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AG München, Endurteil v. 05.02.2024 – 242 C 15369/23
Titel:

Kein Rücktritt von Reise bei bloßem Nichtantritt

Normenketten:
BGB § 164 Abs. 2, § 328, § 651a, § 651h Abs. 1 S. 1
ZPO § 12, § 17 Abs. 1, § 253 Abs. 1, § 281 Abs. 2, § 495a
Leitsätze:
1. Nach den Umständen einer Reisebuchung liegt eine solche als Familienreise vor, wenn nur eine Anschrift genannt und nur eine Bankverbindung angegeben werden sowie zudem ein Doppelzimmer gebucht wurde (vgl. BGH BeckRS 2015, 1824). (Rn. 23 und 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die erforderliche Erklärung des Rücktritts reicht der bloße Nichtantritt einer Pauschalreise (sog. "no show") nicht aus. (Rn. 28 – 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Reise, Buchung, Familienreise, Rücktritt, Pauschalreise, Nichtantritt, Nichterscheinen, no show
Fundstellen:
ReiseRFD 2025, 48
LSK 2024, 20211
BeckRS 2024, 20211

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Berufung wird zugelassen.
5. Der Streitwert wird auf 543,47 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin verfolgt mit der Klage den Anspruch auf Rückerstattung des Reisepreises.
2
Die Klägerin schloss mit der Beklagten über den Vermittler … am 13. Juni 2021 einen Pauschalreisevertrag über eine Reise nach ... vom 23.07.2021 bis 27.07.2021 zu einem Gesamtreisepreis von 1.114,00 €, einschließlich Flügen, Unterbringung und All-inklusiv-Leistungen.
3
Der Reisepreis wurde von der Klägerin mehrere Wochen vor geplantem Antritt der Reise in voller Höhe an die Beklagte entrichtet. Mitreisende Person war Herr D….
4
Nach dem Pauschalreisevertrag sollten von der Beklagten die ersten Reiseleistungen am 23. Juli 2021 erbracht werden. Im Juli 2021 stiegen im Zielgebiet die Zahlen der mit dem Corona-Virus infizierten Personen. Im Juli 2021 wurde eine Reisewarnung ausgesprochen, zudem sollte ... ab dem 27. Juli 2021 als Hochinzidenzgebiet ausgewiesen werden.
5
Gemäß dem geschlossenen Reisevertrag war angegebene Abflugzeit am 23.07.2021 um 17:50 Uhr. Die Klägerin erklärte gegenüber der Beklagten per E-Mail vom 23.07.2021, zugegangen bei der Beklagten um 17:54 Uhr, den Rücktritt. Sie trat den Flug und die Reise in der Folge nicht an.
6
In der Folge erging eine Stornorechnung seitens der Beklagten, mit der diese als pauschalisierten Schadensersatz 85 % des gezahlten Reisepreises, also 946,90 €, gem. § 651 h Abs. 2 BGB geltend machte, diese Summe wurde in einer zweiten Stornoberechnung – nach Schilderung der Beklagten aus Kulanz – um 403,43 € reduziert. Die einbehaltene Differenz in Höhe von 543,47 € stellt die Klageforderung dar.
7
Die Klägerin meint, sie sei aktivlegitmiert, denn es sei nur ein Reisevertrag geschlossen worden, in den der Mitreisende einbezogen sei. Sie habe durch Nichtantritt der Reise wirksam den Rücktritt erklärt. Die Klägerin meint ferner, am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe seien unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, welche die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen, so dass die Beklagte gem. § 651 h Abs. 3 S. 1 BGB gar keine Entschädigung verlangen könne.
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Die Klägerin beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 543,47 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. August 2021 zu zahlen.
9
Die Beklagte beantragt,
kostenpflichtige Klageabweisung.
