Inhalt

VGH München, Beschluss v. 01.08.2024 – 10 CE 24.1299
Titel:

Abschiebungsschutz, Statthaftigkeit der Beschwerde, tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung, Reisunfähigkeit, Suizidgefahr, Schutz von Ehe und Familie, ungeborenes Kind und Risikoschwangerschaft, Verfahrensduldung, maßgeblicher Zeitpunkt für Erteilungsvoraussetzungen nach § 25b und § 104c AufenthG („geduldeter Ausländer“)

Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1, § 146
AsylG § 80 i.d.F. des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) vom 21. Februar 2024 (BGBl. I 2024 Nr. 54)
AufenthG § 25b Abs. 1, § 104c; § 60a Abs. 2, Abs. 2c, Abs. 2d
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4
Schlagworte:
Abschiebungsschutz, Statthaftigkeit der Beschwerde, tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung, Reisunfähigkeit, Suizidgefahr, Schutz von Ehe und Familie, ungeborenes Kind und Risikoschwangerschaft, Verfahrensduldung, maßgeblicher Zeitpunkt für Erteilungsvoraussetzungen nach § 25b und § 104c AufenthG („geduldeter Ausländer“)
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 19.07.2024 – M 12 E 24.3025
Fundstelle:
BeckRS 2024, 20314

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller, ein sierra-leonischer Staatsangehöriger, seinen vor dem Verwaltungsgericht erfolglosen Eilantrag nach § 123 Abs. 1 VwGO, den Antragsgegner zu verpflichten, seine Abschiebung auszusetzen und ihm eine Duldung zu erteilen, weiter.
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Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag durch Beschluss vom 19. Juli 2024 abgelehnt. Es hat dies im Wesentlichen damit begründet, der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Tatsächliche oder rechtliche Abschiebungshindernisse, die den Antragsgegner verpflichten würden, von seiner Abschiebung wenigstens vorübergehend abzusehen, lägen nicht vor. Dass der Antragsteller aufgrund einer Suizidgefahr reiseunfähig sei, ergebe sich nicht aus dem Attest der k... L2. M. Klinik vom 13. März 2024. Dem möglicherweise verbleibenden Risiko eines Suizidversuches habe der Antragsgegner durch die Zusage einer Sicherheitsbegleitung, einer ärztlichen Begleitung, die Übergabe des Antragstellers an ein psychiatrisches Krankenhaus in Freetown und die Zurverfügungstellung eines Medikamentenvorrats für die Zeit nach der Abschiebung Rechnung getragen. Ein Abschiebungshindernis bestehe auch nicht aus familiären Gründen. Der Antragsteller habe zwar die Vaterschaft für das noch ungeborene Kind seiner sierra-leonischen Lebensgefährtin anerkannt. Diese sei allerdings Asylbewerberin und halte sich demnach lediglich gestattet, aber nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Bislang habe auch eine familiäre Lebensgemeinschaft nicht bestanden, ein Antrag auf die Gestattung einer gemeinsamen Wohnsitznahme sei trotz der schon länger bestehenden Schwangerschaft erst im Juni 2024 gestellt worden. Zudem befinde sich der Antragsteller seit ca. fünf Monaten in stationärer psychiatrischer Behandlung, so dass eine Übernahme der elterlichen Verantwortung derzeit nicht sicher prognostizierbar sei. Ein Anspruch auf eine Verfahrensduldung bestehe nicht. Hinsichtlich eines Anspruchs auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG fehle es an einer Duldung des Antragstellers im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts. Dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Antragstellung im Besitz einer Duldung gewesen sei, reiche nicht aus. Auch sei es von der Ausländerbehörde nicht treuwidrig gewesen, den Antragsteller wegen des Verdachtes des Aufenthalts ohne Pass anzuzeigen und die Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis für die Dauer des strafrechtlichen Verfahrens auszusetzen. Im Übrigen hätten bis zum Wegfall des Duldungsstatus nicht alle tatbestandlichen Erteilungsvoraussetzungen vorgelegen (wird ausgeführt). Auch ein Anspruch nach § 104c AufenthG bestehe nicht, weil auch hier die erforderliche Duldung im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts nicht vorliege.
