Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 23.07.2024 – Au 9 K 24.30562
Titel:

Irak, Unzulässiger Asylantrag, Abschiebungsandrohung nach Griechenland, in Griechenland anerkannter Asylbewerber, Rückkehrsituation für anerkannt Schutzberechtigte in Griechenland, keine Gefahr im Einzelfall wegen der sozio-ökonomischen Verhältnisse in Griechenland

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7
EMRK Art. 3
EuGRCh Art. 4
Schlagworte:
Irak, Unzulässiger Asylantrag, Abschiebungsandrohung nach Griechenland, in Griechenland anerkannter Asylbewerber, Rückkehrsituation für anerkannt Schutzberechtigte in Griechenland, keine Gefahr im Einzelfall wegen der sozio-ökonomischen Verhältnisse in Griechenland
Fundstelle:
BeckRS 2024, 20064

Tenor

I.    Die Klage wird abgewiesen.
II.    Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.    Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig sowie gegen eine asylrechtliche Abschiebungsandrohung nach Griechenland.
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Der am ... in ... (Irak) geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit und yezidischem Glauben.
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Seinen Angaben zufolge reiste der Kläger am 27. Dezember 2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er unter dem 31. März 2023 Asylantrag stellte. Eine Beschränkung des Asylantrags gem. § 13 Abs. 2 Asylgesetz (AsylG) auf die Zuerkennung internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz) erfolgte im Verfahren nicht.
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Der Kläger hat bereits in Griechenland im August 2022 einen Asylantrag gestellt. Dem Kläger wurde in Griechenland internationaler Schutz gewährt.
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Die persönliche Anhörung des Klägers beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) erfolgte am 29. Mai 2024. Der Kläger führte hierbei u.a. aus, dass er den Irak am 24. Juli 2022 verlassen habe. Er sei zunächst legal in die Türkei ausgereist. In Griechenland habe er sich für die Dauer von etwa vier bzw. fünf Monaten aufgehalten. In Griechenland habe er zwei Mal jeweils 75,00 EUR und kostenloses Essen erhalten. Nach der asylrechtlichen Anerkennung habe man das Camp verlassen müssen. In der Bundesrepublik Deutschland sei er nicht in ärztlicher Behandlung. Er nehme auch keine Medikamente ein.
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Für den weiteren Vortrag des Klägers wird auf die über die persönliche Anhörung gefertigte Niederschrift des Bundesamts verwiesen.
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Mit Bescheid des Bundesamts vom 18. Juni 2024 (Gz. ... ) wurde der vom Kläger gestellte Asylantrag als unzulässig abgelehnt (Nr. 1 des Bescheids). Nr. 2 des Bescheids bestimmt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 u. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen. In Nr. 3 wird der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Folgeleistung wurde dem Kläger die Abschiebung nach Griechenland angedroht. Weiter wurde bestimmt, dass der Kläger nicht in den Irak abgeschoben werden dürfe. Nr. 4 des Bescheids ordnet das Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristet es auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
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Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Bundesamt aus, dass der vom Kläger in der Bundesrepublik Deutschland gestellte Asylantrag unzulässig sei. Ein Asylantrag sei gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedsstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt habe. Nach den Erkenntnissen des Bundesamts sei dem Kläger in Griechenland am 12. Oktober 2022 internationaler Schutz gewährt worden. Der Asylantrag des Klägers werde daher nicht materiell geprüft. Nach dem vom Europäischen Gerichtshof beschriebenen Maßstaben für die Annahme einer Verletzung von Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) sei es Voraussetzung, dass der Kläger gerade aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit in eine Situation extremer materieller Not geraten würde. Eine solche habe der Kläger jedoch nicht vorgetragen. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Griechenland führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Klägers sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Abschiebung nicht beachtlich. Auch die Verletzung anderer Menschenrechte oder Grundfreiheiten der EMRK komme nicht in Betracht. Es drohe dem Kläger auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG führe. Die Abschiebungsandrohung sei gem. §§ 34, 35 AsylG zu erlassen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot werde gem. § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Diese Befristung sei vorliegend angemessen. Schutzwürdige Belange des Klägers lägen nach den Erkenntnissen des Bundesamts nicht vor.
