsein bescheinigt werden. An der Stabilität der aktuellen Verhaltensänderung sei aufgrund der noch weit unzureichenden Auseinandersetzung mit den Ursachen des früher normwidrigen Trinkverhaltens und der Unterschätzung der individuellen Rückfallgefahr noch zu zweifeln. Aufgrund der nicht durchgängig nachvollziehbaren und teils widersprüchlichen Schilderungen des früheren Trinkverhaltens sei derzeit nicht abschließend zu diagnostizieren, bis zu welchem Stadium sich die Alkoholproblematik bereits entwickelt habe und ob der Antragsteller einen dauerhaften Alkoholverzicht einhalten sollte. Eine stabile Einstellungs- und Verhaltensänderung sei noch nicht erkennbar.
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Daraufhin entzog das Landratsamt dem Antragsteller mit Bescheid vom 18. Dezember 2023 erneut die Fahrerlaubnis aller Klassen und verpflichtete ihn unter Androhung eines Zwangsgelds seinen Führerschein innerhalb von sieben Tagen nach der Zustellung des Bescheids abzuliefern. Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an.
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Hiergegen ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten am 17. Januar 2024 Klage beim Verwaltungsgericht Regensburg erheben und am 23. Februar 2024 vorläufigen Rechtsschutz beantragen. Den Eilantrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 27. Mai 2024 im Wesentlichen mit der Begründung ab, die Anordnung des Sofortvollzugs sei in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Klage werde aller Voraussicht nach erfolglos bleiben, weil die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Nebenverfügungen rechtmäßig seien. Das zugrundeliegende Gutachten entspreche den Anforderungen der Anlage 4a FeV. Gemäß Nr. 3.13.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung sei beim Antragsteller von Alkoholmissbrauch auszugehen, weil er wiederholt ein Fahrzeug unter unzulässig hoher Alkoholwirkung geführt habe. Das Gutachten führe aus, weshalb diese Annahme zutreffe und Alkoholmissbrauch vorliege. Die beiden Trunkenheitsfahrten seien trotz ihres zeitlichen Abstands zu berücksichtigen, weil die Taten im Fahreignungsregister noch nicht getilgt (vgl. § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b und Nr. 3 Buchst. a StVG) und daher weiterhin verwertbar seien. Dies gelte ungeachtet der Blutalkoholkonzentration. Das gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b, § 46 Abs. 3 FeV angeordnete medizinisch-psychologische Gutachten sei nachvollziehbar. Es werde aufgezeigt, dass die Schilderungen des Antragstellers zum Teil nicht nachvollziehbar oder widersprüchlich seien und dass sich deshalb das Entwicklungsstadium der Alkoholproblematik nicht diagnostizieren und sich nicht feststellen lasse, ob bei ihm dauerhafter Alkoholverzicht erforderlich oder noch ein kontrolliertes Trinkverhalten als zukünftige Verhaltensänderung möglich sei. Die behauptete Alkoholabstinenz sei nicht mit Nachweisen belegt. Folgerichtig werde dem Antragsteller kein stabiler Alkoholverzicht bescheinigt. Dies überzeuge auch deshalb, weil der Antragsteller bereits nach dem ersten Trunkenheitsdelikt im Jahr 2016 behauptet habe, bis 2018 zunächst auf Alkohol verzichtet zu haben, jedoch dann wieder an sein früheres Trinkverhalten angeknüpft habe, bis es zur erneuten Alkoholauffälligkeit im Straßenverkehr gekommen sei. Auf die Ergebnisse der medizinischen Untersuchung und die Überprüfung der verkehrsbedeutsamen Leistungsfunktionen könne sich der Antragsteller nicht berufen, da sie neben der hier fehlenden stabilen Änderung des Trinkverhaltens nur weitere Bedingungen für eine positive Beantwortung der Gutachtensfrage darstellten. Aus den gleichen Gründen sei der Hilfsantrag abzulehnen. Die fehlende Fahreignung betreffe auch die Fahrerlaubnisklasse L. Eine Ausnahme im Sinne von § 74 Abs. 1 FeV liege im Ermessen des Antragsgegners und sei bislang nicht genehmigt worden.