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Die Beschwerdebegründung hält dem entgegen, aus dem Attest der k... L2. M. Klinik vom 13. März 2024 ergebe sich eine Suizidgefahr im Falle einer Abschiebung. Die vom Antragsgegner getroffenen Maßnahmen gegen einen Suizid seien nicht ausreichend. Insbesondere sei nicht erkennbar, dass eine Anschlussbehandlung in Freetown den erforderlichen Maßstäben entsprechen würde. Nach Berichten seien in dem Krankenhaus bis 2018 Patienten noch angekettet worden. Auch sei nicht dargelegt, dass das Krankenhaus über die erforderlichen Medikamente verfüge. Der Antragsteller beabsichtige, nach der Entlassung aus dem Krankenhaus am 19. Juli 2024 mit seiner Lebensgefährtin zusammenzuziehen. Die Regierung von Oberbayern habe in einer E-Mail vom 23. Juli 2024 mitgeteilt, dass eine Familienzusammenführung in einer Gemeinschaftsunterkunft möglich sei. Die Lebensgefährtin des Antragstellers habe am 30. Juli 2024 einen Selbstmordversuch unternommen und befinde sich in stationärer Behandlung. Es sei davon auszugehen, dass nunmehr eine Risikoschwangerschaft bestehe. Der Antragsteller sorge seit seiner Krankenhausentlassung für seine Lebensgefährtin und werde dies auch weiter tun. Der Antragsteller habe einen sicherbaren Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Es möge sein, dass maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b oder § 104c AufenthG der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sei. Die Ausländerbehörde habe aber treuwidrig gehandelt, indem sie den Antragsteller angezeigt habe. Im Übrigen bestehe auch im jetzigen Zeitpunkt ein Duldungsanspruch. Die weiteren Erteilungsvoraussetzungen seien jeweils erfüllt.
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Der Antragsteller beantragt sinngemäß:
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Unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 19. Juli 2024 wird der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung des Antragstellers bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auszusetzen und dem Antragsteller eine Duldung zu erteilen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde zu verwerfen bzw. zurückzuweisen.
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Die Beschwerde sei aufgrund des Beschwerdeausschlusses in § 80 AsylG n.F. unstatthaft, wegen des Untertauchens des Antragstellers unzulässig und im Übrigen unbegründet. Insbesondere habe das Verwaltungsgericht zu Recht das Vorliegen von Abschiebungshindernissen aus gesundheitlichen und familiären Gründen verneint.
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Der Antragsteller hat hierauf mit Schriftsatz vom 1. August 2024, 16:00 Uhr noch einmal repliziert und mit weiterem Schriftsatz von ca. 16:15 Uhr eine handgeschriebene, in englischer Sprache verfasste Erklärung des Antragstellers vorgelegt. Um ca. 17:30 Uhr ging eine weitere Erklärung des Antragstellers bei Gericht ein.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie auf die Behörden- und Gerichtsakten beider Instanzen.
II.
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Die Beschwerde ist unzulässig und unbegründet.
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1. Die Beschwerde ist bereits unzulässig.
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a) Allerdings hält der Senat an seiner Rechtsprechung fest, dass der Beschwerdeausschluss des § 80 AsylG n.F. in der vorliegenden Konstellation nicht greift (BayVGH, B.v. 19.3.2024 – 10 CE 24.374 – NVwZ 2024, S. 1102 – Leitsatz und Rn. 2 ff.). Im Übrigen hat nunmehr auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Einschränkung seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass der Beschwerdeausschluss jedenfalls dann nicht greift, wenn Streitgegenstand eine Verfahrensduldung zur Sicherung eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist, weil es sich dabei nicht – wie von § 80 AsylG verlangt – um einen asylrechtlichen Streitgegenstand handelt (VGH BW, B.v. 5.7.2024 – 12 S 821/24 – juris Rn. 16). Dies ist hier jedenfalls auch der Fall. Im Übrigen nährt diese Entscheidung die Zweifel des Senats, ob die Unterscheidung zwischen einem (rein) aufenthaltsrechtlichen und einem (rein) asylrechtlichen Streitgegenstand, überhaupt sinnvoll und – zumal im Eilverfahren – mit hinreichender Eindeutigkeit möglich ist, ist das Vorliegen materieller Duldungsgründe doch regelmäßig – wie auch hier – eine entscheidungserhebliche Vorfrage für verschiedene aufenthaltsrechtliche Anspruchsgrundlagen (z.B. § 25b Abs. 1, § 25 Abs. 5, § 104c AufenthG).
