Inhalt

LG Regensburg, Endurteil v. 05.06.2024 – 71 O 1568/23
Titel:

Widerrufsfrist bei Widerruf durch Verbraucher und fehlender Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung

Normenkette:
BGB § 312g Abs. 1, § 355 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die fehlende Angabe einer für das Unternehmen verfügbaren Telefonnummer in einer Widerrufsbelehrung führt auch dann zur Unwirksamkeit der Belehrung, wenn die Widerrufsbelehrung insgesamt nicht der Muster-Widerrufsbelehrung entspricht. (Rn. 35 – 47) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Nutzung eines PKW nach Erklärung des Widerrufs des Kaufvertrags über den PKW ist nicht rechtsmissbräuchlich. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Online-Kaufvertrag, PKW, fehlerhaft Widerrufsbelehrung, Muster, Widerrufsfrist, Annahmeverzug
Fundstelle:
BeckRS 2024, 19994

Tenor

1. Das Versäumnisurteil vom 11.10.2023 wird mit der Maßgabe aufrecht erhalten, dass unter 1. die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 62.720,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.07.2023 Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs … zu zahlen hat.
2. Die Beklagte hat die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil darf nur fortgesetzt werden, wenn diese Sicherheit geleistet ist.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Rückabwicklung eines Kaufvertrages aufgrund Widerrufs.
2
Am 20.7.2022 bestellte der Kläger bei der Beklagten, die Fahrzeuge derc … herstellt und vertreibt, einen Pkw dieser Marke, … Lackierung … mit Sonderwünschen des Klägers etwa bezüglich der … welche auf der Website der Beklagten vorausgewählt werden konnten (Fahrzeugbestellvertrag, Anlage K1). Die Kommunikation zwischen den Parteien fand dabei ausschließlich über die Internetseite der Beklagten und unter der Angabe der privaten Kontaktdaten des Klägers statt.
3
Bei Vertragsschluss wurde folgende Widerrufsbelehrung an den Kläger übermittelt:
„Widerrufsbelehrung
Widerrufsrecht
Wenn Sie ein Verbraucher sind und diesen Vertrag ausschließlich unter der Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (wie z.B. über das Internet, per Telefon, E-Mail o.ä.) geschlossen haben, haben Sie das Recht, binnen vierzehn Tagen ohne Angabe von Gründen diesen Vertrag nach den nachstehenden Regelungen zu widerrufen.
Die Widerrufsfrist beträgt vierzehn Tage ab dem Tag, an dem Sie oder ein von Ihnen benannter Dritter, der nicht der Beförderer ist, die Waren in Besitz genommen haben bzw. hat.
Um Ihr Widerrufsrecht auszuüben, müssen Sie uns … mittels einer eindeutigen Erklärung (z.B. ein mit der Post versandter Brief, Telefax oder E-Mail) über Ihren Entschluss, diesen Vertrag zu widerrufen, informieren. Sie können dafür das beigefügte Muster-Widerrufsformular verwenden, das jedoch nicht vorgeschrieben ist.
Zur Wahrung der Widerrufsfrist reicht es aus, dass Sie die Mitteilung über die Ausübung des Widerrufsrechts vor Ablauf der Widerrufsfrist absenden.
Folgen des Widerrufs
Wenn Sie diesen Vertrag widerrufen, haben wir Ihnen alle Zahlungen, die wir von Ihnen erhalten haben, einschließlich der Lieferkosten (mit Ausnahme der zusätzlichen Kosten, die sich daraus ergeben, dass Sie eine andere Art der Lieferung als die von uns angebotene, günstigste Standardlieferung gewählt haben), unverzüglich und spätestens binnen vierzehn Tagen ab dem Tag zurückzuzahlen, an dem die Mitteilung über Ihren Widerruf dieses Vertrags bei uns eingegangen ist. Für diese Rückzahlung verwenden wir dasselbe Zahlungsmittel, das Sie bei der ursprünglichen Transaktion eingesetzt haben, es sei denn, mit Ihnen wurde ausdrücklich etwas anderes vereinbart; in keinem Fall werden Ihnen wegen dieser Rückzahlung Entgelte berechnet. Wir können die Rückzahlung verweigern, bis wir die Waren wieder zurückerhalten haben oder bis Sie den Nachweis erbracht haben, dass Sie die Waren zurückgesandt haben, je nachdem, weiches der frühere Zeitpunkt ist.
Sie haben die Waren unverzüglich und in jedem Fall spätestens binnen vierzehn Tagen ab dem Tag, an dem Sie uns über den Widerruf dieses Vertrags unterrichten, an … oder an Ihr örtliches Tesla Delivery Center zurückzusenden oder zu übergeben. Die Frist ist gewahrt, wenn Sie die Waren vor Ablauf der Frist von vierzehn Tagen absenden.
Sie tragen die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren.
Sie müssen für einen etwaigen Wertverlust der Waren nur aufkommen, wenn dieser Wertverlust auf einen zur Prüfung der Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise der Waren nicht notwendigen Umgang mit Ihnen zurückzuführen ist.“
4
Ferner war ein als Muster-Widerrufsformular folgender Text beigefügt:
„Muster-Widerrufsformular
(Wenn Sie den Vertrag widerrufen Wollen, dann füllen Sie bitte dieses Formular aus und senden Sie es zurück.)
-
Hiermit widerrufe(n) ich/wir (*) den von mir/uns (*) abgeschlossenen Vertrag über den Kauf der folgenden Waren (*)/die Erbringung der folgenden Dienstleistung (*)
-
Bestellt am (*)/erhalten am (*)
-
Name des/der Verbraucher(s)
-
Anschrift des/der Verbraucher(s)
-
Unterschrift des/der Verbraucher(s) (nur bei Mitteilung auf Papier)
-
Datum
… (*) Unzutreffendes streichen.“
5
In der vorstehend abgedruckten Belehrung und dem Muster-Widerrufsformular ist somit jeweils keine Telefonnummer der Beklagten angegeben, unter der ein etwaiger Widerruf erklärt werden könnte.
6
Am 14.9.2022 wurde der Pkw an den Kläger übergeben.
