Titel:
Eilrechtsschutz, Gefahrenprognose, Versammlungsrechtliche Beschränkung
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
BayVersG Art. 15
GG Art. 8
Schlagworte:
Eilrechtsschutz, Gefahrenprognose, Versammlungsrechtliche Beschränkung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 09.08.2024 – 10 CS 24.1382
Fundstelle:
BeckRS 2024, 19940
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Antragsteller wendet sich im Weg des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine beschränkende Auflage im Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. August 2024.
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Der Antragsteller zeigte am 28. Juli 2024 eine sich fortbewegende Versammlung mit dem Thema „… … … … … … … …“ für den 10. August 2024 von 16:00 bis 18:45 an. Die Versammlung soll am K1.platz mit einer Auftaktkundgebung starten und dann über die O.straße, die B1.Straße, den K2.platz, die B2.Straße, die A.straße, die S.straße und die L.straße zum Siegestor führen und dort mit einer Schlusskundgebung enden. Erwartet werde eine Teilnehmerzahl von 300 Personen. Als Kundgebungsmittel wurde unter anderem drei Plakate angegeben mit folgenden Beschriftungen: „From the river to the sea, Palestine will be free“, „From the river te the sea, we want justice and equality“ und „From the river to the sea, we demand equality“. Auf die Versammlungsanzeige des Antragstellers wird im Übrigen Bezug genommen.
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Mit Bescheid vom 6. August 2024 erließ die Antragsgegnerin unter Ziffer 5.1 folgende Beschränkungen:
„5.1 Das öffentliche Zeigen von Emblemen, Kennzeichen oder Fahnen von verbotenen und/oder terroristischen Organisationen ist untersagt. Darunter fallen insbesondere (nicht abschließend) die in der Anlage 2 aufgeführten Organisationen, Kennzeichen und Symbole (strafbar gem. § 20 VereinsG bzw. §§ 86a, 86 StGB).
Darunter fällt auch die Parole „Vom Fluss bis zum Meer…“ in Deutsch oder in anderen Sprachen; als Schriftzug, Ausruf, Musikstück und anderen Kundgabeformen.“
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Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass die Versammlungen des Antragstellers von „… … …“ in der Vergangenheit beworben worden sei. Es bestünden Überschneidungen beim zu erwartenden Teilnehmerkreis. Aufgrund der bekannten Verbindung des Antragstellers und des zu erwartenden Teilnehmerkreises, aufgrund der Verläufe vergangener Versammlungen in M1. und der Verbindung zu „… … / … … …“ würde wieder eine Verbindung zum Angriff der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 hergestellt. „… …“ hätte sich direkt nach dem Überfall der HAMAS positiv demgegenüber positioniert. In diesem Zusammenhang sei auch die Parole „From the river to the sea …“ öffentlich skandiert worden. Nach den Erfahrungen bei gleich gelagerten vergangenen Versammlungen – auch von solchen des Antragstellers – sei davon auszugehen, dass die Parole „Vom Fluss bis zum Meer“ ohne weiteren Kontext verwendet werde. Dies sei insbesondere während des sich fortbewegenden Teils zu erwarten. Ein sozialadäquater Zweck dieser Parole sei im Zusammenhang mit der hiesigen Veranstaltung nicht ersichtlich; vielmehr sei aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit zu erwarten, dass eine Distanzierung oder Einordnung der Parole nicht stattfinden werde. Mildere Mittel seien nicht ersichtlich. Es sei nicht erkennbar, wie bei der Versammlung mit circa 300 Teilnehmenden eine sozialadäquate Verwendung der Parole nach § 86 Abs. 4 StGB sichergestellt werden könne. Es sei zudem vom Antragsteller nicht dargelegt worden, wie er die Parole im Einzelfall sozialadäquat verwenden wolle. Auf die weitere Begründung des Bescheids wird verwiesen.
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Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom ... August 2024, eingegangen beim Verwaltungsgericht München per beA am selben Tag um … Uhr, hat der Antragsteller Klage erhoben (Az. M 10 K 24.4135) und beantragt sinngemäß zugleich,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die beschränkende Verfügung in Ziffer 5.1 des Bescheids vom 6. August 2024, soweit die Parole „Vom Fluss bis zum Meer…“ in Deutsch oder anderen Sprachen als Schriftzug, Ausruf, Musikstück oder in anderen Kundgebungsformen untersagt wird, anzuordnen.