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Auf den weiteren Inhalt des Bescheids des Bundesamts vom 18. Juni 2024 wird ergänzend verwiesen.
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Der Kläger hat gegen den vorbezeichneten Bescheid mit Schriftsatz vom 27. Juni 2024 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragt,
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Der Bescheid vom 18. Juni 2024 wird mit Ausnahme, dass der Kläger nicht in den Irak abgeschoben werden darf, aufgehoben, hilfsweise die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass ein Abschiebeverbot hinsichtlich Griechenlands vorliegt.
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Zur Begründung ist ausgeführt, dass davon auszugehen sei, dass dem Kläger für den Fall seiner Rückkehr nach Griechenland die ernsthafte Gefahr einer erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EU-GR-Charta drohe. Es sei beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger in Griechenland obdachlos würde und extremer materieller Not ausgesetzt sei. Aus aktuellen Erkenntnismitteln ergebe sich keine wesentliche Verbesserung der Sachlage in Griechenland. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass Freunde oder Verwandte des Antragstellers ihn bei einer Rückkehr nach Griechenland für einen längeren Zeitraum bei sich aufnehmen und unterstützen könnten.
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Auf die weiteren Ausführungen im Klageschriftsatz vom 27. Juni 2024 wird ergänzend verwiesen.
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Das Bundesamt ist für die Beklagte der Klage mit Schriftsatz vom 2. Juli 2024 entgegengetreten und beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde auf die mit der Klage angegriffene Entscheidung des Bundsamts Bezug genommen.
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Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 8. Juli 2024 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Ein vom Kläger gestellter Antrag vorläufigen Rechtschutzes (Az. Au 9 S 24.30563) wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 8. Juli 2024 abgelehnt. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird verwiesen.
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Ebenfalls mit Gerichtsbeschluss vom 8. Juli 2024 wurde ein für den Kläger gestellter Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung abgelehnt.
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Mit Schriftsätzen vom 27. Juni 2023 (richtigerweise 2024) und vom 22. Juli 2024 haben sich die Beteiligten übereinstimmend mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die von der Beklagten vorgelegte elektronische Verfahrensakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage des Klägers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten übereinstimmend mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
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Die Klage bleibt ohne Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.
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Soweit der Kläger sich gegen die in Nr. 1 des mit der Klage angegriffenen Bescheid des Bundesamtes vom 18. Juni 2024 ausgesprochene Unzulässigkeit seines in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Asylantrags wendet, ist die mit dem Schriftsatz vom 27. Juni 2024 erhobene Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) zwar statthaft und auch im Übrigen zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.
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Die hilfsweise erhobene Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) auf Feststellung von Abschiebungsverboten hinsichtlich Griechenlands ist ebenfalls unbegründet.
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Der Bescheid des Bundesamts vom 18. Juni 2024 (Gz. ... ) ist insgesamt rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Die Unzulässigkeitsentscheidung über den vom Kläger in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Asylantrag findet in § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG eine ausreichende rechtliche Grundlage. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedsstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Dies ist vorliegend nach den vom Bundesamt eingeholten und auch vom Kläger in der persönlichen Anhörung beim Bundesamt bestätigten Auskünften der Fall. Dem Kläger wurde ausweislich der Auskünfte der griechischen Behörden am 12. Oktober 2022 in Griechenland internationaler Schutz gewährt.
