Titel:
Keine Löschung polizeilicher Daten bei bestehendem Restverdacht
Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
PAG Art. 54 Abs. 2 S. 2
StPO § 153, § 203
StGB § 176, § 184h Nr. 1, § 187
Leitsatz:
Nach Art. 54 Abs. 2 Satz 2 PAG sind personenbezogene Daten, die im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren gewonnen wurden, unverzüglich zu löschen, wenn der der Speicherung zugrundeliegende Verdacht entfallen ist. Der Tatverdacht ist entfallen, wenn kein Straftatbestand erfüllt ist, der Betroffene nicht als Täter in Betracht kommt oder ihm ein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht. Dagegen reicht zur weiteren Speicherung ein weiterhin bestehender Anfangsverdacht im strafprozessualen Sinne aus, es muss sich nicht um einen hinreichenden Tatverdacht iSd § 203 StPO handeln. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Löschung polizeilicher Daten (KAN und IGVP), Restverdacht, Löschung, polizeilicher Daten, KAN, IGVP, ernstliche Zweifel, Richtigkeit, Urteil, Tatverdacht, entfallen, Verdachtsmomente, fortbestehend, Anhaltspunkte, Kriminalaktennachweis, Erheblichkeitsschwelle, Verhältnismäßigkeit, Bekämpfung, Straftaten
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Urteil vom 14.11.2023 – B 1 K 22.192
Fundstelle:
BeckRS 2024, 20320
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage, mit der er die Verpflichtung des Beklagten erstrebt, die Einträge „Sexueller Missbrauch von Kindern § 176 StGB“ im Bayerischen Kriminalaktennachweis (KAN) und im Integrationsverfahren Polizei (IGVP Vorgangsbearbeitung) zu löschen, weiter.
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Der zulässige Antrag ist unbegründet, weil sich aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht ergeben.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33).
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Gemessen daran werden mit dem Zulassungsantrag, mit dem vor allem geltend gemacht wird, dass der Tatverdacht (restlos) entfallen sei, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht aufgezeigt.
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Nach Art. 54 Abs. 2 Satz 2 PAG sind personenbezogene Daten, die im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren gewonnen wurden, unverzüglich zu löschen, wenn der der Speicherung zugrundeliegende Verdacht entfallen ist. Der Tatverdacht ist entfallen, wenn kein Straftatbestand erfüllt ist, der Betroffene nicht als Täter in Betracht kommt oder ihm ein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht. Dagegen reicht zur weiteren Speicherung ein weiterhin bestehender Anfangsverdacht im strafprozessualen Sinne aus, es muss sich nicht um einen hinreichenden Tatverdacht i.S.d. § 203 StPO handeln (Berner/Köhler/Käß, PAG, 20. Aufl. 2010, Rn. 10 zu Art. 38; BayVGH, B.v. 1.8.2012 – 10 ZB 11.2438 – juris Rn. 4; B.v. 20.2.2013 – 10 ZB 12.2455 – juris Rn. 5). Eine Einstellung nach §§ 153 ff. StPO lässt den Tatverdacht nicht entfallen. Bei Einstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO ist jeweils zu prüfen, ob die Einstellung wegen erwiesener Unschuld erfolgt ist, oder ob ein „Restverdacht“ fortbesteht, wenn etwa ein Tatnachweis vor Gericht nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geführt werden kann (stRspr des Senats, vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 30.1.2020 – 10 C 20.10 – juris Rn. 8 m.w.N.). Von einem fortbestehenden (Rest-)Tatverdacht kann insbesondere dann nicht mehr ausgegangen werden, wenn von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht festgestellt wurde, dass der Tatverdacht (im Sinne eines Anfangsverdachts) gänzlich ausgeräumt ist (BayVGH, B.v. 20.2.2013 – 10 ZB 12.2455 – juris Rn. 5 m.w.N.). Insbesondere steht der weiteren Speicherung und Verwendung der im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gewonnenen Daten zur Verhütung künftiger Straftaten die Unschuldsvermutung nicht entgegen, denn auch bei einer Einstellung des Ermittlungsverfahrens, die ausweislich der Gründe aus Mangel an Beweisen erfolgt ist oder mangels öffentlichen Interesses, ist der Straftatverdacht nicht notwendig ausgeräumt (BVerfG, B.v. 16.5.2002 – 1 BvR 2257/01 – juris Rn. 11). Im Falle einer Verfahrenseinstellung bedarf es vielmehr der Überprüfung, ob noch Verdachtsmomente gegen den Betroffenen bestehen, die eine Fortdauer der Speicherung der im Verfahren gewonnenen Daten zur präventiv-polizeilichen Verbrechensbekämpfung rechtfertigen. Für die Annahme eines fortbestehenden Tatverdachts müssen besondere, von der speichernden Polizeibehörde darzulegende Anhaltspunkte sprechen (BVerfG a.a.O. Rn. 15 und 18; BayVGH, B.v. 19.1.2015 – 10 CE 14.1798 – juris Rn. 21).