7
Am 7.7.2023 schrieb der Kläger eine E-Mail (Anlage K2) an die Beklagte mit folgendem Inhalt:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
den Kaufvertrag mit der Bearbeitungsnummer … widerrufe ich hiermit.
Ich fordere Sie daher zur Erstattung bis zum 22.07.2023 eingehend auf meinem …
Mit freundlichen Grüßen
8
Der Kläger trägt vor, am 20.7.2023 habe er die Niederlassung der Beklagten … aufgesucht und den anwesenden Mitarbeiter der Beklagten aufgefordert, den Pkw zurückzunehmen, was verweigert worden sei.
9
Mit Schreiben vom 8.8.2023 (Anlage K3) wurde der Beklagten eine (weitere) Frist zur Rückzahlung des Kaufpreises bis zum 22.8.2023 gesetzt, weiche erfolglos verstrich.
10
Der Kläger meint, er habe den Kaufvertrag wirksam widerrufen, weshalb die erfolgten Leistungen rückabzuwickeln seien. Insbesondere sei der Widerruf nicht verfristet, da die Widerrufsbelehrung fehlerhaft gewesen sei.
11
Mit gerichtlicher Verfügung vom 15.9.2023, die der Beklagten am 20.9.2023 durch Übergabe unter der Zustellungsanschrift zugestellt worden ist, ist das schriftliche Vorverfahren angeordnet worden. Die Beklagte ist aufgefordert worden, ihre Verteidigungsbereitschaft innerhalb einer Notfrist von 2 Wochen anzuzeigen; über die Möglichkeit des Erlasses eines Versäumnisurteils und der Folgen ist sie belehrt worden.
12
Es ist keine Reaktion der Beklagten erfolgt, sodass sie am 11.10.2023 antragsgemäß durch Versäumnisurteil mit folgendem Inhalt verurteilt worden ist:
1.
„Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 62.720,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.07.2023 Zug um Zug gegen Herausgabe des … .
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 24.07.2023 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands im Annahmeverzug befindet.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den vorgerichtlichen nicht anrechenbaren Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.085,82 EUR freizustellen.
4.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.“
13
Dieses Versäumnisurteil ist der Beklagten am 18.10.2023 durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt worden, dem Kläger ist es am 16.10.2023 durch Zustellung an seinen Prozessbevollmächtigten zugegangen.
14
Mit Schreiben vom 25.10.2023, das am selben Tag bei Gericht eingegangen ist, hat die Beklagte Einspruch gegen das Versäumnisurteil vom 11.10.2023 eingelegt.
15
Der Kläger beantragt zuletzt:
Das Versäumnisurteil vom 11.10.2023 wird aufrechterhalten,
hilfsweise:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 62.720,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.07.2023 nach Übergabe und Übereignung … zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte spätestens seit dem 24.07.2023 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands im Annahmeverzug befindet.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche nicht anrechenbare Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.085,82 EUR zu zahlen.
16
Der Beklagte beantragt:
Das Versäumnisurteil vom 11.10.2023 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
17
Die Beklagte meint, eine Angabe der Telefonnummer sei keine Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Widerrufsbelehrung. Die Widerrufsbelehrung sei wirksam gewesen, sodass die Widerrufsfrist von 14 Tagen bei Erklärung des Widerrufs bereits verstrichen war. Mangels wirksamen Widerrufs sei der Kaufpreis nicht zurückzugewähren.
18
Hilfsweise rechnet die Beklagte mit einem Anspruch auf Wertersatz i.H.v. 26.020,00 EUR aus § 357 a Abs. 1 BGB auf, da an dem Fahrzeug ein Wertverlust in dieser Höhe entstanden sei, der auf einen Umgang des Klägers zurückzuführen sei, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise des Fahrzeugs nicht notwendig war.
19
Jedenfalls meint die Beklagte, sie befinde sich nicht in Annahmeverzug. Der Rückgabeversuch in Regensburg werde bestritten. Der Kläger habe der Beklagten das Fahrzeug zu keinem Zeitpunkt ordnungsgemäß zur Rücknahme angeboten. Konkret sei eine vorherige Terminabsprache mit der Beklagten erforderlich gewesen, damit diese am Übergabetag ausreichende personelle und örtliche Kapazitäten habe vorhalten könne, um eine Untersuchung des Wagens auf etwaige Beschädigungen, die Prüfung des Vorliegens aller erforderlicher Unterlagen und des Zubehörs sowie das Vorhalten eines dauerhaften Abstellplatzes zu ermöglichen.
20
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze und das Sitzungsprotokoll vom 16.4.2023.

Entscheidungsgründe

21
Auf zulässigen Einspruch hin erweist sich die zulässige Klage als begründet – dies bezüglich Klageantrag 1. unter Präzisierung der Zug-um-Zug-Verpflichtung –, sodass mit der Maßgabe einer Korrektur der Zug-um-Zug-Bestimmung das Versäumnisurteil aufrecht zu erhalten ist (§ 343 S. 1 ZPO).
A.
22
Der Einspruch gegen das Versäumnisurteil vom 11.10.2023 ist zulässig. Er ist statthaft, § 338 ZPO, und wurde form- und fristgerecht eingereicht, §§ 339, 340 ZPO.
B.
23
Die Klage ist zulässig. Sie ist bei dem sachlich zuständigen Gericht erhoben worden, §§ 1 ZPO, 23 Nr. 1, 71 GVG.
24
Die Klage ist auch am örtlich zuständigen Landgericht Regensburg anhängig gemacht worden. Der Gerichtsstand folgt aus § 29 ZPO, nach welchem am Erfüllungsort einer vertraglichen Verpflichtung geklagt werden kann. Dies ist bei einer Rückzahlung des Kaufpreises im Rahmen einer Rückabwicklung aus einem bereits erfüllten Kaufvertrag der Belegenheitsort der Sache.
25
Nicht maßgeblich ist, ob diese Rückabwicklung auf Mängelgewährleistung oder auf anderen Gründen, wie hier einem Widerruf, beruht. § 29 ZPO ist insofern nach seinem Zweck zu interpretieren. Diesem entspricht es wiederum, dem Verbraucher einen Rückabwicklungsprozess an seinem Wohnort als dem Belegenheitsort der Sache zuzugestehen.
