Titel:
Einsicht in Ermittlungsakten
Normenketten:
StPO § 474 Abs. 2, Abs. 3
SanktDG § 7 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die auf § 474 Abs. 2 und 3 StPO gestützte Bewilligung der Akteneinsicht in die Ermittlungsakten durch die Staatsanwaltschaft für die Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung stellt einen für den Beschuldigten nach § 23 EGGVG anfechtbaren Justizverwaltungsakt auf dem Gebiet der Strafrechtspflege dar. (Rn. 6)
2. Eine Verletzung des Beschuldigten in eigenen Rechten ist möglich (§ 24 Abs. 1 EGGVG), wenn die Staatsanwaltschaft einem Dritten Auskünfte aus einem Strafverfahren gewährt. (Rn. 9)
3. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, der Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung Einsicht in die Ermittlungsakten zu bewilligen, ist an § 7 Abs. 1 Sanktionsdurchsetzungsgesetz i.V.m. § 474 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Abs. 3 StPO zu messen. Die Vorschrift von § 474 Abs. 3 StPO ist nach ihrem Wortlaut auch anwendbar, wenn eine spezielle gesetzliche Vorschrift (hier § 7 Abs. 1 SanktDG) lediglich eine Auskunft bestimmt. (Rn. 12 – 14)
4. Die Entscheidung, ob ausnahmsweise Akteneinsicht statt lediglich Auskunft gewährt wird, steht im pflichtgemäßen Ermessen der ersuchten Stelle. Anerkannter Zweck der Vorschrift des § 474 Abs. 3 StPO ist eine Entlastung der Justiz. Von Auswertungen der Ermittlungserkenntnisse auf eine mögliche Relevanz für die Aufgaben anderer öffentlicher Stellen sollen die Ermittlungsbehörden und die Gerichte freigehalten werden. Der Aspekt, dass die ersuchte Stelle nicht verlässlich zu prüfen vermag, welchen Informationen aus den Ermittlungsakten eine Bedeutung für die von der ersuchenden Behörde zeitnah anzustellenden Ermittlungen zukommen könnte, darf bei der Ermessensentscheidung Berücksichtigung finden. (Rn. 26)
1. Der Umstand, dass bislang noch keine Anklage erhoben worden ist, schließt die Übermittlung von Informationen nicht aus. Der Begriff des Strafverfahrens iSv §§ 474 ff. StPO erfasst auch das Stadium der Ermittlungen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gem. § 474 Abs. 3 kann einer öffentlichen Stelle statt einer grundsätzlich vorrangigen Auskunft auch umfassende Einsicht in die Akten gewährt werden, wenn entweder die Auskunftserteilung einen unverhältnismäßig hohen und unzumutbaren Aufwand erfordern würde oder die die Akteneinsicht begehrende Stelle unter Angaben von Gründen erklärt, dass die Auskunftserteilung zur Erfüllung ihrer Aufgabe nicht ausreichen würde. Die Vorschrift ist nach ihrem Wortlaut auch anwendbar, wenn eine spezielle gesetzliche Vorschrift (hier § 7 Abs. 1 SanktDG) lediglich eine Auskunft bestimmt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Akteneinsicht, Bewilligung, Ermittlungsstadium, Justizverwaltungsakt, personenbezogene Daten, Auskunftserteilung, nicht ausreichend, unverhältnismäßiger Aufwand
Fundstellen:
ZASA 2024, 679
NStZ 2025, 444
BeckRS 2024, 19248
StV 2025, 171
LSK 2024, 19248
wistra 2025, 38
Tenor
1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird auf Kosten des Antragstellers als unbegründet zurückgewiesen.
2. Der Geschäftswert wird auf 5.000,- € festgesetzt.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
4. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist erledigt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Mai 2024, bei Gericht eingegangen am selben Tage, gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft München II in deren Schreiben vom 9. April 2024 und vom 8. Mai 2024, der Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung (im folgenden Zentralstelle) auf deren Ersuchen hin Akteneinsicht in das gegen den Antragsteller wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz geführte Ermittlungsverfahren 70 Js 35806/22 zu gewähren. Er ist im Wesentlichen der Auffassung, dass die Gewährung einer vollumfänglichen Akteneinsicht rechtswidrig wäre, da die Voraussetzungen von § 474 Abs. 3 StPO nicht vorliegen würden. Die Zentralstelle wäre gehalten, ihr Ersuchen näher zu präzisieren. Zudem erschließe sich mit Blick auf den Umfang der Akten und eine zahlenmäßig begrenzte Zitierung des Firmennamens nicht, weshalb eine Zuordnung von Aktenbestandteilen zum Unternehmen B. GmbH für die Staatsanwaltschaft einen unverhältnismäßigen Aufwand darstellen könnte. Er beantragt, die Entscheidung der Staatsanwaltschaft München II aufzuheben, hilfsweise die Staatsanwaltschaft zu verpflichten, über den Antrag der Zentralstelle unter Berücksichtigung der Rechtsansicht des Senats neu zu entscheiden. Mit Schreiben vom 12. Juni 2024 hat der Antragsteller den zunächst ebenfalls gestellten Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz infolge der Erklärung der Generalstaatsanwaltschaft, vor einer Gewährung von Akteneinsicht werde die Entscheidung des Senats abgewartet, für erledigt erklärt.
