Inhalt

OLG Nürnberg, Endurteil v. 12.08.2024 – 8 U 329/24
Titel:

Begründung einer Beitragsanpassung in der privaten Krankenversicherung – unterlassene Angabe des sog. "Schwellenwertmechanismus"

Normenketten:
VVG § 203 Abs. 2 S. 1, Abs. 5
BGB § 195, § 199 Abs. 1 Nr. 2, § 204 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 254
Leitsätze:
Die in den Beitragserhöhungsschreiben eines Krankenversicherers enthaltene Begründung, dass die Beiträge angepasst werden müssen, wenn „die Ausgaben für Leistungen von den kalkulierten deutlich abweichen“, genügt nicht den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG (Aufgabe von Senat, Hinweisbeschluss vom 21.11.2022 – 8 U 1621/22, BeckRS 2022, 36090 Rn. 21 und Urteil vom 15.05.2023 – 8 U 3216/22, juris Rn. 18). (Rn. 21 und 22)
1. Bei einem Anspruch des Versicherungsnehmers einer privaten Krankenversicherung auf Rückgewähr von Erhöhungsbeträgen, deren Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprach, erlangt der Versicherungsnehmer grundsätzlich bereits im Zeitpunkt des Zugangs der Änderungsmitteilung Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners iSv § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, sodass die Verjährung der Rückzahlungsansprüche jeweils mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem die erhöhten Prämien gezahlt wurden (Anschluss an BGH BeckRS 2021, 37439 Rn. 42 ff.). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Liegen die Voraussetzungen einer Stufenklage iSv § 254 ZPO nicht vor, individualisiert die im Wege der Umdeutung verbliebene Klage auf Auskunftserteilung den Streitgegenstand nicht iSv § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend und ist deshalb nicht geeignet, die Verjährung der zunächst unbestimmten Leistungsansprüche zu hemmen (Anschluss an BGH BeckRS 2023, 26057 Rn. 34). (Rn. 10 – 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Krankenversicherung, Prämienanpassung, Beitragsanpassung, Mitteilung der maßgeblichen Gründe, Rechnungsgrundlage, Verjährung, Stufenklage
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 05.01.2024 – 8 O 8498/21
Fundstellen:
BeckRS 2024, 20055
NJOZ 2024, 1450
LSK 2024, 20055
FDVersR 2024, 020055
VuR 2024, 478

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 05.01.2024, Az. 8 O 8498/21, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.283,04 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.07.2022 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass folgende Neufestsetzungen der Prämien in der zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehenden Krankenversicherung mit der Versicherungsnummer 420/069937004 unwirksam waren und der Kläger nicht zur Zahlung des jeweiligen Differenzbetrages verpflichtet war:
a) die Anpassung des Beitrags im Tarif „V222S2P“ zum 01.01.2012 in Höhe von monatlich 111,30 € bis zum 31.12.2021;
b) die Anpassung des Beitrags im Tarif „V222S2P“ zum 01.01.2013 in Höhe von monatlich 27,91 € bis zum 31.12.2021 und
c) die Anpassung des Beitrags im Tarif „V222S2P“ zum 01.01.2020 in Höhe von monatlich 35,05 € bis zum 31.12.2021.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 76% und die Beklagte 24% zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 17.695,68 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit mehrerer Beitragsanpassungen im Rahmen einer privaten Krankenversicherung, die der Kläger seit 2011 bei der Beklagten unterhält.
2
In erster Instanz waren zuletzt die jeweils zum 1. Januar der Jahre 2012, 2013, 2020 und 2021 im Tarif „V222S2P“ erfolgten Beitragsanpassungen Gegenstand des Rechtsstreits, aus deren behaupteter Unwirksamkeit der Kläger die Erstattung von 17.695,68 € forderte.