C.
26
Die Klage ist – hinsichtlich des ursprünglichen Begehrens in Klageantrag 1. aber in Form des mit Schriftsatz vom 20.12.2023 formulierten (Hilfs-)Antrags – begründet.
27
I. Das Klagebegehren, wie es dem ursprünglichen Antrag entsprach und diesem folgend im Versäumnisurteil vom 11.10.2023 zugesprochen wurde, ist insofern zu korrigieren, als der Kläger Rückzahlung des Kaufpreises lediglich Zug um Zug gegen Rückgabe der Kaufsache verlangt. Der Zahlungsanspruch kann jedoch nur Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung der Kaufsache verlangt werden, da dies die spiegelbildliche Rückabwicklung der gegenseitigen Kaufvertragspflichten aus § 433 Abs. 1 und Abs. 2 BGB darstellt.
28
Mit dieser Maßgabe ist der Anspruch des Klägers auf Zahlung von 62.720 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung aus §§ 312 g Abs. 1, § 355 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, § 357 Abs. 1 BGB begründet.
29
Eine Teil-Klageabweisung ist insofern nicht auszusprechen, da es sich um eine Präzisierung der ursprünglich formulierten Zug-um-Zug-Verpflichtung handelt, aber kein Zurücktreten dieser gegenüber. Es war erkennbar immer Ziel des Klägers, die gegenseitigen Leistungen aus dem Kaufvertrag vollständig rückabzuwickeln. Es ist in keiner Hinsicht anzunehmen, dass er hierbei ursprünglich keine Rückübereignung gewähren wollte, sodass deren Fehlen im ursprünglichen Antrag lediglich eine Ungenauigkeit in der Formulierung darstellte.
30
1. Ein Widerrufsrecht gem. §§ 355, 312 g I BGB steht dem als Verbraucher (§ 13 BGB) zu nicht überwiegend gewerblichen oder beruflichen Zwecken handelnden Kläger gegen die Beklagte, die gem. § 14 BGB als Unternehmer handelt, nach dem Verbrauchsgüterkauf über das Internet grundsätzlich zu. Das Widerrufsrecht ist auch nicht wegen einer individuell angefertigten Ware nach § 312 g II Nr. 1 BGB ausgeschlossen, da es sich bei den vom Kläger bestimmten Fahrzeugmodifikationen um auf der Website der Beklagten vorgesehene Auswahlmöglichkeiten handelt, die nicht dazu führen, dass die Beklagte das Fahrzeug nicht anderweitig verkaufen könnte. Es handelt sich nicht um eine Maßanfertigung im Sinne der Norm, für die die Beklagte bzw. andere Käufer keine Verwendung haben.
31
2. Auch eine Widerrufserklärung (§ 355 I S. 2 BGB) seitens des Klägers ist erfolgt mit der E-Mail am 7.7.2023.
32
3. Der Widerruf war auch nicht verfristet.
33
a) Grundsätzlich beginnt die 14-tägige Widerrufsfrist mit Übergabe der Kaufsache, §§ 355 II, 356 II Nr. 1 a BGB. Die Übergabe des Pkw erfolgte am 14.9.2022. Damit endete die Frist mit Ablauf des 28.9.2022, § 188 II BGB.
34
b) Im vorliegenden Fall galt aber nach §§ 356 III S. 2, 355 II S. 2, 356 II Nr. 1 a BGB eine verlängerte Widerrufsfrist von 12 Monaten und 14 Tagen wegen Fehlern in der Widerrufsbelehrung. Diese Frist wurde mit dem Widerruf des Klägers gewahrt.
35
Die vorliegend fehlende Angabe einer Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung löst nämlich diese Verlängerung aus.
36
(1) Der Unternehmer muss den Verbraucher gem. Art. 246a § 1 II S. 1 Nr. 1 EGBGB über die Bedingungen, das Verfahren und die Möglichkeit der Verwendung eines Muster-Widerrufsformulars (Anlage 2) belehren. Auf diese Norm – spezifisch auf diesen Absatz – verweist für den Beginn des Fristlaufs § 356 II S. 1 BGB.
37
Die Widerrufsbelehrung der Beklagten war jedoch unzureichend, weil sie mit der fehlenden Angabe einer Telefonnummer den Eindruck erweckte, ein Widerruf sei nicht telefonische möglich, und damit über das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts nicht korrekt informierte.
38
(2) In seiner Entscheidung BGH, Urteil vom 24.09.2020 – I ZR 169/17, hat der BGH nicht allein einen Wettbewerbsverstoß bei der Nichtangabe der verfügbaren Telefonnummer festgestellt, sondern vielmehr auch einen Verstoß gegen Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB.
39
Der Bundesgerichtshof stellt dar, dass die verfügbare Telefonnummer zu den Informationen gehört, die zur Kontaktaufnahme mit dem Unternehmer anzugeben sind. (BGH, Urteil vom 24.09.2020 – I ZR 169/17, Rn. 39 – Zitierung der Randnummern, auch im Folgenden, nach Juris).
40
Die Leitsätze der Entscheidung lauten:
„a) Die in § 312 d BGB und Art. 246a EGBGB enthaltenen Regelungen über die Informationen, die die Unternehmer den Verbrauchern in Fällen zu geben haben, in denen diesen ein Widerrufsrecht nach § 312 g Abs. 1 BGB zusteht, stellen dem Schutz der Verbraucher dienende Marktverhaltensregelungen im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG a.F. (§ 3 a UWG) dar.
b) Eine Telefonnummer ist verfügbar und daher von einem Unternehmer bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen in einer Widerrufsbelehrung anzugeben, wenn sie dergestalt auf der Website des Unternehmers zu finden ist, dass einem Durchschnittsverbraucher suggeriert wird, dass der Unternehmer diese Telefonnummer für seine Kontakte mit Verbrauchern nutzt.“
41
Eine Einschränkung hinsichtlich Erforderlichkeit der Telefonnummer ausschließlich bei der Verwendung einer Musterwiderrufsbelehrung nach Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Anl. 1 EGBGB macht der BGH nicht.