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Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dem die nationale Rechtsprechung folgt, darf der Asylantrag allerdings nicht als unzulässig abgelehnt werden, wenn eine Prognose ergibt, dass die zu erwartenden Lebensverhältnisse den Schutzberechtigten in dem Land, in das er abgeschoben werden soll, der ernsthaften Gefahr aussetzen, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK zu erfahren (vgl. BayVGH, U.v. 4.3.2024 – 24 B 22.30376, mit Verweisen auf: EuGH, U.v. 22.2.2022 – C-483/20 – Rn. 30; EuGH, B.v. 13.11.2019 – C-540/17 und C-541/17 – Rn. 35; EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 – Rn. 86/101). In einem solchen Fall ist bereits die Unzulässigkeitsentscheidung und nicht erst (aber auch) die Abschiebungsandrohung rechtswidrig (vgl. BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 3.21 – Rn. 17; U.v. 20.5.2020 – 1 C 34.19 – Rn. 15).
29
Innerhalb des Asylsystems gilt zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens dahingehend, dass jeder Mitgliedstaat das Unionsrecht und insbesondere die gemeinsamen Grundrechte einhält und gewährleistet. Als Regelfall ist zu vermuten, dass die Behandlung von Drittstaatsangehörigen, die bereits durch einen Mitgliedstaat internationalen Schutz erhalten haben, in jedem Mitgliedstaat den Erfordernissen der EU-Grundrechtscharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention entsprechen (vgl. BayVGH, U.v. 4.3.2024 – 24 B 22.30376 – Rn. 20 mit Verweis auf EuGH, U.v. 22.2.2022 – C-483/20 – Rn. 28 f. u.a.). Daher ist die Schwelle für eine entsprechende Gefahrenprognose für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, bzw. die Annahme einer in einem Mitgliedstaat ggf. existierenden Funktionsstörung nach der Rechtsprechung sehr streng. Sie ist erst erreicht, wenn eine solche Funktionsstörung erstens systemischer oder allgemeiner Art ist oder aber bestimmte Personengruppen trifft, sie zweitens eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht und drittens anzunehmen ist, dass die Gefahr, dieser unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden, für den Drittstaatsangehörigen beachtlich wahrscheinlich ist (vgl. EuGH, U.v. 22.2.2022 – C-483/20 – Rn. 31 m.w.N.). Die Schwelle für derartige systemische Mängel ist erst dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem eigenen Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, insbesondere sich zu ernähren, ein Mindestmaß an körperlicher Hygiene zu erlangen und eine Unterkunft zu finden („Bett, Brot und Seife“, vgl. VGH BW, B.v. 27.5.2019 – A 4 S 1329/19 – Rn. 5), und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – Rn. 91 f. m.w.N.; BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – Rn. 12; B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – Rn. 18). Die Erheblichkeitsschwelle wird nicht schon dann erreicht, wenn den Betroffenen eine Situation erwartet, die durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse bei stark reduziertem Umfang von existenzsichernden Leistungen gekennzeichnet ist. Auch die Tatsache, dass die betroffene Person in dem Mitgliedstaat keine existenzsichernden Leistungen erhält, dabei aber nicht anders behandelt wird als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats, begründet in der Regel nicht das Erreichen dieser Erheblichkeitsschwelle. Zu einer anderen Bewertung könnte man nur bei einer schwerwiegenden Situation extremer materieller Not kommen, die einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – Rn. 93; BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – Rn. 12; B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – Rn. 18; BayVGH, U.v. 4.3.2024 – 24 B 22.30376 – Rn. 22 f.).