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Hinsichtlich der Begründung wird unter anderem vorgetragen: Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG dürfe bei der nach § 15 Abs. 1 VersG anzustellenden Gefahrenprognose auch beim Erlass von Beschränkungen keine zu geringen Anforderungen gestellt werden. Als Grundlage der Gefahrenprognose seien konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus. Entscheidend sei nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, ob konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Teilnehmenden der Versammlung des Antragstellers die Parole „Vom Fluss bis zum Meer“ bzw. „from the river to the sea“ mit konkretem Bezug zur HAMAS verwenden. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Die Antragsgegnerin trage selbst vor, dass die Versammlungen der „letzten Wochen“ grundsätzlich störungsfrei verlaufen seien, etwa am 18. Mai 2024, 15. Juni 2024, 29. Juni 2024 aber auch 3. August 2024. Dass es auf diesen Kundgebungen zu Äußerungen mit positivem Bezug auf die HAMAS gekommen wäre, trage die Antragsgegnerin nicht vor. Welche Gruppierungen, denen der Antragsteller nicht angehöre, für seine Kundgebungen mobilisieren, sei für die Frage der Kennzeicheneigenschaft der Parole irrelevant. Entscheidend sei vielmehr, wie der konkrete Kontext der Verwendung der Parole auf der Versammlung eingeschätzt werde. Offenbar habe es bei keiner der Versammlungen des Antragstellers Probleme gegeben. Die Antragsgegnerin trage ausdrücklich vor, dass der Antragsteller sich bei der Versammlung am 3. August 2024 noch vor Beginn der Versammlung mit einem Schild an die Polizei gewandt habe, um deren Einschätzung zu erhalten. Der Antragsteller sei also sichtlich um eine legale Verwendung und Vermeidung von Straftaten bemüht. Mündigen Bürgern sei zudem grundsätzlich zuzutrauen, dass sie Strafnormen verstehen könnten und die Parole in sozialadäquater Weise auf der Versammlung zu nutzen. Zur Auslegung hätten diese immerhin zahlreiche öffentlich diskutierte Urteile der letzten Wochen zur Hand. Im Übrigen wird auf den Schriftsatz des Bevollmächtigten des Antragstellers vom ... August 2024 Bezug genommen.
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Die Antragsgegnerin hat mit Schutzschrift vom 6. August 2024 beantragt,
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Zur Begründung wird vorgetragen: Es sei auch dann eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit anzunehmen, welche die Beschränkung unter Ziffer 5.1 des streitgegenständlichen Bescheids rechtfertige, wenn kein Kontext bzw. Organisationsbezug zur HAMAS bestünde. Der objektive Straftatbestand wäre beim Zeigen der Plakate mit der Parole „From the river to the sea […]“ sowie bei der Verwendung von entsprechenden Parolen ebenfalls erfüllt, wenn kein Ausschluss gem. § 86a Abs. 3 i. V.m. § 86 Abs. 4 StGB in Betracht komme. Die Parole stelle ein Kennzeichen der HAMAS dar. Die HAMAS habe sich den Slogan gerade zum propagandistischen Hinweis auf die eigenen Ziele zu eigen gemacht. Die Tatsache, dass der Slogan auch von anderen Personengruppen verwendet werde und einer mehrdeutigen Auslegung zugänglich sei, sei für die Kennzeicheneigenschaft unschädlich. Unabhängig von der Verbindung zu „… … …“ sei bei der Versammlung anhand des angezeigten Themas und der angezeigten relevanten Kundgabemittel gerade nicht offensichtlich, dass eine Solidarisierung der verbotenen Vereinigung nicht gegeben sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren M 10 K 24.4735, sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
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Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
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I. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn die Klage – wie hier (vgl. Art. 25 BayVersG) – keine aufschiebende Wirkung hat. Das Gericht hat bei seiner Entscheidung eine originäre Interessenabwägung auf der Grundlage der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage darüber zu treffen, ob die Interessen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, oder diejenigen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, überwiegen. Dabei sind die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren wesentlich zu berücksichtigen, soweit sie bereits überschaubar sind. Nach allgemeiner Meinung besteht an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer voraussichtlich aussichtslosen Klage kein überwiegendes Interesse. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein (weil er zulässig und begründet ist), so wird regelmäßig nur die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen.