42
In den vom BGH angegebenen Paragrafen wird explizit Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und S. 2 i.V.m. Anl. 1 EGBGB angegeben.
43
Der Bundesgerichtshof kommt zu dem Ergebnis, dass mit der fehlenden Angabe der verfügbaren Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung auch ein Verstoß gegen Art. 246 a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB liegt und nicht nur ein Verstoß gegen die „sonstigen Informationspflichten“ nach Art. 246a § 1 Abs. 1 EGBGB:
„Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass die Klägerin wettbewerbswidrig gehandelt hat, soweit sie in der Widerrufsbelehrung die bei ihr verfügbare Telefonnummer entgegen § 312 d Abs. 1 Satz 1 BGB und Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 in Verbindung mit Anlage 1 EGBGB nicht angegeben hat.“ (BGH, Urteil vom 24.09.2020 – I ZR 169/17, Rn. 21)
„Dem Verbraucher steht nach § 312 g Abs. 1 BGB bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (§ 312 b BGB) und bei Fernabsatzverträgen (§ 312 c BGB) ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zu. Der Unternehmer ist nach § 312 d Abs. 1 Satz 1 BGB und Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB verpflichtet, den Verbraucher über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung eines diesem nach § 312 g Abs. 1 BGB zustehenden Widerrufsrechts nach § 355 Abs. 1 BGB zu informieren.“ (BGH, Urteil vom 24.09.2020 – I ZR 169/17, Rn. 26).
44
Der Bundesgerichtshof stützt den Verstoß gegen die Marktverhaltensregeln somit nicht auf das Fehlen der Telefonnummer aufgrund der Informationspflicht nach Art. 246 a § 1 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB, sondern ausdrücklich auf Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB.
45
In seiner Entscheidung stellt der Bundesgerichtshof mithin auf die „widerrufsbezogenen Informationspflichten“ (Art. 246a § 1 Abs. 2 EGBGB) und nicht die „sonstigen Informationspflichten“ (Art. 246a § 1 Abs. 1 EGBGB) ab.
46
(3) Richtig ist, dass der BGH als Rechtsnormen „Art. 246 a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 in Verbindung mit Anlage 1 EGBGB angibt (Hervorhebung durch das Gericht), somit nicht ausdrücklich klarstellt, ob die Wiedergabe der Telefonnummer auch in solchen Fällen erforderlich ist, in denen nicht die Widerrufsbelehrung nach S. 2 der Vorschrift benutzt wird.
47
Dies ist allerdings bei sorgfältiger Erwägung und Auslegung zu bejahen (im Folgenden kann das Gericht weitgehend die überzeugenden Ausführungen im Schriftsatz der Klägerseite vom 20.12.2023 übernehmen):
(a) Wortlaut des Art. 246 a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB:
§ 356 Abs. 3 BGB stellt für den Beginn der Widerrufsfrist auf Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB a.F. ab. Hier heißt es wörtlich:
„(2) Steht dem Verbraucher ein Widerrufsrecht nach § 312 g Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu, ist der Unternehmer verpflichtet, den Verbraucher zu informieren
1. über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts nach § 355 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie das Muster-Widerrufsformular in der Anlage 2,“
Der Unternehmer ist nach dem Wortlaut der angeführten Norm verpflichtet, über „das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts“ zu informieren. Der Begriff „Verfahren“ beschreibt, auf welche Art und Weise der Widerruf durchgeführt wird. Unerlässlich ist hierfür ist seitens des Unternehmers, auch darauf hinzuweisen, an welche Empfängeradresse (E-Mail, Anschrift Fax und Telefonnummer) der Widerruf für die rechtswirksame Einlegung zu richten ist.
(b) Systematische Auslegung
Richtig ist, dass § 356 Abs. 3 für den Beginn der Widerrufsfrist bei Fernabsatzverträgen (§ 312 c BGB) auf Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB und nicht auf Abs. 1 verweist.
Hieraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass Angaben, die unter Abs. 1 aufgeführt werden, nicht von Abs. 2 Nr. 1 mitumfasst sein können. So ist offensichtlich, dass der Unternehmer im Sinne des Abs. 2 S. 1 Nr. 1 seine Anschrift mitteilen muss, wenngleich das Erfordernis auch nach Abs. 1 Nr. 2 besteht.
In Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 2 EGBGB räumt der Gesetzgeber dem Unternehmer ein, dass er „diese Informationspflichten“ dadurch erfüllen kann, dass er das in der Anlage 1 vorgesehene Muster für die Widerrufsbelehrung zutreffend ausgefüllt in Textform übermittelt.
Mit „diese Informationspflichten“ sind bei systematischer Auslegung diejenigen Informationspflichten zu verstehen, die sich aus Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 EGBGB ergeben.
Folglich erfüllt der Unternehmer seine Informationspflichten, wenn er diejenigen Angaben, die auch in der Musterwiderrufsbelehrung enthalten sind, dem Verbraucher zur Verfügung stellt. Es lassen sich keine Anzeichen dafür finden, dass in dem Muster für die Widerrufsbelehrung überobligatorische Informationen enthalten sind.
Das Widerrufsrecht des Verbrauchers gehört zu den gesetzlich geregelten Informationspflichten und ist komplex gestaltet. Damit ist durchaus naheliegend, dass eine Widerrufsbelehrung nicht ordnungsgemäß erteilt wird. Um dieser Problemlage abzuhelfen, hat zur Vereinfachung der gesetzlichen Informationspflichten hat der Gesetzgeber die Musterwiderrufsbelehrungen für unterschiedliche Fallkonstellationen entworfen. Macht der Unternehmer von diesen Gebrauch, greift bei ordnungsgemäßer Verwendung eine gesetzliche Privilegierung zu seinen Gunsten ein. Mit der Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 2 EGBGB wird dem Unternehmer die Erfüllung der Informationspflichten durch die Verwendung gesetzlich vorgesehener Muster erleichtert und damit mehr Rechtssicherheit geschaffen.
Es kann diesem Regelungskontext auch nach seinem Sinn und Zweck nicht entnommen werden, dass irgendeine, wie auch immer gestaltete – also nicht regelkonforme – Widerrufsbelehrung genügen soll.
