Inhalt

OLG München, Endurteil v. 10.06.2024 – 19 U 5257/21
Titel:

Vorläufige Vollstreckbarkeit, Rechtshängigkeit, Insolvenzverwalter, Verfahrensunterbrechung, Schriftsätze, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Abschalteinrichtung, Kostenentscheidung, Sicherheitsleistung, Amtliche Auskunft, Darlegungs- und Beweislast, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Sitzungsniederschrift, Kosten des Berufungsverfahrens, Annahmeverzug, Landgerichte, Tatsächliche Feststellungen, Anfechtungsklage, Abgasskandal, Berufungszurückweisung

Schlagworte:
Aktivlegitimation, Schadenersatzanspruch, Abschalteinrichtung, Softwareupdate, Rückruf, Beweislast, Revision
Vorinstanz:
LG München II, Endurteil vom 08.07.2021 – 12 O 1042/20
Fundstelle:
BeckRS 2024, 19285

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts München II vom 08.07.2021, Az. 12 O 1042/20, wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer I genannte Urteil des Landgerichts München II ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aufgrund dieser Urteile vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 115 % des von ihr jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Kläger begehrt von der beklagten Fahrzeugherstellerin Schadenersatz im Zusammenhang mit dem sog. Diesel- bzw. Abgasskandal.
2
Der Kläger erwarb am 15.03.2019 (s. Anlage K 1) von der Beklagten einen gebrauchten Pkw, Marke Mercedes-Benz V 250 EEX/L (im Folgenden: Kfz), mit einem Motor des Typs OM 651 (Euro 6), FIN: …, zu einem Bruttokaufpreis von 71.995 € mit einer Laufleistung von ca. 8.000 km. Die Erstzulassung des Kfz erfolgte am 18.02.2019 (s. Anl. z. Bl. 197 f. d.A.).
3
Das Kfz unterlag einem verpflichtenden Rückruf des KBA mit Bescheid vom 03.08.2018 wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form einer sog. „Strategie A in vergleichbarer Ausprägung“. Im Emissionskontrollsystem wird eine Strategie verwendet, die dessen Wirksamkeit in unzulässiger Weise reduziert, obwohl normale Betriebsbedingungen vorliegen. Für die Abgasnachbehandlung gibt es zwei Modi hinsichtlich der Eindüsung von AdBlue, welches NOx reduziert:
Unter Bedingungen, wie sie für die Typprüfung vorgegeben sind, wird nach Motorstart ein effektiver Modus genutzt.
Nach Erreichen einer bestimmten NOx-Masse nach Ablauf des Prüfzyklus dauerhaft ein weniger effektiver Modus.
Der effektive Modus wird dann nicht mehr genutzt, erst wieder nach einem Motorkaltstart.
4
Die Beklagte hat gegen Bescheid des Anfechtungsklage beim VG Schleswig erhoben; das Verfahren ist dort unter dem Az. 3 A 52/21 anhängig.
5
Das von der Beklagten zu dessen Beseitigung angebotene Softwareupdate (Herstellercode: ...) wurde bei dem Kfz allerdings bereits am 04.12.2018 mit einer Laufleistung von 3 km aufgespielt.
6
Mit Schriftsatz vom 17.03.2020 wurde die Klage im vorliegenden Verfahren beim Landgericht eingereicht. Am 06.04.2020 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet. Die Klage wurde der Beklagten am 14.04.2020 zugestellt.
7
Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil (Bl. 144 ff. d.A.), auf dessen tatsächliche Feststellungen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO) und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, da der Kläger nicht prozessführungsbefugt sei. Bis zum Ende der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 24.06.2020 sei weder eine Verfahrensaufnahme durch Insolvenzverwalter nach § 85 Abs. 1 S. 1 InsO erfolgt noch dem Gericht eine Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters nach § 85 Abs. 2 InsO vorgelegt worden. Eine Verfahrensunterbrechung nach § 240 ZPO sei nicht erfolgt, da die Rechtshängigkeit erst nach Insolvenzverfahrenseröffnung eingetreten sei.
8
Dagegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 05.08.2021 (Bl. 156 f. d.A.) eingelegte und mit Schriftsatz vom 22.11.2021 (Bl. 177 ff. d.A.) begründete Berufung des Klägers.
9
Der Kläger beantragt, das Urteil des Landgerichts abzuändern und zu erkennen wie folgt:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 68.252,10 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf einen Betrag in Höhe von
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet.
3.3.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.989,48 € freizustellen.
Hilfsweise wird beantragt:
4.
Die Beklagte wird verurteilt, der klagenden Partei 10.799,25 € (= 15 % des Kaufpreises) zu zahlen nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
10