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Bei der erforderlichen Interessenabwägung überwiegt das Suspensivinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollzugsinteresse nicht, weil die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich unbegründet ist. Die streitgegenständliche Versammlungsbeschränkung der Antragsgegnerin erweist sich aller Voraussicht nach als rechtmäßig.
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1. Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (hierzu und zum Folgenden zuletzt BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.). Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Derartige Beschränkungen sind im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig (vgl. zuletzt BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.). Rechtsgüterkollisionen ist im Rahmen versammlungsrechtlicher Verfügungen durch Beschränkungen oder Modifikationen der Durchführung der Versammlung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001- 1 BvR 1190/90 – BVerfGE 104, 92 – juris Rn. 54, 63). Gem. Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfen beim Erlass von versammlungsrechtlichen Beschränkungen oder eines Versammlungsverbots keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden. Sie ist auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben (vgl. BVerfG, B. v. 6.6.2007 – 1 BvR 1423/07 – juris Rn. 17). Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (vgl. BVerfG, B. v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 24.3.2023 – 10 CS 23.575 – juris Rn. 19; B.v. 6.6.2015 – 10 CS 15.1210 – juris Rn. 22; U.v. 10.7.2018 – 10 B 17.1996 – juris Rn. 26; BVerwG, B.v. 24.8.2020 – 6 B 18.20 – juris Rn. 6). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Beschränkung liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 17; B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 19 jeweils m.w.N.; BayVGH, B.v. 24.3.2023 – 10 CS 23.575 – juris Rn. 19; B.v. 19.12.2017 – 10 C 17.2156 – juris Rn. 16 m.w.N.).
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Soweit sich das Verbot oder eine Beschränkung der Versammlung auf den Inhalt von Aussagen bezieht – dies ist bei der Anknüpfung an das Motto der Versammlung und die zu erwartenden Äußerungen der Versammlungsteilnehmer der Fall –, ist es auch am Maßstab des Art. 5 Abs. 1, 2 GG zu beurteilen. Der Inhalt einer Meinungsäußerung, der im Rahmen des Art. 5 GG nicht unterbunden werden darf, kann daher auch nicht zur Begründung von Maßnahmen herangezogen werden, die das Grundrecht des Art. 8 GG beschränken (BVerfG, B.v. 1.12.2007 – 1 BvR 3041/07 – BVerfGK 13, 1 – juris Rn. 13 m.w.N.). Eine inhaltliche Begrenzung von Meinungsäußerungen kommt im Rahmen der allgemeinen Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG in Betracht (hierzu und zum Folgenden BVerwG, U.v. 26.4.2023 – 6 C 8/21 – juris Rn. 28 ff. m.w.N. zur entsprechenden ständigen Rechtsprechung des BVerfG).
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Zur Beurteilung der Frage, ob eine Meinungsäußerung als Straftat zu verstehen ist, ist zuvor ihr objektiver Sinngehalt unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums zu ermitteln. Dabei darf ihr im Lichte der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Meinungsfreiheit keine Bedeutung beigelegt werden, die sie objektiv nicht hat, und im Fall der Mehrdeutigkeit darf – wie oben ausgeführt – nur dann von der zur Verurteilung führenden Deutung ausgegangen werden, wenn andere, straflose Deutungsmöglichkeiten mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden können (vgl. BVerfG, B.v. 28.3.2017 – 1 BvR 1384/16 – juris Rn. 17 – stRspr).
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2. Diesen Anforderungen genügt die unter Berufung auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG verfügte Versammlungsbeschränkung der Antragsgegnerin.