Hätte der Gesetzgeber irgendeine Belehrung genügen lassen wollen, so hätte er nicht Art. 246a EGBGB in Bezug nehmen müssen, sondern der Gesetzgeber hätte diese Regelung ganz entfallen lassen können.
Aus systematischer Auslegung folgt somit: Eine von der Muster-Widerrufsbelehrung abweichende Widerrufsbelehrung ist möglich, birgt aber die Gefahr, bei unzureichenden Informationen unwirksam zu sein. Ein Schluss, dass Angaben, die in der Muster-Widerrufsbelehrung enthalten sind, in einer selbstformulierten Widerrufsbelehrung überflüssig wären, wäre widersinnig.
Vielmehr ist eher naheliegend, dass die Informationen in der Muster-Widerrufsbelehrung als Anhaltspunkt zu verstehen sind, welche Informationen für eine ausreichende Widerrufsbelehrung erforderlich sind. Soweit also in der Muster-Widerrufsbelehrung eine Telefonnummer vorgesehen ist, so ist systematisch naheliegend, dass diese vom Gesetzgeber auch als für eine selbstformulierte Widerrufsbelehrung erforderlich angesehen ist.
(c) historische Auslegung
Auch bei historischer Auslegung ist davon auszugehen, dass die Angabe der Telefonnummer für die ordnungsgemäße Belehrung nach Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB erforderlich war.
Der Gesetzgeber unterscheidet zunächst zwischen den sogenannten „sonstigen Informationspflichten“ (Art. 246a § 1 Abs. 1 EGBGB) und den „widerrufsbezogenen Informationspflichten“ (Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB).
Grundsätzlich sollen die Angaben der „widerrufsbezogenen Informationspflichten“ für den Beginn der Widerrufsfrist ausreichen. Ausnahmsweise sollen auch die sonstigen Informationspflichten, die für die Durchführung des Widerrufs ohne Relevanz sind, bei Verträgen über Finanzdienstleistungen ebenfalls aufgrund der besonderen Bedeutung dieser Verträge erforderlich sein.
So heißt es in der Drucksache 17/12637 des Deutschen Bundestages zu § 356 Abs. 3 BGB:
„Absatz 3 stellt klar, dass die Widerrufsfrist nicht beginnt, bevor der Unternehmer seine Informationspflichten zum Widerrufsrecht erfüllt hat. Auch dies entspricht der bisherigen Rechtslage.
Die insoweit relevanten Informationspflichten sind dabei in Artikel 246a § 1 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 EGBGB-E bzw. bei Verträgen über Finanzdienstleistungen in Artikel 246b § 2 Absatz 1 EGBGB-E geregelt.
Allerdings wird der Beginn der Widerrufsfrist mit Ausnahme von Verträgen über Finanzdienstleistungen zukünftig nicht mehr von der Erfüllung der sonstigen Informationspflichten abhängen wie dies bislang der Fall ist, § 312 d Absatz 2 BGB.“
Der Gesetzgeber hat in der Drucksache mit dieser Formulierung zum Ausdruck bringen wollen, dass der Unternehmer seine Informationspflichten zum Widerrufsrecht erfüllen muss, damit die Widerrufsfrist in Gang gesetzt werden kann. Verstöße gegen die „sonstigen Informationspflichten“, die in Artikel 246a § 1 Abs. 1 BGB aufgelistet werden, sollen hingegen nicht das Ingangsetzen der Widerrufsfrist hindern.
Dabei beschreibt Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB zunächst, welche Informationen grundsätzlich widerrufsbezogen sind. Danach hat der Unternehmer über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts nach § 355 Absatz 1 BGB zu informieren.
Welche Angaben konkret für die ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung erforderlich sind, lässt sich aus Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB in Verbindung mit der Anlage 1 entnehmen.
Es ist weder vom Gesetzgeber beabsichtigt, noch ersichtlich, dass die Musterwiderrufsbelehrung überobligatorisch Informationen enthält.
Demnach handelt es sich bei der Angabe der Telefonnummer nicht um eine „sonstige Informationspflicht“ im Sinne des Art. 246a § 1 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB, sondern um eine widerrufsbezogene Informationspflicht im Sinne von Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB.
(d) verfassungs- und EU-konforme Auslegung
Auch bei Auslegung der Verbraucherrichtlinie 2011/83/EU ist davon auszugehen, dass die verfügbare Telefonnummer eine wesentliche Information und mithin zwingender Bestandteil der Information über das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts ist.
(aa) Artikel 6 Abs. 1 lit. h) der Richtlinie 2011/83/EU, besagt wörtlich:
„Bevor der Verbraucher durch einen Vertrag im Fernabsatz oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag oder ein entsprechendes Vertragsangebot gebunden ist, informiert der Unternehmer den Verbraucher in klarer und verständlicher Weise über Folgendes: (…)
h) im Falle des Bestehens eines Widerrufsrechts die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung dieses Rechts gemäß Artikel 11 Absatz 1 sowie das Muster-Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B;“
In Artikel 11 heißt es weiter:
„1) Der Verbraucher informiert den Unternehmer vor Ablauf der Widerrufsfrist über seinen Entschluss, den Vertrag zu widerrufen. Der Verbraucher kann zu diesem Zweck entweder
a) das Muster-Widerrufsformular des Anhangs I Teil B verwenden oder
b) eine entsprechende Erklärung in beliebiger anderer Form abgeben, aus der sein Entschluss zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgeht.
Die Mitgliedstaaten legen für das Muster-Widerrufsformular keine weiteren Formvorschriften außer den in Anhang I Teil B genannten fest.“
Dem europäischen Gesetzgeber war es also von besonderer Bedeutung, dass der Widerruf nicht durch Formvorschriften erschwert werden darf. Es handelt sich mithin um eine wesentliche Frage des Verfahrens für die Ausübung des Widerrufsrechts.
(bb) Durch die fehlende Angabe der Telefonnummer bzw. der Mitteilung, dass der Widerruf auch telefonisch erfolgen kann, erweckt die Beklagte den Eindruck, dass ein fernmündlich erklärter Widerruf nicht rechtswirksam möglich ist.