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Mit seiner Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, begehrt der Antragsteller die Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern, hilfsweise die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis der Klasse L sowie die Verpflichtung des Antragsgegners, dem Antragsteller (zumindest vorläufig) ein entsprechendes Dokument auszustellen. Zur Begründung wurde ausgeführt, das Verwaltungsgericht verkenne bei seiner Annahme eines Alkoholmissbrauchs, dass dieser weder gegeben noch bewiesen sei. Eine zweifache Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begründe nach der Systematik der einschlägigen Vorschriften lediglich den Verdacht eines Alkoholmissbrauchs, dem die Fahrerlaubnisbehörde durch Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nachzugehen habe. Das Gutachten treffe keine konkrete Aussage zum Trennungsvermögen. Es sei die Rede davon, dass eine „angemessene Aufarbeitung der Alkoholproblematik“ noch nicht erfolgt und „an der Stabilität der aktuellen Verhaltensänderung … noch zu zweifeln“ sei, sich die „Bedenken der Fahrerlaubnisbehörde“ an der Fahreignung nicht entkräften ließen, momentan nicht abschließend diagnostiziert werden könne, bis zu welchem Stadium sich die Alkoholproblematik bereits entwickelt habe, es auch nicht möglich sei zu entscheiden, ob ein dauerhafter Alkoholverzicht erforderlich oder noch ein kontrolliertes Trinkverhalten als Verhaltensänderung möglich sei. Zudem lasse das Gericht außer Acht, dass die medizinischen Untersuchungsergebnisse und verkehrsbedeutsamen Leistungsfunktionen in eine entsprechende Gesamtwürdigung des Sachverhalts einfließen müssten. Jene sprächen gegen die Annahme, dass eine angemessene Aufarbeitung der Alkoholproblematik noch nicht stattgefunden habe. Der Antragsteller habe dem Landratsamt angeboten, weitere Abstinenznachweise vorzulegen. Zu Unrecht nehme das Verwaltungsgericht an, er müsse die Wiederherstellung seiner Fahreignung durch eine gefestigte Änderung seines Trinkverhaltens nachweisen und das Landratsamt habe ihm mangels Nachweises die Fahrerlaubnis entziehen müssen. Eine Ungewissheit über ermächtigungsbegründende Tatsachen gehe grundsätzlich zu Lasten der Behörde, da sie im Bereich der Eingriffsverwaltung die materielle Beweislast trage, jedenfalls wenn der Betroffene seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen sei. Letzteres sei der Fall, weil der Antragsteller das von ihm geforderte Fahreignungsgutachten fristgerecht beigebracht und an dessen Erstellung auch ausreichend mitgewirkt habe. Es werde eine unzulässige Beweislastumkehr zu Lasten des Antragstellers vorgenommen, wenn aus der Nichtbeibringung etwaiger Abstinenzbelege auf einen etwaigen Alkoholmissbrauch und daraus auf eine Fahruntauglichkeit geschlossen werde. Das Gutachten sei gerade nicht zu diesem Ergebnis gelangt. Es könne keine Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigen und sei in den entscheidenden Punkten nicht hinreichend aussagekräftig. Insoweit werde auf die Antragsschrift vom 23. Februar 2024 Bezug genommen. Bezüglich des Hilfsantrags sei jedenfalls von einem Ermessensfehlgebrauch der Behörde auszugehen. Nach den Feststellungen des Gutachtens sei dem Antragsteller mindestens bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Führerscheinklasse L durch den Antragsgegner auszustellen. Dies gebiete nicht zuletzt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Es werde auf die Ausführungen zur Existenzgefährdung in der Klage- und Antragsbegründung jeweils vom 23. Februar 2024 Bezug genommen.
8
Mit Beschluss vom 11. Juli 2024 verwarf der Senat die Beschwerde wegen fehlender Beschwerdebegründung als unzulässig.
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Mit Schreiben vom 18. Juli 2024 beantragte der Antragsteller unter Hinweis auf seine am 27. Juni 2024 fristgerecht eingereichte Beschwerdebegründung die Aufhebung des Beschlusses vom 11. Juli 2024 und eine Entscheidung in der Sache, rein vorsorglich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
11
1. Die vom Antragsteller am 18. Juli 2024 – nach zweckdienlicher Auslegung gemäß § 88 VwGO (vgl. Riese in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Januar 2024 § 88 Rn. 2a ff.) – erhobene Anhörungsrüge gegen den Beschluss des Senats vom 11. Juli 2024 (11 CS 24.995) ist zulässig und begründet, so dass das Beschwerdeverfahren fortzuführen ist (§ 152a Abs. 5 Satz 1, 3 und 4 VwGO i.V.m. § 343 Satz 1 ZPO).
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Der Beschluss vom 11. Juli 2024 beruht auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil der Senat die Antragsbegründung des Antragstellers vom 27. Juni 2024 nicht zur Kenntnis genommen und deshalb die Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Beschluss in der Annahme als unzulässig verworfen hat, sie sei entgegen § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht rechtzeitig begründet worden. Die Gehörsverletzung hat der Antragsteller innerhalb von zwei Wochen nach Zugang des Beschlusses vom 11. Juli 2024 geltend gemacht (§ 152a Abs. 2 Satz 1 VwGO). Aufgrund des Prüfprotokolls und der Empfangsbestätigung ist nachgewiesen, dass die Beschwerdebegründung fristgerecht beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingegangen und die Beschwerde somit zulässig war.