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Ausgangspunkt für die angefochtene Entscheidung der Staatsanwaltschaft war ein Schreiben der Zentralstelle vom 4. Dezember 2023 gerichtet auf Auskunft aus den Akten und Einsicht in das gegen den Antragsteller geführte Ermittlungsverfahren. Zur Begründung hat die ersuchende Behörde ausgeführt, dass sie gegen den im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Beschuldigten ein gefahrenabwehrrechtliches Ermittlungsverfahren gemäß § 1 SanktDG zur Ermittlung von einer Verfügungsbeschränkung unterliegenden Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen führe. Von Interesse seien solche Aktenbestandteile, die Aufschluss über die Struktur von Unternehmen geben würden, die unter die Sanktionsmaßnahme fallende Gelder und wirtschaftliche Ressourcen hielten. In einem weiteren Schreiben vom 20. März 2024 hat die Zentralstelle ihr Ersuchen dahingehend ergänzt, dass sie ein Vermögensermittlungsverfahren nach §§ 1, 12 SanktDG führe. Sie benötige dafür Unterlagen und Erkenntnisse, aus denen sich eine Zuordnung des Unternehmens B. GmbH und der an diesem beteiligten weiteren Firmen zum Beschuldigten ergäben. Nach der Aufnahme des Beschuldigten in den Anhang I der VO (EU) 269/2014 am 28. Februar 2022 unterlägen nach Art. 2 Abs. 1 der genannten VO (EU) sämtliche Vermögenswerte, die im Eigentum oder Besitz des Beschuldigten stünden oder von ihm gehalten oder kontrolliert würden, einem Verfügungsverbot. Die durchgeführten Ermittlungen der Zentralstelle hätten hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die B. GmbH einem bestimmenden Einfluss des Beschuldigten unterläge und deren Vermögenswerte einzufrieren wären. Auf die Eilbedürftigkeit und die drohende Behinderung des Fortgangs der Ermittlungen nach der von Seiten der Staatsanwaltschaft erfolgten Offenlegung der bislang verdeckt geführten Ermittlungen der Zentralstelle werde hingewiesen.
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Mit Schreiben vom 9. April 2024 und 8. Mai 2024 hat die Staatsanwaltschaft München II dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers mitgeteilt, dass sie beabsichtige, der Zentralstelle vollumfängliche Akteneinsicht nach § 474 Abs. 2 und 3 StPO i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 SanktDG zu erteilen. Die Staatsanwaltschaft könne nicht abschließend beurteilen, welche Akteninhalte die Zentralstelle für die Durchführung ihrer Ermittlungen benötige. Auch würde die Sichtung und Auskunftserteilung einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten. Die Vollziehung der Verfügung hat sie bislang zurückgestellt.
4
Der Generalstaatsanwalt in München beantragt unter Bezugnahme auf die Erwägungen der Staatsanwaltschaft München II, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zu verwerfen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Mai 2024 nebst Anlagen Bezug genommen. Die Akteneinsicht ist noch nicht vollzogen worden.
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I. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 23 EGGVG ist statthaft und zulässig.
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1. Die auf § 474 Abs. 2 und 3 StPO gestützte Bewilligung der Akteneinsicht für die Zentralstelle stellt einen für den Beschuldigten anfechtbaren Justizverwaltungsakt auf dem Gebiet der Strafrechtspflege dar (Gerster in BeckOK AußenWirtschaftsR, 12. Ed. 1.5.2024, SanktDG § 7 Rn. 8; zur Überprüfbarkeit von Entscheidungen nach § 474 StPO vgl. Senat, Beschluss vom 29. Januar 2024 – 203 VAs 532/23 –, juris Rn. 8 ff.; KG Berlin, Beschluss vom 4. August 2021 – 6 VAs 3/21 –, juris Rn. 26; OLG Hamm, Beschluss vom 21. April 2016 – III-1 VAs 100/15, III-1 VAs 102/15, III-1 VAs 103/15, III-1 VAs 105/15 –, juris Rn. 43; Singelnstein in MüKo-StPO, 1. Aufl., § 474 Rn. 38; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 480 Rn. 4).