In der bereits angeführten Entscheidung vom 24.09.2020 führte der Bundesgerichtshof in seinen Leitsätzen aus:
„Die Nichtangabe einer (verfügbaren) Telefonnummer in der dem Verbraucher zu erteilenden Widerrufsbelehrung ist geeignet, diesen glauben zu machen, er könne sein Widerrufsrecht nicht fernmündlich ausüben, und ihn daher von der Ausübung dieses Rechts abzuhalten. Eine solche Nichtangabe ist geeignet die Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen.“
Dies begründet der BGH wie folgt:
„Eine Eignung zur spürbaren Beeinträchtigung der Verbraucherinteressen kann danach nur dann angenommen werden, wenn der Verbraucher die Information je nach den Umständen für eine informierte geschäftliche Entscheidung benötigt und das Vorenthalten dieser Information geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte (vgl. BGH, GRUR 2019, 82 Rn. 30 und 31 – Jogginghosen; BGH, Urteil vom 7. März 2019 – I ZR 184/17, GRUR 2019, 746 Rn. 26 bis 28 = WRP 2019, 874 – Energieeffizienzklasse III; Urteil vom 28. März 2019 – I ZR 85/18, GRUR 2019, 641 Rn. 30 bis 33 = WRP 2019, 724 – Kaffeekapsein; Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen a.a.O. § 3 a Rn. 1.19; MünchKomm. UWG/Schaffert a.a.O. § 3a Rn. 17; Büscher, WRP 2019, 1249, 1250 [Rn. 6], jeweils m.w.N.). So verhält es sich im Streitfall (vgl. unten Rn. 34 bis 36).“ (BGH, Urteil vom 24.09.2020 – I ZR 169/17, Rn. 24).
„Für das Erfordernis der Spürbarkeit im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG a.F. kann nichts Abweichendes gelten. Besteht der Verstoß gegen eine Marktverhaltensregelung darin, dass dem Verbraucher eine wesentliche Information vorenthalten wird, ist dieser Verstoß nur dann spürbar im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG a.F., wenn er die ihm vorenthaltene wesentliche Information je nach den Umständen benötigt, um eine informierte Entscheidung zu treffen, und deren Vorenthalten geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
Den Unternehmer, der geltend macht, dass der Verbraucher – abweichend vom Regelfall – eine ihm vorenthaltene wesentliche Information für eine Kaufentscheidung nicht benötigt und dass das Vorenthalten dieser Information den Verbraucher nicht zu einer anderen Kaufentscheidung veranlassen kann, trifft insoweit allerdings eine sekundäre Darlegungslast.
Der Verbraucher wird eine wesentliche Information im Allgemeinen für eine informierte Kaufentscheidung benötigen. Ebenso wird, sofern im konkreten Fall keine besonderen Umstände vorliegen, grundsätzlich davon auszugehen sein, dass das Vorenthalten einer wesentlichen Information, die der Verbraucher nach den Umständen benötigt, um eine informierte Entscheidung zu treffen, geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er bei der geboten gewesenen Information nicht getroffen hätte (BGH, GRUR 2019, 82 Rn. 32 – Jogginghosen, m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben erweist sich die Bejahung der Spürbarkeit des von der Klägerin begangenen Verstoßes durch das Berufungsgericht als im Ergebnis richtig. Die Nichtangabe der Telefonnummer in der dem Verbraucher zu erteilenden Widerrufsbelehrung ist geeignet, diesen glauben zu machen, er könne sein Widerrufsrecht nicht fernmündlich ausüben, und ihn daher von der Ausübung dieses Rechts abzuhalten (vgl. MünchKomm. UWG/Schaffert a.a.O. § 3 a Rn. 483 und 438).“ (BGH, Urteil vom 24.09.2020 – I ZR 169/17, Rn. 34-36).
(3) Kein rechtsmissbräuchliches Verhalten
Dem Kläger ist auch kein rechtsmissbräuchliches oder widersprüchliches Verhalten anzulasten.
(a) Nutzung des Pkw nach Erklärung des Widerrufs
Kein Rechtsmissbrauch ist in der Nutzung des Pkw nach Erklärung des Widerrufs zu sehen.
(aa) Von einem Verbraucher kann nicht erwartet werden, dass er sich bei einem hochpreisigen Kaufgegenstand wie dem streitgegenständlichen Pkw einen zweiten Pkw zulegt, den streitbefangenen Pkw abmeldet und nicht weiter nutzt, mit der Gefahr, den streitbefangenen Pkw nicht zurückgeben zu können.
Ein Pkw gehört zum täglichen Fortbewegungsmittel, auf das der Verbraucher nicht für einen unbestimmten Zeitraum – bis eine gerichtliche Klärung erfolgt – verzichten kann.
(bb) Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger mit der Erklärung des Widerrufs, mit dem tatsächlichen Angebot vor Ort, dem außergerichtlichen Aufforderungsschreiben und den Klageanträgen immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass er den Pkw an die Beklagte zurückgeben möchte. Dies wurde von der Beklagten immer wieder verweigert.
Insbesondere hat der Kläger hat den streitgegenständlichen Pkw zur Rückgabe (womit konkludent auch von einem Rückübereignungsangebot auszugehen ist) innerhalb der 14-tägigen Frist nach Erklärung des Widerrufs angeboten. Die Beklagte hat jedoch die Annahme des Pkw unzulässigerweise verweigert.
Der Kläger hat konkret vorgetragen, dass, wo und wann er die Rückgabe des Pkw tatsächlich angeboten hat. Dieser Vortrag ist vom Beklagten nicht hinreichend i.S.v. § 138 Abs. 2 ZPO bestritten und somit gem. § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig zu behandeln.