3
Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird ergänzend auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
4
Das Landgericht hat diese Klage vollständig abgewiesen. Es hat dabei im Wesentlichen darauf abgestellt, dass etwaige Ansprüche des Klägers wegen der bis einschließlich 31.12.2017 gezahlten Beitragsanteile verjährt seien. Die für die Jahre 2020 und 2021 erfolgten Beitragsanpassungen seien formell wirksam.
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Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlichen Klageanträge weiterverfolgt.
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Der Senat hat am 15.07.2024 mündlich zur Sache verhandelt.
II.
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Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg und führt zur Neufassung des Urteilstenors. Die im Berufungsrechtszug maßgeblichen Tatsachen rechtfertigen eine von der des Landgerichts abweichende Entscheidung (§§ 513 Abs. 1, 529 Abs. 1 ZPO). Die Klage ist teilweise begründet.
1. Verjährung
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Das Landgericht hat festgestellt, dass etwaige Ansprüche des Klägers wegen der bis einschließlich 31.12.2017 geleisteten Beitragsanteile verjährt seien (LGU 4). Dem liegt eine unvollständige Würdigung des maßgeblichen Sachverhalts zugrunde. Die Gegenrüge der Beklagten (Berufungserwiderung, Seite 18) macht zu Recht geltend, dass die unter dem 31.12.2021 beim Landgericht eingereichte Klage zu keiner Hemmung der Verjährung hinsichtlich eines bereicherungsrechtlichen Erstattungsanspruchs geführt hat.
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Solche Ansprüche unterliegen der regelmäßigen Verjährung (§ 195 BGB). Bei einem Anspruch des Versicherungsnehmers einer privaten Krankenversicherung auf Rückgewähr von Erhöhungsbeträgen, deren Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprach, erlangt der Versicherungsnehmer grundsätzlich bereits im Zeitpunkt des Zugangs der Änderungsmitteilung Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, sodass die Verjährung der Rückzahlungsansprüche jeweils mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem die erhöhten Prämien gezahlt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 17.11.2021 – IV ZR 113/20, BGHZ 232, 31, juris Rn. 42). Dass der vorliegende Fall eine andere Würdigung rechtfertigt, ist weder vorgetragen worden noch für den Senat ersichtlich.
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Die unter dem 31.12.2021 eingereichte Klage war zwar der Formulierung der Anträge nach als Stufenklage i.S.v. § 254 ZPO gestaltet. Mit einer solchen Form der objektiven Klagehäufung wird grundsätzlich auch der noch unbezifferte Zahlungsanspruch des Klägers sogleich rechtshängig (vgl. BGH, Beschluss vom 18.01.1995 – XII ARZ 36/94, NJW-RR 1995, 513 m.w.N.). Eine rückwirkend auf den Zeitpunkt der Erhebung der Stufenklage eintretende Hemmung der Verjährung des Zahlungsanspruchs setzt jedoch voraus, dass der Anspruchsgrund bereits hinreichend konkret bezeichnet worden ist. Hieran fehlte es dem Antrag zu 3. aus der Klageschrift vom 31.12.2021. Der Kläger hat dort nur einen Antrag auf Zahlung eines nach Erteilung der Auskunft noch zu bestimmenden Betrages angekündigt. Dass dieser Betrag nach Grund und Höhe einen Bezug zu einzelnen – noch zu beauskunftenden – Beitragsanpassungen und deren Unwirksamkeit haben soll, ergibt sich aus der Antragstellung jedoch nicht.
11
Die zunächst erhobene Stufenklage erwies sich zudem als unzulässig. Die im Rahmen der Stufenklage verfolgte Auskunft ist lediglich ein Hilfsmittel, um die (noch) fehlende Bestimmtheit des Leistungsanspruchs herbeizuführen. Die der Stufenklage eigentümliche Verknüpfung von unbestimmtem Leistungsanspruch und vorbereitendem Auskunftsanspruch steht dagegen nicht zur Verfügung, wenn die Auskunft nicht dem Zwecke einer Bestimmbarkeit des Leistungsanspruchs dient, sondern dem Kläger sonstige mit der Bestimmbarkeit als solcher nicht in Zusammenhang stehende Informationen über seine Rechtsverfolgung verschaffen soll. Nach diesen Grundsätzen kam vorliegend eine Stufenklage nicht in Betracht, denn es ging dem Kläger nicht um die Bezifferung eines sich aus einer Rechnungslegung ohne weiteres ergebenden Anspruchs, sondern um eine Prüfung, ob überhaupt ein Anspruch besteht.