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2. Sie ist jedoch unbegründet. Aus den vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage auch insoweit wiederherzustellen wäre, als das Verwaltungsgericht dies abgelehnt hat.
14
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. November 2023 (BGBl I Nr. 315), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 20. Juli 2023 (BGBl I Nr. 199), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann (Alkoholmissbrauch). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung begründen, so kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines Fahreignungsgutachtens anordnen (§ 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 i.V.m. §§ 11 bis 14 FeV). Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 = juris Rn. 19).
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Die Voraussetzungen für die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV lagen unstreitig vor, da der Antragsteller wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen hat. Bedenken gegen die auf dieser Grundlage erlassene Beibringungsanordnung sind weder geltend gemacht noch ersichtlich.
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Der Einwand, das Verwaltungsgericht habe seine Annahme eines Alkoholmissbrauchs allein auf das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV gestützt, trifft ungeachtet des zitierten Satzes aus den Entscheidungsgründen (S. 8) nicht zu. Wie sich bereits aus dem unmittelbar nachfolgenden Satz und dem Satz (S. 7 unten: „Das erstellte und vorgelegte Gutachten erbringt den erforderlichen Nachweis, dass der Antragsteller … nicht geeignet war“) ergibt, hat es diese Annahme dem für nachvollziehbar und schlüssig erachteten Gutachten entnommen.
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Der Senat teilt diese Einschätzung. Der psychologische Gutachter konnte bereits zentrale Feststellungen nicht treffen, weil er die Aussagen des Antragstellers für zum Teil widersprüchlich und nicht nachvollziehbar, d.h. letztlich für nicht glaubhaft hielt. Dies geht aus den Ausführungen auf Seite 19 ff. des Gutachtens deutlich hervor. Der Gutachter hatte „erhebliche Zweifel an seiner Offenheit, so dass aber ohnehin die Basis für eine positive Verhaltensprognose fehlt.“ Die gutachterliche Schlussfolgerung entspricht den Vorgaben der Beurteilungskriterien (Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie/Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin, 4. Aufl. 2022, S. 81 f.), wonach eine positive Verhaltensprognose auf verwertbaren Befunden beruhen muss. Bei der Erstellung einer wissenschaftlich begründeten Prognose kann aus sachlogischen Gründen – wenn sich derartige Befunde nicht erheben lassen – nicht etwa entsprechend dem Grundsatz „in dubio reo“ zu Gunsten des Betroffenen verfahren werden (vgl. dazu Stephan, DAR 1992, 1/6). Nach Hypothese 0 („Die zur Beantwortung der behördlichen Fragestellung erforderlichen Befunde können bei der Untersuchung erhoben werden und sind im Rahmen der Befunderhebung verwertbar.“) ist erforderlich, dass sich der Betreffende im Gespräch so weit offen zeigt, dass die für die Problem- und Verhaltensanalyse notwendigen Hintergrundinformationen zu erhalten sind (Kriterium 0.2 N) und seine Angaben in sich stimmig sind und nicht dem gesicherten Erfahrungswissen, den wissenschaftlichen Erkenntnissen und/oder der Aktenlage widersprechen (Kriterium 0.3 N). Dem steht u.a. entgegen, wenn die Angaben zu den Alkoholgewohnheiten mit dem Verhalten am Tag der Tatauffälligkeit nicht zu vereinbaren ist und die Widersprüchlichkeit auch nach Rückmeldung durch den Gutachter nicht erklärt werden kann (Beurteilungskriterien, a.a.O. S. 82), was der Gutachter hier mehrmals festgestellt hat (Gutachten, S. 20). Somit konnte das nicht aufklärbare Trinkverhalten des Antragstellers auch nicht klar den Hypothesen A2 (Alkoholmissbrauch mit der Notwendigkeit des Alkoholverzichts) oder A3 (Alkoholgefährdung) zugeordnet werden, für die jeweils andere Anforderungen bzw. Kriterien für die Annahme eines Trennungsvermögens gelten (vgl. auch Gutachten S. 23 f., wo der Gutachter die Möglichkeit eines kontrollierten Trinkens nicht ausschließt, sofern kein Alkoholverzicht erforderlich ist). Den Alkoholverzicht hat sich der Antragsteller von sich aus auferlegt und künftig zum Ziel gesetzt (vgl. Gutachten, S. 5 unten). Auch die medizinische Gutachterin hat seine Angaben zu früheren Trinkmengen nicht für glaubhaft erachtet, weil sie „die festgestellte Alkoholgewöhnung von bis zu 1,37 ‰ nicht ansatzweise erklären“ könnten, und eine Abstinenzpflicht nicht ausgeschlossen (vgl. Gutachten, S. 18).