Zwar wurden auf S. 4 des Schriftsatzes der Beklagtenseite vom 2.4.2024 die mittlerweile konkretisierten Angaben des Klägers bestritten, jedoch ohne auf sie konkret einzugehen. Dies wäre aber für ein hinreichendes Bestreiten aber erforderlich. Aufgrund der konkreten Angaben des Klägers hätte die Beklagte auch konkret dazu Stellung nehmen müssen, da es ihr möglich war, hierzu von der Niederlassung in Regensburg Informationen einzuholen. Dies hat sie aber nicht getan, offenbar im Vertrauen auf ihren (bereits in der Klageerwiderung vorgebrachten) Einwand des jedenfalls nicht ausreichenden Rückgabeangebots aufgrund fehlender Terminvereinbarung.
Die Beklagte hält das Rückgabeangebot nicht für ausreichend, da ihrer Meinung nach eine vorherige Terminabsprache mit Blick auf die ausreichenden personellen und örtlichen Kapazitäten erforderlich gewesen sei.
Mit diesem Vortrag kann sie nicht durchdringen. Sie hat nämlich hier nur abstrakt dargestellt, warum ein Rückgabeangebot ohne vorherige Terminabsprache Probleme bei Untersuchung des Fahrzeugs, Prüfung der Dokumente und des Zubehörs und bei der Lagerkapazität ergeben kann, ist aber jeden Vortrag schuldig geblieben, dass diese Probleme beim konkreten Rückgabeangebot des Klägers tatsächlich bestanden hätten. Ein nach § 242 BGB möglicherweise als unzureichend zu betrachtendes Rückgabeangebot zur Unzeit kann aber nur dann bejaht werden, wenn auch tatsächlich der Beklagten im konkreten Fall die Abwicklung der Rücknahme unzumutbar gewesen wäre. Dies ist nicht vorgetragen. Von einem ausreichenden Rückgewährangebot ist daher nach dem unstreitigen Vortrag des Klägers auszugehen.
Offenbleiben kann daher, ob überhaupt für die Rückgabe des Pkw eine vorherige Terminabsprache erforderlich gewesen wäre oder eine solche Voraussetzung abzulehnen ist, weil sie die Verbraucherrechte unverhältnismäßig beeinträchtigen könnte.
Die Beklagte befindet sich seit der verweigerten Annahme im Annahmeverzug im Sinne des § 293 BGB. Auch jetzt ist der Kläger im Übrigen unstreitig nach wie vor gewillt, den Pkw an die Beklagte zurückzugeben.
(cc) Ein widersprüchliches Verhalten des Klägers ist jedenfalls nicht zu erkennen.
Gerade ein solches widersprüchliches Verhalten wird jedoch für den Ausschluss des Widerrufrechts in der von der Beklagten vorgelegten Entscheidung des Bundesgerichtshofs als erforderlich angesehen (BGH vom 15.02.2023, IV ZR 353/21 NJW 2023, 1659). In diesem Fall wurde der Anspruch wegen widersprüchlichen Verhaltens im Einzelfall versagt, da besonders gravierende Umstände vorlagen, die das Verhalten des Versicherungsnehmers als besonders treuwidrig erscheinen ließen.
Ein solches Verhalten liegt hier aber nicht vor: Der Kläger hat den Widerruf innerhalb der vom Gesetzgeber gewährten Frist erklärt und innerhalb der 14-tägigen Rückgabefrist den Pkw der Beklagten erfolglos angeboten.
(b) kein Verstoß gegen Treu und Glauben, § 242 BGB
Die Ausübung des Widerrufsrechts verstößt auch nicht gegen § 242 BGB. Sie ist nicht nach dem mit der Einräumung des Widerrufsrechts verfolgten Sinn und Zweck ausgeschlossen.
Hintergrund der Einräumung des Widerrufsrechts bei Fernabsatzverträgen ist, dass der Verbraucher vor Abschluss eines solchen Vertrages in der Regel keine Möglichkeit hat, die Ware in Augenschein zu nehmen. Außerdem soll er vor irreführenden und aggressiven Verkaufsmethoden im Fernabsatz geschützt werden.
Davon zu trennen ist die Frage, aus welchen Gründen der Verbraucher ein ihm zustehendes Widerrufsrecht ausüben kann. Der Gesetzgeber hat in § 355 BGB bewusst auf eine Begründungspflicht verzichtet. Damit sollten Diskussionen darüber vermieden werden, ob die gegebene Begründung ausreichend war oder nicht.
Muss der Verbraucher sein Widerrufsrecht nicht begründen, kann es ihm daher nicht zum Nachteil gereichen, wenn sich aus seinem Verhalten ein Motiv für die Ausübung des Widerrufsrechts ergibt, das mit dem Sinn und Zweck der Einräumung des Widerrufsrechts nicht (vollständig) in Einklang steht. (Vgl. BGH, Urteil vom 16.03.2016, Az. VIII ZR 146/15).
Dem steht auch nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Ein solcher ist zwar grundsätzlich auch bei Ausübung des Widerrufsrechts möglich, allerdings sind hieran sehr hohe Anforderungen zu stellen, die vorliegend nicht gegeben sind.
Zweck des Widerrufsrechts bei Fernabsatzverträgen ist es, dem Verbraucher ein einfach auszuübendes Recht zur einseitigen Loslösung vom Vertrag in die Hand zu geben, ohne dabei an materielle Voraussetzungen gebunden zu sein (BGH, Urteil vom 25. November 2009 – VIII ZR 318/08, BGHZ 183, 235 Rn. 17). Danach kommt ein Ausschluss des Widerrufsrechts wegen Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der Unternehmer besonders schutzwürdig ist.
Für einen solchen Fall ist hier, wie bereits dargestellt, kein konkreter Sachverhalt vorgetragen.
(c) Keine Anwendung des Übermaßverbotes
Die hier eintretende Rechtsfolge, dass der Kaufvertrag rückabgewickelt wird, steht auch nicht dem von der Beklagten angeführten Übermaßverbot nach § 242 BGB entgegen.
Es ist ausdrücklicher Wille des Gesetzgebers gewesen, dass nach erklärtem Widerruf der Kaufvertrag rückabgewickelt wird, und das im Fall fehlerhafter Widerrufsbelehrung auch ohne Wertersatzanspruch aus § 357 a Abs. 1 BGB (näher hierzu unten 4. a)).
