Inhalt

VGH München, Urteil v. 18.07.2024 – 14 N 23.1190
Titel:

Bayerische Wolfsverordnung

Normenketten:
VwGO § 47
VwVfG § 28, § 29
BNatSchG § 45, § 63
Leitsätze:
1. Eine Rechtsverordnung regelt die Zulassung einer Ausnahme von artenschutzrechtlichen Verboten streng geschützter Arten auch dann i.S.v. § 63 Abs. 2 Nr. 4b i.V.m. § 45 Abs. 7 Satz 1, 4 und 5 BNatSchG – und unterliegt der zugehörigen Rechtsschutzmöglichkeit anerkannter Naturschutzvereinigungen (§ 64 Abs. 1 BNatSchG) –, wenn zwar die Verordnung allein noch nicht die Befugnis für Maßnahmen gegen Wölfe verschafft, sondern vielmehr noch ein Ausnahmeverwaltungsakt zu ergehen hat, jedoch die Verordnung auf ihrer Tatbestandsseite verbindliche Vorgaben für nachfolgende Verwaltungsakte macht und außerdem für solche Verwaltungsakte das Erschließungsermessen auf Null reduziert. (Rn. 46)
2. Die strengen Maßstäbe für ein Absehen von einer Beteiligung gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 VwVfG (i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG) – insbesondere das Erfordernis einer in den tatsächlichen Verhältnissen bis zum Verordnungserlass angelegten hinreichend „konkreten“ Gefahr im Verzug – gelten auch für Ausnahmeverordnungen i.S.v. § 63 Abs. 2 Nr. 4b BNatSchG. (Rn. 56)
1. Gefahr im Verzug iSv § 28 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 VwVfG ist anzunehmen, wenn durch eine vorherige Anhörung auch bei Gewährung kürzester Anhörungsfristen ein Zeitverlust einträte, der mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Folge hätte, dass die behördliche Maßnahme zu spät käme, um ihren Zweck noch zu erreichen. Ob eine sofortige Entscheidung objektiv notwendig war oder die Behörde eine sofortige Entscheidung zumindest für notwendig halten durfte, ist vom Gericht aus ex-ante-Sicht zu beurteilen. Hierbei ist wegen der Bedeutung des Anhörungsrechts als tragenden Prinzips des rechtsstaatlichen Verfahrens ein strenger Maßstab anzulegen. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die öffentlichen Interessen iSv § 28 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG iVm § 63 Abs. 3 S. 1 BNatSchG, aus denen heraus eine sofortige Entscheidung (auch ohne Gefahr im Verzug) unter Absehen von einer Beteiligung gerechtfertigt sein kann, stehen nicht abschließend fest; § 28 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG hat insoweit Auffangcharakter, wobei geklärt ist, dass § 28 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG nicht nur dann erfüllt sein kann, wenn ex post gesehen ein öffentliches Interesse vorlag, sondern auch dann, wenn aus der Perspektive ex ante die Behörde von einem solchen ausgehen durfte. (Rn. 61) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unwirksamkeit der Bayerischen, Wolfsverordnung (BayWolfV) und der Verordnung zur Ausführung der Bayerischen, Wolfsverordnung (AVBayWolfV)., Bayerische Wolfsverordnung, Wirksamkeit, Normenkontrolle, Beteiligung, Ausnahme, artenschutzrechtliches Verbot, Ermessen, Gefahr im Verzug, öffentliches Interesse
Fundstellen:
UPR 2024, 519
NuR 2024, 703
BayVBl 2024, 849
LSK 2024, 19439
NVwZ-RR 2024, 993
DÖV 2024, 938
BeckRS 2024, 19439
ZUR 2025, 51

Tenor

I.    Die Bayerische Wolfsverordnung (BayWolfV) vom 25. April 2023 (BayMBl. Nr. 201) und die Verordnung zur Ausführung der Bayerischen Wolfsverordnung (AVBayWolfV) vom 2. Mai 2023 (BayMBl. Nr. 202) werden für unwirksam erklärt.
II.    Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Antragsgegner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Antragsteller vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.    Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Das Normenkontrollverfahren betrifft die Frage der Wirksamkeit der Bayerischen Wolfsverordnung (BayWolfV) vom 25. April 2023 (BayMBl. Nr. 201 vom 26.4.2023; BayRS 791-1-14-U) sowie der Verordnung zur Ausführung der Bayerischen Wolfsverordnung (AVBayWolfV) vom 2. Mai 2023 (BayMBl. Nr. 202 vom 2.5.2023; BayRS 7911-15-U).
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Der Antragsteller ist für Bayern als Naturschutzvereinigung und bundesweit als Umweltvereinigung anerkannt.
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Die Bayerische Wolfsverordnung besteht aus folgenden Regelungen:
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„§ 1 Schutz des Menschen und der öffentlichen Sicherheit
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(1) 1Im Interesse der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit wird nach Maßgabe der nachfolgenden Absätze gestattet, Wölfen (Canis lupus) nachzustellen, sie zu fangen, zu vergrämen oder mit einer geeigneten Schusswaffe zu töten, soweit es keine zumutbare Alternative gibt. 2Voraussetzung ist ferner, dass sich der Erhaltungszustand der Population nicht verschlechtert und die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands nicht behindert wird.
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(2) 1Unter Berücksichtigung von § 45a Abs. 2 Satz 3 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) gefährden Wölfe die Gesundheit des Menschen oder die öffentliche Sicherheit insbesondere dann, wenn sie
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1. sich mehrfach Menschen außerhalb von Fahrzeugen auf unter 30 m nähern,
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2. mehrfach die Annäherung von Menschen auf unter 30 m tolerieren,
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3. über mehrere Tage in einem Umkreis von weniger als 200 m von geschlossenen Ortschaften oder von dem Menschen genutzten Gebäuden oder Stallungen gesehen werden,
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4. Menschen trotz Vertreibungsversuchen folgen,
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5. sich Menschen in geschlossenen Ortschaften annähern und nur schwer vertrieben werden können,
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6. Hunde in geschlossenen Ortschaften oder in von Menschen genutzten Gebäuden oder Stallungen töten,
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7. sich Menschen mit Hunden annähern und dabei ein aggressives Verhalten zeigen oder
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8. unprovoziert aggressiv auf Menschen reagieren.
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2 Eine Entnahme ist im Rahmen des Satz 1 Nr. 1 bis 3 nur zulässig, wenn eine Vergrämung nicht möglich erscheint oder voraussichtlich erfolglos bleibt. 3 Maßnahmen nach Abs. 1 können gegen einen Wolf gerichtet werden, der in räumlichem und zeitlichem Zusammenhang mit einem der in Satz 1 genannten Ereignisse angetroffen wird.
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(3) 1 Hält die untere Naturschutzbehörde die obigen Voraussetzungen für gegeben, bestimmt sie unverzüglich die zu ergreifenden Maßnahmen und die zur Ausführung geeigneten und berechtigten Personen. 2 Zuständig ist die untere Naturschutzbehörde, in deren Gebiet das in Abs. 2 Satz 1 genannte Ereignis stattgefunden hat.