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b) Die Beschwerde ist allerdings unzulässig, weil für den Antragsteller keine ladungsfähige Anschrift vorliegt und ihr aufgrund des „Untertauchens“ des Antragstellers auch das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
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aa) Gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO muss die Klage den Kläger bezeichnen. Diese Vorschrift ist in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in Bezug auf den Antragsteller entsprechend anzuwenden (BayVGH, B.v. 4.8.2021 – 10 CE 21.1469 – juris Rn. 5; B.v. 7.12.2017 – 10 CE 17.2321 – juris Rn. 6; B.v. 11.9.2012 – 7 CS 12.1423 – juris Rn. 19; VGH BW, B.v. 25.10.2004 – 11 S 1992/04 – juris Rn. 4; HessVGH, B.v. 21.12.1988 – 4 TG 2070/88 – juris Rn. 27).
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Zur Bezeichnung eines Klägers bzw. Antragstellers im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO gehört nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 130 Nr. 1 ZPO auch die Angabe seines Wohnortes. Die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift, unter der der Kläger bzw. Antragsteller tatsächlich zu erreichen ist, ist erforderlich, um ihn zu individualisieren und seine Erreichbarkeit für das Gericht sicherzustellen. Es soll darüber hinaus dadurch auch gewährleistet werden, dass er nach entscheidungserheblichen Tatsachen befragt werden und sich im Falle seines Unterliegens seiner Kostentragungspflicht nicht entziehen kann. Das gilt auch für ein verwaltungsgerichtliches Verfahren unter Mitwirkung eines Prozessbevollmächtigten oder wenn sich während des Verfahrens die ladungsfähige Anschrift ändert. Die Pflicht zur Angabe der Anschrift entfällt nur, wenn deren Erfüllung ausnahmsweise unmöglich oder unzumutbar ist. Solches wird nur dann angenommen, wenn der Angabe der Anschrift unüberwindliche oder nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten oder ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse entgegenstehen (BayVGH, B.v. 4.8.2021 – 10 CE 21.1469 – juris Rn. 6; B.v. 7.12.2017 – 10 CE 17.2321 – juris Rn. 7; B.v. 9.8.2016 – 10 CE 16.1145, 10 C 16.1146 – juris Rn. 15; B. v. 9.5.2016 – 10 ZB 15.677 – juris Rn. 4; B.v. 3.2.2016 – 10 ZB 15.1413 – juris Rn. 4).
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Der Antragsteller hat als Wohnanschrift die ihm zugewiesene Gemeinschaftsunterkunft angeben. Dort hält er sich nach den substantiierten und glaubhaften Angaben des Antragsgegners vom heutigen Tage allerdings schon länger nicht mehr auf. Seit seiner Entlassung aus der Klinik am 19. Juli 2024 ist der Antragsteller dort nur einmal gewesen, um seine Post abzuholen. Einen passenden Schlüssel für die Unterkunft hat er unstreitig nicht mehr. Auch einen Termin bei der Ausländerbehörde am 1. August 2024 hat er nicht wahrgenommen. Die Lebensgefährtin des Antragstellers berichtete nach einem Selbstmordversuch bei ihrer Aufnahme ins Krankenhaus am 30. Juli 2024, sie könne den Antragsteller seit mehreren Tagen nicht mehr erreichen und fürchte, dass er sich nicht mehr in Deutschland aufhalte. All dies deutet darauf hin, dass der Antragsteller seit rund zwei Wochen nicht mehr unter der von ihm angegeben Adresse tatsächlich wohnhaft ist.
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Entspricht die Klage bzw. der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nicht den Anforderungen des § 82 Abs. 1 VwGO, hat das Gericht den Kläger bzw. Antragsteller zu der erforderlichen Ergänzung aufzufordern. Auf die Aufforderung des Senats hat die Bevollmächtigte lediglich mitgeteilt, der Antragsteller sei nicht untergetaucht. Er befinde sich in einer psychischen Ausnahmesituation und beabsichtige zum 2. August 2024 wieder in seine Unterkunft zurückzukehren. Damit ist eine aktuelle ladungsfähige Anschrift indes nicht mitgeteilt. Die Angabe einer Adresse, an der sich der Antragsteller in Wahrheit gar nicht aufhält (Deckadresse), entspricht nicht den oben aufgeführten Anforderungen an eine ladungsfähige Anschrift (BayVGH, B.v. 7.12.2017 – 10 CE 17.2321 – juris Rn. 9). Damit ist die gebotene Vervollständigung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz unterblieben, der Antrag bzw. die Beschwerde ist damit bereits aus diesem Grund unzulässig.