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2. Der Subsidiaritätsgrundsatz des § 23 Abs. 3 EGGVG greift vorliegend nicht; gegen die Gewährung von Akteneinsicht kann der Antragsteller weder nach § 406e Abs. 5 Satz 2 StPO noch nach § 480 Abs. 3 Satz 1 StPO jeweils i. V. m. § 162 StPO um gerichtliche Entscheidung durch den Ermittlungsrichter nachsuchen (vgl. Senat a.a.O. Rn. 9; Gieg in KK-StPO, 9. Aufl., § 480 Rn. 5).
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3. Der Antrag ist innerhalb der Monatsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG bei dem nach § 25 Abs. 1 und 2 EGGVG i. V. m. Art. 12 Nr. 3 AGGVG zuständigen Bayerischen Obersten Landesgericht gestellt worden.
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4. Eine mögliche Verletzung in eigenen Rechten (§ 24 Abs. 1 EGGVG) hat der Antragsteller geltend gemacht. Gewährt die Staatsanwaltschaft einem Dritten Auskünfte aus einem Strafverfahren, macht sie ihm in der Regel personenbezogene Daten des Betroffenen zugänglich (Senat a.a.O. Rn. 13; Gieg, a.a.O. § 480 Rn. 3 m.w.N.). Nach dem Vortrag des Antragstellers kann er durch die angegriffene Entscheidung in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt sein.
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II. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Denn die Entscheidung der Staatsanwaltschaft München II, die Einsicht zu bewilligen, ist nach § 7 Abs. 1 Sanktionsdurchsetzungsgesetz vom 19. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2606, SanktDG) i.V.m. § 474 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Abs. 3 StPO nicht zu beanstanden.
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1. Wegen des Gesetzesvorbehalts für Grundrechtseingriffe setzt die Übermittlung personenbezogener Daten zwischen Behörden einfach-gesetzliche Vorschriften voraus, die zum einen die Verwendung von Seiten der ersuchenden Behörde und zum anderen die korrespondierende Übermittlung von Seiten der ersuchten Behörde erlauben. Beide Befugnisse können in einer Norm zusammengefasst sein (Singelnstein a.a.O. Vorbem. zu § 474 Rn. 24, 26; zu dem sogenannten Doppeltürmodell vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 2020 – 1 BvR 1873/13 –, BVerfGE 155, 119-238, juris Rn. 93; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 6. März 2014 – 1 BvR 3541/13 –, juris).
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2. Entgegen der Rechtsansicht der Zentralstelle kann sie ihr Begehren nicht auf § 481 StPO stützen. Denn auch wenn die Ermittlungen und Sicherstellungen von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen zur Sanktionsdurchsetzung grundsätzlich gefahrenabwehrrechtlicher Natur sind – Sanktionen stellen kein Strafinstrument dar –, hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen, unter denen der Zentralstelle zu Zwecken der Sanktionsdurchsetzung von Amts wegen Informationen aus den Strafakten zu gewähren sind, abschließend in § 7 Abs. 1 SanktDG geregelt. Dies folgt aus der Einschränkung des Informationsanspruchs auf bestimmte Arten von Ermittlungsverfahren (vgl. im Ergebnis auch Gerster a.a.O. SanktDG § 7 Rn. 6).
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3. Dass sie die gewünschten Informationen zur Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit benötigen würde (vgl. § 46 Abs. 2, § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG i.V.m. § 17 Abs. 1 und 3 SanktDG), hat die Zentralstelle nicht vorgetragen.
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4. Ob und in welchem Umfang die Ermittlungsbehörde der Zentralstelle Informationen aus ihrer Ermittlungsakte übermitteln darf, bestimmt sich hier nach § 474 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 StPO i.V.m. § 7 Abs. 1 SanktDG.
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a. Nach § 474 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO sind Auskünfte aus (Straf-)Akten an öffentliche Stellen auch zulässig, soweit diesen Stellen in sonstigen Fällen auf Grund einer besonderen Vorschrift von Amts wegen personenbezogene Daten aus Strafverfahren übermittelt werden dürfen.