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Bei der Bewertung der Lebensumstände, die den Betroffenen bei seiner Rückkehr in dem Mitgliedstaat erwarten, ist zunächst zu prüfen, inwieweit er die Möglichkeit hat, seinen Lebensunterhalt auf einem Mindestniveau durch eigene Erwerbstätigkeit zu sichern. Ihm ist grundsätzlich auch zumutbar, wenig attraktive und nicht seiner Vorbildung entsprechende Tätigkeiten auszuüben, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen oder die nur zeitweise (etwa während der Touristensaison) ausgeübt werden können. Auch eine – wenigstens vorübergehende – Betätigung in der „Schatten“- oder „Nischenwirtschaft“ mutet ihm die Rechtsprechung zu (vgl. BVerwG, B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – Rn. 29; BayVGH, U.v. 28.3.2024 – 24 B 22.31136 – Rn. 29). Als zumutbar wird überdies angesehen, in dem Land übliche und geduldete Wege anzuwenden, wie zum Beispiel den Erwerb und die Angabe von (Schein-)Meldeadressen, um die bürokratischen Voraussetzungen für ein Fortkommen in Sachen Arbeit oder Wohnung zu schaffen. Vor dem Hintergrund des sehr strengen Maßstabs des Art. 4 GRCh erscheinen derartige Herausforderungen noch als vertretbar (vgl. zuletzt BayVGH, U.v. 28.3.2024 – 24 B 22.31136 – Rn. 39). Zu beachten sind auch Unterstützungsleistungen von nichtstaatlichen Organisationen, Kirchen oder Privatpersonen (vgl. BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 3.21 – Rn. 22 ff.; B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – Rn. 14; B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – Rn. 20).
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Gemessen an den o.g. Anforderungen geht das Gericht auf Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel nicht davon aus, dass anerkannt Schutzberechtigten – jedenfalls nicht vulnerablen Personen – im Fall einer Rückkehr nach Griechenland dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Verelendung droht. Hierbei ist insbesondere auf die persönlichen Umstände im Einzelfall abzustellen.
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Die Situation stellt sich nach Überzeugung des Gerichts zwar als durchaus hart und die Eigeninitiative des Einzelnen fordernd dar und ist auch geprägt von großen bürokratischen Hürden, überschreitet aber nicht die dargestellte Schwelle, sodass sie pauschal für jeden Personenkreis von Schutzberechtigten als unmenschlich oder erniedrigend i.S.v. Art. 3 EMRK und Art. 4 EuGRCh angesehen werden könnte.
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Zwar haben rückkehrende Schutzberechtigte nach der Ankunft in Griechenland möglicherweise über einen längeren Zeitraum keinen effektiv gesicherten Zugang insbesondere zu Obdach und sanitären Einrichtungen. Zudem ist es für sie anfangs für einen nicht unerheblichen Zeitraum teilweise praktisch unmöglich, die Voraussetzungen für den Erhalt des garantierten Mindesteinkommens zu erfüllen. Bei dieser Sachlage ist nach Überzeugung des Gerichts die Abdeckung der Grundbedürfnisse „Bett, Brot und Seife“ für eine Übergangszeit nach der Rückkehr nach Griechenland durch das eigenverantwortliche Handeln des Einzelnen und auch die Hilfestellung von NGOs geprägt. Diese Situation trifft aber in gleicher Weise auf mittel-, obdach- und arbeitslose Einheimische zu. Zu betonen ist insbesondere, dass es nicht unzumutbar, sondern vielmehr selbstverständlich ist, für das eigene Fortkommen zu allererst auf sich selbst angewiesen zu sein. Vor diesem Hintergrund muss der jeweilige Schutzberechtigte, damit ihm keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bei einer Rückkehr droht, nach Überzeugung des Gerichts grundsätzlich in der Lage sein, sich den schwierigen Bedingungen zu stellen und durch eine hohe Eigeninitiative und unter Inanspruchnahme von Hilfsangeboten selbst für seine Unterbringung und seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Ist davon auszugehen, dass er diese Schwierigkeiten bewältigen kann, fehlt es an der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in Griechenland.