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b) Weiter ist durch das Untertauchen des Antragstellers auch sein Rechtsschutzinteresse entfallen. Seine Abschiebung ist deswegen gegenwärtig unmöglich; in dieser Situation, in der ihm die Abschiebung nicht unmittelbar droht, kann er auch kein Rechtsschutzbedürfnis für seinen Antrag geltend machen. Es ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass einem untergetauchten Beschwerdeführer die begehrte einstweilige Anordnung mit der Begründung versagt wird, Eilrechtsschutz könne auch nach Bekanntwerden seines Aufenthaltsortes noch rechtzeitig gewährt werden (BVerfG, B.v. 25.7.2001 – 2 BvR 1043/01 – juris Rn. 2; B.v. 31.8.1999 – 2 BvR 1523/99 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 22.1.2016 – 10 CE 15.2799 – Rn. 7; B.v. 2.3.2010 – 10 CE 10.462 – juris Rn. 8).
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2. Die Beschwerde ist darüber hinaus auch unbegründet.
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Das Vorbringen im Beschwerdeverfahren, auf dessen Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt keine Abänderung des angegriffenen Beschlusses. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch, der den Antragsgegner verpflichten würde, die Abschiebung vorübergehend zu unterlassen, nach wie vor nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Das Bestehen eines einen Anordnungsanspruch begründenden tatsächlichen oder rechtlichen Abschiebungshindernisses ist vom Antragsteller nicht dargelegt. Die gilt sowohl im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand (a)), als auch im Hinblick auf seine familiären Bindungen im Bundesgebiet (b)) und seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG bzw. § 104c AufenthG (c)).
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a) Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, das vom Antragsteller vorgelegte fachärztliche Attest vom 13. März 2024 genüge nicht den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG und stelle zudem ausdrücklich fest, dass Aussagen über eine Reiseunfähigkeit nicht getroffen werden könnten. Hinsichtlich der diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung habe bereits das Verwaltungsgericht München im Urteil vom 31. Mai 2021 (M 30 K 17.49924) festgestellt, dass den ärztlichen Feststellungen wegen des widersprüchlichen Vortrags des Antragstellers die Tatsachengrundlage entzogen sei. Hinsichtlich der geltend gemachten Suizidgefahr habe das Attest vom 13. März 2024 festgestellt, dass sich der Antragsteller davon klar und glaubhaft distanziert habe und keine Selbstverletzungstendenzen aufweise. Woraus sich vor dem Hintergrund der traumaauslösenden Ereignisse auf der Flucht über Libyen ärztlicherseits das hohe Risiko eines Suizids, den der Antragsteller mit hohe Wahrscheinlichkeit in Deutschland verüben werde, um seiner Abschiebung nach Sierra Leone zuvorzukommen, abgeleitet werde, ergebe sich aus dem Attest nicht. Somit habe die gesetzliche Vermutung des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG nicht widerlegt werden können. Diese Auffassung teilt der Senat auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens.
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Soweit der Antragsteller auf die nach den Ausführungen im ärztlichen Attest vom 13. März 2024 bestehende Suizidgefahr verweist, ist zudem darauf hinzuweisen, dass das Attest infolge des Zeitablaufs und der zwischenzeitlichen Behandlung in der k... L2. M. Klinik A... vom 5. Februar 2024 bis zur Entlassung am 19. Juli 2024 nicht mehr aktuell sein dürfte. Auch wird in dem Attest festgestellt, dass der Antragsteller sich von Suizidgedanken distanziert habe und die Besserung seines Zustands der medikamentösen Therapie zuschreibe. Wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, erfolgt die Abschiebung in Begleitung eines Arztes, der in der Lage sei, die Einnahme der verordneten Medikation zu überwachen. Des Weiteren seien die verordneten Medikamente Mirtazepin und Quetiapin nach den Auskünften des Auswärtigen Amtes in Sierra Leone verfügbar. Dazu verhält sich das Beschwerdevorbringen nicht.