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Sie meint, die Klägerin sei bereits nicht aktivlegitimiert. Die Grundsätze einer Familienreise seien nicht anwendbar, da die Reisenden unterschiedliche Familienname führen, sodass eine eventuelle Familienzusammengehörigkeit für den Vertragspartner, hier den Reiseveranstalter, nicht erkennbar war. Sie meint, die Klägerin sei nicht zurückgetreten. Die Beklagte meint, sie könne Entschädigung verlangen, weil gerade keine unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände aufgetreten seien, sondern die Reise bereits in Kenntnis der Corona-Pandemie gebucht worden sei und die Einstufung als Risikogebiet nur den Abreisetag umfasst hätte.
11
Das Gericht hat von seinem in § 495 a ZPO eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht und das vereinfachte Verfahren angeordnet. Eine mündliche Verhandlung hat auf Antrag der Klägerin stattgefunden am 10.01.2024. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung und auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

12
Gemäß § 495 a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
13
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
I.
14
Die Klage ist zulässig.
15
1. Die Klage wurde ordnungsgemäß erhoben, §§ 495 I i.V.m. 253 I ZPO.
16
2. Das Amtsgericht München ist zuständig.
17
a) Seine sachliche Zuständigkeit folgt aus §§ 1 ZPO i.V.m. 23 Nr. 1 GVG.
18
b) Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus §§ 12, 17 I ZPO und aus der für dieses Gericht bindenden Verweisung des Rechtsstreits durch das Amtsgericht Schwäbisch-Gmünd, § 281 Abs. 2 ZPO.
II.
19
Die Klage ist nicht begründet.
20
1. Zwischen den Parteien wurde am 13. Juni 2021 wirksam ein Pauschalreisevertrag gem. §§ 651 a ff. BGB geschlossen.
21
2. Die Klägerpartei ist aktivlegitimiert.
22
Entgegen des Vortrages der Beklagten wurde ein Vertrag allein im eigenen Namen zugunsten Dritter i.S.v. § 328 BGB geschlossen.
23
Das Landgericht Düsseldorf führt hierzu aus: „Der Kläger erklärte am 03.06.2020 wegen der COVID-19-Pandemie gem. § 651 h Abs. 1 S. 1 BGB den Rücktritt vom Pauschalreisevertrag. Hierzu war er als alleiniger Vertragspartner des Pauschalreisevertrags berechtigt. In der Buchungsbestätigung vom 27.11.2019 (Bl. 6 GA) wird er als Reiseanmelder im Kopf des Schreibens adressiert. Der Reiseanmelder schließt nach der Grundregel des § 164 Abs. 2 BGB den Reisevertrag mangels entgegenstehender Anhaltspunkte im Regelfall allein im eigenen Namen zugunsten Dritter i.S.v. § 328 BGB ab und ist insofern auch allein berechtigt, den Vertrag beendende Gestaltungserklärungen wie einen Rücktritt gem. § 651 h BGB geltend zu machen. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn – wie im vorliegenden Fall – aufgrund Namensgleichheit von einem Familienzusammenhang auszugehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 25.11.2014 – X ZR 105/13, NJW 2015, S. 853 f. Rz. 9; Urteil vom 31.7.2012 – X ZR 154/11, NJW 2012, S. 3368, 3370 Rz. 27). Es reist hier ein erwachsenes Ehepaar mit einem minderjährigen Kind, es wurde ein Doppelzimmer gebucht und alle Reiseteilnehmer tragen den Namen „T“, sodass erkennbar eine Familienreise vorliegt.“ (LG Düsseldorf (22. Zivilkammer), Urteil vom 25.10.2021-25.10.2021, Rn. 6).
24
Der Argumentation des zitierten Urteils des LG Düsseldorfs folgend, ist auf die Umstände der Reisebuchung abzustellen. Das Tragen desselben Namens verstärkt den Eindruck, dass ein Familienzusammenhang besteht, ist jedoch nicht zwingende Voraussetzung.
25
Die Klägerin hier hat im Rahmen der Reisebuchung nur eine Anschrift genannt und nur eine Bankverbindung angegeben. Zudem wurde ein Doppelzimmer gebucht. Dies lässt mangels entgegenstehender Anhaltspunkte auf einen Familienzusammenhang schließen.
