Titel:
zum Erlöschen eines Herkommensrechts
Normenkette:
BayArt. 80 Abs. 2 S. 1
Leitsatz:
Die auf einer ununterbrochenen Rechtsüberzeugung beruhenden sog. Herkommensrechte (Art. 80 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GO) erlöschen im Fall eines Rechtsübergangs von einer aufgelösten auf eine aufnehmende Gemeinde, wenn der Gemeinderat der neuen Gemeinde über die Nutzungsrechte nicht informiert wurde und sich daher über ihren Fortbestand keine Rechtsüberzeugung bilden konnte. (Rn. 15 – 17)
Schlagworte:
Erlöschen von Holznutzungsrechten, Unterscheidung von Titel- und Herkommensrechten, gewandelte Rechtsüberzeugung nach Eingemeindung, Holznutzungsrecht, Herkommensrecht, Rechtstitel, Eingemeindung, Rechtsübergang
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 27.04.2022 – RN 3 K 17.151
Fundstellen:
DVBl 2024, 1115
BayVBl 2025, 123
DÖV 2024, 935
BeckRS 2024, 19354
LSK 2024, 19354
Tenor
I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 27. April 2022 – RN 3 K 17.151 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ihr ein öffentlich-rechtliches Holznutzungsrecht auf einem Grundstück der Beklagten zusteht.
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Mit Urteil vom 27. April 2022 wies das Verwaltungsgericht die Feststellungsklage der Klägerin ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Klägerin könne ihren Anspruch weder auf einen besonderen Rechtstitel noch auf ein sog. Herkommensrecht stützen. Das von ihr vorgelegte, in den 1830er Jahren gefertigte Liquidationsprotokoll bilde keinen Rechtstitel gem. Art. 80 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 GO, weil es als bloße Beschreibung und Aufzeichnung keine rechtsverbindlichen Festlegungen enthalte, sondern nur ohne weitere Prüfung bestehende Zustände wiedergebe. Die Annahme eines Herkommensrechts gem. Art. 80 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GO scheitere daran, dass eine gemeinsame Rechtsüberzeugung hinsichtlich der Nutzungsrechte spätestens mit der Eingemeindung zum 1. Januar 1972 untergegangen sei, weil keine Hinweise vorlägen, dass der Gemeinderat als funktionell zuständiges Organ die vormalige Rechtsüberzeugung übernommen habe. Pauschale Rechtsnachfolgeklauseln in der Eingliederungsvereinbarung vermittelten nicht die Kenntnis über die Existenz des konkret gegenständlichen Gewohnheitsrechts geschweige denn über dessen Rechtsnatur und konkreten Inhalt. Die Vereinbarung könne daher nicht als Grundlage für die Ausbildung der gesetzlich geforderten Rechtsüberzeugung herangezogen werden. Gegenteiliges ergebe sich auch nicht aus Gemeinderatsprotokollen aus den Jahren 2008 und 2011, weil auch diese keine konkrete Rechtsüberzeugung des Gemeinderats erkennen ließen und etwaige Nutzungsrechte ohnehin schon zuvor erloschen seien.
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Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung.
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Die Beklagte tritt dem Antrag entgegen.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig.
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Das Bestehen von Holzrechten auf dem Gebiet der Beklagten war zwar bereits Gegenstand einer erfolgreichen negativen Feststellungsklage, die von der Beklagten angestrengt wurde (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2015 – 4 ZB 14.359). Die Klägerin war allerdings nicht am damaligen Verfahren beteiligt, so dass sich die Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils nicht auf sie erstreckt (§ 121 VwGO).
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Der Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.
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Die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
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1. Der von der Klägerin geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) liegt nicht vor. Ihr Vorbringen ist nicht geeignet, einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage zu stellen (zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – BVerfGE 151,173 Rn. 32 m.w.N.).
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a) Die Klägerin wendet ein, das Verwaltungsgericht habe unzutreffende Anforderungen an die Annahme eines Titelrechts gem. Art. 80 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 GO gestellt. Sie habe eine lückenlose Beweiskette für ein Herkommensrecht vorgelegt. Zum Zeitpunkt der Eingemeindung habe der Gesetzgeber ausweislich des Art. 68 Abs. 2 GO a.F. den Begriff des Rechtstitels auch noch als Oberbegriff verwendet und für diesen Herkommensrechte ausreichen lassen. Ein solches habe vor der Eingemeindung bestanden. Der Gemeinde sei es verwehrt, ihre bisherige Rechtsüberzeugung zu ändern und dadurch in bestehende Rechtspositionen einzugreifen. Dies gelte auch im Falle der Eingemeindung. Die vormaligen Rechtsinhaber seien auch nicht verpflichtet gewesen, diese Rechte bei der Eingemeindung geltend zu machen. Andernfalls wäre mit der Gebietsreform eine weitgehende Abschaffung von Nutzungsrechten eingetreten, weil die vormaligen Rechteinhaber typischerweise mangels Bewirtschaftungsaufnahme der aufnehmenden Gemeinde keinen Anlass für eine Geltendmachung ihrer Rechte und für die Herbeiführung eines zeitnahen bestätigenden Gemeinderatsbeschlusses gehabt hätten.