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Soweit das Beschwerdevorbringen vorträgt, dass sich der Gesundheitszustand unmittelbar durch die Abschiebung als solche wesentlich oder gar lebensbedrohend verschlechtere, wird dies nicht näher ausgeführt. Dem Attest lässt sich dazu nur entnehmen, dass davon auszugehen sei, dass sich der Gesundheitszustand des Antragstellers im Heimatland verschlechtern werde – ohne dies näher zu begründen – und dass das hohe Risiko eines Suizids bestehe, den der Antragsteller in Deutschland verüben werde, um einer Abschiebung nach Sierra Leone zuvorzukommen. Daraus ergibt sich aber keine Gesundheitsverschlechterung bzw. eine Suizidgefahr unmittelbar im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung, die die gesetzliche Vermutung des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG erschüttern könnte. Im Übrigen ist die in Deutschland verordnete Medikation auch in Sierra Leone verfügbar (vgl. oben).
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Anhaltspunkte dafür, dass die Abschiebung nicht so gestaltet wird, dass einer Suizidgefahr wirksam begegnet wird, liegen entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht vor. Wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, erfolgt eine polizeiliche Sicherheitsbegleitung zum Flughafen und während des Flugs, eine ärztliche Begleitung durch einen Allgemeinmediziner, der auch durch die Gabe entsprechender Medikamente oder ärztlicher Maßnahmen reagieren könne, und der Organisation einer angemessenen Inempfangnahme durch einen Arzt des Kissy Psychiatric Teaching Hospitals Freetown. Dem trat das Beschwerdevorbringen nicht substantiiert entgegen. Ein wikipediaEintrag, nach dem Patienten bis 2018 in Ketten gelegt worden seien, sagt nichts über die aktuelle Situation im Jahr 2024 aus. Dass die Ärzte dort fachlich nicht geeignet wären, wird mit der Beschwerde zwar behauptet, aber nicht substantiiert dargelegt. Im Übrigen wurde auch nicht dargelegt, welche ärztliche Behandlung der Antragsteller derzeit erhält bzw. benötigt. Die in Deutschland verordneten Medikamente sind auch in Sierra Leone erhältlich (vgl. oben).
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b) Der Antragsteller hat auch nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass er einen Duldungsanspruch hätte, weil seine Abschiebung aus familiären Gründen im Hinblick auf die Schwangerschaft seiner Lebensgefährtin rechtlich unmöglich wäre.
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Weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK gewähren einen unmittelbaren Anspruch auf einen Aufenthalt im Bundesgebiet. Die in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach der der Staat Ehe und Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet allerdings die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthalts-beendende Maßnahmen die familiäre Bindung des den Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, bei ihrer Ermessensausübung pflichtgemäß, d.h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (BVerfG, B.v. 31.8.1999 – 2 BvR 1523/99 – juris Rn. 7 m.w.N.; stRspr des Senats, vgl. zuletzt BayGH, B.v. 17.10.2023 – 19 CE 23.1578 – juris Rn. 11). Art. 6 GG entfaltet jedoch ausländerrechtliche Schutzwirkungen nicht schon allein aufgrund formal-rechtlicher familiärer Bindungen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (BVerfG, B.v. 10.5.2007 – 2 BvR 304/07 – juris Rn. 31). Es ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalls geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (BVerfG, B.v. 31.8.1999 – 2 BvR 1523/99 – juris Rn. 7 m.w.N.). Bei der Bewertung der familiären Beziehungen verbietet sich eine schematische Einordnung als entweder aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder Beistandsgemeinschaft oder aber bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen, die durch wiederholte Besuche, durch Brief- und Telefonkontakte sowie durch Zuwendungen aufrechterhalten werden kann (BVerfG, B.v. 8.12.2005 – 2 BvR 1001/04 – juris Rn. 20; BVerfG, B.v. 14.12.1989 – 2 BvR 377/88 – juris). Voraussetzung für die Zuerkennung eines Abschiebungshindernisses wegen bestehender Beistandsgemeinschaft ist, dass ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist, und dieser Beistand nur in Deutschland erbracht werden kann, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen Deutschlands nicht zumutbar ist (BVerfG, B.v. 25.10.1995 – 2 BvR 901/95 – juris Rn. 10 m.w.N.). Für das Recht auf Achtung des Familienlebens aus Art. 8 EMRK gilt insoweit nichts Anderes, da auch dort ein tatsächlich gelebtes Näheverhältnis zwischen den Familienmitgliedern vorausgesetzt wird (EGMR, U.v. 13.6.1979 – Marckx/Belgien, Nr. 6833/74 – EuGRZ 1979, 454 Rn. 31). Die Rechtspositionen des Kindes und seiner Eltern sind im Einzelfall umfassend zu berücksichtigen, insbesondere ist deshalb maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist (BVerfG, B.v. 8.12.2005, a.a.O.).