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§ 2 Abwendung ernster wirtschaftlicher Schäden
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(1) 1 Zur Abwendung ernster landwirtschaftlicher oder sonstiger ernster wirtschaftlicher Schäden wird nach Maßgabe der nachfolgenden Absätze gestattet, Wölfen nachzustellen, sie zu fangen, zu vergrämen oder mit einer geeigneten Schusswaffe zu töten, soweit es keine zumutbare Alternative gibt. 2 Voraussetzung ist ferner, dass sich der Erhaltungszustand der Population nicht verschlechtert und die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands nicht behindert wird.
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(2) 1 Die Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 sind unter Berücksichtigung des § 45a Abs. 2 BNatSchG insbesondere gegeben, wenn Wölfe in nicht schützbaren Weidegebieten ein Nutztier oder einen Equiden verletzen oder töten. 2 Maßnahmen nach Satz 1 können gegen einen Wolf gerichtet werden, der in räumlichem und zeitlichem Zusammenhang mit dem betreffenden Ereignis angetroffen wird.
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(3) 1 Nicht schützbare Weidegebiete sind Gebiete, bei denen ein Herdenschutz entweder nicht möglich oder nicht zumutbar ist. 2 Nicht zumutbar zäunbare naturräumliche Untereinheiten, für die die untere Naturschutzbehörde festgestellt hat, dass die Alternative der Behirtung in Verbindung mit einer nächtlichen Einstallung oder Unterbringung in einem wolfsabweisenden Nachtpferch nicht zumutbar ist, stehen nicht schützbaren Weidegebieten gleich. 3 Die Ermächtigung nach § 45 Abs. 7 Satz 4 BNatSchG wird insoweit auf das Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (Staatsministerium) übertragen, als dieses ermächtigt wird, die nicht schützbaren Weidegebiete nach Satz 1 und die nicht zumutbar zäunbaren naturräumlichen Untereinheiten nach Satz 2 durch Rechtsverordnung festzulegen.
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(4) 1 Hält die untere Naturschutzbehörde die obigen Voraussetzungen für gegeben, bestimmt sie die zu ergreifenden Maßnahmen und die zur Ausführung geeigneten und berechtigten Personen. 2 § 1 Abs. 3 Satz 2 gilt entsprechend.
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§ 3 Mitteilungspflicht, Beweissicherung
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(1) Sämtliche Maßnahmen einschließlich Maßnahmeort, -datum und -methode sowie die ausführende Person oder die ausführende beauftragte Gruppe sind unverzüglich dem Staatsministerium sowie der genehmigenden Kreisverwaltungsbehörde mitzuteilen.
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(2) Die auf Grundlage dieser Verordnung getöteten Wölfe sind dem Landesamt für Umwelt zur Verfügung zu stellen.
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§ 4 Inkrafttreten
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Diese Verordnung tritt am 1. Mai 2023 in Kraft.“
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Im Verordnungsverfahren zur Bayerischen Wolfsverordnung erfolgte keine Beteiligung des Antragstellers, wozu die zugehörige amtliche Begründung – die nicht im Ministerialblatt mitveröffentlicht, allerdings mit Schreiben des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz vom 4. Mai 2023 den nachgeordneten Behörden zusammen mit Vollzugshinweisen zugesandt wurde – ausführt: „§ 4 regelt das Inkrafttreten. Die Verordnung muss zum 1. Mai 2023 in Kraft treten, da nur so die beschriebenen Gefahrensituationen und Schäden verhindert werden können. Zum 1. Mai erfolgt regelmäßig der Almauftrieb. Es ist daher ein sofortiges Handeln erforderlich. Eine Mitwirkung der anerkannten Naturschutzvereinigungen würde – auch bei Gewährung kürzester Fristen – zu einem Zeitverlust führen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit den Eintritt von ernsten Schäden für die Almbauern zur Folge hätte. Gemäß § 63 Abs. 3 S. 1 BNatSchG in Verbindung mit Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG wird daher von einer Beteiligung anerkannter Naturschutzvereinigungen wegen der Eilbedürftigkeit abgesehen.“
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Am 3. Mai 2023 trat die Verordnung zur Ausführung der Bayerischen Wolfsverordnung (AVBayWolfV) vom 2. Mai 2023 (BayMBl. Nr. 202 vom 2.5.2023) in Kraft, die für den Freistaat Bayern einerseits die nicht schützbaren Weidegebiete nach § 2 Abs. 3 Satz 3 BayWolfV bestimmt (§ 1 Abs. 1 AVBayWolfV i.V.m. Karten, die der Ausführungsverordnung als Anlagen beigefügt sind) und andererseits die nicht zumutbar zäunbaren naturräumlichen Untereinheiten nach § 2 Abs. 3 Satz 3 BayWolfV festlegt (§ 1 Abs. 2 AVBayWolfV i.V.m. weiteren Karten, die der Ausführungsverordnung als Anlagen beigefügt sind).
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Im Verordnungsverfahren zur Verordnung zur Ausführung der Bayerischen Wolfsverordnung erfolgte keine Beteiligung des Antragstellers, wozu die zugehörige amtliche Begründung – die nicht im Ministerialblatt mitveröffentlicht, allerdings mit Schreiben des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz vom 4. Mai 2023 den nachgeordneten Behörden zusammen mit Vollzugshinweisen zugesandt wurde – ausführt: „§ 2 regelt das Inkrafttreten. Die Verordnung muss zum 3. Mai 2023 in Kraft treten, da nur so die beschriebenen Gefahrensituationen und Schäden verhindert werden können. Zum 1. Mai erfolgt regelmäßig der Almauftrieb. Es ist daher ein sofortiges Handeln erforderlich. Eine Mitwirkung der anerkannten Naturschutzvereinigungen würde – auch bei Gewährung kürzester Fristen – zu einem Zeitverlust führen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit den Eintritt von ernsten Schäden für die Almbauern zur Folge hätte. Gemäß § 63 Abs. 3 S. 1 BNatSchG in Verbindung mit Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG wird daher von einer Beteiligung anerkannter Naturschutzvereinigungen wegen der Eilbedürftigkeit abgesehen.“
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Am 5. Juli 2023 ließ der Antragsteller einen Normenkontrollantrag stellen, der sich sowohl gegen die Bayerische Wolfsverordnung als auch gegen die Verordnung zur Ausführung der Bayerischen Wolfsverordnung richtet. Der Antragsteller beantragt,
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die Bayerische Wolfsverordnung (BayWolfV) vom 25. April 2023 und die Verordnung zur Ausführung der Bayerischen Wolfsverordnung (AVBayWolfV) vom 2. Mai 2023 für unwirksam zu erklären.
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Zur Zulässigkeit seines Antrags beruft sich der Antragsteller hinsichtlich der Antragsbefugnis auf § 63 Abs. 2 Nr. 4b, § 64 BNatSchG und außerdem auf § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UmwRG .