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aa. Bei der Zentralstelle handelt es sich um eine öffentliche Stelle im Sinne von § 474 Abs. 2 StPO (vgl. Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 474 Rn. 8; Köhler a.a.O. § 474 Rn. 5).
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bb. Die besondere Rechtsvorschrift, die hier die Verwendung zulässt, stellt § 7 Abs. 1 SanktDG dar. Die Regelung sieht vor, dass Gerichte und Staatsanwaltschaften der Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung personenbezogene Daten in Strafverfahren wegen Verstoßes gegen Vorschriften des Außenwirtschaftsgesetzes oder gegen eine Rechtsverordnung aufgrund des Außenwirtschaftsgesetzes übermitteln dürfen, soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben der Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung nach dem Sanktionsdurchsetzungsgesetz erforderlich ist. Die Zentralstelle als ersuchende Stelle hat das Vorliegen der Übermittlungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 SanktDG hinreichend schlüssig dargelegt (zu den Anforderungen vgl. Senat a.a.O. Rn. 18; Hilger a.a.O. § 474 Rn. 11; Wittig in BeckOK StPO, 51. Ed., § 479 Rn. 18; Singelnstein a.a.O. § 474 Rn. 29).
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aaa. Der Zweck der Akteneinsicht liegt im Aufgabenbereich der ersuchenden Stelle. Die Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung hat die Aufgabe, die Durchsetzung der vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahmen im Inland zu gewährleisten (§ 1 Abs. 1 S. 1 SanktDG). Der Behörde obliegt es nach § 1 Abs. 1 S. 2, §§ 11 und 12 SanktDG zu ermitteln, welche Gelder und wirtschaftliche Ressourcen aufgrund einer Sanktionsverordnung eingefroren sind und dem Zugriff der sanktionierten Person entzogen sein müssen. Sie soll zudem überwachen, dass keine Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen einer sanktionierten Person unter Verletzung eines Bereitstellungsverbotes zugutekommen oder ihr zur Verfügung gestellt werden (vgl. Wegner in BeckOK AußenWirtschaftsR, 12. Ed. 1.5.2024, SanktDG § 1 Rn. 3; Hiller, NJ 2023, 287 ff.). Sie darf dazu eigene personenbezogene und vermögensbezogene Ermittlungen anstellen und basierend auf § 2 und § 3 SanktDG die erforderlichen Maßnahmen treffen. Bereits bei drohenden Verstößen soll die Behörde gefahrenabwehrrechtlich eingreifen, indem sie etwa Vermögenswerte vorläufig sichert. Die Zentralstelle sowie andere öffentliche Stellen arbeiten nach § 1 Abs. 3 S. 1 und 2 SanktDG zur Durchführung des Gesetzes zusammen, unterstützen sich gegenseitig und informieren sich, soweit erforderlich, gegenseitig über Sachverhalte, die ihnen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben bekannt werden und die der Durchsetzung von wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahmen im Sinne von Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes dienen.
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bbb. Die Informationen aus den Ermittlungsakten sind für die Erfüllung der Aufgaben auch erforderlich. Das Wissen um die von der Staatsanwaltschaft gewonnenen Ermittlungserkenntnisse zu möglichen Verstößen des Antragstellers gegen das Außenwirtschaftsgesetz unter Einbeziehung der ihm zuordenbaren Firmen und Vermögenswerte ist notwendig, um die anliegende Aufgabe rechtmäßig, vollständig und mit angemessenem Aufwand in angemessener Zeit erfüllen zu können (vgl. zum Begriff der Erforderlichkeit Hilger a.a.O. § 474 Rn. 10; Köhler a.a.O. § 474 Rn. 4, 6).
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ccc. Ein Ausnahmefall, dass ein besonderer Anlass zu einer weitergehenden Prüfung der Zulässigkeit der Übermittlung vorliegen würde (Senat, Beschluss vom 20. Dezember 2021 – 203 VAs 389/21 –, juris Rn. 25 m.w.N.; Gieg a.a.O. § 479 Rn. 5), liegt auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragsschrift nicht vor. Die Zentralstelle war nach § 479 Abs. 4 S. 2 StPO nicht verpflichtet, die Notwendigkeit der Datenübermittlung in ihrem Ersuchen noch näher zu substantiieren (vgl. Senat, Beschluss vom 29. Januar 2024 a.a.O. Rn. 18 m.w.N.; OLG Hamm a.a.O. Rn. 59; Gieg a.a.O. § 479 Rn. 5). Die Staatsanwaltschaft musste keine Ermittlungen zu einem möglichen Erkenntnisgewinn der Zentralstelle anstellen (vgl. Senat, Beschluss vom 29. Januar 2024 a.a.O. Rn. 18; OLG Hamm a.a.O. Rn. 59).