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Die im Wege der Umdeutung verbliebene Klage auf Auskunftserteilung hat entgegen § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO den Streitgegenstand nicht hinreichend individualisiert und vermochte die Verjährung des Zahlungsanspruchs nicht gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB zu hemmen (vgl. BGH, Urteil vom 27.09.2023 – IV ZR 177/22, juris Rn. 34).
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Erst mit der Replik des Klägers vom 15.07.2022 wurde eine Klageerweiterung vorgenommen. Es wurden konkrete Beitragsanpassungen zum Gegenstand eines Feststellungsantrags gemacht (darunter im Tarif „V222S2P“) und die Zahlung von 28.272,48 € gefordert. Dieser Betrag wurde unter Bezugnahme auf die „Anspruchskalkulation“ (Anlage K 1) hergeleitet. Der Replikschriftsatz wurde der Beklagten am 19.07.2022 zugestellt, so dass der Zahlungsanspruch damit rechtshängig wurde (§ 261 Abs. 2 ZPO) und die Verjährung gehemmt hat (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Daraus wiederum folgt, dass zu jenem Zeitpunkt alle Ansprüche des Klägers wegen der bis einschließlich 31.12.2018 gezahlten Beitragsanteile verjährt sind.
2. Beitragsanpassungen zum 01.01.2012 und 01.01.2013
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Das Landgericht hat die zum 01.01.2012 und 01.01.2013 erfolgten Beitragsanpassungen keiner formellen Prüfung unterzogen. Dies rügt die Berufung zu Recht. Die Vorinstanz hat insofern verkannt, dass für die im Jahr 2019 – also in unverjährter Zeit – gezahlten Beitragsanteile diese älteren Beitragsanpassungen maßgeblich sind.
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a) Die inhaltlichen Anforderungen an die gemäß § 203 Abs. 5 VVG erforderliche Begründung der Beitragserhöhung sind seit geraumer Zeit höchstrichterlich geklärt (vgl. insbesondere BGH, Urteile vom 16.12.2020 – IV ZR 294/19, NJW 2021, 378 und vom 21.07.2021 – IV ZR 191/20, NJW-RR 2021, 1260). Danach ist die Angabe der Rechnungsgrundlage erforderlich, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst hat. Anzugeben ist auch, dass eine bestimmte Veränderung dieser Umstände die Anpassung aufgrund gesetzlicher Regelungen veranlasst hat. Hierbei muss hinreichend deutlich werden, dass es einen vorab festgelegten Schwellenwert für eine Veränderung der Leistungsausgaben gibt, dessen Überschreitung die in Rede stehenden Prämienanpassungen ausgelöst hat (vgl. BGH, Urteil vom 31.08.2022 – IV ZR 252/20, BeckRS 2022, 23867 Rn. 13). Dagegen muss der Versicherer nicht mitteilen, in welcher Höhe und Richtung sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat. Ebenso wenig ist die Rechtsgrundlage des geltenden Schwellenwertes anzugeben. Der Versicherer hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. des Rechnungszinses, anzugeben.
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Insgesamt dient das Begründungserfordernis nicht der Plausibilitätskontrolle durch den Versicherungsnehmer. Im Übrigen genügt es, wenn sich die erforderliche Begründung aus einer Zusammenschau aller dem Versicherungsnehmer übersandten Unterlagen ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 09.02.2022 – IV ZR 337/20, NJW-RR 2022, 606 Rn. 31; OLG Dresden, BeckRS 2022, 4631).