34
So liegt es im Fall des Klägers. Nach Überzeugung des Gerichts ist es nicht ausreichend wahrscheinlich, dass der Kläger nach seiner Rückkehr nach Griechenland nicht in der Lage sein wird, seine grundlegenden Bedürfnisse nach „Bett, Brot und Seife“ zu befriedigen. Der Kläger ist jung und durchaus arbeitsfähig. Der Kläger hat keine Unterhaltspflichten, da er ledig ist. Familiäre Verpflichtungen sind nicht erkennbar. Auch hat der Kläger selbst angegeben, gesund zu sein und keine Medikamente einzunehmen. Der Kläger kann sich ausgehend von seiner familiären Situation vollumfänglich der Deckung seines Lebensunterhalts widmen. Daher ist es ihm auch zumutbar, zunächst schwierige Verhältnisse auf sich zu nehmen und für einen Übergangszeitraum auf sich selbst und auf die Angebote von Hilfsorganisationen angewiesen zu sein, bis er bürokratische Hürden für staatliche Hilfe überwunden hat. Eine besondere Schutzbedürftigkeit des Klägers ist nicht erkennbar. Auch hat der Kläger bereits für die Dauer von vier bis fünf Monaten in Griechenland gelebt. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass der Kläger in Griechenland Hilfsarbeiten übernimmt, welche er beispielsweise im Baugewerbe auch im Irak ausgeübt hat. Während seiner Verweildauer in Griechenland war es dem Kläger auch offenbar möglich, die bestehende Sprachbarriere zu überwinden. Dies belegt für das Gericht hinreichend, dass der Kläger über die erforderliche Flexibilität verfügt, sich in den griechischen Arbeitsmarkt einzufügen. Zur Integration und Arbeitssuche kann sich der Kläger zudem an Hilfsorganisationen und an diverse staatliche Stellen wenden. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger als alleinstehende Person im Bedarfsfall eine Bleibe in einer Obdachlosenunterkunft findet, ist überdies gegenüber einer Personenmehrheit (Familie) deutlich erhöht. Ausweislich der Aktenlage ist der Kläger auch im Besitz eines griechischen Reisepasses, was ein Fortkommen in Griechenland deutlich erleichtern dürfte. Die hinreichende Prognose einer Verelendung kann für den Kläger daher nicht gestellt werden. Es ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) von einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Klägers bei einer Rückkehr nach Griechenland auszugehen (vgl. zum Ganzen VG Ansbach, B.v. 30.4.2024 – AN 17 S 24.50258 – juris; VG Cottbus, U.v. 16.5.2024 – 5 K 22/19.A – juris Rn. 36).
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Unter Berücksichtigung der dargestellten individuellen Umstände des Klägers im Einzelfall streitet damit gegen eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh die im Kontext des gemeinsamen Europäischen Aslylsystems geltende Vermutung, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedsstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Konvention und der EMRK steht. Dies gilt insbesondere mit der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a) der RL 2014/32/EU (Verfahrensrichtlinie), in dem im Rahmen des mit dieser Richtlinie eingerichteten gemeinsamen Asylverfahrens der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zum Ausdruck kommt (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 u.a. – juris Rn. 85), dessen Umsetzung in nationales Recht die Vorschrift des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG dient.