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Diese Grundsätze, die den verfassungsrechtlichen Rahmen für die Zuerkennung von Abschiebungsschutz für einen ausländischen Elternteil eines Kindes bilden, können bereits vor der Geburt des Kindes aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen entfalten. Sie bedürfen jedoch – da die familiäre Lebensgemeinschaft zwischen den Eltern und dem Kind erst bevorsteht – einer den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden modifizierten Anwendung. Insoweit ist in der Rechtsprechung hinsichtlich der Vaterschaft eines ungeborenen Kindes und dessen aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen entschieden, dass – anstelle des Bestehens einer bereits gelebten familiären Gemeinschaft – regelmäßig zu fordern ist, dass der ausländische Vater gegenüber den zuständigen Behörden seine Vaterschaft gemäß §§ 1592 Nr. 2, 1594 Abs. 4 BGB (mit Zustimmung der Mutter) anerkannt hat und beide bereits in Verhältnissen leben, welche die gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung und eine gemeinsame Erziehung und Betreuung des Kindes sicher erwarten lassen (hierzu und zum Folgenden BayVGH, B.v. 17.10.2023 – 19 CE 23.1578 – juris Rn. 12; B.v. 11.10.2017 – 19 CE 17.2007 – juris Rn. 13 m.w.N.). Der Schutz des Art. 6 Abs. 4 GG erfasst Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit. Neben dem verbindlichen Verfassungsauftrag an den Gesetzgeber, der vor allem die Gewährung einer „Schonzeit“ vor und nach der Geburt fordert, ist die Verfassungsnorm Ausdruck einer verfassungsrechtlichen Wertentscheidung, die für den gesamten Bereich des öffentlichen und privaten Rechts verbindlich ist. Die Zuerkennung von Abschiebungsschutz gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG für den ausländischen Vater eines noch nicht geborenen Kindes kommt daher auch dann in Betracht, wenn eine Gefahrenlage für das ungeborene Kind oder die Mutter (Risikoschwangerschaft) besteht und die Unterstützung der Schwangeren durch den Abzuschiebenden glaubhaft gemacht wird (BayVGH, B.v. 28.1.2021 – 10 CE 21.313 – juris Rn. 7, für ein ungeborenes deutsches Kind); denn die Wahrscheinlichkeit, dass die werdende Mutter unter diesen Umständen durch eine abschiebungsbedingte Trennung Belastungen ausgesetzt ist, die die Leibesfrucht gefährden, ist ungleich höher als bei vorübergehender Trennung während einer normal verlaufenden Schwangerschaft (vgl. OVG LSA, B.v. 10.12.2014 – 2 M 127/14 – juris Rn. 6 m.w.N; OVG Berlin-Bbg, B.v. 30.3.2009 – OVG 12 S 28.09 – juris Rn. 5; OVG Hamburg, B.v. 10.12.2009 – 3 Bs 209/09 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 28.11.2011 – 10 CE 11.2746 – juris Rn. 4). Erforderlich ist dabei aber, dass eine enge und durch Fürsorge geprägte persönliche Beziehung des Ausländers zur werdenden Mutter besteht, was in der Regel ein tatsächliches Zusammenleben mit ihr in häuslicher Gemeinschaft voraussetzt. Zudem muss glaubhaft die Bereitschaft bekundet werden, in Zukunft in einer tatsächlich gelebten familiären Verbundenheit elterliche Verantwortung zu übernehmen (OVG LSA, B.v. 17.1.2019 – 2 M 153/18 – juris Rn. 18, 24).