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Für begründet hält der Antragsteller den Normenkontrollantrag schon wegen formeller Rechtswidrigkeit sowohl der Bayerischen Wolfsverordnung als auch der Verordnung zur Ausführung der Bayerischen Wolfsverordnung. Der Antragsgegner habe ihm im Verordnungsverfahren entgegen § 63 Abs. 2 Nr. 4b BNatSchG nicht Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten gegeben. Unrichtigerweise habe der Antragsgegner dabei ausweislich der Begründung zur Bayerischen Wolfsverordnung eine Eilbedürftigkeit wegen hoher Wahrscheinlichkeit ernster Schäden für die Almbauern im Hinblick auf den mit der Beteiligung von Naturschutzvereinigungen verbundenen Zeitverlust angenommen i.S.v. § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG i.V.m. Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG . Es habe keine „Gefahr im Verzug“ i.S.v. Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG vorgelegen. Selbst bei Annahme eines infolge einer Anhörung verzögerten Inkrafttretens der Bayerischen Wolfsverordnung hätte eine Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 7 BNatSchG erteilt werden können. Darüber hinaus seien keine Fälle bekannt, in denen es im Freistaat Bayern in den letzten Jahren tatsächlich zu einer Gefährdung von Menschen durch Wölfe gekommen sei.
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Der vom Antragsgegner genannte Grund wirtschaftlicher Schäden der Almbauern im Hinblick auf den Almauftrieb zum 1. Mai begründe kein Eilbedürfnis für die Regelung in § 1 BayWolfV . Es sei nicht ersichtlich, wieso der Almauftrieb eine besondere Dringlichkeit des Verordnungserlasses begründen könnte. Der Umstand, dass Weidetiere ab circa Mitte Mai auf die Almen getrieben würden und damit auf den Almen präsent seien, sei ebenso bekannt gewesen wie die sukzessive seit 2014 zunehmende Erhöhung des Wolfsvorkommens in Bayern – beides hätte rechtzeitig berücksichtigt werden können. Außerdem sei nicht ansatzweise erkennbar, wie diese Präsenz von Weidevieh auf den Almen die Dringlichkeit des Verordnungserlasses steigern könnte. Es habe auch kein „öffentliches Interesse“ i.S.v. Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG vorgelegen; vielmehr handele es sich bei den Interessen der Almbauern um ein privatwirtschaftliches Interesse. Jedenfalls sei dieses Interesse nicht derart gefährdet, dass dieses es rechtfertigen könnte, Naturschutzvereinigungen nicht anzuhören. Es hätten keine Anhaltspunkte für eine drohende Gefahr vorgelegen, und zwar weder hinsichtlich Nummer 1 noch Nummer 4 des § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG ; bloße Wolfssichtungen in Siedlungsgebieten genügten dafür nicht. Auch wenn es in den Wochen vor dem Almauftrieb insgesamt 18 Wolfsnachweise (vom 31.1. bis 24.4.2023) gegeben habe, während es 2022 im gleichen Zeitraum nur einen Wolfsnachweis gegeben habe, sei diese Zunahme gerade das Ziel der FFH-Richtlinie und zwangsläufig mit der Herstellung eines günstigen Erhaltungszustands zu erwarten. Jedenfalls sei nicht nachvollziehbar, weshalb aufgrund der Anzahl der Sichtungen auf ein hohes Gefahrenpotenzial geschlossen werden könnte. Für einen Zusammenhang „viele Sichtungen = hohe akute Gefahr“ gebe es keine wissenschaftlich/fachlichen Grundlagen. So verursache der Allgäu-Österreichische Wolf GW999m keinerlei Probleme mit Nutztierrissen, obwohl er schon seit über fünf Jahren im Oberallgäu nachgewiesen sei. Die reine Präsenz von Wölfen rechtfertige gerade nicht die Annahme einer akuten Gefahr. Außerdem sei die Anzahl von Wölfen in Bayern verglichen mit der Größe des Bundeslandes extrem gering. In Bayern seien im Monitoringjahr 2022/23 nur sieben Territorien (3 Rudel, 3 Paare, 1 Einzeltier) nachgewiesen worden, im Jahr 2020/21 acht Territorien (4 Rudel, 1 Paar, 3 Einzeltiere). Die Schlussfolgerung des Antragsgegners, bei Mitwirkung der Naturschutzvereinigungen wären mit hoher Wahrscheinlichkeit ernste Schäden für die Almbauern eingetreten, sei eine schlichte Behauptung, wobei es seit dem Inkrafttreten der Verordnung am 1. Mai 2023 keinen einzigen Riss in den als nicht schützbar definierten Bereichen gegeben habe, sondern nur Risse außerhalb der nicht schützbaren Bereiche. Selbst wenn es „Ankündigungen“ gegeben haben sollte, Nutztiere nicht mehr auf die Almen zu treiben, obwohl der Natur- und Artenschutz auf die extensive Tierhaltung angewiesen sei, sei fraglich, ob dies eine Gefahr im Verzug begründe. Für eine Gefahr im Verzug könne eine vermeintliche politische Signalwirkung nicht ausreichen. Die Generalanwältin beim Europäischen Gerichtshof teile in den Schlussanträgen vom 18. Januar 2024 – C-601/22 –, gestützt auf eine schweizerische Studie, grundsätzlich die Einschätzung, dass allein aufgrund der Anwesenheit von Wölfen offenkundig nicht auf die Aufgabe von Almbetrieben oder Nachteilen für den Tourismus geschlossen werden könne. Auch der Europäische Gerichtshof habe in seinem Urteil vom 11. Juli 2024 – C-601/22 – (dort Randnummern 71 bis 74) klargestellt, dass rein hypothetische und mittelbare Schäden nicht den Schadensbegriff von Art. 16 Abs. 1 Buchst. b FFH -Richtlinie erfüllten. Abgesehen davon, dass die Annahme, mehrere Wolfssichtungen allein würden zu einer Gefahr für den Menschen oder zu einer erhöhten Rissgefahr für Nutztiere führen, nicht nachgewiesen sei und das Absehen von einer Beteiligung des Antragstellers nicht im öffentlichen Interesse rechtfertigen könne, ließe sich aus der Anzahl von Wolfssichtungen nicht auch auf die gleiche Anzahl verschiedener Tiere schließen. Auch könne ein öffentliches Interesse am Erlass der vorliegenden Verordnungen schon deshalb nicht mit erhöhten Wolfssichtungen begründet werden, weil gerade nach der FFH-Richtlinie ein öffentliches Interesse darin liege, dass sich mehr Wölfe niederlassen sollen und ein guter Erhaltungszustand erreicht werden soll.
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Auch bei der Ausführungsverordnung sei eine Beteiligung des Antragstellers nicht gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG i.V.m. Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG entbehrlich gewesen; insoweit gelte das Gleiche wie bei der Bayerischen Wolfsverordnung. Soweit eine Beteiligung des Naturschutzbeirats gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über die Naturschutzbeiräte durchgeführt worden sei, dränge sich die Frage auf, weshalb nicht zeitgleich zumindest eine ebenso kurze Anhörung bei den Naturschutzverbänden durchgeführt worden sei. Darüber hinaus sei auch dem Naturschutzbeirat eine zu kurze Beteiligungszeit eingeräumt worden.
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Außerdem hält der Antragsteller sowohl die Bayerische Wolfsverordnung als auch die Verordnung zur Ausführung der Bayerischen Wolfsverordnung in vielfacher Hinsicht für materiell rechtswidrig.