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b) Diese Ausführungen begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung.
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(1) Aus der Gesetzgebungshistorie lässt sich nicht ableiten, vormals bestehende Nutzungsrechte seien ausnahmslos als „Titelrechte“ gem. Art. 80 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 GO zu verstehen mit der Folge, dass es niemals auf eine fortdauernde, kraft Rechtsüberzeugung ausgeübte Nutzung ankäme, wie die Zulassungsschrift offenbar meint. Die durch das Gesetz zur Neuordnung des kommunalen Haushaltsrechts vom 25. April 1973 (GVBl. 191) in Art. 80 Abs. 2 GO eingefügte neue Formulierung, die zwischen sog. Titelrechten (Art. 80 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 GO) und Herkommensrechten (Art. 80 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GO) unterscheidet, entsprach inhaltlich der bereits zuvor geltenden Rechtslage. Mit der Neufassung wollte der Gesetzgeber lediglich dem Missverständnis vorbeugen, auch Titelrechte hingen in ihrem Bestand von einer ununterbrochenen dreißigjährigen Ausübung ab (vgl. LT-Drs. 7/3103 S. 37; in diesem Sinne auch schon BayVerfGH, E.v. 27.11.1961 – Vf. 32-VII-60). Der Entwurf enthalte keine in ihrem Sinngehalt grundsätzlich neuen Bestimmungen, er bemühe sich vielmehr, vorhandene Lücken auszufüllen und einige Vorschriften klarer zu fassen (LT-Drs. a.a.O.).
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Dass die Klägerin Inhaberin eines Titelrechts im Sinne des Art. 80 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 GO sei, hat auch die Zulassungsschrift nicht vorgetragen, sondern nur auf die „Rechtsüberzeugung des Bürgermeisters“ der Gemeinde abgestellt, der nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts in einem Schreiben vom Dezember 1935 von einer bis 1928 ununterbrochenen Nutzung der Ortschaftswaldung durch die Rechtler ausging. Weder die Feststellungen des Verwaltungsgerichts noch die Darlegungen der Zulassungsschrift geben Anlass zu der Vermutung, der Schriftwechsel zwischen der Gemeinde und dem Bezirksamt aus den Jahren 1935 und 1936 habe ein Titelrecht im Sinne des Art. 80 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 GO zum Gegenstand gehabt, das schon vor Inkraftreten des Gemeindeedikts von 1818 bestanden haben müsste (vgl. Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Stand: April 2023, Art. 80 Rn. 11 m.w.N.). Dass sich aus dem vorgelegten „Protokoll über die Liquidation des Besitzstandes und der Dominikalien“ aus den 1830er Jahren kein solches Titelrecht ergibt, hat das Verwaltungsgericht unter Berufung auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (s. BayVGH, U.v. 7.3.1957 – 110 IV 53 – beck-online) ebenfalls zutreffend festgestellt, weil diesem Protokoll nur beschreibende Wirkung zukam und die dort getroffene Aussage daher genauso auf ein Nutzungsrecht kraft Herkommens hätte bezogen sein können.
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(2) Das Verwaltungsgericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass ein etwaiges Herkommensrecht gem. Art. 80 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GO jedenfalls im Zuge der Eingemeindung untergegangen ist, weil sich in der aufnehmenden Gemeinde keine diesbezügliche Rechtsüberzeugung gebildet hat.