18
Die darüber hinausgehenden gutachterlichen Ausführungen, dass eine positive Verhaltensprognose auch deshalb nicht gestellt werden könne, weil der Antragsteller keine Alkoholproblematik bei sich sehe und nicht nachvollziehbar erklären könne, weshalb er aus der ersten Alkoholauffälligkeit im Straßenverkehr nichts gelernt habe, aus welcher Motivlage heraus er wiederholt höhere Mengen Alkohol getrunken habe und der Alkoholverzicht nur behauptet, aber nicht nachgewiesen ist, sind für sich gesehen schlüssig und nicht zu beanstanden, aber wegen Fehlens der grundlegenden Feststellungen nur als ergänzend und nicht tragend zu werten. Nach den Beurteilungskriterien ist eine Alkoholverzichtsangabe erst dann als tragfähige und tiefgreifende Alkoholkarenz zu werten, wenn zu dem „lege artis“ belegten Alkoholverzicht über einen ausreichenden Zeitraum auch eine Einstellungsänderung bezüglich des Alkoholkonsums, eine Missbrauchseinsicht, stabilisierende Lernschritte sowie günstige Umfeldbedingungen hinzugetreten sind (Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, S. 108; vgl. auch S. 111 f. Kriterium A 2.5 K).
19
Vor diesem Hintergrund gehen die Rügen des Antragstellers, wonach das Verwaltungsgericht die materielle Beweislast missachtet und eine unzulässige Beweislastumkehr vorgenommen und zu Unrecht den Nachweis einer Alkoholabstinenz verlangt habe, ins Leere. Nicht überzeugende Angaben und pauschale Behauptungen im Rahmen der medizinisch-psychologischen Begutachtung, welche die durch das vorangegangene Verhalten des Fahrerlaubnisinhabers begründeten erheblichen Zweifel an seiner Fahreignung nicht auszuräumen vermögen, gehen daher nicht zu Lasten der Verkehrssicherheit bzw. der Allgemeinheit.
20
Das Gutachten oder dessen gerichtliche Würdigung widerspricht auch nicht der Forderung des Antragstellers, dass die medizinischen Untersuchungsergebnisse und verkehrsbedeutsamen Leistungsfunktionen in eine Gesamtwürdigung des Sachverhalts einfließen müssten. Letzteres ist den ärztlichen Ausführungen auf Seite 18 f. des Gutachtens zu entnehmen. Jedoch kann ein unauffälliger medizinischer Befund, anders als der Antragsteller offenbar meint, nicht als negatives Indiz gegen die Annahme ins Feld geführt werden, eine Alkoholproblematik sei nicht angemessen aufgearbeitet oder habe noch nicht stattgefunden, oder umgekehrt als positives Indiz für die Aufarbeitung einer Alkoholproblematik gewertet werden. Denn hierunter wird die Klärung der Frage verstanden, welche Bedingungen dazu geführt haben, dass gerade der Betreffende eine entsprechend hohe Alkoholverträglichkeit entwickelt hat (vgl. Stephan/ Brenner-Hartmann in Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien, 3. Aufl. 2018, S. 268 ff., 270), was nicht davon abhängt, ob bereits alkoholbedingte gesundheitliche Schädigungen eingetreten sind oder sich diese ggf. unter Alkoholverzicht wieder zurückgebildet haben. Entsprechend wird nach Nr. 3.13.1 Begutachtungsleitlinien in Alkoholmissbrauchsfällen für die Wiederherstellung der Fahreignung vorausgesetzt, dass sich keine körperlichen Befunde erheben lassen, die auf einen missbräuchlichen Alkoholkonsum hindeuten (Buchst. c), wobei es sich um eine von mehreren Voraussetzungen handelt (vgl. Buchst. a bis f). Umgekehrt aber lässt das Fehlen körperlicher Befunde noch keine Schlussfolgerung hinsichtlich einer stabilen und motivational gefestigten Änderung des Umgangs mit Alkohol zu.
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Auch der Hilfsantrag war abzulehnen. Wie das Landratsamt zutreffend ausgeführt hat, kann dem Antragsteller im Hinblick auf die alle Fahrzeugklassen gleichermaßen betreffende Alkoholproblematik auch nicht die Fahrerlaubnis der Klasse L belassen werden (vgl. BayVGH, B.v. 27.9.2013 – 11 CS 13.1399 – juris Rn. 17), zumal derartige Fahrzeuge aufgrund ihrer Bauart und Masse ein nicht unerhebliches Gefahrenpotential im öffentlichen Straßenverkehr bergen.
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3. Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).