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In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze hat das Verwaltungsgericht in Bezug auf die Eintragung im Kriminalaktennachweis (KAN) zutreffend festgestellt, dass die Behörde im Hinblick auf die Eintragung zu Recht davon ausgegangen ist, dass ein Restverdacht bestehe. Es hat in Übereinstimmung mit der Behörde festgestellt, dass die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren am 11. Oktober 2021 gemäß § 170 Abs. 2 StPO nicht wegen erwiesener Unschuld eingestellt hat. Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft hätte ein Tatnachweis mit dem Ziel der strafrechtlichen Sanktion des Klägers nicht mit der zur Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit geführt werden können. Die Staatsanwaltschaft sei davon ausgegangen, dass die von der Zeugin geschilderten Handlungen so stattgefunden hätten, sie aber Zweifel dahingehend habe, ob die Erheblichkeitsschwelle im Sinne von § 184h Nr. 1 StGB in einem nachfolgenden Strafverfahren nachgewiesen werden könne. Insoweit ging das Verwaltungsgericht zu Recht davon aus, dass die Einstellung aufgrund prozessualer Risiken und Unwägbarkeiten hinsichtlich der Nachweisbarkeit aller Tatbestandsvoraussetzungen bzw. bei Annahmen des Tatbestands des § 187i StGB wegen der fehlenden Verfolgungsvoraussetzung eines Strafantrags erfolgt sei. Dass die Einstellung wegen erwiesener Unschuld erfolgte, wird auch vom Kläger selbst nicht substantiiert dargelegt. Das Verwaltungsgericht hat des Weiteren die (eigenen) Feststellungen der Polizei, die zur Annahme eines fortbestehenden Tatverdachts herangezogen wurden, mit eingehender Begründung nachvollzogen. Danach sei die zuständige Beamtin mit Verfügung vom 25. Oktober 2021 vor dem Hintergrund der gleichgebliebenen Beweislage und ausgehend von den Gründen der Einstellungsverfügung der Staatanwaltschaft vom Vorliegen eines polizeilichen Restverdachts und von der weiteren Notwendigkeit der Aufbewahrung/Speicherung ausgegangen. Das Gericht hat dabei berücksichtigt, dass die zuständige Beamtin selbst die Zeugeneinvernahme durchgeführt hat, d.h. sie hat sowohl das Kind als auch die weiteren Zeugen einvernommen, und in ihrem „Eindrucksvermerk zur Anhörung eines minderjährigen oder betreuten Zeugen gemäß § 52 Abs. 2 StPO“ ausführlich zur Glaubwürdigkeit der Zeugin und weiterer Zeugen Stellung genommen. Dazu verhält sich das Zulassungsvorbringen nicht.
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Soweit das Zulassungsvorbringen umfänglich unter Aufzählung verschiedener Beispiele zur strafrechtlichen Bewertung der tatbestandlich vorausgesetzten Erheblichkeitsschwelle unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausführt, dass es bei der strafrechtlichen Bewertung unter anderem auf die Art, Intensität und Dauer, die Motivation und sexuelle Intention sowie die Umstände, unter denen die maßgeblichen Handlungen vorgenommen worden seien, ankomme, verkennt es, dass die Staatsanwaltschaft Bayreuth das Verfahren gerade nicht deshalb eingestellt hat, weil sie davon ausgegangen ist, die Erheblichkeitsschwelle sei erwiesenermaßen nicht überschritten worden. Die Staatsanwaltschaft hat die Einstellung vielmehr damit begründet, dass nicht mit der zur Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit festgestellt werden könne, dass die Umarmung und der Kuss auf Wange und Mund seitens des Beschuldigten nach den konkreten Umständen die von § 184h Nr. 1 StGB vorausgesetzte Erheblichkeit aufgewiesen hätten. Auch die Klägerseite selbst führt insoweit aus, dass der Begriff „beim Duschen beobachtet“ ganz erheblich auslegungsfähig und interpretierbar und auch der Kuss auf den Mund unter gewissen Umständen völlig belanglos sei, aber auch eine deutliche Grenzüberschreitung in sexueller Hinsicht bedeuten könne. Entgegen den Ausführungen des Klägers hat die Staatsanwaltschaft gerade nicht festgestellt, dass die Erheblichkeit einer sexuellen Handlung überhaupt nicht überschritten gewesen und der Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern nicht gegeben sei.
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In rechtlich nicht zu beanstandender Weise hat das Verwaltungsgericht schließlich festgestellt, dass dem vorbeugenden Schutz der Bürger vor Straftaten im vorliegenden Fall ein solches Gewicht zukommt, dass die weitere Speicherung der von dem Kläger beanstandeten Daten bis zum Ablauf der gesetzlich bestimmten Regelfristen zumutbar und daher verhältnismäßig ist. Nach der in diesen Bestimmungen zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers besteht vor Ablauf dieser Frist ein Anspruch auf Löschung grundsätzlich nicht (BayVGH, B.v. 3.4.2013 – 10 C 11.1967 – juris Rn. 16 m.w.N.; B.v. 10.6.2013 – 10 C 13.62 – juris Rn. 8). Anhaltspunkte für eine ausnahmsweise frühere Löschung hat das Verwaltungsgericht verneint, ohne dass der Kläger dem substantiiert entgegengetreten wäre. Allein die Behauptung, dass der Partner des Klägers keinerlei Umgang mit seiner Tochter mehr habe, zeigt nicht auf, dass die Speicherung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten nicht mehr erforderlich ist.
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Ein Löschungsanspruch besteht auch nicht hinsichtlich der Eintragung in der polizeilichen Vorgangsverwaltung IGVP. Dazu wurde im Zulassungsverfahren nichts Zusätzliches vorgetragen.
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Die Kostenentscheidung folgt nach alledem aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).