26
3. Die Klägerin ist nicht gem. § 651 h I BGB wirksam vom Vertrag zurückgetreten.
27
a) eine wirksame ausdrückliche Rücktrittserklärung liegt nicht vor. Eine solche ausdrückliche Erklärung wurde seitens der Klägerin erst nach Abflug abgegeben. Die Rücktrittserklärung als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung wird erst nach Zugang beim Vertragspartner wirksam; Zugang war vier Minuten nach Abflug. Zu diesem Zeitpunkt war die Reise bereits begonnen im Sinne des § 651 h BGB.
28
b) Für die erforderliche Erklärung des Rücktritts reicht der bloße Nichtantritt der Reise nicht aus.
29
Da § 651 h BGB an keine weiteren Voraussetzungen gebunden ist, kann grundätzlich jedes Verhalten des Reisenden, aus dem ersichtlich wird, dass er an dem ursprünglich geschlossenen Reisevertrag nicht mehr festhalten will, als Rücktritt nach dieser Vorschrift auszulegen sein, sofern keine günstigere Möglichkeit für den Reisenden besteht, dieses Ziel zu erreichen.
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Teilweise wird vertreten, dass dies auch für den Fall gilt, dass der Reisende zum Urlaubsantritt nicht erscheint, so genannter „no show“ (vgl. etwa: MüKoBGB/Tonner Rn. 11; a.A. Seyderhelm ReiseR, 1999, Rn. 17; Ziff. 5.2 ARB 2010, BeckOK BGB, Hau/Poseck 68. Edition, Stand: 01.11.2023, Rn. 5, 6).
31
Das Amtsgericht schließt sich dieser in der Literatur teilweise vertretenen Rechtsauffassung nicht an.
32
Zwar kann ein Rücktritt auch konkludent erklärt werden. Jedenfalls muss aber eine Willenserklärung des Reisenden, gerichtet auf Beendigung des Reisevertrags vorliegen. Ein Nichterscheinen am Abflugort kann hingegen vielfältige Ursachen haben. Ohne weitere Anhaltspunkte lässt sich daher auch nach einem objektiven Empfängerhorizont nicht zwangsläufig schließen, dass der Reisende kein Interesse mehr an der Reise hat, wenn er die Reise nicht rechtzeitig antritt. Er kann sich nämlich einfach nur aus vielfältigen Gründen verspätet haben. Eine bloße Verspätung aber als konkludenten Rücktritt auszulegen ist zu weitgehend, da der Rücktritt als Gestaltungsrecht grundsätzlich unwiderruflich und damit „endgültig“ ist. Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine solche weitgehende Auslegung auf Grund schützenswerten Interessen des Reiseveranstalters zwingend geboten wäre.
33
Gegebenenfalls mag ein so genannter „no Show“ noch als Rücktritt im Falle eines reinen Luftbeförderungsvertrag ausgelegt werden; im Fall eines Pauschalreisevertrags, der zahlreiche weitere Leistungen enthält, muss die Nichtinanspruchnahme eines Leistungsteils nicht zwangsläufig bedeuten, dass von dem gesamten Reisevertrag zurückgetreten werden soll. Es mag beispielsweise bedeuten, dass der Reisende eine andere Art der Anreise wählt und/oder später anreist und die übrigen Leistungen noch in Anspruch nehmen will.
III.
34
Auf Grund des vollständigen Unterliegens des der Klägerpartei trägt diese die Kosten des Verfahrens gem. § 91 I S. 1 ZPO. Der Streitwert wird gem. §§ 63 GKG, 3 ZPO auf 543,47 € festgesetzt. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, gem. §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
IV.
35
Die Zulassung der Berufung erfolgte gemäß § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO. Die Rechtsfrage ob ein „no show“ im Falle eines Pauschalreisevertrags als Rücktrittserklärung auszuelegen ist, oder nicht, ist umstritten, so dass dieser Rechtssache jedenfalls in diesem Punkt im Sinne einer Rechtsfortbildung und gegebenenfalls Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung grundsätzliche Bedeutung zukommen könnte.