17
Ob die Mitteilung einer Prämienanpassung den gesetzlichen Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügt, hat der Tatrichter – unter Beachtung der höchstrichterlich herausgearbeiteten Obersätze – im jeweiligen Einzelfall zu prüfen.
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b) Die zum 01.01.2012 und 01.01.2013 im Tarif „V222S2P“ erfolgten Beitragsanpassungen halten einer formellen Prüfung nicht stand. Die rudimentären Informationen lassen sowohl einen Hinweis auf die maßgebliche Rechnungsgrundlage als auch auf den Schwellenwertmechanismus vermissen. Dies genügte nicht den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG.
3. Beitragsanpassung zum 01.01.2020
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Mit Schreiben aus November 2019 nebst beigefügtem Nachtragsversicherungsschein hat die Beklagte eine Erhöhung der Prämie im Tarif „V222S2P“ um monatlich 35,05 € erklärt (Anlage B 5, Seiten 11 ff.).
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Das Schreiben führt aus, dass die Beklagte regelmäßig die Beiträge prüfe und den Kosten anpassen müsse. Dies sei gesetzlich so geregelt. Wegen der Einzelheiten wird auf das beigefügte Informationsblatt verwiesen. In dem mit „Informationen und Hintergründe zur Vertragsänderung zum 01.01.2020“ überschriebenen Beiblatt heißt es (unter anderem):
„Gesetzlich geregelt: jährliche Prüfung
Jedes Jahr prüfen wir neu, ob die tatsächlichen Ausgaben denen entsprechen, die der Beitragskalkulation zugrunde liegen. Wir gleichen dabei auch ab, ob sich die durchschnittlichen Lebenserwartungen geändert haben.
Wenn in einem Tarif die Ausgaben für Leistungen von den kalkulierten deutlich abweichen und diese Änderung nicht vorübergehend ist, müssen wir die Beiträge anpassen. Auch die Prüfung der Lebenserwartungen kann zu einer Beitragsänderung führen. Das ist gesetzlich so geregelt. In diesem Jahr ist der maßgebliche Grund für die Beitragsanpassung die Abweichung in den Leistungsausgaben. Ein unabhängiger Treuhänder prüft die Anpassung und genehmigt sie. Zusätzlich legen wir die Änderung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vor.“
21
Den genannten Angaben konnte ein um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer zwar mit der gebotenen Klarheit entnehmen, dass eine Veränderung der Rechnungsgrundlage „Versicherungsleistungen“ die konkrete Beitragserhöhung ausgelöst hat. Die Begriffe „Ausgaben für Leistungen / Leistungsausgaben“ sind ein Synonym für „Versicherungsleistungen“ (vgl. Senatsbeschluss vom 18.09.2023 – 8 U 810/23, BeckRS 2023, 24824 Rn. 33 m.w.N.). Die Angaben lassen auch ohne weiteres erkennen, dass die Beitragsanpassung im Ausgangspunkt nicht dem individuellen Verhalten des Versicherungsnehmers oder einer willkürlichen unternehmerischen Entscheidung der Beklagten entspringt, sondern einer Verpflichtung aufgrund gesetzlicher Regelungen. Es fehlt jedoch ein unmissverständlicher Hinweis darauf, dass die Anpassung nur erfolgen darf, wenn die festgestellte Abweichung ein gesetzlich oder vertraglich vorgesehenes Ausmaß erreicht hat (sog. Schwellenwertmechanismus). Die Umschreibung, dass die Beitragsanpassung erfolgen müsse, wenn die Ausgaben für Leistungen „deutlich abweichen“, genügt hierfür nicht (so auch LG Münster, Urteil vom 07.08.2023 – 115 O 218/22, juris Rn. 125 f.; vgl. auch OLG Dresden, BeckRS 2024, 3895 Rn. 10, für die Formulierung, dass eine Anpassung erfolge, wenn die Werte „hinreichend genug“ abweichen). Der Bezugnahme auf eine „Deutlichkeit“ kann zwar entnommen werden, dass eine Schwelle überschritten werden muss. Die Existenz eines bestimmten Schwellenwertes, noch dazu eines solchen, der (erstens) im Vorhinein und (zweitens) durch Gesetz oder Vertrag festgelegt worden ist, ergibt sich aus der Formulierung hingegen nicht. Sie schließt nicht aus, dass ein Ermessensspielraum des Versicherers bei der Beurteilung dessen besteht, was er im jeweiligen Einzelfall als „deutliche“ Abweichung ansehen will.