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Gemessen daran besteht im Falle des Antragstellers kein Duldungsgrund. Der Senat verkennt nicht, dass manches darauf hindeutet, dass die Lebensgefährtin des Antragstellers und werdende Mutter des gemeinsamen Kindes – auch ohne den formellen Nachweis einer Risikoschwangerschaft – auf die Lebenshilfe des Antragstellers angewiesen sein könnte. Indes ist nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller diese Lebenshilfe leistet oder leisten wird. Der Antragsteller hat zwar die Vaterschaft anerkannt, mit der Mutter eine gemeinsame Sorgeerklärung abgegeben und behauptet, sich seit seiner Entlassung aus der Klinik am 19. Juli 2024 um seine Lebensgefährtin zu kümmern. Substantiiert vorgetragen hat er hierzu mit der Beschwerdebegründung vom 31. Juli 2024 aber nicht. Die dem Gericht bekannten Umstände sprechen gegen eine tatsächliche Hilfe. So ist der Antragsteller nach der Entlassung aus der Klinik offenbar untergetaucht. Die Lebensgefährtin hat bei ihrer Aufnahme in die Klinik am 30. Juli 2024 angegeben, sie habe „seit Tagen“ keinen Kontakt mehr zum Antragsteller und fürchte, dass er nicht mehr in Deutschland sei. Das von der Regierung von Oberbayern mit E-Mail vom 23. Juli 2024 erfragte Einverständnis beider Eltern zur gemeinsamen Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft wurde offenbar von keiner Seite erteilt. Unter diesen Umständen ist derzeit nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller die tatsächliche Verantwortung für sein Kind übernehmen oder der Kindsmutter während der Schwangerschaft die erforderliche Lebenshilfe erteilen wird.
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An dieser Einschätzung vermag auch die dem Senat mit Schriftsatz vom 1. August 2024 um ca. 16:15 Uhr vorgelegte handschriftliche und in englischer Sprache verfasste Erklärung des Antragstellers (die gegen 17:30 Uhr vorgelegte Erklärung enthält insofern nichts wesentlich Neues) nichts zu ändern. Darin beschreibt er die Anspannung, unter der seine Lebensgefährtin aufgrund seiner ausländerrechtlichen Situation stehe. Im Krankenhaus habe sie ihn besucht. Seit der Entlassung aus dem Krankenhaus habe man sich nicht mehr persönlich gesehen, aber telefoniert. Er wolle Verantwortung für das Kind übernehmen und habe trotz seiner Arbeitslosigkeit versucht, seine Lebensgefährtin finanziell zu unterstützen, etwa indem er einige Gegenstände verkauft habe. Diese Angaben, die in tatsächlicher und zeitlicher Hinsicht allenfalls vage sind und auch nicht glaubhaft gemacht wurden, deuten eher noch einmal darauf hin, dass eine tatsächliche Lebenshilfe derzeit nicht erbracht wird. Auch konkrete und belastbare Vorstellungen hinsichtlich einer künftigen Unterstützung lassen sich dem Schreiben nicht entnehmen, zumal das sonstige Verhalten des Antragstellers (Untertauchen, Vortrag einer aktuellen psychischen Ausnahmesituation etc.) eher gegen die Annahme spricht, er werde künftig eine substantielle Hilfeleistung erbringen.
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Vor diesem Hintergrund kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, dass die Lebensgefährtin des Antragstellers selbst über keine gesicherte aufenthaltsrechtliche Position in Deutschland verfügt.
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c) Der Antragsteller hat im Beschwerdeverfahren auch nicht dargelegt, dass er einen Anordnungsanspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 VwGO i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG im Hinblick auf seinen Antrag auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG oder § 104c AufenthG hat.
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Ein Anspruch auf eine Verfahrensduldung besteht nicht im Hinblick auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG. Der Antragsteller ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz, vgl. BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 6.12.2021 – 10 CE 21.2930 – juris Rn. 4) nicht im Besitz einer Duldung und hat auch kein Anspruch auf eine Duldung (s.o.).