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Der Antragsgegner beantragt,
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die Normenkontrollanträge abzulehnen.
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Insbesondere hält er die beiden Verordnungen für formell rechtmäßig – es sei jeweils zu Recht von einer Beteiligung des Antragstellers abgesehen worden.
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Bei der Bayerischen Wolfsverordnung sei ein Inkrafttreten der Verordnung zum 1. Mai 2023 notwendig gewesen, weil aufgrund des unmittelbar bevorstehenden Almauftriebs am 1. Mai 2023 und Berichten über Wolfssichtungen in Siedlungsgebieten ein sofortiges Handeln aus Gründen des öffentlichen Interesses geboten gewesen sei. In den Wochen vor dem Almauftrieb habe sich die Lage sukzessive verschärft. Im Monitoringjahr 2022/2023 habe es im Alpenraum allein vom 31. Januar bis 24. April 2023 im Landkreis Garmisch-Partenkirchen 13 Wolfsnachweise gegeben, davon fünf Fotonachweise. Weitere vier Wolfsnachweise stammten aus dem Landkreis Rosenheim und ein Nachweis aus dem Landkreis Berchtesgadener Land. Hinzu gekommen seien mündliche Berichte zu Wolfssichtungen in Siedlungsnähe. Im Vergleich dazu habe es im Jahr 2022 im Alpenraum im gleichen Zeitraum lediglich einen Wolfsnachweis und im Jahr 2021 fünf Nachweise gegeben. Daher sei Ende April 2023 entschieden worden, die Entscheidung zum Erlass der Bayerischen Wolfsverordnung zu vereinfachen und den zuständigen Behörden rechtssicher schnelle Reaktionen zu ermöglichen. Für das Verordnungverfahren sei lediglich eine Woche verblieben, damit die Verordnung rechtzeitig vor dem 1. Mai 2023 in der letzten Aprilsitzung des bayerischen Kabinetts am 25. April 2023 habe behandelt werden können. Eine Mitwirkung anerkannter Naturschutzverbände hätte – auch bei Gewährung kürzester Fristen – zu einem Zeitverlust geführt, der aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht mit hoher Wahrscheinlichkeit den Eintritt von ernsten Schäden für die Almbauern zur Folge gehabt hätte. Ohne den Erlass der Bayerischen Wolfsverordnung hätten bei Auftreten erster Rissereignisse Ausnahmen auf Grundlage einer Einzelfallgenehmigung nach § 45 Abs. 7 Satz 1 und 2 BNatSchG erfolgen müssen, ohne dass auf die verfahrenserleichternden Regelungen der Bayerischen Wolfsverordnung – insbesondere Individualisierung über den räumlich-zeitlichen Zusammenhang, Ausreichen eines Risses sowie Festlegung nicht schützbarer Weidegebiete durch die Verordnungen – rechtssicher hätte zurückgegriffen werden können. Aus dem Alpenraum seien zudem bereits vermehrt Ankündigungen laut geworden, die Nutztiere würden wegen Wolfsanwesenheit nicht mehr auf die Almen getrieben werden. Der Natur- und Artenschutz sei auf die kleinstrukturierte Landschaftspflege der Landwirte, Almbauern und Schäfer angewiesen, die ihre Tiere (noch) auf die Almen und Weiden trieben und mit ihrer extensiven Tierhaltung die artenreiche Kulturlandschaft, Biodiversität und Schutzgebiete im Alpenraum erhielten. Wenn es nach Inkrafttreten der Bayerischen Wolfsverordnung in den nicht schützbaren Weidegebieten nicht zu tatsächlichen Rissereignissen gekommen sei, entkräfte dies nicht die vorangegangene Prognose für die Notwendigkeit einer sofortigen Entscheidung des Normgebers. Maßstab einer solchen Prognose sei stets die Sicht ex-ante und nicht die ex-post. Dass die Verordnung auch politisch gewünscht gewesen sei, habe keinen negativen Einfluss auf die bereits dargelegte fachliche Begründung für die Eilbedürftigkeit. Entgegen der Darstellung des Antragstellers zum Monitoringjahr 2022/23 bzw. 2020/21 belegten die aktuellen Monitoringdaten (Stand 1.1.2024) zu den standorttreuen Wölfen in Bayern einen Trend nach oben: in zehn Regionen gebe es sieben Rudel, zwei Paare (bei einem gegebenenfalls bereits Rudelbildung erfolgt) sowie zwei territoriale Einzeltiere. Die vom Antragsteller in Bezug genommenen Schlussanträge der Generalanwältin beim Europäischen Gerichtshof seien weder für Unionsgerichte noch für deutsche Gerichte rechtsverbindlich. Die Schlussfolgerungen des Antragsgegners aus der von der Generalanwältin zitierten schweizerischen Studie könnten nicht nachvollzogen werden.
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Dabei gehe es vorliegend nicht um das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Einzelmaßnahme, sondern darum, ob der Verordnungserlass dringlich gewesen sei, der gerade Erleichterungen für den Abschuss von Wölfen definiere wie den Verzicht auf eine genetische Identifizierung und die nicht schützbaren Weidegebiete. Aufgrund der Wolfssichtungen habe eine Gefahr für die Tiere wegen des stattfindenden Almauftriebs bzw. ein öffentliches Interesse am Verordnungserlass bestanden. Nicht nachvollziehbar – insbesondere in nicht schützbaren Weidegebieten – sei die These des Antragstellers, erhöhte Wolfssichtungen würden nicht auf eine erhöhte Gefahr für Nutztierrisse hinweisen. Die vom Antragsteller betonte Passage des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 11. Juli 2024 – C-601/22 – beziehe sich auf die dortige Frage 3, in der es darum gegangen sei, ob unter Schäden auch mittelbare Schäden wie künftige Betriebsschließungen fallen würden, wogegen es hier um eine Gefahr für Nutztiere gehe. Zwar sehe auch der Antragsgegner das öffentliche Interesse an einem guten Erhaltungszustand des Wolfes, es gebe aber auch andere öffentliche Interessen, wie etwa die Gesundheit des Menschen – um deren Schutz es bei Wolfssichtungen in Siedlungsnähe gehe –, die hiermit abzuwägen seien. Die Wolfsverordnung erteile noch keine Ausnahme, erleichtere aber für den Fall des Falles die Erteilung einer solchen.