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a) Ob die Verwendung der Parole „From the river to sea“ bzw. deren deutsche Übersetzung „Vom Fluss bis zum Meer“ einen Straftatbestand nach § 20 VereinsG bzw. §§ 86a, 86 StGB erfüllt (von der fehlenden Strafbarkeit nach anderen Vorschriften ausgehend VG Berlin, U.v. 23.8.2023 – 24 K 7/23 – juris Rn. 34 ff. mit ausführlicher Begründung; offenlassend BayVGH, B.v. 19.10.2023 – 10 CS 23.1862 – juris Rn. 26; Übersicht zum Stand der Rechtsprechung bei Steinberg, Versammlungsfreiheit nach dem 7. Oktober, NVwZ 2024, 302; Schneider in BeckOK GG, Stand 15.1.2024, Art. 8 Rn. 48.4), hängt von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere von einem erkennbaren Bezug der Parole zur HAMAS bzw. anderer verbotener Vereinigungen und von einer ausnahmsweise bestehenden Sozialadäquanz der Verwendung ab (vgl. dazu jeweils ausführlich HessVGH, B.v. 22.3.2024 – 8 B 560/24 – juris Rn. 29 unter Verweis auf BVerfG, B.v. 15.11.2001 – 1 BvR 98/97 – juris Rn. 26 ff.; LG Mannheim, B.v. 29.5.2024 – 5 Qs 42/23 – juris Rn. 9 [Erforderlichkeit von „differenzierender Erwägungen“]; VGH BW, B.v. 21.6.2024 – 14 S 956/24 – juris Rn. 23 ff. [„Das Äußern dieser Parole ist mit anderen Worten keineswegs generell strafbewehrt.“]; Hippeli, Rechtmäßigkeit versammlungsrechtlicher Beschränkungen – Parole „From the river to the sea“, NJW 2024, 1780/1781 [„regelmäßig nicht strafbar“]); zur Verwendung von Fahnen dreier mutmaßlicher Unterorganisationen der verbotenen PKK „ohne gleichzeitige aktive Sympathieäußerung zur PKK oder dessen Vorsitzenden“ BayVGH, B.v. 16.2.2018 – 10 CS 18.405 – juris Rn. 12). Die Strafbarkeit der Parole „From the river to the sea“ und entsprechender, mit der angegriffenen Beschränkung untersagten Wortkombinationen folgt dabei nicht ohne Weiteres aus dem Umstand, dass die Parole „From the river to the sea“ in die Kennzeichenliste der Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat vom 2. November 2023 (BAnz AT 02.11.2023 B10) aufgenommen wurde. Ziffer 3 der Verfügung verbietet Kennzeichen der HAMAS in näher bezeichneter Art und Weise zu verwenden. Das Verbot betrifft nach der Verfügung auch die Parole „Vom Fluss bis zum Meer“ (auf Deutsch oder anderen Sprachen). Nach dem Bundesverwaltungsgericht ist das Kennzeichenverbot jedoch als gesetzliches Verbot ausgestaltet. Es wird durch die Verbotsverfügung selbst als Rechtsfolge des Verbots ausgelöst, ist aber keine „Umsetzung“ der Verbotsverfügung und muss in dieser auch nicht konstitutiv ausgesprochen werden. Eine entsprechende Wiedergabe in einer Verbotsverfügung weist keinen regelnden Charakter auf und ist rein deklaratorischer Natur (BVerwG, B.v. 10.1.2018 – 1 VR 14.17 – juris Rn. 17).
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Kommt es für die Strafbarkeit der Formulierung „Vom Fluss bis zum Meer“ bzw. „From the river to the sea“ demnach auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere den Kontext der Äußerung und den Organisationsbezug an, ist ihr pauschales Verbot im Wege der Versammlungsbeschränkung nur dann verhältnismäßig, wenn eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Gefahrenprognose der Versammlungsbehörde ergibt, dass die Formulierung in strafbarer Weise verwendet werden wird. Entscheidend ist, ob die fragliche Parole in einer von § 86 Abs. 4 StGB erfassten oder gemessen am Schutzzweck des § 86a StGB sonst sozialadäquaten Weise geäußert wird und deshalb nicht den objektiven Tatbestand dieser Norm erfüllt.
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b) Diesen Anforderungen wird die Gefahrenprognose der Antragsgegnerin gerecht. Mit dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (vgl. B.v. 21.6.2024 – 14 S 956/24 – juris – Rn. 24 ff. und 3.4.2023 – 2 S 496/24 – juris) geht die Kammer im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung davon aus, dass bei lebensnaher Betrachtung im Rahmen der Versammlung des Antragstellers die streitige Parole der verbotenen Vereinigung HAMAS zuzuordnen ist.