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Die vorliegende Auffassung steht auch nicht im Widerspruch zu außerbayerischen obergerichtlichen Entscheidungen (vgl. OVG RhPf, U.v. 27.3.2023 – 13 A 10948/22. OVG; OVG Saarl., U.v. 15.11.2022 – 2 A 81/22; VGH BW, U.v. 27.1.2022 – A 4 S 2443/21; OVG Bremen, U.v. 5.4.2022 – 11 A 314/22.A – jeweils juris), wonach pauschal von unmenschlichen Lebensverhältnissen für anerkannt Schutzberechtigte in Griechenland ausgegangen wird, sofern nicht besondere Umstände des Einzelfalls eine andere rechtliche Bewertung erfordern. Solche Umstände sieht der Einzelrichter beim Kläger für gegeben. Der Kläger ist jung, ohne gesundheitliche Einschränkungen und dem Grunde nach arbeitsfähig. Hinzukommt, dass der Kläger nach der im Oktober 2022 erfolgten Gewährung internationalen Schutzes in Griechenland in engem zeitlichen Zusammenhang noch im Jahr 2022 Griechenland verlassen hat und sich wohl vorrangig aus familiären Gründen in die Bundesrepublik Deutschland begeben hat. Hieraus ergibt sich, dass offensichtlich ist, dass der Kläger jedenfalls keine nachhaltigen Anstrengungen unternommen hat, um in Griechenland auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Klägerischer Vortrag hierzu fehlt gänzlich. Es ist gerade nicht ersichtlich, dass der Kläger eine hinreichende Eigeninitiative entwickelt hat, um im Land der Schutzgewährung Obdach bzw. anderweitige Unterstützung zu erfahren. Diese Umstände gehen zu Lasten des Klägers. Es bleibt nämlich Sache des Schutzsuchenden, die Gründe für seine Furcht vor Verelendung schlüssig darzulegen, das insbesondere für in seine eigene Sphäre fallende Ereignisse und Umstände zutrifft (vgl. BayVGH, U.v. 28.3.2024 24 B 22.31136 – juris Rn. 23; VGH BW, U.v. 22.2.2023 – A 11 S 1329/20 – juris Rn. 200).
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Vor dem Hintergrund der persönlichen Verhältnisse des Klägers und dessen Ausführungen im Rahmen der persönlichen Anhörung beim Bundesamt am 29. Mai 2024 bleiben damit die in der Klageschrift vom 27. Juni 2024 aufgezeigten Probleme des Klägers bei einem Verbleib in Griechenland oder einer Rückkehr dorthin bloße Spekulation. Der Kläger hat als Grund für Weiterreise in die Bundesrepublik Deutschland insbesondere die Anwesenheit zweier Brüder sowie weiterer Verwandter in der Bundesrepublik Deutschland angeführt. Die Prognose einer Verelendung des Klägers bei einem Verbleib in Griechenland kann für diesen unter Berücksichtigung seiner individuellen Umstände daher nicht gestellt werden. Es ist gerade nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Klägers bei einer Rückkehr nach Griechenland auszugehen.
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2. Die Klage muss aber auch im Hilfsantrag ohne Erfolg bleiben, da zugunsten des Klägers keine nationalen Abschiebungsverbote, die der erlassenen Abschiebungsandrohung entgegenstehen könnten, vorliegen.
39
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
40
Nach den vorstehenden Ausführungen droht im Falle einer Abschiebung des Klägers nach Griechenland keine konventionswidrige Behandlung. Dagegen streitet die im Kontext des gemeinsamen Europäischen Asylsystems geltende Vermutung, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedsstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Konvention und der EMRK steht. Diese Vermutung wird nach dem vorstehenden im Einzelfall des Klägers unter Berücksichtigung von dessen persönlichen Umständen nicht widerlegt.
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Ebenso wenig greift ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ein. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Das normative Vergewisserungskonzept des Art. 16a Abs. 2 Grundgesetz (GG) umfasst auch solche Gefährdungen; einer Prüfung bedarf es deshalb vor einer Aufenthaltsbeendigung in sichere Drittstaaten, wozu Griechenland als Mitglied der EU gehört, insoweit nicht (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 – BVerfGE 94, 49-114, Rn. 186 zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG).
42
Daher muss auch der auf Verpflichtung zur Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots hinsichtlich Griechenlands gerichtete Hilfsantrag erfolglos bleiben.
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3. Die Ausreiseaufforderung und die gleichzeitig erfolgte Abschiebungsandrohung gem. § 34, 35 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Die Ausreisefrist von einer Woche ergibt sich aus § 36 Abs. 1 AsylG.
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Gleiches gilt für die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf der Grundlage des § 11 Abs. 1, 2 AufenthG. Das Bundesamt hat insoweit das ihm zukommende Ermessen erkannt und dieses im Rahmen der eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung nach § 114 VwGO ordnungsgemäß ausgeübt.
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4. Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.