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Auch bei der Ausführungsverordnung habe gemäß Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG von einer Anhörung abgesehen werden können. Aufgrund des unmittelbar bevorstehenden Almauftriebs am 1. Mai 2023 und Berichten über Wolfssichtungen sei auch insoweit sofortiges Handeln aus Gründen des öffentlichen Interesses geboten gewesen. Um den Gefahrensituationen und drohenden Schäden zu begegnen, sei ein möglichst zeitgleiches Inkrafttreten der Ausführungsverordnung mit der Bayerischen Wolfsverordnung notwendig gewesen, zumal sich die Lage in den Wochen vor dem Almauftrieb sukzessive verschärft habe. Für das Verordnungsverfahren zur Ausführungsverordnung seien nach Erlass der Bayerischen Wolfsverordnung am 25. April 2023 nicht einmal 4,5 Arbeitstage verblieben, um einen möglichst weitgehenden zeitlichen Gleichlauf mit der Bayerischen Wolfsverordnung sicherstellen zu können. Eine Mitwirkung anerkannter Naturschutzvereinigungen hätte – auch bei Gewährung kürzester Fristen – zu einem Zeitverlust geführt, der aus der maßgeblichen Sicht ex-ante mit hoher Wahrscheinlichkeit den Eintritt ernster Schäden für die Almbauern zur Folge gehabt hätte, da ein rechtzeitiges Inkrafttreten im Hinblick auf die kurze Zeitspanne nicht mehr sichergestellt hätte werden können. Die Ausführungsverordnung sei vor ihrem Erlass dem Naturschutzbeirat gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über Naturschutzbeiräte zur Beschlussfassung im elektronischen Umlaufverfahren gemäß § 5 Abs. 5 der Geschäftsordnung des Naturschutzbeirats unterbreitet worden, da ein Unterbleiben der Beteiligung aufgrund Eilbedürftigkeit wegen fehlender rechtlicher Grundlage nicht möglich gewesen sei. Bei der Fristsetzung sei darauf geachtet worden, den Mitgliedern und deren Stellvertretern den weitest möglichen Zeitraum einzuräumen und zugleich eine Ausfertigung bzw. Veröffentlichung am ersten Werktag im Mai, dem 2. Mai, sicherzustellen, sodass zwei Tage (bis Freitag, 28.4.2023, 12 Uhr) hätten gewährt werden können. Im Ergebnis habe die Beteiligung des Naturschutzbeirats gerade noch in den kurzen Zeitraum des Verordnungsverfahrens integriert werden können.
43
Die vielfältigen, vom Antragsteller geltend gemachten Rügen einer materiellen Rechtswidrigkeit der beiden Verordnungen weist der Antragsgegner jeweils zurück.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte einschließlich des Protokolls der mündlichen Verhandlung am 16. Juli 2024 und die vorgelegten Akten zu den beiden Verordnungsverfahren Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

45
Die Normenkontrollanträge gegen die beiden streitgegenständlichen Verordnungen sind zulässig (siehe A.) und begründet (siehe B.).
A.
46
Die Zulässigkeit der Anträge ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Insbesondere ergibt sich die Antragsbefugnis des Antragstellers aus § 64 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 2 Nr. 4b BNatSchG, weil der Antragsteller vom Freistaat Bayern als Naturschutzvereinigung anerkannt worden ist, die beiden Verordnungen wesentliche Vorentscheidungen für nachfolgende Verwaltungsakte treffen und deshalb selbst als Zulassung einer Ausnahme i.S.v. § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG anzusehen sind. Zwar wird durch die beiden Verordnungen keine endgültige Ausnahme zugelassen, weil stets noch ein konkreter Ausnahmeverwaltungsakt nachzufolgen hat (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1, § 2 Abs. 4 Satz 1 BayWolfV); jedoch nimmt die Bayerische Wolfsverordnung auf § 45 Abs. 7 Satz 4 und 5 BNatSchG als Ermächtigungsgrundlage Bezug, der davon spricht, dass die Landesregierungen „Ausnahmen auch allgemein durch Rechtsverordnungen“ zulassen können – das in Bezug genommene Bundesrecht geht also selbst davon aus, dass auf § 45 Abs. 7 Satz 4 und 5 BNatSchG gestützte Verordnungen (allgemeine) „Ausnahmen“ darstellen. Unabhängig davon ist zu sehen: Auch wenn die beiden Verordnungen allein noch nicht die Befugnis für Maßnahmen gegen Wölfe verschaffen, sondern vielmehr noch ein Ausnahmeverwaltungsakt zu ergehen hat, so definieren die Regelungen der beiden Verordnungen doch auf ihrer Tatbestandsseite verbindliche Vorgaben für nachfolgende Verwaltungsakte und reduzieren außerdem für solche Verwaltungsakte auch das Erschließungsermessen auf Null (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1, § 2 Abs. 4 Satz 1 BayWolfV). Im Ergebnis regeln die beiden Verordnungen deshalb die Zulassung einer Ausnahme durch Rechtsverordnung i.S.v. § 45 Abs. 7 Satz 1, 4 und 5 i.V.m. § 63 Abs. 2 Nr. 4b, § 64 Abs. 1 BNatSchG.
B.
47
Für die Bayerische Wolfsverordnung ergibt sich die Begründetheit des Normenkontrollantrags daraus, dass entgegen § 63 Abs. 2 Nr. 4b BNatSchG im Verordnungsverfahren eine Beteiligung des Antragstellers unterblieben ist, ohne dass bis zum Verordnungserlass eine der in § 63 Abs. 3 oder 4 BNatSchG vorgesehenen Ausnahmen vorgelegen hätte (siehe I. und II.). Diese formelle Rechtswidrigkeit führt zur Unwirksamkeit der Bayerischen Wolfsverordnung (siehe III.) und damit auch zur Rechtswidrigkeit und Unwirksamkeit der Verordnung zur Ausführung der Bayerischen Wolfsverordnung, ohne dass es auf das Vorliegen der Voraussetzungen für ein ausnahmsweises Absehen von einer Beteiligung gerade bei der Ausführungsverordnung ankäme (siehe IV.).
48
I. Das Absehen von einer Beteiligung des Antragstellers findet keine Rechtfertigung in § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG i.V.m. § 28 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 VwVfG.
49
1. Bei Erlass der Bayerischen Wolfsverordnung lag keiner der in § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG i.V.m. § 28 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 VwVfG genannten Ausnahmetatbestände vor.
50
a. Bei Verordnungserlass bestand keine „Gefahr im Verzug“ i.S.v. § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG i.V.m. § 28 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 VwVfG.
51
aa. Gefahr im Verzug im Sinne von § 28 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 VwVfG ist anzunehmen, wenn durch eine vorherige Anhörung auch bei Gewährung kürzester Anhörungsfristen ein Zeitverlust einträte, der mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Folge hätte, dass die behördliche Maßnahme zu spät käme, um ihren Zweck noch zu erreichen. Ob eine sofortige Entscheidung objektiv notwendig war oder die Behörde eine sofortige Entscheidung zumindest für notwendig halten durfte, ist vom Gericht aus ex-ante-Sicht zu beurteilen. Hierbei ist wegen der Bedeutung des Anhörungsrechts als tragenden Prinzips des rechtsstaatlichen Verfahrens ein strenger Maßstab anzulegen (BVerwG, U.v. 14.3.2023 – 8 A 2.22 – BVerwGE 178, 46 Rn. 21 m.w.N.). Für einen Verzicht auf eine Verbändebeteiligung nach § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG i.V.m. § 28 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 VwVfG ist angesichts dessen zu verlangen, dass die Durchführung einer solchen Beteiligung aus einer ex-ante Betrachtung heraus selbst bei Festlegung kürzester Fristen einen Zeitverlust zur Folge hätte, der mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass der Zweck des Vorhabens nicht erreicht wird und die in der Sache gebotenen Maßnahmen zu spät kommen (vgl. BayVGH, U.v. 30.4.2024 -14 N 23.1502 u.a. – juris Rn. 55 m.w.N.).