22
Die Begründung war für einen Empfänger ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse daher nicht ausreichend klar und verständlich. An seiner gegenteiligen Auffassung zu vergleichbaren Begründungsschreiben der hiesigen Beklagten (vgl. etwa Hinweisbeschluss vom 21.11.2022 – 8 U 1621/22, BeckRS 2022, 36090 Rn. 21 und Urteil vom 15.05.2023 – 8 U 3216/22, juris Rn. 18) hält der Senat nicht länger fest. Hierauf waren die Parteien mit Verfügung vom 28.05.2024 hingewiesen worden.
4. Beitragsanpassung zum 01.01.2022
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Mit Schreiben aus November 2021 nebst beigefügtem Nachtragsversicherungsschein hat die Beklagte eine Erhöhung der Prämie im Tarif „V222S2P“ um monatlich 90,05 € erklärt (Anlage B 5, Seiten 17 ff.).
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In dem beigefügten Informationsblatt „Warum ändert sich Ihr Vertrag? Hier finden Sie genauere Informationen“ werden sowohl der Schwellenwertmechanismus als auch der maßgebliche Grund für die Neuberechnung – eine Abweichung bei den Versicherungsleistungen – in verständlicher Weise erläutert. Das genügt dem Begründungserfordernis des § 203 Abs. 5 VVG, so dass sich die Beitragsanpassung als formell wirksam erweist.
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Die genannte Beitragsanpassung bildete fortan eine Rechtsgrundlage für den neu kalkulierten Prämienanspruch der Beklagten in seiner Gesamthöhe. Ob eine frühere Prämienerhöhung fehlerhaft war, ist für die Wirksamkeit der Neufestsetzung und der daraus folgenden erhöhten Beitragspflicht des Versicherungsnehmers ohne Bedeutung (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 314/19, r+s 2021, 95 Rn. 54).
5. Zusammenfassung
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Aus der festgestellten formellen Unwirksamkeit sowie unter Berücksichtigung der Verjährung und wirksamer Folgeanpassungen sowie befristeter Gutschriften ergibt sich folgender Erstattungsanspruch des Klägers gemäß §§ 812 Abs. 1 Satz 1, 818 Abs. 1 und 2 BGB:
12 Monate (Januar 2019 bis Dezember 2019) x 139,21 € = 1.670,52 €
24 Monate (Januar 2020 bis Dezember 2021) x 174,26 € = 4.182,24 €
abzgl. Gutschrift 12 Monate (Januar 2020 bis Dezember 2020) x 93,48 € = – 1.121,76 €
abzgl. Gutschrift 12 Monate (Januar 2021 bis Dezember 2021) x 37,33 € = – 447,96 €
Summe 4.283,04 €
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Dieser Anspruch ist gemäß §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB zu verzinsen. Hinsichtlich des Eintritts der Rechtshängigkeit wird auf die Ausführungen unter II. 1. verwiesen.
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6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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7. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die unterschiedliche tatrichterliche Würdigung der Frage, ob eine bestimmte Formulierung in den Beitragserhöhungsschreiben eines Krankenversicherers den in der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen genügt, stellt keine die Revisionszulassung erfordernde Divergenz dar (vgl. OLG Dresden, MDR 2023, 802, 803).
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8. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde gemäß §§ 47 Abs. 1 und 2, 48 Abs. 1 GKG, §§ 3, 9 ZPO festgesetzt.