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Ohne Erfolg wendet sich die Klägerin gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, eine solche Rechtsüberzeugung müsse bei oder alsbald nach dem Rechtsübergang gebildet werden. Diese sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebene Forderung entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2015 – 4 ZB 14.359 – juris Rn. 7 m.w.N.). Sie steht nicht im Widerspruch zu der weiteren Rechtsprechung des Senats, dass allein eine neue rechtliche Bewertung durch die Gemeinde nicht ausreicht, um eine Änderung der Rechtslage herbeizuführen (BayVGH, U.v. 30.11.1994 – 4 B 94.1162 – beck online = VGH n.F. 48, 21/23). Diese Urteilpassage wird von der Klägerin fälschlicherweise dahingehend verstanden, als könne eine Änderung der Rechtsüberzeugung niemals zu einer Änderung der Rechtslage führen. Dieses Missverständnis beruht auf einer verkürzten Wiedergabe der Entscheidung. Der Senat knüpfte die Änderung der Rechtslage seinerzeit lediglich an die weitere Bedingung, dass der Wandel der Rechtsüberzeugung die Ausübung der Nutzungsrechte selbst prägt und auch von den bisherigen Rechtlern zumindest hingenommen wird (BayVGH a.a.O.). Die Rechtsprechung des Senats ist damit von einer der jeweiligen Situation angepassten Darlegungs- und Widerspruchslast ausgegangen. Ändert eine Gemeinde ihre Rechtsüberzeugung, muss sie diese den Rechtlern bekanntgeben und in der Folge entsprechend dieser Überzeugung handeln, indem sie etwa die Auszahlung von Nutzungsanteilen unterlässt (BayVGH, U.v. 30.11.1994 – 4 B 94.1162 – a.a.O.). Es obliegt dann den bisherigen Rechtlern, diesem Wandel zu widersprechen und erforderlichenfalls vor dem Verwaltungsgerichten Klage zu erheben, wobei der Senat eine Klageerhebung nach einem Jahr noch als ausreichend angesehen hat. Im Fall eines Rechtsübergangs von einer aufgelösten auf eine aufnehmende Gemeinde hat der Senat dagegen zunächst die bisherigen Rechtler in der Verpflichtung gesehen, die aufnehmende Gemeinde über die beanspruchten Nutzungsrechte zu informieren und eine Billigung des Gemeinderats als funktionell zuständiges Gremium herbeizuführen, weil sich ohne Kenntnis der neuen Gemeinde von etwaigen Nutzungsrechten auch keine Rechtsüberzeugung bilden könne (BayVGH, B.v. 13.1.1999 – 4 ZB 97.2940 – juris Rn. 8). Hält die die Gemeinde an ihrer ablehnenden Haltung fest, muss auch dann das Verwaltungsgericht angerufen werden (vgl. BayVGH, B.v. 6.4.2004 – 4 ZB 02.2162 – juris Rn. 9). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
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Der Senat teilt nicht die in der Zulassungsschrift geäußerte Ansicht, die bisherigen Rechtler hätten im Falle der Eingemeindung keinen Anlass, auf die neue Gemeindeverwaltung zuzugehen und ihre Rechte geltend zu machen. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 16. März 2015 (4 ZB 14.359 – juris Rn. 7) festgestellt hat, entspricht die „Erwartung, dass sich Rechtler bei einer Eingemeindung aus eigenem Antrieb im Rahmen von Eingemeindungsverhandlungen oder im Anschluss an eine Eingemeindung bei der neugebildeten Gemeinde melden und ihre Ansprüche anmelden, […] allgemeiner Lebenserfahrung und erfordert keine juristischen Kenntnisse.“ Dabei kann im vorliegenden Fall offenbleiben, wie sich die bisherige Rechtsprechung, die Rechtsüberzeugung der aufnehmenden Gemeinde müsse sich nicht schon unmittelbar beim Rechtsübergang bilden, dogmatisch begründen lässt. Diese „Nachwirkung“ muss jedenfalls auf eine Zeitspanne beschränkt bleiben, innerhalb deren vernünftigerweise angenommen werden kann, dass sich der neue Gemeinderat mit etwaigen noch offenen Folgefragen der Eingliederung befassen würde, wäre ihm der Sachverhalt bekannt gewesen (vgl. die Formulierung „alsbald“ in BayVGH, B.v. 16.3.2015, a.a.O.). Diese Zeitspanne wäre im Jahr 2008, für das erstmals eine Befassung des Gemeinderats mit dem Fortbestand der Holzrechte vorgetragen wurde, jedenfalls verstrichen gewesen. Damit sind die Nutzungsrechte erloschen (vgl. BayVGH, B.v. 13.1.1999 – 4 ZB 97.2940 – juris Rn. 8; U.v. 21.7.1993 – 4 B 92.1505 – beck online).
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2. Besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) bestehen nicht. Aufgrund der bereits vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen zu den Holznutzungsrechten lassen sich die entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Fragen ohne weiteres anhand der anzuwendenden Rechtsvorschriften beantworten.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).