52
bb. Vorliegend war keine Gefahr im Verzug i.S.v. § 28 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 VwVfG i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG gegeben.
53
(1) Für § 1 BayWolfV, der dem Schutz der menschlichen Gesundheit und der öffentlichen Sicherheit dient (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BayWolfV) und eine Gefährdung für diese Schutzgüter insbesondere bereits bei den in § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 8 BayWolfV genannten Indizien – einschließlich Mehrfachsichtungen in Siedlungsnähe (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayWolfV) – vorgibt, hat der Antragsgegner das Absehen von jeglicher Beteiligung des Antragstellers im vorliegenden Normenkontrollverfahren im Wesentlichen damit begründet, dass es in der Zeitphase des Verordnungserlasses mehrfach Wolfssichtungen in Siedlungsgebieten gegeben und sich die Lage in den Wochen vor dem Almauftrieb sukzessive verschärft habe.
54
Dies reicht vorliegend nicht hin, um von einer Gefahr in Verzug im besagten Sinn auszugehen. Hiergegen spricht insbesondere der vom Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU) für den Antragsgegner selbst herausgegebene „Bayerische Aktionsplan Wolf“ (Stand: März 2019; Anlage AS 19 [aktuell auch im Zeitpunkt der Senatsverhandlung] – nachfolgend: Aktionsplan), den der Senat als jedenfalls fachkundige Beschreibung von Wolfsverhaltensweisen ansieht (vgl. auch BayVGH, B.v. 11.3.2022 – 14 CS 22.219 – BayVBl 2022, 371 Rn. 22 ff.), ohne dass es vorliegend darauf ankäme, ob mit dieser Quelle allein der Stand der wissenschaftlichen Forschung im Bereich Wolfsbiologie und -verhalten vollumfänglich zum Ausdruck gebracht wird.
55
Im Aktionsplan (a.a.O. S. 40 unter 9.1.1) findet sich unter anderem die Tabelle 10, in der verschiedene Wolfsverhaltensweisen in Bezug auf die Gefährlichkeit für den Menschen und das daraus abzuleitende Vorgehen zusammengefasst werden.
56
Nach Tabelle 10 des Aktionsplans wird insbesondere das Verhalten „Wolf läuft direkt an Ortschaften entlang/durch Siedlungen hindurch/in Sichtweite von Ortschaften/Einzelgehöften entlang“ als „ungefährlich“ eingeschätzt und insoweit kein Handlungsbedarf gesehen. Gleiches wird festgehalten für das Verhalten „Wolf flüchtet nicht sofort beim Anblick von Menschen und Autos. Bleibt stehen und beobachtet seinerseits“. Es ist weder dargelegt nach ersichtlich, inwieweit es bei den vom Antragsgegner betonten Wolfsnachweisen bzw. Wolfssichtungen um mehr als die besagten beiden – vom Aktionsplan als „ungefährlich“ eingestuften – Verhaltensfallgruppen gegangen sein sollte. Schon dies spricht dagegen, dass es die im Verordnungsverfahren und bei Verordnungserlass herrschenden tatsächlichen Verhältnisse in Bayern gerechtfertigt hätten, von einer „Gefahr im Verzug“ i.S.v. § 28 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 VwVfG (i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG) auszugehen. Daran ändert auch die vom Antragsgegner betonte „Verordnungsperspektive“ nichts. Zwar lässt sich bei theoretischer Betrachtung für keinen Wolfsnachweis und für keine Wolfssichtung ausschließen, dass sich daraus in der Zukunft eine problematischere Fallgruppe im Sinne besagter Tabelle 10 entwickeln „könnte“. Eine derart „abstrakte“ Möglichkeit einer zukünftigen Gefahrenentwicklung vermittelt aber auch aus der abstrakt-generellen Warte des Verordnungsgebers jedenfalls dann noch keine hinreichend „konkrete“ Gefahr im Verzug i.S.v. § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG i.V.m. § 28 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 VwVfG, wenn die während des Verordnungsverfahrens vorhandenen Wolfsnachweise bzw. Wolfssichtungen lediglich solche Konstellationen umschreiben, die nach der eigenen fachlichen Bewertung des Antragsgegners (durch seine eigene Fachbehörde) gerade „keinen Handlungsbedarf“ auslösen.
57
(2) Für § 2 BayWolfV, der dem Schutz vor ernsten landwirtschaftlichen oder sonstigen ernsten wirtschaftlichen Schäden dient, hat der Antragsgegner das Absehen von jeglicher Beteiligung des Antragstellers im Wesentlichen mit dem zum 1. Mai 2023 anstehenden Almauftrieb und den maßgeblichen Vollzugserleichterungen bei der Bestimmung nicht oder nicht zumutbar schützbarer Weideflächen begründet.
58
Auch dies reicht vorliegend nicht hin, um von einer Gefahr im Verzug im besagten Sinn auszugehen – wiederum spricht hiergegen insbesondere der Aktionsplan (siehe (1)). Im Aktionsplan (a.a.O. S. 43 unter 9.1.3) findet sich auch die Tabelle 13, in der verschiedene Wolfsverhaltensweisen in Bezug auf die Schadensträchtigkeit an Nutztieren und das daraus abzuleitende Vorgehen zusammengefasst werden. In keiner der dort genannten fünf Verhaltensfallgruppen werden bloße Wolfssichtungen – ohne die in der Tabelle aufgeführten besonderen Wolfsverhaltensweisen – als für Nutztiere schadensträchtige Ereignisse beschrieben.
59
Der Antragsgegner hat keinen Beleg dafür vorgelegt, dass bei solchen bloßen Sichtungen tatsächlich eine „konkrete“ Gefahr zu bejahen sein könnte. Auch insoweit genügt die bloß abstrakte Möglichkeit einer zukünftigen Entwicklung hin zu einer solchen nicht, um wegen Gefahr im Verzug (§ 28 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 VwVfG i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG) von einer Beteiligung des Antragstellers abzusehen (siehe auch (1)).
60
b. Es bestand für die Bayerische Wolfsverordnung auch kein sonstiges öffentliches Interesse i.S.v. § 28 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG, das ein Absehen von der vorgeschriebenen Beteiligung des Antragstellers gerechtfertigt hätte.
61
aa. Die öffentlichen Interessen i.S.v. § 28 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG, aus denen heraus eine sofortige Entscheidung (auch ohne Gefahr im Verzug) unter Absehen von einer Beteiligung gerechtfertigt sein kann, stehen nicht abschließend fest; § 28 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG hat insoweit Auffangcharakter, wobei geklärt ist, dass § 28 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG nicht nur dann erfüllt sein kann, wenn ex post gesehen ein öffentliches Interesse vorlag, sondern auch dann, wenn aus der Perspektive ex ante die Behörde von einem solchen ausgehen durfte (vgl. BVerwG, U.v 14.3.2023 – 8 A 2.22 – BVerwGE 178, 46 Rn. 21 m.w.N.). Der Hauptanwendungsfall liegt in Konstellationen, in denen der mit der beabsichtigten Maßnahme bezweckte Erfolg durch die mit einer Anhörung verbundene Unterrichtung der Betroffenen über den bevorstehenden Eingriff oder aufgrund des durch die Beteiligung bedingten Zeitverlusts selbst bei Gewährung kürzester Anhörungsfristen gefährdet würde (vgl. BVerwG, U.v. 18.10.1988 – 1 A 89.83 – BVerwGE 80, 299/304 m.w.N.), etwa wenn von der Anhörung eines abzuschiebenden Gefährders abgesehen wird, um die anstehende Abschiebung nicht durch den Vorwarneffekt einer Anhörung zu vereiteln (BVerwG, B.v. 13.7.2017 – 1 VR 3.17 u.a. – NVwZ 2017, 1531 Rn. 17).