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cc. Ein Übermittlungsverbot im Sinne von § 479 Abs. 1 StPO besteht hier ebenso wenig wie eine Beschränkung nach § 479 Abs. 2 oder 3 StPO.
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dd. Dass bislang noch keine Anklage erhoben wurde, schließt die Übermittlung von Informationen nicht aus. Der Begriff des Strafverfahrens im Sinne von §§ 474 ff. StPO erfasst auch das Stadium der Ermittlungen (vgl. Gerster a.a.O. § 7 Rn. 3; Köhler a.a.O. § 479 Rn. 2; Singelnstein a.a.O. Vorbem. zu § 474 Rn. 20; Gieg a.a.O. § 483 Rn. 2; a.A. Diemer in Erbs/Kohlhaas AWG 250. EL § 26 Rn. 2).
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b. Auch die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, Einsichtnahme in die Akte zu gewähren (§ 474 Abs. 3 StPO), ist nicht zu beanstanden.
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aa. Nach § 28 Abs. 3 EGGVG prüft das Gericht auch, ob die im Ermessen der Justizbehörde stehende Maßnahme deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Dezember 2021 a.a.O. Rn. 16; OLG Hamm, Beschluss vom 21. April 2016 a.a.O. Rn. 44; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. § 28 EGGVG Rn. 10; Gieg a.a.O. § 474 Rn. 5).
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bb. Nach § 474 Abs. 3 StPO kann der öffentlichen Stelle statt einer grundsätzlich vorrangigen Auskunft (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Dezember 2021 a.a.O. Rn. 34; Köhler a.a.O. § 474 Rn. 6, 7; Gieg a.a.O. § 474 Rn. 5; Hilger a.a.O. § 474 Rn. 12) auch umfassende Einsicht in die Akten gewährt werden, wenn entweder die Auskunftserteilung gemäß Abs. 2 einen unverhältnismäßig hohen und unzumutbaren Aufwand erfordern würde oder die die Akteneinsicht begehrende Stelle unter Angaben von Gründen erklärt, dass die Auskunftserteilung gemäß Abs. 2 zur Erfüllung ihrer Aufgabe nicht ausreichen würde. Die Vorschrift ist nach ihrem Wortlaut auch anwendbar, wenn eine spezielle gesetzliche Vorschrift (hier § 7 Abs. 1 SanktDG) lediglich eine Auskunft bestimmt.
26
cc. Die Entscheidung, ob ausnahmsweise Akteneinsicht statt lediglich Auskunft gewährt wird, steht nach gefestigter Rechtsprechung im pflichtgemäßen Ermessen der ersuchten Stelle (Senat, Beschluss vom 20. Dezember 2021 a.a.O. Rn. 33; OLG Hamm a.a.O.; Singelnstein a.a.O. § 474 Rn. 26). Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, anstelle der Erteilung von Auskünften gemäß Abs. 3 Akteneinsicht zu gewähren, muss die tatsächliche Ausübung des Ermessens erkennen lassen (Senat, Beschluss vom 20. Dezember 2021 a.a.O. Rn. 33, 37; Köhler a.a.O. § 474 Rn. 7). Ist die ersuchte Behörde der Auffassung, dass die Erteilung von Auskünften einen „unverhältnismäßigen Aufwand“ erfordern würde, hat sie dies in ihrer Entscheidung zu begründen (Senat a.a.O. Rn. 33; Gieg a.a.O. § 474 Rn. 5). Macht die ersuchende Behörde geltend, dass die Auskunftserteilung zur Erfüllung ihrer Aufgabe nicht ausreichen würde, darf sich die ersuchte Stelle auf die begründete Erklärung der ersuchenden Behörde stützen (Hilger a.a.O. Rn. 12; Singelnstein a.a.O. § 474 Rn. 26; im Erg. auch Wittig a.a.O. § 479 Rn. 18 und 18.1).
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dd. Gemessen daran zeigt die Entscheidung der Staatsanwaltschaft München II, der Zentralstelle auf deren Ersuchen hin vollständige Akteneinsicht zu gewähren, keinen Ermessensfehler auf.