(d) Soweit die Beklagte meint, dass „auf Grund kleinster Fehler in der Widerrufsbelehrung keine verlängerte Frist begründet werden [könne], da dies dem Gebot von Treu und Glauben widerspräche (§ 242 BGB)“, ist dem im vorliegenden Fall nicht zuzustimmen. Einerseits ist es gerade Sinn der Widerrufsbelehrung, dem Verbraucher die Möglichkeiten des Widerrufs so aufzuzeigen, wie sie bestehen (und nicht etwa die Möglichkeit eines telefonischen Widerrufs durch Weglassen der Telefonnummer einzuschränken). Zum anderen gibt es die Muster-Widerrufsbelehrung gerade zu dem Zweck, dem Unternehmer ohne Rechtsunsicherheit wirksame Widerrufsbelehrungen zu ermöglichen; nutzt der Unternehmer dieses Muster nicht, kann er sich nicht darauf berufen, Fehler in der Belehrung könnten ihm nach Treu und Glauben nicht vorgehalten werden.
4. Keine Aufrechnung mit Anspruch aus Wertersatz
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Die durch die Beklagtenvertreter erklärte Aufrechnung hat keinen Erfolg. Der Kläger keinen Wertersatz nach § 357 a Abs. 1 Nr. 2 BGB, da, wie dargestellt, die Widerrufsbelehrung fehlerhaft war.
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a) Ist die Widerrufsbelehrung – wie vorliegend – unzureichend, so schlägt dies nach dem Gesetzeswortlaut auf die Verpflichtung zum Wertersatz durch (vgl. auch MüKo/Fritsche, BGB, 7. Aufl., § 357 BGB Rn. 32).
50
Gemäß § 357 a Abs. 1 Nr. 2 BGB ist der Verbraucher nur zum Wertersatz verpflichtet, sofern der Unternehmer den Verbraucher nach Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB ordnungsgemäß informiert hat. Dies setzt voraus, dass der Verbraucher eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung erhalten hat. Die vorgenannte Voraussetzung aus § 357 a Abs. 1 Nr. 2 BGB muss kumulativ neben dem eingetretenen Wertverlust, der zudem klägerseits bestritten wird, vorliegen. Durch den Verweis auf Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB wird deutlich, dass nur eine ordnungsgemäße Aufklärung über das Widerrufsrecht diese Anspruchsvoraussetzung erfüllt.
51
Offensichtlich war der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass nur derjenige Unternehmer den Wertersatzanspruch bekommen solle, der sich letztlich korrekt und regelkonform verhält. Der Wortlaut der Regelung ist insoweit eindeutig. Weder aus der Entstehungsgeschichte, noch im Rahmen einer europarechtskonformen Auslegung, kann ein anderes Ergebnis gefunden werden.
52
Dass es die Absicht des Gesetzgebers gewesen wäre, als Sanktion für das Vorliegen von Belehrungsfehlern ausschließlich die Verlängerung der Widerrufsfrist auf zwölf Monate und. 14 Tage vorzusehen, nicht aber andere Rechtsfolgen damit zu verbinden, ist angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 357 a Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht nachzuvollziehen. Zieht man die Gesetzesmaterialien des bundesdeutschen Gesetzgebers hinzu, so wird deutlich, dass die Gesetzesfassung keineswegs nur ein „Redaktionsversehen“ war.
53
In der Bundestagsdrucksache 17/12637 Seite 63 heißt es zu § 357 Abs. 7 BGB (heute wortgleich § 357 a Abs. 1 Nr. 2 BGB):
„Voraussetzung des Anspruchs auf Wertersatz ist, dass der Unternehmer den Verbraucher ordnungsgemäß gemäß Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB-E über sein Widerrufsrecht unterrichtet hat. Die Muster Widerrufsbelehrung enthält auch einen Hinweis auf die mögliche Haftung für den Wertverlust.“
54
Hier macht der Gesetzgeber deutlich, dass eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung vorliegen muss. Die Regelung entspricht der Verbraucherrechte-Richtlinie und setzt wortlautgetreu die Richtlinie um.
55
Nach Art. 14 Abs. 2 S. 2 VRRL haftet der Verbraucher in keinem Fall für den Wertverlust, wenn er vom Unternehmer nicht gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. h VRRL über sein Widerrufsrecht belehrt wurde. Damit nimmt auch der Europarechts-Gesetzgeber ausdrücklich Bezug auf das Muster-Widerrufsformular. Dementsprechend liegt auch keine Abweichung der bundesdeutschen Regelung von der Verbraucherrechte-Richtlinie vor.
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b) Dieser Auffassung steht auch das von der Beklagten angeführte Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25.10.2022, XI ZR 44/22, nicht entgegen. In diesem Fall hatte das Gericht über die Rückabwicklung des mit dem Fahrzeugkaufvertrag verbundenen Verbrauchsdarlehensvertrag zu entscheiden. Die fehlerhafte Widerrufsbelehrung lag nicht im Pkw-Kaufvertrag, sondern in dem Finanzierungsvertrag. In dem hier streitgegenständlichen Fall liegen die Dinge jedoch anders; hier hat die Beklagte als Verkäuferin eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung vorgelegt.
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c) Im Übrigen hat der Kläger hat den Pkw zur Rückgabe angeboten (vergleiche oben). Die Rücknahme wurde jedoch verweigert, sodass sich die Beklagte, wie mit dem Feststellungsantrag zu 2) geltend gemacht, im Annahmeverzug gemäß § 293 BGB befindet.
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5. Seit der verweigerten Rücknahme des Pkw und der zugleich verweigerten Kaufpreisrückzahlung befindet sich die Beklagte auch in Leistungsverzug bzgl. der Kaufpreisrückzahlung, so dass der Anspruch gem. §§ 286, 288 BGB zu verzinsen ist.
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II. Wie unter I. 3. b) (a) (bb) festgestellt, befand sich die Beklagte in Annahmeverzug, so dass der entsprechende Feststellungsantrag begründet ist.
60
III. Der hauptsächlich gestellte Antrag auf Freistellung von den Rechtsanwaltsgebühren ist weiterhin begründet, §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 BGB. Der Zahlungsanspruch wurde nur hilfsweise gestellt.
D.
61
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 S. 1, 2, 3 ZPO.