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
11
Wegen der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.
12
Vor dem Senat wurde am 03.04.2023 und am 10.06.2024 mündlich verhandelt; wegen des Inhalts und Verlaufs der Sitzungen wird auf die entsprechenden Sitzungsniederschriften (Bl. 325 ff., 610 ff. d.A.) verwiesen.
II.
13
1. Der Kläger ist mittlerweile aktivlegitimiert.
14
Die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters gemäß § 85 Abs. 2 InsO vom 22.12.2020 liegt nunmehr vor (z. Bl. 192 f. d.A.).
15
Zudem erscheint das Vorgehen des Landgerichts zumindest mit Blick auf den Grundsatz prozessualer Fairness bedenklich. Die Vorlage der Freigabeerklärung wurde mit klägerischem Schriftsatz vom 22.12.2020 (Bl. 116 d.A.) konkret angekündigt. Somit hätte das Landgericht zumindest analog § 85 Abs. 1 S. 2 InsO i.V.m. § 239 Abs. 2 bis 6 ZPO vorgehen müssen (Cymutta in: BeckOK Insolvenzrecht, 35. Ed., Stand: 15.04.2024, § 85 InsO Rz. 3a).
16
2. Die Klage ist aber unbegründet.
17
Der Kläger hat keinerlei Schadenersatzanspruch gegen die Beklagte.
18
Sowohl der Anspruch aus §§ 826, 31 BGB auf sog. großen Schadenersatz als auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 v. 20.06.2007 auf sog. Differenzschadenersatz setzen einen Schaden dergestalt voraus, dass dem Kfz bei Abschluss des Kaufvertrags zwischen den Parteien aufgrund einer im Kfz enthaltenden Abschalteinrichtung der Rückruf durch das Kraftfahr-Bundesamt (KBA) droht. Dieser Schaden entfällt grundsätzlich auch nicht durch das nachträgliche Aufspielen eines Updates der Motorsteuerungssoftware (BGH, Urteil v. 16.12.2021, Az. VII ZR 389/21, Rz 15; Urteil v. 30.07.2020, Az. VI ZR 367/19, Rz. 22).
19
Gemäß der vom Senat erholten amtlichen Auskunft des KBA vom 12.01.2024 (Bl. 489 f. d.A.) war das streitgegenständliche Kfz aber bereits vor Auslieferung durch den Hersteller für das Software-Update vorgesehen, durch welches laut KBA die Vorschriftsmäßigkeit wiederherstellt wurde. Das Software-Update wurde am 04.12.2018 bei einer Laufleistung von 3 km aufgespielt. Damit wurde die als sog. „Strategie A in vergleichbarer Ausprägung“ bezeichnete unzulässige Abschalteinrichtung hier noch vor Erstzulassung des streitgegenständlichen Fahrzeugs am 18.02.2019 und vor dessen Erwerb durch den Kläger am 15.03.2019 vollständig beseitigt. Damit erhielt keiner der Halter des Fahrzeugs und namentlich nicht der Kläger zu irgendeiner Zeit ein rückrufgefährdetes Fahrzeug. Auch die Angabe der Beklagten, das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge nach dem Software-Update über kein Thermofenster, wird vom KBA gestützt, wenn es in der amtlichen Auskunft vom 19.10.2022 (Bl. 210 f. d.A.) ausführt, dass auch insoweit keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt wurde. Folglich hat der Kläger keinerlei Schaden.
20
Der von Klageseite behauptete, angebliche neuerliche Rückruf des KBA vom 13.12.2023 wird durch die amtliche Auskunft vom 12.01.2024 nicht bestätigt.
21
Selbst falls die klägerische Behauptung zutreffen sollte, dass hunderttausende von Fahrzeugen der Beklagten seit dem 13.12.2023 einem – teils erneuten – Rückruf hinsichtlich ihres Emissionsverhalten unterlägen, lässt dies noch keinen Bezug zum hier streitgegenständlichen Kfz erkennen, welches zudem keinen OM 642-Motor, sondern einen OM 651-Motor aufweist. Die vorgeblich aktuell vom KBA gerügten Funktionen beträfen aber laut Kläger nur Fahrzeugmodelle mit einem Motor des Typs OM 642. Wenn der Kläger den Senat im Schriftsatz vom 04.06.2024 (Bl. 588 ff. d.A.) schließlich auffordert darzulegen, welche Unterschiede zwischen den beiden Motortypen denn beständen, so verkennt er eklatant seine eigene Darlegungs- und Beweislast insoweit.
III.
22
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 S. 2, § 711 S. 1, 2 i.V.m. § 709 S. 2 ZPO.
IV.
23
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO). Auch erfordern weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO).
24
Wie dargestellt, liegen den vorstehenden Ausführungen die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Leitlinien zugrunde. Zudem handelt es sich hier um eine Einzelfallentscheidung (vgl. BGH, Beschluss v. 14.08.2013, Az. XII ZB 443/12, Rz. 6), über welche hinaus die Interessen der Allgemeinheit nicht nachhaltig berührt werden, weswegen eine höchstrichterliche Leitentscheidung notwendig wäre (s. dazu BGH, Beschluss v. 25.05.2003, Az. VI ZB 55/02, juris Rz. 8; Beschluss v. 29.05.2002, Az. V ZB 11/02, juris Rz. 10).