62
Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit kann dabei nicht jedes beliebige öffentliche Interesse ein Absehen von einer gesetzlich vorgeschriebenen Beteiligung rechtfertigen – vielmehr muss ein solches im jeweiligen Fall hinreichend gewichtig sein, um das Absehen von einer Beteiligung „notwendig“ erscheinen zu lassen i.S.v. § 28 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG (vgl. Schneider in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: November 2023, § 28 VwVfG Rn. 61 m.w.N.; Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023 § 28 Rn. 52; Herrmann in BeckOK VwVfG, Stand: 1.4.2024, § 28 Rn. 26 bis 29).
63
bb. Vorliegend ist weder hinsichtlich § 1 noch § 2 BayWolfV ein hinreichendes öffentliches Interesse ersichtlich, das – unabhängig von der hier fehlenden Gefahr im Verzug (siehe a.) – eine sofortige Entscheidung notwendig machen würde; insbesondere die vom Antragsgegner berichteten Interessen der Almwirtschaft und die dortigen Erwägungen, auf einen Almauftrieb zu verzichten, wenn die Verordnungen nicht in Kraft sind, reichen nicht hin, um dem Antragsteller als anerkannter Naturschutzvereinigung seine gesetzlich vorgeschriebene Anhörung nicht einmal unter kürzesten Anhörungsfristen zu gewähren, sondern vollständig davon abzusehen. Denn selbst wenn man die Interessen der Almwirtschaft nicht nur als „private“, sondern auch als „öffentliches“ Interesse versteht – etwa wegen der Bedeutung der Landwirtschaft für die Pflege der Natur oder für die Ernährung der Bevölkerung –, stand und steht dem das unionsrechtlich vorgegebene unzweifelhaft öffentliche artenschutzrechtliche Interesse an einem „günstigen Erhaltungszustand“ des Wolfs als einer streng geschützten Art gegenüber (vgl. insbesondere Art. 12, 16 FFH-Richtlinie). Diesem Ziel dient auch die von § 63 Abs. 2 Nr. 4b BNatSchG vorgeschriebene Anhörung anerkannter Naturschutzvereinigungen. Diese gesetzlich vorgeschriebene Anhörung vollständig zu unterlassen und nicht einmal kürzeste Beteiligungsfristen eingeräumt zu haben, erweist sich vorliegend als unverhältnismäßig und damit nicht „notwendig“, weil dafür keine hinreichend gewichtigen und gegenläufigen öffentlichen Interessen im Raum stehen.
64
c. Es ist nicht ersichtlich, dass ohne den Erlass der Bayerischen Wolfsverordnung eine dem Verordnungsgeber obliegende „Frist“ i.S.v. § 28 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG in Frage gestellt worden wäre, sodass das Absehen von einer Beteiligung des Antragstellers auch insoweit nicht gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG gerechtfertigt ist.
65
2. Unabhängig davon, dass bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwVfG i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG für ein Absehen von einer Beteiligung des Antragstellers nicht vorliegen (siehe 1.), hat der Antragsgegner jedenfalls sein von § 28 Abs. 2 VwVfG eröffnetes Ermessen fehlerhaft ausgeübt und erweist sich die Bayerische Wolfsverordnung auch deshalb als formell rechtswidrig.
66
a. Weil gemäß § 28 Abs. 2 VwVfG unter den dort geregelten Voraussetzungen von der Anhörung abgesehen werden „kann“, handelt es sich somit insoweit um eine Ermessensentscheidung (BVerwG, U.v. 22.2.2022 – 4 A 7.20 – NVwZ 2022, 978 Rn. 21; B.v. 9.6.2022 – 6 VR 2.21 – juris Rn. 15 m.w.N.). Sie bedarf daher einer Abwägung aller für und gegen den Verzicht auf die Anhörung sprechenden Gesichtspunkte unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie einer Begründung, die erkennen lässt, auf welchen Erwägungen das Absehen von der Anhörung beruht (BVerwG, U.v. 14.3.2023 – 8 A 2.22 – BVerwGE 178, 46 Rn. 23 ff.; vgl. NdsOVG, B.v. 12.4.2024 – 4 ME 73/24 – juris Rn. 11 f. m.w.N.). Auch bei einer Ausnahmeverordnung i.S.v. § 45 Abs. 7 BNatSchG, die wie hier den Tatbestand des § 63 Abs. 2 Nr. 4b BNatSchG erfüllt, muss daher ein Absehen von der gesetzlich vorgeschriebenen Beteiligung der Naturschutzvereinigungen begründet werden und sind dafür diejenigen Gründe maßgeblich, die hierfür in der Verordnungsbegründung bezeichnet werden.
67
b. Hinsichtlich § 1 BayWolfV liegt ein Ermessensfehler bereits darin, dass die amtliche Begründung die im gerichtlichen Verfahren vorgetragenen Wolfssichtungen nicht als Argument für die Inkrafttretensregelung des § 4 BayWolfV nutzbar macht. Vielmehr wird dort allein mit dem Almauftrieb am 1. Mai 2023 argumentiert, wobei aber weder in der Begründung explizit dargestellt noch sonst implizit aus ihr ersichtlich ist, weshalb der Almauftrieb für die von § 1 BayWolfV erfassten Gefahren für die menschliche Gesundheit ein hinreichender Grund sein sollte, von der gesetzlich vorgeschriebenen Beteiligung des Antragstellers abzusehen.
68
Unabhängig davon unterlässt es die für die Ermessensausübung maßgebliche amtliche Begründung, sich bei der für eine Ermessensausübung gemäß § 28 Abs. 2 VwVfG erforderlichen Abwägung mit dem Gewicht des Beteiligungsrechts der Naturschutzvereinigung auseinanderzusetzen. Für die Notwendigkeit einer solchen Auseinandersetzung spricht wiederum das Gewicht des Artenschutzes streng geschützter Arten wie des Wolfs, dessen Bewahrung in einem günstigen Erhaltungszustand das Unionsrecht den Mitgliedstaaten aufträgt.
69
c. Hinsichtlich § 2 BayWolfV enthält die (maßgebliche) amtliche Begründung mit dem Hinweis auf den Almauftrieb zwar ein Argument im Hinblick auf das zügige Inkrafttreten unter Absehen von einer Beteiligung des Antragstellers. Jedoch fehlt auch insoweit die Abwägung mit dem Gewicht des dem Artenschutz dienenden Beteiligungsrechts der Naturschutzvereinigung (siehe auch b.).