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Die Antragsgegnerin hat in ihrer Gefahrenprognose den Bezug des Antragstellers zu der Vereinigung „… … / … … …“ umfassend dargelegt. Aufgrund der Positionierung dieser Gruppierung in der Vergangenheit zur HAMAS und den Geschehnissen am 7. Oktober 2023, ist die Antragsgegnerin aller Voraussicht nach rechtsfehlerfrei zu der Auffassung gelangt, dass bei der im vorliegenden Einzelfall vom Antragsteller angemeldeten Versammlung die konkrete Gefahr besteht, dass die Parole jedenfalls auch in einer vom Tatbestand des § 86a StGB erfassten Weise Verwendung finden wird. Die große Zahl der Teilnehmer (300) und die Art und Weise der Durchführung als Aufzug durch die Innenstadt der Antragsgegnerin in Verbindung mit mehreren Kundgebungen unter Verwendung von Bühnen, Lautsprecherwägen, Megaphonen, Verstärkeranlagen sowie von Trommeln, Pfeifen, Bannern, Flaggen und Flyern schaffen in der Gesamtbetrachtung ein Bild, bei dem es an jeglicher von außen erkennbarer Distanzierung von einer Verwendung als Kennzeichen der HAMAS fehlt. Ein Beobachter könnte gerade nicht auf Anhieb erkennen, dass die Parole im vorliegenden Fall offenkundig und eindeutig nicht als Kennzeichen der verbotenen Vereinigung HAMAS verwendet werden soll und das Rufen der Parole stattdessen ausnahmslos von § 86 Abs. 4 StGB erfasst oder unter sonstige Sozialadäquanzfallgruppen fallen würde. Hierfür ist auch sonst nichts vom Bevollmächtigen des Antragstellers konkret und substantiiert dargelegt oder sonst erkennbar. Entgegen der Ansicht des Bevollmächtigten des Antragstellers ist bei Nutzung der Parole bei der Versammlung des Antragstellers von einer voraussichtlich strafbaren Verwendung auszugehen; jedenfalls liegt ein Anfangsverdacht im Sinne i.S.d. § 152 Abs. 2 StPO vor. In der Vergangenheit kam es bei den Versammlungen das Antragstellers laut den in der Behördenakte vorliegenden Polizeiberichten vereinzelt durchaus zu einer Verwendung der Parole, bei der ein sozialadäquater Zweck gerade nicht zu erkennen war. Dass die Verwendung in einer sozialadäquaten Weise der Parole erfolgt, hat zudem der Antragsteller zumindest im Ansatz darzulegen (vgl. auch VGH BW, B.v. 21.6.2024 – 14 S 956/24 – juris Rn. 24).
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c) Aus der vom Bevollmächtigten des Antragstellers mehrfach in Bezug genommen Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. Juni 2024 (BayVGH, B.v. 26.6.2024 – 10 CS 24.1062 – juris) ergibt sich nichts Anderes.
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Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ging auch von den oben unter I. 2) a) aufgezeigten Maßstäben aus und wendete diese dann auf den damals zu entscheidenden Einzelfall an. Anders als in dem am 26. Juni 2024 zur Entscheidung stehenden Sachverhalt, hat die Antragsgegnerin in ihrer Gefahrenprognose diesmal sehr umfassend dargelegt, dass die Teilnehmenden die Parole mit einem konkreten Bezug zur HAMAS oder anderen verbotenen Vereinigungen verwenden werden und deshalb eine strafbare Verwendung zu erwarten ist. Die Antragsgegnerin hat zudem nachvollziehbar aufgezeigt, dass eine sozialadäquate Verwendung der Parole nicht anzunehmen ist. Die Gefahrenprognose der Antragsgegnerin enthält zudem – anders als im vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof am 26. Juni 2024 entschiedenen Einzelfall – zutreffende, substantiierte Erwägungen, dass die unterstellte Gefahrenlage nicht durch mildere Mittel in Form von Beschränkungen der Versammlung begegnet werden kann.
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II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nummer 45.4 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.