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aaa. Die Staatsanwaltschaft hat zum einen nachvollziehbar begründet, dass ihr eine eigene verantwortungsvolle Recherche nach Ermittlungsansätzen im Sinne von §§ 11, 12 SanktDG nur mit einem hohen zeitlichen Aufwand möglich wäre. Anerkannter Zweck der Vorschrift des § 474 Abs. 3 StPO ist eine Entlastung der Justiz (Köhler a.a.O. § 474 Rn. 7; Singelnstein a.a.O. § 474 Rn. 26; BT-Drs. 14/1484 S. 26). Von Auswertungen der Ermittlungserkenntnisse auf eine mögliche Relevanz für die Aufgaben anderer öffentlicher Stellen sollen die Ermittlungsbehörden und die Gerichte freigehalten werden. Einen Ermessensfehler zeigt die Antragsschrift auch mit ihrem Verweis auf eine beschränkte Anzahl der Wiedergabe des Firmennamens in den Akten nicht auf. Es versteht sich von selbst, dass eine Auskunft der Staatsanwaltschaft, die sich auf das Ergebnis einer ausschließlichen Namensrecherche zu einer einzelnen Firma beschränken würde, dem Auftrag der Zentralstelle, die wirtschaftlichen Zusammenhänge und die Struktur sämtlicher dem Antragsteller zuordenbaren Unternehmen umfassend aufzuklären, nicht genügen könnte.
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bbb. Zum anderen hat auch die Zentralstelle als ersuchende Behörde hinreichend nachvollziehbar dargelegt, dass die Erfüllung ihrer Aufgabe eine vollständige Sichtung der Ermittlungsakten erfordert. Erfasst vom Informationsanspruch der Behörde werden grundsätzlich alle Informationen, die im Zusammenhang mit der Sanktionsdurchsetzung stehen (Gerster a.a.O. § 7 Rn. 3). Art. 2 der sogenannten Ukraine-Verordnung (EU) Nr. 269/2014 regelt das Einfrieren von sämtlichen Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen, die Eigentum oder Besitz der in Anhang I der Verordnung aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen oder der dort aufgeführten mit diesen in Verbindung stehenden natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen sind oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden. Den in Anhang I (der Verordnung) aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen oder den dort aufgeführten mit diesen in Verbindung stehenden natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugute kommen. Die Listung kann nur Wirksamkeit entfalten, wenn Vermögen, werthaltige Gegenstände und Vermögensbeteiligungen rechtssicher zugeordnet werden können (vgl. Hiller a.a.O. S. 287 f.). Demgegenüber birgt eine nur stufenweise Auskunftserteilung stets die Gefahr von Vereitelungsmaßnahmen des Betroffenen. § 1 Abs. 3 SanktDG bestimmt, dass die Zentralstelle und andere öffentlichen Stellen zur Durchführung des Gesetzes zusammenarbeiten, sich gegenseitig unterstützen und sich, soweit erforderlich, gegenseitig über Sachverhalte, die ihnen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben bekannt werden und die der Durchsetzung von wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahmen dienen, informieren. Die Staatsanwaltschaft durfte daher mit Blick auf § 1 Abs. 3 S. 1 und 2 SanktDG zum Ergebnis kommen, dass sie nicht verlässlich zu prüfen vermag, welchen Informationen aus den Ermittlungsakten eine Bedeutung für die von der Zentralstelle zeitnah anzustellenden Ermittlungen zukommen könnte (vgl. zu diesem Aspekt Senat, Beschluss vom 29. Januar 2024 a.a.O. Rn. 51; OLG Hamm, Beschluss vom 30. April 2009 – 1 VAs 11/09 –, juris Rn. 23).
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c. Die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft München II folgt aus § 474 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 i.V.m. § 480 Abs. 1 S. 1 StPO.
31
d. Eine vorausgehende Akteneinsicht des Verteidigers sieht das Gesetz nicht vor. Die Rechte des Beschuldigten wurden hier jedenfalls durch die Anhörung gewahrt.
32
5. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz (zur Zulässigkeit vgl. Mayer in KK-StPO a.a.O. EGGVG § 28 Rn. 24, 25; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 28 EGGVG Rn. 13; Singelnstein a.a.O. § 474 Rn. 38; Gerster a.a.O. § 7 Rn. 8) ist mit der Entscheidung der Hauptsache erledigt.
33
I. Die Kostenentscheidung folgt aus § 1 Abs. 2 Nr. 19, § 22 GNotKG.
34
II. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 36 Abs. 3 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 19 GNotKG.
35
III. Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert (§ 29 Abs. 1 EGGVG). Klärungsbedürftige Rechtsfragen stellen sich nicht.