70
II. Es liegt hinsichtlich der Bayerischen Wolfsverordnung auch keiner der sonstigen gemäß § 63 Abs. 3 oder 4 BNatSchG denkbaren Ausnahmetatbestände vor.
71
Das Absehen von einer Beteiligung des Antragstellers war nicht gerechtfertigt gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG i.V.m. § 28 Abs. 3 VwVfG – ein „zwingendes öffentliches Interesse“ im Sinne dieser Vorschrift ist nicht ersichtlich, und zwar aus denselben Gründen, aus denen auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwVfG nicht vorliegen (siehe I.1.).
72
Auch § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG i.V.m. § 29 Abs. 2 VwVfG gibt keine Rechtfertigung für das Absehen von einer Beteiligung des Antragstellers – es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass ein mit der Beteiligung des Antragstellers verbundenes Bekanntwerden des Verordnungsvorhabens zu Nachteilen geführt hätte, wie sie in § 29 Abs. 2 VwVfG genannt sind, sei es für die Aufgabenerfüllung der handelnden Verwaltung, sei es für das Wohl des Bundes oder eines Landes.
73
Eine Ausnahme gemäß § 63 Abs. 4 BNatSchG scheidet von vornherein aus, weil die in den Verordnungen geregelten Maßnahmen gezielt gegen Wölfe als streng geschützte Art gerichtet sind und gerade nicht „nur geringfügige Auswirkungen auf Natur und Landschaft“ erwarten ließen und auch nicht erwarten lassen sollten.
74
III. Die Verletzung des Beteiligungsrechts des Antragstellers aus § 63 Abs. 2 Nr. 4b, Abs. 3 BNatSchG (siehe I. und II.) führt zur Unwirksamkeit der Bayerischen Wolfsverordnung.
75
1. Die bisherige Senatsrechtsprechung geht mit der überwiegenden Rechtsprechung davon aus, dass Verstöße gegen Beteiligungsregelungen „regelmäßig“ beachtlich sind und „grundsätzlich“ zur Unwirksamkeit einer Rechtsverordnung führen, zumal das Mitwirkungsrecht der Verbände nicht nur der Ordnung des Verfahrensablaufs dient, sondern die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung über eine Rechtsverordnung fördern soll (vgl. BayVGH, U.v. 30.4.2024 – 14 N 23.1502 u.a. – juris Rn. 59 m.w.N.).
76
Zwar gilt dies nicht, wenn „von vornherein ausgeschlossen werden kann“, dass bei fehlerfreier Verfahrensgestaltung eine für die Betroffenen günstigere Entscheidung getroffen worden wäre, weil die Verordnung auch ohne den Verfahrensfehler keinen anderen Inhalt erhalten hätte (vgl. BayVGH, U.v. 30.4.2024 a.a.O.). Jedoch liegt hier keine solche Ausnahmekonstellation vor. Zum einen steht der Erlass einer Verordnung nach § 45 Abs. 7 Satz 4, 5 BNatSchG im Ermessen des Normgebers. Zum anderen ist nicht ersichtlich, dass die Argumentation des Antragstellers bereits in anderer Form an den Normgeber herangetragen worden wäre, etwa durch einschlägige Fachbehörden des Naturschutzes. Aus diesen Gründen kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Verordnung bei Durchführung der Verbändebeteiligung einen anderen Inhalt erhalten hätte.
77
Nachdem somit sogar die fehlertolerante Senatsrechtsprechung zur Relevanz des Verfahrensfehlers führt, braucht sich der Senat nicht mit der strengeren Auslegungsvariante auseinandersetzen, wonach die Verletzung des Beteiligungsrechts eines Naturschutzverbandes bei einem Verfahren zum Erlass einer Rechtsverordnung stets die Nichtigkeit der Rechtsvorschrift zur Folge hat (vgl. dazu die in BayVGH, U.v. 30.4.2024 – 14 N 23.1502 u.a. – juris Rn. 58 genannten Fundstellen).
78
Offenbleiben kann auch, ob ein analoger Rückgriff auf den Rechtsgedanken des § 46 VwVfG (i.V.m. dem Rechtsgedanken von § 4 Abs. 1a oder Abs. 5 UmwRG) möglich ist, wenn bei Ausnahmeverordnungen wie der Bayerischen Wolfsverordnung von einer Beteiligung einer Naturschutzvereinigung unzulässig abgesehen wird (vgl. BayVGH, U.v. 30.4.2024 -14 N 23.1502 u.a. – juris Rn. 60 m.w.N.). Denn selbst wenn diese Möglichkeit zugunsten des Antragsgegners unterstellt wird, ist vorliegend jedenfalls nicht offensichtlich, dass die Verletzung des Beteiligungsrechts des Antragstellers offensichtlich die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat, was nach § 4 Abs. 1a Satz 2 UmwRG zusätzlich zu einer Vermutung der Beeinflussung führte.
79
2. Der Antragsteller kann sich ohne Weiteres auf die Unwirksamkeit der Bayerischen Wolfsverordnung berufen, weil sein eigenes Beteiligungsrecht ihm kraft der Anerkennung als subjektives Recht zugeordnet (vgl. BayVGH, U.v. 30.4.2024 – 14 N 23.1502 u.a. – juris Rn. 61 m.w.N.) und dadurch verletzt worden ist, dass der Antragsgegner ihn im Verordnungsverfahren übergangen hat.
80
IV. Hinsichtlich der Verordnung zur Ausführung der Bayerischen Wolfsverordnung folgt die Unwirksamkeit bereits aus der Unwirksamkeit der Bayerischen Wolfsverordnung, sodass dahinstehen kann, ob die Ausführungsverordnung zusätzlich unwirksam ist wegen einer eigenständigen Verletzung des Beteiligungsrechts des Antragstellers beim Erlass dieser Ausführungsverordnung.
81
Die Verordnung zur Ausführung der Bayerischen Wolfsverordnung steht nämlich in untrennbarem Zusammenhang mit § 2 BayWolfV. Erweist sich – wie hier – § 2 BayWolfV als unwirksam, ist auch die darauf bezogene Verordnung zur Ausführung der Bayerischen Wolfsverordnung schon deshalb unwirksam, weil dann dem Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz die Ermächtigungsgrundlage für den Verordnungserlass (§ 2 Abs. 3 Satz 3 BayWolfV) fehlt.
82
V. Dahinstehen lässt der Senat alle materiell-rechtlichen Rügen des Antragstellers, weil bereits die formelle Rechtswidrigkeit der Bayerischen Wolfsverordnung zu deren Unwirksamkeit und damit auch zur Unwirksamkeit der Verordnung zur Ausführung der Bayerischen Wolfsverordnung führt (siehe oben). Offen lässt er auch die anlässlich des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 11. Juli 2024 – C-601/22 – (ECLI:ECLI:EU:C:2024:595) im Raum stehenden Fragen.
83
VI. Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ist die Nummer I der Entscheidungsformel allgemeinverbindlich und ist vom Antragsgegner nach Eintritt der Rechtskraft des Normenkontrollurteils ebenso zu veröffentlichen wie die Verordnungen bekanntzumachen wären.
84
VII. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.