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Entsprechendes gilt auch für den Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG. Auch hierzu wäre erforderlich, dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts im Besitz einer Duldung wäre oder wenigstens einen materiellen Duldungsanspruch hätte. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Erfordernis des „Geduldetseins“ im Sinne des § 104c AufenthG ist der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung oder gerichtlichen Entscheidung in der Tatsacheninstanz (in diesem Sinne bereits [nicht entscheidungstragend] BayVGH, B.v. 25.3.2024 – 10 CS 24.364 Rn. 6 den Antragsteller betreffend – unveröffentlicht; BayVGH, B.v. 14.5.2024 – 19 CE 24.398 – juris Rn. 10 ff.; B.v. 2.5.2024 – 19 CE 24.303 – Rn. 9 n.v.; B.v. 15.3.2024 – 19 CS 24.170 – Rn. 8 n.v.; OVG SH, B.v. 14.3.2023 – 4 MB 6/23 – juris Rn. 11; OVG LSA, B.v. 24.4.2023 – 2 M 16/23 – juris Rn. 38).
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Dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Beantragung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG im Januar 2023 im Besitz einer (in der Folge bis 31. Januar 2024 verlängerten) gültigen Duldung war, reicht für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis weder auf der Grundlage von § 25b AufenthG noch auf der Grundlage von § 104c AufenthG aus. Ob – wie der Antragsteller meint – etwas Anderes zu gelten hat, wenn im Zeitpunkt der Beantragung alle Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorlegen haben und die Behörde die Entscheidung gleichwohl ohne Sachgrund hinauszögert, kann dahinstehen, denn eine sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung der Sachbearbeitung durch die Ausländerbehörde liegt hier nicht vor.
36
Zunächst durfte und musste die Ausländerbehörde den Ausgang des von ihr selbst initiierten Strafverfahrens gegen den Antragsteller wegen Aufenthalts ohne Pass abwarten (§ 79 Abs. 2 AufenthG). Dass diese Strafanzeige nicht ins Blaue hinein erfolgte und deshalb treuwidrig gewesen wäre, ergibt sich bereits daraus, dass das Verfahren gegen den Antragsteller erst mit Beschluss des Amtsgerichts vom 1. Dezember 2023 endgültig eingestellt wurde, nachdem der Antragsteller die mit der vorläufigen Verfahrenseinstellung verbundenen Auflagen des Strafgerichts (Zahlung von 1.500 Euro und Vorlage eines Passes) erfüllt hatte. Auch die Verfahrensgestaltung danach war nicht zu beanstanden. Der Antragsteller wurde bereits am 7. Dezember 2023 zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags (nach § 104c AufenthG) angehört, der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG mit Bescheid vom 18. Februar 2024 unter Hinweis auf eine bereits absehbare Versagung der Erteilung eines Anschlusstitels nach § 25a oder § 25b AufenthG abgelehnt. Die dem Antragsteller erteilte Duldung wurde wegen des Wegfalls des Abschiebungshindernisses der Passlosigkeit mit Schreiben vom 19. Januar 2024 wiederrufen. Erst danach beantragte der Antragsteller am 23. Februar 2024 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG. Vor diesem Hintergrund kann der Senat nicht erkennen, dass die Ausländerbehörde die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ohne sachlichen Grund verschleppt hätte, zumal der Antragsteller, worauf bereits das Verwaltungsgericht hingewiesen hatte, die Ausländerbehörde erst am 26. Februar 2024, und damit zu einem Zeitpunkt, in dem er bereits nicht mehr im Besitz einer Duldung war, um die Übersendung des Bekenntnisses zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung (vgl. § 104 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) gebeten hatte.
37
Ein Anspruch auf die Erteilung einer Duldung im Sinne von § 25b AufenthG oder § 104c AufenthG entstand bzw. besteht auch nicht deshalb, weil der Antragsteller einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis nach diesen Vorschriften gestellt hatte. Denn eine Verfahrensduldung wird zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG erteilt, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Verfahrens aufrechtzuerhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugutekommen kann. Sie kann jedoch nicht dazu dienen, die bisher nicht erfüllten Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels überhaupt erst herbeizuführen (BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 30; BayVGH, B.v. 12.9.2022 – 10 CE 22.1925 – juris Rn. 6 stRspr).
38
Sind nach alledem keine Duldungsgründe glaubhaft gemacht, war der Antrag in Ermangelung eines Anordnungsanspruchs auch unbegründet.
39
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
40
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG.
41
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).